r:.M ■^•^':>" ^rl'^'^\ ^>ri^ ^^^,- ^t Mb^ - v >--■■, A?- -%^ 'V- fe.^r • :^K V .^ gSRtg^SJGaK't /V\ &:M-- -"■ X / •„'Ar •:^ .-,.< r' '^ - V 'iy-'r :"'^^^>:h;- uy'-\ , ;*;-?' V\ Jfe>' C- >-\ ^.-^- ->^-^- y ^ -t: ■^l y^v-, y ^^>^^ \; ■' :y' ^ ;>^ "X *^ ■ '"^^ ~-^ /'n^'/ /-■. rV-^ y ■■ "^i^/^.^ * -L , 'f^' ^.;' ^ \ /- Digitized by the Internet Archive in 2010 with funding from Columbia University Libraries http://www.archive.org/details/handbuchderchiruOOmose HANDBUCH DER CHIRURGISCHEN TECHNIK BEI OPERATIONEN UND VERBÄNDEN VON B^- ALBERT R. von MOSETIG-MOORHOF PROFESSOR AN DER WIENER UNIVERSITÄT, PRIMAR-CHIRURG IM K. K. ALLGEMEINEN KRAXKENHAUSE, GENERALCHEFARZT DES HOHEN DEUTSCHEN RITTERORDENS. VIERTE, VÖLLIG miGEAEBEITETE AUFLAGE. MIT 257 ABBILDUNGEN. LEIPZIG UND WIEN. FRANZ DEUTICKE. 1899. lojiIkA^ fei!-. /Y\ f i-' P-AA^ Alle Hechte vorhehalten ^s^^^a E ED3M0THECA ^s Verlags-Nr. 576. 'S., u. k. Hofbuchdruckerei Carl Fromme in Wien. VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE. Die Vorrede eines Buches entspricht einem Programme; es soU darin dem Leser in wenig Worten gesagt werden, was der Autor mit seinem geistigen Producte eigentlich bezwecken will und was für Gründe ihn zur Mehrung der Fachliteratur bewogen haben. Eine blosse Compilation zu liefern und einfach zu referiren, wie es im therapeu- tischen Schatze der modernen Chirurgie beiläufig aussehe, war nicht gemeint, und doch bin ich gezwungen ein kurzes und gedrängtes Bild davon zu geben. Mein Hauptaugenmerk richtete sich hauptsächlich auf die Darstellung der chirurgischen Technik, deren eingehende Beschreibung der praktische sowohl als auch der angehende Arzt nur zu oft und zu sehr vermissen. Ich habe mir Mühe gegeben, die ein- zelnen Handgriffe und Operationen so zu schildern, wie sie sich am Operationstische in der Regel abzuspielen pflegen und wie sie während des Schreibens meinem geistigen Auge gerade vorschwebten. Der praktische Arzt dürfte in diesem Buche einen treuen Führer bei seinem chirurgischen Wirken am Krankenbette finden; der Student einen Leitfaden, der ihn mühelos in das Getriebe der chirurgischen Therapie einführt, ihm Fingerzeige zum Studium weitläufiger Werke gibt und ihn befähigt, die glänzenden operativen Leistungen seiner berühmten klinischen Lehrer nicht nur zu bewundern, sondern auch mit Verständniss Schritt für Schritt zu verfolgen. Reichliche Er- fahrung hat mich gelehrt, dass der junge Arzt, wenn er den prak- tischen Dienst an einer chirurgischen Station antritt, einen ganz merkwürdigen Contrast zeigt zwischen theoretischem Wissen und praktischem Können; er spricht von schwierigen und seltenen Ope- rationen und geräth bei der einfachsten Hantirung in masslose Ver- legenheit. Diesen bedauerlichen technischen Mängeln wenigstens in Etwas abzuhelfen, das stand mir als idealer Hauptzweck vor Augen. — IV — Der beschränkte, ohnedem schon überschrittene Raum des Werkes macht es wohl erklärlich, dass alles, was nicht strenge genommen zur Technik gehört, nicht berücksichtigt werden konnte, und selbst die Anzeigen, Gegenanzeigen, üblen Ereignisse etc. der einzelnen Operationen, ebenso wie die anatomischen Daten nur in aller Kürze erwähnt werden und bloss flüchtige Andeutung finden konnten. So kam es, dass vielleicht manches Wichtige übergangen wurde und mancher ebenso geschätzte als hochverdiente Autor ungenannt blieb: nicht aus Unkenntnisse, Missachtung oder Mangel an Pietät, sondern weil ich nur das Gerippe der chirurgischen Therapie skizziren konnte und in Einzelnheiten und Details nicht eingehen durfte, ohne das Buch ungebührlich zu vergrössern. Jedes Werk trägt den Stempel der individuellen Anschauungen des Autors, so auch das vorliegende; möglich, dass Manches, was ich darin ausgesprochen habe, auf Gegenmeinungen stossen wird. Immer- hin, gerechte Kritik werde ich stets dankbar annehmen und mich bestreben, aus ihr zu lernen, Wien, Juli 1886^_,-i^ V. Mosetig-Moorhof. VORWORT ZUR VIERTEN AUFLAGE. Acht Jahre sind verflossen seit dem Erscheinen der dritten Auf- lage dieses Handbuches — ein langer Zeitraum auf dem so stetig und rasch sich fortbildenden Gebiete der operativen Chirurgie. Welche Wandlungen erlebten wir in diesen Jahren fast in jedem ihrer Capitel, namentlich aber in jenem der Abdominalchirurgie! Um dem Wunsche des Herrn Verlegers nach einer neuen Auflage gerecht zu werden, war ich genöthigt, das Buch auf das gründlichste umzuarbeiten. Auch die Zahl der Abbildungen wurde vermehrt und bin ich Herrn Collegen Dr. Oelwein sehr zu Dank verpflichtet, dass er die meisten der neu aufgenommenen Zeichnungen zu entwerfen die Güte hatte. Die Operationen am weiblichen Genitale sind ganz weggelassen ; ein- mal um das Buch nicht zu umfangreich zu gestalten und andererseits auch, weil die Gynäkologie sich bereits zu einem selbstständigen Fache entwickelt hat. In der vorliegenden vierten Auflage beabsichtige ich dem geneigten Leser ein thunlich vollständiges Bild der operativen Chirurgie der Gegenwart zu entwerfen; die günstige Beurtheilung der früheren Auflagen lässt mich hoffen, dass auch die vorliegende einer freundlichen Aufnahme begegnen wird. "Wien, Januar 1898. V. Mosetig-Moorhof. INHALTS-VERZEICHNISS. Elementar- und System-Operationen. Erster Abschnitt. Seite Narcose i Localanästhesie 18 Zweiter Abschnitt. Wundbehandlung .23 Dritter Abschnitt. Elementar-OperationcD. I. Capitel: Vorbereitungen zur Operation 59 II. „ Blutstillung 67 III. „ Percutane Gewebstrennung 84 IV. „ Blutige Gewebsvereinigung . 104 V. „ Exairese 115 VI. ,, Künstliche Gewebszerstörung ... • 138 VII. „ Allgemeine unblutige Elementar-Operationen 149 Vierter Abschnitt. System -Op erationen. I. Capitel: Operationen an der Haut, den Nägeln, dem Unterhautzellgewebe, inclusive Fascien 160 II. „ Operationen an Muskeln, Sehnen und Sehnenscheiden 196 III. „ Operationen an arteriellen und venösen Gefässen und an Bhitgefäss- geschwülsten 214 IV. „ Operationen an Nerven * 242 V. „ Operationen an Knochen und Gelenken 249 — VII — Fünfter Abschnitt. Allgemeine Verbandlehre. Seite I. Capitel: Lagerung und Lagerungsapparate 278 IL „ Wundvereinigungsverbände 284 III. ,, Deck- und Haltverbände 286 IV. „ Druckverbände 291 V. „ Suspensionsverbände . . . • 298 VI. „ Contentivverbände 304 VII. ,, Zugvei'bände 318 Anhang: Locale Regelung der Temperatur 324 Blutige und unblutige regionäre Eingriffe. Sechster Abschnitt. Operationen am Kopfe. I. Capitel: Blutige und unblutige Operationen am Knochengerüste des Kopfes 327 A. Am Schädeldache 327 B. Am Oberkiefer • 344 C. Am Unterkiefer 355 IL „ Operationen an den Weichtheilen des Gesichtes 366 III. ,, Operationen in den Höhlen des Kopfes 397 A. Orbita 397 B. Aeusseres Ohr 399 C Nasenhöhle 401 D. Mundhöhle 411 E. Rachenhöhle 431 IV. ,, Gefässunterbindungen am Kopfe 443 V. „ Operationen an Kopfnerven 444 Siebenter Abschnitt. Operationen am Halse. I. Capitel : Operative Eingriffe bei strumöser Entartung der Schilddrüse . . . 458 IL „ Operationen an den Luftwegen 470 III. ,, Opei'ationen an der Speiseröhre 498 IV. ,, Gefässunterbindungen am Halse 516 V. „ Operationen an den Halsnerven 524 Achter Abschnitt. Operationen am Stamme. I. Capitel: Operationen am Brustkorbe 526 IL „ Operationen am Unterleibe und an den Bauchdrüsen 551 III- „ Operationen am Magen und am Darmcanale 572 IV. ,, Operationen am Mastdarme und am After 610 V. ,, Operative Eingriffe an Eingeweidebrüchen 634 VI. „ Operationen an den Harnorganen 674 VII. „ Operationen an den männlichen Geschlechtsorganen 750 VIII. ,, Gefässunterbindungen am Stamme 760 IX. ,, Oijerationen an der Wirbelsäule 763 — VIII — Neunter Abschnitt. Operationen an den Gliedmassen. Seite Allgomoines über Anii)utationen 770 I. Abtheilung. Operationen an den oberen Extremitäten. I. Capitol : Soliultorjiürtel 788 II. „ Schultergelenk 794 III. ,, Oberarm 805 IV. „ Ellbogengelenk 808 V. „ Vorderarm 821 VI. „ Handgelenk 825 VII. „ Hand 828 II. Abtheilung. Operationen an den unteren Extremitäten. I. Capitel: Hüftgelenk 8.37 II. ,, Oberschenkel !^48 III. „ Kniegelenk 853 IV. „ Untei'schenkel und Fuss 881 ERSTER ABSCHNITT. I. Capitel. Narcose. Der ideal schöne Zweck der Narcose im chirurgischen Sinne ist wohl zunächst, dem Kranken jene Summe von Schmerzen zu ersparen, welche mit der Vornahme eines jeden operativen Eingriffes noth- wendigerweise mehr oder minder verbunden ist. Dieser Zweck kann auf zweifache Weise erreicht werden : entweder durch eine künstliche Hervorrufung temporärer Bewusstlosigkeit — eigentliche Narcose — oder durch eine nur locale Herabsetzung der physiologischen Empfind- lichkeit — Localanästhesie. Wie jede Bewusstlosigkeit, so ist auch die künstlich erzeugte, die Componente eines dreifachen temporären Ver- lustes physiologischer Lebensthätigkeiten, und zwar jener des Bewusst- seins, der Empfindung und des willkürlichen Bewegungsvermögens. Das Leben während der Narcose ist demnach nur auf die Erhaltung der unwillkürlichen Körperthätigkeiten reducirt, als deren cardinalste Athmung und Kreislauf gelten. Beginnen in der Narcose auch diese zu stocken, so tritt ernste Lebensgefahr ein; erlahmen sie vollends, der Tod. Die Narcose ist demzufolge keineswegs eine ganz ungefährliche Procedur und sollte immer nur von Jemandem ins Werk gesetzt werden, der sich auf diesem Gebiete schon einen gewissen Grad von Erfahrung gesammelt hat und unentwegt seine ganze, volle Aufmerksamkeit vorzugsweise auf drei Momente richtet: aui den Gang der Athmung, auf das Verhalten des Pulses und auf die präcise Bestimmung des Zeitpunctes, wann vollständige Narcose eingetreten ist. Nicht immer ist aber die Beseitigung der SdhmerzQmpfindung ihr Hauptzweck, manchmal ist es vielmehr die Muskelerschlaffung, deren man haupt- sächlich bedarf, und so lassen sich denn zwei Hauptindicationen für die Narcose aufstellen: L Man narcotisirt, wenn die vorzunehmende Operation voraus- sichtlich lange währt, schmerzreich ist und die Localanästhesie entweder nicht anwendbar, oder nicht ausreichend wäre. V. Mosetij-Moorhof: Handbuch d. cliir«rg. Technik, i. Aufl. 1 — 2 — IL Wenn die Muskelspanniing dem Gelingen eines operativen Actes unüberwindliche Hindernisse entgegensetzt, oder die Feststellung einer Diagnose erschwert. Die Narcose kennt aber auch Contra-Indicationen, und zwar absolute, temporäre und relative. 1. Absolute: a) Erkrankungen im Respirationssysteme oder dessen Adnexen, welche die Athmung wesentlich behindern; h) bedeutende Störungen im Kreislaufe durch hochgradige Gefässerkrankungen, nicht compensirte Klappenfehler, und insbesondere bei höherem Grade von Herzverfettung; cj pathologische Veränderungen im Central- nervensysteme ; d) Operationen, welche eine bewusste Mitwirkung des Kranken erfordern. 2. Als temporäre Gegenanzeigen gelten: a) Hochgradige Anämie, namentlich wenn acut, d. h. durch grossen Blutverlust hervorgerufen; h) tiefer Shock in beiden seiner Formen; c) die Zeit unmittelbar nach reichlicher Nahrungseinnahme oder heftiger plötzlicher Gemüths- bewegung. 3. Relative Contraindicationen können sein: a) Mangel an noth- wendiger Assistenz : ein vorsichtiger Arzt wird nie allein narcotisiren. h) Blutige operative Eingriffe innerhalb der Nasen- oder Mundhöhle, des Rachens und des Schlundes, wenn nicht durch anderweitige Vor- kehrungen die Möglichkeit des Eindringens von Blut in die Luftwege beseitigt worden ist. Da nämlich während der Narcose die Schleim- haut des Kehlkopfes ihre Empfindlichkeit vollends verliert, so wird das eventuell hineinfliessende Blut nicht die Reflexbewegung des Hustens auslösen und folglich nicht expectorirt, vielmehr gelangt es unbehindert in die Verästelungen der Luftwege, gerinnt alldort und verlegt die Zugänglichkeit für die atmosphärische Luft. Das Alter des Patienten ist an und für sich nicht von wesentlichem Belange; dass bei kleinen Kindern und namentlich bei Greisen grössere Vor- sicht zu beobachten sei ist wohl selbstverständlich. Bei jüngeren Individuen achte man auch auf den eigenthümlichen von Paltaiif „Status thymicus" benannten Zustand, bestehend in einer Persistenz der glandula thymus, Schwellung der Rachentonsillen, Enge des Aorta- bogens und allgemeiner lymphatischen Constitution. Zur Hervorrufung der Narcose bedient man sich flüchtiger Stoffe, welche zur Action gelangen, wenn ihre Dämpfe eingeathmet werden. Die Hauptvertreter der Anästhetica sind die zwei vor 50 Jahren zuerst erfundenen: das Chloroform und der Aether. Alle bisherigen Versuche, sie durch neue bessere zu verdrängen und zu ersetzen, haben zu keinem Resultate geführt, und bestätigten die Ansicht der Mehrzahl unter den Chirurgen, wonach das Suchen nach einem ab- solut ungefährlichen allgemeinen Anästheticum ein vergebliches Be- mühen ist. Die oft gestellte Frage, welches der genannten zwei Hauptrepräsentanten das bessere und daher vorzuziehende Anästheticum sei, ist eine müssige. Beide sind erprobt, beide geben in geübten Händen ausgezeichnete Narcosen, beide haben ihre eigenen Nachtheile und Gefahren. Die Gefahren bei Anwendung von Chloroform drohen von Seiten des Herzens, beim Aether von Seite des Respirationstractes ; die Muskelerschlaffung setzt beim Chloroform früher ein als beim Aether; letzteres ist entzündbar, ersteres nicht. Daraus folgt, dass — 3 — jedes seine bestimmten Anzeigen und Gegenanzeigen erkennt, dass beide demnach sich gegenseitig ergänzen. Prüft man nach den jüngst erhobenen statistischen Daten die absolute Gefährlichkeit beider bezüglich der stattgefundenen Narcosentodesfälle, so findet man, dass auf 2286 Chloroformnarcosen 1 Todesfall verzeichnet wurde, während ein solcher erst auf 6020 Aethernarcosen fällt. Diesbezüglich stünde Aether im Vortheil, und dennoch wird vielenorts dem Chloroform der Vorzug gegeben, weil die Narcosen schneller, leichter und für die Patienten angenehmer durchführbar sind. Chloroformnarcose. Chloroform ist das wenigst flüchtige unter allen Anästheticis (verflüchtigt erst bei 65 Grad), und bedarf es zu seiner Anwendung keiner besonderen Apparate und Vorrichtungen : Ein viereckig zusammengelegtes Sacktuch, eine gewöhnliche Compresse genügen vollkommen als Träger des Mittels; ebenso eine beiderseits offene Papierdüte, in welche ein Stückchen Baumwolle gesteckt wird. Bedient man sich eines Sacktuches als Chloroformträger, so faltet man es zuvörderst in der Mitte zeltdachartig zusammen und fasst das eine Ende der Faltung mit zwei Fingern; das andere Ende wird offen gelassen. In die Höhlung des Tuches schüttet man etwa einen Kaffeelöffel voll Chloroform, welches sich sofort in den Stoff einsaugt. Das so befeuchtete Tuch hält man dann dem Kranken so über Nase und Mund, dass diese beiden Körperöffnungen in die Höhlung hineinragen, ohne jedoch die feuchte Tuchfläche zu berühren. Es legen sich dabei die Seitenränder des Tuches den Wangen an, während es unten, dachgiebelförmig offen, Mund und Kinn überwölbt. Ist die aufgeschüttete Menge Chloroform ganz verdunstet und das Tuch trocken geworden, so begiesst man es neuerdings und fährt also fort. Man achte sorgfältig darauf, dass das mit Chloroform durchnässte Tuch nicht irgendwo mit der Haut des Gesichtes in Berührung komme. Die Folge wäre zunächst ein starkes Brennen, später eine oberfläch- liche Entzündung der Haut, welche meist erst nach etlichen Tagen unter leichter Abschilferung schwindet. Zur Vermeidung dieser, für den Kranken oft sehr lästigen Hautaffection empfiehlt es sich, die Nasen- und Wangenhaut vorher mit irgend einem Fettstoffe einzu- schmieren. Tuch und Düte finden gegenwärtig nur mehr als Noth- behelfe Verwendung. Beide sind dem Kranken unangenehm und können oft dadurch gefährlich werden, dass sie ihm zu viel Chloro- formdämpfe auf einmal zuführen. Zur Narcose ist ein Gemenge von Chloroformdämpfen und atmosphärischer Luft nothwendig, dessen procentarisches Verhältniss gewisse Grenzen einhalten muss. P. Bert bestimmte das Verhältniss 8 bis 20 Chloroform auf ioo Luft als äusserste Mengungswerthe. Unter 8 Procent tritt keine Narcose ein, über 20 Procent letaler Ausgang — wenigstens bei Thieren. Es ist klar, dass ein gewisses Quantum atmosphärischer Luft nothwendig sei, um das Leben während der Narcose zu fristen, denn da das Chloroform zu den irrespirablen Gasen gehört, so müsste, wenn nur ein ungenügendes 1* — 4 — Quantum Luft gleichzeitig in die Lungen eindränge, zunächst be- hinderte Athmung sich einstellen unter den Erscheinungen der Asphyxie. Dass aber bei der Anwendung von Tüchern oder Düten, durch ungeschicktes Vorhalten der ersteren, durch unpassende Con- struction der letzteren (namentlich Enge der Ausmündung, wodurch der freie Zutritt der Luft gehindert wird), oder endlich durch allzu grosse jeweilige Dosen, eventuell durch zu rasch wiederholte Gaben von Chloroform es leicht zu asphyctischen Erscheinungen kommen könne, unterliegt wohl keinem Zweifel. Deshalb sind mehr minder complicirte Apparate ersonnen worden, welche den Zweck haben sollten: die richtige Mischung von Chloroformdämpfen und atmo- sphärischer Luft, höchstens etwa 8 bis 10 Procent, schon im Vor- hinein zu bereiten und sonach jedes unvorsichtige Gebaren zu paralysiren. Neudörfer räth, die atmospärische Luft durch reinen Sauerstoff zu substituiren und dem entsprechend den Kranken ein Gemisch von Chloroformdämpfen und Sauerstoff, im Verhältnisse 10 : 100, einathmen zu lassen. Zu diesem Zwecke wird Sauerstoff im -L/mo? gleich mit dem Einsetzen der Ohnmacht, und nun ist die Gefahr eminent. Dieses üble Ereigniss kann sich schon im Beginne der Narcose einstellen, — 17 — kaum dass wenige Athemzüge des Anästheticums, vornehmlich von Chloroform einverleibt worden sind. Dieser primäre Herzstillstand wird als reflectorische Vagusreizung gedeutet, ausgelöst von der Bahn des trigeminus und zwar im Verästelungsgebiete der Nasenschleim- haut. Dies ist der Grund, dass das Einathmen der Chloroformdämpfe im Beginne der Xarcose so lange das Bewusstsein erhalten, nur durch den Mund erfolgen soll, nicht durch die Nase. Gruerln empfiehlt deshalb, dem Kranken die Nase direct zu verschliessen durch Zusammen- drücken des knorpeligen Theiles mittelst zweier Finger jener Hand, welche den Narcotisirkorb hält. Eosenherg will das Naseninnere vor Beginn der Narcose durch Cocainisirung unempfindlich machen, damit die Reflexe durch das Chloroform nicht ausgelöst werden. Es soll hiefür mittelst eines geeigneten Sprayapparates von einer lOprocen- tigen Cocainlösung etwa 3 Centigramm bei aufrechter Haltung des Kranken in beide Nasenräume zerstaubt werden, bei Kindern 2 Centi- gramm einer öprocentigen Lösung. Durch diese vorausgeschickte locale Anästhesirung der membrana Schneideri sollen Unregelmässig- keiten der Athmung sowohl als Syncope vermieden, das Stadium excitationis verringert und selbst das Erbrechen gemieden werden. Dastve will die Erregbarkeit des vagus durch Atropin abschwächen und spritzt eine halbe Stunde vor Beginn der Narcose subcutan 1 Cubikcentimeter einer Lösung von Morphium hydrochloricum, 0-1 Atropin, 0-005 auf lO'OO Aqua; Fraenkel bevorzugt die Lösung: Morphium 0-15, Atropin 0-015, Chloralhydrat 0-25 auf 15-00 Aqua. Man beobachtet weiters Syncope im späteren Verlaufe der Nar- cose, wenn bei noch nicht eingetretenem Stadium der Toleranz ein starker Shock auf das Nervensystem einwirkt, daher die Regel, den intendirten operativen Eingriff nie bei halber Narcose zu beginnen. Aber auch ein plötzlicher starker Lärm kann zu Syncope Veran- lassung geben; es scheint nämlich, dass der acusticus unter allen Sinnesnerven am längsten seine Empfindlichkeit behält. Endlich und schliesslich tritt Syncope ein nach Sättigung des Organismus mit Chloroform, also in Folge toxischer Einwirkung des Anästheticums und Lähmung der vasomotorischen Centren. Bei dieser Form der Syncope erlischt immer zuerst die Respiration, dann erst sistirt das Herz, um in der Regel nie wieder zu schlagen. Nur bei den früher gedachten Formen der Syncope, so lange es sich um Reizungserschei- nungen im vagus handelt, ist Wiederbelebung noch zu erhoffen. Ein aufmerksamer Narcotiseur wird sich selten von der Syncope überraschen lassen, denn sobald er bei der stetigen Pulscontrole ein Sinken des Blutdruckes in Folge Ermattung der Herzmuskelaction und ein Schwanken der Pupille bei fehlendem Cornealreflex bemerkt, wird er augenblicklich den Korb entfernen und die Narcose unter- brechen. Durch Aufreissen der Fenster soll dann frische Luft zuge- führt, der Kopf des Patienten tief gestellt, zum mindesten hori- zontal, und nun sofort künstliche Respiration eingeleitet werden, am besten nach der Methode Sylvester. Laborde lässt die vorgezogene Zunge> erfassen und rhythmisch etwa 20mal in der Minute stark vor- ziehen und wieder nachlassen, die Respiration nachathmend, bis zum ersehnten Momente, wo eine etwas tönende Inspiration und eine Schluckbewegung vom wiederkehrenden Leben zeugen. Durch die V. M o setig-Mo orhof: Handbuch d. cliirurg. Technik. 4. Aoti. ■^ — 18 — Tractionen wird der nervus laryngeus superior gereizt und auf reflectorischem Wege durch das Respirationscentrum die Atlimung ausgelöst. Die künstliche Respiration ist unentwegt und ohne Unter- lass fortzuüben, bis selbstständige Athmung eintritt. Schon vorher aber beginnt die Leichenblässe des Gesichtes allmälig einer leichten Färbung zu weichen. Die aschgrauen Lippen werden röther, die weiten Pupille enger, der Puls beginnt sich zu regen. Gleichzeitig mit der künst- lichen Athmung erschüttere man durch Tapotement mit den Ulnar- rändern beider Hände kräftig und rasch, 7ü- bis 8ümal in der Minute, die Brustwand der Herzgegend. Bei stärkeren Blutverlusten vor oder während der Operation bekämpfe man die Anämie mit rascher Kochsalzinfusion, eventuell durch Autotransfusion, um die ermattende Herzpumpe wieder in Action zu bringen. Die Wiederbelebungsver- suche müssen ohne Unterbrechung fortgeübt werden, bis zur sicheren Constatirung des Todes. Weniger Werth haben die anderen Mittel, wie Aethercampherinjectionen, Hautreize, Elektricität etc.; nie soll man mit ihnen Zeit verlieren auf Kosten der früher angebenen cardinalen Verfahren: künstliche Athmung mit Zungentractionen, Tapotement der Herzgegend und Kochsalzinfusion; nach Poncet käme auch die Tracheotomie in Betracht, um die künstliche Athmung wirksamer zu machen. Dem Kranken erwächst aus dieser Operation umsoweniger Schaden, als die Canüle schon am nächsten Tage, weil nunmehr zwecklos, wieder entfernt werden kann und die Schnittwunde in kurzer Zeit vernarbt. Nach dem Gesagten erhellt, dass das Chloroform in erster Linie als Herzgift schädlich einwirkt, in zweiter Linie schädigt es die Nieren — Eiweissgehalt des Urins mehrere Tage post narcosim an- dauernd — und wie Bandler angibt, auch die Leberzellen, so dass nicht selten nach längeren Narcosen Icterus beobachtet werden kann. Schwefeläther hingegen ist weder dem Herzen noch der Leber ge- fährlich, dafür afficirt es die Respirationsorgane; auf die Nieren ist es gffeff^*!*^ auch nicht ohne Einfluss. II. Capitel. Localauästhesie. Die unangenehmen, oft lange andauernden Nachwehen der Nar- cose und ihre eventuelle Gefährlichkeit haben das Bestreben geschaffen, sie nur in Fällen absoluter Nothwendigkeit in Anwendung zu ziehen. Für kleinere, kürzere Zeit dauernde operative Eingriffe genügt es, dem Patienten die zu erduldenden Schmerzen zu benehmen, ihn der Wohlthat der Analgesie theilhaftig zu machen. Localanästhesie kann auf verschiedene Weise hervorgerufen werden, und zwar: 1. durch locale Anwendung intensiver bis zur oberflächlichen Erfrierung ge- steigerter Kälte ; 2. durch Einspritzung von Medicamenten, welche die normale Empfindlichkeit herabsetzen; .3. durch fordrte Imbibition, beziehungsweise Infiltration der Gewebe mit kalten Salzlösungen, welchen mininie Mengen anästhesirender Substanzen beigegeben sind. 19 - Fig. 4. 1. Eine locale, vorübergehende Erfrierung kann hervorgebracht werden durch Einwirkung von Eis, respective von Kältemischungen, oder in rascherer und ungleich intensiverer Weise durch Einwirken- lassen flüchtiger, rasch verdunstender Flüssigkeiten, welche schnell und viel Körperwärme an Ort und Stelle zu binden im Stande sind. Man geht dabei so vor, dass man fein zerstossenes Eis oder Schnee mit einem Dritttheile Kochsalz oder, was noch intensiver wirkt, gleiche Theile Eis und Salz und ein Zehntel des Gesammtvolumens Salmiak zusammenmengt und mit dieser Mischung ein feines Kautschuk- beutelchen füllt, welches man dann direct dem zu kältenden Körper- theile auflegt und so lange liegen lässt, bis die entsprechende Haut- partie ihre anfängliche Röthe verloren und ganz blass geworden ist. Erleichtert und beschleunigt wird die locale Erfrierung, wenn der Körpertheil früher anämisirt wurde, was namentlich an Extremitäten leicht zu bewerkstelligen ist (Girard). Bei Mangel an Eis oder Schnee kann man sich mit künstlichen Kältemischun- gen behelfen; so erniedrigt beispiels- weise eine Mengung von 3 Theilen Chlorammonium oder Salmiakgeist, 1 Theile Salpeter und 10 Theilen Wasser die Temperatur um 25 Grade; ähnlich wirkt die Mischung von Chlorammonium und Salpeter aa 5 mit 8 Theilen Glau- bersalz und 15 bis 20 Theilen Wasser. Eine Modification der Kältung bildet die Methode von Prosorojf, welcher empfiehlt, dem zu anästhesirenden Theile eine 1 Centimeter dicke Mes- singplatte aufzulegen, welche früher durch längere Zeit in einer Kälte- mischung von Eis und Salz gelegen hatte. Zu den rasch wärmeentziehenden und daher stark kältenden Flüssigkeiten zählen: a) Die anästhesirende Mischung von Richardson, bestehend aus 1 Theile Amylwasserstoff und 4 Theilen Aether; h) der Hydramyläther : gleiche Theile Hydramyl und absoluten Aether; c) das Bromäthyl; dj das Kerosolen (Simpson); e) das Rhigolen (Bigelow); f) der Schwefelkohlenstoff. Das letztgenannte Präparat wird auf den zu kältenden Theil wiederholt eingepinselt und dann rasch Luft darüber gefächelt, alle anderen werden in feinzerstäubter Form aufgetragen; g) die Kohlensäure. Unter allen genannten Chemikalien hat sich der Hydramyläther am besten bewährt und wird daher allgemein bevorzugt. Zum Zerstäuben dieser äusserst flüchtigen und daher sorgsam aufzubewahrenden Flüssigkeit dient der nach seinem Erfinder Richardson benannte Zerstäubungsapparat (Fig. 4). Unter Einwirkung des Hydramylätherstaubes wird, unter einem anfänglichen Gefühl von Kälte und Brennen, die Haut rasch dichter, derber, pergamentartig und zugleich unter zunehmender Blässe immer weniger empfindlich für mechanische Berührung. Nach kurzer Frist bemerkt man in der Regel, dass die Haut an einer kleinen, umschrie- 2* — 20 — benen, aber rasch an Ausdehnung gewinnenden Stelle plötzlich einen weissen, reifähnlichen Anflug bekommt und eine fast holzartige Härte acquirirt. In diesen Zustand versetzt, ist sie ganz unempfindlich ge- worden und zur Vornahme der Operation bereit. Diese Veränderung stellt sich oft nach 50 Secunden ein, oft auch erst nach 1 bis 2 Mi- nuten, eine Schwankung, die von der Güte und Reinheit des Prä- parates und von der Dicke der Haut abhängt. Bei Vornahme der localen Aetherisation vergesse man nicht, dass der Hydramyläther in hohem Grade brennbar ist. Man entferne daher sorgfältig jede offene Flamme. Hätte man den anästhesirten Theil nachträglich mit dem Glüheisen zu behandeln, so helfe man sich dadurch, dass man unmittelbar vor einer Application den mit Aetherspray behandelten Körpertheil rasch mit trockener hydrophiler Watte abreibt, wie es Lauenstem emj^fiehlt. Terillon will in solchen Fällen oder wenn bei Licht operirt wird, lieber das Bromäthyl angewendet wissen, welches bei gleicher Anwendungsweise und gleicher Wirkung den Vorzug hat, nicht brennbar zu sein. Das Bromäthyl soll auch die Wundränder nicht irritiren und kann daher die Zerstäubung auch während der Operation fortgesetzt werden, um die tiefer liegenden Weichtheile schichtweise zu anästhesiren. Eine Gegenanzeige findet der Hydramyl- ätherspray bei Operationen am Hodensack, dessen empfindliche Haut er allzu sehr reizt, weiters bei Operationen in der Nähe der Nasen- und Mundhöhle, weil er Erstickungsgefühle und heftigen Hustenreiz erregt, endlich soll er nicht auf Schleimhäuten angewendet werden. Bei Operationen in der Nähe der Augen müssten diese geschlossen und durch feuchte Baumwollbauschen sorgfältig geschützt werden. Auf den nachträglichen Wundverlauf hat die temporäre Erfrierung keinen sonderlich nachtheiligen Einfluss. Neuerer Zeit wird fast ausschliesslich das so ziemlich gleich wirkende, aber bequemer zu handhabende und einen Zerstäuber über- flüssig machende Chloräthyl verwendet. Es ist so sehr flüchtig, dass die Körperwärme der Hand schon genügt, um es in Dampfform übergehen zu machen. Es kommt im Handel vor in gläsernen Phiolen, welche mit einem Metallverschluss versehen sind. Oeffnet man letzteren und hält die Phiole in der Hand, augenblicklich beginnt aus der dünnen Oeff nung ein continuirlicher, feinzerstäubter Aetherstrahl zu entweichen, der dann einfach auf die zu anästhesirende Hautstelle geleitet wird, bis ein weisser Reif anfing sichtbar wird. Man halte die Phiole nicht zu nahe der Hautfläche, sondern entferne sie, wenn einmal die Richtung gefunden ist, allmälig auf 2 bis 3 Handflächen Distanz. Die Um- gebung der Hautstellen kann mit einem Wattakranze geschützt werden. Aehnlich verhält sich das noch flüchtigere in Metallgehäusen gefüllte Anestile Bengue, eine Mischung von Chloräthyl und Chlormethyl. 2. Bis auf die Erfindung des Cocainum muriaticum war von Medi- camenten, welche local anästhesiren könnten, wenig die Rede. Ausser der hypodermatischen Anwendung des Morphium, dessen locale Herabstimmung der Empfindlichkei nur auf Rechnung der oft nicht erwünschten Allgemeinwirkung zu Stande kommt, und ausser dem unsicheren Wigger^ '&c\\en Aether muriaticus tricMoratns kannte man nur die von Bernatzik angegebene Mischung von Morphium und Chloro- form, durch deren oftmals wiederholte Einpinselung die Laryngologen — 21 — das Kehlkopfinnere zu anästhesiren pflegten. Im Cocainum muriaticiim, 18Ö9 von Xiemaiin dargestellt, auf dessen Locahvirkung zuerst Schrojf gewiesen hat, ist ein geradezu wunderbares Anästheticum erstanden. Eine 2procentige Lösung dieses Salzes anästhesirt nach den Angaben Kollers die conjunctiva bulbi schon nach '/^ bis 1 Minute, die Cornea im Durchschnitte nach 10 Minuten so vollständig, dass jeder Eingriff schmerzlos und selbst ohne Reflexauslösungen möglich wird; ähnlich soll die Wirkung einer 10- bis 20procentigen Lösung auf das Innere des Kehlkopfes sein, wenn man sie wiederholt ein- pinselt. Die anästhesirende Wirkung des Mittels auf Schleimhäute wäre also erwiesen und soll demnach auch der Chirurg davon Vor- theil ziehen, wenn er kleine kurzdauernde Operationen auf schleim- häutigen Oberflächen ausführen muss, in der Mund- und Nasenhöhle, Rachen, Schlund, Kehlkopf, Mastdarm, Harnröhre, vestibulum vaginae, glans penis etc. Auch in der Zahnheilkunde hat das Cocain allein, oder mit Morphium gemischt, Verwendung gefunden. In der cutanen und subcutanen Injection des Cocain besitzen wir ein verlässliches Mittel, die Haut für eine kurze Zeit (15 bis 20 Minuten) zu anästhesiren. Man nimmt eine Sprocentige oder eine öprocentige Lösung des Salzes, wovon jeweilig die Menge von ' ^ ^is 1 Gramm eingespritzt wird. Aber schon die subcutane Anwenclung einer Iprocentigen Lösung genügt, um locale Anästhesie hervorzu- rufen: insbesondere wenn die Einspritzung in die Nähe des Verlaufes der betreffenden Hautnerven gemacht wird. Schwache Lösungen sind namentlich dann von grossem Werthe, wenn ausgedehntere Haut- flächen unempfindlich gemacht werden sollen, indem dabei eine adäquat grössere Menge des Injectum zulässig ist, ohne Intoxications- erscheinungen zu bedingen. Der Injection folgt ein locales Erblassen der Haut und nach wenigen Minuten, etwa 3 bis 5, Analgesie einer Zone von etwa 1 bis 2 Centimeter im Umkreise. Kleinere Operationen, die nur im Bereiche der Haut und des Unterhautzellgewebes abspielen, können auf solche Weise schmerzlos ausgeführt werden; tiefer gelegene Gewebsschichten müssten nach Durchtrennung der Haut durch Einträufeln einer Cocain- lösung in die Wunde nachträglich erst anästhesirt werden, was jeden- falls eine ganz beträchtliche Verlängerung der Operationsdauer in- volviren würde, indem die Cocain Wirkung nicht unmittelbar der Application folgt, sondern stets mehrerer Minuten zur vollen Ent- faltung bedarf; besser ist es, die Anästhesie durch subcutane und tiefe parenchj^matöse Einspritzungen zu vermitteln, die man mit den cutanen gleichzeitig ausführt. Mehr als 10 Centigramm des Präparates sollten nie einverleibt werden, denn obgleich auch schon doppelte Mengen ohne toxische Wirkung zur einmaligen Anwendung gelangten, soll aus diesen Ausnahmen keine Regel gemacht werden. Besteht Entzündung, dann soll nicht in den Entzüngsherd selbst, sondern in die Umgebung desselben concentrisch injicirt werden. Centrale Hem- mung der Blutcirculation mittelst einer Constrictionsbinde, unmittel- bar vor oder nach ausgeführter Injection, verlängert nach Corning, die Dauer der Cocainanästhesie und macht sie vollständiger. Costa empfiehlt die Anwendung heisser Cocainlösungen von 50 bis 55 Grad Celsius, welche die grossen Vortheile bieten, dass man 22 mit viel geringeren Concentrationen des Medicamentes die gleichen Effecte erzielen kann, wie mit stärkeren kalten Solutionen, so mit Lösungen von 0*4 bis 0*5, und dass die anästhesirende Wirkung sofort eintritt, das lästige Abwarten der 3 bis 5 Minuten demnach entfällt. Zur Erhitzung der stets ex tempore zu bereitenden Solution ist ein besonderer Apparat angegeben, bestehend aus zwei metallenen Be- hältern, von denen einer mit Filz überzogen zur Aufnahme kochenden Wassers dient, während der zweite innere die Cocainlösung aufzunehmen bestimmt ist, nebst Thermometer und Injectionsspritze. Ein Concurrent des Cocain ist in dem auf synthetischem Wege dargestellten Eucain erstanden. Es unterscheidet sich vom Cocain vor- nehmlich dadurch, dass es den injicirten Theil hyperämisirt, statt ihn wie das Cocain zu anämisiren, also Blutfülle bewirkt statt Blutleere; auch soll es ungefährlicher sein; letzteres wird auch vom Aneson behauptet. Lucas Championniere bedient sich zur Hervorrufung von Analgesie der subcutanen Einspritzung einer öprocentigen Lösung von Guajacol in Olivenöl. 3. Die Infiltrationsanästhesie verdanken wir Schleich. Er bedient sich dreierlei verschiedener Salzlösungen, welche Cocain und Morphin in folgenden Dosen enthalten: L Cocain 0-2, Morphium 0*025, 2procentige Salzlösung 100 IL „ 0-1, „ 0-025, „ „ — IIL „ 0-01, „ 0-005, „ „ — Die Lösung I dient für entzündete oder hyperästhetische Zonen, II ist die gewöhnlich angewendete Normallösung, III wird gewählt, wenn grosse Flächen zu injiciren sind, eine grössere Flüssigkeits- menge demnach verbraucht werden muss. Man bedient sich zur In- jection grösserer Injectionsspritzen mit feinen Canülen und sticht nicht subcutan, sondern percutan, id est in das Gewebe der Cutis ein, um mit stärkerem Stempeldruck einen oder zwei Tropfen einzu- treiben, bis eine kleine Quaddel aufgeworfen wird, welche natürlich weiss erscheint. So muss man nach und nach das ganze Operations- terrain mit Quaddeln förmlich übersäen und hat hiefür recht viele Stiche nöthig. Um bei sehr empfindlichen Personen den Schmerz der vielen Einstiche zu umgehen, kann die Haut früher mit Aether gekältet werden; ferner könnte man die Einstichzahl dadurch reduciren, wenn man die Nadel percutan ganz einführen und erst beim Rückziehen derselben die Lösung in den allmälig frei werdenden Stichcanal ein- spritzen würde. Da hierbei der Gewebswiderstand bei dickerer Haut oft mächtig ist, empfehlen sich Spritzen, deren Stempel statt durch Hände- durch Schraubendruck bewegt wird. Nach beendigter Infil- tration der Cutis und Spaltung derselben müssen die tieferen Schichten in ähnlicher Weise aufgeschwemmt werden. Es wurden schon viele und selbst grössere operative Eingriffe bisher unter Infiltrations- analgesie ausgeführt, das Verfahren ist demnach sehr empfehlens- werth, umsomehr als es absolut gefahrlos ist. Um die Lösungen länger aufbewahren zu können, ohne dass sie verderben, soll ihnen auf die Menge von 100 noch 2 Tropfen einer öprocentigen Carbol- lösung zugesetzt werden. ZWEITER ABSCHNITT. Wimdbehaiidlurig. A. Präventive Verfahren. Nachdem Pastenr die epochemachende Entdeckung gemacht hatte, dass jeder Gährungs- und Fäulnissprocess nur auf der Einwirkung von Fermenten beruhe und diese wieder lebende Organismen — Microbien — seien, kam man aUmälig zur Erkenntniss, dass die Eiterung und alle accidentellen Wunderkran- kungen die gleiche Grundursache anerkennen. Die Aufgabe der modernen Wundbehandlung beruht also bei frischen Wunden auf die Verhütung der Infection, bei schon inficirten auf eine wirksame Be- kämpfung, beziehungsweise Vernichtung der infectiösen Keime in der Wunde selbst. Da alle Wunderkrankungen auf Gährungsprocessen be- ruhen, welche durch die ubiquitären Fäulnisserreger hervorgerufen werden, und man jene generaliter als Sepsis bezeichnet, nennt man die gegenwärtige Wundbehandlung die antiseptische. Eine Wund- heilung ohne Sepsis erhält die Benennung aseptisch und die Asepsis wird durch Antisepsis vermittelt und gesichert. Die Infection einer Wunde kann auf doppelte Art erfolgen; entweder durch die Luft oder durch Contact. In der staubigen Luft frisch ausgekehrter Räumlichkeit wird man weder Wunden setzen noch versorgen. Man wird den Fussboden im Operationszimmer mit Terrazzo oder Asphalt belegen, die Wände und die Decke mit Lackfarben bestreichen, sich der Kästen und Tische bedienen, welche aus glattem Metalle und Glas gefertigt sind, man wird alles meiden, was zu Staubansammlung Anlass bietet. Lister, dem unbestritten das grosse Verdienst gebührt, in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre das Gebäude der antiseptischen Wundbehandlung allmälig in seltener Vollendung aufgeführt zu haben, hielt grosse Stücke auf die Luftinfection, und ersann zu ihrer wirksamen Bekämpfung den durch Dampf- oder Luftdruck erzeugten Carbol- wassernebel oder Spra}^ unter dessem Schutze jede Wunde gesetzt und versorgt werden sollte. GleicliAvie aber der Regen den Staub der Atmosphäre niederschlägt, thut es der Spraj" in der Zimmerluft auch und treibt die darin flottirenden Microorganismen gerade in die Wunde hinein ; man erzielt demnach damit eben dasjenige, was man vermeiden — 24 — will. Die Herrschaft des Spray dauerte daher auch nicht lange. Der Umstand nun, dass man später ohne Carbolspray ebenso gute, ja noch bessere Resultate erzielte als früher mit ihm, bewies, dass zur Hervorrufung von Wunderkrankungen weniger die Luft- als vielmehr die Contactinfection massgebend sei. Das grosse Axiom der modernen Wundbehandlung gipfelt in der absoluten Reinlichkeit in dem Sinne, dass alles, was mit der Wunde in Berührung kommt, keimfrei sein müsse, also steril. Sterilität ist das Postulat für Asepsis. Steril muss die Wunde sein, steril die Haut ihrer Umgebung in grösstem Umfange, steril alles, was mit der Wunde in Berührung kommt, also Hände, Instrumente und Verbandgeräthe. Die Verfahren, mykotische Sterilität zu erzwingen, subsumirt man mit dem Worte Lesinfection : sie können ihrer Natur nach sein physikalische oder chemische; mechanisch wirkende Agentien vermögen nur die Entfernung gröberen Schmutzes zu Stande zu bringen, nicht mehr. I. Die physikalische oder auch thermische Desinfection eignet sich selbstverständlich nur für leblose Gegenstände, also für Instrumente, Nähmaterial, Verbandstoffe, Wäschestücke etc.; sie kann vorgenom- men Averden durch trockene Hitze, Dampf, endlich durch kochendes Wasser, allein oder mit Zusatz chemisch wirkender Agentien. Zur sicheren Sterilisation sind Hitzegrade von mehr als 100 Grad Celsius und die Expositur der Gegenstände für 15 bis 30 Minuten noth- wendig. Verbandstoffe und Wäsche werden in der Regel in Schachteln oder Dosen verpackt der Hitze exponirt, bei trockenem Verfahren werden diese vollends verschlossen in Gebrauch gezogen, beim feuchten Verfahren dagegen müssen die Behälter durchlöchert sein, damit der Dampf durchkönne. Die trockene Sterilisation soll zwar weniger wirksam sein als die mittelst Dampf bewerkstelligte, indem ein gewisser Feuchtigkeitsgrad — 25 - nothwendio- ist, um die Microbien zum rascheren Quellen und Ab- sterben zu bringen; immerhin genügt auch trockene Hitze, Avenn man sie auf 110 Grad bringt und 15 bis 30 Minuten einwirken lässt. Die Behälter können dabei als Pappe oder aus Metall sein, und zwar wie gesagt undurchlüchert. Gleich hat runde, verschieden grosse, nach Bedarf zu wählende Pappschachteln mit gepressten Deckeln anfertigen lassen, welche gut schliessen und, ohne zu deterioriren, Hitzegrade bis über 12() Grad auszuhalten vermögen, so dass sie wiederholt in Gebrauch gezogen werden können. Namentlich für die Privatpraxis sind sie von grossem praktischen Werthe, denn man kann mit ihnen jeden Kochherd als Sterilisationsofen verwenden. Die Schachtel wird dabei im Bratrohre auf einen Ziegelstein gestellt und dann der Fig. G. Herd bis zur Rothglühhitze des Bodens gefeuert. Für grösseren Bedarf sind eigene Oefen noth wendig: eiserne, gut verschliessbare, Kästen mit Doppelwänden und Doppelboden, deren Zwischenräume mit Asbest ausgefüllt sind; weiters ist die Innenwand des Bodens mit Chamotteplatten gepflastert und der Innenraum je nach der Grösse des Kastens in zwei bis drei Fächer getheilt. Unterhalb des Bodens wird mit Gasflammen geheizt, am Dache des Kastens ist ein Thermometer angebracht, an dessen Scala man die jeweilige Tempe- ratur des Innenraumes ablesen kann (Fig. 5). Nach beendeter Sterili- sation bleiben die Schachteln geschlossen und werden erst im Mo- mente geöffnet, als man deren Inhalt in Verwendung ziehen will. Es ist sehr zu empfehlen, die Verbandstücke schon vor dem Sterilisiren in jene Form zu bringen^ welche zum jeweiligen Zwecke am geeig- netsten ist; man schneidet also vorher den Stoff zu Tupfern, Com- — 26 — pressen, Rollen, Rollbinden, Krüllkuchen etc., so dass nach dem Sterili- siren die Manipulation eine leichte sei, der sterile Stoff direct avif die Wunde »gelange. Metallschachteln sind natürlich den Pappschachteln vorzuziehen, kommen aber, wenn aus Packfonü,- und gut gearbeitet, viel theuerer. Die feuchte Sterilisation wird entweder durch Dampf oder durch Kochen vermittelt; die Dampfsterilisation mag wirksamer sein als die trockene, ist aber etwas umständlicher, da eigene Sterilisatoren un- umgänglich nothwendig sind. Viel intensiver als der freie ist der auf etwa i Atmosphären gespannte Dampf, wogegen ruhender und strö- mender Wasserdampf ziemlich gleichwerthig ist. Dampfsterilisatoren können mit Gas, Spiritus oder Petroleum geheizt werden. Fig. 6 stellt den Apparat von Sovel dar, in seinem geöffneten Inneren sieht man die Fig. 8. Fächer mit den Metallschachteln. Sehr empfehlenswerth ist es, wenn möglich die Sterilisatoren mit Dampfkesseln in Anschluss zu bringen, wobei der Dampf besser von oben her hineingeleitet werden sollte, damit die schwerere, nach unten zu sich sammelnde Luft leichter ent- weichen könne. Die Verbandstoffe dürfen in den Metallschachteln nicht gar zu dicht verpackt sein, damit der Dampf besser durch- ströme. Nach beendetem Verfahren müssen die Löcher der Schachteln sofort luftdicht verschlossen Averden mittelst der angebrachten Dreh- scheibe. Das kochende Wasser ist ein sehr sicheres Desinfectionsmittel; um selbst steril zu sein, muss es mindestens 5 Minuten lang kochen, nicht eher ist es als vollends keimfrei zu erachten. Des Kochens bedient man sich zum Sterilisiren der Instrumente, mit. Ausnahme der schneidenden, welche dadurch ihrer Schärfe verlustig werden, dann des Nähmateriales, beziehungsweise der Nähseide, eventuell auch der 27 — Fie:. 9. zu Drainirzwecken verAvendeten Gummirohre. Zum Kochen von Seide dient ein Glasgefäss, für Instrumente hat man eigene Kochkessel (Fig. 7). Die vernickelten Instrumente werden entweder einzeln auf das siebartige Gestell gelegt, oder man wickelt sie zusammen in eine Compresse ein, in Form eines Packetes. Als Kochwasser nimmt man in der Regel eine 0"25procentige Natronlauge und gibt die Instru- mente, um ihr Rosten zu verhindern, gleich in das kochende Wasser, welches schon alle Kohlensäure abgegeben hat, denn diese ist es ja, welche das Rosten bewirkt. Ein in Minuten dauerndes Kochen der Instrumente genügt, dann werden sie herausgenommen und der Reihe nach in eine flache Glasschale gelegt, welche so viel 3procentiges Carbolwasser enthält, dass die Instrumente vollends unter der Flüssig- keitsoberfläche tauchen. Man benützt hiefür eigene Tischchen, welche nahe dem Operateur gestellt oder gerollt werden (Fig. 8), damit das Nehmen oder Darreichen erleichtert werde. Schneidende Instrumente stumpfen durch das Kochen. Vorausgesetzt, dass sie glatte Metall- griffe besitzen, genügt es, dieselben mit in Schwefeläther getauchter Baumwolle nachdrücklich wiederholt abzuwischen und dann trocken oder aus einem Alcoholbade heraus zu reichen. Gebrauchte, mit Blut be- schmutzte Instrumente, welche aber nochmals in Verwendung kommen, werden provisorisch in ein separates mit 3 Procent Carbolwasser gefülltes flaches Gefäss gelegt, dem sie dann bei der Wiederverwendung direct entnommen werden. Zur Bergung dieses Gefässes dient eben die untere Etage des Tischchens. Nähnadeln werden auf Gaze- lappen aufgezogen, gekocht und dann nach sorgfältigem Ausputzen des Oehres in l Oprocentigem Carbol- glycerin aufbewahrt, um unmittelbar vor dem Gebrauche der Lösung- mittelst einer sterilen Pincette entnommen und in Carbolwasser ab- geschwemmt zu werden. Desinfection des chirurgischen Näh- und Unterbindungsmateriales. Das hiefür verwendete Materiale ist Seide und das verwandte theuere Fil de Florence, dann Catgut und anderes exotisches Sehnenmateriale, endlich Metalldraht. Zwirnsfäden wurden in vorantiseptischer Zeit ge- braucht, nachdem man die rauhe Oberfläche mittelst Durchziehen durch Wachs geglättet hatte. Jüngst wurde der Zwirn wieder von Gebarojf zur Naht empfohlen, und zwar nachdem man es durch Eintauchen in Celoidinlösung mit einem Zusatz von Ricinusöl glatt und geschmeidig gemacht. Nach solcher Zubereitung verträgt es ebensowohl Kochen als Sublimat, nur mit Alcohol darf es nicht in Berührung kommen. Für gewöhnlich wird Seide und Catgut verwendet in verschiedenen Stärken, seltener Fil de Florence, ein integrirender Körpertheil des Seidenwurmes, nicht aber, wie oft behauptet wird, der Darmcanal des Thieres, sondern die schlauchförmige, Seide producirende Drüse sammt ihrem Inhalt. Es kommt im Handel in Einzelfäden von 18 bis 20 Cen- — ^8 — timeter Länge vor. Der Faden ist äusserst glatt, weiss und schwer knot- bar, da der einfache Doppelknoten leicht von selbst sich löst in Folge der Elasticität des Materiales. Zur Sterilisation geht Bianchi so vor, dass er es 2 Monate lang in öprocentiger CarboUösung aufbewahrt, dann durch 1 Stunde in .'.procentiger Borsäurelösung kocht und schliess- lich in 1 pro mille Sublimat conservirt. Fil de Florence wird gleich dem Catgut vom lebenden Gewebe verzehrt, wenn auch etwas lang- samer, was immerhin von grossem Vortheile ist. Die Desinfection der chirurgischen Nähseide wird am besten folgendermassen bewerkstelligt. Das käufliche, in festgedrehten Strähnen bezogene Material wird vorerst auf Wickel von weisser Verbandsgaze aufgerollt und in siedendem öprocentigem Carbolwasser durch 30 Minuten gekocht, dann mit reinen Händen auf Glasepulen gewickelt und mit den Spulen einer neuerlichen kurzen Abkochung in der gleichen Lösung unter- zogen. Schliesslich werden die Seidenspulen in Glasgefässe gebracht und in öprocentigem Carbolwasser aufbewahrt. Fig. 9 stellt eine Glascassette dar mit den SeidensjDulen, das freie Fadenende wird durch einen kleinen Knopf am Dache des inneren Gehäuses gezogen und jeweilig durch Anziehen die betreffende Spule zum Rollen gebracht, bis ein dem jeweiligen Bedürfnisse entsprechend langes Stück Seide entnommen ist, das dann mittelst Schere abgeschnitten wird. Da die Glasspulen leicht zerbrechen, namentlich wenn ihr Querbalken hohl und durchlöchert ist, hat man neuerer Zeit solche aus Hartgummi in den Handel gebracht. Die also zubereitete Seide ist ein verlässliches Material, wenn man dafür sorgt, dass der Faden während des Trans- portes von der Spule zum Operateur nirgends anstreift und eventuell verunreinigt wird. Derlei nasse Seide ist jedoch nur in stabilen Ope- rationsräumen möglich, für die Zwecke der Privatpraxis kommt im Handel auch sterilisirte trockene Seide vor, welche in gläsernen Eprou- vetten verschlossen ist, mit der Einrichtung, dass das Fadenende vor dem Verlassen des Gehäuses durch sterile Watte zieht. Das frei vorliegende Ende dient zum Abrollen und möge nach Entnahme des jeweilig zu benützenden Fadens abgeschnitten und nicht verwendet werden. Sind viele Nähte nothwendig, so empfiehlt es sich, die betreffenden Fäden mit Nadeln zu versehen und sodann in eine reine Schale unter öprocentige CarboUösung zu legen bis zum Gebrauche. Das Seiden- material wird von den Geweben nicht resorbirt, sondern nur einge- kapselt und oft in einer viel späteren Zeit durch locale Abscess- bildung abgestossen, wenn Massenunterbindungen oder versenkte Nähte damit besorgt wurden. Das Catgut, welches die nicht genug zu würdigende Eigenschaft besitzt, von den lebenden Geweben spurlos aufgezehrt zu werden, möchte sicherlich von allen Chirurgen den nicht resorbirbaren Materialien zu Unterbindungen und versenkten Nähten vorgezogen werden, wenn man seiner Sterilität stets und immer sicher sein könnte. Aber schon seine Provenienz, es wird aus Schafdärmen gewonnen, macht die Sterilisation äusserst schwer und Poppert wies nach, dass es trotz vollkommener Keimfreiheit oftmals Toxine enthält, welche chemisch reizende Effecte auf die Gewebe entwickeln, in Folg'e deren es zu späteren, obzwar gutartigen circumscripten Eiterungen kommen kann in der Umgebung der Nahtcanäle. Das käufliche Catgut ist überhaupt — 29 — ein gefährliches Präparat; das Beste unter allen ist noch das nach Revenh'n durch thermische Sterilisation gewonnene. Das Rohmaterial, kommt in Form von Ringen verschiedener Dicke im Handel vor, muss zunächst durch zweitägiges Liegen in Alcohol erst entfettet werden und wird dann in einem Heissluftsterilisator einer langsam aufsteigen- den bis auf 140 Grad gesteigerten Hitze 3 bis 4 Stunden lang aus- gesetzt und schliesslich in Alcohol aufbewahrt. Wollte man statt trocken, durch strömenden Dampf sterilisiren, so müsste man das Catgut, damit es nicht aufquelle und dadurch weich und unbrauchbar werde, vorher mit Xjdol, Bergamott- oder Nelkenöhl längere Zeit behandeln Am sichersten fährt der Chirurg, wenn er sich die Sterilisirung selbst besorgt oder unter eigener Controle besorgen lässt, und hiefür schlägt man, wie später berichtet, den chemischen Weg ein. Metallsuturen werden mit Eisen- oder Silberdraht angelegt, die Sterilisirung findet durch Kochen statt, indem das Ausglühen an der Flamme das Metall spröde und brüchig macht. Drainrohre aus Gummi sterilisirt man am besten derart, dass man dieselben in ^,\ Meter lange Stücke verschnitten, zunächst mit einer Sodalösung wiederholt abwäscht und durchspült, worauf sie •24 Stunden in öprocentiger Carbollösung liegen bleiben. Nachdem sie dann in der gleichen Lösung 1/2 Stunde lang gekocht haben, werden sie in gläsernen Gefässen unter 1 Öprocentiger Carbolglycerinlösung aufbewahrt. Dem Gefässe unmittelbar vor dem Gebrauche entnommen werden sie entsprechend zugeschnitten, in oprocentigem Carbolwasser abgewaschen und durchgespült. Auch die zur Sicherung der Drainrohre verwendeten Sicherheitsnadeln müssen vorher gekocht und dann in 1 Öprocentiger Carbolglycerinlösung aufbewahrt werden. Aehnlich den Gummirohren werden auch Gammicatheter {Jacques Patent) behandelt und conservirt. Englische Stoffcatheter vertragen das Sterilisiren durch Hitze nicht; sie werden demzufolge, wie später erörtert, auf chemishem Wege desinficirt. Schwämme werden bei Operationen wohl kaum mehr verwendet. Man substituirt sie durch Gazetupfer, welche entweder feucht oder trocken verwendet werden. Letzterenfalls werden sie durch trockene Hitze sterilisirt und direct jeweilig den Schachteln entnommen. Feuchte Tupfer gewinnt man durch halbstündiges Kochen oder des- inficirt sie durch Dampf. Vor der Verwendung werden sie in Subli- matwasser i'g pro mille ausgerungen. Das Verfahren Schwämme zu präpariren ist folgendes: Neue Schwämme werden zunächst durch Klopfen vom anklebenden Sande befreit und dann in kaltem Wasser gewaschen, bis aller Schmutz beseitigt ist ; schon gebrauchte Schwämme müssen zuerst in kaltem, dann in warmem Wasser ausgeknetet werden. Gut ausgepresst füllt man sie sodann in einen Leinensack und taucht sie in kochend heisser Iprocentiger Sodalösung, sie ^o Stunde unter Luftabschluss darinnen belassend. Hierauf werden sie in abgekochtem Wasser abgewaschen und in Gläsern in oprocentigem Carbolwasser oder ^/2 pro mille Sublimatlösung aufbewahrt. IL Chemische Desinfection. Man bedient sich der Chemikalien, welche mit dem Namen „Antiseptica" bezeichnet werden, wenn die viel wirksamere thermische Desinfection nicht anwendbar ist. Der antisep- tischen Präparate gibt es eine ganze Legion. Wir wollen nur die — 30 — Hauptstützen der chemisclien Desinfection anführen, welche kaum ein moderner Chirurg entbehren möchte und zuvörderst die in flüssiger Form verwendeten erörtern. Die Carbolsäure sei als erste genannt, weil sie sozusagen das ursprüngliche Präparat war, mit dem die Antisepsis inaugurirt wurde. Zu chirurgischen Zwecken wird ausschliess- lich nur das reine Phenol verwendet und zwar in wässerigen Lösungen, als deren stärkste die 5procentige gilt; für gewöhnliche Zwecke ge- nügen 2 und 3 Procent; die Carbolsäure wird vom Organismus auf- genommen und durch die Nieren ausgeschieden; wenn die Aufnahme in grösserer Menge erfolgt erhält der Urin eine dunkel- bis schwarz- grüne Farbe in Folge UniAvandlung in Phenjdschwefelsäure. Schon r)procentige Lösungen bewirken eine vorübergehende Anästhesie der Haut, bei längerem und oft wiederholtem Contacte Reizungen bis zur Eczembildung; stärkereLösungen, welche eine Zugabe vonAlcohol erfor- dern, wirken ätzend auflebende Gewebe. Selbst verdünnte Lösungen län- gere Zeit in Form von Umschlägen angewendet können zur Mortifi- cation von Geweben Veranlassung geben. Der Carbolsäure ähnlich wirkende, aber minder gefährliche Antiseptica sind das Creolin und das Lysol: Ersteres als Nebenproduct bei der Phenolfabrication gewonnen, stellt eine dunkelbraune, theerartige, syrupdicke Flüssigkeit dar. Es löst sich in Wasser auf, dasselbe milchig trübend unter leichter Opal- escenz. Das Lysol ist ein Gemenge von Kalischmierseife und rohem Kresolen — ebenfalls eine dicke bräunliche Flüssigkeit. Beide finden in 1- bis 2procentigen Lösungen Verwendung, insbesondere das Lysol, welches von den Gynäkologen geschätzt wird. Das Sublimat wird nur in wässerigen Lösungen verwendet in der Stärke von ^3, ^.'2 bis l pro mille. Zweckmässig für praktische Be- dürfnisse sind die von Angerer angegebenen Sublimatkochsalzpastillen, deren jede Sublimat und Kochsalz je 1 Gramm enthalten und mit Eosin roth gefärbt sind, damit die rosaroth gefärbte Lösung kennt- lich sei und eventuelle Verwechselungen mit anderweitigen medicamen- tösen Lösungen vermieden werden. Der Zusatz von Kochsalz macht die Benützung auch nicht destillirten Wassers zur Lösung ziüässig, ohne Niederschläge zu bedingen. Alcohol in Form des gereinigten absoluten Alcohols ist in chirur- gischen Operationsräumen geradezu unentbehrlich, da es ein mächtiges Desinficiens ist. Formalin eine farblose, an Chloroform erinnernde, in Wasser leicht lösliche Flüssigkeit von bedeutender, dem Sublimate nicht nachstehender antimykotischer Wirkung. Es ist eigentlich eine 40procentige Sättigung des Formaldehyd, eines gasförmigen, durch die Oxydation des Methylalcohols gewonnenen Körpers. Man wendet das Formalin in Lösungen von 1 : 500 bis 1 : 1000 an, welche absolut un- giftig sind und Metall nicht angreifen. Das Formalin kann aber auch als gasförmiges Desinficiens verwendet werden, zu welchem Zwecke man Kieseiguhrsteine mit Formalin tränkt, aus denen es sich dann allmälig verflüchtigt. Geht die Verflüchtigung in geschlossenem Räume vor sich, so können darin befindliche Gegenstände desinficirt werden und desinficirt bleiben. Man hat das Präparat aus diesem Grunde zur Desinfection elastischer StofFcatheter verwendet und Jadassohn einen Blech- kasten mit Doppelboden und gutem Schlussdeckel empfohlen, von der Länge der gebräuchlichen Catheter. Diese werden in Gaze gehüllt, auf 31 — Fig. 10. Betreffs haltung- gesetzte "i den aus Drahtgeflecht geformten Oberboden gelegt, unter welchem Platz für die, alle 10 Tage durch frische zu ersetzenden Formalin- steine bleibt. Bei Verwendung wird der be- treffende Catheter dem Kasten entnommen, ab- gewischt und mit Glycerin befeuchtet. Eine an- dere Conservirung elastischer Catheter besteht darin, dass man dieselben mit Alcohol wieder- holt abwäscht und durchspült und sodann in Paraffinum liquidum aufhebt. Ebenso kräftig wie Sublimat soll der von Crede eingeführte Actol oder Argentum lacticum sein ein Silbersalz, welches in Lösungen von 1 : 500 bis 1 : 1000 verwendet wird. Die chemische Desinfection betrifft nun die Sterilisirung der Hände, des Operationsplanums, endlich noch die kalte Präparation des Catgut. der Wunde selbst ist jede unter Ein- aller antiseptischen Cautelen künstlich Wunde, also alle Operationswunden in gesunden Regionen, als aseptisch zu betrachten, logischerweise bedarf sie also keiner weiteren Desinfection. Ein solches Operiren, wobei keinerlei Antiseptica mit der Wunde in Berührung ge- bracht werden, nennt man ein aseptisches. Es ist wohl die ideale Wundbehandlung, die stets und immer den Vorzug verdient vor den antiseptischen Verfahren, bei denen ja Antiseptica in die Wunde gelangen, weil alle Antiseptica im Ganzen und Grossen immerhin die Wunden mehr minder reizen, und selbst allgemeine toxische Wirkungen hervorrufen können. Antiseptica für Wunden wendet man demzufolge nur im Nothfalle an, sei es, dass die unter antiseptischen Cautelen ge- setzten Wunden nicht ganz unzweifelhaft gesunde Gewebe zeigen, sei es, dass es sich um accidentelle Verletzungen oder endlich um schon inficirte Wun- den handelt. Mit löslichen Antisepticis werden Wunden berieselt, niu* bei Verletzungen an Händen und Füssen kann die Desinfection durch längeres Baden in Lösungen bewerkstelligt werden. Zur Berie- selung bedient man sich der Irrigatoren, und zwar der Handirrigatoren aus Glas (Fig. 10). In Operationsräumen bewahrt man die anti- septischen Lösungen in grossen Standirrigatoren in Gestalt von Flaschen, welche in entsprechender Höhe auf Ständern gestellt sind und von deren Boden lange Gummischläuche abgehen, deren mit Sperrvorrichtung versehene Abflussrohre aus Hartkautschuk, wenn ausser Gebrauch, stets unter Carbolwasser getaucht oder in Verbandwatte gewickelt erhalten werden sollen. — 32 — Ebenso darf der Hals des Irrigators nie offen gelassen, sondern immer unter Watteverschluss gehalten werden, behufs Vermeidung einer Infection von aussen her. Seitdem das Sublimat vielfach in Verwendung steht, sind die ehedem gebräuchlichen Metallirrigatoren ausser Gebrauch gekommen. Ebenso braucht man zum Auffangen des Spülwassers in der Regel Tassen aus Hartgummi oder Papier- mache. Wundspritzen sind wenig mehr in Gebrauch: einerseits ist die Reinigung des Stempels schwer, andererseits gestatten sie eine längere Berieselung ohne Absetzungen behufs WiederiHillung nicht, endlich ist zumeist die Kraft, womit dabei die Flüssigkeit die Wunde trifft, eine zu starke. Desinfection der Hände. Vor allem entfernt man auf mechanischem Wege mittelst eines nicht scharfen Nagelputzers den Schmutz, unter den Nägeln, beschneide diese regelrecht, glätte die Ränder und dränge die Haut vom Nagelfalze ab, entblösse den ganzen Vorderarm bis zum Ellbogengelenke, giesse nun in ein reines Lavoir etwa 50 Gramm Spiritus saponatus kalinus, ergreife eine nicht allzu weiche Handbürste tauche sie in warmes Wasser und bearbeite nun durch mehrere Minuten (in der Regel fünf) Hand und Nägel mit dem Spiritus saponatus, bis er zu einem dicken Schaume geworden. Dann erst lässt man warmes Wasser langsam ins Lavoir einlaufen und bürstet noch einige Minuten damit Hände und Vorderarm. Nach etwa 7 Minuten wechselt man das Wasser und bürstet den Schaum von den Händen wohl ab, bis Hände und Bürste nach wiederholtem Wasserwechsel ganz rein ge- worden. Sodann wäscht man die Hände und Vorderarme mit Alcohol und wischt mit darin getauchter steriler Gaze Nagelränder und Nagelfalze ab, nimmt neuerdings die Bürste und bürste mit 2procentigem Carbol- wasser oder 1 pro mille Sublimat. Ohne die Hände abzutrocknen, beginnt man nun die Operation. In Ermangelung von Seifengeist muss man sich mit gewöhnlicher Seife behelfen. Es ist dringend empfehlens- werth sich beim Händewaschen ja nicht zu übereilen. Zur Schonung der Hände und sicherer Asepsis empfiehlt man neuester Zeit die Verwendung feiner, das Tastvermögen wenig beeinflussender wohl sterilisirter Operationshandschuhe. Auf die genaue Reinig^ung und Desinfection des planum operationis, eventuell bei bestehender Wunde auf die Haut der Umgebung ist grosses Gewicht zu legen. Bei Maschinenschlossern muss die der Haut anklebende Fettschmiere mittelst Terpentingeist entfernt werden. Man reibt mit in Terpentin getauchten Wattebauschen die Hautpar- tien so lange, bis die weisse Epidemis zum Vorschein kommt. Krusten und Borken werden mittelst Meisselsonden entfernt, Haare abrasirt. Nun geht man an die Entfettung der Haut, welche durch wieder- holtes Abreiben mit Schwefeläther bewerkstelligt wird, und beginnt nunmehr das Waschen, wofür Seife und Bürste oder als deren Surrogat ein etwa handgrosser Ballen zusammengekrüllter Holzwolle dient. Nach Abspülung des Seifenschaumes wird mit Alcohol abgerieben und schliesslich mit Carbol oder Sublimatlösung abirrigirt. Sofort nach beendeter Irrigation bedeckt man das gereinigte Planum mit einer sterilisirten und nebstdem in Sublimat ausgerungenen Compresse, welche bis zum Beginne der Operation an' Ort und Stelle zu ver- bleiben hat. Will man bei Operationen im Gesichte, am Halse und - 33 — am Stamme die Diirchnässung des Kranken und des Lagers meiden, so wischt man den Seifenschaum mit in Aetlier getränktem Watte- bauschen ab und erspart die Abspülung. Bei Schleimhäuten entfällt die Entfettung, es wird zur Desinfection verdünnter Alcohol verwen- det und nicht mit Carbol oder Sublimat abgespült, sondern lieber das weniger giftige Lysol genommen oder Creolin. Chemische Präparation von Catgut. Die im Beginne der antiseptischen Aera nach Listers Vorschrift in den Handel gebrachten Präparate: das Carbolölcatgut und das spätere Chromsäurecatgut sind gegen- wärtig ihrer geringen Yerlässlichkeit halber nicht mehr in Verwen- dung, das gleiche gilt vom A'oc/^Är'schen Juniperusölcatgut. Unter den käuflichen Catgutsorten ist das thermisch sterilisirte entschieden vorzuziehen. Am besten ist es stets, wenn man sich des selbst zube- reiteten Materiales bedient und den Vorzug vor den vielfachen an- deren Methoden hat die Präparationsweise nach Bergmann: Das rohe Catgut — ■ es kommt in fünf verschiedenen Stärken in Form von Ringen zum Versandt — • wird zunächst mit Scliwefeläther ent- fettet und unter Abgiessen und stetigem Erneuern des Aethers so lange darinnen belassen, bis dieser rein bleibt. Sodann werden die Ringe während 2-i Stunden in absoluten Alcohol gelegt und hierauf durch 3 Tage in einer Iprocentigen Sublimat-Alcohollösung stehen gelassen. Nach dieser Zeit werden die Ringe auf Spulen gezogen und einen Tag lang nochmals in Sublimat-Alcohol gelegt. Aufbewahrt werden schliesslich die fertigen Spulen in gut verschliessbaren Glas- gefässen unter einer Lösung von 1 pro mille Sublimat-Alcohol mit einer Zugabe von 20 Procent Glycerin. Die Entnahme bei Verwendung ge- schieht durch Abrollen der jeweilig gebrauchten Fadenlängen mittelst Pincette und Abschneiden mit steriler Schere, während die Spule stets unter dem Niveau der Aufbewahrungsflüssigkeit verbleibt. Man hat auch das Formalin zur Catgutbereitung verwendet, und zwar folgendermassen: Catgut in rohem Zustande wird in dünnen Lagen (2 bis 8 Schichten) aufgespult, durch 12 bis 24 Stunden in Formalin gelegt, sodann ebenso lange unter constant fliessendem Brunnenwasser gestellt, endlich während 30 Minuten in siedendem Wasser gekocht und in absolutem Alcohol aufbewahrt. Es kommt die Reihe kurz besprochen zu werden nunmehr an die nicht in Wasser löslichen Antiseptica, deren Verwendung in pulverförmiger Form oder als Emulsion gebräuchlich ist. Der hervor- ragendste Vertreter dieser Gruppe ist unbestritten das Jodoform. Das Jodoform ist wegen seiner unerreichten Schwerlöslichkeit in Wundsecreten das sicherste Dauerantisepticum. Wenn auch schwächer als Carbolsäure und Sublimat bezüglich seiner Immediatwirkung auf Eitercoccen, ist doch sein Schlusseffect der gleiche; denn ob man jene direct und schnell zerstört oder ob man ihnen die Lebensenergie fort und fort lähmt oder endlich ihre Stoffwechselproducte, die giftigen Ptomaine unwirksam gestaltet, zu einer Entwickeluug ihrer deletären Thätigkeit wird es, theoretisch gedacht, in keinem der Fälle kommen können, was auch durch die tägliche Praxis vollends bestätigt wird. Nach den Untersuchungen de Ruijters erhellt, dass das Jodoform nicht tödtend auf die Coccen der Fäulniss wirke, sondern vielmehr nur deren Entwickelung und Vermehrung hemme und die von ihnen produ- V. JIosetig-Moorhof: Handbneh d. chiiurg. Technik. 4. Aufl. 3 - 34 - Fig. 11. cirten, als eihnlich beide Daumen- glieder übereinander auf, drückt aber nicht mit beiden Händen gleich stark, sondern zunächst nur mit dem der Haut aufliegenden Daumen das Gefäss gegen die knöcherne Unterlage. Bald erlahmt die eine Hand und jetzt ist der Moment des Eingreifens für die zweite ge- kommen; nun drückt der zweite Daumen und benützt den ersten als passive Pelotte, während der betreffende Arm ausruht und neue Kraft sammelt, um einzuspringen, wenn der andere sich erschöpft hat. Nur so findet man Kraft, um längere Zeit hindurch unentwegt comprimiren zu können. Statt der beiden Daumen kann man auch die Zeige- und Mittelfinger beider Hände benützen, wobei das Umfassen des Gliedes selbstverständlich unterblejjrtt. Eine Variante der Compression ist die Instrumentalcompression, woT^Rpian die Finger durch Instrumente oder Verbände ersetzt. Bei d^i^ocalcompression ersetzen die Finger ballenartig zusammengewickelte Verbandstoffe — Tampons — mit denen man die ganze Wunde ausfüllt — tamponirt — und die man dann mittelst circulären Bindentouren an Ort und Stelle fest ange- drückt erhält. Um den antiseptischen Gesetzen zu genügen, sollten zu Tampons stets nicht nur reine, aseptische, sondern mit Antisepticis imprägnirte Verbandstoffe genommen werden. An Extremitäten ist es gerathen, nebst der Localcompression auch eine comprimirende Einwicklung des ganzen peripheren Gliedabschnittes vorzunehmen, damit dort keine Stauungserscheinungen zu Tage treten. Die centrale Instrumentalcompression kann die Arterie allein und deren nächste Umgebung, oder sie kann den ganzen Umfang der Gliedmasse gleichmässig treffen und demnach die Arterie nur mitcomprimiren. Con- striction. Die isolirte centrale Instrumentalcompression ist, obwohl sie manche begreifliche Vortheile für sich hat, dennoch sehr umständlich, nicht immer ganz verlässlich und erfordert eigene, mehr minder complicirte Apparate — Tourniquets. Sie ist daher gegenwärtig ganz obsolet geworden, allgemein wird zur Constriction gegriffen. Der ein- fachste, überall herstellbare Apparat ist das sogenannte Knebeltourniquet von Morel. Man nimmt eine Cravatte (in Form eines Halstuches zu- sammengelegtes Sacktuch), bindet sie locker an einer von der blu- tenden centralwärts gelegenen Stelle, steckt dann zwischen Haut und Tuch den ersten besten festen Gegenstand als Knebel ein und dreht diesen nach Art der Kärrner zu, bis die Blutung steht. Um die Haut nicht in die Windungen des Tuches einzubeziehen, schiebt man unter- halb der Drehungsstelle eine scheibenförmige Platte ein — Pappe, Baumrinde, Filz, Leder etc. — und bindet den Knebel, damit er nicht wieder aufrolle, an Ort und Stelle fest. Von der Benützung der viel zweckmässigeren Constrictionsbinden aus elastischem Materiale war schon früher die Rede. Eine trockene, fest angelegte Leinenbinde, die man dann befeuchtet, könnte im äussersten Nothfalle auch zweck- dienlich sein. Behufs Compression der aorta empfiehlt Esmarch, unter — 69 - das Kreuz des Patienten ein queres, den Unterleib jederseits wenigstens um Handbreite überragendes, flaclies, an den Querenden coneav aus- geschnittenes Brettchen zu legen, um welches man dann eine Gummi- binde fest spannt. Die Gummibinde, welche den Bauch des Patienten kreuzt, drückt nun mit Macht eine untergestellte hohe Pelotte in den Unterleib und comprimirt dadurch. Eine Modification für die Aorta- compression besteht in Folgendem: auf der Mitte eines langen Holz- cylinders — länger als die Breite der Lagerstätte — wird eine Leinenbinde fest aufgerollt, so dass sie sich wie ein Rad zur Speiche verhält. Der Bindenkopf kommt auf die aorta, und die Speichen- enden werden durch elastische Binden um die untere Fläche der Lagerstätte oder an einen dortselbst angebrachten Querstab fest- gebunden. Natürlich dass jeder Aortacompression eine sorgfältige Entleerung des Darmcanales vorausgeschickt werden muss und es erwünscht ist, dass die Bauchdecken nicht zu dick, nicht zu fettreich seien, i?. Davy hat eine andere Methode angegeben, um die arteria iliaca communis zu comprimiren. Er nimmt einen Stab aus Ebenholz von 1 8 bis 22 Zoll Länge, sehr glatt gedrechselt und an einem Ende mit einer kolbigen, abgerundeten Verdickung versehen, welche mit der Endphalanx eines menschlichen Fingers einige Aehnlichkeit hat. Der Durchmesser des phalanxähnlichen, 1^ 2 Zoll langen Endtheiles beträgt ^ ^ Zoll, jener des Stiels ^^ Zoll. Dieses so geformte Instru- ment wird in den Mastdarm geschoben, das dicke Ende voran und schief bis zur Grube zwischen ileopsoas und Wirbelsäule geführt, allwo die arteria iliaca interna lagert. Indem man nun das extra- rectale Ende des Instrumentes hebt, senkt sich das intrarectale und comprimirt das Gefäss gleich einer aufgedrückten Fingerphalanx. Als Hypomochlion fungirt der Uebergangswinkel des ramus descen- dens pubis zum arcus pubis inferius. Bei Erwachsenen soll dieser Hebel 9 Zoll tief eingeführt werden und trägt dessen Stiel eine in Zollen eingetheilte Scala, an der man die jeweilige Tiefe des finger- oder pelottenförmigen Theiles ablesen kann. Davji nennt sein Instru- ment Mastdarmhebel (rectal lever) und rühmt dessen, den localen Kreislauf hemmende Wirkung, die sich bei Hüftgelenksexarticulationen bewährt haben soll. Die winkelige Knickung eines Arterienstammes wird durch for- cirte Beugung der betreffenden Extremität herbeigeführt. Von einer Benützung dieser Methode zur definitiven Blutstillung im Sinne Adel- maniis kann heutzutage wohl keine Rede mehr sein; als temporäres Blutstillungsmittel ist sie aber bei Mangel an Besserem immerhin zweckdienlich, falls die zutreffenden Gelenke sonst gesund sind. Der gewaltsamen Beugung wird zunächst das Gelenk oberhalb der blu- tenden Stelle unterworfen, so bei Blutungen am femur und Oberarm das Hüft-, respective das Schultergelenk, bei solchen am Unterschenkel und Vorderarm, beziehungsweise Fuss und Hand, das Knie- oder Ell- bogengelenk, eventuell auch Fuss- und Handgelenk. Der gewaltsam gebeugte Extremitätstheil wird dann mittelst strammen, fest angelegten Binden in situ erhalten. Nur bei Blutungen am Oberarm ist das sonst selbstverständliche Verfahren insofern verschieden, als man behufs Abknickung der axillaris stets beide Arme so nach rück- und auswärts drehen muss, bis die Ellbogen sich am Rücken fast be- — 70 - rühren. In dieser, einer mittelalterlichen Tortur entsprechenden, un- natürlichen La^e müssen die Arme dann durch sor<^sam jL>efülirte und gut überdachte Bindentouren festgebunden werden. Gut überdacht, denn was ist wohl natürlicher, als dass der Verletzte sich bald- möglichst aus seiner peinlichen Situation zu befreien strebt; dies aber sicher zu verhindern, ist der Zweck des Verbandes. Endlich wäre noch einer temporären Blutstillungsmethode bei Verletzungen der Gliedmassen zu gedenken: nämlich der verticalen Suspension oder passiven Elevation der entsprechenden Extremität, die für alle Blutungen, welcher Natur immer, i)assend ist. Bei Blutungen am Stamme kann als temporäres Stillungsmittel zumeist nur die Digital- compression, respective die antiseptische Tamponade in Betracht kommen. Die definitive Blutstillung kann nur in einer dauernden Verlegung der blutenden Gefässlumina — gleichgiltig ob Arterie oder Vene — bestehen. Die Mittel hierzu sind folgende: a) Die isolirte Gefässligatur. Es ist sicherlich das beste und sicherste aller blutstillenden Verfahren und besteht darin, dass man das blutende Ende mit einer Sperrpincette Fig. 17. isolirt fasst und es hierauf a mit einem Faden zubindet. Sperrpincetten nennt man klemmartige Instrumente, an den Spitzen gerifft oder ge- zähnt und mit Schluss- oder Sperrvorrichtungen ausge- stattet. Die handlichste und gebräuchlichste unter den vie- len verschiedenen Sorten ist die Sperrpincette von Luer (Fig. 17 a), Sie hat schmale Branchen, und solche sind stets besser als breite, weil sie das Sehfeld weniger verdecken, man also das Gefäss reiner zu fassen vermag. Die Pincette wird in die volle Hand genommen, die drei letzten Finger halten das Instrument in der Richtung gegen den Kleinfingerballen, der Zeigefinger legt sich halb- gestreckt an die Seitenfläche einer Branche, während der Daumen den Knopf des Schiebers berührt. Ein Zurückschieben des Knopfes öffnet die Klemme, ein Vorschieben schliesst sie. Man benöthigt demnach zur Be- dienung des Instrumentes nur einer Hand allein und dieser Umstand verschafft der Schiebervorrichtung den Vorrang vor allen anderen Sperr- vorrichtungen, welche oft die Intervention zweier Hände erfordern. Zum isolirten Fassen und Ligiren eines durchschnittenen grösseren Gefäss- endes gehören zwei Hände und zwei Pincetten; die eine, welche man schreibfederförmig in die linke Hand nimmt, kann auch der Sperre entbehren, also eine einfache sogenannte anatomische Pincette sein. Mit dieser fasst man das Lumen schief zur Achse und zieht es vor; die rechte Hand, welche eine geöffnete Sperrpincette hält, greift nun ein und klemmt das vorgezogene Gefäss quer ab. Wäre die Arterie nicht rein, id est nicht frei von Gefässscheide und Nachbargewebe, so müsste man sie zuvörderst isoliren. Dies geschieht theils durch — 71 — stumpfes Abzupfen der Gefässscheide mit der Pincette, theils durch eigene Präparation mit Messer, respective Schere und Sonde, falls die Arterie tief im Gewebe stecken würde. Ist die Arterie abgeklemmt, dann lässt man die Pincette am Gefässe hängen und nimmt nun mit den freigewordenen Händen den Ligaturfaden. Dieser soll hinter dem gefassten Theile das Gefäss zubinden. Zu diesem Zwecke umgibt man es mit dem Faden hinter der hängenden Pincette, macht einen ein- fachen Knoten und zieht diesen fest zu, worauf man einen zweiten Schlussknoten bildet und ihn am ersten festknüpft. Den ersten Knoten doppelt zu nehmen, d. h. das eine Fadenende statt einfach, zweimal um das andere zu winden und eine Doppelschlinge zu bilden, war früher gebräuchlich — man nannte den Knoten einen chirurgischen. Er hatte den Zweck, das Aufgehen der festgezogenen Schlinge während dem Schürzen des Schlussknotens zu hindern. Bei etwas härterem Materiale, wie es das Catgut ist, hindert aber der chirurgische Knoten das Festziehen der Schlinge, auch lockert sich der einfache Knoten, wenn festgeschnürt, beim Catgut kaum, daher dieser genügt. Für ganz weiches, sehr glattes Unterbindungsmateriale verbleibt aber der chirurgische Knoten, wenigstens iür minder geübte Hände, zu Recht. Nach dem Schürzen des ersten Knotens lässt man die Pincette ab- nehmen, Avährend man die Schlinge stärker zuzieht, dann schürzt man den zweiten, eventuell einen dritten Knoten. Der Faden soll die Arterie fest umschnüren, damit die Innenhäute indirect durchtrennt werden und sich aufrollen können. Diese Regel gilt für gesunde, elastische Arterien; starre Rohre mit Kalkablagerungen in den Wänden ver- tragen ein gar festes Binden nicht, das spröde Rohr kann dadurch ganz durchschnitten werden. Das Leiten des Knotens zum Gefässe und das Knüpfen wird so vorgenommen, dass man die Fadenenden auf beide Mittelfinger aufrollt und anzieht, während beide Zeigefinger mit Unterstützung der Daumen den Knoten zum Gefässe hinschieben; oder Daumen und Mittelfinger fassen die Fäden, während die Zeige- finger allein den Knoten leiten. Bei ganz oberflächlichen Ligaturen kann man die Fadenenden auch zwischen Daumen und Zeigefinger fassen und nun direct festknüpfen. Bei oberflächlichen Wunden, wo das Gefüssende frei zu Tage liegt und dem Auge zugänglich erscheint, ist das Umfassen des Rohres mit dem Faden ohne weitere Beihilfe leicht ausführbar; bei tiefen Wunden hingegen ist es oft nicht möglich, die Sperrpincette quer zur Gefässachse festzuklemmen, oftmals ist dies nur unter spitzem Winkel, ja selbst nur ganz parallel zur Achse möglich. Unter solchen Verhältnissen gestaltet sich das Herumführen des Fadens mit Umgehung der Pincettenspitze oft äusserst schwer und man läuft Gefahr, sie in die Fadenschlinge miteinzubeziehen. Um diesem Uebelstande, der die Unterbindung illusorisch macht, zu entgehen, muss der Assistent mit dem Nagel seines Zeigefingers die Pincettenspitze decken, auf dass sie nicht mitgefasst werde und der Faden, am Nagel gleitend, hinter diesem nur das Gefäss allein um- schlinge. Man fasst zu solchem Zwecke das Instrument etwa wie beim Acte des Klemmens, nur dass man den Zeigefinger dabei etwas mehr vorgibt und die geschlossene Pincettenspitze am Ende seiner Volar- flüche so andrückt, dass nur der Nagelrand über die Spitze hinaus reicht. Damit dies sicher geschehe, muss die Endphalanx rechtwinkelig — 72 — gebeugt werden. Um nun dieser, bei Anwendung der Luer^schan Pin- cette geradezu unentbehrlichen Assistenz auch entrathen zu können, hat man eine ganze Menge von Vorrichtungen ersonnen, welche das selbstständige Abgleiten der Fadenschlinge von dem Pincettenende ermöglichen sollen. Ich er widme deren nur zwei, als der allerbesten. Fig. \1 h stellt eine solche Pincette nach Hamilton dar, ihre Branchen sind nicht gerade oder gar spitzzulaufend, sondern breit und etwas herzförmig gestaltet, so dass der Faden, einmal über die Stelle des grössten Querdurchmessers gebracht, beim Anziehen, an den schiefen Kanten und Flüchen von selbst dem Ende zu und darüber hinaus abgleiten muss. Die Pincette hat nur den Nachtheil, das Gesichtsfeld etwas stärker zu verdecken, weshalb ein isolirtes Fassen des Gefässes schwerer gelingen dürfte. Das Anlegen solcher Instrumente geschieht auch nicht quer zum Gefässe, sondern mehr weniger in der Richtung zur Achse. Unter Beibehaltung der Luer'sehen Form hat CoUin eine Fig. 19. Pincette construirt, die ich für tiefe Unterbindungen bestens empfehlen kann. Fig. 18 erspart mir ihre Beschreibung. Nach gepflogener Unterbindung wird die Pincette entfernt und die beiden Fadenenden einige Millimeter über dem Schlussknoten ab- geschnitten; knapp am Knoten soll man die Fäden nie abschneiden, damit jener nicht aufgehe. Als Ersatz für Sperrpincetten können eventuell auch entsprechend grosse einfache spitze Haken dienen, mit denen man die Gefässwände an zwei gegenüber liegenden Puncten durchsticht. Der Ligaturfaden gleitet dann an der Rundung des Hakens ab und unterbindet das Gefäss; zu bemerken wäre, dass dabei der Haken gleich der Pincette stets entfernt werden müsse, bevor der Schlussknoten angesetzt wird; versäumt man dies, so erweist sich später die Unterbindungsschlinge als ungenügend fest. Brom.ßeld und Wollstein haben eigene Arterienhaken angegeben (Fig. 19). Die Faden- schlinge verbleibt nun am Gefässe, bis sie resorbirt, beziehungsweise abgekapselt wird und inzwischen organischer Verschluss eingetreten — 73 — ist. Müsste man des Catguts entbehren, so könnte auch die Procedur der vorantiseptischen Zeit geübt werden, nämlich nur eines der beiden Fadenenden abzuschneiden und das andere, eventuell auch beide, beim Wundrande herauszuleiten, damit die Ligatur bei ihrem Ab- gange entfernt werden könne. Auf gleiche Weise wird bei der Unter- bindung von Venen verfahren. Bei Verletzungen von Gefässen in der Continuität müssen beide Lumina, das centrale sowohl als das peri- phere, jedes für sich unterbunden werden, damit nach Herstellung des Collateralkreislaufes nicht retrograde Blutungen eintreten, aus dem Centrum bei Venen, aus der Peripherie bei Arterien. Waren die Gefässe nicht ganz durchtrennt, so empfiehlt es sich, sie vor oder nach Anlegung der Ligaturen ganz zu durchschneiden. hj Die Gefässtorsion (Antvssafj wird so ausgeführt, dass man das Gefässlumen in der verlängerten Richtung der Gefässachse mit einer Sperrpincette isolirt fasst und hierauf das Instrument etwa 2- bis 3mal um die eigene Achse dreht (Fig. 20). Bei dieser spiraligen Auf- rollung ist, wenigstens bei stärker calibrirten Aesten stets erwünscht und zweckdienlich, wenn die Spiraltouren nur kurz ausfallen, da ihr Effect dann grösser sich gestaltet, daher es stets rathsam ist, das Gefäss zunächst vorzuziehen und es dann entfernt von der gefassten Partie zu fixiren, was am besten durch quere Klem- Fig. 20. mung geschieht. Man braucht also dazu auch zwei Pincetten; die vor- dere greift das Gefäss- lumen, wie früher erwähnt, und zieht das elastische Gefässrohr aus der Wunde heraus; am tiefsten Puncte klemmt man es dann quer und rollt hierauf das zwischen beiden gefasste Stück auf. Dabei werden intima und muscularis zerrissen, die sich dann vermöge ihrer Elasticität zurückziehen und einkrempen, wogegen die nachgiebige adventitia spiralig aufgedreht bleibt. Bei solchen Vorgängen wird die Ligatur entbehrlich." Obschon auch Gefässe vom Caliber einer cruralis auf solche Weise definitiv verschlossen wurden, benützt man doch die Torsion meist nur für kleinere Aeste, um sich die vielen Unter- bindungen zu ersparen; also theils aus Bequemlichkeitsrücksichten, theils um weniger Unterbindungsmateriale in der Wunde zu belassen; sicherer ist und bleibt immer die Ligatur. Gegenangezeigt wäre die Torsion bei bestehendem Atherom. c) Die Massenunterbindung unterscheidet sich dadurch von der isolirten Gefässunterbindung, dass man entweder mehrere Gefässe zusammen, oder Gefässe nebst einem Theile des umgebenden Gewebes in eine und dieselbe Ligatur einbezieht. So pflegt man bei vielen Operationen kleine dünnwandige Venen, welche die Arterien begleiten, nicht zu isoliren, sondern das ganze Gefässbündel gleich unter Einem zu ligiren. Die Unterbindung von Gefässen sammt einer Partie des umgebenden Gewebes übt man bei kleineren Muskelästen, hauptsäch- lich aber vor der Durchtrennung sehr gefässreicher Strenge oder strangartiger Gebilde, so z. B. bei Netzsträngen, welche abgetragen — 74 worden sollen, bei der Strumu-Exstirpaiion, bei der Castration etc. etc. Bei derartigen Unterbindungen in der Continuität, welche meistens vor der Durchtrennung, also präventiv angelegt werden, bedient man sich seltener der Pincetten, sondern dui-chlöchert die Stränge an jenen Stellen, die ihres Gefässmangels wegen am geeignetsten hiefür er- scheinen, mit einem spitzen, oder besser noch mit einem stumpfen In- strumente: also einer Nadel, einer Ilohlsonde, Kornzange einem geöhrten Haken etc., und zieht dann durch die gesetzte Lücke den Untsr- bindungsfaden durch, um ihn so fest als thunlich zu knoten. So kann man partienweise sehr breite und mächtige Stränge ohne jede Blutung durchschneiden. Um Blutungen aus ihren peripheren Enden zu meiden, ist es in den meisten Fällen nothwendig, entweder Doppelligaturen anzulegen, zwischen denen dann die Trennung vorgenommen wird, oder wenigstens das periphere Ende temporär abzuklemmen und bis auf Weiteres abgeklemmt zu lassen. Bei dicke- ren Strängen wird die angelegte Ligatur manchmal in kurzer Zeit locker und dem- nach insufficient, obwohl sie anfänglich sehr fest gelegen hatte; es beruht dieses unange- nehme Ereigniss auf einer rapiden Umfangs- reduction des umschnürten Theiles in Folge von Flüssigkeitsverdrängung. Diesem Uebel- stande vorzubeugen, haben Perm und BillnAh empfohlen: vor Anlegung der Ligatur die Stelle, wo jene zu sitzen hat, früher gewaltsam einzuklemmen und die Ligatur erst in die da- durch hervorgebrachte Rinne oder Einquet- schung zu verlegen. Fig. 21 stellt das hierzu gebräuchliche Klemminstrument dar. Sicherlich wird dadurch dem späteren Abschwellen vor- gebeugt und die Festigkeit der Ligatur gesichert. Sind die Stränge gar zu mächtig und sehr gefässreich, unterbindet man besser partien- weise und verfährt folgendermassen: mittelst Aneurysmennadel, welche man durch den Strang sticht, führt man den ersten obersten Faden durch, zieht nun den Faden aus dem Oehr der Nadel, fädelt einen frischen Faden ein, zieht nun die Aneurysmennadel aus dem Stich- canal und sticht sie in einer beliebigen Entfernung neuerdings durch das Gewebe des Stranges durch. So fortarbeitend und die Nadel stets in gleicher Richtung führend, kann man eine beliebige Serie von Fäden durch den zu unterbindenden Strang durchziehen. Je zwei enisprechende Fadenenden werden nun geknotet und damit die Interstitia zwischen den Schlingen nicht einreissen, nimmt man stets den einen Faden der nächstgelegenen Schlinge in den Klang mit ein. So gewinnt man eine beliebige Serie von ineinander geschlungenen Unterbindungsringen — Kettenligatur. Fig. 22. Bei Anlegung von Massenligaturen vermeide man möglichst das Mit- fassen grösserer Nervenstämme, kleine Nervenfilamente, die sich vermöge ihrer Kleinheit und ihrer nicht genau präcisirten ana- tomischen Lage der Isolirung entziehen, werden mit unterbunden. Man trachtet aber die Ligatur möglichst fest zusammenzuziehen, um dabei die wenig resist^enten Nervchen ganz zu durchtrennen. Fio-. 22. Auch in dieser Beziehung empfiehlt sich das Pmn'sche Instru- ment, mit dem begreiflicherweise eine viel stärkere Kraft entfaltet werden kann als mit einer einfachen Ligatur. Als Unterbindungs- material nimmt man dann stärkere Nummern und den jeweiligen — 76 — Faden in genüo^ender Länge, damit er von den Händen gut angefasst und den schnürenden Fingern gehörig umwickelt werden könne. Das feste Zusanimensclinüren mittelst Catgut möge in mehreren Re- prisen und mit stetig zunehmender Kraftentfaltung vorgenommen werden, nie durch brüskes plötzliches Anziehen, ansonst der Faden leicht abreisst. Sollte das Catgut zu wenig Sicherheit bieten, so könnte auch eventuell der antiseptischen Seide der Vorzug eingeräumt werden, weil diese, wenn guter Qualität, der Zugkraft länger widersteht, ohne abzureissen. Man kann aber das Catgut doppelt nehmen und so ein resistentes Catgutband bilden. Jedenfalls gebührt ihm entschieden der Vorzug, wenn der unterbundene Strang versenkt werden soll. Ver- bleibt er oberflächlich, dann ist das Quäle des Abbindungsmateriales gleichgiltiger. Eine Abart in der Anlegung der Massenligatur bildet die Um- stechung. Man bedient sich ihrer bei Unterbindungen in der Wunde, wie man zu sagen pflegt bei Unterbindungen in der Contiguität und wendet sie an wenn die blutenden Gefässe entweder nicht isolirt gefasst werden können, oder ihrer Zerreisslichkeit, respective Sprödig- keit Avegen dieser Frocedur nicht unterworfen werden dürfen; endlich in Fällen, wo nicht nur einzelne Gefässe bluten, sondern vielmehr ein ganzes Convolut unentwirrbarer Gefässlumina, welcher Natur immer, seinen Inhalt entquellen lässt. Zur Umstechung bedarf man einer grösseren, nicht allzu stark gekrümmten chirurgischen Nähnadel, in deren Oehr das Unterbindungsmaterial eingefädelt wird. Man durch- sticht nun partienweise, nicht gar zu oberflächlich, den Umfang der blutenden Stelle in genügendem Umkreise und bildet so eine Art Kranznaht, deren Componenten theils oberflächlich verlaufen, theils tief im Gewebe versenkt sind. Da Anfangs- und Endpunct jeder Kranznaht nahe aneinander liegen, so wird ein Anziehen der Faden- enden die umstochene Gewebspartie zusammenschnüren, ähnlich wie die Schnur einen Tabaksbeutel schliesst; knotet man dann, so bleibt die betreffende Stelle umschnürt, und die blutenden Gefässlumina werden sonach mitcomprimirt und indirect verschlossen. Ein Ab- gleiten der Ligatur ist undenkbar, ein Abreissen nur dann möglich, wenn die umstochenen Gewebe allzu morsch und die Nadel zu nahe der Wundoberfläche geführt worden wäre. Die Besorgniss, dass bei Massenunterbindungen die eingeschnürten Gewebspartien der ischä- mischen Necrose verfallen und die Primaheilung dadurch behindern könnten, ist bei Einhaltung strenger Antisepsis nicht gerechtfertigt; auch knotet man nur so fest, als zur Blutstillung eben erforderlich ist; Eiterung und Abstossung der unterbundenen Theile tritt dabei nicht ein, wohl aber theilweise eine insensible Absorption, welche die Primaheilung ebenso wenig stört als das versenkte Catgut. d) Die Forcipressur wurde durch Köberle und Pean in die chirur- gische Praxis eingeführt. Sie beruht in einer übermässig starken Quetschung der Gefässwandungen, wodurch die inneren Arterienhäute, weil spröder, zermalmt werden und sich aufkrempen, während die adventitia einfach zusammengedrückt bleibt. In seiner Wesenheit hat das Verfahren ein Paradigma in dem alten Verfahren von Maunoir, welches er Mächure, das Zerbeissen, nannte. Die Forcipressur wird nie an isolirten Gefässen vorgenommen, auch kaum je an grossen — 77 Fig. 23. Arterienstämmen, sondern mehr an Gefässästen, deren tief gelegener Sitz eine Unterbindung wesentlich erschwert oder gar unmöglich macht; auch fasst man selten die Gefässe allein, sondern stets auch etwas von dem umgebenden Gewebe mit, da ja bei Blutungen aus tiefen Höhlenwunden ein isolirtes Fassen kaum denkbar ist; man muss in solchen Fällen oft froh sein, wenn man mitten im blutenden Herde, dessen einzelne Theile durch das Blut verdeckt und hierdurch unkenntlich gemacht sind, überhaupt einen raschen Verschluss und ein Versiegen der Blutquelle zu Stande bringt; was man mitfasst, bleibt sich dann mehr minder gleich, wenn es nicht gerade Nerven- stämme wären. Zur Quetschung von Geweben genügt der Druck, den etwa eine Sperrvorrichtung abgeben könnte, nicht; es bedarf dazu einer viel höheren Druckkraft und diese wird durch das Federn der Klemmbranchen gegeben. Die Köberle' sehen Klemmen — Pinces haemo- statiques (Fig. 23 a) — haben Aehnlichkeit mit einer Kornzange, die Fassarme sind ge- rifft und etwas konisch zulaufend, das Schloss ist weit vorne, demnach die Branchen lang. Wenn das Instrument einfach geschlossen wird, berühren sich wohl die Fassarme, aber nicht die Branchen: diese müssen viel- mehr erst durch activen Druck in Folge Fe- derns aneinander gebracht werden, um dann durch eine Sperrvorrichtung — Haken und Zahnstange oder Stiftschluss — gesichert zu werden. Die Federkraft der längeren Bran- chen presst nun die viel kürzeren Fassarme, der Kreuzung wegen, gewaltsam zusammen und quetscht hierdurch das Gefasste viel intensiver als jedwede Sperrpincette es thun könnte, bei welcher die Sperre nur ein An- einanderliegen der parallel gestellten Enden erzwingt. Die blutstillenden Klemmen werden wie eine Kornzange gehandhabt, d. h. Daumen und Mittelfinger stecken in den Ringen, wäh- rend der Zeigefinger an der Aussenfläche jener Branche seinen Platz nimmt, welche vom Mittelfinger regiert wird. Nach Anlegung der Klemme kann auf dreifache Weise vorgegangen werden, und zwar: 1. Man ent- fernt die Klemme durch Oeffnen der Branchen, nachdem sie eine Zeit gelegen hatte — temporäre Forcipressur; kleinere Gefässe bleiben danach in der Regel verschlossen. Feau pflegt die Klemmen erst nach 2-t Stunden zu entfernen, wodurch er auch grössere Gefässe dauernd zu verschliessen vermag. Ein solches Verfahren macht sicherlich alle Ligaturen un- nöthig. ,2. Man lässt die Klemme an Ort und Stelle liegen, bis sie von selbst wegfällt — dauernde Forcipressur. Dies geschieht meistens zwischen dem dritten und fünften Tage, je nach dem Volumen der eingeklemmten Gewebsmassen; während dem kann organischer Ver- schluss stattgefunden haben. In der Zwischenzeit muss das Instrument in der Wunde belassen werden, welche unvereinigt bleibt. Um der Antisepsis gerecht zu werden, füllt man die Wunde mit Jodoformgaze aus und umhüllt damit auch die Klemme. Der Deckverband ist ferner so anzulegen, dass die Klemme durch ihn gestützt werde, damit sie nicht durch ihr Gewicht am gefassten Gewebe zerre und nicht vor der Zeit abreisse. Dass die Klemme dabei um so störender sei, je länger und je schwerer sie ist, bedarf kaum hervorgehoben zu werden. Um diese beiden Momente möglichst zu reduciren, hat man anstatt der Klemmen eigene kleine Pincetten mit gekreuzten Branchen con- struirt, welche durch Selbstfederung sperren, sogenannte Bulldog- pincetten (Fig. 23 Z>). Diese erfüllen aber die Aufgabe der Zerquet- schung, ihrer relativen Schwäche und Kleinheit wegen, nicht nur nicht, sondern sie fassen locker und gleiten leicht ab. Ich habe zum Zwecke dauernder Forcipressur eine Peansche Klemme mit abnehmbaren Ringen machen lassen und dadurch theils die absolute Länge des Instrumentes reducirt, theils auch sein Gewicht verringert (Fig. 24). 3. Ein dritter Weg wäre, Fig. 24. eine Ligatur anzulegen, wobei dann die Klemme die Rolle einer Sperrpin- cette gespielt haben würde. Es sind auch die Klemmen für tiefe Höhlenwunden viel handlicher und leichter anlegbar als die kürzeren Sperrpincetten, daher sie auch vielfach a priori schon zum Zwecke der Li- gatur Verwendung finden. e) Die Tamponade der Wunde behufs definitiver Blutstillung ist nur bei Höhlen wunden möglich und auch nur bei Blutungen aus solchen angezeigt, da sie ja nur zum Aushelfen bestimmt ist, wenn die übrigen mehr sicheren Ver- fahren unausführbar sind. Sie unterscheidet sich von der früher als temporäres Blutstillungsmittel erwähnten Tampo- nade dadurch, dass der zur definitiven Tamponirung verwendete Verbandstoff mit einem Dauerantisepticum imprägnirt sein soll, damit er, ohne eine Zersetzung in der Wunde zu gestatten, so lange in ihr festgestopft verbleiben könne, bis organischer Verschluss der blutenden Gefässe mit Sicherheit eingetreten ist, wozu oft viele Tage nothwendig sein dürften. Einen solchen Dauerverweil ohne Gefahr von Sepsis erlaubt nach dem jetzigen Standpuncte der Erfahrung nur ein Antisepticum allein, das Jodoform. f) Zu den Blutstillungsmethoden ist endlich auch die immediate Vereinigung der blutenden Gewebsflächen durch eine genau und passend angelegte Wundnaht zu zählen, vorausgesetzt, dass im zutreffenden Falle eine primäre Verklebung und Heilung überhaupt zulässig oder erwünscht sei. — 79 — Es mögen in Folgendem noch einige Blutstillungsmethoden Er- wähnung finden, obgleich sie seit Einführung der Antisepsis und namentlich der Catgutligaturen völlig gegenstandslos geworden sind. Logisch und genial erdacht, verdanken sie ihre Entstehung dem Be- streben, von der Wunde alles abzuhalten, was möglicherweise Sepsis veranlassen könnte. Hierzu gehörte aber einmal das früher übliche, nicht aseptische Unterbindungsmaterial und die Besorgniss vor dem abgeschnürten, der Necrose verfallenden Gefässstumpfe. Beiden schäd- lichen Momenten aus dem Wege zu gehen, welche secundäre Nach- blutungen im Gefolge haben, galten die von SimjJson und Anderen angegebenen Verfahren, bei denen das Unterbindungsmaterial' weg- blieb und die Arterie nur abgeplattet oder comprimirt wurde bis zur Herstellung eines organischen Verschlusses, daher auch die Mög- lichkeit einer ischämischen Gefässwandnecrose entfiel. Die Sim^json- schen Methoden heissen: 1. Die Acupressur. Durch eine lange, ge- rade, mit einem Knopfe versehene Nadel wurde auf zweckentspre- chende Weise die Arterie entweder gegen die Haut oder gegen den Knochen angedrückt und abgeplattet; 2. die Acufilopressur, wobei der Nadeldruck noch durch einige äusserlich um die Nadel geführten Faden- touren verstärkt wurde; 3. die Acutorsion. Mit der Nadel wurden die Gefässwandungen an zwei entgegengesetzten Puncten durchstochen, hierauf mit ihr eine Halbdrehung in der Ebene der Wunde ausge- führt, endlich die Nadelspitze in das Nachbargewebe eingestochen und dadurch fixirt. Bei allen diesen Methoden wurde am dritten Tage die Nadel entfernt, da inzwischen Wandverklebung erfolgt sein sollte. Middeldorpf ersann die Filopressur, eine Art äusserer Unistechung^,_ wobei mittelst einer gekrümmten Nähnadel eiuTIetall- oder sonstiger Faden durch die äussere Haut um die Arterie herumgeführt und dann wieder nach aussen geleitet wurde, worauf man die beiden Faden- enden auf einer dazwischengelegten kleinen Rolle knüpfte, beziehungs- weise zusammendrehte. Am dritten Tage wurde die Fadenschlinge knapp an der Haut durchschnitten und der Faden sodann ausgezogen. Alle diese und die vielen anderen älteren Blustillungsmethoden haben gegenwärtig keine Geltung mehr. Was speciell die definitive Stillung venöser Blutungen anbelangt, so verfährt man heute bei diesen gleichwie bei arteriellen Hämor- rhagien. In der vorantiseptischen Zeit scheute man die Unterbindung venöser Gefässe so sehr, dass Hnnter bekanntlich zu sagen pflegte: er Hesse sich lieber eine arteria femoralis unterbinden, als die vena saphena. Diese Scheu war damals nur zu gerechtfertigt und fand ihre volle Begründung in der Wundeiterung und consecutiven purulenten Phlebitis, welche die nicht aseptische Ligatur zu erregen pflegte. Diese Scheu ging so weit, dass beispielsweise noch v. Langenheck seiner- zeit empfahl: unter Umständen die Ligatur der Vene durch die Unter- bindung des gleichnamigen Arterienstammes zu ersetzen. Die aseptische Ligatur mit resorbirbarem Materiale hat alle diese, früher wohl- gerechtfertigten Bedenken verscheucht, denn sie erregt keine Eiterung und keine Pyämie bedingende Phlebitis. Man unterbindet demnach heutzutage die Venen gleich den Arterien, vielleicht nur mit dem einzigen Unterschiede, dass man die Isolirung selbst grösserer Venen, der Dünnheit und leichten Zerreisslichkeit ihrer Wandungen wegen iiicht - 80 — so soro:sam übt wio bei oloichcalibrirten Arterien. Nur bei ober- flächlichen Trennungen der Wand einer - zu stellen vermag. Nur Eines kann es nicht bieten: die so werth volle Glühschlinge; diese kann nur durch den elektrischen Strom beschaffen werden. Fig. 27. m Zu den galvanocaustischen Instrumenten zählen: die Schlinge, das Messer, die Nadel und der Brenner. Alle bedürfen der Middel- dorpf sehen Handhabe (Fig. 27), welche mit den Batteriepolen ver- bunden wird. Der Griff ist wohlisolirt und mit Holz montirt, er trägt eine Druck-, Schub- oder Schraubvorrichtung, welche den momentanen Schluss und ein ebenso augenblickliches Oeffnen der Kette und damit ein sofortiges Erglühen oder Erkalten des Platindrahtes er- möglicht. Dies ist der allerwesentlichste Unterschied und der un- — 95 — schätzbare Vortheil der Galvanocaustik vor der Thermocaustik. Operirt man an der Oberfläche des Körpers, so macht dieses will- kürliche, im Momente zu erzielende Erglühen oder Abkühlen keinen sehr wesentlichen Unterschied; kann man doch, wenn die Glühhitze nicht mehr vonnöthen, diese durch rasches Entfernen des Instrumentes sofort paralysiren. Anders gestaltet sich jedoch die Sache, wenn man innerhalb einer Körperhöhle operirt. Das Zu- und das Abführen des glühenden Instrumentes erfordert immerhin eine wenn auch noch so geringe Zeit, während welcher die Glühhitze unnöthig und jedenfalls nachtheilig auf die Wandungen der Körperhöhle wirkt. Die galvano- caustischen Instrumente hingegen werden kalt eingebracht und kalt erhalten, bis sie am Orte ihrer Bestimmung angelangt und angesetzt sind; erst dann erglühen sie auf den einfachen Schluss der Kette; beim Oeffnen dieser, wozu ein Fingerdruck genügt, erkaltet das In- strument sofort und kann nun ohne Hast und ohne Aufwand be- sonderer Geschicklichkeit entfernt werden; kein Unheil ist dabei möglich. Das wichtigste, unersetzliche Instrument der Galvanocaustik ist die SchneidescMinge. Man legt, wie beim Acte des Abbindens, den Platindraht (dessen Stärke je nach Bedarf zu wählen ist) um den durchzutrennenden Theil an, steckt ihn dann in die isolirten Röhren des Drahtträgers und befestigt seine durch- und herausgezogenen Enden an eine Welle, welche es gestattet, die Enden beliebig rasch aufzurollen und dadurch die Schlinge zu verkleinern. Eventuell kann der abzutragende Theil auch in die schon vorher montirte Schlinge gefangen werden; wo dies thunlich ist, verliert man weniger Zeit. Der Draht muss kalt so fest angezogen werden, bis er die zu trennen- den Theile leicht einschnürt; erst dann öffnet man den Strom und bringt ihn zum Glühen. Würde im Beginne der Operation ein Ab- rutschen des Drahtes von der gewählten Abtrennungslinie zu be- fürchten sein, so bedient man sich zum Stützen und Festhalten des Drahtes an Ort und Stelle, gestielter Drahthälter, welche einfache Metallstäbe darstellen mit krückenförmigen Aufsätzen, in deren Aushöhlung Platz ist zur Aufnahme des Platindrahtes. Die glühende Schlinge soll man langsam verkleinern, damit sie genügend Zeit habe, die Gewebstheile zu verschorfen. Operirt man zu schnell, stehen Blutungen zu befürchten. Den jeweiligen Hitzegrad: halbe Rothglüh- hitze, ganze Rothglühhitze und Weissglühhitze, bestimmt das Quäle des Gewebes. Weissglühhitze trennt am schnellsten und gibt daher den dünnsten Schorf; blutreiche Gewebe dürfen daher nur mit roth- glühendem Drahte durchtrennt werden. Das galvanocaustische Messer ist aus einem plattgehämmerten, spitzbogenartig gekrümmten Platin- draht gestaltet, in Form eines kleinen Scalpells; die galvanocaustische Nadel ist ein doppelt zusammengelegter feiner Platindraht; der gal- vanocaustische Brenner, auch Porzellanbrenner genannt, besteht aus einem Porzellanknopfe, der an seiner Oberfläche spiralige Furchen trägt, in welchen ein Platindraht läuft. Der erglühende Draht erhitzt das Porzellan und bringt es secundär zum Glühen. Während der Application der Glühhitze muss den Nachbar- theilen der sorgfältigste Schutz vor einer unbeabsichtigten Einwirkung der strahlenden Wärme zu Theil werden. Operirt man an der Körper- oberfläche, so wird eine nasse Compresse, womit man die zu schützen- — 96 — den Tlioile sorgfältig deckt, den Zweck vullkommen erfüllen. Voülcmier empfiehlt, die betreffende Körperregion mit einer dicken Collodium- schichte zu überziehen, durch welche man nach stattgehabter Ein- trocknung einfach den Glutträger wirken lässt. Dieses Verfahren soll der Umgebung sicheren Schutz gewähren und auch den, der Cauterisation folgenden brennenden Schmerz auffällig verringern. Operirt man in Körperhöhlen, so schützt man durch Spateln oder durch Specula, welche aus einem die Wärme schlecht leitenden Ma- teriale gefertigt sein sollen — Holz, Hartkautschuk, Glas. Die einzige Anzeige zur Anwendung der Glühhitze als Trennungs- mittel gibt heutzutage das Bestreben, Blutungen zu verhüten, sei es, dass der durch- oder abzutrennende Körpertheil sehr blutreich ist und die voraussichtliche Blutung anatomischer Verhältnisse halber sich der Anwendung anderer Bkitstillungsmittel entzieht, sei es, dass man an Hämophilie leidende Subjecte zu operiren hat. Eine zweite Anzeige gab in früherer Zeit das Bestreben, septische Localinfection zu verhüten, insofern als man die frische Wunde mit einem schützen- den Brandschorfe bedeckte. B. Percutane Trennung der Knochen. Die Durchtrennung knöcherner Körpergebilde kann eine totale sein, also mit Aufhebung der Continuität, oder nur in einem par- tiellen Abtragen von einzelnen Knochenschichten bestehen, bei Er- haltung des Knochens als Einheit. Das percutane Trennen von Knochen erheischt zuvörderst ein Biossiegen derselben, worunter namentlich ihre Entblössimg von der Beiniiaut sensu strictiori verstanden wird. Beim Abtrennen von Knochen in einer Ebene kann die Beinhaut entweder entsprechend der Trennungsebene durchschnitten werden — Periostschnitt — oder es kann von jenem Theile, welcher peripher von der Trennungslinie liegt, eine Partie in Form von Lappen er- halten und bis zur Trennungslinie abpräparirt werden — Periost- erhaltung. — Das Verhalten des Chirurgen entscheidet der Umstand, ob der abgetrennte periphere Theil erhalten bleibt, die Durchtrennung sonach nur eine temporäre Bedeutung hat, oder ob der abgetrennte Theil wegfällt. Im ersten Falle muss das Periost stets in der Tren- nungslinie des Knochens sorgsam durchschnitten werden, damit es während der Durchtrennung nicht mechanisch leide, da es doch für die fernere Ernährung beider Knochentheile von wesentlichster Be- deutung ist. Die Durchschneidung der Beinhaut geschieht dann durch ein scharfes Messer, genau entsprechend der intendirten Trennungs- ebene des Knochens; als Beispiel gelte eine temporäre Knochendurch- trennung, welcher die Wiedervereinigung der Knochenenden auf dem Fusse folgt. Fällt jedoch der periphere Knochentheil weg, gieichgiltig ob mit oder ohne den umgebenden Weichtheilen — Amputation oder Resection — so kann entweder der Periostschnitt in der Trennungs- ebene, oder eine Erhaltung von Periostlappen aus dem wegfallenden Knochentheile platzgreifen. Behufs Erhaltung von Periost, deren Be- deutung theils in einer Deckung der Knochenwunde, theils in der osteogenetischen, knoehenneubildenden Eigenschaft der Beinhaut — 97 — gelegen sein kann, muss es vom Mutterboden abgelöst und vom Operationsplanum provisorisch zurückgeschlagen werden. Die Ab- lösung der Beinhaut besteht in der Trennung jener bindegewebigen Fortsetzungen, welche das Periost am Knochen binden, und jener Gefässe, welche von der Beinhaut zu den Gefässcanälchen der Knochen- substanz laufen. Diese Abtrennung geschieht auf stumpfe Weise; je weniger man schneidende Werkzeuge dazu verwendet, desto besser, weil dabei eine mögliche directe Verletzung der Beinhauttextur sicherer unterbleibt und dies für die künftige Ernährung und Er- haltung der abgelösten Beinhaut von grösster Bedeutung ist. Sie zu sichern, soll ein Hauptbestreben des Operateurs sein und empfiehlt es sich, diesbehufs dem Perioste auch die Blutgefässzufuhr von aussen Fig. 28. Fig. 29. zu erhalten. Man legt daher die Beinhaut nicht in der Fläche bloss, sondern erhält ihre Verbindung mit den äusseren Gewebsschichten nach Möglichkeit. Man trennt also letztere mit der Beinhaut an den gewünschten Stellen zugleich durch und erhält so ihre äusseren Ge- fässbeziehungen. Das Ablösen des umschnittenen Periostes geschieht, wie gesagt, auf stumpfe Weise, sei es einfach durch Abziehen des Periostlappens, indem man den gelockerten Rand mit zwei Finger- spitzen fasst und ihn dann abzieht, etwa wie die Hülle einer frischen Feige, oder indem mit Hilfe von Instrumenten vom Rande her die Beinhaut vom Knochen abgestreift wird, oder endlich drittens, indem ein stumpfes Instrument zwischen Beinhaut und Knochen langsam eingeschoben und erstere von letzterem mit Vorsicht abgehebelt wird. Das erste Verfahren ist das mildeste, gelingt aber nur bei chronisch entzündeten Knochen, wobei theils eine Verdickung des Periostes und V. Mosetig-Moorhof: Handbuch d. chinirg. Technik. 4. Aufl. 7 — 98 — tlieils eine Lockerung seiner Verbindungen einzutreten pflegt. Die Instrumente zum Abschieben der Beinhaut nennen sich Raspatorien, jene zum Abhebein Elevatorien. Erstere stellen, im Allgemeinen be- trachtet, mehr minder scharirandige, flache, kurze Stahlschaufeln dar, verschieden an Form und Grösse, deren kurzer Stiel in einen starken handlichen Griff eingelassen ist; sie werden in die volle Hand genommen, der Zeigefinger auf den Rücken der Schaufel gelegt (Fig. 2s) ; letztere sind flache, meistens der Fläche nach schwach- gekrümmte, an allen Rändern stumpfe Hebel. Ihre Haltung ist jener für Raspatorien angegebenen gleich (Fig. 29). Die Durchtrennung des blossgelegten Knochens wird, wenn sie eine totale sein soll, durch sägende oder durch schneidende Instru- mente vorgenommen; erstere sind gebräuchlicher. Je nach der Con- struction unterscheidet man : Bogensägen, Blattsägen, Messer- oder Stich- sägen, Kettensägen, Rundsägen. Die Blattsägen haben mehr historischen Werth und können füglich übergangen werden. Bogensägen (Fig. 30) sollen möglichst dünne und schmale Sägeblätter besitzen, weil diese, wenn scharf, am leichtesten arbeiten und den Knochen am wenigsten Fiij. 30. erhitzen. Sie besitzen auch den Vortheil, dass mit ihnen nicht nur in einer geraden Ebene, sondern eventuell auch rund gesägt werden kann, ein Vortheil, der bei der Lehre der Amputationen und Resectionen ausführlicher zur Sprache kommen wird. In der abgebildeten Säge geschieht das Einspannen und Entspannen des Sägeblattes durch den längshalbirten Griff, dessen oberer in einem Charnier beweglicher Theil hebelartig auf die Bogenstange wirkt, eine Vorrichtung, welche, wie ich glaube 8zymano%vski einführte; ferner sind die Bogenarme nahe ihren Enden gegliedert, so dass das Sägeblatt auch ausserhalb der Bogenebene stellbar ist. Wenn ausser Verwendung, soll bei diesen Sägen das Sägeblatt nie im Bogen gespannt gelassen werden, da sonst durch Nachlass der Bogenkraft mit der Zeit die Spannung leidet. Dank der Hebelvorrichtung ist auch die Procedur des Ein- und Ausspannens leicht und im Momente geschehen, da das Blatt in den Bogen nur eingehakt zu werden braucht. Aeltere Sägen haben festgenietete Blätter, welche man nur durch Schraubenwirkung be- züglich der Spannung reguliren kann. Es entfällt die frühere Ein- theilung in grosse oder Amputations-, und in kleine oder Phalangen- sägen weg, da die jetzigen Bogensägen mit ihren dünnen, schmalen, fast laubsägeartigen Blättern für alle Zwecke genügen. Beim Acte des Sägens nimmt man den Griff in die volle Faust; bis nicht eine - 99 Fig. 31. Furche im Knochen eingesägt ist, fixirt man die Linie dadurch, dass man den Daumen- oder Zeigefingernagel linker Hand mit seinem freien Rande, entsprechend der Sägeebene, auf den Knochen ansetzt und nun die Säge anfänglich an der Nagelfläche gleitend wirken lässt, bis eine Furche gebildet und ein Ausfahren der Säge aus der gedachten Ebene nicht mehr möglich ist. Man führe die Säge mit leichter Hand und, um nicht festzufahren, stets in gleichen, ruhigen, ganzen Zügen, ohne mit den Bogenarmen anzustossen. Durch das intensive Reiben am Knochen erhitzt sich das Sägeblatt proportiona- liter zur Raschheit der Action. Da- mit die Hitze des Metalles die Säge- fläche des Knochens nicht afficire, pflegt man das Operationsgebiet wäh- rend des Sägens mit kalter asepti- scher Lösung langsam zu irrigieren. Die Bogensägen verlangen eine gänz- liche Entblössung und eine allseitige Zugänglichkeit des Knochens, um überhaupt Anwendung finden zu können. Wenn dieses Postulat nicht vorhanden ist oder nicht vorhanden sein kann, bedient man sich der Messer- oder Stichsägen oder der Ketten- sägeu (Fig. 31). Erstere erfordern wenigstens eine freie Ebene, letztere überhaupt nur einen Zugang zum entblössten Knochen, daher ihre Einführung ge- wöhnlich eines bogenförmigen Leiters, Nadel, gekrümmter Oehrsonde etc. bedarf. Die Griffe — einfache Quer- balken — werden erst nach Ein- führung der Säge angesetzt und be- sitzen hierzu theils Haken, welche in das Oehr der letzten Kettenglieder passen, theils Klemmen, um beim et- waigen Abreissen einer Gliederreihe während der Operation, den nun öhrlosen Endtheil noch fassen zu können. Gigli hat eine sehr prak- tische und daher zu empfehlende, vorzüglich arbeitende Drahtsäge in der Stärke von »vGü Millimeter Durchmesser angegeben, deren glatte Endstücke zu Oesen umgebogen sind. Der Draht ist rauh gemacht und bilden die kleinen Erhöhungen ein mehrgängiges Schraubengewinde. Das Führen der Säge vermitteln die bei der Kettensäge gebräuchlichen Quergriffe, welche in die Oesen ein- gehakt werden. Beim Sägen mache man den Bogen nicht zu spitz, sondern halte die Griffe möglichst weit voneinander, auch unterlasse man das Abkühlen, welches den Draht brüchig macht. Auch bei Be- nützung der Kettensäge gilt die gleiche Warnung. Die Drahtsäge ist stark in Gebrauch, da sie billig ist und eine Sterilisirung leicht ge- — 100 — stattet. Messer- und Stichsäij:en nimmt man in die volle Hand, das Griffende stemmt in die Hohlliand, der ausgestreckte Zeigefing'er be- lastet den Sägerücken. Das Sägen soll in möglichst raschen kurzen Zügen unter strenger Einhaltung der Sägeebene ausgeführt werden; man meide sorgsam das Anstossen mit dem freien Sägeende. Die Griffe der Kettensäge hält man mit den Volarflächen der geschlossenen Zeige- und Mittelfinger, während die Griffstange zwischen beiden durchtritt. Die Säge wird so gestellt, dass sie, um den Knochen her- umgelegt, mit diesem je einen Winkel bildet, der oftmals zu einem rechten wird, ja dass gar die Kettenarme parallel zu einander laufen. Je offener der Winkel, desto leichter gestaltet sich das Sägen. Wegen der nothwendigen Breite und relativen Stumpfheit der Säge (bei Stich- und Kettensägen) ist der Insult für den Knochen selbst gewiss Fig. 32. intensiver als bei der Anwendung der Bogensäge, denn ihre Wirkung ist mehr weniger jener einer gröberen scharfen Feile gleich, daher auch nur die absolute Nothwendigkeit ihren Gebrauch rechtfertigen kann. Der Rundsägen bedient man sich meistens nur bei breiten, höchst selten bei langen Knochen, um aus ihnen ein rundes Segment her- auszutrennen. Meissel und Hammer haben sie gegenwärtig auch aus diesem Gebiete grossentheils verdrängt. Ollier hat eine Rotationssäge angegeben, welche ganz vortrefflich zu wirken scheint; man kann mit ihr Knochentheile ganz beliebiger Form und Grösse excidiren. Wie Fig. 32 es zeigt, wird sie durch Kurbeldrehungen in Action versetzt und gleicht im Wesen den in Fabriken so viel verwendeten Circular- sägen. Viel zweckmässiger dünkt mir ein ähnlicher Apparat, den Mechaniker Schulmeister construirt hat. Er ist ähnlich der bekannten amerikanischen Zahnbohrmaschine, wird auch mittelst eines Fussbrettes — 101 — bewegt und hat nur ein etwas grösseres Rad und eine stärkere Feder Da bei dem OUier'schen Apparate die Handhabe der Säge stets stark gespannt werden muss, entfällt die leichte und sichere Function der Säge, während beim Apparate Fig. 33 die Rotation durch eine roti- rende Stahlfeder der Säge übertragen wird, diese somit vom Operateur nach Belieben dirigirt werden kann. Gegenwärtig benützt man Cir- cularsägen, welche in der Mitte zweier divergirender Handhaben laufen, so dass man sie sicherer zu halten vermag. Bei Verwendung von Sägen muss stets für einen Schutz der bedrohten Weich- theile gesorgt werden. Hier- zu dienen entweder die Fin- ger, welche jene abziehen, oder Compressen aus asepti- schem Materiale, oder end- lich Haken, Glasspateln etc. Zum Fixiren des Knochens während des Sägeactes ver- wendet man bei Benützung der Bogensäge entweder die Hände von Gehilfen oder eigene Zangen von denen später die Rede sein wird. Das Fixiren des Knochens ist sehr wichtig, da sonst ein Einklemmen der Säge durch die gegenseitige An- näherung der Sägeflächen gegen das Ende des Säge- actes, oder das Gegentheil davon, ein Abbrechen der letzten Knochenleiste erfol- gen kann. Seltener werden zum Durchtrennen ganzer Kno- chen schneidende Instru- mente benützt. Schwache Knochen, wie etwa Rippen- stücke, können allerdings mit scherenförmigen Instrumenten — Knochenscheren — durchschnitten werden, starke Knochen, wie der Unterkiefer etc., sind dafür nicht geeignet, es sei denn, man bedient sich solcher Knochenscheren- Monstra wie Maisonncuve seinerzeit. Meistens dienen die gebräuchlichen Knochenscheren und Kneipzangen zum Abzwicken von gesplitterten Knochenenden, oder zur partiellen Entfernung nicht sehr widerstands- fähiger Knochentheile, beispielsweise der Alveolarfortsätze u. a. m. (Fig. 34). -.—^ 102 — Zur partiellen Abtragung einzelner Knochenschieliten oder selbst ganzer Knochenwandungen, Operationen, die unter dem Collectiv- namen: Resectionen rangiren, bedient man sich meistens schneidender Instrumente, welche Meissel genannt werden. Der Meissel ist für den Knochen, was das Scalpell für die Weichtheile; das eine macht gleich dem anderen, wenn von kunstgeübter Hand geführt, glatte ebene Wunden. Man unterscheidet hohle und flache Meissel, mit queren oder schrägen Schneiden. Schneidet man spongiöse Knochen, so genügt der Handdruck zur Führung des Meisseis: dann besitzen diese kleine, aber breite, pilzähnliche Holzgriffe, um sie recht fest in die Hohlhand Fig. u Fig. 35. stützen zu können. Bei harten Knochen bedarf es aber der Hammer- wirkung, um sie in Action zu setzen, und dann haben die Meissel längere Griffe, ähnlich jenen, deren sich die Steinmetze oder Bild- hauer bedienen. Als Hammer dient das erste beste hierzu geeignete Stück Holz; ein Holzhammer, wie ihn die Köchinnen zum Schlagen des Zuckers benützen, ist zum diesbezüglichen chirurgischen Gebrauche vorzüg- lich geeignet. Das Unzweckmässigste sind eiserne Hammer, weil sie den Knochen viel mehr erschüttern als wenn beim Schlagen Holz mit Metall zusammentrifft. Daher auch die chirurgischen Hammer an den Klopfflächen mit Blei gefüllt oder mit Holz montirt sind (Fig. oö). Beim percutanen Abtrennen eines Knochentheiles mittelst Meissel und — 103 Hammer sind folgende allgemeine Regeln zu beachten: a) Man lege die Schneide des Meisseis schief zur Ebene des Knochens an, da hierbei die Schneide leichter eindringt und den Knochen nicht splittert. h) Man applicire kurze elastische Hammerschläge, deren Kraft dem Widerstände des Knochens proportional sei. Beim Hämmern wirke nur das Handgelenk, nie der ganze steifgehaltene Arm. c) Man beab- sichtige nicht gleich anfangs tief in den Knochen eindringen und grössere Stücke auf einmal abtrennen zu wollen, entferne öfters den Meissel aus der schon geschnittenen Rinne, um ein Festrammen des Meisseis zu verhindern, welches das Ausziehen des Instrumentes erschwert und wobei ein Abspringen von Stücken aus der Meisselschneide leicht zu Stande kommt. Den Meissel halte man wie der Handwerker es thut, nämlich in der vollen Faust, den Daumen nahe dem Griffende. Die jeweilig abgelösten Kno- chentheile werden sofort entfernt mit Hilfe anatomischer Pincetten oder Korn- zangen, je nach ihrer Grösse. Stufen, Ecken und Kanten im Knochen zurückzulassen muss vermieden werden. Ränder und Flächen sollen nach beendeter Operation eben und glatt sein. DasAbglätten geschieht am leichtesten mit einem breiten Hand- meissel, den man hobelnd über die Kno- chenfläche führt. Hohlmeissel eignen sich dazu besonders gut. NeJaton verwendete gerne eine Hohlmeisselzange, um vor- springende Ecken und Kanten abzuknei- pen, Fergusson eine winkelig geknickte Kneipzange. Eine weitere Art der Knochentren- nung, welche ihrem Wesen nach dem Stechen der Weichtheile in einem gewissen Sinne entspricht, ist die Anbohrung, Sie bezweckt entweder Flüssigkeitsentleerung aus tief gelegenen Knochenhöhlen, oder sie stellt einen Voract zu weiteren Opera- tionen dar, welche entweder weitere Trennungen, zumeist jedoch eine genaue Vereinigung getrennter Knochentheile anstreben. Es dienen hiezu eigene Instrumente, Knochenbohrer genannt. Sie stellen theils winzige Kreissägen dar (.Fig. 36 a), theils spitzzulaufende scharfgeränderte Dreiecke, wie im Perforativtrepan, theils sind es geöhrte nadeiförmige Bohrer (b in Figur 3(J), welch letztere zur Knochennaht dienen. Alle diese Instrumente passen in einen soliden Griff, auf welchem eine durch Kurbel drehbare Transmissions- vorrichtung angebracht ist, durch welche eben die kreisförmige Drehung des Bohrers hervorgebracht wird. Man kennt noch Drill- bohrer und Bogenbohrer, deren Unterschied bloss im Getriebe liegt; erwähnenswerth ist endlich noch der Bohrer von Brainard, der an einem einfachen starken Holzgriffe angebracht ist, bei dem also die — 104 — Drehbewegungen ohne weitere Vorrichtungen nur von der Hand allein bewerkstelligt werden. Wird die Tunnelirung eines Knochens angestrebt, etwa um zu weiteren trennenden Eingriffen Platz zu schaffen, wobei natürlich derBohrcanal einer bedeutenderen Lichtung bedarf, so wird von den oben erwähnten Kreissägen oder vom Per- forativtrepan Gebrauch gemacht. IV. Capitel. Blutige Gewebs Vereinigung. Die blutige Vereinigung von Weichtheilen, von der ausschliess- lich vorderhand die Rede sein soll, die Wundnaht, bezweckt ein inniges und genaues Aneinanderhalten zweier Wundflächen behufs rascher Verklebung. Man s^Dricht von einer Primärnaht, wenn frische, zur prima intentio-Heilung geeignete Wundflächen vereinigt werden; von einer Secundärnaht, wenn rein granulirende Flächen in gegenseitigen Contact zu bringen sind. Weiters nennt man Nähte, welche in der Tiefe von Wunden angelegt werden, innere oder versenkte; solche, welche die Oberfläche vereinigen, äussere, und zwar oberflächliche und tiefgreifende. Man kennt endlich noch eine Naht, welche sich weniger durch die Anlegungsweise, als vielmehr durch ihren Zweck von der eigentlichen Wundnaht unterscheidet, indem sie mehr eine Entspan- nung der Nahtstelle als eine unmittelbare directe Berührung der Wundflächen bezweckt; sie unterstützt also nur die Wundnaht, insofern sie jede Zerrung der betreffenden Wundschichten verhindert und dem Ausreissen der Nähte vorbeugt. Man nennt sie Entspannungsnaht. Zum Nähen braucht man Nadeln oder Stifte, weiters Nähmaterial und, wenigstens für einige Arten der Naht, auch einiges Zugehör. An jeder chirurgischen Nadel unterscheidet man: die Spitze, die Doppel- schneide, den Körper und das Oehr, von dem aus zwei Halbrinnen zum Nadelende führen. Durch die Schneide unterscheidet sich die chirurgische Nadel von der gewöhnlichen Nähnadel, die nur eine scharfe Spitze trägt, welche allmälig in den Körper der Nadel über- geht. Immerhin benützt man nach diesem Systeme construirte krumme Nadeln, w^elche man Troisquartnadeln nennt, zu Darm- und Nerven- nähten, weil sie keine klaffenden Stichcanäle zurücklassen. Die Doppelschneide der chirurgischen Nadel wird durch Abplatten des Körpers und Schärfen beider Ränder gewonnen, sonach der feine, durch das Durchziehen der Nadel erzeugte Wundcanal scharfe Ränder hat und gewöhnlich um ein Geringes grösser ausfällt, als eigentlich zum Durchleiten des Nadelkörpers und des Nähmateriales absolut nothwendig wäre; ein Umstand, welcher einer sonst noth wendigen Quetschung des Wundcanales vorbeugt. Man hat gerade und krumme, lange und kurze Nadeln, grossen, mittleren und kleinen Calibers. Die Krümmung entspricht für gewöhnlich einem Kreissegmente. Während die Nadeln ausnahmslos aus Stahl sind, werden die Wundstifte meistens aus Silber gefertigt und tragen eine abnehmbare lanzen- förmige Schneide aus Stahl — Lanzenstifte. Statt ihrer kommen bei — 105 — kleineren Wundflächen vielfach auch Karlsbader Nadeln zur Anwen- dung, id est verschieden calibrirte Stecknadeln, deren Körper nicht allmälig, sondern rasch zur Spitze abfällt. Grosse gekrümmte Nadeln und Stifte werden mit freier Hand geführt. Die Nadeln fasst man nahe dem Oehr zwischen Daumen und Zeigefinger, während der Mittelfinger den Körper stützt, und führt sie genau entsprechend der Richtung ihrer Achse. Stifte werden zwischen Daumen und Mittelfinger in der Mitte ihrer Länge gehalten, der Zeigefinger am stumpfen Ende als Drücker angelegt. Kleinere Wund- und Karlsbader Nadeln erfordern zur Haltung und Führung eigene Instrumente, welche man Nadelhalter nennt. Deren Varianten in Betracht der Verschiedenheit ihres Baues, ist gross; es genüge die Illustrirung der gebräuchlichsten (Fig. 37). Die Nadeln werden am Ende der kurzen Fassarme in jener Stellung geklemmt, welche für die jeweilige Benützung als die bequemste erscheint; das Einklemmen besorgt die Hand, oder eigene Sperrvorrichtungen. Zur Nahtanlegung in der Tiefe von Hohlorganen: Scheide, rectum, Rachen u. s. w. Fio; haben Küster und Hagedorn sehr zweckmässige gekrümmte Nadel- halter angegeben, welche die Beschattung des Operationsterrains durch die Hand verhindern und die Führung erleichtern. Um die Nadelhalter theilweise zu ersparen, hat man auch gestielte Nadeln con- struirt, welche an einem festen Griffe stecken; bei diesen befindet sich das Oehr stets vorne, unmittelbar hinter der Schneide. Es gibt gerade, stumpfwinkelige, kreissegment- und spitzbogenartig gekrümmte Stielnadeln. Bei ihrer Verwendung muss nach Einführung der mit dem Faden versehenen Nadel ersterer aus dem Oehre herausgeholt werden, wozu ein kleines gestieltes halbstumpfes Häkchen dient, falls die Lanze nicht etwa vom Stiele abnehmbar wäre. Um dieses Ausfädeln, welches zeitraubend ist und worunter die Integrität des Fadens leiden kann, zu ersparen, hat Reverdln eine gestielte Nadel mit einem Oehr construirt, welches sich mittelst einer Feder seitlich be- liebig öffnen oder schliessen lässt und den Faden im Momente ein- oder auszutreten gestattet (Fig. 38 a) ; V. v. Bruns eine gestielte Hohl- nadel mit einer winzigen doppelarmigen Klammer, welche nach Belieben vorgeschoben oder zurückgezogen werden kann, sich dabei öffnet und schliesst, mit der Bestimmung das Fadenende zu fassen oder loszu- lassen. Derlei Instrumente verdienen aber nicht mehr den Namen 106 Fiff. 38. gestielte Nadeln, sondern heissen Nadelwerkzeuge, und auch deren Millimeter Durchmesser), wenn auch sehr langsam, so denn doch aspirirt werden können. Ist die Pumpe voll — ein kleiner Luftraum neben dem Stempel bleibt wohl stets übrig, er heisst „der schädliche Raum" — so wird der Sperrhahn, welcher der Hohlnadel entspricht, sorgsam gesperrt und der zweite geöffnet. Man dreht dann den Stempel nach links, entfernt ihn dadurch vom Haltezapfen und drückt ihn hinunter; dabei wird der Inhalt der Pumpe bei offenem Hahn direct oder durch ein an- gelegtes Gummirohr entleert. Nun wird auch der zweite, bisher offene Hahn wieder gesperrt, die Luftverdünnung neuerdings erwirkt u. s. f. Beim Aspirateur ä cremaillere wird bei voller Pumpe nur der Knopf gehoben und durch Achsendrehung verstellt; dadurch ist der Zahn- verschluss geöffnet und der Stempel kann durch den Schlüssel nach geöffnetem Hahn hinabgedreht werden. Beim Wiederaufziehen ist der Knopf wieder einzustellen, wodurch der Zahnverschluss der Stange sofort in Action tritt. Dass man die beiden Dienlafoj/ sehen Apparate abwechselnd zur Extraction und zur Injection benützen kann, ist selbstverständlich. Es kann demnach eine Höhle entleert, ausgewaschen und schliesslich medicamentös injicirt werden, ohne dass Lufteintritt möglich wäre, vorausgesetzt, dass die Bedienung der Hähne stets eine richtige ge- wesen ist. Die Raschheit und Gewalt der Aspiration lässt sich durch die Auswahl im Caliber der jeweiligen Hohlnadel oder Troisquarts und durch halbes oder volles Oeffnen der Sperrhähne nach Belieben regeln. Zu Injectionen ist der Potain^sche Aspirateur weniger gut verwendbar, möglich sind sie wohl immerhin. Andere, auf gleiche Principien fussende Aspirateure sind auch angegeben worden von Bresgen, Chicaf, Weiss, Leiter, Nyrop u. A. Die Aspiration hat insbesondere zu diagnostischen oder Explo- rationszwecken eine grosse Bedeutung. Der früher gebräuchliche, oben erwähnte Explorativtroisquart wird selten mehr verwendet, vielleicht nur im Nothfalle, wenn gerade kein Asph'ator zur Hand — 123 — wäre. Es ist begreiflich, dass er sehr oft im Stiche lässt, wenn der Höhleninhalt sehr dick ist, oder wenn die betreffende Flüssigkeit unter negativem Drucke steht. Beiden Momenten wird die Aspiration gerecht, ja selbst Theilchen von Geweben wurden durch den Aspi- rator von Dieulafny, wenn er in volle Thätigkeit versetzt war, hie und da in den Anf angstheil der Hohlnadel hineingerissen und dienten dann zur Feststellung der Diagnose. Immer ist dies freilich nicht der Fall. Die kleine Pravaz'sohe Spritze kann nur bei dünner Flüssigkeit im Xothfalle als Aspirator dienen. Zu Entleerungszwecken ist die Aspiration nur mit Vorsicht zu benützen, denn ganz gefahrlos ist sie nicht immer. Namentlich wenn die Aspiration zu gewaltsam vollzogen wird, die Flüssigkeit unter negativem Drucke steht und die Höhlen- wandungen nicht sehr nachgiebig sind, kann es sehr leicht innerhalb der Höhle zij Hämorrhagien ex vacuo kommen. Will man zu diagnostischen Zwecken aus festen Tumoren etwas Gewebe entnehmen behufs mikroskopischer Prüfung, so excidirt man daraus ein kleines Stückchen. Dieses Vorgehen hat unter Einhaltung- strenger Antisepsis keine so wesentlichen Nachtheile im Gefolge, als in der vorantiseptischen Zeit. Man kann aber auch subcutan zum Ziele gelangen, wenn man kleine abgeschlossene Hohlnadeln, die im Inneren eine kleine Harpune bergen, in den fraglichen Tumor ein- führt und sie hierauf einigemale um die eigene Achse dreht. Die Schneide der Hohlnadel trennt einige Gewebspartikelchen ab, welche dann, durch die Harpune festgehalten, extrahirt werden können. Küchenmeister, v. Biuns u. A. haben derlei zweckdienliche Instrumente erdacht. IL Zur Entfernung von Knochec splittern bedient man sich, je nach ihrer Grösse, entweder gewöhnlicher Pincetten oder der stärkeren Kornzangen, welche man auf dem untersuchenden Finger bis zum Splitter führt, denselben rein, d, h. ohne Mitfassen von Nachbar- gewebe fasst und auszieht. Diese Procedur setzt voraus, dass die Knochensplitter vollständig vom Mutterboden abgetrennt seien. Haften sie noch an der Beinhaut, so sind sie nur dann zu extrahiren, wenn ihr Verbleib entweder verletzend auf die Weichtheile einzuwirken vermöchte, oder wenn sie der Coaptation etwaiger Bruchstücke hin- derlich im Wege stehen. Grössere, an der Beinhaut noch haftende Splitter, welche reponibel sind, dürfen nicht immer entfernt werden, da sie ja am Mutterboden wieder anwachsen können, wenn ihre eigene Ernährungszufuhr wenigstens noch theihveise erhalten ist. Hängende Splitter werden, wenn man sie entfernen will, mit der Schere abge- schnitten, eventuell können sie auch von der Beinhaut abgelöst werden, Secundäre Knochensplitter sind solche, die anfänglich in der Wunde belassen, nachträglich necrotisch wurden und daher jeder Verbindung entbehren. Genuine, aus Entzündungsprocessen hervor- gegangene Necrosen erfordern zumeist eingehendere operative Ver- fahren. Necrotische Knochenstücke sollten nur dann zur Operation gelangen, wenn sie sich bereits vollständig von der Umgebung los- getrennt haben und beweglich geworden sind; man nennt sie dann Sequester. Handelt es sich um eine superficielle oder totale Necrose, dann ist nur eine Trennung der Deckweichtheile nothwendig, um sie abhebein und ausziehen zu können. Schwierig^er zu entfernen sind - 124 — interstitielle oder central gelegene Sequester, denn sie lagern in Knochenhöhlen — Cloaken genannt — welche in der Regel nur durch relativ kleine Oeffnungen jnit der Aussen weit communiciren und deren Wandungen 7Aimeist sclerosirt sind. Um dem Sequester beizu- kommen, muss demnach nebst den Weichtheilen auch die vorliegende Cloakenwand so weit abgetragen werden, als eben nothwendig ist behufs leichter Entfernung des Sequesters. Am allerbesten ist es, man trägt so viel ab, dass die Höhle zu einer Halbrinne wird. Man geht dabei so vor, dass zunächst die Cloakenwand durch Abhebung der Beinhaut blossgelegt und sie hierauf mit Meissel und Hammer in genügendem Umfange abgetragen wird. Da die Cloakenhöhle stets septische Keime birgt, ist eine häufige Berieselung oder Ausspritzung derselben mit antiseptischen Lösungen während des Operirens drin- gend zu empfehlen. Ist einmal der Sequester blossgelegt, so schreitet man zur Extraction. Hat man die Cloake an einem ihrer Endpunkte eröffnet, so kann der Sequester an seinem vorliegenden Ende gefasst und ausgezogen werden Obwohl nun der Sequester als völlig los- getrennter Fremdkörper in der Cloake liegt, ist dessen Entfernung manchmal ziemlich schwierig und erfordert grosse Kraftanwendung, weil er meistens unregelmässig geformt ist, dünnere und dickere Abschnitte besitzt. Andererseits ist nicht zu vergessen, dass, da die Cloakenmündungen seitlich liegen und demzufolge auch die Auf- meisselung der Cloakenwand an der gerade vorliegenden blossgelegten Knochenwand vorgenommen wird, der Sequester aber mehr weniger in der Achse des Knochens lagert, dessen Extractionsrichtung folge- richtig einen Winkel zur Achse bilden muss, ein Moment, der die Schwierigkeiten der Exairese wesentlich erhöht. Man muss daher stärkere Fassinstrumente hierzu nehmen als gewöhnliche Kornzangen, sie heissen Sequesterzang'en (Fig. bl a). Oftmals gelingt die Extraction leicht und man entfernt den Sequester als Ganzes, oftmals bricht er in Folge der angewandten Zuggewalt ab, dann entfernt man den Rest stückweise; manchmal endlich muss man ihn schon a priori mitten entzwei brechen und dann jede Hälfte für sich ausziehen. Dies ist namentlich dann nothwendig, wenn man die Cloake nicht an einem ihrer Enden, sondern etwa in der Mitte geöffnet hätte und man demnach auch auf die Mitte des Sequesters stösst. Glücklicherweise ist der Sequester meistens morsch und das Entzweimachen desselben daher nicht besonders schwer. Man bricht ihn entweder durch Hebel- wirkung oder man durchschneidet, durchmeisselt ihn. Fig. 51 & stellt einen Knochenhebel dar. Mit einem seiner stumpfen Enden dringt man an die Unterfläche des Sequesters ein; das Hypomochlion gibt die Cloakenwand ab, die Gegenstützen die oberen noch erhaltenen Reste der Cloakendach Wandungen. Ein kräftiger Ruck führt meistens zum Ziel; oder man fasst den Sequester mit der Sequesterzange und bricht ihn gleichfalls durch Hebelwirkung oder durch seitliches Drehen der Zange, v. Brtins hat eine Sequesterzange angegeben, deren eine Hälfte zugleich auch als Knochenhebel benützt werden kann, wenn man die Zange durch Oeffnen der Schlossverbindung in ihre zwei Componenten zerlegt. Das Durchschneiden des Sequesters geschieht mit einer kräftigen Knochenschere, falls Platz für ^ das Einführen ihrer Arme vorhanden; das Durchmeisseln mit einem scharfen Meissel 125 — und durch starke Hammerschläge auf den durch den Hebel empor- gehaltenen und fixirten Sequester. Ist dieser einmal in toto entfernt, wovon man sich stets genau überzeugen muss, dann schabt man die Knochenlade von den Granulationen rein und spült sie gründlich aus. Ist einmal der Sequester entfernt und alle Granulation auf das sorgfältigste ausgeschabt, so dass eine reine von ebenen Knochen- wänden geformte grössere oder kleinere Höhle zurückbleibt, so muss der Operateur sein Augenmerk darauf richten, dass die Knochenhöhle auch der Heilung zugeführt, beziehungsweise diese beschleunigt werde. Sich selbst der Granulation überlassen, würde die Ausfüllung der Höhle, wenn sie grössere Dimensionen hat, enorme Zeit in An- spruch nehmen, eventuell gar nicht zu Stande kommen. Das Hinderniss der Heilung ist die Fig. 5i. Starrheit und Unnachgiebigkeit der Knochen- wandungen, welche eine gegenseitige Annäherung nicht zulassen. Man hat nun diesem Uebelstande auf mehrfache Weise abzuhelfen gesucht, und zwar o) durch eine möglichst flache Gestaltung der Knochenhöhle durch Abstemmen der Seiten- flächen bei sorgfältiger Erhaltung der Beinhaut, welche dann sammt der beweglich gemachten Deckhaut möglichst in das Bett des Defectes ge- zerrt und dortselbst durch Annagelung mit Stiften oder Einstülpungsnähten fixirt wird. Wenn die stark unterminirte, eventuell durch Entspannungs- schnitte mobilisirte Haut an die Knochenwan- dungen anwächst, so ist allerdings dadurch die Heilung beschleunigt, allein die Verunstaltung bleibt eine grosse da die tiefe Mulde wohl ver- narbt, aber nicht ausgefüllt zurückbleibt, h) Durch Ausfüllung der Knochenhöhle mit organischem oder unorganischem Materiale, welches den Zweck hat, entweder an der Ausfüllungsnarbe zu parti- cipiren oder nur temporär zu verbleiben, bis die Knochengranulation es aufzehrt und substituirt, oder endlich als Fremdkörper tolerirt zu werden. Das verbleiben sollende organische Material kann nur lebendes Gewebe sein: Knochen, oder von der Umgebung entlehnte Weichtheile; das resorbirbare Material: Blut, oder decalcinirter Knochen. Als Ausfüllungsmaterial, welches tolerirt werden soll, nimmt man unorganische Stoffe und benennt das Ver- fahren der Analogie zu den Zahnplomben wegen Knochenplomben. Die Ausfüllung von Knochenhöhlen mit lebendem Materiale — Autoplastik — ist jener mit fremden — Heteroplastik — entschieden vorzuziehen, da sie dem Begriffe einer restitutio ad integrum am besten entspricht. Um die Technik der Autoplastik hat sich af Schulten besondere Verdienste erworben : Knochenhöhlen der tibia füllt er theilweise aus, indem er die Seitenwandungen der zurechtgemeisselten Cloaken ohne Verletzung der Beinhaut thürflügelartig mobilisirt und einbricht, während er zur Ausfüllung von Knochenhöhlen im femur Brückenlappen aus der Muskulatur und dem Perioste der nächsten Um- — 12G — yebung entnimmt. Die Ausfüllung der Knochenhöhle mit gerinnendem Blute, ist ein von Schede ersonnenes Verfahren. Die wohlgereinigte aseptisch gemachte Knochenhöhle lässt man nach Abnahme der Con- strictionsbinde mit Blut volllaufen und vernäht sodann die äussere Wunde der Weichtheile. Das Blut gerinnt und der modellirte Blut- tampon bleibt in situ bis er von der Granulation verzehrt, der de- finitiven Vernarbung weicht. Es wird dadurch, da kein Hohlraum 7Airückbleibt, die Eiterung und alle ihre nachtheiligen Folgen ver- hindert. Einen ganz ähnlichen Zweck verfolgt die Ausfüllung der Knochenhöhle mit decalcinirten Knochen nach Senn. Senn will Knochenhöhlen dadurch zur raschen Vernarbung bringen, dass er sie mit aseptisch gemachten, decalcinirten Knochen- jS^tückchen ausfüllt. Dadurch soll rasche Granulafionsbildung, Auf- zehrung der resorbirbaren Knochenstückchen und schliessliche schnelle Vernarbung prima intentione zu Stande gebracht werden. Das Knochenmaterial wird folgenderweise zubereitet: eine frische Ochsentibia wird in horizontale Segmente von je 2 Zoll Länge zer- sägt und diese nach Entfernung der Beinhaut und des Markes in verdünnte Salzsäure gelegt, die man alle paar Tage wechselt, bis der Entkaltungsprocess vollendet erscheint. Die weichen Segmente werden nun zu kleineren, respective dünneren Scheiben durchschnitten und sodann die Säurereste mittelst einer schwachen Sodalösung neutra- lisirt, worauf das Präparat, nach wiederholten Waschungen in de- stillirtem Wasser, in einer Lösung von Sublimatalcohol 1 : 500 auf- bewahrt wird. Das Aufbewahrungsgefäss soll weithalsig sein, um aus ihm die Knochenstücke leicht herausnehmen zu können, und sich hermetisch verschliessen lassen, um die Verdunstung des Alcohols möglichst zu verhindern. Unmittelbar vor der Verwendung wird das entsprechende Quantum des Präparates aus dem Sublimatalcohol ge- nommen und die einzelnen Scheiben in möglichst dünne und kleine vSchnitzel oder Späne (slices or chips) zerschnitten, welche auf einer Compresse aseptischer Gaze leicht getrocknet und sodann gründlich mit Jodoformpulver eingestaubt werden. Auch die Knochenhöhle muss auf das gründlichste hergerichtet, desinficirt, und nach der Austrock- nung noch mit Jodoformpulver eingestaubt werden. Das Einfüllen der jodoformirten Späne erfolgt noch im anämisirten Zustande der Extremität; sie werden en bloc hineingeschüttet und in die Höhle fest eingepackt bis zur gänzlichen Ausfüllung derselben. Endlich werden die Weichtheile darüber gezogen, sammt dem sorgfältig ge- schonten Periost mittelst Catgut vernäht, oberflächlich drainirt und ein grosser antiseptischer Dauerverband angelegt. Nun erst löst man die Constrictionsbinde. Das den Wandungen entsickernde Blut backt mit den Spänen zu einer Masse, welche die Knochenhöhle wie aus- gegossen erfüllt. Wenn alles klappt, so erfolgt Heilung unter einem Verbände ohne einen Tropfen Secret; stellt sich Eiterung ein, so werden die Knochenspäne abgestossen und sollen baldmöglichst aus der wieder geöffneten Wunde mittelst antiseptischer Flüssigkeit aus- gespült werden. Tritt die Knochenwunde dann in das Granulations- stadium, so kann nach sorgfältiger Desinfection das Verfahren erneuert werden. Senn unterscheidet dementsprechend primäre und secundäre decalcinirte Knochenimplantation; erstere Bezeichnung gilt für frische, — 127 — letztere für granulirende Kiiochenwundhöhlen. Die Desiiifection der Wundhöhlen wird, nachdem alles suspecte Gewebe, vorspringende Knochenzacken etc. auf das sorgfältigste entfernt sind, so vorge- nommen, dass man die Höhle zunächst ausgiebig mit einer heissen Sublimatlösung ausspült und sodann deren Wandungen mit einer 12procentigen Chlorzinklösung abbürstet, worauf wieder ausgespült und endlich die Höhle jodoformirt wird. De Dentn nimmt statt den Spänen grössere Stücke decalcinirter Knochen bei sonst gleichem Vorgehen. Zur Knochenplombe wird die zu plombirende Höhle nach exactem Ausschaben durch Hitze sterilisirt. Zu diesem Zwecke giesst man Olivenöl in die Höhle bis zur Ausfüllung und bringt das Oel durch Eintauchen von Pacqveliii'schen Brennern zum Sieden. Man vermeidet dabei sorgfältig ein Verbrühen des Periostes und der Weich- theile, da diese vernäht werden müssen behufs einer Primaheilung der Wunde. Das Sieden des Oeles in der Knochenhöhle wird längere Zeit unterhalten, etwa lü Minuten, dann wird das Oel mit entfetteter Baumwolle ausgesogen und die Höhle trocken gemacht. In diese kommt nun die Plombe. Dreesmana giesst die Höhle mit Gipsbrei aus, welches mit 5 Procent Carbolwasser angemacht ist, Martin verwendet Gips und Guttapercha, 8onnenhuvg Kupferamalgam und Cement. Nach Erstarrung der Plomben und Glättung ihre Ober- fläche zieht man darüber das Periost und vernäht. Diese Vor- schläge wurden auf Basis von Thierversuchen gemacht, die wenigen Experimente am Menschen haben sich im Grossen und Ganzen nicht beAvährt; in der Regel machten nachträgliche septische Erscheinungen ein Wiederöffnen der Wunde und eine mechanische Entfernung der Plomben nothwendig. Nur ein unorganischer Stoff hat sich wieder- holt bewährt, nämlich Stücke von Celluloidplatten. Doch davon wird im Capitel der Schädeltrepanation die Rede sein. Auch die yS'enw'sche Methode ist nunmehr verlassen worden, gleichwie auch die Heilung unter dem Blutschorfe häufig versagt. Zur Ausfüllung von Knochenhöhlen, welche nach dem Evidement cariöser Herde zurückbleiben, dürfte das Verfahren nach Isch-WaU zum Versuche sich eignen, nämlich die Ausfüllung mit verflüssigtem und mit Jodo- form vermengtem SaloL Einer Temperatur zwischen 40 und 42 Grad ausgesetzt verflüssigt Salol, um bei nachfolgender Abkühlung wieder fest zu werden. Während das Stadium liquidum kann es mit Jodoform vermengt werden. Auch das Ausfüllen mit Glutol wurde vorgenommen. III. Zu den von aussen eingedrungenen Fremdkörpern, deren Extrac- tionsverfahren einer allgemeinen Betrachtung unterzogen werden kann, zählen vor Allem Projectile und abgebrochene Stücke von Handwaffen. Bekanntlich unterscheidet man zwischen primären und secundären Projectilen. Erstere sind die Geschosse selbst, letztere anderweitige Fremdkörper fester Natur, welche durch die Geschosse miteingetrieben wurden und für sich verletzend wirkten. Nebstdem treiben die Geschosse oft weiche Fremdkörper in den Organismus, wozu namentlich abgerissene Fetzen der beim Acte der Verwundung- getragenen Kleidung gehören. Die Projectile der modernen Schuss- waffen sind aus Blei, Stahl oder aus Eisen. Bleiern oder mit Stahl- mantel überzogen jene der Handfeuerwaffen, eisern jene der Geschütze; erstere dringen vorwiegend als Ganzes ein, letztere nur in Gestalt — 128 — abgebrochener Splitter, ansonst das getroffene Object chirurgischer Hilfeleistung nicht mehr bedarf. Die HandwafFenprojectile variiren an Grösse je nach dem (Juale der Handwaffe selbst; ihre Gestalt ist mehr uniform, nämlich der Cilindroeonus. In den Wunden findet man Bleiprojectile seltener in ihrer primitiven Gestalt vor, da sie sich meistens durch Anschlagen an feste, äussere oder Körperhindernisse abplatten und deformiren. Das Gleiche ist bei Stahlmantelgeschossen der Fall. Die Grösse, Gestalt und Form der Kartätschensplitter ist un- berechenbar; sie variiren, je nachdem Stücke des Zünders, der Hohl- geschosswandungen oder Theile des Geschossinhaltes eindringen. Kugeln und Geschossstücke können sich in Weichtlieile oder in Knochen ein- betten, namentlich in solchen spongiöser Natur. Man nennt derlei im Knochen festsitzende Projectile eingekeilte; dass diese, wenn bleiern, die stärksten Deformationen tragen werden, ist selbstverständlich. Die Exairese von Geschossen aus Handschusswaffen kann eine primäre sein oder eine secundäre, je nachdem sie kurze Zeit nach der Verwundung oder erst in einer späteren Zeitperiode, sei es während, sei es nach vollendeter Verheilung des Schusscanales, vollzogen wird. Die primäre Entfernung kann erfolgen: entweder durch den bestehenden Schusscanal, oder durch eine neu angelegte Wunde; erstere wieder entweder direct oder nach vorausgeschickter blutiger Erweiterung des Schusscanales. Welchen der Wege man einschlagen soll, ent- scheidet der specielle Fall. Im Allgemeinen schlägt man stets den kürzeren Weg ein, wenn er auch frisch angelegt werden muss, es sei denn, dass anatomische Verhältnisse die neue Wegbahnung verbieten. Ist das Projectil in Weichtlieile eingebettet, so genügt es, dasselbe sicher zu fassen, um entsprechend den Wundverhältnissen die Ex- traction zu vollziehen; wenn es hingegen in Knochengewebe fest ein- gekeilt sitzt, so sind drei Wege zur Entfernung möglich: i. Es kann das Projectil zerstückelt und kleinweise aus der Knochennische her- vorgeholt werden. 2. Es kann der Rand der Knochennische abge- meisselt und das so befreite Geschoss dann als Ganzes entfernt werden ; das letztgedachte Verfahren verdient heutzutage, wo wir uns der Antisepsis freuen, wohl den Vorzug und das ersterwähnte bleibt nur für jene Fälle reservirt, wo die nothwendige Blosslegung des Knochens aus was immer für Gründen unterbleiben und man in dunkler Tiefe arbeiten müsste. 3. Das dritte Verfahren besteht in der Entfernung jenes Knochenabschnittes, der das Projectil birgt. Es wird dann ein- geschlagen, wenn die Kugel in einen Gelenkskopf eingedrungen ist, wodurch das Gelenk eröffnet wurde, und besteht in der Resection des betreffenden Gelenkendes. Zur Entfernung nicht eingekeilter bleierner Projectile dient die lange dünne amerikanisetie Kugelzange von Tiemann (Fig. 52), deren Arme am Ende zugespitzt und rechtwinkelig kurz abgebogen sich kreuzen, oder sich mit ihren Hakenspitzen gegenseitig nur berühren. Sie wird stets unter Leitung des früher eingeführten Zeigefingers in Action gebracht. Das einmal damit gefasste Projectil ist auch sicher gepackt, da die Haken sich in die weiche Bleimasse eingraben. Da es aber leicht vorkommen kann, dass man zugleich mit der Kugel auch Nachbargewebe mit den spitzen Zangenarmen. mitfasst, so ist es rathsam, sich vor der Exairese genau zu überzeugen, ob das Projectil — r,>9 — auch rein gefasst sei. Man verschafft sich bei nicht eingekeilten Kugeln diese Ueberzeugung, wenn man die angelegte Zange um ihre Achse dreht. Ist Xachbargewebe mitgefasst, so gelingt die Drehung nicht. Kartätschensplitter und Stahlmantelgeschosse werden, wenn frei, je nach ihrer Grösse, mit Sequester- oder einfachen Kornzangen gefasst und extrahirt; wenn eingekeilt, müssen erstere ausgemeisselt werden, da ein Zerkleinern des Eisens in der Wunde unmöglich ist. Einge- drungene Messer-, Lanzen- oder Säbelklingenbruchstücke werden gleichfalls mit festen Kornzangen entfernt. Pfeilstücke, welche mit Widerhaken versehen sind, müssen durch Gegenöffnungen blossgelegt, an ihrer Spitze gefasst und in der Verlängerung der Eintrittsrichtung extrahirt werden. Im Knochen eingekeilte Stücke von blanken Handwaffen werden ausgemeisselt oder, wenn sie in einen Gelenkskopf einge- drungen sind, eventuell dm'ch Resection entfernt. Das Ausmeissein wird nach den schon betonten Regeln vor- genommen; man trennt zunächst den Knochenrand, der unmittelbar den Eindringling umgibt, in seiner ganzen Circumferenz in kleinen Stücken ab, die man durch schiefes, gegen den Fremdkörper ge- Fig. 52. richtetes Ansetzen des Meisseis mit dem Hammer abschlägt. Das Meissein soll so lange fortgesetzt werden, bis der Fremdkörper derart locker geworden ist, dass seiner Entfernung keine Hindernisse mehr im Wege stehen. Nach seiner Entfernung glättet man die Nischen- ränder wohl ab, und schabt mit scharfen Löffeln so viel spongiosa weg, als davon eingedrückt und zertrümmert erscheint. In nicht spongiösen Knochen keilt sich ein Projectil kaum ein, da jene, weil spröder und brüchiger, demselben nicht nachgeben, sondern einfach brechen. Manchmal dringen Projectile auch in Gelenke ein und keilen sich zwischen den Gelenksenden ein, indem sie diese nur einfurchen. Nachdem mittelst Arthrotomie das Projectil extrahirt worden, wird es von dem Grade der Einfurchung abhängen, ob die Resection des betreffenden Epiphysensegments zu erfolgen habe oder nicht. Unter strenger Antisepsis ist wohl auch die Erhaltung der Integrität des Gelenkes, trotz der stattgefundenen schweren Beschädigung nicht nur denkbar, sondern stets zu erstreben. Secundäre Projectile, wozu Stücke von Baumästen, Münzen, Schlüssel, Uhrfragmente, Uniformknöpfe etc. zählen können, werden mit Kornzangen extrahirt; wenn sie unter der Haut fühlbar wären, gleich den Projectilen ausgeschnitten. Schwieriger gestaltet sich die Entfernung von Kleidungsfetzen, welche durch das Projectil in den M o se lig - M o o r h o f : Handbuch d. chi Technik. 4. Aufl. — 130 — Schusscanal mit hineingetrieben werden; nicht etwa als ob die Ent- fernung an sich schwierig wäre, sondern vielmehr, weil ihre Auf- findung oftmals die grössten Schwierigkeiten bereiten kann. Man untersuche daher stets das durchschossene Kleidungsstück: fehlt darin ein Stückchen, so suche man es in der Wunde, zeigt es sich nur ein- gerissen, dann ist man dieser Mühe enthoben. Hat man von der An- wesenheit eines Tuchstückes in der Schusswunde Verdacht, so wird man gut thun, sie nach Entfernung des Projectiles fest auszuspritzen. Es gelingt dann manchmal, den weichen Fremdkörper herauszu- spülen; oder man untersucht die Wunde auf das genaueste mit dem früher gut desinficirten Finger und tastet deren Wände allüberall und wiederholt ab. Schliesslich könnte man durch Einführen einer entsprechend calibrirten Röhre, etwa eines Urethroskopes, unter ge- höriger Beleuchtung möglicherweise die Auffindung erleichtern. Das Zurückbleiben solcher weicher Fremdkörper in der Wunde hat etwas sehr missliches; nicht nur, weil sie die Wundheilung ungebührlich verzögern, sondern weil sie als Träger von Gährungserregern zu schlimmen septischen Localerkrankungen Veranlassung geben können. Sie sind diesbezüglich viel mehr zu fürchten als die Projectile selbst, welche schon ihrer Natur nach weniger geeignet sind Microben zu beherbergen, vor Schmutz und Staub geschützter sind und ihre glatte Oberfläche beim Durchdringen der Haut gleichsam abstreifen und reinigen. Daraus folgt, dass die Entfernung der Projectile in der Regel durchaus keine grosse Eile beansprucht, kapseln sich doch viele ab und verbleiben oft zeitlebens in den Geweben. IV. Die Extraction von Zähnen erkennt eine mehrfache Anzeige. Der Chirurg entfernt gesunde Zähne, wenn diese bei der Vornahme von anderweitigen Kieferoperationen hinderlich im Wege sind, wenn es sich um überzählige, aus der Zahnreihe stehende, oder um schief gestellte Zähne handelt, welche auf orthopädischem Wege nicht gerade gerichtet werden können; er entfernt Zähne, wenn diese nachweislich die Ursache für Trigeminusneuralgien abgeben, ohne Rücksicht auf ihre Beschaffenheit, endlich und schliesslich extrahirt er krank ge- wordene cariöse Zähne. Nicht jeder cariöse, schmerzhafte Zahn indicirt die Entfernung, sondern nur jeder auf andere Weise nicht zu er- haltende cariöse Zahn. Nicht erhaltbar ist aber ein cariöser Zahn nur dann, wenn es in Folge der Caries zur Entzündung der Zahnwurzel- haut in erster, zur Beinhautentzündung des betreffenden Kiefer- abschnittes in zweiter Linie gekommen ist. Cariöse Zähne ohne Entzün- dungserscheinungen lassen sich erhalten, wenn man die krankhaften Theile entfernt und die rückbleibende Höhle kunstgerecht plombirt. Bei einwurzeligen Zähnen indiciren selbst eiterige Periostitiden nicht immer ihre sofortige Extraction; im Grossen und Ganzen wird aber eine Periostitis e dente carioso, wenigstens für den Chirurgen, stets eine Indication zur Entfernung des schadhaften Zahnes abgeben, und zwar ohne Rücksichtnahme auf etwaige starke Schwellungen und consequente Mundsperre, denn gerade in solchen Fällen ist die rasche - 131 Fig. 53. Entfernung geboten und deren Unterlassung stets ein Zeichen von Zaghaftigkeit, sei es des Chirurgen, sei es des Patienten. Wozu hätte man auch Mundspiegel, wenn eine einfache entzündliche Kieferklemme imponiren sollte. Zur Entfernung können gelangen: ganze Zähne, id est wenn Krone und Zahnhals noch erhalten sind, gleichviel ob die erstere gesund oder cariös ist, und Zahnwurzeln, wenn auch der Zahn- hals zum grössten Theile oder ganz abhanden gekommen ist. Ganz und halb zerstörte Zähne werden auf gleiche Weise entfernt, indem die zur Extraction dienlichen Instrumente ihren Angriffspunkt nicht an der Krone, sondern ausschliesslich nur am Zahnhalse, und zwar an dessen Uebergangsstelle zur Zahnwurzel haben dürfen und haben müssen. Zähne können auf doppelte Art entfernt werden: einmal, indem man sie mit zangenförmigen Instrumenten sicher und fest anpackt und dann in der Richtung ihrer Achse aus dem alveolus herauszieht, gleich einem Nagel aus der Wand, oder zweitens, indem man sie quer zur Achse aus dem alveolus stürzt, wobei die entsprechende Alveolarwand in der Regel ein- oder abgebrochen wird. Man gebraucht hiefür die Ausdrücke Ziehen oder Reissen, und Stürzen. Das Ziehen geschieht ausnahmslos mittelst Zahnzangen. An jeder Zange unter- scheidet man: die Fassarme oder Blätter, das Schloss und die Branchen. Erstere sind mehr weniger in der Achse der Zange gestellt, oder unter einem Winkel, sei es zur Fläche, sei es zur Kante, ab- gebogen. Die geraden oder geschweiften Zangen dienen für die Zähne des Ober- kiefers, die gekrümmten für jene des Unterkiefers. Die Innenfläche der Fass- arme ist concav, die Endtheile verschieden geformt je nach dem anatomischen Baue des Zahnhalses, an den sie sich genau an- zulegen haben. Das genaue Anliegen ist aber von der Aussencontour des Zahnhalses bedingt, daher die Zangen- blätter an diesem sozusagen modellirt sein müssen. Zahnärzte sind meistens mit 20 bis 30 Zangen versehen, da die Form der Zahnhälse der verschiedenen Zähne auch verschieden ist. Auch für den Nicht- specialisten, für den Chirurgen, ist die heilige Zahl sieben, wenn auch nicht gerade unentbehrlich, so doch zweckmässig. Wenn man die bei- stehende Fig. 5:3 näher betrachtet, welche einen, entsprechend den Zahn- hälsen horizontal abgesägten Ober- und Unterkiefer darstellt, so wird man finden, dass die Mahlzähne des Oberkiefers entsprechend ihren drei divergenten Wurzeln, zwei äusseren und einer inneren, eine Art stumpfer Herzform besitzen; aussen ist der Zahnhals doppelt, innen einfach convex. Die oberen Mahlzahnzangen müssen daher an jenem Blatte, welches den Zahnhals aussen zu fassen hat, zwei concave Facetten tragen zur Umfassung der convexen Wellenberge, und einen intraponirten zugespitzten Vorsprung für die Wellenfurche und deren — 132 - Uebergang in die getrennten Wurzeln; das innere Blatt bedarf des Vorsprunges nicht nur nicht, sondern ein solcher würde das gleich- massige Umgreifen der einfach convexen Zahiilialsfläche geradezu unmöglich machen. Zahnzangen für obere Mahlzähne haben demnach je ein zackiges und ein glattes Blatt : ersteres für die Aussen-, letzteres für die Innenfläche des Zahnhalses bestimmt. Man braucht also zwei Zangen, eine für die rechte und eine zweite für die linke Kiefer- hälfte, da die im Sinne der Kante geschweifte Zangenform, welche durch das Hinderniss des Mundwinkels geboten erscheint, die Ver- wendung einer Zange für beide Seiten unmöglich macht. Einer noch stärkeren Kantenschweifung bedarf die Zange für die letzten Mahl- zähne des Oberkiefers, die sogenannten Weisheitszähne. Die Wurzeln dieser sind gewöhnlich verkümmert und nicht divergent, sondern zu einem stumpfen Keile zusammengedrängt, welcher gerade oder ge- krümmt sein kann. Das Zusammengedrängtsein der Wurzeln zu einem Bündel hat aber Einfluss auf die Form des Zahnhalses; dieser wird mehr rundlicher Gestalt sein. Die Zangenarme sind daher beide am Rande eben, ohne Vorsprung und eignen sich demnach für beide Seiten. Die Backenzähne sind meistens mit zwei ganz oder Avenigstens zum Theile zusammenverschmolzenen Wurzeln versehen : einer äusseren, einer inneren. liir Zahnhals hat demnach eine queroblonge Form. Die Blätter der Backenzahnzangen haben keine Vorsprünge, sind aber schmäler gebaut; die Zange selbst ist etwas im Sinne der Kante ge- schweift. Eck- und Schneidezähne des Oberkiefers haben fast runde Hälse. Da sie in der Lichtung der Mundöffnung liegen, bedarf die giattgeränderte Zange keiner Schweifung; sie kann und soll ge- rade sein. Die Mahlzähne des Unterkiefers besitzen sämmtlich zwei Wurzeln, eine mesiale und eine distale; die Form ihrer Hälse ist im Durch- schnitt daher biscuitähnlich: die Zangenarme müssen also je einen, im Ganzen also zwei gegenübergestellte Vorsprünge haben und sind demnach für beide Kieferhälften gleich gut verwendbar; ihre Fass- arme sind zu den Branchen im Winkel oder im Bogen gekrümmt. Kleinerer, ebenso gekrümmter, aber glattrandiger Zangen bedarf es für die Backen- und für die schmalen, wie von den Seiten her zu- sammengedrückten Schneidezähne, während die unteren Eckzähne meistens, gleich den oberen, rundliche Zahnhälse und conische Wurzeln besitzen. Im Nothfalle kann man die letztgenannten vorderen Unter- kieferzähne, welche in der Lichtung der Mundöffnung liegen, auch mit geraden Zangen, welche dann von oben her anzulegen sind, ziehen, nie wird aber dies bei den unteren Backenzähnen gelingen können, da die Gesichtsfläche und die schwer genügend weit abzieh- baren Mundwinkel es entschieden verhindern. Das Schloss der Zahn- zangen ist verschieden; man unterscheidet das deutsche (a) und das viel praktischere englische Schloss (h, Fig. 54). Die Branchen sind meistens zur Achse schwach concav und an ihren äusseren Flächen rauh ge- macht, entweder durch Hauriffe oder durch Würfelung. Jede Zahnzange wird in die volle Hand genommen und die Branchen durch die vier gekrümmten Fingerendglieder gegen die Hohlhand gedrückt, während der ausgestreckte Daumen sich breit an die Kanten der Branchen, knapp unterhalb des Schlosses anlegt. ■1 oo 1 OO — Der Daumen soll gleichsam als Regulator für den auszuübenden Druck dienen; ein zu starker Druck könnte den Zahnhals abbrechen, ein zu schwacher Schluss das Festhalten desselben behindern. Es sei daher vor dem Halten der Zange nahe den Branchenenden und vor einer allzu grossen Entfernung des Daumens vom Schlosse gewarnt, ansonst die Druckkraft, durch die dabei eintretende Verlängerung der Hebel- arme, nach phj^sikalischen Gesetzen proportional zunimmt. Beim An- legen der Zange öffnet man deren Fassarme, indem man temporär Ring- und Kleinfinger zwischen die Branchen stellt und sie vonein- ander drängt, so weit als es eben nothwendig ist, um die Zahnkrone von ihrer Mahlfläche aus zu umfassen, worauf man sie längs den Seitenflächen hinabgleiten lässt. Am Zahnfleischrande angelangt, drückt man auf die Zange, um zwischen Zahnhals und Zahnfleisch eindringen zu können, und gelangt endlich zum Niveau des Alveolar- randes. Genau an dieser Stelle soll die Zange geschlossen werden, ja Fig. 54. nicht bevor sie erreicht worden ist. Ein der Application der Zange vorgängiges, künstliches Ablösen des Zahnfleisches ist unnöthig, da die keilförmig sich zuspitzenden Zangenarme dieses Ablösen oder Abschieben am zweckmässigsten selbst besorgen. Man weiss, dass die Zange das Niveau des Alveolarfortsatzes, welches dem Uebergange des Zahnhalses in die Zahnwurzeln entspricht, erreicht habe, wenn man eben trotz fortgesetzten Drückens die zart geschlossenen Zangenarme nicht tiefer hineinschieben kann. Ist die Zange einmal fest ge- schlossen, dann beginnt man mit steigender Kraft in der Verlän- gerungslinie der Zahnachse zu ziehen. Es gibt aber auch zwei andere Bewegungen, um die Zahnwurzeln im alveolus zu lockern: das Drehen und das Wiegen. Beide Bewegungen dürfen nie isolirt, sondern stets und immer nur während des gleichzeitigen Ziehens vorgenommen werden. Drehen, und zwar nur in ganz kurzen Achsenspiralen, kann und darf man bloss Zähne, welche eine mehr weniger conische, einzige Wurzel besitzen, also: sämmtliche Schneidezähne, eventuell Eckzähne — 134 — und untere Bicuspidaten. Alle anderen Zähne dürfen einzig und allein nur durch wiegende, in kleinsten Bogenabschnitten vorzu- nehmende seitliche Bewegungen gelockert werden, in der Richtung von innen nach aussen und umgekehrt. Besonders starke, fest ein- g^'keilte mehrwurzelige Zähne können, wenn der mediale oder distale Nachbarzahn fehlt, auch durch Hebelwirkung gelockert werden, ehe man die Zange anlegt. Dazu dient der Zahnhebel von Lecluse (Fig. .54 c). Man fasst ihn mit seinem Quergriff in die geschlossene Hand, lässt die Stange zwischen Mittel- und Ringfinger vortreten, legt den Daumen seitlich und den ausgestreckten Zeigefinger an die Convexität der Stangenkrümmung so, dass die jeweilig entsprechende Kante der Krümmung dem alveolus zugekehrt bleibt. Das stumpfe, zum Vorder- rande sich abflachende Hebelende wird an jener Seite angelegt, wo der Nachbarzahn noch vorhanden ist, und nun in schräger Richtung zwischen alveolus und Wurzel langsam und absatzweise, seitlich ein- gebohrt. Der Hebel stützt dabei am Nachbarzahne, während er den kranken Zahn von diesem ab, gegen die vorhandene Zahnlücke hin drängt. Man muss mit dem Zahnhebel äusserst langsam vorgehen und den, durch Verdrängung jeweilig gewonnenen Raum stets benützen, um den Hebel mehr der Zahnwurzel zu in die Tiefe zu drücken, wodurch der Zahn auf Kosten der Alveolarscheidewand seitlich ab- gedrängt und hierdurch gelockert wird. Fehlt kein Nachbarzahn, ist die Zahnreihe vollzählig, so kann eine der Extraction vorgängige Lockerung des Zahnes nur auf Kosten seiner äusseren Alveolarwand zu Stande gebracht werden, wofür jene Instrumente Verwendung finden, welche eigentlich zum Stürzen der Zähne bestimmt sind, von denen später die Rede sein wird. Wohlverstanden ist zwischen der Locke- rung eines Zahnes mit diesen Instrumenten und dem vollständigen Stürzen ein wesentlicher Unterschied. Lockerung bedeutet ein Abbiegen, ein Einknicken der Alveorlarwand; Stürzen, ein Abbrechen dieser. Bei ersterer hört die stürzende Kraft schon auf halbem Wege auf. Die Stellung des Operateurs zum Patienten ist beim Zahnziehen folgende: bei allen Zähnen des Oberkiefers und den rechtsseitigen unteren Mahlzähnen lehnt der Operateur an die rechte Schulter des Patienten, mit seinem linken Arm umgreift er dessen Kopf im Bogen und drückt ihn an sich. Die dabei freibleibende linke Hand lehnt mit der Palmarfläche an die Wange oder am Kinn, zieht mit den Fingern zunächst den jeweiligen Mundwinkel so weit als nöthig ab, ist bei der Anlegung der Zahnzange behilflich und legt sich dann als Gegenstütze auf die Kauflächen der gesunden Nachbarzähne an. Beim Anlegen der Zange und beim Ziehen neigt sich der Oberkörper des Chirurgen, von rückwärts her an der rechten Seite des Kranken vorbei, etwas nach vorne zu. Bei der Extraction von linksseitigen Unterkieferzähnen stellt sich der Operateur, bei Verwendung von zur Fläche gekrümmten Zangen, vor und etwas links vom Patienten. Die Fixirung des Kopfes übernimmt ein Gehilfe; im Nothfalle lehnt man den Kranken gegen eine Mauer und fixirt dessen Kopf dadurch, dass man ihn mit dem Ulnarrande des linken Vorderarmes gegen die Mauer presst. Sollten zur Kante gekrümmte Zangen bevorzugt werden, so wäre die Stellung des Operateurs bei linken Mahlzähnen gleich der erstgedachten, für Oberkieferzähne dienlichen, b^i rechtsseitigen 135 Fig daoegen vor und etwas links vom Kranken. Bei der Extraction oberer Zälme wird der Kopf des Kranken etwas nach rückwärts geneigt, bei jenen des Unterkiefers nach vorne, der Brust zu gesenkt; bei der Extraction oberer Zähne lässt man den Kranken hoch sitzen, bei unteren Zähnen dagegen möglichst tief. Entfernt man untere Yorder- zähne mit geraden Zangen, so muss sich der Operateur ganz hinter den Kranken stellen und von oben her die Zange anlegen, wobei er sich über den Kopf des Kranken vorneigt und jenen möglichst senkt. Ist einmal der Zahn entfernt, dann lässt man durch Ausspülen mit kaltem Wasser die kleine Blutung stillen; eventuell stopft man bei schwer stillbarer Blutung etwas Jodoformgaze in den leeren alveolus ein. Zum Stürzen von Zähnen benützte man entweder eigene Zangen, TJeberwurfzangen genannt, oder den Zahnschlüssel. Die Wirkung beider ist identisch. Die in älterer Zeit üblich gewesenen Instrumente: Ueber- wurf und Pelikan sind aus dem Grunde ver- lassen worden, weil sie als Hypomochlion einen gesunden Nachbarzahn benützen und dieser hierdurch zu Schaden kommen kann. Das Stürzen eines Zahnes darf ohne Ausnahme nur nach aussen hin erfolgen, wobei die äussere Alveolarwand in der Regel einbricht. Der Zahnschlüssel (Fig. 55) trägt am Ende der Stange den Schlüsselbart und den, am Ende zweispitzigen halbkreisförmig gekrümmten Haken. Die Stellung des Hakens zum Barte muss verschieden sein, er ist daher stellbar. Wie der Haken jeweilig zu stellen sei, ergibt sich aus der Localität. Man merke nur, dass der Bart stets an die Aussenfläche des je- weiligen Alveolarfortsatzes, also am äusseren Zahnfleische sich anlegen soll; der Haken hat von oben her, also über die Kaufläche hin, die Krone zu umfassen und mit den Spitzen- enden an der inneren Fläche des Zahnhalses, möglichst nahe der Wurzel, seinen Angriffs- punkt zu nehmen. Um ein Abgleiten zu verhindern, hält der Zeigefinger die Convexität der Hakenkrümmung fest, nachdem er die Hakenspitze bis zum Ende des Zahnhalses hin eingetrieben hat. Der Schlüsselbart wird meistens mit Leinwand gedeckt oder mit Heftpflaster umwickelt, um sicher zu liegen und nicht an der feuchten Schleimhaut nach oben hin abzurutschen; denn gerade Avie die Zange in ihrer, so muss auch der Schlüssel in seiner Weise festsitzen. Den Schlüssel fasst man ähnlich wie einen Zahnhebel und dreht den Griff rasch um einen halben Kreisbogen, geradeso wie man eine Thür mit dem Schlüssel sperrt. Die jeweilige Stellung des Operateurs zum Kranken ergibt sich von selbst; der Schlüsselgriff sieht stets der Mittellinie zu, die Schlüssel- stange steht in der Tangente des Kieferbogens. Selten wird noch vom Schlüssel Gebrauch gemacht, denn seine Wirkung kann sehr unan- genehme Folgen für den betreffenden Kiefer haben. Ist der Zahn glücklich entfernt, so muss durch einen Druck, den man klemmenartig mittelst Daumen und Zeiirefinger an die Kieferlücke anbringt, zu- — ino — nächst der AlvtMjhirl)riicli zurecht^edrückt werden. Die Ueberwurfzange wirkt ähnlieh dem Schlüssel; sie ist der Fläche nach stark gebogen und der obere längere P^assarin überwcUbt den unteren kurzen, ähn- lich dem Schnabel eines Pai)ageies. Kurzer Arm entspricht dem Schlüsselbarte, langer dem Haken. Zu den üblen Ereignissen beim Zähneziehen gehören: 1. Das Ab- brechen der Krone, sei es durch ungeschicktes Gebaren, sei es in Folge abnormer Brüchigkeit des Zahnes. War keine Periostitis vorhanden und empfindet der Kranke nach der misslungenen Operation keinen besonderen Schmerz, so lässt man die Sache vorderhand auf sich beruhen; mit der Zeit lockert sich die Wurzel in Folge Atrophie des Alveolarfortsatzes und Resorption ihrer Enden und macht dadurch eine spätere Exairese leicht. Ist aber Periostitis schon zugegen, oder entwickeln sich stürmische Erscheinungen nach einigen Tagen, so wird eine rasche Entfernung des Restes nothwendig. Diese ist aber schwer, weil in Folge Abbrechens der ganzen Krone ein Anlegen gewöhnlicher Zangen unmöglich wird. Man versucht dann wenn mög- lich den Hebel, oder es muss durch Abtragung der Alveolarwände für die Zange Platz geschaffen werden. Wohl hat man auch Zahn- zangen, deren Fassarme länger und am Rande schneidend zugeschärft sind, ähnlich einer Kneipzange. Man nennt sie Alveolarzangen. Bei ihrer Anwendung löst man zunächst die gingiva beiderseits etwas los, schiebt dann die Zangenarme längs den Flächen des Alveolarfortsatzes in genügende Tiefe ein und schliesst dann kräftig die Branchen. Die scharfen Blätter schneiden dabei die morscheren Alveolarwände durch und fassen gleichzeitig die harten Wurzeln, von nun ab als einfache Zange wirkend. 2. Das Abbrechen des alveolus hat oft spätere Necrose des abgebrochenen Stückes zur Folge. 3. Das Abbrechen einer einzelnen Zahnwurzel oder eines Theiles davon kommt bei gekrümmten Wurzeln mehrwurzeliger Zähne oft auch dem vorsichtigsten Zahnarzte vor. Es schadet nicht besonders; man belasse das Stückchen im alveolus; es atrophirt und kommt später zum Vorschein, oder es wird ganz resorbirt. 4. Das Ausziehen eines unrechten Zahnes, oder des kranken und seines gesunden Nachbars, etwa in Folge gegenseitiger Wurzel- verschlingung. Der gesunde Zahn kann nach gehöriger Reinigung reimplantirt werden. Er wird in der Regel wieder fest, wenn er in Ruhe gelassen und mehrere Wochen hindurch vor äusseren Insulten geschützt wird. ^ 5. Heftige Blutung aus dem leeren alveolus. Man stillt 1 Die von Magitot erdachte Reimplantation kann aber nicht nur bei gesunden, zufällig extrahirten oder durch Traumen ausgeschlagenen Zähnen Anwendung finden, sondern selbst bei kranken Zähnen gepflogen werden, freilich wohl nur bei vorderen einwurzeligen Zähnen. Es wurde schon wiederholt der cariöse Zahn extrahirt, dessen Pulpe entfernt, dann plombirt, die etwa entzündete Wurzelhaut abgeschabt, ja selbst die Wurzelsj^itze abgetragen • — Zahnresection — und der so, ausserhalb der Mund- höhle hergerichtete reducirte Zahn wieder an seinen alten Platz implantirt. Trotzdem er als Fremdkörper von jetzt ab zu betrachten ist, da die Nahrungszufuhr vom Mutterboden auf immer abgeschnitten wurde, so wird er dennoch nicht nur im alveolus tolerirt, sondern er wird sogar nach etlichen Wochen so fest, dass er wieder der Kau- function vorstehen kann. Nach Bidder erfolgt diese Festigung durch die Granulationen, welche im Inneren des alveolus sich bilden und welche die Wurzel des nunmehr todten Zahnes fest umklammern und sie fixiren. Da aber Granulationen in alle abgestorbenen organischen Substanzen hineinwachsen und diese früher oder später verzehren und resorbiren, so muss ein solches Geschick mit der Zeit auch die rgimplantirte Wurzel 137 — Fig. £G. sie durch Tamponiren des alveolus, am besten mittelst Jodoformgaze, die man, zu schmaien Streifen geschnitten, partienweise fest hinein- stopft; oder sicherer noch durch Einlegen eines keilförmig zuge- schnittenen Stückes jodoformirten Pressschwamm, welcher dann in Folge Aufquellens die Höhle ausfüllt und verlegt. Eisenchloridwatte kann auch verwendet werden, ist aber weder nothwendig noch zweck- mässig, besser wäre ein feuchtes Wattabäuschchen, welche in Ferri- pyrinpulver getaucht ist. Auch zum Glüheisen musste schon gegriffen werden. Die Entfernung einzelner zugänglicher Zahn- wurzeln ist von weniger Schwierigkeit begleitet, es sei denn, dass sie frisch abgebrochen sind und im alveolus noch sehr fest stecken. Aeltere "Wurzeln, wie sie nach spontaner Abbröckelung der Zahnkrone als letzte rudera zurückbleiben, sind im alveolus stets locker darin und um so lockerer, wenn sie an Periostitis erkrankten. Die ganze Kunst beim Entfernen dieser Wurzeln besteht in ihrer sorgfältigen Entblössung vom eventuell darüber geschlossenen Zahnfleische, welches sie oftmals ganz verdeckt, und im Fassen ihres gerade sichtbaren Endes. Das Ent- blössen vom Zahnfleische kann durch partielles Abtragen oder durch temporäres Abschieben desselben von der Wurzel vorgenommen werden. Jede vereinzelte Wurzel bildet für sich einEnt- fernungsobject; öfters können, wenn gerade noch durch ein Zahnhalsrestchen gegenseitig verbunden, zwei, beziehungsweise sämmtliche Wurzeln eines Mahlzahnes in einem Acte ent- fernt werden. Hin und wieder ist man genö- thigt, noch verbundene Wurzeln durch Kneip- zangen erst zu trennen, um sie dann einzeln extrahiren zu können, wenn ihre Entfernung- en bloc Schwierigkeiten bietet. Das Entfernen von Zahnwurzeln kann vorgenommen wer- den: durch Zangen, gerade oder leicht ge- schweifte für obere, gekrümmte für untere Zahnwurzeln. Wurzelzangen sind viel schwächer, zarter und kleiner als Zahnzangen, ihre Fassarme sind schmal, dünn, am Rande gerundet, aber immerhin noch scharf genug, um die Wurzel umgreifen und festhalten zu können. Zahnwurzeln als Einzelindividuen gestatten, weil rund, eine Drehung als Unterstützung des Zuges, ja treffen. Nur der Festigkeit und Widerstandsfähigkeit der Dentinsubstanz ist es zu danken, dass Jahre verfliessen können, ehe die Aufzehrung so weit gedeiht, dass in Folge mangelnden Haltes eine allmälige Lockerung und ein schliessliches Ausfallen des Zahnes erfolgt. Eine Transplantation von Zähnen, d. h. eine Implantation von fremden Zähnen in frische Alveolen ist auch denkbar und müsste ebensogut als die Autoimplantation gelingen, wenn die Wurzelform genau in den alveolus passen würde. Da aber eine derartige Congruenz schwer zu finden sein dürfte, so erklärt sich daraus, warum diese Methode bisher kaum Verwendung gefunden hat. — 138 — oft niuss erstere allein die Hauptrolle übernehmen, indem eine stärkere Zug Wirkung bei morschen abbr(")ckelnden Wurzeln kaum möglieh ist. Nur die seitlich abgeplatteten Wurzeln der unteren Schneidezähne eignen sich weniger zur Drehung. Ist keine Möglichkeit vorhanden, Wurzeln mit einer Zange zu fassen, so bedient man sich der Wurzel- schraube oder des amerikanischen Wurzelhebels (Fig. ^(>). Die Wurzel- schraube von Serre soll in den Wurzelcanal vorsichtig eingeschraubt und, wenn sie festsitzt, damit die Wurzel in gerader Richtung aus- gezogen werden, gleichwie der Stoppel einer Flasche durch die Wirkung des Korkziehers. Sie dient nur für Wurzeln von Vorderzähnen. Der amerikanische Wurzelhebel hat Aehnlichkeit mit dem Einzelblatte einer Wurzelzange, er ist abgerundet und an der Innenfläche gehöhlt. Für obere Zahnwurzeln ist der Hebel gerade, für untere der Fläche nach abgebogen und soll am Ende concav ausgechliffen sein. Er wird mit seinem Ende zwischen Wurzel und Alveoluslücke langsam eingeschoben und wirkt durch zartes Abhebein, wobei der Nachbarzahn, eventuell ein am Zahnfleische angelegter Finger, als Stützpunkt dient. So dringt man allmälig und stetig bis zur Wurzel- spitze ein und ist ohne nennbare Verletzung im Stande, entweder die Wurzel ganz herauszuhebein, oder doch derart zu lockern und zu stürzen, dass dann das Erfassen derselben mit einer Wurzelzange oder einer Pincette möglich wird. Bei Wurzeln des Unterkiefers pflegt man rasch einzudringen und die Wurzel durch eine schnelle Senkung des Hebelgriffes herauszudrängen. Früherer Zeit w^ar an Stelle des amerikanischen Hebels der Geissfuss in Gebrauch, so benannt, weil sein zweizinkiges Ende einer Klaue gleicht. Es ist ein sehr brauch- bares Instrument, oft zweckdienlicher als der amerikanische Hebel. Wurzelhebel und Geissfuss werden ebenso gehandhabt wie der Zahn- hebel. Der Griff liegt in der Hohlhand, Daumen und Zeigefinger ruhen gestreckt auf der Hebelstange. VI. Capite]. Künstliche Gewebszerstörung. Eine directe Zerstörung von Körpergeweben kann auf dreifache Art zu Stande gebracht werden: mechanisch, chemisch und thermisch Die mechanischen Mittel entfernen in Einem das Zerstörte, letztere lassen das Zerstörte als Schorf an Ort und Stelle und überlassen dessen nachträgliche Entfernung den Naturkräften. Mechanisch zerstört und entfernt man krankhafte Gewebe, vor- ausgesetzt dass sie weicher Consistenz sind, durch die Procedur des Abschabens oder Auslöffeins. Pathogene Producte aus Knochen zu ent- fernen hat SeclHlot gelehrt durch die Einführung des „Evidement des os" ; weiche krankhafte Gewebe auf gleiche Weise aus den Weich- theilen zu schaffen versuchte zuerst v. Volkmann. Die hierzu dienlichen Instrumente nennt man ihrer Form wegen scharfe. Löffel (Fig. .57). — 139 — Man benützt sie in verschiedener Grösse, Form, Länge und Stärke je nachdem man in Knochen oder in Weichtheilen zu arbeiten hat, man hält sie schreibfederförmig oder fasst sie mit voller Hand, je nach der Kraft, die man auszuüben bemüssigt ist. Ihre Action ist theils schneidend, theils reissend. Die Gewebe, welche man auslöffelt, sind theils weicher, theils lockerer Natur, so: fungöse oder local- tuberculöse Gewebe, Lupus, grobzelliges, durch Entzündungsprocesse gelockertes Knochengewebe, endlich weiche Neubildungen. Das Aus- löffeln soll stets mit grosser Genauigkeit ausgeführt werden; man darf nicht eher ruhen, als bis das krankhafte Gewebe auf das pedantischeste und minutiöseste entfernt worden ist, ansonst die er- strebte Heilung entweder gar nicht oder nur partiell eintritt, oder schliesslich nur temporär, also insofern scheinbar sich vollzieht, als baldigst Recidive eintritt durch eine Neuproduction aus zurückbe- lassenen Herden. Es fragt sich daher vor Allem, wie man denn zu erkennen und zu beurtheilen vermag, ob und wann alles Krankhafte entfernt ist. Operirt man an der Oberfläche des Körpers, dann können Gefühl und Gesichtssinn diese Erkenntniss vermitteln. Durch das Gefühl erkennt man den Widerstand, den die fraglichen Gewebe dem scharfen Löffel entgegensetzen : nur krankhaft Morsches lässt sich durch Fiff. 5T. Schaben entfernen, gesundes Gewebe kaum, ausser Granulation. Wenn aber krankes Gewebe dem gesunden nicht allein oberflächlich aufliegt, d. i. flächenartig aufgeschichtet ist, sondern vielmehr kleinere Herde davon nestartig in das Gesunde hineinragen, dann kann ein derartiges Ver- halten nur durch das Auge allein entdeckt werden, und zwar durch die Farbendifferenz und durch den Unterschied in der Resistenz. Damit nun das Auge die Controle übernehmen könne, bedarf es einer gehörigen Beleuchtung des abzusuchenden Feldes. Für die Körper- oberfläche genügt dazu wohl das gewöhnliche Tageslicht; handelt es sich aber darum. Höhlen zu beleuchten, wie sie etwa nach der Aus- löffelung cariöser Knochenherde zurückbleiben, so ist eine künstliche Beleuchtung des Höhleninneren nothwendig, und dafür eignet sich keine Beleuchtungsart so sehr als die elektrische. Bei der Aus- löffelung entfernt man durch Schaben, beziehungsweise Schneiden mit dem scharfrandigen Löffel alles, was seiner Einwirkung nachgibt. Ist man auf resistentes Weichtheil- oder auf hartes, durch den Löffel nicht mehr leicht schneidbares Knochengewebe gelangt, so spült man die evidirten Flächen rein ab und inspicirt sie bei guter Beleuchtung auf das sorgfältigste. Bemerkt man eingenistete Reste, so entfernt man sie einzeln mit kleinen schmalen Löffelchen, bis alles Vorliegende der Hand und dem Auge als gesund erscheint. Da Blutungen aus den — 140 — bearbeiteten Geweben die Ansiclit der Tlieile stören, soll man den zu evidirenden Körperabschnitt, falls es thunlich ist, früher künstlich anämisiren. II. Das Verschorfen mit chemischen Agentien (Aetzmittel, Caustica) kann je nach dem Quäle des Aj^ens auf mannigfache Weise vorge- nommen werden. In der Chirurgie finden feste, weiche und flüssige Aetzstoffe Anwendung. Feste Caustica werden angewendet in Stangen- form, in Krystall- oder in Pulverform. Die in Stangenform gegossenen werden entweder nur auf die Fläche gestrichen, oder der Stift wird in das kranke Gewebe vielfach hineingebolirt, dasselbe damit förmlich geackert, durchstossen, durchwühlt, bis alles zu einem Brei gemacht ist. Es dienen hierzu das mildere Nitras argenti fusum und das kräftige Kali causticum fusum, endlich der Aetzstift von Filhos, welcher durch Zusammenschmelzen von zwei Theilen Kali causticum mit einem Theile Calcaria caustica bereitet wird. Der Stift muss recente paratum sein, da er zwar nicht zerfliesst, wohl aber mit der Zeit spröde wird, Sprünge bekommt und schliesslich pulverförmig zerfällt. Mit den letztgenannten zwei Causticis bestreicht man nur die Gewebsoberfläche oder dringt höchstens in bestehende Wundcanäle ein, da sie zu sehr brüchig sind, um Tiefbohrungen damit anzubringen; auch zerfliessen sie zu schnell. Man bewahrt sie in luftdicht verschlossenen Gefässen, und zwar an trockenen Orten, denn insbesondere der Lapis chirurgorum hat eine so grosse Affinität zum Wasser, dass er an feuchter Luft zerfliesst. Das zu verwendende Stück wird jeweilig mit Leinwand so umwickelt, dass nur ein etwa 2 Centimeter langes Stückchen frei bleibt; man ätzt damit meistens aus freier Hand. Den festeren Höllen- steinstift befestigt man dagegen an einen Federkiel oder an eigene Lapisträger. Wenn Aetzungen im Munde, namentlich aber im Rachen mit dem Lapis vorgenommen werden sollen, versäume man nie, sich vorerst stets genau zu überzeugen, dass der Höllensteinstift auch sicher und fest im Träger stecke, und nehme immer nur einen kurzen Stift. Lange Stifte können abbrechen, kurze Stifte aus dem Träger herausrutschen, wenn die Verbindung eine lockere ist. Die gewöhn- lichen Lapisträger, deren Blätter meistens durch einen einfachen Ver- schiebring geschlossen werden, sind aus dem Grunde unpraktisch, weil der Ring durch jede kleine Zufälligkeit zurückgeschoben werden kann, wodurch der Halt sofort verloren geht. Besser ist derC'o/Zm'sche „porte crayon", dessen Blätter durch eine Schraubenhülse gesichert werden (Fig. ht<). Das Abbrechen oder Herausfallen des Lapis im Rachen kann für den Kranken dadurch sehr verhängnissvoll werden, dass der abgebrochene Theil verschluckt wird und in den Magen gelangt. Als Antidotum müsste in solchem Falle Salzwasser gereicht werden, wodurch sich unlösliches und daher unschädliches Chlorsilber bildet und die Magenwände vor Verätzungen geschützt bleiben. Bei jeder Aetzung muss die Umgebung des zu verschorfenden Gewebes vor der Einwirkung des Causticum geschützt werden. Dies geschieht durch Bedeckung mit trockenem Zeug, am besten mit Leinwand oder hydrophiler Watte, welche das überfliessende Causticum aufsaugt und — 141 — es so von der Umgebung abhält. Erachtet man nach beendeter Aetzung eine Neiitralisirung des Ueberschusses für nöthig, so dient hierzu eine Abspülung der cauterisirten Stelle mit Salzwasser bei Anwendung von Nitras argenti, mit Essig bei Kali causticum. Malthe empfiehlt eine Combination von Argentum nitricum mit Jodoform, welche eine streng localisirte Cauterisation abgibt. Unter dem antiseptischen Schorfe bekommt man ein sehr resistentes Narbengewebe. Die Technik ist folgende: man bestreut die betreffende Wunde zunächst dick mit Jodoformpulver, cauterisirt dann gründlich mit dem nassgemachten Lapisstifte und bestreut schliesslich den Schorf wieder mit Jodoform. Beim Cauterisiren bildet sich unter leichtem Aufbrausen Untersalpeter- säure, unlösliches Jod und Chlorsilber nebst anderen Verbindungen, welche alle in statu nascendi cauterisirend und umstimmend einwirken. In Krystallform können zu Aetzungen verwendet werden : Acidum carbolicum crystallisatum und Acidum chromicum. Letzteres war früher bei ver jauchenden Carcinomen der portio vaginalis uteri häufig in Gebrauch. Ich habe zuerst im Jahre l.s7"3 meine Stimme gegen die Chromsäure erhoben und vor deren Anwendung auf grösseren Flächen gewarnt. Trotzdem nämlich die auf das Wundgewebe gebrachten Krystalle sofort zerfliessen und die Gewebe rasch unter zischendem Geräusche verschorfen, so wird dennoch ein Theil des Causticum resorbirt und kann selbst lethale Vergiftung hervorrufen, die mit Fig. 58. choleraähnlichen Symptomen sich abwickelt. Ebenso wie die Chrom- säure könnten auch krystallinische Carbolsäure und die zu Aetzungen hie und da noch verwendeten Sublimat- und Arsenikpräparate toxische Nebenwirkungen entfalten und sind daher zu vermeiden. Satis me- minisse. ^ Die in Pulverform aufzutragenden Caustica zählen zu den schwächsten, sie dienen daher meist nur zur Entfernung überschüssiger Granulation, also als Ersatz des Höllensteinstiftes in seiner milden Anwendungsweise. Ihre Application erzeugt keinen oder nur massigen Schmerz. Sie besteht in der Auftragung des Pulvers auf die granu- lirende Fläche in einer Schichte von einigen Millimetern Dicke, die man dann mittelst eines geeigneten Verbandes an Ort und Stelle fixirt. Nach 12 bis 24 Stunden entfernt man den Verband und findet den Granulationswall verschorft. Zu den in Pulverform anwendbaren Aetz- mitteln zählen: das Alumen ustum und das Plumbum subnitricum (Moer- loose). Zum Aetzen syphilitischer Geschwüre, eventuell auch für Con- 1 Herinq und Rifh befürworten die Chromsäure für kleine localisirte Aetzungen der Nasen-, Mund- und Rachenhöhle. Hiefür wird das krystallinische Präparat ge- schmolzen und in die braunrothe dickflüssige Masse Sondenknöpfe eingetaucht, bis sie einen festhaftenden Ueberzug bekommen. Eine noch bequemere Art, solche Aetz- sonden anzufertigen, soll nach Nerincf die sein, dass man die Sondenenden erhitzt und daran die Chromsäurekrystalle anschmilzt. Auch Trichloressigsäure wird hiefür em- pfohlen: man löst das krystallinische Präparat in einigen Tropfen Wasser und taucht Wattabäuschchen darin ein als Träger des Causticum. — 142 - dylome, wird manchmal das rothe Quecksilberpräcipitat — Hydrar- gyrum oxydatum rubrum — in Pulverform verwendet. Smith empfiehlt als schorferzeu.üendes, Geschwüre schnell reini- gendes Mittel das Bismuthum subbenzoicum. Es wird durch Erhitzen von Bismuthum subnitricum, Aciduni nitricum und Natrium benzoicum in Wasser dargestellt, hat die Form eines weissen, weichen, geruch- losen Pulvers. Schmerz soll bei der Anwendung nicht vorkommen, sondern nur ein leichtes Prickeln, welches nach wenigen Stunden aufhört. Weiche Aetzmittel, auch Aetzpasteu genannt, sind wohl diejenigen, deren sich der Chirurg am häufigsten bedient, wenn er eine Tiefen- wirkung anstrebt. Ihre Action ist eine langsame, auf viele Stunden sich ausdehnende und äusserst schmerzhafte. Um die Umgebung vor Aetzung zu bewahren, muss man die zum Aetzen bestimmte Partie isoliren und mit einem Walle umgeben, der so hoch sein soll als die Aetzpastaschichte, welche man auftragen will. Je dicker die Schichte desto länger dauernd und tiefer ist die Aetzung. Wenn behauptet wird, dass eine Aetzpasta so tief ätze, als man sie dick auftrage, so ist dies nicht richtig, denn relativ ätzen dünne Schichten tiefer als dick aufgetragene, weil der sich jeweilig bildende erste Schorf hindernd auf die weitere Zerstörung einwirkt; wenn man aber bei dicker Auflage auf eine, die halbe oder höchstens zwei Drittel ihrer Höhe betragende Tiefenwirkung rechnet, so dürfte man beiläufig das Richtige treffen. Mehr als 1 Centimeter tief dürfte von der Oberfläche aus kaum geätzt werden können. Der Schutzwall wird aus Klebepflasterstreifen oder Ringen dargestellt, die man bis zu der gewünschten Höhe auf- einander thürmt. In die so hergestellte runde oder mehreckige Niederung wird die Pasta bis zur Ausfüllung hineingestrichen, ein Blättchen Guttaperchapapier darüber gelegt, mit hydrophiler Watte gedeckt und das Ganze mit einigen Bindentouren befestigt. Möchte man die Wirkung der Pasta etwa unterbrechen, so müsste der betreffende Theil nach abgenommenem Verbände in ein Wasserbad gelegt und längere Zeit darinnen erhalten werden. In der Nähe grosser Blutgefässe und Nervenstämme meide man vorsichtshalber die Anwendung von Aetz- pasteu. Am raschesten und intensivsten wirkt zweifellos die Pasta caustica Viennensis. Man bereitet sie ex tempore, indem man gleiche Theile Calcaria caustica pulverata und Kali causticum trituratum trocken mengt und dann mit Alcohol zu einem weichen Teige an- macht. Dieser wird auf die wallartig geschützte Stelle in einer Dicke von 2 bis 3 Linien aufgetragen und 15 bis .30 Minuten liegen ge- lassen. Da der Teig leicht zerfliesst, so möge es stets in kleinerem Umkreise aufgetragen werden, als man eigentlich zu ätzen beabsichtigt. Die Pasta bildet einen grauen, festen Schorf, der unter lebhafter Ent- zündung sich demarkirt und etwa eine Woche bis zur Abstossung erfordert. In früherer barbarischer Zeit, als man noch suppurirte Bubonen damit zu eröffnen pflegte, schnitt man den Schorf sogleich ein, um den Eiterabfluss zu beschleunigen und setzte dann den Kranken in ein laues Bad, um die Reste der Pasta zu entfernen. Zur Neu- tralisirung des Ueberschusses könnte am besten das Auflegen eines essiggetränkten Wattebauschens dienen. Eine zweite, früher stark benützte, viel langsamer wirkende Aetzpasta ist die von Canqaoin — 143 — eingeführte Chlorzinkpasta, welche aus pulverisirtem Chlorzink, Mehl und Wasser zu einem Teige angemacht wird. v. Bruns empfahl noch den Zusatz von etwas Glycerin, um der Pasta eine weichere Con- sistenz zu geben. Sie wird in einer Schichte von 3 bis 5 Linien auf- getragen und erst nach 1-2 bis 2o Stunden abgenomman. Die dicken lederartigen Schorfe benöthigen zur spontanen Abstossung eine Woche und darüber, oftmals gar deren zwei. Hat man tief zu ätzen und will man rascher vorwärts, so muss der Schorf nach einigen Tagen abgetragen und frische Pasta an Ort und Stelle aufgelegt werden. Will man in Körperhöhlen Aetzungen vornehmen, so empfiehlt sich hiefür die Pasta fester zu gestalten, einerseits damit man sie leichter einführen könne, und andererseits um Verätzungen der ge- sunden Umgebung nach Thunlichkeit zu verhüten. Eine feste Pasta kann man nach folgender Vorschrift bereiten: 10 Theile Chlorzink werden mit 15 Theilen Farina tritici unter Zusatz weniger Tropfen Wasser so lange verrieben, bis eine teigförmige Masse entstellt, welcher sodann noch 5 Theile Oxydum Zinci hinzugefügt werden. Hat man die Pasta in Stücke zerschnitten und ihnen die jeweilig gewünschte Form gegeben, so bestreut man die einzelnen Aetzstücke schliesslich noch mit Talcum venetum. Die so zubereitete Aetzpasta kann behufs bequemerer Einführung in Hohlorgane, beispielsweise Uterus, in ein Gazesäckchen gehüllt werden; den Schutz der Umgebung sichern Vaselinetampons. Um eine rasche Wirkung in die Tiefe so- wohl als auch in die Fläche zu ermöglichen, hat Maisonneave eine Variante in der Applicationsweise der Chlorzinkpasta erdacht, die er „Cauterisation en fleches", Aetzang mit Aetzpfeilen, nannte. Diesbehufs formt man einen festen Chlorzinkteig, rollt ihn auf ein Brett in beliebiger Dicke auf und schnaidet daraus dreieckige, spitzwinkelige Stücke von verschiedener Länge, die man dann unter massiger Er- wärmung rasch trocknet. Dadurch werden diese Aetzpfeile hart und lassen sich unter hermetischem Glas verschluss gut auf b awahren. In feuchter Luft erweichen sie wieder in Folge ihrer Hydrophilie. Ihre Anwendung geschieht durch Einsenken in die zu zerstörenden Gewebs- partien, wofür mit einem dolchähnlichen Messer Stichcanäle in das Gewebe angelegt werden, in welche man dann die Pfeile gleich Pfropf- reisern einbohrt. Die ehemals berühmte Pasta Landolfi ist nicht mehr in Gebrauch; kaum je findet ferner Verwandung die von RivaUle empfohlene, in Gelatineform gebrachte Salpetersäure. Von Arsenikpasten wird gegen- wärtig kaum mehr gesprochen, ausser in der Zahnheilkunde, wenn es sich um die Zerstörung der biossliegenden Zahnpulpa handelt. Hiefür ist die Pasta allerdings unübertrefflich; für chirurgische Zwecke jedoch ist sie weuen der Intoxicationsuefahr unzulässig. Soll eine durch cariöse Zerstörung des Zahnbeines blossgelegte Zahnpulpa getödtet werden, so gibt es drei Verfahren, solches zu Stande zu bringen: aj Das Ausreissen der Pulpa sammt einem Theile des Nervenfadens aus der Zahnhöhle und dem Zahncanale. Man benützt hiefür äusserst feine harpuneähnliche Häkchen, welche man rasch in die Pulpa einbohrt, hierauf einigemale um die Achse dreht und mit einem Ruck auszieht. Gelingt die Operation, dann findet man die ganze Pulpa am Häkchen aufgerollt und von ihr aus- _ 144 — laufend ein oder mehr feine Fädchen — Zahnnerven — je nach der Wiirzelanzahl des Zahnes selbst. Dieses von den Zahnärzten Nerven- extraction benannte Verfahren ist aber nur bei sonst integrer Pulpa ausführbar. Wenn die Pulpa chronisch entzündet ist, so wird sie gleich jedem entzündeten Gewebe locker in ihrer Textur, widerstandlos und zerreisslich; eine morsche Pulpa kann also nicht als Ganzes extrahirt werden, da der Haken ausreisst. Entzündete Pulpen erfordern sonach andere Zerstörungsmittel, wohin zu zählen sind: b) Die Zerstörung durch die Galvanocaustik, wie sie Beider zuerst geübt bat. Man benützt einen feinen, doppelt zusammengelegten Platinfaden, den man an einen geeigneten Träger befestigt, kalt bis zur Pulpahöhle einführt, hierauf durch Oeffnen des Batteriestromes in Gluthitze versetzt und nun erst in die Pulpa eindringt, c) Die chemische Zerstörung durch Arsenik. Man reibt hiefür ex tempore etwas Acidum arsenicosum mit Morphium muriaticum und einigen Tropfen Wasser zu einer syrup- dicken Masse, nimmt dann mit einer feinblättrigen Pincette ein etwa hirsekorngrosses festgewickeltes Baumwollbäuschchen, taucht es in die Masse und bringt es in die, früher mittelst hydrophiler Watte wohlgetrocknete und bis zur Einbringung trocken erhaltene cariöse Zahnhöhle so ein, dass die bestrichene Seite des Baumwollkügelchens genau auf den Eingang in die Pulpahöhle zu liegen kommt. Daselbst wird es angelehnt und angedrückt, und hierauf die Zahnhöhle mit Watte ausgestopft, die man mit Zahnharz imprägnirt, damit sie in der Höhle hafte und eine wasserdichte Verlegung dieser abgebe. Die Pasta bewirkt einen zwar dumpfen, aber ziemlich lästigen Schmerz, der in 4 bis G Stunden allmälig schwächer werdend aufhört. Nun wird zunächst der Zahnharztampon entfernt, sodann das Aetzkügelchen aus der Zahnhöhle herausgenommen und, falls die Aetzung voll- kommen gelungen, ist auch jede Empfindung im Zahne erloschen. Gewöhnlich färbt sich in der Folge das Zahnbein bräunlichgelb, manchmal folgt der Aetzung Wurzelhautentzündung nach.') Als Aetzmittel in flüssiger Form werden zumeist concentrirte Mineralsäuren verwendet, und zwar: Acidum nitricum fumans und Acidum sulfuricum concentratura. Erstere findet trotz der Unannehm- lichkeit der Dämpfe-Entwickelung häufigere Anwendung als letztere. Sie erzeugt gelbe, Schwefelsäure schwärzliche Schorfe. Beide wirken im Momente ein. Beabsichtigt man kleine umschriebene Partien zu ätzen, beispielsweise Warzen, so bedient man sich eines gespitzten Glasstabes, womit man die Säure oberflächlich wiederholt aufträgt. Eine Tiefenwirkung erzielt man durch Einbohren des Trägers in das betreffende Gewebe. Will man grössere Flächen damit ätzen, etwa einen Prolapsus ani, so benützt man hierzu Asbestpinsel, welche man in die Säure taucht und damit die Oberfläche der Schleimhaut wieder- holt bepinselt. Zum Schutze der Umgebung dienen nasse Compressen; zur Entfernung des Ueberschusses : Ueberrieselungen mit kaltem Wasser. Seltener finden Anwendung die Mono- und Bichloressigsäure. Sublimatlösungen in Aether oder Collodium 2 bis 3 auf 25 werden 1 Esiiiarch rühmt für jauchende Neubildungen das Aufstreuen eines Pulvers, bestehend aus: Acid. arsenic. und Morphium aa 0-25, Calomel 200, Gummi arabic. 12-00. Es soll in der Menge eines halben Kaffeelöffels aufgestreut, einen hellgelben, leder- artigen Schorf bilden und keine toxischen Erscheinungen hervorrufen. — 145 — höchstens zur Zerstörung von Condylomen oder Warzen verwendet; ausgedehnte Aetzungen verbieten sich, kraft ihrer gleichzeitigen toxi- schen Wirkungen. Noch seltener verwendet man das Sublimat in statu nascendi, welches dadurch entwickelt wird, dass man die zu cauterisirenden Stellen zunächst mit Chlorina liquida benetzt und darüber Calomel- pulver streut. Zur Aetzung von Condylomen empfiehlt Bockhart das Plumbum causticum als Lösung (0-25 Bleioxyd gelöst in 7*5 Cc. kochen- der o3V;iProcentiger Kalilauge) oder als Stift (2 Theile Bleioxyd mit 8 Theilen geschmolzenen reinen Aetzkali). Zu den schwächeren flüssigen Aetzmitteln zählen: concentrirte Auflösungen von Nitras argenti crystall, Lösungen von Chlorzink in der Stärke von lo bis lö Procent, ^ endlich Liquor ferri sesquichlorat, von dem schon im Capitel „Blutstillung" die Rede war. Um flach aufsitzende, pathogene Gewebsneubildungen : fungöse Granulation, Lupus vulgaris, flache Epitheliome, ausgebreitete Papil- lome etc. zu zerstören, bediene ich mich schon seit Jahren der con- centrirten Milchsäure. Diese verwandelt die Neubildung je nach ihrem Blutreichthum in einen schwärzlichen oder grauröthlichen Brei, als Beweis, dass nicht nur die pathogenen Zellencongiomerate, son- dern auch das stroma und die ernährenden Blutgefässe durch Auf- lösung zerstört werden. Wiederholte Applicationen beseitigen die Neu- bildung vollends; dass dieses der Fall sei, beweist die nachträglich anstandslos erfolgende Yernarbung. Die Milchsäure unterscheidet sich von den Causticis dadurch, dass sie normale Gewebe nicht zerstört, während letztere alles Organische, womit sie in Contact kommen^ unterschiedlos vernichten. Es mag diese auffällige Eigenschaft darin begründet sein, dass den pathogenen Geweben eine geringere biolo- gische Widerstandskraft gegen die chemische Wirkung der Milch- säure zukommt. Bisher bin ich bei der localen Application der bekanntlich flüssigen concentrirten Milchsäure folgendermassen ver- fahren : zunächst wird die gesunde Umgebung durch aufgeklebte Heftpflasterstreifen oder durch Auftragen von Cetaceumcerat geschützt. Dieser Vorgang ist aus einem doppelten Grunde nothwendig, einmal reizt das Präparat die Haut, wenn sie diese auch nicht zerstört; ferner verhindert der Schutzwall das Ueberfliessen der Milchsäure und concentrirt ihre Wirkung auf die kranke Partie. Eine blosse Aufpinselung des Präparates ist nicht genügend, es sei denn, dass man sie in kurzen Pausen des Oefteren wiederholt. Ich pflege daher Leinwand oder eine dünne Lage hydrophiler Watte der Form und dem Umfange des Krankheitsherdes entsprechend zuzuschneiden, sie mit Milchsäure zu imprägniren und sodann direct der erkrankten Stelle aufzulegen, nachdem sie von etwaigen Borken, Salbenresten etc. sorgfältig gesäubert wurde. Darüber lege ich Gummipapier, sodann einen Bauschen Watte und fixire das Ganze mittelst einer Binde oder einem Tuche. Eine zweite Applicationsweise ist die Verwendung einer Milchsäurepasta, bestehend aus Acidum lacticum und Acidum silicicum aa qu. sat. ut fiat pasta mollis. Diese Pasta wird messerrückendick auf ' Socln empfiehlt eine Zinkcxyd-Cblorzinkpasta, welche derart bereitet wird, dass man die Chlorzinklösung ex tempore mit so viel Zinkoxj-d mischt, bis ein weicher Brei resultirt. V. 5t o s f 1 i :.- - M o o I- li o f: Ilaiidljuc-h .1. cliinirs. Tfrli.ük. 4. Aull. 10 — 140 — Gummipapier iiostrichen aiiflich i;elin bis 8 Centimeter Breite. Die Lappen werden vorgezeichnet, id est seichte an den Grenzen ein- geschnitten und dann vorsichtig mit Pincette und Scalpel abpräparirt. Man soll, wenn ein Theil schon abgetrennt ist, zur leichteren Abprä- parirung des Folgenden das Losgelöste so einschlagen, dass die inneren Flächen sich berühren. Sind mehrere Lappen nothwendig, so sollen die Grenzlappen wohl die Wundränder überragen, gegenseitig aber nur juxta- nicht supraponirt sein. Wenn es auch, wie früher gesagt wurde, kaum je gelingt die Haut von Thieren zu implantiren, so gelingt es dafür, Avie Wolfe es zuerst bewiesen hat, die conjunctiva des Kaninchenauges auf Defecte menschlicher Lider mit Erfolg zu überpflanzen, wenn man jene auf frische Wundflächen pfropft. Die Idee von Fiddes, Epidermisschuppen^ auf granulirende Wundflächen zu streuen, in der Absicht neue Ver- jiarbungscentra zu erzeugen, hat sich, wie schon a priori hätte klar sein sollen, nicht bewährt. Cutisgewebe ist hierzu absolut nothwendig, ■p-^^/ .^^-v^.*,: /C 172 - nur solches kann neue Vernarbungscentra abgeben, da nur von ihm aus die Cicatrisation ausgeht. Haare zu iniplantiren, hat v. Nussbaum^ Lversucht. Hatten sie noch eine äussere Wurzelscheide, so haftete diese / _und bildete ein Vernarbungscentrum, das Haar aber fiel nach wenigen .' Tagen aus. Haare ohne Wurzelscheide haften überhaupt nicht. Es wurde wiederholt betont, dass bei der Implantation nur Epidermis-Corionstücke genommen werden sollen, weil das etwa an- hängende subcutane Fettgewebe die Haftung geradezu hindert. Die Ursache liiefür ist eine Necrobiose des Zellstoffes in Folge mangeln- der Ernährung. Wenn ein Corionstück leicht neue Ernährungsquellen an der Ueberpflanzungsstätte findet, in Folge rasch eingeleiteter Gefässverbindungen, so scheint es für den Zellstoff viel schwieriger Fig. 64. X X ^ mmmmmm^^^-m/ X X m -/ zu sein, derlei Verbindungen genügend schnell einzugehen. Wenn auch angegeben wird, dass in einzelnen Fällen die Ueberpflanzung ganz getrennter, selbst sehr umfangreicher, completer Hautstücke, welche also aus allen drei anatomischen Schichten bestanden, gelungen sein soll, so sind derlei _Fälle stets als Ausnahmen, und zwar als seltene Ausnahmen zu betrachten. JVVill man bei der Ueberpflanzung grösserer completer Hautstücke seiner Sache halbwegs sicher sein, so ist es erforderlich, das Hautstück so lange mit dem Mutterboden behufs Ernährung in Verbindung zu lassen und dadurch der Necrose zu steuern, bis eine VerAvachsung mit dem neuen Boden gelungen und damit auch die neue Gefässverbindung mit dem Blutgefässnetze des- selben hergestellt ist. Erst dann kann die gänzliche Abtrennung vom Mutterboden erfolgen, da die Ernährung von Seite des Ueberpflanzungs- bodens nunmehr aesichert ist. Solche vom Mutterboden nur zum cK A.^ /r» -*'-^'^'^^^"^" 173 - j'nv -r?^ JTlieile abgelöste Hautstücke, welche noch mit einer Brücke oder einem Stiele mit ersterem in Verbindung bleiben, nennt man Lappen, und die Procedur deren Ueberpflanzung nicht mehr Pfropfung oder Im- plantation, sondern Plastik oder Transplantation. Da nun eine Plastik vorzugsweise zur Deckung frischer, oder angefrischter Hautdefecte zur Anwendung kommt, so wollen wir der Plastik bei diesen und bei granulirenden Flächen zusammen gedenken, umsomehr als letztere durch Abtragung der Granulationsschichte und Anfrischung der ver- narbten Ränder des Häufigsten in frische Wunden umgewandelt zu werden pflegen. Fig. Gü. X K V r/Y V V f 1 ^ ^c Y b I^i ■d/- B. Frische Substanzverluste der Haut, gleichviel ob recent entstanden oder aus einer Anfrischung granulirender hervorgegangen, können gedeckt werden: _aj Durch mechanische Herbeizerrung der wunden ^_Hauträn.der, eventuell durch Verschiebung der beweglich gemachten .^Nachbarhaut und blutiger Vereinigung durch die Naht. Lassen sicli die Hautränder durph^ ^9tiy^iL-wi& ^^^ ^^^^' Berührung nähern, so genügt die Verein]^ungsnamY"etwa in Verbindung mit einigen inter- jjalirten Entspannungsnähten, zur Deckung des Defectes vollkommen. Gestattet der Defect durch activen Zug nur eine Verkleinerung, aber keinen Verschluss, so können die Hautränder dadurch mobiler und verschiebbarer gemacht werden, dass man sie von ihrer Vor- ^ ff'^f 174 — bindung mit der Uiitorlage in genügender Ausdehnung trennt. _J)iese Trennung oder TJnterminiruno^ geschieht an der Grenze zwischen subcutanem Zellstoffe und oberflächlicher Fascie mittelst flach geführter, zur Fascie i^aralleler Messerzüge, wobei man zur Unter- stützung die Haut mittelst einer Pincette'am Rande fasst und ab- Ji.ebt. In beiden Fällen wird die spätere Naht stets von den Winkeln des Defectes gegen dessen Mitte hin angelegt, nicht umgekehrt, weil Fis. 66. ><('■•' / die in Ap;gosition zu bringenden Hautränder in der Mitte des Defectes^^ ji^llieTsten""' klaff en und die zuerst angelegten Winkelnähte die Ent-^ sj^nnung gradatim besorgen. Damit die Hautränder zu gegenseitiger ^Vereinigung sich leichter fügen, ist es unentbehrlich, dass sie con- gruente Flächen bilden, denn nur solche ermöglichen einen gleich- massigen innigen Contact. Diese Congruenz erzielt man durch senk- rechte Durchschneidung der Haut, daher die Regel: bei operativen Eingriffen, betreffen sie nun eine primäre Durchtrennung oder eine secundäre Anfrischung, nach welchen eine unmittelbare Vereinigung tC^^^j^^'^^.u^U^-- ^.-PT 175 — beabsichtigt wird, das Messer^tets senkrecht zur Hautfläche zu fiihren. Weiters soll getrachtet Averden, so glatte und ebene Wundränder zu schneiden, als es nur eben geht; endlich sind regelmässige Formen der Totalfigur des jeweiligen Defectes nach Thunlichkeit anzustreben. Auf welche Weise die Nähte anzulegen sind, ergibt das Gesetz der jeweiligen Zweckmässigkeit und geringsten Spannung. Fig. 64 stellt einzelne Schemen dar, welche die Orientirung erleichtern und weit- läufige Ausführungen ersparen sollen. Bleibt die Spannung trotz ent- sprechender Unterminirung noch immer so bedeutend, dass ein directer a c 1 a Y y a a Verschluss nicht zu erzielen ist, so hilft man durch Entspannungs- schnitte ab, welche die Verschiebungsmöglichkeit um ein Bedeutendes erhöhen, natürlich stets auf Kosten eines temporären oder bleibenden Klaffens der Entspannungsschnittränder. In letzterem Falle wird 'der ursprüngliche Defect auf Kosten frisch angelegter gedeckt, nur sind diese stets kleiner und daher rascher heilbar. Die Entspannungsschnitte kihmen je nach Bedarf entweder nur einseitig vom Defecte, oder bei- derseitig angelegt werden; schräg zur Vereinigungsachse des Defectes, oder in gleicher Richtung, ihr Zweck bleibt stets derselbe: die Mobil^ machung der Xachbarhaut behufs grösserer Verschiebung. Tig. 05 — 176 — illustrirt scheniiitisch das eben Gesagte. Eine sehr geniale Variante der seitlichen Verschiebungsinethoden gibt ^lie iJ'^ro^/-'sche Methode der seitlichen Hilfsdreiecke, zu deren Verständniss Fig. G<5 beitrageiT dürfte. 'Umgrenzt man vom Defecte aus auf zwei Seiten, durch eckig oder ruiTd ineinander laufende Schnitte die umgebende Haut, so dass ihr Zusammenhang mit dem Mutterboden, in breiter oder schmälerer Aus- dehnung nur mehr an einer Seite erhalten bleibt, so ])ezeichnet man eine s<» umsclmittone Haut mit dem Namen: einfach gestielter Ver- schiebungslappen. Diese Methode hat den Zwe'ck, durch jätiüliche "^^^r Drehungsverschiebung von der Unterlage ab, den losgelösten^ Lappen ' über den Defect zu ziehen und ihn dortselbst zu fixiren. Fig. «7 erklärt gleichfalls schematisch den technischen Vorgang. Der kraft der Retraction der elastischen Hautgebilde und in Folge der Lappenverschiebung entstehende neue Defect kann, falls er vereinigbar ist, gleichfalls durch Nähte verschlossen werden, im gegentheiligen Falle wird er der Vernarbung durch Granulation überlassen oder durch Hautimpiantatiou geschlossen. Jeder Entspannungs- oder Lappenumschreibungsschnitt soll senkrecht zur Hautfläche und durch die ganze Dicke der Haut bis zur Fascie geführt werden, \yeiters sind die Schnitte so anzulegen, dass sie den Verlauf grösserer Gefässäste nicht kreuzen, sondern zu diesen annähernd parallel laufen, damit die Hauptblutzufuhr vom Mutterboden möglichst intact erhalten bleibe. ^Diü~Yei:einigungsnäh.te sind genau anzulegenj_,aber_ wjgder zu sü;amm anzuziehen, noch zu dicht nebeneinander zu stellßn, .damit die JocaTe Ernährung des transplantirten Hautbezirkes^nicht kleide. Alle bisher in Betracht gezogenen plastischen Eingriffe betrafen die unmittelbare Nachbarschaft des Defectes, indem es sich nur um die Deckung durch Hautverschiebung allein, o^er durch seitliche ^rehung minimalen Grades handelte. Bei solchen Plastiken bleibt die verbindende Hautbrücke dauernd erhalten oder wird später nur cosmetisch nothwendigen Correcturen unterzogen. LJb)^ Jinrch Plastik mit gestielten Lappen aus entfernteren Körper- theilen. Man bedient sich dieser viel complicirteren Methode nur dann, Avenn die Nachbarschaft des Defectes zu plastischen Zwecken nicht in Anspruch genommen werden kann oder darf. Betrachten wir zu- vörderst, wie durch diese Methode granulirende Wundflächen zu decken seien. Es gibt dafür zwei Wege: 1. Man belässt die Wunde in ihrem granulirenden Zustande; dann muss auch der Lappen eine granulirende Fläche besitzen, da nur gleichartige Wunden sich zu gegenseitiger Verwachsung eignen. Das Verfahren dabei ist folgendes : Zunächst wird am hautspendenden Mutterboden ein Hautbezirk be- zeichnet, welcher, was Form und Grösse anbelangt, mit Rücksicht der Factoren: Elasticität und Contractilität, zur bezüglichen Defect- deckung ausreicht; diesen umschneidet man an zwei, dem Gefäss- verlaufe parallelen Seiten in toto, also bis zur Fascie; an den resti- renden, die Hauptgefässe tragenden Seiten bleibt die Verbindung mit dem Mutterboden vorderhand erhalten. Man spricht in solchem Falle von einem ^doppelt gestielten sesshaften Lappen. Dieser wird von der Fascienunterlage sorgfältig abpräparirt, also unterminirt, und hierauf zwischen Unterlage und Lappenwundfläche ein fremder Körper flach eingeschoben, wozu Stanniol oder Guttaperchapapier sich eignet. Nach — 177 - und nach beginnen nun beide, durch den Fremdkörper voneinander geschiedenen'Wundflächen zu eitern, endlich nach etwa 14 Tagen sind beide granulirend. Jetzt durchschneidet man den einen Stiel und gewinnt damit einen einfach gestielten, granulirenden, nur an dem einen Rande frischen Lappen. Dieser Avird mit seiner granulirenden Fläche auf die Granulationsfläche des Defectes durch Aufklappung oder Drehung gebracht, und dessen Ränder mit jenen des Defectes durch die Naht vereinigt; eventuell kann der eine Defectrand, welcher mit dem frischen Lappenrande in Verbindung gebracht werden soll, auch angefrischt werden. Der Lappenstiel bleibt vorderhand als Er- nährungsbrücke erhalten, bis die Verwachsung der Lappenfläche mit der Defectfläche complet geworden und damit die neue Gefäss- verbindung hergestellt ist, wozu 2 bis 3 Wochen nothwendig sind. Erst jetzt trennt man den noch übrigen zweiten Lappenstiel durch und macht damit die Ueberpflanzung fertig. Es erfolgt daraus, dass eine derartige Plastik bis zu ihrer Vollendung volle 5 Wochen Zeit in Anspruch nimmt. So gestaltet sich das Verfahren bei Benützung granulirender Lappen. Die Vortheile, deren solche Lappen theilhaftig sind, bestehen vorwaltend in einer besseren Ernährung, indem durch die Granulationsbildung auch die Vascularisation sich gesteigert hat: Inanitionsnecrose ist demnach weniger zu befürchten. Ein weiterer Vortheil wäre die grössere Immunität granulirender Flächen vor septischer Infection, und dies war in vorantiseptischer Zeit sehr massgebend, daher auch die zeitliche Vorliebe für derlei Plastik. Allein es haben granulirende Lappen auch ihre Nachtheile. Abgesehen von der längeren Zeitdauer, welche das Verfahren beansprucht, sind als Nachtheile zu betrachten: die relative Dicke und Aufwulstung granulirender Lappen, ihre geringere Elasticität im Vergleiche zu frischen Lappen, endlich das Einkrempen der Ränder, welches ein gleichmässiges Anliegen erschwert. Eine Abart der granulirenden Hautlappen bilden die künstlich überhäuteten, id est Lappen, deren Granulationsfläche durch das Implantationsverfahren mit einer Cutis- decke überkleidet werden, bevor man sie transplantirt. Diese von PUssing ersonnene Variante ist dann von wesentlichem WertlTe, wenn es gilt, auf plastischem Wege Höhlenwanddefecte zu schliessen, wobei der transplantirte Lappen die Rolle der fehlenden Deck wand zu spielen berufen ist. ßas Verfahren scheint wohl den Doppellappen- verschluss ersetzen zu können, welcher bisher für derlei Defecte jjeltung hatte und darin bestand, zwei supraponirte Hautlappen mit wechselseitig zukehrenden Wundflächen zu überpflanzen. _Davon wird ^später bei der Meloplastik und bei Ectopia vesicae die Sprache sein. 2. Es wird die granulirende Defectwunde zu einer frischen gestaltet, indem man die Granulation sorgfältig abträgt und die Hauträhder anfrischt. Thiersch hat diese Methode, wie wir schon an- führten, auch für Hautimplantationen empfohlen. Sie besteht darin, dass man die oberflächliche, weiche, unebene Granulationslage, welche mit zahlreichen senkrecht verlaufenden Gefässen durchsetzt ist, sorg- fältig abpräparirt und nur die aus ziemlich straffem Bindegewebe (mit horizontal verlaufendem Gefässnetze) gebildete Granulations- unterlage zurücklässt. Thiersch sieht diese Schicht für besonders geeignet an, mit dem überpflanzten Lappen rasche Verklebungen V. Mosetig-Moorhof: Handbuch d. chiruit. Tuchiiik. 4. Aufl. 12 — 178 — einzugehen. Da man nun lieutz;iita*«^— ** (%) Die D^chschneidung der Narbe bezweckt eine Verlängerung der- selben auf Kosten einer Diastase der gesetzten Wundränder; sie wird geübt bei constringirenden FlächennarlDen Die Durchschneidung wird von aussen nach innen, unter gleichz(ntiger passiver Anspannung der in Contractur versetzten Körpertheile ausgeführt. Die Trennung kann dabei an einer Stelle alieiu oder., an mehreren nacheinander vorgenommen werden, je nach Bedarf, id est je nachdem der Narben- widerstand es erheischt, um die normale Stellung der Theile zu er- zwingen. Die Durchschneidung kann vorgenommen werden: fcc)\ in ^senkrechter Ri^tung, von der Oberfläche des Narbenstranges bis zu seiner Basis;, /j)^ in schräger Richtung, nach Diejf'anhachj^^ wobei nach vollzogener Streckung das Klaffen der Wundränder ein geringeres ist als bei der queren Durchschneidung, indem die schrägen Wund- ränder mehr der Länge nach ausgezogen werden und sich parallel zu einander stellen; (y)]i\\ Form eines V, n2iQ,^Blasins^ wobei nach der Elongation die Wlindspalte die Form einesianggezogenen Y erhält. Als weitere Metjioden zählen: id) die partielle oder totale Excision der Narbe; ^ die Halbirung' der Narbe, bei narbiger Flächenverwachsung zweier Körpertheile. Das weitere Verhalten nach erzielter Intention wird davon ab- hängen, inwiefern man ^e neugewonnenen Wundränder _ in _ ihrer jv^erschobenen Lage untereinander vereinigen kann oder nicht. Lassen sie sich vereinigen, sei es ohne, sei es mit Entspannungsschnitten, die dann stets im Gesunden zu führen sind, dann ist der Zweck erreicht; man vereinigt sie durch Nähte oder durch Heftpflasterstreifen. Kann man die Narbenränder nur einander nähern, so möge die weitere Sicherung nur durch Klebestreifen vermittelt werden. Ist selbst eine hinreichende Annäherung nicht möglich, so kann auf doppelte Weise weiter vorgegangen werden. ], Man fixirt den betreffenden Körper- theil in der durch die Narbentrennung gewonnenen, neuen, normalen Lage durch Fixirverbände, am besten durch starre Verbände, und überlässt die Wunde der Granulation, deren Vernarbung man entweder sich selbst überlässt, oder durch Hautimplantationen unterstützt. Selbstverständlich müssen dabei die Fixirverbände bis zur vollendeten Vernarbung der Wunde am Platze belassen werden, um neuen Contrac- turen vorzubeugen. 2. Es werden aus der gesunden Umgebung oder aus entfernten Körperfegionen gestielte Hautlappen transplantirt. Dieses Verfahren ist bei grosser Wundausdehnung wohl das einzig richtige und rationelle. " Narbencontracturen an den Gliedmassen lassen sich auch dadurch heben, dass man durch Anbringung einer wirksamen constanten Gewichtsextension theils die Narbe dehnt, theils auch die gesunde,. Haut der Umgebung so weit herbeizieht, dass trotz des Fortbestandes der Narbe deren Folgezustand, die Contractur, behoben bleibt. Gleich-, zeitige Massage der Narbe könnte deren Nachgiebigkeit und Dehne, barkeit erhöhen. Schede hat mit diesem unblutigen Verfahren bei einer — 1«1 — narbigen Contractur des Ellbogengelenkes in vierzehn Tagen Heilung erzielt, wobei es sich nachträglich zeigte, dass die Xarbe sich um ein Bedeutendes tiefer gestellt hatte, auf Kosten einer Herabrückung der Oberarm- und der Schulterhaut. J/aa.^- hat zur permanenten ^Gewichtsextension nocji Incision der Xarbe mit plastischem Ersatz des Defectes hinzuaddirt. Als Anhang wäre Einiges über die Operationen bei narbigen Beingeschwüren anzuführen. Wenn ein narbenumgebenes, einfaches oder osteopathisches Ulcus cruris durch Ruhe und topische Medication zu einer granulirenden Wunde umgestaltet worden, bemerkt man des Häufigsten, dass die Vernarbung äusserst träge vor sich geht und endlich ganz und gar stockt; dabei sieht die Granulation blass, atro- phisch aus; alle Versuche, durch Reizmittel eine lebhaftere Fleisch- wärzchenbildung anzufachen, scheitern. Dass derartige Erscheinungen in einer mangelhaften Ernährung des Wundbodens ihren Grund finden, ist allbekannt. Die Ursache solch mangelhafter Blutzufuhr ist die circuläre, dicke, harte, starre Narbe, welche die Wundfläche allseitig umfasst. Insolange die Ernährung so mangelhaft bleibt, kann weder von einer Implantation, noch auch von einer Transplantation die Rede sein, da ja beide, wie wir betont haben, einen wohlgenährten Defect- boden als erste Bedingung erfordern. Der Grund, weshalb die Narbe die Blutzufuhr verkümmert, ist ein doppelter: einerseits ist es der locale Druck, welchen die starre Narbe auf die Unterlage, aus welcher die Gefässe stammen, ausübt, andererseits ist es die Spannung, in welche sie den Wundboden versetzt. Die Narbenretraction ist bei kreisförmigen Narben eine concentrische, ihre Richtung ist zum Wund- bodencentrum hin gerichtet. Gleichzeitig aber steht die Narbe unter dem Einflüsse der Elasticität und Contractilität der Nachbarhaut, welche im excentrischen Sinne wirken; da nun die Narbe am Wund- boden haftet, so spannt sie ihn und verengert dessen Ernährungsgefässe; das Resultat ist Anämie und folgeweise mangelnde Gewebsproduction. Um dieser üblen Einwirkung der Beindefectnarbe entgegenzuwirken, gibt es zwei Verfahren : aj starker circulärer Druck, durch stramm angelegte Klebepflasterstreifen oder besser noch durch Gummibinden, als Marti H'Qche Gummibinden bekannt, mit welchen die Extremität von den Zehen angefangen bis über die Geschwürsgrenze hinauf umwickelt wird. Dieser Druck hat eine Erweichung und Schmelzung der starren Narbe zur Folge, wodurch die Spannung der Unterlags- gewebe verringert wird. Die Binde darf den Unterschenkel nicht anämisiren; sie darf also nur so fest angelegt werden, dass sie tage- lang vertragen werden kann ; bj äussere Entspannungsschnitte, womöglich im normalen Gewebe, v. Xasshauni umschnitt die Narbe circulär, Faure an zwei Seiten durch halbmondförmige Schnitte. Die senkrecht bis zul" Fascie zu führenden Schnitte dürfen nie näher als höchstens zwei Querfinger breit vom Defectrande angelegt werden, weil sonst eventuell ein Absterben der umschnittenen Narbenringpartie erfolgen könnte. In die Schnittfurchen, welche bei gleichzeitiger varicöser Aus- dehnung der Venen meistens stärker bluten, stopft man Jodoformgaze, theils um die Blutung zu stillen, theils um die Schnittflächen ausein- imderzudrängen und sie aseptisch zu erhalten. Nunmehr erholt sich die Defectgranulation und wird zu Implantationen geeignet, oder vernarbt. H ^ j. .^ n tMn- — 182 — Ilavhordt spaltet das Geschwür der Länge nach bis weit in das Gesunde liinein und legt nebstbei in Abständen von 2 Centimeter zahlreiche Querschnitte an, die ebenfalls durch die ca-llösen Massen hindurch bis ins normale Gewebe dringen. Alle Schnitte durchdringen mit der Haut auch die Fascie. VII. Operationen an den Nägeln. Sie betreffen entweder die Entfernung des ganzen Nagels oder die Ausschneidung einzelner Nageltheile, mit oder ohne Betheiligung der umgebenden Weichgebilde. Die totale Exstirpatio unguis findet ihre Anzeige bei Erkrankungen des Nagels oder seiner matrix; weiters wird sie als Voract geübt bei der Exstir- pation subungualer Enchondrome und Exostosen; die partielle Excision wird vorgenommen bei Nagelbettabscessen oder unter dem Nagel ein- gedi'ungenen Fremdkörpern, endlich bei unguis incarnatus. Das Entfernen eines Nagels geschieht durch stumpfes Abhebein desselben aus seinem Weichtheilrahmen. Kleinere Nägel können als Ganzes entfernt werden, grössere werden häufig erst in der Mitte der Länge nach gespalten und dann jede Halte für sich extrahirt. Das Durchschneiden eines Nagels wird am besten mit einer starken Schere vorgenommen; man führt das spitze Blatt der geraden oder Winkel- schere vom Nagelrande aus längs des Nagelbettes bis zum Ende der Nagelwurzel ein und spaltet den Nagel mit einem Scherenschlage; bei abnorm dicken und entsprechend harten Nägeln wäre eine Knochenschere am Platze. Das Abhebein nimmt man mit einer Korn- zange vor, so, dass man eines der Blätter zunächst vom freien Nagel- rande aus, also von vorne her unter dem Nagel bis zur Wurzel ein- schiebt. Wird die Kornzange nun geschlossen, so ist der ganze Nagel, beziehungsweise die eine Nagelhälfte sicher und fest gefasst. Man senkt nun die Zange rasch nach abwärts, wodurch zunächst der Wurzel- theil aus dem Bette der matrix gehoben wird; senkt man weiter, so wird nach und nach der ganze Nagel aus seinem Rahmen heraus- gehebelt. Auf diese Weise gehandhabt, reisst die Kornzange nicht aus, was wohl der Fall sein könnte, wenn man bei festem Haften des Nagels ihn in horizontaler Richtung ausziehen wollte. Bei Onychia maligna ist der Nagel oftmals sehr verkümmert und brüchig; des Häufigsten ist nur ein schwarzer, aus dem schmutzigen 'Granulations- lager senkrecht emporragender, stark gewölbter Nagelrand sichtbar. Für derlei Fälle ist es der Brüchigkeit des Nagels halber gerathener, den Nagelrest zunächst zu spalten und dann die beiden Hälften ein- zeln auszuhebein. Sind nur mehr einzelne Nagelspicula zugegen, so müssen diese, ihrer Kleinheit halber, mit breiten Sperrpincetten gefasst und ausgerissen werden. Nach jeder Nagelextraction soll man sich stets überzeugen, dass die intendirte Operation auch vollends gelungen und keine Bruchtheile der Nagelwurzel zurückgeblieben sind. Bei partiellen Nagelabtragungen, behufs Entleerung subungualer Abscesse oder Entfernung von Fremdkörpern, wird gewöhnlich vom freien Nagelrande aus mittelst Schere ein Keil von hinreichendem Umfange herausgeschnitten, oder man entfernt nur einen Theil der Nageldecke, — 183 — indem man mit einem scharfen Messer die Nagelsubstanz kleinweise abträgt. Das Messer wird dabei wie beim Aepfelschneiden gehalten, während der Daumen auf die Zehenspitze stützt. Eine besondere Besprechung erfordern die operativen Verfahren bei der so häufigen Incarnatio unguis. Es sind ihrer zwei und bestehen a) in der Abtragung des leidenden Nagelfalzes allein. Diese von Emmert als vollständig genügende, zweckdienliche Operation empfohlene Me- thode muss so genau und vollständig ausgeführt werden, dass der Nagelrand in seiner ganzen Ausdehnung frei liege und weder von der Seite, noch von unten her ein Angedrücktwerden der Weichtheile gegen denselben mehr möglich sei. Die Abtragung des Nagelfalzes allein ist ein sehr einfaches Verfahren. Man fasst die Zehe mit der linken, die Palmarfläche nach auswärts kehrenden Hand zwischen Daumen und Zeigefinger und klemmt sie seitlich, wodurch der kranke Nagel- falz möglichst vom Nagelrande abgezogen wird; hierauf sticht man im Winkel zwischen matrix und Falz ein spitzes Bistouri durch letzteren durch und trägt nun in schiefer Richtung vom dorsum zur planta, von der matrix her, den Falz in seiner ganzen Dicke und Länge mittelst sägeförmig geführten Messerzügen ab. Der so in Form eines Lappens ausgeschnittene Falz hängt nur mehr hinten in der Matrixebene mit dem Mutterboden zusammen; schliesslich wird der Lappen mit einer Pincette gefasst und an der Basis quer abgetragen. Emmert empfiehlt auch die freie Abtragung des Nagelfalzes von hinten her. Dabei wird das Messer mit nach vorne gerichteter Scheide einige Linien hinter dem Anfange des Nagelrandes schräg angesetzt und nun werden in einem Zuge die sämmtlichen, den Nagelrand deckenden Weichtheile abgetragen, so dass nicht bloss jener vollständig freigelegt, sondern auch eine zur planta schräg abfallende Wundfläche gebildet wird, die nach hinten zu ohne Absatz ausläuft. Mit der Entfernung des leidenden Falzes als locus morbi soll auch das Leiden definitiv behoben sein. Nun hat aber Lorinser hervorgehoben, dass bei unguis incarnatus der Process manchmal nicht allein in der Nagelfalzfurche abspielt, sondern dass die entzündliche Granulation von jener Stätte aus auf das Nachbarfeld des Nagelbettes übergreift, und dass bei solchem Vorkommnisse trotz einer gründlichen Abtragung des Falzes dennoch Recidive von Seite des Nagelbettes erfolgt. Man kann also sagen, dass die Emmert' s,c\\e Methode bloss für jene Fälle passe, wo die besagte Complication nicht vorliegt. Ausnahmslos für alle Fälle eignet sich h) die Abtragung des Falzes, des Nagelrandes und des, letz- terem zukommenden Matrixabschnittes. Dieses radicalere Verfahren kann in einem oder in mehreren Tempo ausgeführt werden. In einem ein- zigen Tempo operirte Maisonneuve. Er benützte hiefür ein eigenes Messer, klein, aber stark und gut geschliffen. Die Klinge war der Fläche nach halbmondförmig gekrümmt. Maisonnenve pflegte die kranke Zehe — wie oben beschrieben — zu erfassen, drängte den Nagelfalz ab, setzte die Messerschneide mit der convexen Seite hinter der Nagel- wurzel an und trug in einem festen Zuge Nagelrand sammt Matrix- ecke und Falz ab. Bei dieser Methode wird allzu viel des Guten gethan und viel mehr abgetragen, als stricte nothwendig ist. Das Verfahren in mehreren Tempo ist daher gebräuchlicher : 1. Act. Man schneidet an der anämisirten und local anästhesirten Zehe zu- — 184 — nächst den seitlichen Nagelrand durch, eini^re Linien vom Falze ent- fernt, am besten mit der Schere, wie früher erwähnt. Schwieriger und umständlicher ist die Längstrennung des^ Nagelrandes mittelst eines Messers. Man nimmt hierzu ein kleines, starkes, scharfes Scalpell, legt es horizontal auf den Rücken des Nagels an, entspre- chend der Trennungsebene und drückt nun das Messer, indem man das Heft etwas hebt, zunächst durcli die Nagelwurzel; hierauf wird mittelst wiegender Bewegungen allmälig der Nagelkörper gegen den freien Nagelrand hin durchtrennt. Das Messer darf nur durch wie- genden Druck schneiden, nicht durch Zug, um das Ausrutschen an der glatten, festen Nageldecke zu vermeiden; die linke Hand stützt dabei die Zehe an der Plantarfläche und übt einen Gegendruck aus. Ein oft tiefes und mindestens ganz und gar unnöthiges, gleichzeitiges Einschneiden des Nagelbettes ist beim Gebrauch des Messers kaum zu umgehen. 2. Act. Umschneidung der, dem abgetrennten Nagelrande entsprechenden Matrixecke und des Falzes an seiner Aussenseite bis zum Auslaufe an der Zehenspitze. Im 3. Acte wird das Durch- und das Umschnittene mit einer Hakenpincette gefasst und von aussen her mittelst flacher, nicht zu seichter Messerzüge abgetragen. Man achte besonders auf eine sorgfältige Ausschneidung der Matrixecke, um die Nagelbreite auf die Dauer zu reduciren. Die neuerer Zeit von Petersen beschriebene Methode, bestehend in der Abtragung des Nagelfalzes, nachheriger Längsspaltung des Nagels in seiner Mitte und Ausreissung beider Hälften, wäre selbst bei bilateraler Incarnatio unguis etwas zu viel des Guten. Entschieden unzureichend hingegen wäre die Abtragung des Nagelrandes allein, mit Schonung des entzündeten Falzes. Auf die Frage, ob blutige Eingriffe bei unguis incarnatus stets absolut nothwendig seien, ist Folgendes zu erwidern: bei primären Fällen, wo das Leiden seinen Sitz im Auslaufe des Falzes hat, oder wo das Leiden wenigstens von hier aus seinen Ausgangspunct nimmt, kann des Häufigsten von einer blutigen Operation abgesehen und das Leiden nach dem alten Verfahren des Fabricius ab Aquapendente be- hoben werden. Es beruht im Einlegen von Fremdkörpern: Watte Leinwand, Zinnplättchen, Jodoformgaze etc. zwischen dem scharfen, seitlichen Nagelrande und dem wunden, geschwollenen, granulirenden Nagelfalze. Ist die Granulation stark wuchernd, so wird sie nach VanzettPs Angabe zunächst durch einmaliges oder, wenn nothwendig, durch wiederholtes Bestreuen mit plumbum subnitricum entfernt. Hierauf versucht man langsam und allmälig den Meisseltheil einer Sonde unterhalb und längs des seitlichen Nagelrandes einzuschieben, bei möglichst stark abgezogenem Falze. Gelingt dies, so ist die Sache halb gewonnen : man besichtigt dann den Nagelrand, lüftet ihn, glättet mit der Schere eventuelle scharfe Ecken und schiebt endlich die Einlage von vorne her so ein, dass sie den Nagelrand vollends umhüllt. Sie wirkt schützend und gleichzeitig etwas comprimirend auf den Falz; der Schmerz vergeht, die Anschwellung nimmt rasch ab. Um Recidiven zu verhüten, muss die Einlage längere Zeit fort- getragen werden; das Wechseln und Ersetzen jener ist leicht besorgt. Eine andere Methode, den eingewachsenen Nagel auf unblutige Weise zu heilen, ist von Lussana angegeben worden. Er kerbt den seitlichen — 185 - Xagelrand etwas ein und gewinnt hierdurch eine kleine Rinne, in welche ein Gummifaden in Gestalt einer Schleife um die Randecke gelegt wird. Den Gummifaden führt dann Ltissana um die gesunde Seite herum zur Plantarfläche der Zehe, befestigt ihn, gespannt an einem Stückchen Draht und diesen an einem Klebepflasterstreifen. Der Sinn des Verfahrens gipfelt in dem mechanischen Abdrängen des Nagelrandes vom entzündeten Falze, mittelst eines elastischen Zuges. Das Abdrängen des Granulationswalles vom seitlichen Nagelrande will Patin durch Auftragen von Traumaticin bewirken. Er stellt sich vor, dass die Guttapercha, indem sie beim Einpinseln zwischen Nagel- rand und Nadelfalz eindringt, beide voneinander treibt. Tai/lo)- empfiehlt folgendes mechanisches Verfahren. Ein Silberstreifen 1 Zoll lang ^ 7 Zoll breit wird an der einen Schmalseite angeiförmig gekrümmt, zwischen Falz und Nagelrand eingehakt, sodann der Streifen über den Falz gegen die Plantarfläche der Zehe gekrümmt, und in dieser Lage mit einem Klebepflasterstreifen gesichert. Jeden dritten Tag wechselt man den Verband und erzielt ein Erheben des Nagelrandes und ein Verschwinden der Granulation. Bei schwereren Formen wenn die Entzündung vom Falze aus schon bis zur Matrixecke vorgedrvmgen ist, oder bei Recidiven nach früheren unvollständig ausgeführten Eingriffen ist die Operation apodiktisch angezeigt, weil man dabei mit den oben geschilderten unblutigen Verfahren nicht mehr ausreichen kann. Recidiven nach früheren Operationen sind entweder durch Granulation unter dem erhalten gebliebenen Nagel- rande bedingt oder, bei erfolgter Abtragung des Nagelrandes, in einer unvollständigen Excision der betreffenden Matrixecke gelegen. Blieb diese ganz unberührt oder doch theilweise erhalten, so wächst der Nagel wieder breit nach und kann durch localen Reiz und Druck neuer- dings Verschwärung bedingen. VIII. Operationen bei Abscessen. Die operativen Eingriffe wegen Abscessen können verschiedener Art sein, obgleich alle eine Ent- leerung des Inhaltes beabsichtigen. Es dürfte sich am besten em- pfehlen, die Abscesse in oberflächliche präfasciale, und in tiefgelegene subfasciale einzutheilen. "Wenn nun auch, unserem Programme gemäss, im laufenden Capitel eigentlich nur von oberflächlichen Abscessen die Rede sein sollte, so wollen wir dennoch auch der tiefen gedenken, jedoch nur insofern sie, als im Zellengewebe abspielend, einer all- gemeinen Erörterung zugänglich sind. Oberflächliche Abscesse werden nur mit dem Messer eröffnet, und zwar mit Hilfe spitzer, gerader oder gekrümmter Bistouris. Die früher üblichen Abscesslancetten sind gegenwärtig nicht mehr in Gebrauch. Die weitere Spaltung der Abscessdecke nach erfolgter Er- öffnung kann eventuell nachträglich auch mit dem Kopfmesser oder der Knieschere vervollständigt werden. Die Haltung des Spitzbistouri ist beim Eröffnungsacte stets die einer Schreibfeder, die linke Hand fixirt die betreffende Körperfläche auf die zweckdienlichste Weise. — 186 — Wie soll nun eingestochen werden, wo eingegangen, und in welcher Richtung der Schnitt angelegt werden? Der Einstich ist stets senkrecht zur Oberfläche zu machen — demnach steile Schreibfederhaltung der Hand, welche sich auf den kleinen Finger wie beim Schreiben stützt. Das Einsenken der Messer- spitze geschehe rasch; fühlt man, dass der Widerstand nachgelassen hat, so weiss man auch, dass die Spitze in die Abscesshöhle vorge- drungen ist. Sofort geht auf dieses Zeichen hin die Hand aus der steilen in die liegende Schreibfederhaltung über, wodurch die Spitze des Messers aus der senkrechten in eine schräge Lage gebracht wird, schiebt die Klinge unter der Abscessdecke weiter vor, erhebt sich dann allmälig wieder zur steilen Haltung und schneidet endlich die auf der Klinge sich spannende Decke durch. Eröffnet man den Abscess nicht von unten nach obeii, also von sich, sondern umgekehrt, also zu sich, so wird nach dem senkrechten Einstiche die steile Haltung durch stärkeres Einbiegen der Finger so verändert, dass das Bistouri schräge zur vola gestellt wird; wenn die Klinge in der Höhle genügend weit vorgeschoben ist, dann nimmt die Hand die steile Haltung Avieder ein und trennt die Decke von oben nach ab- wärts. Ist man darüber im Zweifel, ob Eiter wirklich vorhanden sei, so kann man sich gleich nach gemachtem Einstiche von der Richtig- keit oder Unrichtigkeit seiner Diagnose dadurch überzeugen, dass man die Messerspitze für einen Augenblick um ;»0^ dreht, id est, die Klinge quer stellt und dadurch den Stichcanal lüftet. Sickert Eiter aus, dann stellt man das Messer wieder zurecht und erweitert den Stich zum Schnitt; im gegentheiligen Falle entfernt man das Messer und betrachtet die Explorativoperation als beendet. Falls die Abscess- decke nicht länger ist als die Bistouriklinge, kann man die vorge- schobene Klinge an einem, der Einstichstelle entgegengesetzen Puncte von der Abscesshöhle aus nach aussen durchstechen und dann die, der Messerklinge aufgeladene Hautbrücke ganz oder zum Theile durch- schneiden. Zu diesem Verfahren eignen sich säbelförmig gekrümmte Bistouris besser als gerade. Die Länge des jeweiligen Schnittes ist von der Grösse der Abscesshöhle abhängig ; im allgemeinen sind aus- giebige Spaltungen viel zweckmässiger als kleine Lücken, weil sie den freien Abfluss des Eiters besser ermöglichen. Mit dem Messer soll stets dort eingegangen werden, wo die Schwappung am deut- lichsten fühlbar und wo die Abscessdecke am dünnsten ist; der Schnitt immer dorthin gerichtet werden, wo der Eiter am bequemsten ausfliessen kann, also an der jeweilig tiefsten Stelle mit Rücksicht auf die nachträglich einzuhaltende Körperlage. Was die Richtung des Schnittes zum Körpertheile selbst anbelangt, so soll sie in der Regel dem Gefässverlaufe entsprechen, zumeist also der Längsrichtung folgen. Cosmetische Rücksichten können allenfallsige Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel zulassen. PacJcart empfiehlt schiefe Trennun- gen der Haut, um die Narbe kleiner zu gestalten. Tiefe subfasciale Abscesse, vom intramusculären oder parostalen Bindegewebe ausgehend, können entleert werden : aj Durch Function mittelst stark calibrirter Hohlnadeln oder Troisquarts, mit oder ohne gleichzeitiger Aspiration. Function und Aspiration dienen wohl zumeist nur diagnostischen Zwecken, indessen bedient man sich der einfachen - 187 — Function mit starken Troisquarts auch bei grossen tief gelegenen Abscessen, bei denen man den Eintritt der atmosphärischen Luft, respective jenen septischer Mikroorganismen zu fürchten, oder wo man die Eventualität einer Hämorrhagia ex vacuo zu scheuen Grund hat. Die Function, welche mit oder ohne Hautverschiebung ins Werk gesetzt wird, hat als solche nur vorübergehenden Erfolg: sie ver- ringert die Spannung und erleichtert den Fatienten, indem sie einen Theil des Abscessinhaltes beseitigt. Bald aber ist die frühere Spannung wieder da, falls der Stichcanal sich wieder organisch verschlossen hätte. Oftmals geschieht dies nicht, der Stichcanal vernarbt nicht, sondern schliesst oder verklebt sich nur temporär und wandelt sich endlich in einen Fistelgang um, der nun gleich einem Sicherheits- ventile zu fungiren beginnt. Beabsichtigt der Chirurg diesen Natur- vorgang künstlich herbeizuführen, so kann er ihn erreichen, wenn er die Troisquartscanüle nach beendeter Function nicht sogleich entfernt, sondern erstere vielmehr etwa 24 Stunden und länger, bei sorgfältigem Luftabschlüsse und sonstigen antiseptischen Cautelen, im Stichcanale belässt, oder indem er bei Wiederholung der Function sie stets an der gleichen Stelle ausführt. Dass hierbei nicht bei verschobener Haut, sondern direct zu punctiren sei, versteht sich von selbst. Nach der Einführung des Troisquarts unterstützt man den Eiterabfluss durch massigen Druck auf die Wandungen der Abscesshöhle. Sollten necro- tische Zellgewebsfetzen oder allzu krümmeliger Eiter die Canüle ver- legen und den weiteren Abfluss behindern, so führt man ein passen- des elastisches Bougie in die Canüle ein und schiebt den verlegenden Pfropf in das Abscesscavum zurück. Man meide jeden forcirten Druck, jede stärkere Aspiration, in der etwaigen Absicht, den ganzen Inhalt zu entleeren, da man damit Hämorrhagien in das Innere der Abscesshöhle hervorrufen könnte; man unterlasse alle Aus- waschungen, wohl wissend, dass daraus zwar Nachtheil, kaum je aber bleibender Yortheil für den Kranken erwächst. Nur Einspritzungen von Jodoformpräparaten könnten, wie im Abschnitte „Wundverband" betont wurde, bei fungösem Charakter des Abscesses von Vortheil sein. Jodtinctur ist weniger empfehlenswerth. Ferner soll jeder durch Function entleerte Abscess gleich nach vollendeter Operation mit einem Druckverbande versehen werden, damit Hämorrhagien verhütet und die Wiederfüllung der Höhle verlangsamt werde, b) Durch Spaltung mit dem Messer. Nicht gar zu tiefe Abscesse können gleich subcutanen durch directen Einstich eröffnet und nachträglich weiter gespalten werden; bei tiefergelegenen geht man, der profuseren Blutung wegen, welche aus den durchtrennten Gewebsschichten sich ereignen könnte, präparando vor, indem man mit dem Scalpelle zuvörderst die Haut durchschneidet und, während die Ränder mit Wundhaken abgezogen werden, entweder mit flachen Messerzügen allmälig in die Tiefe dringt, wobei man jedes blutende Gefäss sofort sperrt und unterbindet, oder indem man die jeweiligen Schichten auf eine Hohlsonde ladet und sie mit dem Bistouri durchtrennt. Liegen auf der Abscesswand Muskel- bäuche, so versuche man in die Interstitia zu gelangen und das dort- selbst vorfindliche Bindegewebe mit dem Finger oder mit der Sonde stumpf zu trennen. Breite, flach aufsitzende Muskelstrata schneidet man mit dem Messer durch, entsprechend der ursprünglichen Schnitt- — 18S — riehtun.ü-, oder man verschafft sich Raum durch stumpfes Auseinauder- drän.ueu der Bündel, entsprechend ihrem Verhiufe. Das Operations- phmum kreuzende Gefässe sind zunächst dopi)elt zu unterbinden und (hinn zwischen den Ligaturen zu durchschneiden. So in die Tiefe präparirend, gelingt es endlich, den Abscess an einem Punkte zu öffnen, was sofort am Eiterabflusse erkannt wird. Gleich dringt man mit dem Zeigefinger in die Lücke ein und durchforscht nun die Ausdehnung der Holde. Dann entfernt man zunächst wieder den untersuchenden Finger und gestattet dem Eiter auszut'liessen. Erst nachdem der Ausfluss eine Weile angedauert hat und er zu stocken beginnt, führt man den Finger neuerdings ein und erweitert die Lücke auf der Leitung des Fingers mittelst eines Knopfbistouri oder einer Winkelschere. Sehr zweckmässig ist auch die stumpfe Dila- tation, um jede weitere Blutung zu meiden; man kann sie ausführen durch beide hakenfih'mig eingelegte Zeigefinger, die man dann in divergirenden Riehtungen durch Zerreissung der Abscesswand wirken lässt, oder durch eine geschlossen eingeführte Kornzange, deren Arme dann gewaltsam aufgesperrt w^erden. Nach der Entleerung untersucht man mit dem Finger neuerdings die Abscesshöhle, durchreisst etwaige Stränge oder Klai^pen und trachtet auf diese Weise, buchtige cava zu einer einheitlichen Höhle umzugestalten. Zu gleicher Zeit überlegt man, wo am besten Gegenöffnungen, die als Abflusscanäle dienen sollen, angelegt werden können und legt sie gleich an. Nachdem dieses alles besorgt, eventuell auch die Abscessmembran abgeschabt oder gar abgetragen worden ist, wird die Höhle sorgfältig ausgespült und ein antiseptischer Druckverband angelegt. Die von Boimet seinerzeit empfohlene Eröffnung grosser Abscesse unter dem Wasserspiegel, also im Wasserbade, gehört der vorantiseptischen Zeit an. Zu den möglichen üblen Ereignissen bei einer Abscesseröffnung zählen: a) auf den gethanen Einstich entleert sich kein Eiter. Der Grund hiefür kann sein: eine verfehlte Diagnose, eine falsch gewählte Einstichstelle, ein zu seichter Einstich. Im letzteren Falle soll mit dem Bistouri nachgeholfen werden, eventuell kann, falls die über- bleibende Deckschichte nur dünn wäre, diese mittelst einer Hohlsonde durchgestossen werden, worauf unter ihrer Leitung gleich die Er- Aveiterung vorgenommen wird, h) Blutung aus der Schnittwunde. Grössere Gefässe sind sofort zweckmässig zu unterbinden, eventuell zu umstechen; letzteres am besten von der Haut aus nach Art einer Filopressur. Parenchymatöse Blutungen stillen sich bald von selbst. Wenn nicht, tamponirt man im Umkreise eines dickwandigen Drain- rohres mittelst Jodoformgaze, damit der Secretabfluss nicht behindert sei. c) Blutung aus der Abscesshöhle, respective aus den Abscess- wandungen. Man stille sie durch einen äusseren Druckverband oder durch Tamponiren der Höhle; wenn beides nicht möglich, durch Ein- spritzen von Eisenchloridlösung mitten in die Blutmasse, welche die Höhle ausfüllt. Bei diffuser Zellgewebsvereiterung, Phlegmone progressiva, spaltet man die Haut mit einem Scalpelle, Aveil es sich weniger um Höhlen- bildung als vielmehr um Infiltrate handelt. Bei der septischen Natur des phlegmonösen Eiters soll aber jede unnöthige Verletzung tieferer, durch Fascien noch gedeckter, gesunder Zellgewebslager sorgfältig — 189 — vermieden werden. Man pflegt in der Längsachse, parallel dem Gefäss- verlaufe, möglichst lange multiple Schnitte bis an die Grenze des Gesunden zu führen. Kurze, sparsame Schnitte rächen sich allzu bald durch Weiterschreiten des Processes. Anhangsweise noch zwei Worte über Furunkel und Anthrax. Bei ^rsterem spalte man bis zum Grunde oder warte ab, bis die Umgebung des necrotischen Pfropfes eiterig zerflossen und Fluctuation eingetreten ist ; dann verfährt man wie bei kleinen Abscessen oder drückt den Pfropf einfach aus und verhält sich weiter passiv. Anthraces hingegen sind schon frühzeitig zu oj^eriren. Gewöhnlich trennt man den Infiltrations- herd bis zum Grunde durch einen Längs- oder einen Kreuzschnitt, welcher bis in die gesunde Umgebung reichen soll. Hierauf schneidet man noch die einzelnen Lappen durch horizontal geführte Schnitte mehrfach schichten weise ein, lässt ausbluten und schiebt zwischen je zwei Spaltflächen etwas Jodoformgaze flach ein. Kleinere Anthraces können ausgelöffelt werden. Das Weitergreifen des Krankheitsprocesses in die Umgebung sucht man durch concentrisch zum Anthrax vor- genommene subcutane Injectionen von -2- bis Sprocentiger Carbolsäure- lösung zu verhindern, die man etwa zollweit vom Herd in das gesunde Gewebe des Umkreises in gleichen Abständen ausführt. Eine andere Methode, den Anthrax zu entspannen, besteht in der von englischen Autoren empfohlenen und von Hüter: subcutane Peritomie genannten Schnittführung. Man sticht auf der Höhe des Anthrax ein schmales, sichelförmiges Messer in die Tiefe ein und führt sodann die Schneide des Messers kreisförmig, entsprechend einer Horizontalebene, durch die Gewebe, ohne die Spitze wieder durch die Haut treten zu lassen. Hüter zog diesen subcutanen Rundschnitt dem percutanen Kreuzschnitte vor, behauptend, dass durch die horizontale Trennung alle vomPapillarkörper zur Fascie senkrecht verlaufenden Bindegewebsfasern viel sicherer und ausgiebiger durchschnitten werden und hierdurch die Einklemmung der Blutgefässe, die Necrose der Gewebe und auch das Weitergreifen der Entzündung in die Umgebung verhütet werde. Der Anthrax wird hierdurch in einen einfachen Hautabscess umgewandelt, der später entsprechend zu spalten ist. Whitehead behandelt Anthraces durch Injectionen von Jodoformäther in die Basis, i^/er/e^ empfiehlt die gründliche Exstirpation der Anthraces, um deren Umsichgreifen durch Infection der Umgebung zu verhindern. Man umschneidet zunächst in Kreisform das Infiltrat und führt dann vom Kreisschnitt vier Längsschnitte in Kreuzesform gegen die gesunde Peripherie. Die dadurch begrenzten vier Haut- lappen werden bis jenseits der scheinbaren Grenze abgelöst und zu- rückgeschlagen, worauf eine Ausschälung des Infiltrates in seiner ganzen Dicke folgt, so dass die Muskelfascie rein vorliegt. Die rückbleibende Höhle wird währrtid 24 Stunden tamponirt, nach dieser Zeit entfernt man den Tampon und lässt die Lappen sich an den Untergrund an- legen. Die Heilung vollführt sich rascher und auch die Narbe gestaltet sich kleiner, weicher und gefälliger als bei dem einfachen Incisions- verfahren. Noch rascher als bei gewöhnlichem Anthrax muss beim Milzbrandcarbunkel eingeschritten werden. Hier genügt das Messer allein nicht. Es muss das ganze infiltrirte Gewebe weit ins Gesunde hinein zerstört werden, wozu entweder die totale Exstirpation oder die Spaltung mit dem Glühmesser sich empfiehlt. Nebstdem soll die — l'JU — ganze Umgebiiiii'- subcutanen concentrisclien Einspritzungen mit Car- bülwasser oder, wie Rdlmhart will, mit verdünnter Jodtinctur unter- zogen werden. Zum Schlüsse die Empfehlung, bei den so sehr häufigen Panaritien mit der Incision nicht zu warten, bis Schwappung eintritt. Je früher man einschneidet, desto sicherer vermeidet man die Ausbreitung des Leidens und den so unheilvollen Durchl)ruch in die nachbarliche Sehnenscheide, denn der anatomische Bau des Unterhautbindegewebes an der Volarfläche der Finger und der Hand bedingt ein rasches Fort- schreiten der Entzündung in die Tiefe. Die Trennung des entzündeten Hautgewebes muss, um wirksam zu sein, bis zur Fascie ausgeführt werden in einer dem Entzündungsherde entsprechenden Ausdehnung. Das Gleiche gilt für die sogenannten Panaritia ossea, den acut ver- laufenden und meistens mit Phalangennecrose endigenden Periostitiden der Finger, welche durch eine gleichmässig circuläre Schwellung der betreffenden Phalanx charakterisirt sind. Laterale Incisionen, besser noch bilaterale, bis zum Knochen dringende Einschnitte längs den seitlichen Flächen der betroffenen Phalangen, ersparen dem Kranken viel Schmerz und retten manchen Knochen vor Necrose. IX. Operationen bei Geschwülsten. Es kommen zwei Gattungen Ge- schwülste in Betracht: feste Tumoren und Cysten. Dass man in zweifelhaften Fällen durch Aspiration oder Akidopeirastik sich Sicher- heit über das Quäle der fraglichen Geschwulst verschaffen könne, wurde schon früher erwähnt. Feste Tumoren werden in der Regel durch Exstirpation entfernt. Der Vorgang dabei ist verschieden, je nachdem der Tumor die Haut selbst einnimmt oder in seinen Bereich gezogen hat, oder endlich nur im subcutanen Zellstoffe eingebettet ist. In den ersteren Fällen wird der betroffene Hautbezirk durch zwei halbelliptische Schnitte umgrenzt und mit der Geschwulst zugleich entfernt ; im letzteren wird die Haut einfach durchschnitten, die Wundränder abgezogen und hierdurch zur weiteren Ausschälung Platz gewonnen. Die Ausschälung aus dem subcutanen Zellgewebe geschieht bei fester Verwachsung mit dem Messer, bei lockerer stumpf, mittelst Finger, einer festen Sonde, einer geschlossenen Schere etc.; meistens werden beide Methoden je nach Bedarf combinirt. Etv/as seltsam klingt die Empfehlung Mordes de Oca: behufs leichterer stumpfer Ausschälung circumscripter fester Tumoren, durch künstliches forcirtes Eintreiben von Luft in ihrer Umgebung, ein locales Emphysem hervorzurufen, wodurch die Zellstoff niaschen aufgeblasen, auseinander gedrängt und leichter trennbar gemacht werden sollen. Zweckmässig ist es immer, das zu Trennende anzuspannen, wofür theils ein Abziehen der Nachbartheile mittelst stumpfer oder spitzer Haken, theils ein Vorziehen des Tumor dienlich ist. Wenn möglich, bedient man sich hierbei der Finger, weil diese zugleich die Grenzen des Tumor deutlich und bestimmt wahrnehmen; kann man mit den Fingern nicht gut zu, dann fasst man den festen Tumor mit — IUI - Fiff. 0,8. Hakenpincetten oder Hakenzangen (Fig. Gs) und zieht ihn stets nach jener Richtung hin ab, welche jener entgegengesetzt ist, an der man gerade abschält. Subcutane Geschwülste mögen oftmals die Deckhaut so sehr vorbauchen und ausdehnen, dass letztere nach entfernter Geschwulst viel zu gross erscheint, um die Wundfläche glatt zu decken. Dann pflegt man entweder schon a priori den Ueberschuss in Form eines elliptoidischen Stückes mit auszuschneiden, oder man thut es nachträglich. Dies ist stets erforderlich, wenn man die Hautränder durch eine Naht zu verschliessen be- absichtigt, sonst kann man es auch unterlassen, weil durch die spätere Retraction der elastischen Haut der Ausgleich von selbst erfolgt. Ist die Exstirpation vollendet, dann kann das weitere Verfahren ein verschiedenes sein. Sass die Geschwulst in der cutis, so resultirt nach der Abtragung ein frischer Defect; diesen sucht mau sofort zu beseitigen durch eine entsprechende Naht, Avelche die Wundi'änder herbei- zieht und vereinigt; in solchem Falle bedarf es keiner besonderen Blutstillung, weil diese durch die Yereinigungsnaht ohnedem besorgt wird. Wie man mit grösseren Defecten verfährt, wm'de schon besprochen. War die Geschwulst im subcutanen Zellstoffe sesshaft, so resultirt nach ihrer Entfernung eine Vertiefung, welche mit der darüber zie- henden unterminirten Hautdecke eine Höhlenwunde darstellt. Da muss die Blutstillung für sich besorgt werden, und zwar recht genau. Nun erst kann die weitere Be- handlung die Höhlenwunde als solche betreffen, wobei Contraincisionen, Drai- nage oder Auszwicken runder Haut- löcher in Betracht kommen; oder man trachtet nach einer prima intentio, wo- für das genaue Anliegen der Haut durch Druckverbände von aussen, even- tuell auch durch versenkte Nähte erzwungen werden muss. Der Haut mittelst eines Stieles aufsitzende Geschwülste werden meistens durch Abbindung entfernt, eventuell schneidet man sie mittelst Hohlschere ab und stillt die Blutung durch Cauterisation mit Salpeter- säure oder dem lapis infernalis, während man sie durch Spannung und Lateraldruck temporär verhindert. Weiche Geschwülste — Gra- nulome, Lupusknoten, Hautfungus etc. — werden mit dem scharfen Löffel entfernt, weil man damit schneller und sicherer zum Ziele kommt als mit dem Aetzen. Warzen, Naevi non vasculares etc. können ab- getragen, abgebunden oder weggeätzt werden. Beim Abbinden muss, — 192 — da sie gewöhnlich flach aufsitzen, früher die Basis durchstochen werden, wie im Capitel „Trennung" erörtert wurde. Zum Wegätzen wird zumeist rauchende Salpetersäure benützt, die man nicht bloss oberflächlich auftragen, sondern mittelst geeigneter, spitz zulaufender Instrumente in das Gewebe selbst hinein bohren muss. Auch die Elektrolyse könnte eventuell versucht werden. Zu den cystischen Tumoren zählen: a) Atherome und Dermoid- Cysten. Balggeschwülste können verschiedenen Verfahren unterzogen werden. Gewiss das einfachste und rationellste unter allen ist die Exstirpation mit dem Messer. Man kann dabei auf zweifache Art vor- gehen: entweder man spaltet sie der Länge nach gleich einem Abscesse, entleert den krümeligen Talg, den sie enthalten, und schält dann den Balg aus. Es eignet sich diese Methode für rasch ausgedehnte, also dünnwandige Bälge, für entzündete und vereiternde Atherome und endlich für, in Folge eiteriger Schmelzung durchbrochene Tumoren, also beim Bestehen sogenannter Atheromfisteln. Liesse sich der Balg nach der Spaltung nicht in toto ausschälen, wegen seiner Dünnheit einerseits und den strammen Verwachsungen andererseits, so müsste der Balgrest durch Caustica zerstört und sein Abgang der Eiterung überlassen werden, wobei von einem Wundverschlusse keine Rede sein kann. Lang bestehende, gut verschiebbare, nicht entzündete Balg- geschwülste besitzen meistens einen dickwandigen Sack und liegen locker im Zellgewebe. Derlei Atherome exstirpirt man gleich einer festen Geschwulst. Man sehe dabei zu, die Deckschichten vollständig zu trennen, bevor die stumpfe Auslösung versucht wird. Dass man am Balge sei und diesen nackt vor sich habe, erkennt man an der reinen, glatten, weissen Oberfläche; insolange die Geschwulst von einem röthlich gefärbten, verschiebbaren Ueberzuge bedeckt ist, darf mit dem Ausschälen nicht begonnen werden. Die letzten Deckschichten können, bei nicht ganz sicherer Hand, auch mit der Hohlsonde durch- trennt werden. Um bei starkverdünnter Haut nicht gleich im ersten Schnitte den Balg mitzueröffnen, geht Lmienstein derart vor, dass er am tiefsten Punkte der Geschwulstbasis, da wo Haut und Atherom- capsel sich voneinander trennen und erstere dicker zu sein pflegt, einen 1 bis 1 Centimeter langen, radiären Schnitt durch die Haut führt, dann ein geeignetes flaches, stumpfes Instrument subcutan durch die Lücke einbringt und damit durch schiebende Bewegungen entlang der Vorwölbung des Atherom, dessen Abschälung vornimmt, was die Elasticität der Balggeschwulst leicht gestattet, ohne durch den Druck gesprengt zu werden. Erst wenn die subcutane Abschälung der Haut vom Balge beendet ist, spaltet man erstere vollends und hebt letzteren von seiner Basis ab. Nicht zu empfehlen ist die Ex- stirpation mit Causticis, welche derart in Scene gesetzt wird, dass man zunächst einen Hautstreifen ausätzt und nach erfolgter Demar- cation, mit einer festen Sonde den durch die recente Entzündung in seinen Verbindungen gelockerten Tumor aus seinem Lager stumpf heraushebt. Dermoidcysten sind meistens tiefer gelegen, manche am Halse vorkommende liegen unter der Halsfascie, sogar der Gefässscheide der grossen Halsgefässe auf. Dermoidcysten sind auch auszuschälen; es ist jedenfalls der kürzeste und sicherste Weg zu ihrer Entfernung. — 193 — Esmarch schlägt für tiefe, mit der Gefässscheide verwachsene Dermoid- cj^sten ein anderes Verfahren vor, welches ihm wiederholt geglückt ist und welches die Verödung des Balges nach Entleerung des Inhaltes bezweckt. Er punctirt die Cyste mit einem mittelstarken Troisquart, entleert die Höhle durch Aussendruck und wäscht den Balg wiederholt durch Einspritzungen von Carbolwasser aus, bis er rein geworden und der zelligfettige Inhalt ganz entleert ist. Hierauf wird eine Lugol'sche Jodlösung eingespritzt (Jodi puri, Kali jodati aa 1*25, Aquae oO-OO), welche man einige Zeit im Balge belässt und dann wieder entleert. Nach Entfernung der Troisquartscanüle ver- schliesst ein Klebepflaster die kleine Stichöffnung. Oftmals wird eine Wiederholung des Verfahrens noth wendig. b) Schleimbeutel. Es gibt drei verschiedene Erkrankungsformen an Schleimbeuteln, bei denen ein chirurgisches Eingreifen erforderlich wird: der einfache Hydrops, die Bursitis suppurata und endlich die B. proliferans. Bei der Bursitis serosa oder serofibrinosa können die Eingriffe entweder nur die einfache Resorption bezwecken, oder sie erstreben eine Verklebung der Sackwandungen mit Obliteration der Höhle. Das geeignetste und am schnellsten zum Ziele führende Mitt?l ist der locale Druck durch geeignete, wenn möglich circuläre Com- pression, welche durch Klebepflasterstreifen oder durch elastische Bindeneinwickelung eingeleitet werden kann, mit oder ohne gleich- zeitige Einpinselung von flüssigen Jodpräparaten auf die betreffende Deckhaut. Kommen die hydropischen Schleimbeutel, wie es doch meistens der Fall ist, an den Extremitäten vor: am präpatellaren, prätibialen, oder am Olecranonschleimbeutel, so vergesse man nicht, bei Anwendung der localen circulären Compression auch den peri- pheren Gliedmassentheil einem entsprechenden gleichmässigen Roll- l3indendruck zu unterziehen, da bei Unterlassung dieses Erfordernisses trotz aller eventuellen Hochlagerung nothwendigerweise Stauungsödem eintreten müsste. Heine hat ein äusserst empfehlenswerthes Verfahren angegeben, durch welches nicht nur der Druck viel intensiver wirkend angebracht werden kann, sondern dieser, weil nicht circulär, sondern nur isolirt am Tumor allein ausgeübt, jede Kreislaufstörung und jedes Stauungsödem ganz ausser Frage stellt. Heine umgab die betreffende Extremität mit einem festen, wohlgefütterten Gipsverband und schnitt sodann, entsprechend dem h3^dropischen Schleimbeutel, ein, dessen Grösse entsprechendes, rundes Fenster aus. Weiters nahm er einen mittelgrossen, weichen Badeschwamm, tauchte ihn in laues Wasser und drückte ihn fest aus. Dieser entsprechend zusammen- geballte elastische Schwamm kam dann in die Lichtung des Fensters und wurde hier durch feste, den Gipspanzer umfassende Binden- touren befestigt und angedrückt. Nach etwa sechs Stunden muss der Schwamm von aussen her frisch befeuchtet oder der Druck verband in gleicher Weise erneuert werden, da der trocken werdende Schwamm seine Elasticität einbüsst und damit auch die Druckkraft entsprechend abnimmt. In 24 bis 48 Stunden kann man auf diese Weise den hydro- pischen Schleimbeutel ad uormani reduciren. Der Schwammdruck auf diese Weise geübt, hat nur rein locale Wirkung, da die Bindentouren nicht die Gliedmasse, sondern den resistenten Gipsverband umfassen. Ein anderes Verfahren besteht darin, den Schleimbeutelinhalt durch V. Mose tig-Moo rhof : Handbuch d. cliiruit'. Teiiiiiik. -1. Aull. 13 — 194 - Aspiration zu cMitleerou und sodann den schlaffen Sack der Massage zu unterziclien, um sor()sen Wioderansaminlungen entgegen zu arbeiten. Aspiration ohne nachfolgende Massage hat nur temporären Erfolg, letztere allein, führt trotz aller Mühe nicht immer zum Ziele; dies gelingt höchstens bei ganz recenten Erkrankungen. Will man eine Verklebung der Sackwandungen erzwingen und damit Veriulung der Ib'Hüe, so combinirt man die Entleerung mit einer nachfolgenden Eiiis})ritzung von Jodtinctur oder von Lngorachev Jod-Jodkalilösung, die man einige Zeit (io bis 15 Minuten) darinnen belässt. Nach- träglich ist Bettruhe, Fixirung der Extremität mittelst eines Conten- tivverbandes, bei stärkerer Reaction selbst locale Anwendung der Kälte angezeigt. Zu den unangenehmsten Schleimbeutelerkrankungen bezüglich der Localität zählt der Hydrops bursae mucosae musculi poplitei, weil dessen Höhle mit dem Kniegelenke des Häufigsten communicirt ; seltener ist dies der Fall bei den Schleimbeuteln, welche unter dem semimembranosus und dem musculus gastrocnemius sitzen. Diese Verhältnisse erfordern die grösste Vorsicht bei der Therapie. Injectionen reizender Flüssigkeiten könnten viel Schaden bringen, nur aseptische Excision mit Abbindung des Hohlstieles ist zulässig. Bei Bursitis suppurata ist die rasche Spaltung wohl da;^ einzig rationelle Verfahren. Die Entleerung des Eiters soll auch sofort in Angriff genommen Averden, da es beim unnützen Zuwarten häufig geschieht, dass peribursale Eiterung auftritt, welche oft genug die Haut auf weite Strecken unterwühlt. Deshalb soll bei Zeiten ein- gegriffen und nicht erst das Dünnwerden der Oberhaut, oder gar der spontane Durchbruch nach aussen abgewartet werden. Wie soll bei Eröffnung eines Schleimbeutelabscesses vorgegangen werden, wenn dieser an der patella, tibia oder am olecranon gelegen ist? Gewrdmlich wird entsprechend der grössten Wölbung, also in der Mediane, ein Längsschnitt ausgeführt. Dieses Verfahren ist aus zwei Gründen unzweckmässig: einestheils entspricht der mediane Schnitt nicht dem tiefsten Puncte der Höhle bei der Rückenlage des Kranken, weiters aber stört die künftige Narbe durch ihren Sitz. Die Dienst- magd beispielsweise, welche durch übermässiges Knien beim Scheuern des Bodens sich das Leiden zugezogen, wird auch nach der Heilung Dienstmagd bleiben und viel knien müssen. Sitzt nun die Narbe gerade in der Mediane, so wird sie durch den Druck der Körperlast am meisten betroffen. Ich pflege daher solche Abscesse stets durch zwei seitliche Incisionen zu spalten, welche den tiefsten Puncten der Höhle entsprechen, und vermeide dadurch beide oben erwähnte Uebelstände. Die Schnitte sind entsprechend lang zu führen, damit man freie Zu- gänglichkeit zur Höhle bekomme und gut untersuchen könne. Oftmals trifft man kolbige, mit der inneren Höhlenwand zusammenhängende Excrescenzen (hirse- bis linsengrosse Fibrome) oder die bekannten reiskernartigen Körper, welche sorgfältig entfernt werden müssen, wenn glatte Heilung eintreten soll. Falls eine Combination von Bursitis sup- purata mit subcutaner oder subfascialer Zellgewebsphlegmone bestünde, so wäre durch gut angelegte, weite, multiple Incisionen abzuhelfen. Proliferirende Schleimbeutel, meistens an der bursa praepatellaris oder praetibialis vorkommend, ob geschlossen oder verjauchend und mit Fistelbildung combinirt, sind nur durch Ausschälung zu beseitigen, — 195 — eine stets mühevolle Arbeit, wegen der strammen Verwachsungen mit der Umgebung, insbesondere mit der Bodenfläche, der sie aufsitzen.' Bursitis fungosa ist zu spalten und die Wandungen nachträglich mit dem scharfen Löffel auszuschaben. Man beachte deren häufige Com- plication mit Knochen oder Gelenksfungus, welche eine Ausdehnung der Operation auf den Knochenherd, eventuell die gleichzeitige Arthrotomie, Arthrectomie oder Gelenksresection erforderlich machen kann. Hierzu unvorbereitet lasse man eine Bnrsitis fungosa in Ruhe. X. Operationen an den Aponeurosen. Aponeurosen werden durch- schnitten, wenn sie durch ihre Contractur die betreffenden Körj^er- theile deformiren und deren normale Gebrauchsfähigkeit hemmen. Man kann ihre Durchschneidung percutan und subcutan vornehmen. Da die Technik der subcutanen Fasciendurchtrennung jener der Sehnendurchtrennung ähnlich ist, so werden wir, um Wiederhol ung-an zu vermeiden, ihrer im nächsten Capitel gedenken. Um die percutanen Eingriffe an contracten Aponeurosen zu schildern, wollen wir jener speciellen, so häufig vorkommenden Erkrankung gedenken, welche in Folge Contractur der Palmaraponeurose jene bekannte Fingerver- krümmung hervorruft, die nach ihrem ersten Beschreiber Dnpia/tren den Namen führt. Diese theils auf gichtischer, theils auf traumatischer und trophoneurotischer Basis beruhende, hauptsächlich ältere Indivi- duen befallende, langsam und allmälig sich entwickelnde und pro- gressiv zunehmende Beugungskrümmung der Finger kann, wenn warme Bäder, Jodpräparate, localer Druck, Massage und ortho- pädische Verfahren durch längere Zeit erfolglos in Anwendung gewesen sind, auf operativem Wege wesentlich gebessert, eventuell geheilt werden. Dupui/tren pflegte die, bei passiver maximaler Streckung der gekrümmten Finger sich stark spannenden und gegen die vola vorspringenden, harten subcutanen Stränge direct percutan durchzuschneiden, bis die Spannung nachliess und die Streckung der Finger annähernd gelang. In dieser neugewonnenen Stellung wurden Finger und Hand fixirt, und die klaffenden Wunden der Granulation überlassen. Bäder und passive Gymnastik sollten den Erfolg sichern und Recidiven verhüten. Allein die Xarbenretraction war für gewöhnlich stärker als die Macht des Chirurgen und als der gute Wille des Kranken, und so kam es nach kürzerer oder längerer Zeit wieder zu Recidiven, möglicherweise selbst zu einer Potenzirung der ursprünglichen Fingerverkrünimung. Fügen wir ' Erwähnenswerth däueht mir noch eine, niclit gar selten vorkommende, ihrer Loealität halber specielle Schleimbeutelerkrankung', welche von Gosselln mit dem Xamen Dermosynovitis plantaris bezeichnet wurde. Sie befällt accidentelle Schleimbeutel, welche unterhalb der dicken Fusssohlenhaut, zumeist etwa der Mitte der Hacke ent- sprechend, vorkommen, seltener an den Zehenballen. Die Kranken präsentiren sich gewöhnlich mit einem feinen engen Hohlgange, der zur Höhle des vereiternden Schleimbeutels führt und aller nicht operativen Medication trotzt. Bei der operativen Behandlung, welche zunächst in einer schiehtweisen Abtragung des dicken Sohlenhaut und sodann in einer totalen Ausschneidung der Schleimbeuteldecke besteht, fand ich schon zweimal mitten im Balge ein vom Mutterboden losgetrenntes linsengrosses Fibroid, als Beweis, dass die Schleimbeutelentzündung zur Form der proliferirenden gehörte. 13* — J96 — noch bei, dass in eini<^on Fällen durch p]itersenkungen, phle.ümonöse Frocesse, Eröffnungen von Sehnenscheiden bei zu energischer Schnitt- fiihrung etc. unglückliche Folgen sich einstellten, so erklärt es sich, dass dieses Bvpuytren' sehe Verfahren gefürchtet und daher selten ausgeführt Avurde. Adams empfiehlt die multiple subcutane Durch- trennung der gespannten Aponeurosenstränge in oftmals wiederholten Sitzungen, worauf ein orthopädisches Verfahren mittelst eigens con- struirter Handfingerschiene durchgeführt wird, welches langsam und allmälig die Fingerverkrümmungen verringert und die Streckung bewerkstelligt. Busch entwarf 1S75 folgendes Verfahren, welches auch in praxi sich wohl bewährt hat. Nachdem durch wiederholte prolongirte Handbäder die Haut vorbereitet ist, wird die vola manus durch passive Streckung der am meisten gebeugten Finger gespannt, so dass die Aponeurosenstränge stark vorspringen. Nun wird in die Haut jedes vorspringenden Wulstes je ein spitzwinkeliges Dreieck geschnitten, dessen Basis dem Metacarpo-Phalangealgelenke des entsprechenden contracten Fingers entspricht, Avährend die Spitze an jenen Punkt der Handfläche hin verlegt wird, welcher bei stärkster Anspannung am weitesten gegen die Palmarfläche vorspringt. Der so umschnittene Hautlappen mit möglichst viel Zellgewebe wird nun von dem Apo- neurosenwulst abpräparirt, wobei alle fibrösen Stränge, welche von der Aponeurose senkrecht zur Haut ziehen, sorgfältig durchschnitten Averden. Auf der nun ganz freigelegten Fascie werden weiters alle längsverlaufenden festen Faserstränge durch lauter kleine, seichte, quergeführte Schnitte incidirt, in jener Reihenfolge, in der sie sich bei gesteigerter passiver Fingerstreckung jeweilig stärker anspannen. Damit wird so lange fortgefahren, bis die Fingerstreckung vollends gelungen ist. Der kleine Hautlappen wird nun wieder angelegt und dessen Ränder, so weit es möglich ist, an den Mutterboden geheftet. Ein Rest der Wunde bleibt oftmals ungedeckt und granulirt in Folge dessen. Bis zum Eintritte der Granulation verbleibt die Hand ruhig in halber Fingerstreckung, dann erst wird durch Dehnung der Granulation die Streckung vervollständigt und der Defect eventuell durch Implantationen rascher geschlossen. Baum, der gleich Busch vorgeht, will das spitzwinkelige Dreieck etwas zustutzen und nach erreichter Streckung eine primäre Vereinigung der Haut in Form eines Y vornehmen. Hardie endlich hat die mittelst eines Längs- schnittes blossgelegte Aponeurose nicht nur eingekerbt, wie Busch es that, sondern er exstirpirte geradezu die knotig verdickten und ver- kürzten Aponeurosenstränge, indem er sie durchschnitt und sodann sorgfältig von den unterliegenden Sehnenscheiden abpräparirte. II. Capite]. Operationen an Muskeln, Sehnen und Sehnenscheiden. Muskeldehnung. Muskeln werden gedehnt, wenn sie in Con- tractur gerathen sind und in Folge Annäherung ihrer Insertionsstellen zu Formfehlern und Functionsstörungen der betreffenden Körpertheile — 197 — Veranlassung- geben; es werden aber auch Muskeln gedehnt, um ihre Actionsfähigkeit temporär zu lähmen. Berücksichtigen wir zunächst die erstbenannte Anzeige, so wird es die Aufgabe der Dehnung sein, den contracten Muskel auf seine normale Länge zurückzuführen, da nur dann eine complete Beseitigung der Störungen, falls sie auf rein mechanischer Grundlage basiren, zu erwarten steht. Muskeldehnungen können vorgenommen werden : rasch, wobei meistens menschliche Hände, seltener Flaschenzüge als Zugkraft benützt Averden, oder langsam, allmälig, wobei Zugverbände und orthopädische Apparate zur Geltung kommen, Avelche wieder entweder durch Gewichte, durch Schrauben- wirkung, oder durch constanten elastischen Zug zur Action gebracht werden. In beiden Fällen greift die dehnende Kraft den Muskel nicht direct an, sondern indirect, da ihre Angriffspunkte keineswegs im Muskel selbst liegen, sondern auf jene Körpertheile verlegt werden, zwischen denen der Muskel ausgespannt ist. Man dehnt also durch rasche oder allmälige Entfernung der abnormerweise genäherten Insertionsstellen. Diese können nun entweder durch doppelten äquivalenten Zug gleich - massig auseinander gezogen werden, oder der Zug Avirkt nur auf die eine Insertion, respective auf den ihr entsprechenden Körpertheil, wogegen der andere nur festgehalten, also fixirt wird. Ist die Dehnung allein nicht im Stande, dem contracten Muskel seine normale Länge zurückzugeben, so durchschneidet man ihn, respective dessen Sehne, da man allen Grund hat, diese Operation einer eventuellen Muskel- zerreissung oder der Abreissung seiner Insertion durch übermässige Kraftanwendung vorzuziehen; denn eine gewaltsame quere Zerreissung des Muskelkörpers müsste im besten Falle eine lange Muskelnarbe zur Folge haben, welche die spätere active Functionirung des Muskels gewiss beeinträchtigen müsste. Eine Abreissung der Muskelinsertion aber, sei es allein, sei es mit Abtrennung der betreffenden knöchernen Ansatzstücke — Rissfractur — könnte eine bleibende Inactivität des Muskels zur Folge haben, da hierbei der eine Angriffspunkt definitiv verloren ginge. Trennt man aber , die Sehne quer durch, so werden die auseinander weichenden Sehnenenden eventuell durch eine Bindemasse neuer Bildung wiedervereinigt und hierdurch direct oder indirect durch Vermittlung der Sehnenscheide die Functions- möglichkeit erhalten. Auf Kosten dieser Einschaltungen erhält dann der contracte, nicht ausdehnbare Muskel seine normale Länge wieder. Nimmt man die Dehnung normaler Muskeln vor, um deren physiologische Function temporär zu lähmen, so muss die Dehnung über ihre normale Greuze hinaus, usque ad maximum gesteigert werden, da nur so eine längere temporäre Erschlaffung erzwungen werden kann. Derlei Dehnungen nimmt man meistens an Sfincteren vor, in der Absicht, die Schliess- muskeln zeitweise ausser Action zu setzen, entweder um Zugänglich- keit zum betreffenden Hohlorgane zu gewinnen, sei es diagnostischer, sei es operativer Zwecke willen, oder um durch die, der Dehnung- folgende Muskelruhe indirecte therapeutische Erfolge zu erzielen, deren Erreichung eben durch die Muskelthätigkeit behindert oder unmöglich gemacht wird. Zur Ausdehnung- von Schliessmuskeln, welche stets rasch ausgeführt wird, sei es nun in einem Acte, sei es in mehreren, in kurzen Zwischenräumen aufeinander folgenden progressiv — 198 — steigenden Dehnungen, benützt man entweder die Finger, oder, wenn deren Verwendung untliunlich wäre, dolmende Instrumente, welche durch alhnälige Umfangszunahme oder durch Divergenz ihrer Blätter wirken. Die treibende Kraft kann dabei in einer Hebelwirkung oder in einer Schraubenwirkuny ihren Ausdruck finden. IL Muskeldurchschneidung. Sie kann eine subcutane oder eine percutane sein. Subcutane Myotomien w'erden bei langen Muskeln kaum je vorgenommen, und zwar mit Rücksicht auf ihre fernere Functionsfähigkeit, welche durch die nothwendigerweise resultirende, dauernde Diastase der Trennungsenden jedenfalls leiden müsste. Sub- cutane Durchschneidungen von Sfincteren sind aber absolut unnütz und daher verwerflich, indem eine entsprechende Dehnung den voll- kommensten Ersatz dafür bietet. Percutan oder permucös ist man wohl öfters in der Lage künstliche Muskeltrennungen vorzunehmen, behufs dauernder Entspannung zu operativen Zwecken, oder um sich zu tieferen submusculären Regionen Zugängiichkeit zu verschaffen. Im letzteren Falle, wo eine fernere Functionirung in Aussicht steht, meide man sorgfältigst die Durchschneidung quer zur Faserung zu führen; wo möglich trenne man den Muskel in einer zur Faserung parallelen Richtung, damit die Continuität des Ganzen nicht leide. Derlei Längstrennungen führt man am besten auf stumpfe Weise aus, da hierbei einerseits weniger Gefässe verletzt werden, demnach die Blutung eine geringere ist und andererseits weniger Muskelbündel in Mitleidenschaft gezogen werden. Die stumpfe Wegbahnung gelingt ausnahmlos leicht wegen der Lockerheit und Zartheit des interfibril- lären Zellstoffes. Müsste bei der Operation ein Muskel quer durch- trennt werden (was stets mit dem Messer zu geschehen hätte), dessen Ausschaltung nicht gleichgiltig -sväre, so würde es sich dringend empfehlen, nach erreichtem Ziele die Muskeldurchschnitte durch eine sorgfältige Knopfnaht mittelst Catgut wieder zu vereinigen, auf dass die Verbindungsnarbe möglichst schmal ausfalle ; man spricht dann von einer Muskelnaht. III. Sehnendurchschneidung Noch in den ersten Decennien unseres Säculums galt die Sehnendurchschneidung für eine äusserst gefähr- liche und daher sehr gefürchtete Operation. Bedenkt man, dass sie dazumal stets percutan ausgeführt wurde, bedenkt man, dass die damalige Chirurgie von einem antiseptischen Verfahren noch keine Ahnung hatte, so wird man es begreifen, wie sehr begründet die Scheu vor dieser Operation war und wäe so viele Operirte in Folge von Sehnen- scheidenvereiterungen, Eitersenkungen und Sehnennecrosen aus der Operation nicht nur keinen Vortheil zogen, sondern den grössten Schaden davontrugen, oder gar den septischen Processan erlagen. Erst in den Dreissigerjahren wurde die subcutane Sehnendurchtren- 199 — chirurgischen sich verdient Nachdem man erkannt hatte, übertriebener Fig. 69. nung erdaclit und der Operation dadurch alle und jede Gefahr ge- nommen. Die subcutane Tenotomie ist zu den epochemachenden Erfindungen zu rechnen, um welche di^ei Männer gemacht haben: D/'eff'oihach, Guerin und Stromeijer. die Gefahrlosigkeit dieser Operationsmethode einmal wurde sie anfänglich, etwa im vierten Decennium, in Häufigkeit ausgeführt. Gegenwärtig tenotomirt man sowohl contracte als auch normale Sehnen. Letztere, wo es gilt, ent- weder auf submusculäre Tumoren entlastend einzuwirken oder wenn nach anderweitiger Operation eine dauernde Verstellung der Inser- tionspunkte zu Stande gebracht werden soll. Die zur Sehnendurch- trennung verwendeten Messar nennt man Tenotome. Fig. G'.» stellt die Klingen solcher Instrumente dar. Man hat spitze und stumpfe, convexe, concave und geradeschneidige Tenotome. Die spitzen erfor- dern keine Hilfsinstrumente, wohl aber die stumpfen, da zum Zwecke ihrer Einführung vorerst eine Stichöffnung in der Haut angelegt werden muss, wofür ein doppel- schneidiges spitzes Lanzenmesser an- gegeben wurde. Dieses ist immerhin auch wohl entbehrlich, indem jedes Spitzbistouri die gleichen Dienste zu leisten vermag. Gneria empfahl das stumpfe Tenotom, von der ganz richtigen Ansicht ausgehend, dass die subcutane Einführung eines stum pfen Messars viel gefahrloser sei als die eines spitzen. Doch ist die Furcht vor einem spitzen Messer wohl über- trieben, daher man heute von den stumpfen Tenotomen kaum mehr Gebrauch macht. Dleffenhach operirte mit einem spitzen concavschneidigen, Stromeyer mit einem convexschnei- digen Tenotome. Welche Form die bessere sei, entscheidet wohl nächst die Gewohnheit des Chirurgen, sich der einen oder anderen zu bedienen. Bei der subcutanen Tenotomie darf die Haut nur an der Einführungsstelle allein durchtrennt werden, und zwar nur so weit, als der jeweilige Durchmesser der Klinge es erfordert. Die Sehne wird stets quer zu ihrer Richtung durchschnitten; es soll dazu, wenn möglich, jene Stelle ausgesucht werden, wo die Sehne am schmälsten ist. Die Durchschneidung hat in (iinem Tempo zu geschehen, daher die Klinge gleichzeitig auf die ganze Breite der Sehne wirken und beide Sehnenränder etwas überragen muss. Die Trennung soll haupt- sächlich durch Druck nebst kleinen wiegenden Bewegungen der Klinge vollzogen werden, daher eine excessive passive Anspannung der Sehne während des Actes conditio sine qua non ist. Sägende Messerzüge sind nicht gestattet, da hierbei die Haut in weiterer Aus- dehnung oder an mehreren Orten durchstochen und mitgeschnitten werden könnte. Ist die Trennung vollendet, so zieht sich das centrale Sehnenende weit zurück und an der Diastasenstelle möchte sich ein fl zu- der — 200 — Hohlraum bilden, der sofort vom Hautstiche aus Luft einsaugen würde, wenn man niclitdurcli sofortigen Druck von aussen die Deck- haut in die entstandene Vertiefung liineinpressen würde, was stets zu geschehen hat, um jeden Lufteintritt zu hindern. Das technische Verfahren bei der subcutanen Tenotomie kann ein zweifaches sein: 1. Durchschneidung der Sehne von aussen nach innen. Es wird dabei zunäelist durcli Annäherung der Insertionsstellen die Sehne erschlafft, um die p]inführung der Messerklinge zwischen Haut und Sehne zu erleiclitern. Man erhebt entsi^rechend dem einen Sehnenrande mit den Nägeln des Daumens und des Zeigefingers die Haut zu einer kleinen Längsfalte, deren Basis man mit der flachgehaltenen Klinge einsticht, derart, dass die Messerspitze in das subcutane Zellgewebe eindringt. Ist dies geschehen, so wird die Falte losgelassen und nun die Messerspitze längs der äusseren Sehnen fläche langsam vorge- schoben, während der Zeigefinger der linken Hand durch stetes Zu- fühlen von dem richtigen subcutanen Vorrücken der Klinge sich überzeugt. So wird die Klinge stets flach entlang der Sehnenfläche quer eingeschoben, bis der Finger fühlt, dass die Messerspitze den anderen Sehnenrand um ein Geringes überschritten hat; jetzt kreuzt die Klinge die volle Sehnenbreite. Ist dies erreicht, so wird die Klinge so aufgestellt, dass ihr Rücken der Haut, ihre Schneide der Sehne zukehrt; nun umfasst man mit der linken Hand den Körper- theil und legt die Volarfläche der Daumenphalanx auf den Rücken der Klinge, respective auf die sie deckende Haut. Der Operateur be- schäftigt demnach seine beiden Hände; die rechte hält schreibfeder- förmig das Tenotom, die linke ruht mit dem Daumen auf dem Messerrücken. Nunmehr tritt aber der Moment ein, wo die bisher erschlaffte Sehne passiv ad maximum angespannt werden soll, und hierzu sind andere Hände nothwendig, ein sachkundiger Assistent daher unentbehrlich. Dieser übernimmt die passive Anspannung, indem er die Insertionspuncte des betreffenden Muskels nicht brüsk, sondern allmälig und mit stetig zunehmender manueller Kraft von- einander abdrängt. Der Operateur wirkt nun mit der scharfge- schliffenen Klinge auf die gespannte Sehne auf doppelte Weise ein: einerseits drückt er mit dem Daumen auf den Rücken der Klinge, andererseits lässt er die Klinge wiegende Bewegungen ausführen, ohne ihren Standplatz wesentlich zu verrücken. Man hört dabei ein Knirschen und fühlt, wie die Klinge in die Textur der Sehne allmälig vordringt. Ein krachendes Geräusch und ein plötzliches Nachgeben der angespannten Körpertheile lässt erkennen, dass die Trennung complet vollzogen sei. Sowie diese Erscheinungen sich bemerkbar machen, hört der Assistent mit der Extension auf. Der Operateur aber dreht das Messer sofort um 90 Grad und stellt die Klinge aus der bisherigen senkrechten in die frühere horizontale Lage zurück, während der Daumen zwar mit dem Drücken aufhört, jedoch am Platze bleibt, damit die Bildung des früher erwähnten Hohl- raumes nicht erfolge und die Haut den Diastasenraum ausfülle. Das Messer wird nun bei horizontaler Klingenstellung langsam aus- gezogen. Aus der kleinen Stichwunde entsickern einige Bluttropfen, manchmal mit einzelnen Luftbläschen gemischt. Die rechte, durch das Ablegen des Messers freiüewordene Hand reiniot nun die Stichr)ffnuno- — 201 — und deren Umgebung mit einem feuchten, ausgerungenen Watte- bauschen und legt etwas Jodoformgaze direct auf die Stichwunde. Nun nimmt man ein längliches, rundgewickeltes, trockenes Watte- bäuschchen, entfernt erst jetzt allmälig den Daumen und legt das Bäuschchen in die Ciuergestellte Hautgrube hinein. Bäuschchen und Gaze werden mit einem Klebestreifen festgemacht und darüber ein Deckverband massig fest angelegt. 2. Durchschneidung einer Sehne von innen nach aussen. Bei diesem Verfahren soll das Tenotom längs der inneren Fläche der Sehne ein- geschoben werden, daher ihre passive Anspannung gleich von vorne- herein zu bewerkstelligen ist. Zur Trennung bedarf der Operateur nur einer einzigen Hand, demnach die andere, freibleibende zur An- spannung verwendet wird. Dieser Umstand, die Möglichkeit das passive Spannen selbst übernehmen zu können, hat zwei ganz wesentliche Vortheile: einmal kann man dabei eines Assistenten, wenigstens eines geschulten, ganz entbehren; ferner hat es die An- nehmlichkeit, dass der Operateur den jeweilig gerade erforderlichen Grad der Sehnenspannung nach eigener Beurtheilung zu regeln ver- mag. Man fasst das Tenotom in flacher Klingenstellung mit den gebeugten vier Fingern der rechten Hand, etwa wie ein Messer beim Fruclüschälen, der freibleibende gestreckte Daumen wird auf die äussere Sehnenfläche postirt, respective auf die Deckhaut entsprechend der Schnittebene. An dem einen Rande der durch forcirte Anspannung vorspringend gemachten Sehne sticht man die Spitzenklinge direct ein und luhrt sie entlang der Innenfläche der Sehne so weit, bis die Spitze den anderen Sehnenrand etwas überragt. Nun wird das Tenotom mittelst Beugung in den Metacarpo-Phalangealgelenken gedreht, so dass die Schneide der Sehne zukehrt. Der Daumen drückt die Sehne in die Messerschneide, die vier Finger geben der Klinge eine wiegende Bewegung, welcher ein fast unmerkliches seitliches Hin- und Herschieben hinzugefügt werden kann; die linke Hand spannt die Sehne stärker an, man fühlt ein knirschendes Geräusch, die Nachgiebigkeit nimmt zu, je mehr die Schneide von unten her der Haut sich nähert; dem entsprechend verringert man auch die Spannung, bis ein Krach und ein plötzliches Nachgeben anzeigen, dass die Sehne durchschnitten sei. Sofort wird nun die Klinge flach gedreht, die linke Hand, nun wieder frei geworden, übernimmt mit dem von der Seite allmälig vorgeschobenen linken Daumen die Stelle des rechten Daumens, welcher gradatim zurückweicht und drückt die Haut in die Diastasenkluft hinein. Das weitere Verfahren wie oben. Zu den üblen Ereignissen, welche bei der Tenotomie vorkommen können, aber meistens in einem ungeschickt 3n Vorgehen begründet sind, zählen: a) das unvollständige Durchtrennen der Sehne. Die un- durchschnitten gebliebene Sehnenpartie kann entweder dem Rande oder der Fläche angehören; dem Rande, wenn das Tenotom vom Beginne an nicht weit genug vorgeschoben worden war, oder wenn man während des Schneidens mit der Klinge zu sehr ausgiebige Säge- bewegungen ausgeführt hatte, wodurch eine nachträgliche Lagever- rückung dieser zu Stande kam, so dass die betreffende Randzone der Messerwirkung entzoeen blieb; der Fläche, wenn das Messer statt - L'02 — längs der Sehnenfläche eingeführt zu wei-den, durch den Sehnenkr)r{)er durchgestochen wurde, wobei die dem Messerrücken jeweilig zu- gewandte Flächenzone ausser Spiel geräth. Auch beim sägeförmigen Ziehen des Tenotoms können einzelne Faserpartien umstochen werden, welche dann undurchtrennt bleiben. Bei der Verwendung stumpfer Tenotome ist wohl die erstgedachte Eventualität (Freibleiben einer Raiidzone) möglich, niclit aber die letzterwähnte. Der unvollständigen Durchsclmeidung, die durch das Fehlen des krachenden Endgeräusches und durch Ausbleiben der plötzlichen Nachgiebigkeit sich kenn- zeichnet, kann auf zweifache Weise abgeholfen werden: durch gewalt- sames Zerreissen der undurchtrennten Sehnenfaserpartie, also durch eine potenzirte Anspannung, oder, wenn dies nicht gelänge, durch wiederholte Einführung des Tenotoms. h) Ausgiebige Verletzung der Haut. Es kann die Haut an der Seite, wo die Messersi)itze weilt, mehrfach durchstochen werden: wieder die Schuld allzu ausgiebiger sägender Seitenverschiebungen; oder es wird beim Tenotomiren von innen nach aussen die Hautdecke entsprechend der Sehnenschnitt- ebeiie mit durchgeschnitten, wodurch die subcutan intendirte Teno- toniie in eine percutane umgewandelt wird. Wenn auch dem Durch- stechen der Haut keine wesentliche Bedeutung zukommt, so wäre die quere Durchtrennung doch ein bedenklicherer Uebelstand; zwar nicht gar so traurig, falls strenge antiseptisch verfahren wird, aber dennoch bedauerlich genug. Nur eine genau angelegte Wundnaht der Haut könnte der Operation ihren subcutanen Charakter wenigstens theilweise restituiren, obgleich hierbei eine temporäre kurze Drainirung räthlich wäre. Dieses üble Ereigniss kann vorkommen, wenn die Sehnenanspannung, ungeachtet der progredienten Trennung, bis zum Schlüsse in gleicher Stärke unterhalten, und das Tenotom zu rasch und ungestüm oder gar in sägenden Zügen geführt wird. Daher die Empfehlung: der Operateur möge die Sehnenspannung selber über- nehmen und vom Gehilfen nur eine Fixirung, eventuell einen Gegenzug ausführen lassen; er selbst aber möge ja bei Zeiten die Anspannung nach und nach verringern, wenn er durch die zunehmende Nach- giebigkeit und durch die allmälige Reduction der Dicke der Sehnen- schichte auf die baldige Beendigung der Durchtrennung aufmerksam gemacht wird, c) Blutung aus grösseren Gefässen. Da grössere Gefässe bloss in subtendinösen Tiefen sich vorfinden, so kann sich eine nennenswerthe Blutung nur beim Sehnenschnitte von aussen nach innen ereignen. Dieses üble Ereigniss resultirt aus einem plötzlichen Ausfahren der Klinge nach Durchtrennung der Sehne, welches dann eine weitere tiefe Durchschneidung der subtendinösen Gewebe im Ge- folge haben kann, wobei die etwa dort verlaufenden grösseren Gefässe an- oder durchgeschnitten werden. Das Ausfahren des Tenotoms wird bedingt : durch zu stramme fortdauernde brüske Anspannung der Sehne von Seite des Gehilfen und zu starkem Druck auf den Messer- rücken durch den Operateur selbst. Gegenwärtig wird die Tenotomie am häufigsten an zwei Sehnen ausgeführt, an jenen des Kopfknicknrs und an der Achillessehne. Am Sternocleidomastoideus werden dessen Ansatzsehnen am sternum und an der clavicula knapp über ihren Ansatzstellen durchschnitten. Die Frage, ob beide Sehnen oder nur eine, und im ersteren Falle, welche - 203 - von beiden zuerst diirchziitrennen sei, erledigt sich aus folgender einfachen Regel: man entscheidet je nach Bedarf. Operirt man wegen Caput obstipum musculare, so wird zunächst jener Kopf durchtrennt, der am meisten vorspringt, wenn der Muskel jjassiv angespannt ist. Die passive Anspannung wird derart vorgenommen, dass ein Gehilfe seine beiden, gekreuzt übereinander gelegten Hände auf die Schulter der contracten Seite stellt und sie lierabdrängt, während der Opera- teur selbst oder ein zweiter Assistent den Kopf des Krauken nach rückwärts und gegen die gesunde Seite hin drängt und zugleich so rollt, dass das Kinn gegen die Mediane rückt. Bei solcher Ansi3annung des Kopfknickers ist man sofort im Stande, zu beurtheilen, welche von den beiden Sehnen am meisten vorspringt. Diese wird stets zuvörderst durchschnitten. Nun lässt sich der processus mastoideus etwas weiter abdrängen; springt dabei die bisher noch undurchschnittene zweite Sehne stärker vor und hügelt die Haut, so trennt man in einem zweiten Acte auch diese durch. Findet dieses Vortreten der zweiten Sehne nicht statt, so gibt man sich mit der einen Durchschneidung zufrieden, oder man durchschneidet noch andere Stränge, die sich eventuell der Geradrichtung des Kopfes widersetzen. Es ist wohl am bequemsten, wenn man als Einstichsort stets jenen Sehnen- rand wählt, welcher der operirenden Hand zukehrt: freilich wird bei Einhaltung dieser Regel und allfallsiger Dttrchschneidung beider Köpfe stets ein frischer Einstich nothwendig, so dass man nach einer doppeltköpf igen Trennung zwei Hautstiche erhält. Um diese zweifache Verletzung der Haut zu vermeiden, wurde empfohlen, das Tenotom stets in der Mitte zwischen beiden Köpfen einzuführen, da man von diesem Puncte, also von einer und derselben Einstichstelle aus, beide Köpfe erreichen und subcutan durchschneiden kann. Allein dieses Verfahren, von einem Puncte aus beide Sehnen zu erreichen, erfordert einen Wechsel der Hände, insofern als man beispielsweise linkerseits wohl die Sternalsehne mit der rechten Hand durchschneiden kann, nicht aber die Cleidosehne; an dieser muss dann die Operation mit der linken Hand vorgenommen werden. Einem geübten ambidextren Chirurgen wird wohl ein solcher Händewechsel keine wesentliche Schwierigkeit bereiten; nicht jeder Chirurg ist aber ambidexter. Saheut man sich jedoch, die Haut zweimal einzustechen, wofür indessen kein plausibler Grund vorliegt, so kann man sich derart behelfen, dass man linkerseits stets an der Aussenseite, rechts dagegen an der Innenseite des Muskels eingeht, und dann von dieser Stelle aus, durch subcutanes Weiterschieben des Tenotoms beide Portionen nacheinander erreicht. Ob man die Sehnen von aussen noch innen oder umgekehrt durchtrennen soll, bleibt dem Ermessen und der Uebung des Opera- teurs überlassen. Ungeschicktes Vorgehen wird immer schaden: eine Mitdurchtrennung der Haut beim Schnitte von innen, wäre wohl unangenehm; eine Verletzung des bulbus venae jugularis bei einem eventuellen Ausfahren des Messers während der Trennung von aussen nach innen, jedenfalls noch Aveit schlimmer. Ist die Oj^eration beendet, so handelt es sich darum, den er- zielten Erfolg auch zu erhalten und die Besserung in der Kopf- stellung gradatim zu vervollkommnen. Die gänzliche Heilung, oder besser gesagt, die vollendete Geradestellung des Kopfes ist Aufgabe — 204 — späterer Orthopädie. Unmittelbar nach der Diirchsclmeidang be- schränkt man sich darauf, dem Operirten eine steife Cravatte anzu- legen, welche den Zweck haben soll, den Kopf in der gebesserten Stellung zu erhalten. Man schneidet dafür eine Art Cravatte aus starker Pappe, deren Höhe an der operirten Seite dem neugewonnenen Al)stande zwischen Unterkiefer und Schlüsselbein entspricht. Diese Il(')he wird der Mitte des Cartonstückes gegeben; von hier ab lässt man dessen Enden etwas schräg ablaufen, polstert die Ränder mit Baumwolle und schliesst das Ganze in ein dreieckiges Tuch so ein, dass eine förmliche Cravatte daraus wird. Die Mitte dieser wird an die operirte Seite gelegt, die Tuchzipfe auf der gesunden Seite ge- kreuzt und auf der Aussenfläche der Cravatte festgeknotet. Hierdurch wird der Kopf von der Schulter dauernd al)gehalten und der Kranke stets gemahnt, auch activ seinen Kopf richtig zu stellen. Vom achten Tage ab kann dann das orthopädische Verfahren beginnen. Es gibt Fälle von Caput obstipum congenitum, wo die einfache subcutane Durchtrennung auch beider Köpfe des sternocleidomastoi- deus manchmal nicht das erwartete und erhoffte Resultat gibt; man findet nachträglich noch immer Widerstände vor, welche die völlige Geraderichtung des Kopfes hindern, und zwar in Gestalt von tiefer gelegenen festen unnachgiebigen Strängen. Diese nachträglich sub- cutan zu durchschneiden, gelingt nicht immer ohne Gefahr, da hiebei trotz aller Vorsicht Gefässverletzungen unterlaufen können. Bei solchen ganz schweren Fällen soll man, auf v. Volkviann's ausdrück- liche Empfehlung, durch einen langen, am Innenrande des Muskels geführten Schnitt diesen biossiegen, völlig frei aus seiner Scheide herauspräpariren und ihn dann nicht bloss durchschneiden, sondern auch alle in seiner Nachbarschaft sich anspannenden Stränge, ver- dickte Fascien, ja selbst verdickte Lagen der Gefässscheide unter sorgsamer Controle des Augen exstirpiren. Mikulicz geht noch weiter : er exstirpirt vollends die unteren zwei Drittheile des Kopfnickers; das obere Drittheil muss wegen seines Rapportes zum Verlaufe des nervus accessorius Willisii ge- schont bleiben. Er führt einen nur 3 bis 4 Centimeter langen Haut- schnitt mitten zwischen den Köpfen, der auch das platysma durch- trennt, worauf durch abwechselndes starkes Verziehen der Wund- ränder mittelst Haken zuerst der eine und dann der andere Kopf nach Spaltung der Muskelscheide isolirt und stumpf unterminirt werden. Nach Unterschiebung eines Elevatoriums macht man die Köpfe an ihrer Insertion am sternum und clavicula ab, erfasst die freigewordenen Enden mit Nadelhaltern und zerrt sie kräftig aus der Wunde heraus. Bei starker Neigung des Kopfes gegen die kranke Seite bekommt man bald die Vereinigungsstellen der Köpfe zum Muskelkörper, endlich diesen selbst zu Gesicht. Häufig genügt wohl nur die untere Hälfte des Muskels abzutrennen, das Maximum ist, wie geäugt, zwei Drittheile. Das Abschneiden erfolgt partienweise, damit die Blutung aus den Muskelästen durch Ligatur gestillt werden könne, ehe der Rest des Muskels in seine Scheide zurückschnellt. Nach beendeter Exstirpation dreht man den Kopf gegen die gesunde Seite und hält Nachlese etwaiger noch zurückgebliebener, dabei sich anspannender Stränge, die sehr zahlreich zu Tage treten sollen. — 205 — Manchmal ist der derbe fibrös entartete Muskel so innig mit der Umgebung verwachsen, dass ein stumpfes Vorzerren desselben aus der kleinen Schnittwunde nicht gelingt, dann muss eben die Prä- paration mit dem Messer gemacht werden. Die Wunde wird nach ge- nauer Blutstillung vernäht, nur am unteren Wundwinkel kurz drainirt, darüber ein elastischer Compressionsverband angelegt um die Haut an den tiefen Wundgrund anzudrücken, damit Primaheiluug erfolge. Der Kopf soll nicht überredressirt werden, weil dabei die Haut statt sich anzulegen, zeltartig die Wundhöhle überbrücken würde unter Bildung eines subcutanen Hohlraumes. Die orthopädische Behand- lung der Halswirbelsäulenscoliose beginnt erst nach vollends ver- narbter Wunde; manchmal soll sie ganz überflüssig sein, indem die Geraderiehtung ohne weiteres Zuthun erfolgt. Die Achillotenotomie wird stets an der schmälsten Stelle der Sehne vorgenommen, Avelche der Höhe der Malleolen entspricht. Durch- schneidet man die Sehne von aussen nach innen, so muss der Kranke während der Operation die Bauchlage einhalten; geht man umgekehrt vor, so kann er in Rückenlage verbleiben. Die Anspannung der Sehne geschieht durch Beugung, die Entspannung durch Streckung des Fusses im Sprunggelenke. Bei der erstgedachten Methode fixirt der Gehilfe mit einer Hand den Unterschenkel, den er gegen die Unterlage drückt, während er mit der anderen den Fuss, welcher über den Tischrand vorgezogen wurde, dirigirt. Bei Durchtrennung von innen nach aussen stellt sich der Operateur der Fusssohle gegen'- über, lässt das gestreckte Bein hoch emporhalten, erfasst mit der linken Hand den Vorderfuss und spannt durch Dorsalflexion die Sehne nach Bedarf. Nach dem ersten, oben geschilderten unmittel- baren Deckverbande wird eine Rollbinde, von den Zehen ab bis zur Mitte der Wade angelegt und mit einigen nassen appretirten Organtin- binden dem Fusse ein fester Halt gegeben. Auch hier vermeidet man in der ersten Woche jede Zerrung der Wunde und alle übermässige Ausbeutung des Errungenen. Wie jede andere Wunde erfordert auch diese temporäre Ruhe. Anstatt die Achillessehne subcutan durchzu- schneiden, will Bayer die Sehne zunächst biossiegen durch einen 4 Centimeter langen Hautschnitt, und sie in ihrer Mitte längsspalten, wodurch sie in zwei laterale Hälften geschieden wird. Nun schneidet man jede Hälfte in verschiedener Höhe quer durch, und zwar die eine knapp am Tuber calcanei, die andere im oberen Wundwinkel. Man kann auf diese Weise die Hälften aneinander nach Bedarf ver- schieben und sie in der entsprechenden Höhe wieder gegenseitig ver- nähen, so dass keine Continuitätstrennung resultirt. Gleich den Sehnen werden auch gespannte Fascien durch- schnitten, so die Ausbreitung des tensor fasciae latae, die Palmar- und Plantaraponeurose u. a. m. Man nimmt deren subcutane Trennung mit einem schmalen Tenotome vor, und zwar ihrer oberflächlichen Lage wegen, stets in der Richtung von aussen nach innen. IV. Sehnennaht. Indem die Sehnen Vermittler der activen Bewegungen sind, ist mit ihrer Durchschneidung auch die Function des betreffenden — 206 — Körportlieiles sofc^rt sistirt. Eine Naturheiluiiii' im Sinne einer directen Wiederveiniiiiinii" der durchtrennten Sohnenenden, ist aus dem Grunde unm(")iilich, weil die dafür oehende conditio sine qua non — die Apposition der Trennungsflächen fehlt, indem das centrale Ende in Folge der Muskelthätigkeit sogleich vom peripheren abgezogen wird. Nur bei incompleter Durchtrennung bleiben die Sehnenenden, kraft der noch erhaltenen Faserbündel in gegenseitiger Verbindung, nie bei der comjjleten. Wenn man nun auch durch passive, zweckent- sprechende Lagerung der betreffenden Körpertheile (starke Beugung bei durchschnittenen Beugesehnen und umgekehrt) eine Annäherung der Trennungsflächen zu Stande bringen kann, wenn man auch durch comprimirenden, vom Centrum zur Peripherie geführten, genau an- gelegten Bindendruck eine Entspannung der jeweiligen Musculatur und dadurch secundär ein Herabrücken des centralen Sehnenendes gegen das periphere zu bewerkstelligen vermag, so reichen diese Verfahren dennoch nicht hin, um die gewünschte Apposition zu ver- mitteln; als Folge bleibt eine dauernde Diastase der beiden Enden zurück, welche dann, jedes für sich, mit dem entsprechenden Ab- schnitte der Sehnenscheide verwächst. Eine Functionsbehinderung wird demnach stets und immer zurückbleiben müssen, deren Grad freilich von der Grösse der Sehnenendendiastase abhängig und ihr proportional sein wird. Um diesem Uebelstande vorzubeugen oder ihm abzuhelfen, gilt es als absolute Nothwendigkeit: die sonst fehlende Apposition der Sehnenstümpfe auf künstliche Weise ins Werk zu setzen: dieses aber bezweckt die Sehnennaht. Je nachdem nun der betreffende Verletzungsfall frisch zur Behandlung kommt, oder erst in einer späteren Zeit, wenn bereits alles verheilt ist und der Verletzte vom Arzte eine Behebung der Functionsbehinderung ver- langt, ist die zutreffende Operationstechnik wenigstens in manchen Punkten verschieden; man unterscheidet demzufolge die primäre von der secundären Sehnennaht. Beide Verfahren kommen meistentheils an Fingersehnen zur Ausführung, indem bei der Hand die Functions- behinderung einzelner Finger eine viel traurigere Rolle für den Ver- letzten spielt, als dies etwa bei den Zehen der Fall sein kann, wo die Orthopädie leichter auszuhelfen vermag; immerhin wäre ihre Anwendung auch für die untere Extremität in nicht minderem Grade statthaft. a) Primäre Sehnennaht. In der frischen klaffenden Riss- oder Schnittwunde sieht man bei genauer Untersuchung, nach Stillung der Blutung und Abziehung der Wundränder, namentlich aber nach vorangeschickter Anämisirung der Gliedmasse, das periphere Sehnen- ende allein; das centrale ist in seiner Scheide verborgen, es wurde durch den Muskel activ centralwärts verzogen. Vor Allem handelt es sich also darum, das centrale Ende herabzubefördern, um die spätere Apposition zu ermöglichen. Dies zu erzielen ist nicht immer leicht. Hierzu stehen dem Operateur folgende Mittel zu Gebote: 1. Die Spaltung des centralen Sehnenscheidenantheiles bis zu jener Höhe, welche der Retractionsverlagerung der Sehne entspricht. Es ist gewiss nicht gieichgiltig, wie hoch die Spaltung vorgenommen wird. Wenn bei- spielsweise die Verletzung nahe dem ligamentum carpi, beziehungs- weise in der Nähe anderer Haltebänder erfolgt, so verbietet sich — 'J07 - eine ausgiebige centrale Spaltung schon aus Rücksicht der gebotenen Schonung dieser wichtigen Hilfsorgane; allein, wenn auch dieser Umstand nicht gerade vorläge, wäre eine ausgiebigere Spaltung aus dem wichtigen Grunde zu meiden, als die Sehnenscheide zum End- erfolge der Sehnennaht wesentlich beiträgt, indem ja die Wieder- vereinigung der Stümpfe weniger direct, als vielmehr vorzugsweise auf Kosten einer Yerklebung und Verwachsung der äusseren Sehnen- fläche mit der Innenfläche ihrer Scheide, also indirect erfolgt. Die schwach ernährten Durchschnittsflächen eignen sich zur festen gegen- seitigen Verwachsung weniger oder mindestens nicht in kurzer Zeit, und auch später dürfte die directe Verbindung häufig genug nur auf Kosten spärlicher und schwacher Bindemasse erfolgen. Je geringer demnach die Verwundung der Sehnenscheide, desto gesicherter, desto vollständiger gestaltet sich der Erfolg. 2. Das mechanische Herunterschieben des verzogenen centralen Endes, ein Mittel, welches stets als erstes in Anwendung zu bringen ist und gar nie vefgessen werden soll; dass es in einer Druckentspannung des betreffenden Muskelkörpers liege, wurde schon früher bemerkt. Auf dieses nie zu unterlassende Verfahren soll schon bei der vorausgeschickten künstlichen Anämi- sirung gedacht werden, falls sie durch elastischen Bindendruck be- werkstelligt wird; daher soll die Anämisirungsbinde stets so hoch geführt werden, dass sie die bezügliche Muskelinsertion übersteige. Die Constrictionsbinde muss also in allen Fällen so hoch an- gelegt werden, dass der Gesammtmuskelkörper unter ihr, also ganz unbehindert bleibt. Das Vortreiben der verzogenen Sehne erfolgt entweder durch streichenden Druck, den man auf den Muskelkörper in centrifugaler Richtung ausübt (KölUker) oder, nach Böse, durch stramme centrifugale Anlegung einer elastischen Binde. Sollte der Muskelkörper über die Beugeseite eines Gelenkes laufen und erst darüber hinaus seine Insertion finden, so Aväre in der forcirten Beu- gung des betreffenden Gelenkes ein Ilauptagens zur Entspannung des Muskels gegeben. Gelingt es auf eine oder die andere Art, das cen- trale durchschnittene Sehnenende in der Wunde sichtbar zu machen, so erfasst man es sofort mit einem spitzen Häkchen, zieht es vor und fixirt es provisorisch entweder durch Festhalten des Hakens, eventuell der Hakenpincette, legt eine Zugschlinge an, oder steckt quer durch die Sehne eine Nadel. Ist das Sehnenende nicht direct sicht- bar, so muss man es in der Sehnenscheide aufsuchen, yicoladoni empfiehlt hierzu die Benützung eines kleinen spitzen Häkchens, welches mit der Seitenfläche längs der inneren Sehnenscheidewand gleitend vorgeschoben wird, bis es dem Sehnenstumpfe begegnet. Damit dieser nun eingehakt und vorgezogen werden könne, ist es nothwendig, das Häkchen zwischen Sehnenscheide und Sehnenstumpf eine Strecke weit vorzuschieben, um es beim Zurückziehen in den Stumpf einzugraben. Mir ist es einmal gelungen, mit einer- feinen gezähnten Ohrpincette den Stumpf aus dem Hohlrohre der Sehnenscheide herauszubefördern. Endlich empfiehlt Madehing, zur Auffindung eines weit verzogenen Sehnenstumpfes, denselben an, seiner neuen Lagerstätte durch einen frischen Einschnitt blosszulegen, ihn dann durch den leeren Sehnen- scheidencanal durch- und an der Verletzungsstelle wieder auszuziehen. Man kann durch diese Methode allerdings, im Falle etwa Hilfsbänder — 208 — im Wege stünden, diese umgehen und jedenfalls die Sehnenscheide geradein ihrem wichtigsten Bezirke schonen. Sollten diese Bemühungen erfolglos bleiben, tlann müsste wohl zum ersterwähnten Verfahren, zur Sehnenscheidenspaltung geschritten werden. Man bediene sich seiner aber nur als Remedium anceps, wenn eben kein anderer Ausweg mehr zu Gebote steht. Sind einmal beide Sehnenenden in der Wunde sichtbar, so sollen sie durch die Naht in dauernde gegenseitige Verbindung, gebracht werden. Um die Verwachsung rasch und fest zu gestalten, wäre es, vom theoretischen Standpunkte gedacht, am zweckmässigsten: die Enden nicht in Apposition, sondern durch Uebereinanderschiebung in Juxtaposition zu bringen, weil dabei das besser ernährte und zur Ver- wachsung daher geeignetere peritendinöse Sehnengewebe in gegenseitige Berührung gebracht würde ; allein dieses, von Hüter angegebene Ver- fahren hiesse die Sehne verkürzen; dadurch könnte aber die Spannung vermehrt und der Erfolg der Sutur möglicherweise in Frage gestellt werden. Man begnügt sich also meistens mit der einfachen Apposition, wobei die Durchschnittsflächen gegenseitig in Contact gebracht werden. Wie soll nun genäht und was für ein Materiale dazu gewählt werden ? Man kann entweder eine einfache Knopfnaht ausführen, welche der Länge nach, an zwei oder mehreren Stellen durch die ganze Dicke der Sehnenstümpfe durchgeführt wird, so dass die Fadenschlingen längs der Sehnenoberfläche laufen; die Nähte können parallel zu einander liegen oder sich wechselseitig kreuzen; es kann auch im Umkreise genäht werden, wobei die jeweiligen Fadenschlingen zur Hälfte innerhalb der Sehne zu liegen kommen. Im Allgemeinen muss vor der Anlegung zu vieler Nähte gewarnt werden, da mit ihnen zwar die momentane Sicherheit der Naht zunimmt, dafür aber auch die Ernährungsbedin- gungen der Sehnenstümpfe durch Gefässcompression leiden. Längs- nähte, welche zur Faserung der Sehne parallel laufen, reissen wohl bei einiger Spannung am leichtesten aus, da sie ja nur in jenem Zellgewebe einen Halt finden, welches die Sehnenbündel umhüllt und verbindet. Baum empfahl daher, die Sehnenbündel einfach der Quere nach mit je einem Doppelfaden zu binden und die Fadenenden dann wechselseitig zu verknüpfen, derart, dass jeder Knoten je einem Seitenrande der Sehne entspricht. Diesem Rath gebe man nicht Folge, denn damit der Faden die Sehne sicher halte, muss er den Stumpf einschnüren, um nicht abzugleiten, und dies würde Inanitionsnecrose der eingeschnürten Stumpfenden herbeiführen, welche schon von Haus aus spärliche Gefässe besitzen. Wölfler hat in jüngster Zeit einige andere Nahtweisen erdacht, welche, obwohl dabei der Faden quer zur Sehnenrichtung eingelegt wird, dennoch den Nachtheil der i?a^/77?.'schen Methode weniger theilen (Fig. 69). Von den beiden bildlich darge- stellten Nahtmethoden scheint die mit h und c bezeichnete viel zweck- entsprechender zu sein, was auch Wölfler zugibt; jedenfalls wäre gar die sub a dargestellte, einer queren Abschnürung vorzuziehen. Sind einmal die Suturfäden nach dieser oder jener Methode durch beide Sehnenstümpfe angelegt, wobei zu bemerken wäre, dass sie nicht knapp am Stumpfende, sondern wenigstens 5 wm davon entfernt durchzuführen sind, um ein Ausreissen zu verhüten — so muss vor dem Knüpfen nunmehr das periphere Ende dem centralen so viel als möglich 209 Fig. 70. genähert werden. Ermöglicht wird dies durch eine hierzu passende passive Stellung der peripheren Ansatzstelle, also bei Beugesehnen durch starke Beugung, bei Strecksehnen durch Streckung. Dadurch werden die Stümpfe einander genähert, eventuell ganz aneinander gebracht und das Knüpfen der Nähte erleichtert. Diese passive Hal- tung darf von diesem Zeitpunkte ab, bis zur beendeten Heilung unter gar keiner Bedingung aufgegeben werden, da jede plötzliche Zunahme der Spannung ein Ausreissen der Nähte und der frischen Sehnen- scheidenverklebungen zur Folge haben könnte. Bezüglich des Näh- materiales wäre gewiss ein resorbirbares jedem anderen vorzuziehen, allein man muss bedacht sein, dass es nicht allzu früh der Resorption anheimfalle, weil bei entfallendem Halt die frische Verklebung leicht der Spannung oder gar dem activen Muskelzuge zum Opfer fallen könnte. Wählt man Catgut, nehme man kein dünnes, be- vorzuge eventuell fil de Flo- rence. Einige geben der Seide den Vorzug, während Notta mit feinem Silberdraht nähen will. König erklärt letzteren für unbrauchbar, ja für schäd- lich, da er die Sehne leichter durchschneiden soll. Ist die Naht beendet, so empfiehlt es sich, namentlich falls eine Längsspaltung des centralen Sehnenscheidenab- schnittes vorgenommen wor- den wäre, den Schlitz vollends zu vernähen, ja sogar noch mit einer seitlichen Knopfnaht Sehnenscheide und Sehne zu vereinigen; darüber wird die Haut geschlossen in der Regel ohne Drainage. Was für eine Sehne allein Giltigkeit hat, ist auch bei mehrfachen Sehnendurchtrennungen genau zu beachten, nur ist dabei auch sehr darauf Rücksicht zu nehmen, dass man die Sehnen- stümpfe nicht verwechsle und nicht dasjenige miteinander vereinige, was nicht zusammengehörig ist. Für derlei Fälle ist es dringend zu em- pfehlen, zunächst nur einfache Haltefäden durch die einzelnen Stümpfe zu führen und sich früher stets durch genaue Prüfung von ihrer richtigen Zusammengehörigkeit zu überzeugen, bevor man jedes ein- zelne Paar definitiv miteinander verknüpft. Gleich nach beendeter Sehnennaht entferne man die Constrictionsbinde und stille sorgsamst jede Blutung, bevor die Hautwunde zugenäht wird, denn Nachblutungen könnten den Erfolg beeinträchtigen. Strengste Einhaltung der Antisepsis ist selbstverständlich, ohne ihr ist namentlich bei dieser Operation kein Heil zu erwarten. Nach ganz beendetem Eingriffe, nach Anlegung des entsprechenden Schutzverbandes ist noch die weitere Aufgabe zu erfüllen, durch einen geeigneten Stützverband die passive, bisher •liuC: Handbuch d. ciiirurg. Tccrliiiik. 4. Aufl. 14 210 Fiff. 71. eingehaltene Gliedmassenstellung auch ferner unverrückt zu erhalten. Als Stützverband dient eine, jeweilig aus stärkerer Pappe geschnittene Schiene, wie sie Fig. 71 darstellt. Hand und Vorderarm werden mit schmalen Binden darauf gesichert, das Ganze endlich bei gebeugtem Ellbogen in geeigneter Elevation gehalten. Erst nach ganz vollendeter Heilung, am besten erst in der dritten Woche, kann der Hand die normale Stellung allmälig wieder- gegeben und die Functionirung reactivirt werden. b) Secundäre Sehnennaht. Sie ist viel schwieriger auszuführen als die primäre, da der Muskel sich der einmal erfolgten Längen- reduction kraft seines Tonus accommodirt hat und die einmal einge- gangene, länger unterhaltene Verkürzung nur schwer wieder auf- gibt. Andererseits hat wieder der centrale Sehnenstumpf gleich dem peripheren, in zurückgezogener Lage mit dem entsprechenden Abschnitte der Sehnenscheide organische Verbindungen eingegangen, und das intermediäre leere Scheidenrohr ist möglicherweise durch Verklebung und nachfolgende Verwachsung ob- literirt. Dem operativen Acte stellen sich demnach bedeutende Hinder- nisse entgegen, welche den Erfolg entweder gänzlich vereiteln oder ihn nur theilweise erringen lassen. Dennoch ist es nicht nur gerecht- fertigt, sondern vielmehr geboten, den letzten Versuch zu wagen, um die traurige Lage des Verletzten zu bessern ; nur sei man stets vorsichtig mit der Prognose und verspreche a priori nicht zu viel. Das operative Verfahren gestaltet sich folgendermassen : nach vor- gängiger Anämisirung und Anle- gung der Constrictionsbinde durch- trennt man zunächst die Deck- weichtheile in linearer Richtung und legt das periphere Sehnen- ende bloss, welches man sofort anfrischt bei möglichster Sparung des Sehnenmaterials. Hierauf wird das centrale Ende zu Tage gelegt und gleichfalls angefrischt. Man trennt seine Adhäsionen mit der Sehnenscheide, indem man es, nach Madelung, immer weiter vorzieht und dabei die jeweilig sich anspannenden Ver- wachsungsstränge vorsichtig trennt, bis die Sehne ganz beweglich geworden ist. Die Sehnenscheide selbst schone man und trenne sie nur im äussersten Nothfalle der Länge nach in möglichst geringer Ausdehnung durch. 01) das periphere Ende ebenso abzu- lösen sei, entscheidet der specielle Fall; etwas wird man es immer- hin lösen müssen, schon wegen der leichteren Anlegung der Naht. Nun Avird getrachtet, die beiden Stümpfe durch centrifugales Streichen, durch directen Zug, durch geeignete passive Stellung der Hand einander bis zum Contact zu nähern. Gelingt dieser, so legt man die Sehnennaht wie oben geschildert an; gelingt die Apposition nicht, so kann man: 1. die Sehnenstümpfe in genäherter Stellung theils — 211 — gegenseitig- mittelst durchzogener Fäden, theils mit der Umgebung durch eine Matratzennaht befestigen. 2. TiUaux räth, das periphere Ende mit der intacten Nachbarsehne zu vernähen und es dadurch, wenn auch in- direct, so doch in einem gewissen Grade wieder functionsfähig zu machen. 3. Man trachtet mittelst einer Sehnenplastik die Verbindung herzustellen. Sie besteht in der Transplantation eines mit dem Mutterboden in Verbin- dung belassenen Sehnenstreifens. Es wird hierzu vom centralen Sehnen- stumpfe ein Längsstreifen abpräparirt, den man am unteren Ende mit ersterem in Verbindung lässt, jedoch um 180 Grade umklappt, so dass das freie, früher obere Streifenende auf den peripheren Sehnenstumpf zu liegen kommt, mit dem es nunmehr vernäht wird, natürlich derart, dass die Aussenflächen beider aneinander zu liegen kommen. Dieses Verfahren ist nicht sehr zu empfehlen, da in der Regel Necrose des transplan- tirten Stückes, wie begreiflich, eintritt. Auch verlangt die Operation eine bedeutende Entblössung des centralen Sehnenstumpfes, also eine weitgehende Spaltung der Sehnenscheide, eventuell auch der Halte- bänder, sonach die Verwundung eine nicht unbedeutende und zudem in der Regel eine zwecklose ist. 4. Gluck hat einen S Centimeter langen Sehnendefect durch ein zusammengeflochtenes Catgutbündel ersetzt, welches offenbar nur eine Verwachsung der Sehnenenden mit ihrer Umgebung in genäherter Stellung vermittelte. 5. MoUiere prä- parirt in der Wunde alle Reste der Sehnenscheide recht sorgfältig- frei und formirt sie zu einem geschlossenen Cylinder, welcher natur- gemäss die beiden Sehnenenden mittelbar miteinander verbindet. Diese Methode, welche MoUiere „Vaginoplastie" nennt, ist äusserst rationell und dem Ghtck'schen Verfahren stets vorzuziehen, wenn ge- nügende Reste der Sehnenscheide vorhanden sind, denn es wird dadurch ein bleibender, die directe Verbindung beider Sehnenenden vermittelnder Bindegewebsstrang zu Stande gebracht. Als Curiosum mag noch erwähnt werden, dass Lobker, in dem freilich ganz ver- zweifelten Falle einer Verletzung sämmtlicher Beugesehnen und Nerven am untersten Ende des rechten Vorderarmes mit starker Diastase der ersteren, je ein der Grösse des Defectes entsprechendes Knochenstück aus beiden Vorderarmknochen subperiostal resecirte, um die Apposition und die Naht der Sehnen und Nerven zu er- möglichen. Unter allen diesen Verfahren dünken mir, im Allgemeinen ge- sprochen, wohl nur die sub 1, 2 und 5 bezeichneten gerechtfertigt und empfehlenswerth. Gelingt die directe Sehnenvereinigung- nicht, so begnüge man sich eben mit der indirecten und fixire getrost das centrale, möglichst genäherte Sehnenende, entweder mit dem peri- pheren, wie Gluck es gethan, oder mit der Sehnenscheide, eventuell auch mit der umgebenden Deckhaut durch Matratzennähte. Scheide und Haut dienen dann, wie König richtig bemerkt, als intermediäre Bindemassen, d. h. durch sie wird die Muskelthätigkeit auf das peri- phere Stück, so gut als eben möglich übertragen. Ob Transplan- tirungen fremder, Thieren entnommener Sehnenstücke als Defectersatz dienen könnten, ist noch eine Frage. Wahrscheinlich ist es wohl, dass sie, weil ganz ausser jeder Gefässverbindung gebracht, der Necrose verfallen würden, jedenfalls noch viel eher als dies bei der Auto- plastik der Fall ist. 14* — 212 — Bei sonst unheilbaren Miiskellähmungcn oder sonstigen Aus- schaltungen sehr wichtiger Sehnen kann man auf künstlichem Wege die Sehnen gesunder, aber weniger bedeutender Nachbarmuskeln auf die ausgeschaltete Sehne einpflanzen, wodurch eine Thätigkeitsüber- tragung bewerkstelligt wird. So hat Nicoladom', in einem Falle von Pes calcaneus mit Lähmung der hohen und tiefen Wadenmusculatur, beide Pereonalsehnen durch Implantation mit der unthätigen Achilles- sehne verbunden, und damit angeblich eine Besserung der Fuss- stellung und des Extremitätsj^ebrauches erzielt. Zum Schlüsse möge noch der sogenannten schnellenden Finger Erwähnung gezollt werden, ein Leiden, welches zumeist in dem Bestände einer circumscripten Sehnenverdickung, eines Sehnenknotens oder einer Sehnenscheidenduplicatur gelegen ist, welch letztere als Knötchen, durch jeweilige Einkeilung in den Sehnenschlitz des ober- flächlichen Fingerbeugers eine temporäre Hemmung der Streckung, und durch das plötzliche Nachgeben eben die schnellende ruck- ähnliche Streckbewegung bedingt. Wenn Bäder, namentlich aber Massage nach längerer sorgfältiger Anwendung das Leiden nicht bessern und der Kranke positiv Abhilfe verlangt, so kann auch operativ eingeschritten werden. Das Verfahren besteht darin, dass man die Sehnenscheide an der betreffenden Fingerbeuge sammt der Deckhaut und den Hilfsbändern durchschneidet, hierauf die verdickte Sehnenpartie cum cultro glättet, eventuell den Sehnentheil, welcher den Knoten trägt, resecirt und sofort durch eine Sehnennaht die gesetzte Continuitätstrennung wieder behebt. Rehn empfiehlt diese operativen Eingriffe, Leisrink hat in einem Falle in der percutan gespaltenen Sehnenscheide eine knötchenartige Duplicatur der letzteren als causa morbi gefunden, das Knötchen exstirpirt und den Kranken dadurch vom lästigen Leiden befreit. In allen jenen Fällen, wo man die Durchschneidung von Sehnen als Voract anderer Operationen vornimmt oder, wie eben besprochen, kleine Sehnenresectionen ausführt, ist es zur Erleichterung der folgenden Sehnennaht geboten: schon vor der Durchschneidung die Sehne centralwärts mit einem spitzen Haken zu fixiren, oder durch die Sehne eine Fadenschlinge einzuziehen, welche zunächst als Halteband, dann aber bleich als Nahtfaden dienen kann. V. Operationen an Sehnenscheiden, aj Es kommt hier zunächst jene nicht sehr häufige Form der Synovitis papillaris in Betracht, welche des Häufigsten in dem gemeinschaftlichen Scheidensacke der Hand- beuger vorkommt, chronisch verläuft und sich als hydrops bursae flexorum zu erkennen gibt. Nebst dem Serum sind dabei im Scheiden- sacke noch mehr minder zahlreich, oft massenhaft, sogenannte Reis- kernkörperchen — Corpora orj^zoidea — vorhanden, theils gestielt — 213 — der Innenhaut aufsitzend, meistens aber frei im Serum schwimmend. Diese Körperchen behindern durch ihre Anwesenheit die Heilung des Leidens, indem sie zu stets erneuerter Exsudation Veranlassung geben, daher eine definitive Heilung nur in einer completen Entfernung dieser Fremdkörperchen beruhen kann. Die Operation besteht in der percutanen weiten Spaltung des hydropischen Sackes, Entleerung des Inhaltes, Exstirpation der Wucherungen, in anti- septischer Auswaschung des leeren Sackes, theilweiser Vereinigung der Wundränder mit Einschaltung von Drainröhren, endlich in der Anlegung eines Compressionsverbandes und Immobilisirung der Extremität auf einer geeigneten, festen, wohlgepolsterten Schiene. Künstliche Anämisirung ist dabei zu vermeiden und wohl auch ent- behrlich, wenn man die Spaltung von aussen her praeparando aus- führt und jedes blutende Gefässchen sofort fasst und früher unter- bindet, bevor der Sehnenscheidensack geöffnet wird. Die Spaltung muss ausgiebig sein, damit man durch Aufklappen der Wundränder eine genaue Einsicht in die Höhle des Scheidensackes bekommen könne, um sesshafte gestielte Körperchen nicht zurückzulassen. Bei aseptischem Verlaufe ist keine spätere Functionsstörung der Hand zu befürchten. König fasst das Leiden als Localtuberculose auf. Grosse Schwierigkeiten bietet oft die Tendovaginitis fungosa, welche die sorgfältigste Exstirpation der Scheidenhaut bei Erhaltung der Sehnen erfordert und in der Regel die Durchtrennung der Halte- bänder nöthig macht. h) Eine recht schlimme Erkrankung, welche zu raschem Handeln auffordert, ist die Tendosynovitis suppurata, das Resultat septischer Infection, sei es nach Panaritien, sei es nach Verletzungen oder nach Operationen, denen der correcte antiseptische Charakter mangelte. Bei Sehnenscheidenvereiterungen obwaltet doppelte Gefahr : einmal steht eine Xecrose der Sehne zu befürchten, ferner Senkungen des Eiters im Hohlrohre der Scheide. Beiden kann nur durch ausgiebige Spaltung der betreffenden Scheide begegnet werden. Die Spaltung muss so weit vom primären Erkrankungsherde hinaus vorgenommen werden, als überhaupt die Eitersenkung reicht, lieber weiter als zu wenig weit, da nur eine ganz freie, unbehinderte, dem Gesetze der Schwere Rechnung tragende Abflussmögiichkeit rationelle, genügende Abhilfe bringen kann. Stellen sich im Verlaufe der Spaltung Halte- bänder in den Weg, so können diese geschont und hinter ihnen die Spaltung fortgesetzt werden: discontinuirliche Trennung. Obwalten keine localen Hindernisse, dann führt man die Trennung continuirlich, ohne Absätze aus. Sie wird mittelst Hohlsonde und Spitzbistouri, oder mit einem Kopfmesser, eventuell auch mit der Knieschere vollzogen. Bei vorhandener Sehnennecrose warte man die spontane Abstossung des necrotischen Theiles ab und halte den Schnitt offen, am besten durch Einlegen von Jodoformgaze, die man nur nach Bedarf, vielleicht einmal in acht Tagen und ohne Rück- sicht auf einen Wechsel des jeweiligen Deckverbandes, zu erneuern braucht. cj Ueberbeine, Ganglia kommen an Händen und Füssen, seltener am Knie vor. Die an den Händen, meistens am Handrücken vor- kommenden, zumeist abgeschlossene, einen vitrinen Inhalt bergenden — 214 — Räume, sind Cysten, Ganglien können behoben werden: 1. Durch wiederholtes Drücken und Kneten, Massage. 2. Durch continuirlich wirkenden Schwammdruck. 3. Durch gewaltsames Sprengen des Balges durch Druck oder Schlag. 4. Durch subcutane Incision. Es dient hierzu eine gerade, gestielte Lanzennadel. Sie wird bei passiv ent- spannten Sehnen in einiger Entfernung vom Cystenbalge flach unter die Haut gebracht, mit oder ohne vorgängige Aufhebung einer Hautfalte, sodann im subcutanen Zellgewebe bis zur höchsten Wölbung der Cyste vorgeschoben, und nun bei gleichzeitiger passiver An- spannung der Sehnen so aufgestellt, dass Scheide und Spitze der Nadel in die Cystenwand eindringen und sie einschneiden. Nach Ent- fernung der Nadel drückt man den eröffneten Sack subcutan aus und vertheilt den entleerten Inhalt in das paratendinöse Gewebe und in den subcutanen Zellstoff, ihn dort der Resorption überlassend. 5. Durch subcutane Discision, von Hüter empfohlen, welche mit einem Tenotome ausgeführt wird. Man sticht dessen Spitze durch die Haut direct in die Höhle des Ganglion ein, presst hierauf durch Finger- druck den Inhalt durch den feinen Stichcanal neben der Tenotom- klinge aus und richtet dann deren Spitze gegen die Wand auf, die man oberflächlich einritzt. Nun wird das Tenotom entfernt, der blutige Inhaltsrest ausgequetscht und ein Wattedruckverband unter Beihilfe einer Lagerungsschiene angelegt. 0. Durch percutane aseptische Incision, id est durch Längsspaltung des Ganglion sammt der Deck- haut. Das Verfahren ähnelt einer Abscesseröffnung. Die Wunde wird nicht vernäht, sondern offen gelassen und aseptische secunda intentio angestrebt. Die letztgedachte Methode wurde durch die Erfahrung be- stimmt, dass den anderen Verfahren sehr leicht und gerne, oft sogar mehrmals sich wiederholende Recidiven zu folgen pflegen. Meiner eigenen Erfahrung nach lassen sich diese vermeiden, wenn man vom dritten Tage nach gepflogener Entleerung ab, sobald die kleine Stich- wunde der Haut verheilt ist, mit einer kräftigen local ausgeführten Massage beginnt und diese täglich durch 2 bis 3 Wochen fortsetzt. Gelingt die Entleerung des Cystensackes ohne instrumentelle Trennung, so kann die Massage sofort und ohne Verzug in Angriff genommen werden. 7. Als sicherstes Verfahren gilt die Exstirpation der Cyste. III. Capitel. Operationen an arteriellen und venösen Gefässen und an Blutgefässgesch Wülsten. Blutentleerung. Je nachdem die Blutentleerung eine allgemeine oder eine locale Depletion und dadurch eine Herabsetzung des Blut- druckes bezweckt, wird sie entweder an Ort und Stelle der bestehenden Hyperämie vorgenommen, indem man auf künstliche Weise eine parenchymatöse Blutung hervorruft, oder das Blut wird an einer geeigneten Körperregion durch temporäre Eröffnung einer Blut- — 215 — ader entnommen; die in früherer Zeit zu gleichen Zwecken hie und da geübte temporäre Eröffnung- einer Pulsader (Arteriotomie) ist heutzutage wohl als nicht mehr gebräuchlich zu erachten. Die kunstgerechte Eröffnung einer Vene behufs Blutentleerung nennt man Plebotomie — Aderlass. Diese selten ausgeführte Operation verfolgt wohl nicht immer therapeutische Zwecke, sondern wurde auch an gesunden kräftigen Individuen ausgeführt, welche die Opferwilligkeit besassen einen Theil ihres eigenen Blutes zu ent- leihen, um damit fremden blutbedürftigen Mitmenschen eine even- tuelle Lebensrettung zu ermöglichen. Als therapeutisches Agens spielte der Aderlass einstens eine bedeutende Rolle, heutzutage sind die Indicationen äusserst beschränkte und die Operation ist eine rara avis geworden. Bei Schlaganfällen sehr plethorischer Sub- jecte, bei asphyktischen Zuständen nach Einathmung irrespirabler Gasarten, namentlich Kohlenoxyd, wird manchmal zur Ader gelassen. Von einem Aderlasse am Fusse oder am Halse spricht man nicht mehr, die einzige hierzu noch übliche Körperstelle ist die Ellbogen- beuge. Der Aderlass in der Ellbogenbeuge besteht in der temporären Eröffnung einer der dortselbst verlaufenden subcutanen Venen; welcher, bliebe sich wohl so ziemlich gleich, wenn nicht die am meisten turgescirende den absoluten Vorzvig erhielte. Das anatomische Verhalten der präfascialen Venen ist ein variables. Constant bleiben die Vena cephalica und die basilica. Erstere läuft am Radialrande des Vorderarmes, legt sich, in der Ellenbeuge angelangt, an die Aussenseite der Bicepssehne, geht dann längs dem sulcus bicipitalis externus, später entlang dem Innenrande des musculus deltoides am Oberarm hinauf und mündet schliesslich unter dem Schlüsselbeine, meistens im trigonum Mohrenheimi durch die Fascien tretend, in die Vena subclavia. Die vena basilica kommt vom Ulnarrande herauf, liegt in der Ellbogenbeuge an der Innenseite der Bicepssehne, läuft dann im sulcus bicipitalis internus bis etwas oberhalb der Mitte des Oberarmes, allwo angelangt sie durch die fascia brachialis in die Tiefe geht, um in die vena brachialis einzumünden; seltener vereinigt sie sich entsprechend der Deltoidesinsertion mit der vena cephalica zu einem Stamme. Die dritte im Bunde ist die vena mediana, welche zwischen beiden eben beschriebenen längs der Mittellinie des Vorderarmes sich empor- rankt und gegen die Ellenbeuge zu sich dichotomisch in zwei Aeste theilt: einem dünnen äusseren, der zur cephalica tritt, und einem stärker calibrirten inneren, welcher, in schräger Richtung die Ellbogenbeuge kreuzend, in die basilica mündet. Die zwei dichotomisch abgehenden Zweige der vena mediana haben zusammen die Form eines V, der äussere Schenkel wird vena mediano-cephalica, der innere vena mediano-basilica genannt. Häufig genug fehlt die vena mediana oder, besser gesagt, sie wird durch unregelmässige Verästelungen ersetzt, welche entsprechend der Mittellinie des Vorderarmes emporranken, cephalica und basilica anastomosirend. Dann fehlt auch die V-Figur, es fehlen die zwei benannten Aeste der mediana und werden durch eine schrägziehende Venenverbindung ersetzt, welche vena cephalico- basilica heisst. Ob nun eine mediano-basilica oder eine cephalico- basilica jeweilig vorhanden, stetig findet man, dass erstere oder — 216 — letztere während ihres schrä<^en Verlaufes durch die plica cubiti an der Innenseite der tendo bicipitis einen senkrechten kurzen Verbin- dungsast zur subfascialen vena cubitalis abschickt. Dieser ist die Ursache, weshalb bei künstlich erzeugter Blutstauung zunächst und am stärksten die mediano-basilica oder die cephalico-basilica zur Turgescenz gebracht werden, und zwar vorzugsweise in nächster Nähe des Communicationsastes. Deswegen wird auch der Aderlass zumeist an jener subcutanen Vene vorgenommen, welche in der plica cubiti am Innenrande der Bicepssehne verläuft, da die Operation um so leichter und sicherer gelingt, je geschwellter und je stärker calibrirt die jeweilige Vene ist. Gerade dieser Platz ist aber anatomisch un- angenehmer als irgend ein anderer, denn längs dem Innenrande der Bicepssehne lagert subfascial auch der Stamm der arteria cubitalis, begleitet von ihren beiden Satelliten, den Cubitalvenen, während der nervus medianus mehr nach innen, dem epicondylus internus zu, seinen Weg nimmt. Die zur Phlebotomie am besten geeignete Vene kreuzt aber die Arterie in schräger Richtung, und gerade am Kreuzungspunkte turgescirt sie zumeist wegen ihrer directen Ana- stomose mit den Cubitalvenen. Sie ist hier von der Arterie nur durch die fascia cubitalis und den lacertus fibrosus bicipitis geschieden. Die Anatomen behaupten, dass bei anomaler, hoher Theilung der arteria brachialis, einer von den Aesten, meistens die radialis, ganz oberflächlich neben der vena mediano-basilica, beziehungsweise ihrem Vertreter verlaufen könne. Auch ist nicht zu vergessen, dass oberflächliche Aeste des nervus cutaneus medius die fragliche Vene kreuzen, manchmal unter, oftmals auch über sie verlaufend. Trotz alledem sind die Gefahren nicht so sehr gross, als sie vielleicht a priori erscheinen, vorausgesetzt, dass correct und regelrecht operirt wird. Immerhin untersuche man stets genau das Operationsfeld; eine anomal verlaufende Arterie müsste sich wohl durch ihre oberflächliche Pulsation leicht bemerkbar machen. Die Vorbereitungen zur Phlebotomie bestehen, die Einhaltung- prophylaktischer Antisepsis als selbstverständlich vorausgesetzt, in der Hervorrufung einer möglichst prononcirten venösen Stauung der betreffenden Extremität. Ob die rechte oder die linke zu wählen sei, bleibt sich im Wesen gleich, man nimmt, wenn die Wahl frei steht, jene Ellbogenbeuge, an welcher das subcutane Adergeflecht am deutlichsten sichtbar ist; da indes kräftiger entwickelte Arme auch prononcirtere Venen besitzen und bei rechtshändigen Individuen der rechte Arm meistens etwas entwickelter zu sein pflegt als der linke, so wählt man meistens auch jenen. Die venöse Blutstauung wird durch eine circuläre Constriction des Oberarmes in seiner Mitte erzielt. Zweckmässig ist es, wenn man früher die Extremität durch einige Zeit senkrecht nach abwärts hängen lässt; auch das Eintauchen des Armes in ganz warmes Wasser dient zur Steigerung der Blutfülle und macht nebstbei die Haut weicher. Da die Constriction, wie schon früher betont, nur den Rückfluss, nie aber den arteriellen Zufluss des Blutes hemmen soll, wird man elastische Binden meiden und sich der sogenannten Aderlassbinde bedienen. Man begreift darunter eine aus Baumwollzeug gewirkte, halbmeterlange, zwei querfingerbreite Stoff- 21' binde. Sie wird mit ihrer Mitte quer an den Oberarm gelegt und stramm herumgeführt, die Enden gekreuzt, wieder nach vorne zu gezogen und daselbst mit Knoten und Schleife gesichert. Nun über- zeugt man sich vor Allem, dass die Constriction nicht zu stark ist: der Radialpuls muss deutlich fühlbar bleiben. Turgesciren die Venen nicht nach Wunsch, so kann man sich behelfen: entweder durch strammere Anlegung der Binde oder dadurch, dass man active Muskel- bewegungen ausführen lässt, durch Anspannung des biceps, namentlich aber durch Greifbewegungen der Hand. Hierdurch werden die sub- fascialen Venen unter stärkeren Druck versetzt und ihr Blut in die extrafascialen Bahnen getrieben, die sich demnach stärker füllen. Der Operateur stellt sich derart zum Operationsfelde, dass die jeweilig zu eröffnende Ader seiner operir enden Hand zunächst liege; demnach beim Aderlassen am rechten Arme an die Aussenseite, beim linken an dessen Innenseite. Der Kranke liegt oder Fig. et sitzt, sein Vorderarm wird in volle Supinationsstellung versetzt und mit dem Ell- bogen auf eine feste un- nachgiebige Unterlage in horizontaler Lage gestützt, während ein Gehilfe ihn in dieser Stellung fixirt, indem er den Vorder- und gleichzeitig auch den Ober- arm der massig gestreckten Extremität mit je einer Hand festhält. Der Operi- rende bedarf seiner beiden Hände; die linke umgreift den Vorderarm nahe der Ellenbeuge und fixirt mit dem Daumen oder mit dem Zeigefinger die leicht verschiebbare Vene und mit ihr die noch leichter verschiebbare Haut knapp unterhalb der Stelle, wo erstere eröffnet werden soll. Es ist nämlich von absoluter Nothwendjgkeit, dass Haut- und Venenwunde ihren Parallelismus einhalten und selbst beim Auf- geben der Fixation nicht verlassen, da sonst der freie Ausfluss des Blutes gestört würde. Es empfiehlt sich diesbehufs, wenn der Arm einmal vom Gehilfen sicher gehalten wird, den Zeigefinger rasch auf jene Stelle zu legen, welche fixirt werden soll; alles unnöthige Hin- und Hertasten und Probiren verschiebt die Haut und gilt als Fehler. Unmittelbar nach bewerkstelligter Fixirung wird die Ader percutan geöffnet, nie parallel zu ihrer Achse, sondern stets schräge zu dieser. Es ist nämlich zum unbehinderten Austritte des Blutes nothwendig, dass die Wunde hinreichend klaffe und diesem Postulate wird beim Schrägschnitt der Haut und der Vene am besten entsprochen. Die oleichzeitige Durchtrennung der Haut und der oberen Venen- wand wird mit einem spitzen und scharfschneidigen, lanzenförmig sestalteten Instrumente vorgenommen ; entweder mit der Aderlasslanzette, — 218 — oder mit dem Phlebotom von Lorlnser (Fig. 72). Eine scharfgeschliffene sicher und rasch stechende Spitze ist bei jedem Aderlassinstrumente unumgänglich nothwendig, da aber die Spitze um so ausgesprochener ist, je steiler die Schneidekanten zu ihr sich vereinigen, so resultirt daraus eo ipso, dass schmale Klingen viel zweckentsprechender sind als breite. Am praktischesten ist daher die italienische oder schlangen- zungenförmige Lanzette, als die schmälste und daher spitzeste; in zweiter Reihe kommt die englische oder haferkornförmige, in dritter die breiteste, deutsche oder gerstenkornförmige. Lorlnser s Phlebotom nähert sich in Betreff der Spitze der italienischen Lanzette und hat dank seinem schmalen Stiele und der Art seiner Führung den Vortheil, das Operationsfeld dem Auge weniger zu ver- decken. Die Haltung der Lanzette ist folgende: Man stellt die Klinge rechtwinkelig zu den Hülsenblättern, fasst mit Daumen und Zeige- finger bei steiler Handhaltung die Klinge, 1 Centimeter oberhalb der Spitze, fixirt die Hand mit dem gestreckt zu haltenden kleinen Finger, den man sicher auf die Haut des Vorderarmes stützt und dringt nun rasch mit der Lanzettenspitze senkrecht durch die Haut und durch die obere Venenwand in das Lumen der Ader ein. Ein Tropfen Blut, der neben der Schneide entquillt, gibt davon Kunde; nun senkt man sofort die Hand, stellt die Spitze mehr parallel zur Venenachse, schiebt sie etwas vor und verlängert die Stichwunde, indem man die vorgeschobene Spitze an die Venendecke stemmt und diese sammt der Deckhaut von innen aus durchschneidet. Das Phlebotom, dessen Griff in einer Flucht zur Klinge gestellt ist, hält man gleich einer Schreibfeder zunächst in steiler, sodann in flacher Handstellung. Die Länge des Schnittes richtet sich nach dem Umfange des Gefässes ; im Allgemeinen lässt sich sagen: der Schnitt sei so gross, dass der Ausfluss des Blutes leicht und in vollem Strahle erfolge, etwa '/o Centi- meter lang. Unmittelbar nach ausgeführtem Schnitt entfernt man den fixirenden Zeigefinger. Das Fliessen des Blutes, welches im Strahle zu erfolgen hat, mag durch active Greifbewegungen der Hand be- fördert werden. Das ausfliessende Blut wird in einem Messglase auf- gefangen, damit man stets eine Controle über die jeweilig entleerte Menge habe. Phlebotomirt man zu Transfusionszwecken, so muss es in einem erwärmten Gefässe aufgefangen werden. Die Menge des zu entleerenden Blutes richtet sich je nach dem Zwecke. Aderlässe bis zur Ohnmacht, wie sie noch vor wenigen Decennien im Süden Europas gebräuchlich waren, sind glücklicherweise nicht mehr an der Tagesord- nung; 400 Gramm sei das Maximum. Ist die genügende Menge entleert, so wird zunächst die Constrictionsbinde gelüftet, sodann der Finger auf die Wunde gelegt und der Arm elevirt. Die Blutung steht schon nach wenigen Augenblicken. Nun wird die Haut der Umgebung gereinigt, etwas Jodoformgaze auf die Wunde gelegt, darüber kommt ein kleiner Ballen trockener Watte und das Ganze wird bei rechtwinkeliger Armbeugung durch einige Bindentouren fixirt. Bei bewusstlosen, unruhigen Kranken kann der Arm noch auf eine Winkelschiene befestigt werden. Man vermeide sorgfältig jeden stärkeren centralen Bindendruck, um nicht Stauungen und Nachblutungen hervorzurufen. Mit dem Schnä^Dper schlägt man gegenwärtig keine Ader mehr; er gehört der Vergangenheit an. — 219 — Zu den möglichen üblen Ereignissen bei der Vornahme eines Aderlasses zählen: a) Das Verfehlen der Vene beim Einstiche, sei es, dass er zu seicht geführt, sei es, dass neben der Vene eingestochen wurde. Dieses Vorkommniss kann stattfinden, wenn der Operateur allzu zaghaft vorgeht, oder der panniculus adiposus plicae cubiti etwas reichlich entwickelt ist und die Blutader deshalb nicht ganz deutlich sichtbar gemacht werden konnte. In derlei Fällen soll man sich damit helfen, dass man durch einen kleinen Einschnitt die Vene früher blosslegt und sie dann erst eröffnet. Bei strenger Antisepsis ist ein solch circumscriptes Entblössen der Vene keineswegs bedenklich, h) Ein spärliches Entsickern des Blutes, statt einem Entquellen in vollem Strahle kann eintreten: entweder, wenn die Vene nur an- gestochen und nicht angeschnitten worden ist, oder wenn der Paralle- lismus zwischen Haut und Venenwunde in Folge nachträglicher Ver- schiebung der ersteren aufhört. Bei zu klein angelegter Venenwunde wird schon a priori das Blut nur entsickern, bei Störung des Parallelismus der anfänglich volle Strahl plötzlich aufhören. Im ersteren Falle muss mit der Lanzette neuerlich eingegangen oder die Vene an frischer Stelle geöffnet werden, im letzteren soll durch künstliche Verschiebung der Haut der Parallelismus der Wunden wieder hergestellt und dann auch bis zu Ende erhalten werden. Gelänge dies nicht, begänne die Bildung eines Hämatom, so müsste die Operation an der betreffenden Extremität sofort unterbrochen und an der zweiten der Aderlass vorgenommen werden. Das Hämatom müsste nach Thunlichkeit durch Massiren entleert und der Arm in Elevations- stellung gebracht werden, worauf ein elastischer Druckverband an- zulegen wäre, bei Vermeidung centralen Bindendruckes, c) Ein plötzliches Aufhören des Blutausflusses kann bedingt sein: durch eine Ohnmacht in Folge der psychischen Erregung, durch eine Lockerung der Constrictionsbinde, durch das Verlegtwerden der Hautwunde in Folge Vorquellen eines Fettläppchens. Eine Ohnmacht durch Ueber- mass des Blutverlustes ist gegenwärtig kaum annehmbar. Wie man sich zu helfen habe, bedarf wohl keiner Erörterung. In Anbetracht einer möglichen Ohnmacht darf nur in halbliegender Stellung zur Ader gelassen werden, d) Die gleichzeitige Mitverletzung der Cubital- arterie, respective, bei hoher Theilung, der oberflächlich verlaufenden radialis ergibt sich: einmal aus der helleren Blutfarbe, andererseits aus dem stossweisen, mit dem Pulse synchronischen Ausströmen des Blutes. In früherer Zeit, als noch mit dem Schnäpper zur Ader geschlagen wurde, kam dieser Unfall manchmal vor und wurde da- durch hervorgerufen, dass dessen Fliete zu tief eindrang und dabei beide Venenwandungen, Fascie, lacertus fibrosus und Arterienwand in Einem durchschnitt. Bei Benützung der Lanzette ist ein so sehr tiefes Eindringen kaum annehmbar, höchstens könnte die eventuell knapp an der Vene verlaufende präfasciale radialis beim Ausschneiden seitlich angeritzt werden. Sollte sich ein solcher Unfall ereignen, so bliebe nichts übrig, als die Arterie durch einen Schnitt zu ent- blössen, sie central und peripher von der Verletzungszelle isolirt zu unterbinden und in der Mitte zwischen beiden Ligaturen zu durch- schneiden. Eine Spontanheilung, etwa nach längerem localen Druck- verbande, ist kaum zu erhoffen und die Bildung eines Aneurisma — 220 — arterioso-venosum fast mit Sicherheit zu erwarten; e.) Phlebitis der Vene würde eine septische Infection voraussetzen und eine unverant- wortliche, sträfliche Nachlässigkeit des Operateurs bekunden. Sie dürfte wohl als das übelste aller Ereignisse aufzufassen sein, da sie direct das Leben des Kranken bedroht, f) Locale Nervenerscheinungen, entweder als taubes Gefühl in der Hand unmittelbar nach der Ope- ration oder als Neuralgie in späterer Zeit, sind die Folgen einer Mitverletzung der feinen Aeste des nervus cutaneus medius, bezie- hungsweise einer Narbenfixirung derselben. Die Mitdurchschneidung dieser Nervenfäden kann nur dann vorkommen, wenn diese, statt unterhalb, oberhalb der phlebotomirten Ader verlaufen. Dies früher zu erkennen, ist absolut unmöglich. Die parenchymatöse, auch capillare Blutentziehung bezweckt eine Hebung localer Blutstase, theils durch Depletion der betreffenden Gefässe, hauptsächlich jedoch, wie Genzmer bewiesen, durch Bethätigung des arteriellen Kreislaufes. Derlei Blutentziehungen werden erzielt durch locale Gewebstrennung mittelst kleiner Schnitte, Scarificationen. Wäre die spontan sich einstellende Blutung, welche durch locale Application der Wärme, eventuell auch durch centralen, massigen Druck immerhin gesteigert werden kann, nicht ausreichend, so hilft man durch Pump- oder Saugkraft nach. Letztere wird zu Stande gebracht durch Luftverdünnung, entweder mit Zuhilfenahme von luftverdünnenden Apparaten oder durch blutsaugende Thiere — Blut- egel. Bei Scarificationen im Inneren der Mundhöhle kann Patient das Saugen selbst ausführen. Die Blutentziehung durch Scarificationen mit nachträglicher instrumenteller Saugwirkung wird ausgeführt durch die Procedur des Schröpfens, oder durch eigene Pumpmaschinen, auch künstliche Blutegel genannt. Zum Schröpfen bedarf man der Schröpfgläser und des Schröpfstockes; erstere als Sauger, letzteren als Scarificator. Das Verfahren ist folgendes: jedes Schröpfglas, welches seiner runden Form wegen einem Vogelhauswasserbehälter ähnlich sieht, wird zunächst luft verdünnt gemacht. Hierzu dient ein in Spiritus getauchtes brennendes Schwammstückchen, welches man für einige Secunden in die Lichtung des Glases hält. Das so zubereitete Glas wird nun mit seiner Mündung möglichst rasch auf die früher wohlgereinigte Haut gelegt; der äussere Luftdruck hält es an Ort und Stelle fest und bedingt zunächst eine Hyperämie und locale An- schwellung des unter Saugwirkung gebrachten Hautbezirkes. Man belässt nun das Saugglas einige Minuten an Ort und Stelle, worauf es entfernt wird, indem man eine Seite des Glasrandes lüftet. Die Hautpartie welche vom Glase bedeckt war, erscheint erhaben, geröthet, geschwellt. In früherer Zeit begnügte man sich oft damit und nannte das Verfahren trockenes Schröpfen; es galt als deriva- torisches Mittel, als Ersatz für Blasenpflaster. Zum Unterschiede davon bezeichnete man das zu Blutentziehungen verwendete, blutiges Schröpfen. Hiefür muss jede, geschwellt und blutreich gemachte Stelle nach Abnahme des Schröpfglases scarificirt werden und dies besorgt der Schröpf stock, ein viereckiges Messinggehäuse, welches 12 bis 16 verborgene Messerklingen oder Flieten beherbergt, die durch Federdruck aus dem Gehäuse durch entsprechende Spalten momentan hervorgeschnellt und gleich wieder zurückgezogen werden. Die obere — 221 — Platte des Gehäuses lässt sich durch Schraubenwirkung höher oder tiefer stellen, wodurch die jeweilige Länge der vorspringenden Klingenabschnitte und sonach auch die Tiefe der Schnitte beliebig geregelt werden kann. Ein Hahn spannt alle Klingen zugleich an, ein Drücker entladet sie gleich einem Gewehre. Man legt das ge- spannte Gehäuse flach auf die emporgewölbte Hautstelle, drückt dann los und im selben Augenblicke sind ebensoviele Einschnitte beige- bracht, als die Flietenanzahl betrug. Der Hahn wird nunmehr wieder gespannt, der Schröpf stock um 180 Grad im Sinne seiner horizontalen Achse gedreht, am gleichen Orte wieder aufgesetzt und nochmals losgedrückt, wodurch die früheren Längsschnitte in Kreuzschnitte umgewandelt werden. Nun wird der Stelle sofort wieder das in- zwischen luftverdünnte Schröpfglas aufgestellt; die Blutung beginnt und geht langsam so lange vor sich, als die Saugwirkung anhält, d. h. bis der innere Luftdruck im Glase dem äusseren gleich ge- worden ist; dann fällt das mit halb coagulirten Blute zum Theile gefüllte Glas von der Hautoberfläche ab, die Operation hat ein Ende. Die jeweilig entleerte Blutmenge ist stets proportional der Grösse und Anzahl der Schröpfgläser und dem Grade der Luftverdünnung in jedem einzelnen. Blafi.it hat Schröpf köpfe aus Kautschuk empfohlen, deren Basalöffnung durch einen Metallring gestützt wird. Man stellt sie zusammengedrückt auf die Haut und lässt dann den Ballen aus, der sich bei Nachlass des Druckes kraft seiner Elasticität sofort wieder ausdehnt und im Innern einen luftverdünnten Raum hervorruft. Sie haben demnach grosse Aehnlichkeit mit den sogenannten Milch- saugern. Capron hat unter Verwendung doppelter Kautschukballons einen saugenden Schröpfstock erdacht. Künstliche Blutegel sind kleine cylindrische Pumpen, deren Stempel an seiner unteren Fläche mehrere spitze Klingen oder Flieten trägt, Avelche, in Bewegung gesetzt, den Körpertheil oberflächlich mehrfach verwunden. Beim Emporziehen des Stempels bildet sich ein luftverdünnter Raum im Cylinder, der dann saugend wirkt. Sarlandiere und Heurtaloup haben derlei Apparate ersonnen und Bdellometer getauft. Künstliche und natürliche Blutegel sind gegenwärtig wenig mehr in Gebrauch. Scarificationen werden mit Lanzetten oder spitzen Bistouris aus- geführt, die man bis zur erforderlichen Tiefe einsticht. Ganz kleine Stiche oder Ritzer, mehrfach auf umschriebenem Boden ausgeführt nennt man Stichelungen. Sie bezwecken weniger eine Blutentleerung als vielmehr eine nachherige Obliteration der getrennten Gefässchen und finden häufige Anwendung in der Dermatologie zur Zerstörung ausgedehnter Hautgefässe, bei Acne rosacea, Lupus erythematosus etc. Scarificationen werden aber auch geübt zur Entleerung ödematöser Flüssigkeit bei starker Spannung der Hautdecken, namentlich an den Beinen bei Hydrops. Southey empfiehlt dafür als Ersatz des Messers mehrfache Functionen mit einem Explorativtroisquart unter zeitlicher Belassung der Canüle, Straub eine Methode, die er als Trichter- drainage bezeichnet. Das Instrument stellt einen kleinen, 5 Centi- meter im Durchmesser haltenden gläsernen Trichter dar, an dem ein 1V2 Meter langer Gummischlauch angebracht wird. Nach gepflogener Reinigung und Dosinfection der Haut werden zunächst mit dem Bistouri ein oder mehrere Einstiche durch die ganze Dicke der cutis oeniacht — 222 — und der so wund iiemachten Stelle, der Trichter, welcher früher sammt dem Schlauche mit Carbolwasser gefüllt wurde, in umgestürzter Lage aufgesetzt, während das Ende des Gummischlauches zugehalten wird. Während man nun den Trichter fest andrückt, lässt man das Ende des Schlauches los und sofort beginnt eine Heberaspiration, welche saugend auf das ödematöse Zellgewebe wirkt und das Serum recht energisch entleert. Bei diesem Verfahren, das natürlich an mehreren Stellen zugleich zur Anwendung kommen kann, ist die Asepsis ge- sichert. IL Kochsalzinfusion. Die rasche Einfuhr grösserer Mengen physiolo- gischer Kochsalzlösung in den menschlichen Organismus hat die früher gebräuchliche künstliche Einfuhr defibrinirten oder ganzen Blutes zur Bekämpfung drohenden Verblutungstodes vollends substituirt. Abge- sehen von den Schwierigkeiten, zu rechter Zeit entsprechende Blut- quanten von opferwilligen gesunden Individuen entlehnen zu können, abgesehen von den Gefahren, welche dabei Blutspender sowohl als Blutempfänger eventuell bedrohten, hat die Erkenntniss zum Verlassen der Bluttransfusion bewogen, dass fremde BlutköriDerchen, und um diese handelte es sich ja zunächst, auf fremden Boden sich nicht erhalten, sondern zugrunde gehen und allmälig durch die Nieren wieder ausgeschieden werden; weiters die Erkenntniss, dass die Gefahr plötzlich eintretender Blutleere in dem Versagen der Herzpumpe liege in Folge mangelhafter Blutzufuhr, gleichwie auch jedes andere Pumpwerk ver- sagt, sobald es nicht durch genügende Wasserquanten gespeist wird. Es handelt sich also zunächst darum, die Flüssigkeitsmenge im Ge- fässsysteme zu vermehren, um den Gefässdruck zu erhöhen und die Herzaction in Thätigkeit zu erhalten; der Ersatz für verlorenes Blut muss allmälig vom Organismus selbst gebracht werden. Die Thatsache, dass überschüssiges Wasser aus dem Kreislaufe bald wieder ausge- schieden wird, macht es erforderlich, erstens nicht kleine, sondern grosse Mengen Kochsalzlösung auf einmal einzuführen und ferner nach Bedarf die Einführungen zu wiederholen. Es gibt zwei Wege physio- logische Kochsalzlösung in den Kreislauf zu bringen, und zwar: durch die Venen und durch die Lymphbahnen. Ersterer ist wohl der direc- tereWeg, man benennt das Verfahren Veneninfusion, letzteren bezeichnet man als hypodermatische Infusion, oder nach CanUinl als Hypodermoclysma. Zur Veneninfusion muss zunächst eine Vene blossgelegt, eröffnet und in dieselbe, und zwar in centripetaler Richtung, eine Glascanüle ein- gebunden werden, als Vermittlerin des Eingusses. Meistens wird hierzu eine Vene der Armbeuge gewählt. Bei acuter Anämie sind bekanntlich die Venen collabirt und demnach schwer sichtbar, es muss daher getrachtet werden, sie so weit in Sicht zu bringen, als es nur immer möglich ist. Man lässt hiefür den zu benützenden Arm einige Zeit senkrecht am Bettrande herunterhängen und legt hierauf am Ober- arme oberhalb der Ellbogenbeuge eine Constrictionsbinde in jener Weise an, wie sie gelegentlich des Aderlasses beschrieben wurde. Wird die Vene sichtbar, dann ist deren Blosslegung wohl nicht be- sonders schwer, sonst führt eine sorgsame Präparation der Stelle, wo — 223 — die Ader ja liegen muss, zum Ziele. Die Blosslegiing der Vene besteht in der Durchtrennung- der Haut und in der Isolirung des Gefässes. Ersteres geschieht aus freier Hand mit dem Scalpelle oder es kann bei dünner, schlaffer Haut diese auch in eine Falte erhoben und durchschnitten werden. Es ist zweckmässig, den Schnitt nicht allzu kurz zu machen und dessen Richtung schräg zum Gefässverlaufe zu stellen. Unter Abziehung der Hautränder isolirt man das Gefäss stumpf mit der Hohlsonde in einer Strecke von etwa 1 Centimeter Länge und führt unterhalb desselben zwei Fäden durch. Die beiden Fäden stellt man parallel zu und so weit voneinander, als der eben isolirte Theil des Gefässes es erlaubt. Der central gelegene Faden dient zur Fixirung der einzuführenden Glasscanüle, der periphere zum Abschlüsse der Vene während der Dauer der Infusion. Die Gefässwand wird mittelst einer Schere eröffnet, indem man mit den Scherenspitzen die obere Venenwand einschneidet, am besten in etwas schräger Richtung, so dass ein kleiner V-förmiger Lappen resultirt; durch die gemachte Oeffnung wird die Canüle eingeschoben und die Venenwand an die Canülenwand mit dem entsprechenden Faden festgebunden. Nun wird die inzwischen vorbereitete, auf Blutwärme temperirte Kochsalzlösung in einen gläsernen Irrigator gefüllt, dessen Ausführungsschlauch nach Entfernung der Luft mit der Canüle in Verbindung gebracht wird. Bevor man Schlauch und Canüle verbindet, empfiehlt es sich, einige Tropfen Blut aus der Canüle regurgitiren zu lassen, damit alle Luft ausgetrieben werde. Die Menge des zu infundirenden Wassers betrage bei Erwachsenen mindestens 1 Liter ; Rate hat in einer Sitzung auch 2, ja sogar S'/j Liter infundirt, doch muss die Einfuhr, welche ja in centripetaler Richtung erfolgt, langsam vorgenommen werden, nicht mehr als etwa 7 bis 10 Centimeter in der Secunde. Nach Beendigung der Infusion werden beide Fäden und die Canüle entfernt, der Arm erhoben, die Hautwunde vernäht und ein leichter Compressiv- verband wie nach dem Aderlass angelegt. Eine definitive Unterbindung der benützten Vene mit Excision der eröffneten Partie ist zum mindesten überflüssig. Zur hj'podermatischen Infusion benützt man Körperregionen, welche lockerzelligen subcutanen Fettstoff in grösserem Umfange besitzen. Es handelt sich darum, dass dieses dem Eindringen des KochsalzAvassers wenig Widerstand biete. Man wählt am liebsten die seitlichen vorderen Unterbauchgegenden, oder die Lumbairegionen, endlich die Oberschenkel. Auch das Halszellengewebe wurde als ge- eignet befunden, allein die Körperregion ist eine für den Kranken weniger angenehme. Das Verfahren ist einfach genug. Als Einführ- canüle benützt man am besten eine stärker calibrirte Hohlnadel, welche am Ende eines Irrigatorschlauches befestigt wird und die man nach Austreibung der Luft durch die Haut in die subcutane Region der gewählten Körperregion einsticht. Der Irrigatorschlauch muss lang sein, um das Gefäss hoch erheben zu können, da es eines stärkeren Flüssigkeitsdruckes bedarf, um das Wasser in den Zellstoff eindringen zu machen. Manche Chirurgen geben grösseren Spritzen den Vorzug, mit denen wohl rascher vorgegangen werden kann. Die eingetriebene Flüssig- keit sammelt sich allmälig in der Umgebung namentlich centralwärts der Injectionsstelle — man injicirt stets centripetal — zu einer — 224 — Wasserbeiile an, die man durch Effleurage verdrücken kann, um für neue Einfuhr Platz zu schaffen. Selbstverständlich soll auch bei der hypodermatischen Infusion die Flüssigkeit auf Blutwärme erhitzt sein, wenn auch der Wärmegrad sicherlich nicht eine solche Bedeutung hat wie bei der Veneninfusion. Nach beendeter Infusion entfernt man die Hohlnadel, bedeckt die Stichöffnung mit einem Klebepflaster und verstreicht den Rest des Injectum. Wenn nicht mehr Flüssigkeit als 1 Liter subcutan eingeführt wird, genügt wohl eine Körperregion allein zur Aufnahme, bei grösseren Quanten ist es vielleicht correcter, die correspondirende zweite Region als Beihilfe zu nehmen. Antiseptisch durchgeführt haben die Insulte im Zellgewebe nicht die geringsten nachtheiligen Folgen. Der Kochsalzinfusionen bedient man sich heutzutage ziemlich häufig, wenn eine Steigerung des Gefässdruckes nothwendig erscheint, so nach stärkeren plötzlichen Blutverlusten, nach Operationen, Ent- bindungen etc., bei Ohnmachtsanfällen während der Narcose, ferner im asphyktischen Stadium der Cholera, endlich bei Vergiftungen mit Kohlenoxyd. Letzterenfalls combinirt man oft die Infusion mit gleich- zeitiger Blutentleerung um keinen Ueberdruck im Gefässsysteme her- vorzurufen. III. Arterienunterbindungen in der Continuität. Der Zweck jeder Con- tinuitätsunterbindung ist eine temporäre Unterbrechung des Blut- kreislaufes im betreffenden Stamme und den von diesem ernährten peripheren Körpertheilen. Bekanntlich erfolgt die Wiederherstellung der Blutbahn auf Umwegen durch die Ausbildung eines Collateral- kreislaufes; kommt letztgedachter nicht zu Stande, so ist periphere Inanitionsgangrän die nothwendige Folge der Unterbrechung, deren temporärer Charakter dann verloren geht Die Anzeigen zur Vor- nahme einer Continuitätsligatur sind mannigfach. Allen voran reiht sich die Gruppe der Arterienverletzungen. Ob eine Arterienwand direct verletzt wird: durch Schnitt, Stich oder Einriss; ob eine Quetschung der Arterienwand, etwa bei einer Schussverletzung das primäre und die Eröffnung des Blutrohres erst secundär, nach Abfall des contun- dirten und mortificirten Stückes erfolgt; oder endlich, ob die Eröff- nung die Folge eines ulcerösen Processes ist, immer bleibt sich die Anzeige gleich. Man nennt die Ligatur eine primäre, wenn sie un- mittelbar oder kurze Zeit nach stattgefundener Verletzung vor- genommen wird ; secundär, wenn zwischen dieser und jener ein längerer Zeitabschnitt verflossen ist. Wenn beispielsweise eine Stichverwundung der Arterienwand stattgefunden hatte, so kann der Hautstich heilen und es kommt später erst zur Bildung eines Aneurysma traumaticum diffusum, eventuell, wenn die Stichverletzung Arterie und Vene zur Intercommunication brachte, zu einem Aneurysma arterioso-venosum; nimmt man die Ligatur in diesem späten Stadium vor, so heisst sie eine secundäre. Ob die directe oder indirecte Verletzung den Arterien- stamm betrifft, oder ein stärkerer Ast nahe seiner Abzweigungsstätte der zerstörenden Gewalt zum Opfer fiel, bleibt sich im Wesen gleich und macht in der Therapie keine v/esentliche Differenz. Man schreitet — 225 — auch zur Continuitätsligatur als Voract anderer Operationen, bei deren Vornahme es voraussichtlich zur Verwundung grösserer arterieller Aeste kommen wird, deren locale isolirte Unterbindung grosse Schwie- rigkeiten bereiten dürfte, oder wo man jeden stärkeren Blutverlust a priori verhüten will. So unterbindet man die carotis bei manchen eingreifenden Kieferoperationen, die lingualis bei Amputationen der Zunge etc. Derlei Unterbindungen werden Präventivligaturen genannt. Im Falle der Operateur nicht genau im vorhinein zu bestimmen vermag, ob der Verschluss des bezüglichen Gefässstammes auch wirk- lich nothwendig sein wird, und er etwa die Hoffnung hegt, auch ohne seiner auskommen zu können, verfährt er so, dass er wohl das Gefäss blosslegt und um dasselbe einen Unterbindungsfaden führt, ihn aber vorderhand nicht knotet, sondern sich diesen letzten Act für den Augenblick vorbehält, in dem sich die absolute Nothwendigkeit dazu ergibt. Kommt es nicht dazu, so wird nach beendetem Eingriffe der Faden einfach wieder ausgezogen und dem Gefässe seine Durch- gängigkeit belassen. Es wird zur Continuitätsligatur auch geschritten, wenn arterielle Nachblutungen in Operationswunden sich einstellen, die man durch locale Mittel nicht zu beherrschen vermag. Heutzutage tritt bei Einhaltung der antiseptischen Wundbehandlung diese Anzeige wohl höchst selten ein, früher wurde sie durch septische Gewebs- zerstörungen häufiger nothwendig gemacht. Man kann endlich Arterien- stämme auch zu dem Zwecke unterbinden, um die Ernährung in den versorgten Körpertheilen zu reduciren und consecutiv hj^pertrophi- schen Processen zu steuern, so beispielsweise bei Elephantiasis. Deniarqiiay pflegte bei nicht operablen Zungencarcinom beide linguales zu ligiren, um das Wachsthum der Neubildung wenigstens temporär zu hemmen. Noch obsoleter ist gegenwärtig das Verfahren, bei Tri- geminusneuralgien die carotis zu unterbinden. Als letzte Indication, der später noch ausführlicher gedacht werden soll, rangiren die arteriellen Gefässerkrankungen : Arterieetasien und Aneurj'-smata vera. Der technische Vorgang bei einer Arterienligatur in der Continuität lässt sich in drei Tempo eintheilen: aj die Freilegung, h) die Isolirung des Gefässes, cj die Umschlingung und Knotung des Unterbindungs- fadens. Die Freilegung der Arterie betrifft die blutige, schichtweise Durchtrennung der Deckschichten. Wie der Schnitt zu führen sei, bestimmen die anatomischen Verhältnisse, da aber diese je nach der Localität wechseln, so kann darüber erst im speciellen Theile dieses Handbuches gehandelt werden. Im Allgemeinen wird der Schnitt so geführt, dass er die grösstmögliche Zugänglichkeit zum Gefässe gibt und werden die Deckschichten entweder aus freier Hand mit dem Scalpelle oder bei Zuhilfenahme einer Hohlsonde mit dem Bistouri getrennt; gewöhnlich schneidet man mit dem Scalpelle die Haut und die oberflächlichen Schichten durch; je mehr man sich dann dem Gefässe nähert, desto mehr gebietet es die Vorsicht, die weitere Trennung unter I'ührung der Hohlsonde vorzunehmen. Muskelschichten werden meistens stumpf durchtrennt, indem man die Muskelbündel parallel zu ihrer Faserung mittelst einer Hohlsonde auseinander drängt; kreuzt ein Muskel die Schnittrichtung, so wird er der Quere nach durchschnitten, falls ein Abziehen desselben mittelst stumpfer Haken nicht ausreichen sollte. Selbstverständlich werden dabei V, Mosetig-Moorliof: Ilandbucli d. chinirg-. Technik. 4. Aull. 15 — 220 — alle interciirronten Gefässe, welcher Natur immer, die während der Trennung der Deckschichten bluten, sofort mit Sperrpincetten gefasst und unterbunden. Die jeweilig getrennten Schichten sind mit Haken auseinander zu halten, damit der Operateur zum tieferen Eingehen Platz gewinne und sein Auge die anatomische Controle übernehmen könne, M'ährend seinem Geiste die topographischen Verhältnisse bildlich vor- schweben. Die Isolirung der Arterie betrifft die Erciffnung ihrer Gefäss- scheide und die stumpfe Durchtrennung jenes lockeren Bindegewebs- lagers, welches Gefässwand und Gefässscheide verbindet und auf deren Stützbalken die Vasa vasorum ihren Weg nehmen. Die Gefäss- scheide muss stets deutlich vor Augen liegen, da auf ihr oftmals Nerven zweige verlaufen, deren Schonung geboten ist. Ihre Eröffnung soll, wenn möglich, entsprechend der Mitte der Gefässwand der Länge nach erfolgen, und zwar nur in jener Ausdehnung, die eben behufs der Fadeneinbringung nothwendig ist. Man fasst zum Zwecke der Eröffnung die Gefässscheide mit der Spitze einer gerifften oder gezahnten Pincette zu einem Kegel, hebt diesen von der Unterlage ab und trennt ihn mit einer flachgeführten Bistouriklinge durch, oder schneidet ihn nur ein. Hierauf schiebt man von der Lücke aus eine Hohlsonde zwischen Scheide und Gefässwand ein, spannt die Scheide durch Hebelwirkung der Sonde und trennt mit einer in der Rinne der Sonde vorgeschobenen Bistouriklinge die Gefässscheide in der erforderlichen Länge durch. Nun wird mit der Pincette zunächst der eine Spaltrand gefasst und mit der Hohlsonde durch schiebende Bewegungen das laxe Zellgewebe stumpf durchtrennt, entsprechend dem einen seitlichen Contour des Gefässes. Das Gleiche wiederholt man durch Fassen und Anspannen des zweiten Spaltrandes am anderen seitlichen Contour, worauf man die Hinterwand des Gefässes freimacht und gleich die dazu verwendete Sonde quer durchschiebt, so dass sie nunmehr auf beiden Spalträndern reitet und vom Gefässe überbrückt wird. Man vermeide es, das Gefäss unnöthigerweise in grosser Längenausdehnung zu isoliren, da dies schon der Vasa vasorum wegen nicht gleichgiltig sein kann. Gingen nahe der Isolirungsstelle vom Gefässstamme Seiten- äste ab, so müssten auch diese isolirt werden, da ihre gleichzeitige Unterbindung entschieden nothwendig ist. Die Einführung des Ligatur- fadens kann auf mehrfache Weise vorgenommen werden. Hätte man eine Hohlsonde, wie oben gesagt, quer unterhalb der isolirten Arterie geschoben, so genügt eine Oehrsonde hierzu, eventuell kann der Faden, wenn er nicht allzu weich ist, direct längs der Rinne der Hohlsonde unter dem Gefässe eingeführt werden, oder man schiebt nach er- folgter Isolirung unter dem Gefässe eine Pincette mit geschlossenen Blättern ein, öffnet sie dann ein klein wenig, klemmt den Faden ein und zieht ihn der Pincette nach. Bei grösseren Gefässen, namentlich aber bei Arterien mit morschen atheromatösen Wandungen, vermeidet man gerne jede unnöthige Anspannung und benützt daher mit Vor- liebe gekrümmte, hakenähnliche, geöhrte Instrumente, die gewöhnlich Arterienhaken genannt werden, zur Einführung des Unterbindungs- materiales. Die Hakenkrümmung ist entweder in der Achse des Stieles gelegen, oder seitlich von ihr abstehend. Letztere heissen Dechamjysche Aneurysmennadeln (Fig. 7o), von denen man stets zwei vorräthig haben 227 — Fig. 73. soll, je nach der Seite gekrümmt, von der aus die Nadel eingeführt werden soll. Vor dem einfach gekrümmten Arterienhaken haben sie den Vorzug der bequemeren Handhabung und der geringeren Deckung des Operationsfeldes. Auf die Frage, von welcher Seite aus man das Gefäss jeweilig umgehen solle, diene Folgendes: ist eine Arterie von Doppelvenen begleitet, wobei sie in der Regel die Mitte zwischen beiden einhält, so umgeht man sie, mit Schonung der venae comitantes nach Belieben, d. h. von jener Seite, die der operirenden Hand zukehrt, als der bequemsten. "Wenn hingegen nur eine Vene längs der Arterie verläuft, so pflegt man zu ihrer sichereren Schonung stets auch von ihrer Seite aus die Instrumente einzu- führen, daher die Verschiedenheit je nach der Körperhälfte. Da bei einfacher centraler Unterbindung, nach Herstellung ^ des Collateralkreislaufes eine retrograde Blutung aus dem peripheren Theile ein- treten könnte, so ist es nothwendig, die Arterie doppelt, central und peripher von der Verletzungsstelle isolirt zu unterbin- den und sodann das Gefäss zwischen beiden Ligaturen zu durchschneiden, oder gar das verletzte Zwischenstück auszuschneiden, zu reseciren. Dem ent- sprechend werden auch stets zwei Li- gaturfäden gleichzeitig eingebracht, die dann getheilt und isolirt an gegebener Stelle zum Gefässverschlüsse benützt werden. Eine Variante in der Technik der Unterbindung bei Verletzungen bildet die secundäre Ligatur bei gleichzeitigem Bestehen eines Aneurysma spurium diffu- sum. Dabei pflegt man die bestehende Bluthöhle direct in weitem Umfange, entsprechend ihrer Längenrichtung zu spalten und nach Entleerung des In- haltes zunächst die centrale Ein- und die periphere Ausmündung des Sackes in das normale Gefässrohr aufzusuchen. In die gefundenen Gefässmün- dungen schiebt man dann in entsprechender Richtung je eine Hohlsonde als Leitstab ein und schreitet erst jetzt zur beiderseitigen Isolirung und Ligatur. Natürlich, dass man sich dabei die Wohlthat der künstlichen Anämisirung verschafft und dadurch die Operation erleichtert, denn wenn überhaupt die Blutleere je erwünscht und nothwendig ist, so ist es bei einer Continuitätsunterbindung der Fall. Die Blutgeschwulst selbst möge bei der Einwickelung mit elastischen Binden besser übersprungen werden. Würde die Körperregion die Erzeugung künst- licher Blutleere nicht oder nur schwer möglich machen, so wäre während des operativen Actes wenigstens eine centrale Compression des verletzten Stammes zu erstreben. Sind die aseptischen Ligatur- fäden geknotet, beide Enden kurz abgeschnitten, der intermediäre 15* — 228 — Gefässtheil entzwei geschnitten, eventuell resecirt; ist die Wunde durch die Naht geschlossen, kurz drainirt und der Deckverband angelegt, so wird der entsprechende Körpertheil, falls es eine Extremität wäre, horizontal bequem gelagert und für eine entsprechende Fixation, behufs ruhiger Lage gesorgt. Der peripher gelegene Körperabschnilt soll dabei mit warmen Tüchern umwickelt und Wärmflaschen ange- legt werden, da entsprechend der unterbrochenen oder wenigstens stark reducirten arteriellen Blutzufuhr, auch die locale Temperatur in gleichem Verhältnisse abnimmt. Die künstliche Erwärmung befördert auch die Einleitung des Collateralkreislaufes, indem sie eine Er- weiterung der Lateralbahnen zu Stande bringt. Die üblen Ereignisse nach einer Continuitätsunterbindung können, falls locale Sepsis ausgeschlossen bleibt, bestehen: a) im Nachgeben der Ligatur, b) im Auftreten von Inanitionsbrand. Das Nach- geben der Ligatur könnte bedingt sein : entweder in einer zu lockeren Knotung der Schlinge, so dass durch sie das Gefässlumen nicht vollends geschlossen wurde, oder in einem nachträglichen Aufgehen des Knotens, wenn die Enden zu knapp abgeschnitten wurden, weiters in einer allzu frühzeitigen Auflösung des Ligaturmateriales bei Be- nützung sehr dünnen Catguts, endlich und schliesslich in einer Durch- schneidung der Arterienwand durch den Faden, bei bestehender stark ausgesprochener Atheromatose. Zur Vermeidung dieser Zufälligkeit empfiehlt sich daher: weiches Unterbindungsmaterial zu wählen, nicht zu dünne Fäden und resistenteres Catgut, eventuell aseptische Seide. Damit die Ligaturschlinge nicht leicht aufgehe, knote man dreifach statt doppelt und schneide die Fadenenden nie ganz kurz ab. Den dritten überzähligen Knoten pflegt man den Sicherheits- knoten zu nennen. Nachblutungen können sich begreiflicherweise auch dann einstellen, wenn gar zu nahe der Abgangsstelle eines stärkeren Astes ligirt worden wäre, da der Druck des in nächster Nähe fort- kreisenden Blutes den organischen Gefässverschluss verhindern, eventuell die noch widerstandslose junge Gefässnarbe zu sprengen vermöchte, daher schon früher betont wurde, dass man die nächst- gelegenen stärkeren Zweige mit unterbinden müsse. Bei ausgesprochenem Atherom schliesse man die Ligaturschlinge nicht mit allzu grosser Kraft, lege eventuell hintereinander in kurzen Distanzen mehrere Ligaturen an — Sicherheitsligaturen. Baumgarten, welcher solche multiple Ligaturen auch für nicht atheromatose Gefässe anräth, behauptet, dass ein Absterben der abgebundenen Gefässzwischenstücke nicht eintrete. Ein Absterben des, dem Verästelungsbezirke der unter- bundenen Arterie entsprechenden peripheren Körperbezirkes tritt dann ein, wenn der Collateralkreislauf nicht zu Stande kommt. Murphy will eine Erhaltung der Continuität verletzter grösserer Gefässstämme durch Wiedervereinigung der nach erfolgter Resection der betroffenen Partie resultirenden lumina erzielen. Es wird dabei das centrale Gefässende in das lumen des peripheren invaginirt und durch Wundnähte an Ort und Stelle fixirt. Hiefür werden zwei bis drei doppelt armirte Fadenschlingen durch die Wandränder des cen- tralen Theiles gezogen, deren Enden dann durch die Wandflächen des peripheren lumen an zwei Nachbarstellen von innen herausgeführt, so dass die Nahtschlinge an der Aussenfläche der .GefässAvand zur — 229 — Knotung gelangt und das Anziehen der Schlingen die Invagination besorgt. Ein gleiches Verfahren, natürlich mit Invagination des peri- pheren Theiles, in das centrale wird auch für grössere Venenstämme empfohlen, Avenn ob Verwundung über die Hälfte des Umfanges eine einfache Gefässnaht ausgeschlossen ist. Man spricht dann von Arterien- und Venenresection. IV. Operationen an Aneurysmen. Die therapeutischen Verfahren bei aneur3"smatischen Gefässerkrankungen bezwecken entweder die Ver- ödung der jeweiligen Gefässgeschwulst oder deren Exstirpation. Die Verödung erfolgt primär durch eine Ausfüllung mit Blutcoagulis und dadurch bedingten Ausschaltung aus dem localen Kreislaufe, secundär durch Schrumpfung und definitiven organischen Verschluss der er- krankt gewesenen Gefässstrecke. Alle Massnahmen, welche eine künst- liche Verödung zum Vorwurfe haben, zielen demnach zunächst auf das Zustandebringen einer Blutgerinnung innerhalb der Gefäss- geschwulst. Diese kann hervorgerufen werden: a) durch temporäre oder definitive Unterbrechung des localen Kreislaufes, wodurch Stagna- tion des Blutes und spontane Gerinnung desselben innerhalb des aneurj'smatischen Sackes erfolgt. Die Gerinnung kommt dabei zunächst im äusseren Geschwulstbezirke zu Stande, also an den Wandungen des Sackes, und schreitet von hier gegen die Gefässachse vor; sie reicht, falls von Erfolg begleitet, central und peripher von der Blutgeschwulst bis zu den beiderseitigen nächsten grösseren Aesten, welche dann den Collateralkreislauf vermitteln; h) durch Anwendung solcher Mittel, welche auf mechanischem oder chemischem Wege eine directe Ge- rinnung des im Aneur3'sma enthaltenen Blutes zu Stande bringen. oj Unterbrechung des Kreislaufes im Gebiete der arteriellen Gefäss- geschwulst. Die temporäre Unterbrechung kann erzielt werden : durch Compression oder durch forcirte Flexion, also durch Abplattung oder Abknickung des Arterienstammes: die definitive Unterbrechung, durch entsprechende Gefässligatur. Wir wollen im Folgenden zunächst diese Methoden einzeln betrachten, 1. Compression. Sie kann betreffen: das Aneurysma selbst — directe Compression — das zuführende, eventuell auch das abführende Gefässrohr — indirecte Compression. Der Compression der Gefäss- geschwulst bedient man sich nur bei kleinen Aneurysmen und führt sie derart aus, dass man den pulsirenden Tumor entweder gegen das Skelett drückt und ihn am Knochen abplattet, oder wenn die Localität der Geschwulst dieses nicht gestatten würde, indem man ihn von zwei Seiten fassend klemmt. Der Druck kann ausgeübt werden mittelst der Finger, des Kranken selbst oder fremder Personen — Digitalcompression — oder durch drückende Apparate — Instrumental- compression. Der Druck muss stets gerade so kräftig sein, dass er die Geschwulst für die Blutwelle temporär undurchgängig macht, was am Aufhören der Pulsation zu erkennen ist. Zu schwacher Druck wäre zwecklos, zu starker unnütz, schmerzvoll für den Kranken und mit der Zeit schädlich für die mitgedrückte Haut. Die Digital- — 230 — compression wird gewöhnlich in möglichst gleicher Stärke stunden- lang geübt und häufig wiederholt. Die Instrumente zur directen Compression bestehen dem Wesen nach aus einer Pelotte, welche auf irgend eine Weise gegen das Aneurysma gedrückt und bei stets gleicher Kraftentfaltung in situ erhalten wird. Je nachdem elastische Bänder, Binden, Feder- oder Schraubendruck zur Anwen- dung kommt, unterscheiden sich die Compressorien untereinander. Allen gemeinschaftlich ist die Pelotte, deren Form und Grösse dem speciellen Fall entsprechen muss und deren Material wieder elastischer oder nicht elastischer Natur sein kann. Elastische Pelotten werden aus Kautschuk verfertigt oder sie enthalten eine elastische Polsterung mit oder ohne Spiralfedereinsatz; nicht elastische bereitet man aus glattpolirtem Holze, aus Elfenbein oder aus Hartkautschuk. Letzt- benannte empfehlen sich nicht, einerseits, weil sie ihrer Glätte wegen leicht rutschen und dadurch ihre Lage ändern, andererseits, weil die Stärke des Druckes, seiner Unnachgiebigkeit wegen, vom Kranken doppelt schwer vertragen wird. Am zweckmässigsten sind wohl die mit Leder überzogenen, gepolsterten, federlosen Pelotten. Man lässt die Compressorien viele Stunden lang ununterbrochen wirken, entfernt sie dann aber stets für kürzere oder längere Zeit, auf dass die ge- drückte Haut sich erhole und ja nicht wund werde, da sonst diese Heilmethode für so lange ausgesetzt werden müsste, bis die Haut wieder fähig geworden, neuerdings einen Druck zu ertragen. Die Construction solcher Compressorien bleibt mehr minder stets der Findigkeit des Chirurgen und des Instrumentenmachers überlassen. Bei kleinen Aneurysmen wirken sie vorzüglich. Mir gelang es, eine spontan entstandene, winzige, localisirte Ectasie der arteria angularis auf solche Art in sechs Tagen zur Obliteration zu bringen, ohne den Kranken ausser Berufsthätigkeit zu setzen. Einer Klemme, welche durch Federdi'uck wirkte, bediente ich mich in einem zweiten Falle von Aneurysma der arteria labialis der Oberlippe, gleiqhfalls mit Erfolg. In beiden Fällen blieb an den Stellen, wo früher die kleinen Aneurysmen gesessen, kein harter Knoten zurück, als Beweis, dass die Heilung weniger einem verlegenden Thrombus, als vielmehr einer directen Verklebung und nachherigen Verwachsung der Intima- wandungen zu danken war. Für kleine Aneurysmen der Extremitäts- arterien kann auch einfacher Bindendruck mit local aufgelegter Pelotte Verwendung finden, wozu ein fester Wattebauschen oder ein entsprechend comprimirtes Schwammstück benützt werden kann. Damit die Binden — Stoff- oder elastische Binden — die Extremität nicht circulär drücken und zu Stauungserscheinungen führen, kann die schon beschriebene Methode Verwendung finden, welche Heine angab: Gipsverband mit Fenster entsprechend dem Tumor und nach- herigem localen Schwammdruck. Bei grossen Aneurysmen wird die directe Compression aus leicht begreiflichen Gründen nicht ange- wendet. Höchstens könnte man einen massigen Bindendruck als Stütze benützen in Fällen, wo das Aneurysma die Deckweichtheile schon derart verdünnt hat, dass Berstung des Sackes drohen würde. Die indirecte Compression kann, Avie schon erwähnt, entweder central oder peripher, oder an beiden Orten zugleich ausgeübt werden. Die rein periphere Compression — Vernet — ist nur als Remedium — 231 — anceps zu betrachten; sie könnte nur dann Anwendung finden, wenn die Localität des Aneurysma keine andere Compressionsstätte zulässt. Die centrale Compression wird nur dann einen Erfolg versprechen können, wenn es sich zeigt, dass bei ihrer Ausübung jede Pulsation im Aneurysma aufhört, widrigenfalls der Beweis vorliegt, dass Colla- teralbahnen thätig sind. Die Compressionsstelle richtet sich nach dem speciellen Falle; wenn thunlich, wählt man zur Compression jenen Platz, welcher sich hierzu am besten eignet. Je näher dem Aneurysma, desto besser, weil dabei weniger Ernährungsbezirke in Mitleidenschaft gezogen werden. Nur technische Schwierigkeiten oder bedeutende atheromatöse Degenerationen der Gefässwände in der Nähe des Aneurysma mögen das Einhalten grösserer Entfernungen indiciren. Auch bei der indirecten Compression kann man mit Instrumenten und Apparaten je nach Thunlichkeit vorgehen. Die centrale indirecte Digitalcompression ist insbesondere durch Vanzettl technisch ausgebildet und auf das wärmste empfohlen worden, und zwar mit vollem Rechte. Sie gibt, methodisch angewandt, ebenso schöne als gefahrlose Erfolge und eignet sich für alle nicht traumatischen, also spontan entstandenen Aneurysmen, welche nicht der Berstung nahe und nicht entzündet sind. Bei Aneu- rysmen der unteren Extremität, wenigstens bei solchen des Ober- schenkels, comprimirt man für gewöhnlich die arteria femoralis knapp unterhalb des Po?is ^ o Gramm auf 1 Gramm destillirten Wassers wurden je 3 bis 5 Tropfen intravenös eingebracht und die Injectionen so lange fortgesetzt, bis fester Venenverschluss durch Thrombosirung- eingetreten Avar. Das Chloralh3'drat soll nach Porta's Angabe eine bedeutende Verdickung der Venenwandungen hervorrufen, während das Coagulum in späterer Zeit nach und nach aufgesaugt wird, wodurch bei dauernder Verengerung der Blutbahn ihre Durch- gängigkeit nachträglich wieder hergestellt wird. Selten soll bei ver- fehltem Einstiche umschriebene Hautgangrän entstehen und die Gefahr der Embolie eine äusserst geringe sein. Die Ligatur bezweckt einen dauernden Verschkiss des Gefässes an der Unterbindungsstelle durch Verwachsung der Intima. Sie kann subcutan oder percutan ausgeführt werden. Die subcutane Unterbindung ist eine schon alte Methode. Es wird dabei entweder ein Ligatur- faden mittelst einer Nadel um die Vene geschlungen und auf der Haut geknotet, mit oder ohne vorherige Einlage, oder man sticht nach Velpean^ Bell^ Douglas u. A. eine geknöpfte Nadel unter die Vene und presst sie durch Fadentouren nach dem Typus einer Stift- naht an. Oder es wird die ectatische Vene an mehreren, je 2 Centi- meter voneinander entfernten Stellen mit Catgut umstochen und die Knotung über ein starkwandiges Gummirohrstückchen massig fest gesichert. Das in der Vene zwischen zwei Ligaturstellen jeweilig ent- haltene Blut wird durch Streichen central entfernt, bevor die Knotung erfolgt. Man schliesst die Ligaturen von der Peripherie beginnend nach aufwärts. Der Erfolg entsprach den Erwartungen; der Reiz des Catguts genügte, um eine adhäsive Entzündung der aneinander lie- genden Flächen der Venenintima zu erregen und sie zum Verwachsen zu bringen. Nach 2 bis 3 Tagen Averden die Fäden durchschnitten und die Gummirohre entfernt. Das directe Knoten ohne Zwischenlage, oder auf nichtelastischen Röllchen, ist wegen der Möglichkeit einer Druckgangrän der Haut zu widerrathen. Blutige Eingriffe waren in der vorantiseptischen Zeit sehr ge- fürchtet; trotzdem wurden auch damals ectatische Venen blossgelegt, unterbunden, ausgeschnitten, ausgerissen, abgequetscht und abgeglüht. — 240 — Heutzutage werden unter strenger Einhaltung antiseptischer Mass- nahmen Venen blossgelegt, isolirt, doppelt unterbunden und zwischen je zwei Ligaturfäden durchschnitten ( Trend elenhurg) ; oder es werden die ectatischen Gefässe in ganzer Ausdehnung blossgelegt, an sehr entfernten Stellen unterbunden und das ganze, oft 5 bis lo Centi- meter lange intermediäre Stück aufgeschlitzt und ausgeschält, also resecirt {Ihiersch. Madehing u. A.). Resectioncn von Venenstücken Averden nicht selten auch an nicht ectasirten Venen, bei der Aus- schälung von Tumoren vorgenommen, welche mit einem Venen- segmente untrennbar verwachsen sind; auch hierbei unterbindet man früher central und peripher vom Tumor die Vene in der Continuität und excidirt dann das intermediäre Gefässstück mitsammt dem Tumor. Die Verfahren bei Blutadergeschwülsten richten sich je nach dem Quäle dieser; wir müssen daher differenziren, und sprechen zunächst von dem häufiger vorkommenden Tumor cavernosus, später von den selteneren Blutcysten, Die Methoden Tumores cavernosi zu beseitigen, richten sich je nach ihrer Grösse und ihrem Sitze; kleinere ober- flächliche Tumoren werden am besten excidirt und prima reunio der Wunde durch sorgfältige Naht erstrebt. Bei grösseren Tumoren, bei denen eine Exstirpation nicht mehr möglich ist, trachtet man, die Verödung des Maschenwerkes zu Stande zu bringen; durch Blut- gerinnung in erster und adhäsive Entzündung in zweiter Instanz. Erstere kann hervorgerufen werden: durch partienweise TJmstechung und Abbindung, durch Einspritzungen von Eisenchlorid oder nach Farona auch von Chloralhydrat, endlich durch Glühhitze. Ich habe bei einem Kinde einen sehr ausgebreiteten Tumor cavernosus des Beines durch Injectionen von Wasserstoffhyperoxyd zur Heilung gebracht. Da von Umstechung, Abbindung und Excision schon früher die Rede gewesen, wollen wir nur der Glühhitze einige Worte widmen. Sie kann zur Anwendung gelangen in der Form der punctförmigen iso- lirten Cauterisationen, oder man bedient sich des Filum candens. Damit bei Anwendung der isolirten Cauterisationen, keine namhafte Blutung aus den Brandcanälen eintrete, welche ja, entsprechend dem Tumor- umfange, oft in grösseren Tiefen angelegt werden müssen, hat Thiersch eine sehr praktische Methode erdacht, welche eine Compression des Gesammttumor während der Cauterisation und einige Zeit nach ihr bezweckt, so dass dabei jeder Blutung vorgebeugt werden kann. Thiersch empfiehlt die Anwendung einer entsprechend grossen, viel- fach durchlöcherten Metallplatte, welche man auf den Gefässschwamm legen und ihn damit comprimiren soll. Sasse der Schwamm auf der Wange, so müsste eine zweite nicht durchlöcherte Metallplatte intra- buccal eingelegt und nun die Wange zwischen beiden comprimirt werden. Durchdie Löcher der Platte wird dann der Spitzbrenner in das Maschenwerk des Tumor eingesenkt. Thiersch belässt nach beendeter Cauterisation die Druckplatten noch eine halbe Stunde an Ort und Stelle. Das von Middeldorpf ersonnene Filum candens bezweckt eine canalförmige galvanocaustische Zerstörung des Tumor. Man geht dabei also vor: Glattgezogene dünne Platindrähte werden mit Hilfe geöhrter, entsprechend langer Lanzennadeln entweder in zwei aufeinander senk- rechten Richtungen, oder besser parallel zu einander und in gleich- — 241 — massigen Abständen durch den Tumor gezogen, so dass sie nur an je zwei Puncten die Haut durchsetzen, sonst aber mitten im Maschen- gewebe stecken; etwaige Phlebolithen müsste die Xadel umgehen. Sind alle Drähte eingelegt, so bringt man die Enden eines jeden nacheinander mit den Batteriepolen in Verbindung. Der alsbald er- glühende Draht cauterisirt die Wände des Stichcanales und bringt das Blut der Nachbarschaft zur Gerinnung. Es empfiehlt sich dabei, einerseits keinen allzu starken galvanischen Strom zu verwenden, damit der Platindraht nicht in Weiss-, sondern nur in Rothglühhitze gerathe, und andererseits den Draht nicht lange glühend zu belassen, sondern ihn wiederholt erglühen zu machen, bevor er aus dem Stichcanale entfernt wird, um jedes Abreissen des Schorfes und jede Blutung möglichst zu vermeiden. Eine temporäre locale Kreislaufhemmung ist sowohl während, als auch nach der Operation sehr zu erstreben. Ist die Cauterisation beendet, so legt man einen sorgfältigen und gut überdachten antiseptischen Verband an, der zu gleicher Zeit massig comprimirend wirken soll. Besser als das Filuni candens bewährt sich folgendes Verfahren, welches ich bei grossen cavernösen Blutgeschwülsten schon wiederholt mit besten Resultaten ausgeführt habe. Man ergreift mit den Fingern den Tumor und hebt ihn in Form eines emporragenden Wulstes möglichst hoch empor. Durch die Basis des Wulstes führt man mit geraden langen Nadeln Silberdrähte in circa 2 Centimeter Distanz parallel zu einander durch und befestigt deren Enden in strammer Spannung mittelst Schrotkörnern an zwei durchlöcherten Kautschuk- schienchen, so dass eine Schienennaht hervorgeht, welche die Basis des Tumor durchquert und sie fest comprimirt. Nach beendigter Naht excidirt man den die Naht überragenden Wulst in Keilform und vernäht die Keilflächen in linearer Richtung. Dabei ist die Blutung sehr unbedeutend und steht nach beendeter Vereinigung der Keilflächen vollends still. In der Regel erfolgt Primaheilung. Nach 7 Tagen werden die Knopfnähte entfernt, am 9. Tage die Schienennaht. Die kleine kugelartig vorspringende Erhöhung flacht sich baldigst ab. Die Reste der Blutgeschwulst, welche eventuell unterhalb der Schienen- naht zurückgeblieben wären, obliteriren ohne weiteres Dazuthun. Einen übermannskopfgrossen Tumor cavernosus am Oberschenkel brachte ich durch sehr tief geführte, isolirt angelegte stramme Jodo- formbauschennähte, deren Wirkung ja der Schienennaht identisch ist, ohne jedwede Excision zur Obliteration. Blutcysten stellen umschriebene, sackförmige Räume dar, welche mit einer grösseren Vene in Verbindung stehen oder gestanden haben, denn man kennt communicirende und nichtcommunicirende Blutcysten. Erstere sind oompressibel, letztere nicht. Das geeignetste Heilverfahren, und gewiss auch das sicherste, rationellste und relativ ungefährlichste ist die Exstirpation des Sackes mit sorg- fältiger Abbindung seiner Basis, als Pforte zur Muttervene mittelst Catgut. Wolff gibt für communicirende Blutcysten folgendes, vor Blutungen sicher schützendes Operationsverfahren an: Die Cyste wird vorsichtig blossgelegt und von der Umgebung losgeschält, bis zu ihrer Basis hin. Nun wird ein Catgutfaden um die Cyste ge- schlungen, nicht an ihrer Basis, sondern etwas unterhalb ihrer Mitte, V. Mosetig-Moorbof: Handbuch d. nliU-urg. Technik. 4. Aull. 16 — 242 — so dass beim Zuschnüren der Ligatur die rundliche Geschwulst sand- uhrförmig sich gestalten würde, wenn nicht gleichzeitig mit der Knotung eine Function des oberen Abschnittes dessen Inhalt zum Abfliessen brächte. Die Beseitigung des unteren, mit der Mutter- vene communicirenden Abschnittes erfolgt dann durch eine Reihe untereinander gestellter Catgutligaturen, successive, bis die Basis erreicht ist. Hierdurch wird allmälig alles Blut in die Muttervene zurückgepresst. IV. Capitel. Operationen an Nerven. I. Nervendehnung, Neurotonie. Der operative Eingriff der Nerven- dehnung besteht im Wesentlichen in einer Blosslegung des Nerven als Ganzes, in einer Spaltung der betreffenden Nervenscheide und Isolirung des Nervenstranges, und endlich in einer Dehnung des letzteren, in centraler sowohl, als in peripherer Richtung. Der Effect dieser verschiedenen Proceduren auf den lebenden Nerven ist ein doppelter: erstens liegt er in einer Befreiung des Nerven von seiner nächsten und nahen Umgebung — Neurolysis — welche namentlich dann in Betracht kommt, wenn der Nerv an einer Stelle seines Ver- laufes durch Adhäsionen oder Narben fixirt, oder gar durch Knochen- neubildungen oder von in verschobener Lage mit dem Mutterboden verwachsenen Bruchstücken gezerrt oder gedrückt wird. Es wird dabei der Nerv von den störenden Einflüssen befreit und seiner normalen Thätigkeit wiedergegeben; es mag aber auch die Ernährung des Nerven durch den Act der Blosslegung und Befreiung wesentlich beeinflusst werden, indem dabei viele zum Nerven ziehende Gefässe zerstört und an ihrer Stelle, während der Wundheilung, neue Er- nährungsbahnen gebildet werden. Der zweite Effect, welcher dem Acte der Dehnung wesentlich zukommt, besteht primär in einer Nervensubstanzerschütterung — Neurokynesis (Vogt) — in einer solchen mechanischen Veränderung seiner Substanz, welche secundär eine Steigerung des Nervenstoffwechsels und eine Regelung des Nerven- lebens als Folge mit sich führt. S. Mayer betont: die Nervendehnung bewirke eine wesentliche Steigerung der physiologischen Vorgänge, da sie eine Beschleunigung der normalen De- und Regenerations- processe inscenirt. Nehmen wir an, dass in einem Nerven eine Partie seiner Bündel degenerirt sei, so wird insbesondere diese in Folge ihrer geringeren Widerstandsfähigkeit dem Zerfalle und der Resorption anheimfallen, während Hand in Hand mit diesem Zerfalle eine ent- sprechende Regeneration gesunder, normaler Nervenbündel vor sich geht. Die Bedingungen zur Heilung des Nerven in histologischem und physiologischem Sinne sind dadurch gegeben. Die Wirkung der Dehnung auf den betreffenden Nervenstamm ist keine rein locale, id est auf die gedehnte Stelle allein beschränkte; die. dehnende Kraft — 243 — pflanzt sich vielmehr im elastischen Nerven auf weite Strecken fort und bringt allüberall ihre auf den Stoffwechsel so sehr günstigen Einwirkungen hin. Die Frage, ob die primäre Action der Dehnung sich mittelbar auch auf die Centralorgane fortpflanze, ist von Vogt ent- schieden verneint worden, welcher meint, dass die Zuggewalt sich an den festen fibrösen Einscheidungen, welche die Nerven bei ihrem Austritte aus dem Centralorgane umgeben, vollends erschöpfe und dass eventuelle Einwirkungen auf das Centrum nur als secundäre Folgeerscheinungen aufzufassen seien. Gussenhauer will im Gegen- satze hierzu, bei starken Dehnungen eines ischiadicus directe Mit- bewegungen der blossgelegten medulla spinalis in cadavere beobachtet hal)en. Befragen wir die Praxis, so lehrt uns diese, dass Nerven- dehnungen glänzende Erfolge aufweisen bei Leiden, welche auf die Nervenbahnen allein beschränkt sind, die Resultate dagegen in der Regel problematische waren, ja oftmals recht ungünstige oder minde- stens keine Effecte erzielt wurden, wenn Nervendehnungen bei zweifel- los constatirtem Centralleiden ausgeführt wurden. Die Indicationen für eine Nervendehnung ergeben sich aus dem bisher Gesagten; sie ist angezeigt: bei Störungen im Nervenleben, id est im Stoffwechsel und in der Leistungsfähigkeit, gleichviel ob diese eine Steigerung oder eine Verringerung erfuhren; gleichviel welcher Function der betreffende Nervenstamm vorsteht, ob er sensitiv, motorisch oder gemischter Natur ist; also bei Hyperästhesien und Neuralgien, bei Anästhesien, Reflexcontracturen und spastischen Krämpfen. Langenbuch hat zuerst die Dehnung bei Centralleiden (chronischen Rückenmarkserkrankungen, namentlich bei Tabes dorsualis) ausgeführt und sie hiefür warm empfohlen. M. Leod und Neve dehnten mit Erfolg bei Lepra anaesthetica, mit einem Worte, es mag kaum ein auf nervösen Störungen beruhendes Leiden geben, zur Hebung dessen nicht gedehnt oder doch die Dehnung nicht empfohlen worden wäre. Gegenanzeigt wäre die Nervendehnung bei Gehirntumoren, chronischer Encephalitis. Paralysis progressiva und anderen Centralleiden mehr. Das Verdienst, zielbewusst die erste Nervendehnung ausgeführt zu haben, gebührt unbestritten v. Nusshatim, der 1873 bei einem Falle traumatischer Neuralgie und Contractur einer oberen Extremität durch Blosslegung und Dehnung des plexus brachialis Heilung erzielte. Zum Zwecke der Neurolysis hatte schon 1872 Billroth den nervus ischiadicus blossgelegt. Langenhuck 1879 den ersten Tabetiker durch Dehnung beider ischiadici und crurales angeblich geheilt. Bezüglich der Technik einer Nerven dehnung muss Folgendes bemerkt werden. Als Stelle, wo der betreffende Nervenstamm bloss- zulegen, ist bei freier Wahl stets der centralst zu erreichende Punkt im Verlaufe des Nerven zu erstreben, insofern als die anatomischen Verhältnisse und sonstige Rücksichtnahme dieses gestatten. Liegen örtlich bestimmende Gründe vor, dann ist natürlich von einer Wahl nicht mehr die Rede, sondern man wird eben dort eingehen müssen, wo die drückende Narbe oder der Knochenvorsprung vorfindlich sind, indem diese zunächst zu beseitigen, in erster Linie also die Neurolysis beabsichtigt wird. Zur Blosslegung des Nerven müssen in solchen Fällen nicht nur Messer und Schere, Pincette und Hohlsonde, sondern Knochenmeissel und Hammer, beziehungsweise Knochen- 16* — 244 — scheren und Knochenzangen, Elevatorien u. dgl. Instrumente mehr vorräthig sein. Bei freier Wahl wählt man mit Vorliebe central gelegene Stellen, weil an diesen der Nervenstamm dicker und stärker ist und die Wirkung der Dehnung auf weitere Strecken, namentlich centralwärts sich ausbreitet. Ist der Nerv blossgelegt, so eröffnet man mit Pincette und Schere die Nervenscheide und spaltet sie auf Leitung der Hohlsonde in entsprechender Länge. So leicht die Entblössung der Nerven, respective die Trennung der Nerven- scheide bei local gesunden Nerven ist, so schwierig kann diese Aufgabe sich gestalten, wenn die Scheide narbig verändert und an die Umgebung fixirt, oder wenn sie entzündlich verdickt und abnorm vascularisirt ist. Die Isolirung des Nerven aus seiner Scheide geschieht mit Hilfe der Sonde bei kleinen, mit dem Finger bei grossen Nerven- stämmen ; in beiden Fällen durch stumpfe Trennung des lockeren Zellgewebes, welches den Nerven an seine Scheide bindet. Wird instru- menteil vorgegangen, so meide man das Fassen und Klemmen des Nerven mit Pincetten. Gleichwie bei der Isolirung einer Arterie, hat auch bei der Isolirung eines Nerven die Pincette nur die Scheide zu fassen, da Quetschungen der Nervensubstanz bleibende Leitungsstörungen zur Folge haben könnten. Die Dehnung selbst geschieht am besten mit dem Finger; nur bei ganz kleinen, dünnen Nerven wird als Ersatz ein stumpfer Haken genommen, oder man dehnt auf der Hohlsonde, wobei der Nerv natürlich nicht auf der concaven scharfgeränderten Rinne, sondern auf der glatten convexen Rückenfläche aufgeladen wird. Be- nützt man den Zeigefinger, so ladet man den Nerven auf dessen Volar- fläche, hebt ihn zunächst von der Unterlage ab, fasst sodann den Nerven zwischen Radialrand des Zeigefingers und Daumen und zieht an ihm zunächst in centraler, sodann in peripherer Richtung in einer Weise, als ob beabsichtigt würde, den Nerven entsprechend seiner Richtung aus dem Körper herauszuziehen. Der Zug soll ein steter, anfangs gleichmässiger, später allmälig zunehmender sein. Da kein Widerstand zu überwinden ist, so empfiehlt es sich, keinen Gegenzug auf den entsprechenden Körpertheil auszuüben, ja denselben nur im Nothfalle zu fixiren. Die Frage, wie stark man dehnen soll, ist schwer zu beantworten. Im Allgemeinen dient als Regel, dass der Nerv durch die Dehnung bleibend so sehr verlängert worden sein müsse, dass er sein altes Bett nicht mehr gestreckt, sondern geschlängelt, ausfüllt, also relativ zu lang erscheint. Gefühl und Uebung geben wohl, wie überhaupt in der Chirurgie, auch hier den besten Massstab ab und differenziren den wahren Operateur vom chirurgischen Handwerker; sehr richtig gebraucht Langenhuch für die Nerven- dehnung den Satz: „Si duo faciunt idem non est idem." Positive Zahl- werthe für die Grösse der Zugkraft lassen sich nicht geben, und daher ist auch die Einschaltung von Dynamometern — wie sie Terrier angewendet wissen wollte — ganz unpraktisch. Wer nicht eine zarte Hand und ein richtiges Gefühl darinnen besitzt, der wird überhaupt in praxi chirurgica gewiss mehr Unheil stiften als Nutzen schaffen. Man hat früher zwischen schwachem und starkem Dehnen unter- schieden. In medio virtus; Thierversuche haben gelehrt, dass schwaches Dehnen die Reflexerregbarkeit der betreffenden Nervenbahnen erhöhe, starkes Dehnen sie temporär herabsetze und verringere. Daran dürfte — 245 — ein approximativer Massstab gefunden sein, um sich im speciellen Falle richten zu können. Eine weitere Frage wäre die, ob man nach beiden Richtungen hin gleichmässig stark, oder nach einer oder der anderen stärker, beziehungsweise schwächer dehnen solle. Bei kleinen Nerven und instrumenteller Dehnung hätte diese Frage insofern keinen Sinn, als man mit einem Haken oder einer Sonde überhaupt nur nach zwei Richtungen zugleich dehnen kann, da es sich ja dabei nur um eine stärkere oder weniger starke bogenförmige Abhebung des Nerven A''on der Unterlage handelt. Dehnt man jedoch mit dem Finger, klemmt man, wie oben gesagt, den Nervenstamm zwischen Zeigefingerrand und Daumen ein und übt dann eine directe Traction aus, dann kann allerdings die Grösse der Tractionskraft und dadurch die Richtung und Wirksamkeit des Zuges beliebig geregelt werden. In solchen Fällen wird man gut thun, in centraler Richtung stärker zu dehnen als in peripherer, da erfahrungsgemäss auf starke periphere Dehnungen länger andauernde Leitungsbehinderungen zu folgen pflegen. Manche Operateure pflegen nach vollendeter Dehnung diese erst dann als genügend zu erklären, wenn sie im Stande sind, mit dem aufgehakten Nerven eine Schlinge zu drehen. Als Ersatz für die blutige Dehnung des nervus ischiadicus hat Tiomhetta eine unblutige Dehnung dieses Nerven vorgeschlagen. Bei chronischer Ischias habe ich sie in Verbindung mit Massage oft geübt und sehr bewährt gefunden. Die Methode beruht in einer Hyperflexion des Oberschenkels gegen das Becken, bei extendirt gehaltenem Unterschenkel. Der Grad der Hyperflexion gibt den Massstab ab für die Stärke der Dehnung; die Methode erlaubt dem- nach das Einhalten beliebiger Gradationen. Technisch wird dabei derart vorgegangen, dass zunächst die ganze untere Extremität auf eine gerade, vom Sitzknorren bis zur Ferse reichende Holzschiene, welche entsprechend gepolstert ist, mittelst Rollbinden sicher und genau befestigt wird, worauf man, mit oder ohne Narcose, das ge- schiente Bein bei horizontaler Rückenlage des Kranken allmälig emporhebt, bis die Dorsalfläche des Oberschenkels mit dem Becken in Berührung kommt. Die Dehnung ist, wenn ad maximum hyper- flectirt wurde, sehr ausgiebig und demnach recht schmerzhaft. IL Nervenausschneidung, Neurectomie. Ist identisch mit der Excision, respective Resection eines Nervenstückes. Man bedient sich meistens des Ausdruckes Resection, wenn man ein Stück aus dem Verlaufe, id est aus der Continuität eines scheinbar normalen Nerven aus- schneidet; man spricht von Excision, wenn man die Ausschneidung wegen eines am Nerven sesshaften Neugebildes, oder wenn man die Entfernung aus der Contiguität, beispielsweise an einem Amputations- stumpfe vornimmt, um die knotig verdickten, schmerzhaften Nerven- endstücke zu entfernen. Die Wirkung dieser Operation ist, wenigstens insoweit unsere gegenwärtige Beurtheilung es lehrt, eine rein mecha- nische, die Nerventrennung unterbricht die Leitung im betroffenen Stamme oder Nervenaste und wird daher in allen jenen Fällen ihre — 246 - Anzeige finden, in denen sensitive oder motorische, anderweitig nicht behebbare Störungen eine Unterbrecliung der Leitung im Allgemeinen wünschenswerth oder nothwendig machen. Da jedoch die Nervenleitung selbstverständlich nur in jenem Nervengebiete aufgehoben wird, wel- ches zwischen der Trennungsstelle und der Peripherie gelegen ist, so folgt daraus, dass die gedachte Operation nur bei solchen Störungen im Nervenleben mit Erfolg wird vorgenommen werden können, bei denen die Erregungsursache eine peripher gelegene und daher er- reichbare ist, indem die Trennung jeweilig hinter dieser erfolgen sollte. Für solche Fälle wird die Neurectomie von günstigen Effecten begleitet sein; bei central gelegener Ursache oder bei Reflexneuralgien hingegen, beziehungsweise bei Reflexkrämpfen kann und wird der Effect des Häufigsten ausbleiben, Behufs Erklärung jener wenigen Fälle, wo auch bei nicht constatirbarer peripherer Ursache dennoch von einer relativ peripheren Nerventrennung Erfolge verzeichnet wurden, hat Ch. Bell angenommen, dass ihr nebst den mechanischen auch eine dynamische, d. h. das Nervenleben beeinflussende Wirkung zukommt, eine Annahme, welche mindestens als problematisch be- zeichnet werden muss. Heutzutage, wo man die Wirkungen der Nervendehnung annäherungsweise kennt, wird man in fraglichen Fällen bezüglich der sedes morbi, der Trennung eine namentlich auf das centrale Ende concentrirte Dehnung des betreffenden Nerven vorausschicken; vielfach ersetzt man auch die Neurectomie vollends durch die Nervendehnung, als wirksameres und die Leitung nur temporär hemmendes, demnach den Organismus weniger schädigendes Mittel, namentlich, wo es sich um grössere Nervenstämme handelt. Es ist demnach gegenwärtig die Neurectomie auf kleinere Nervenäste beschränkt, welche schon vermöge ihrer Dünnheit sich weniger zur Dehnung eignen; doch selbst bei diesen nicht allgemein, denn die meisten Chirurgen dehnen, wo sie in früherer Zeit durchschnitten. Immerhin ist auch nach der Trennung die Regeneration des resecirten Stückes möglich und die Leitungsherstellung praktisch unbestreitbar. Ja die Leitung stellt sich oftmals schneller ein, als gedacht oder er- wünscht wird, denn mit ihr ist auch die Recidive des ursprünglichen Leidens gegeben, wobei freilich der Nebenbahnen nicht zu vergessen ist, welche sich zur unterbrochenen Hauptbahn annähernd so ver- halten mögen, wie ein Collateralkreislauf zum unterbundenen Gefässe, Immerhin wird auch die Herstellung der Hauptbahn durch Re- generation des resecirten Zwischenstückes angenommen, und diese Erkenntniss hat auch die Chirurgen bewogen, die früher übliche ein- fache Nervendurchschneidung — Neurotomie — zu Gunsten der Nervenausschneidung von der Tagesordnung zu streichen. Die Neu- rotomie bestand in einer einfachen queren Durchschneidung eines Nerven und wurde theils percutan und theils subcutan, beziehungs- weise submucös vorgenommen. Die percutane Neurotomie ist nunmehr ganz aufgegeben, die subcutane nur äusserst selten mehr gebräuchlich, da ihre Wirkungen gar zu problematischer Natur sind, indem mit der fehlenden Controle des Auges auch die Sicherheit der Operation bedenklich leidet. Höchstens, dass man noch einzelne kleinere Tri- geminusäste dadurch trennt, dass man ein Tenotom subcutan oder submucös einführt und mit der Schneide scharfe Schnitte gegen den — 247 — Unterlagsknochen führt, quer oder schräge zur Verlaufsrichtung der bekannten Zweige. Die schnelle Regenerationsmöglichkeit hat, wie gesagt, auf die Idee geführt, leidende Nervenstämme nicht bloss zu durchschneiden, sondern vielmehr aus ihrer Länge Stücke zu rese- ciren, damit die Entfernung der beiden Stümpfe eine bedeutendere und dadurch ihre Wiedervereinigung erschwert würde. Ja man hat, um vor einer directen Leitungsherstellung gesicherter zu sein, sogar Nervenstücke auf galvanocaustischem Wege ausgebrannt oder die ge- trennten Nervenenden nachträglich cauterisirt, ferner durch Umbiegen des einen Endes die gegenseitige Richtung verstellt. Bei der Neurectomie gilt als allgemeines Gesetz : man resecire so centrisch als möglich und excidire soviel als eben geht. Die Orts- wahl wird freilich durch Anatomie und topische Opportunität wesentlich beeinflusst. Bei Nerven, welche aus Knochencanälen her- vorkommen, berücksichtigt man ferner genau diese letzteren selbst, weil eben sie durch Verengerung und Vorsprünge des Häufigsten die Ursache peripherer nervöser Störungen sind. Man öffnet meistens diese Knochencanäle durch Aufmeissein, oder trägt das bezügliche, den Canal tragende Knochensegment ganz ab, falls es nicht möglich wäre, die Durchtrennung des Nerven hinter dem Knochencanäle vor- zunehmen. Der operative Act der Neurectomie, gleichviel ob in der Continuität oder in der Contiguität, besteht in der Blosslegung des Nervenstammes, beziehungsweise der ihm aufsitzenden Neubildung, in der Isolirung von der Umgebung, namentlich mit Rücksicht auf Begleitgefässe und in der Trennung welche zuerst an centraler Stelle vorgenommen werden soll. Erst wenn die centrale Durchschneidung mittelst eines Scherenschlages besorgt wurde, prüparirt man den Stumpf gegen die Peripherie hin, so weit als thunlich frei, trennt etwa abgehende Zweige möglichst entfernt vom Stamme sorgsam ab und schneidet dann das Nervenstück peripher nochmals mit einem Scherenschlage durch. Einem Nerven bloss anliegende, für sich allein excidirbare Neubildungen erfordern selbstverständlich keine Con- tinuitätstrennung des Nerven. Thiersch empfahl die gegenwärtig allgemein acceptirte Methode Nerven nicht zu excidiren, wenigstens centralwärts nicht, sondern den blossgelegten Nerven bei Trigeminusneuralgien mit einer eigens construirten, gut schliessenden und sicher fassenden Zange zu packen und hierauf durch Drehen der Zange um ihre Achse den Nerven dem Instrumente aufzurollen und schliesslich abzureissen — Nervenevulsion. Auf diese Weise gelingt es, viel längere Nervenstücke zu entfernen und gleichzeitig durch die über das Maximum gesteigerte Dehnung des verbleibenden Restes bessere Endresultate zu gewinnen. Die peripheren Enden können ebenfalls abgedreht oder aber ausge- schnitten werden. III. Nervennaht. Sie bezweckt die künstliche Vereinigung zweier ganz durchtrennter Nervenstümpfe behufs Einleitung ihrer immediaten Verklebung und consecutiven Verwachsung. Wenn früher gesagt — 248 — wurde, dass die Rei>eneration selbst grosser Nervenausschnitte er- folgen könne, so darf daraus nicht gefolgert werden, dass die Wieder- vereinigung einfach durchschnittener Nervenenden, die ja nicht weit diastasiren können, um desto sicherer und schneller erfolgen müsse. Vielmehr ist, namentlich bei motorischen Nerven, dies in der Regel nicht der Fall und der Durchtrennung folgt dauernde Lähmung. Dieses vor Augen, wird man es als absolut nothwendig und geboten erachten, jeden zufällig oder absichtlich durchschnittenen, in seinen Functionen vor der Verletzung integren Nerven durch die Naht zu vereinigen. Man unterscheidet eine primäre und eine secundäre Nervennaht, je nachdem sie bei einer frischen Verletzung vorgenommen wird, oder erst in einem späteren Stadium, wenn die Wunde längst schon vernarbt ist. Es ist wohl klar, dass die primäre Naht stets vorzuziehen ist und bessere Resultate liefert, als die secundär unternommene; dennoch wurden auch mit letzterer günstige Resultate erzielt und die längst unterbrochene Nervenleitung damit wieder hergestellt. Esmarch hat selbst nach 26 Monaten von einer Secundärnervennaht Erfolg gehabt. Nelaton und Laugier waren die Ersten, welche die Primärnaht übten, Letievant hat zuerst die Secundärnaht ausgeführt. Die Nervennaht kann auf doppelte Art und Weise ausgeführt werden : entweder man legt den Faden durch die Nervensubstanz selbst — directe Nervennaht — oder man lässt den Nerven ungeschoren und vernäht bloss die Nerven- scheide, beziehungsweise die bindegewebige Umgebung. Letztere Methode wurde von Hüter erdacht und unter dem Namen paraneu- rotische Naht in die Praxis eingeführt. Sie soll den Vortheil haben, den Nerven intact zu lassen und jeden Reiz, den der Nahtfaden auf dessen Substanz ausüben könnte, zu meiden; nebstdem soll, nach Hüter' s Angabe, durch sie auch ein genauerer Flächencontact der Nervenstümpfe zu Stande gebracht werden können, und ein solcher ist zum Erfolge von absoluter Nothwendigkeit. Zur Nervennaht soll man sich ausschliesslich nur des Catgut bedienen; übt man die paraneu- rotische Naht, so müssen im Umkreise des Nerven so viele Fäden eingelegt werden, als zur Erzielung genauen Flächencontactes der Stümpfe nothwendig erscheint, meistens :^ bis 4. Bei der directen Naht sind 1 bis 2 Fäden, entsprechend der Dicke des Nerven genügend. Damit durch die Breite gewöhnlicher Nähnadeln dabei nicht einzelne Nervenbündel quer durchtrennt werden, hat Wolberg eigene Nadeln empfohlen, welche ihre Breitseite in der Richtung der Krümmung selbst haben, also krummsäbelförmig gestaltet sind, so dass sie parallel den Nervenbündeln eindringen und diese nur auseinander drängen, nicht aber durchschneiden. Freilich kann man mit einer gewöhnlichen chirurgischen Nähnadel dasselbe erzielen, wenn man sie in querer Richtung durchsticht und nicht entsprechend der Nervenachse. Besser ist es Troisquartnadeln zu wählen. Sowohl bei der directen als auch bei der paraneurotischen Naht sollen die Fäden in entsprechender Entfernung von den Stumpfenden durchgezogen werden, damit ein Durchschneiden und Ausreissen der Nähte verhindert werde. Uebt man die Secundärnaht, so sind die blossgelegten Nervenstümpfe, welche stets kolbig verdickt zu sein pflegen, erst anzufrischen, bevor zur Anlegung der Naht geschritten wird, i/emefce empfiehlt die An- frischung der Stümpfe nicht quer zur Achse, sondern in schräger Richtung — 249 — — natürlich directione inversa — auszuführen, weil damit grössere Contactflächen geboten werden. Da, wie erwähnt, frisch durchschnittene Nervenenden sich nicht stark retrahiren, so wird bei der künstlichen Primärvereinigung kaum nennenswerthen Spannungshindernissen be- gegnet; etwas anderes ist es, wenn man etwa eines Neurom wegen resecirt oder wenn eine Secundärnaht angelegt werden soll. Im ersteren Falle ist die Diastase schon durch die jeweilige Excision eines Nerven- stückes grösser, und zwar entsprechend und proportional der Länge des resecirten Stückes selbst; im letzteren sind die Stümpfe durch die spätere Retraction etwas entfernter und müssen auch behufs An- frischung mehr minder grosse Stücke von jedem Stumpfende ab- getragen werden, Ist also die Diastase eine bedeutendere, so kann in einer Dehnung der Nervenabschnitte das Mittel gegeben sein, die Stümpfe gegenseitig zu nähern. Mikulicz empfiehlt der eigentlichen Nervennaht eine Entspannungsnaht vorauszuschicken, und zwar in einer Entfernung von 1^ o Centimeter vom jeweiligen Ende. Letievant hat für grössere Diastasen eine Nervenplastik empfohlen, darin be- stehend, dass von jedem Nervenende ein Lappen ausgeschnitten und letztere dann durch Umklappen brückenförmig zur Vereinigung ge- bracht werden ; Gluck hat Transplantationen frischer Thiernerven- stücke in Vorschlag gebracht. Bei ungleicher Durchtrennung mehrerer Nachbarnerven und stärkerem Abstände des einen centralen Stumpfes empfahl Letievant, im Falle gerade dieser der physiologisch wichtigere wäre, ihn mit dem nicht gehörigen, längeren peripheren Ende zu vernähen. Mit einem Worte lauter Nachbildungen der Sehnennaht; damit aber ja keine Variante fehle, schlägt Raica vor, durch eine Naht, nicht die Nervenenden in Apposition zu bringen, sondern dieselben übereinander, oder bei winkeliger Umknickung nebeneinander zu- sammenzubinden, so dass nur die Nervenscheiden gegenseitig in Rapport kommen, und zwar aus Besorgniss, dass die Nähte aus- reissen. Am Menschen wurde diese Methode noch nicht geübt, Thiere sollen sie vertragen. Gerade so wie bei der Sehnennaht eine Ent- spannung durch geeignete Stellung und Fixirung der betreffenden Gliedmassen während des Heilungsverlaufes als nothwendig hervor- gehoben wurde, ebenso ist das Gleiche nach einer Nervennaht erfor- derlich, und dies umsomehr, unter einer je grösseren Spannung die vernähten Enden jeweilig gestellt sind. Neuralgien sind nach einer Nervennaht bisher kaum je beobachtet worden. V. Capitel. Operationen an Knochen und Gelenken. I. Osteotomie. Unter der Bezeichnung Osteotomie, Knochentrennung, werden öfters zwei, sowohl in ihrer Technik, als auch in ihrer Bedeutung für den Organismus verschiedene chirurgische Eingriffe subsumirt. Man spricht von einer linearen Osteotomie, welche in der — 250 — Regel subcutan vorgenommen wird und die Bedeutung einer einfachen Knochentrennung besitzt; man spricht andererseits von einer keil- förmigen Osteotomie, welche percutan ausgeführt wird und die Bedeutung der Entfernung einer keilfi'irniigen Knochenscheibe hat; das letztere Verfahren wird wieder von Anderen Keilexcision oder Keil- resection getauft. Wir wollen Osteotomie nur die kunstgerechte sub- cutane einfache Knochentrennung- nennen; die percutane Keilexcision aber zu den Resectionen zählen und später besprechen; involvirt doch schon die Entnahme eines Knoclienstückes den Begriff des Aus- druckes : Resection, Man osteotomirt bei Anchylosen, welche den Gebrauch der be- treffenden Extremität, ob der abnormen Stellung, in welcher die Gelenksverwachsung eingetreten ist, erschweren oder unmöglich machen, beispielsweise bei Anchylose des Hüftgelenkes in extremer Beuge-, Abductions- oder Adductionsstellung; man osteotomirt bei winkelig geheilten Kuochenbrüchen, bei rhachitischen Verkrümmungen, bei Genu valgum, varum etc., um die Geradestellung der Extremität zu ermöglichen. Bei der Osteotomie wird der betreffende Knochen selten ganz durchtrennt, und zwar aus dem Grunde nicht, damit das Periost nicht allzu sehr leide, indem die Gewähr vollkommener Ernährung aufrecht erhalten werden muss, um unliebsame Necrosen zu verhüten. Ausser dem Perioste dürfen auch die umgebenden Weichtheile nicht unnöthig verletzt werden, was durch die knochentrennenden Werk- zeuge leicht erfolgen könnte, wenn die Continuitätstrennung mit ihnen vollends durchgeführt würde. Man trennt demnach den Knochen nur im grössten Umfange seiner Dicke, die letzten Ueberreste der corticalis werden nachträglich durch Händegewalt eingebrochen; daraus folgt aber, dass der eigentliche Zweck der Osteotomie nur auf eine Schwächung des Knochenwiderstandes ziele, sie demnach nur ein Voract sei, welcher eine Infraction des Knochens an jener ge- gebenen Stelle ermöglicht, wo es zur Geraderichtung der Gliedmasse eben nothwendig ist. Es resultirt daraus ferner, dass die Osteotomie nicht angezeigt sei in allen jenen Fällen, wo die künstliche Infraction ohne vorgängige Schwächung des Knochens möglich ist, gleichgiltig, ob erstere mit Händekraft oder mittelst Instrumentalhilfe erzwungen werden kann, wenn dies unter genauer, präciser Einhaltung jener Stelle erfolgt, wo sie am zweckdienlichsten stattfinden soll. Man nennt die Osteotomie insofern subcutan, als die Deckweichtheile, inclusive Periost nicht im ganzen Bereiche der Trennungsebene, sondern nur in jenem Umfange durchschnitten werden, der eben nothwendig ist für die Einführung jener Instrumente, mit denen man die Knochen schwächen will; der operative Act selbst wird also eigentlich sub- cutan vorgenommen. Der Grund des subcutanen Vorgehens liegt in der Sicherung strengster Asepsis, trotzdem ist aber nebstbei die Einhaltung rigorosester Antisepsis ohne Ausnahme geboten, da immerhin dabei eine Verwundung der Deckweichtheile vorkommt. Die subcutane Osteotomie wird, wo es sein kann, in spongiösen Knochenregionen oder doch bei obliterirter Markhöhle vorgenommen, da eine eventuelle Zerstörung des Markes wegen der möglichen Folgen gerne vermieden wird; Gelenksräume bieten keine absolute Gegenanzeige. Bei jungen Individuen, deren Skeletwachsthum noch — 251 — nicht beendet ist, meidet man wohl die Verwundung der Epiphj^sen- knorpel wegen ihrer Bedeutung für das Längenwachsthum des be- treffenden Knochens. Bezüglich des technischen Vorganges beim Osteotomiren empfiehlt es sich vor Allem, die betreffende Extremität auf eine, wenn auch gepolsterte, so doch nicht sehr nachgiebige Unterlage zu lagern. Die Durchschneidung der Deckweichtheile und des Periost erfolge nur im allernothwendigsten Umfange und stets durch einen einzigen scharfen Schnitt. Ob dabei bei verschobener oder nicht verscho- bener Haut eingegangen wird, ist Geschmackssache. Einige operiren bei verschobener Haut, um die spätere Wundocclusion in Folge aufgehobenen Parallelismus vollständiger zu gestalten. Andere ziehen das Einschneiden bei nicht verschobener Decke vor, in der Be- sorgniss, durch zufällige vorzeitige Zurechtrückung der Deck- weichtheile den geraden Weg zum Knochen zu verlieren. Sicherer bleibt es immerhin, bei nicht verschobener, aber gut gespannter Haut den Schnitt anzulegen, welcher in einem Zuge Deckweichtheile und Periost durchschneiden soll, um als bequemer Zugang für die Knochentrenner zu dienen. Letztere können sein: feine Stichsägen oder Meissel. Adams, v. Langenheck, Ogston u. A. bedienten sich der Stichsägen, BiUroth, Mac Eicen u. A. bevorzugen die Meissel. Es wurde den Stichsägen die Erzeugung von Sägespänen vorgeworfen, welche, im Wundcanale verbleibend, angeblich Störungen der Wundheilung hervorrufen sollen; allein jene haben diese üble Bedeutung nicht, sondern werden bei aseptischem Wundverlaufe anstandslos resorbirt. Die Wahl des jeweiligen Knochentrenners entscheidet zumeist die Bequemlichkeit, die Localität und die Gewohnheit des Operateurs. Man nimmt Stichsägen, wenn etwa ein condylus, welcher frei inner- halb der Gelenkskapsel liegt, einzuschneiden wäre; man wählt Meissel, wenn an Diaphysenenden oder überhaupt an gleichmässig von ad- härirenden Weichtheilen gedeckten Knochen operirt wird, es wäre denn, dass man nach v. Langenheck'' s Methode verfahren würde, der den Knochen früher mit einem Perforativtrepane blind tunellirte und sodann mit einer Stichsäge in zwei divergirenden Richtungen ein- sägte. Einfacher ist jedenfalls die von BiUroth eingeführte lineare Knochentrennung mittelst Meissel- und Hammerwirkung. Die hiefür benützten Meissel oder Osteotome (Fig. 75) sind ganz aus Stahl und haben eckenlose Schneiden nebst einem Quergriffe. Letzterer ist durch den Umstand geboten, dass man den eingehämmerten, festgekeilten Meissel jeweilig genau in der Richtung seiner Achse aus der eben geschnittenen Knochenrinne wieder hervorziehen muss, ansonst bei seitlichen Lockerungsbewegungen die Knochensubstanz eingedrückt, eventuell bei grösserer Sprödigkeit auch gesplittert werden könnte. Das Ausziehen in geradliniger Richtung erfordert aber viel Kraft, wobei ein Holzgriff nachgeben und vom Meisselstiel abgezogen werden könnte. Der Mangel an Ecken gewährt den Vortheil, dass der Grad der jeweiligen Einkeilung vielleicht um ein Geringes vermindert wird, und dass man beim Entfernen des Meisseis nicht Gefahr läuft, die Ecken abzubrechen und sie als Fremdkörper in der Tiefe der Knochen- wunde zu belassen. Hat der durchzutrennende Knochen eine bedeu- tende Dicke, welche eine entsprechende Tiefenwirkung des Meisseis - 252 Fig. nothwendiu- macht, so muss man je 3 oder 4 gleichgestaltete Instru- mente verschiedener Dicke und Breite besitzen und sich ihrer in absteigender Progression bedienen, auf dass in die vom stärker cali- brirten Meissel geschnittene Knochenwunde ein schwächerer Platz habe, um tiefer eindringen zu können, ohne erst den Widerstand des Seitendruckes der knöchernen Schnittflächen überwinden zu müssen. Nimmt man solchermassen gradatim schwächere Osteotome, so gelingt es, den Knochen sehr tief linear zu schneiden, ohne die Eingangs- spalte zu sprengen. Von der durch den Meissel zuerst in den Knochen gesetzten Spalte aus wird dessen Trennung nach verschiedenen Richtungen einer und derselben Ebene vorgenommen, um die Dicke der Knochensubstanz im weitesten Umkreise zu durchstemmen. Ist der Knochen einmal so sehr geschwächt, dass man glaubt, die letzten Reste der corticalis einbrechen zu können, so wird der Meissel, beziehungsweise die Säge entfernt, die Osteotomie ist zu Ende. Das weitere Verfahren, die manuelle Infraction, das Einbrechen, kann entweder sogleich vorgenommen werden, oder dieser Act wird erst nach Verheilung der Weich- theilwunde, also am 7. oder 9. Tage post osteotomiam ausgeführt. Das sofortige Ein- brechen ist entschieden vorzuziehen, weil dabei in einer Narcose und in einer Sitzung das Erstrebte vollends erreicht wird und die Zugabe der Infraction die Bedeutung des Eingriffes nicht erhöht. Bedenkt man schliesslich, wie leicht in der Abschätzung der jeweilig zu Stande gebrachten Knochen- schwächung eine Täuschung unterlaufen kann, sofern die spätere manuelle Infraction nicht gelingt, so hätte dieser Uebelstand beim Operiren in einem Acte keine weitere Bedeutung, indem durch sofortige Wieder- einsetzung des Meisseis der Irrthum leicht corrigirt werden kann; wären aber zwischen Osteotomie und Infrac- tionsversuch mehrere Tage vergangen, und letzterer gelänge nicht, so müsste die Operation förmlich wiederholt werden, indem in der Zwischenzeit die Zugangspforte der Weichtheile sich organisch ge- schlossen hat. Nach beendeter Osteotomie wird die Weichtheilwunde mit einem Bausehen antiseptischer Gaze provisorisch bedeckt, nunmehr das Einbrechen des Knochenrestes vorgenommen, hierauf nach entfernter Gaze die Wunde mit einer Catgutnaht oberflächlich geschlossen, oder auch nicht, ein correcter Occlusivverband angemacht und die Extre- mität in der neugewonnenen, verbesserten Stellung durch einen starren oder Schienenverband fixirt. Eine primäre Drainirung der Weichtheilwunde pflegt man nicht vorzunehmen; erst wenn später etwa septische Erscheinungen einsetzen sollten, müsste man in aus- giebigen Spaltungen und Drainirungen sein Heil suchen. Als Regel tritt prima reunio ein. Dass man beim Osteotomiren die Instrumente stets am kürzesten Wese einführen solle, dass man keine wichtigen — 253 — Organe, Nerven, Gefässe, Sehnen verletzen dürfe und auch unnöthige Gefenkseröffnungen meiden müsse, ist selbstverständlich. Die Richtung, in welcher man den Knochen trennt, kann verschieden sein: bei Ver- wendung des Meisseis nimmt man sie zumeist senkrecht zur Ebene des Knochens vor, beim Gebrauche der Stichsäge kann auch schräge vorgegangen werden. Die Seite, von der aus man dem Knochen bei- kommen soll, entscheidet für gewöhnlich die Krümmung und gilt es dabei als Regel: von der Concavität aus die Knochentrennung vor- zunehmen, da man doch entsprechend der Convexität redressiren will und die Schwächung Jene Seite treffen muss, welche bestimmt ist beim Einbrechen zuerst nachzugeben. Operirt man nicht wegen Ivinimmungsdifformitäten, so entscheidet hierüber die Topographie der Theile. II. Osteoclasie. Man versteht unter dieser Bezeichnung das künstliche Hervorrufen subcutaner Knochenbrüche, meistens wohl zum Zwecke der Redressirung verkrümmter Extremitätstheile. Als Anzeigen gelten dieselben Krankheitsmomente, welche soeben bei Besprechung der Osteotomie Erwähnung fanden; es fragt sich also, welchen unter den beiden Operationsverfahren der Vorzug gebühre, der unblutigen Osteo- clasie oder der blutigen Osteotomie? In vorantiseptischer Zeit würde die Wahl kaum zweifelhaft gewesen sein, gegenwärtig ist das Moment der Trennung der Deckweichtheile weniger massgebend. Trotz alle- dem würde dennoch der Osteoclasie der Vorzug gebühren, wenn sie die gleichen Vortheile böte wie die Osteotomie. Der Hauptvortheil der letzteren besteht wohl nur darin, dass man die Stelle der ge- wünschten Infraction auf das genaueste und präciseste vorausbestimmen kann, da sie ja nur in jener Ebene erfolgt und erfolgen muss, in der man eben den Knochen geschwächt hat. Um zu wissen, wie es sich damit bei der Rivalin, der Osteoclasie verhält, müssen wir sie früher etwas genauer kennen lernen. Ein Knochen kann gleich einem Holzstabe nur durch Hebelwirkung gebrochen, oder durch Anwendung ent- sprechender Zugkraft, nach Ueberwindung seiner absoluten Festigkeit, durchrissen werden. Bei der Osteoclasie kommt nur ersteres Verfahren in Betracht, also Hebelwirkung, und der Knochen bricht nach Ueber- windung seiner relativen Festigkeit. Es kann dabei nach dem Principe des einarmigen oder nach jenem des zweiarmigen Hebels vorgegangen, Händekraft allein oder Maschinenkraft angewendet werden. Die Hebel- kraft ist bekanntlich proportional der Länge eines oder zweier Hebel- arme; je länger man aber letztere macht, desto unsicherer kann man die Stelle genau bestimmen, wo die Wirkung der Kraft platzgreift; je kürzer der Hebelarm, je näher der Angriffspunkt der Last jenem der Kraft gelegen ist, desto präciser lässt sich auch die Stelle des künftigen Bruches bestimmen. Da es aber gewiss nicht gieichgiltig sein kann, an welcher Stelle man den zu redressirenden Knochen ein- oder durchbricht, so folgt daraus die Regel, die Hebelarme stets kurz zu nehmen, wofür die Händekraft in der Regel unzureichend ist, falls nicht der Knochenwiderstand ein ausnahmsweise geringer wäre. — 254 Die praktische Aiisfülirung des künstlichen Knochenbruches nach dem Principe des zweiarmigen Hebels kann auf doppelte Art ins Werk gesetzt werden: a) Der Operateur verfährt ohne fremde Unter- stützung und gibt allein die Zug- und Druckkraft her, ein Verfahren, welches den Vortheil hat, die Grösse beider Kraftäusserungen in genaue Uebereinstimmung bringen und sie jeweilig entsprechend regeln zu kihmen. Als Hypomochlion benützt man das caput tibiae des eigenen flectirten Beines, als Zugkraft dienen die gerade vor- gestreckten Arme, welche man ober- und unterhalb des Hypomochlions möglichst nahe demselben ansetzt. Man bricht dabei den Knochen gleich einem Holzspan. Zug- und Druckkraft dürfen nur continuirlich einwirken, nie ruckweise, um keine Splitterung zu erzeugen, h) Nur die Zugkräfte werden vom Operateur abgegeben, das Hypomochlion stellen die Hände von Gehilfen dar oder sonstige äussere feste Gegen- stände, welche aber stets zu polstern sind, um eine allzu ausgiebige Quetschung der Haut, welche von Mor- tification gefolgt sein könnte, zu mei- den. Die Osteoclasie durch Händegewalt nach dem Principe des einarmigen He- bels lässt sich vergleichen mit dem Abbrechen eines, mit dem einen Ende fest eingeklemmten Holzstabes; Die Klemme, den Schraubstock, geben zu- meist die Hände der Gehilfen ab, wel- che den Extremitätstheil oberhalb der künftigen Bruchstelle fixiren ; der Ope- rateur greift unterhalb an und zieht ent- gegengesetzt jener Seite zu, an welcher die Infraction zu beginnen hat. Die Schwierigkeit einer sicheren Fixirung, ohne welcher ein Erfolg kaum denkbar ist, macht es begreiflich, dass man zur Osteoclasie nach dem Principe des ein- armigen Hebels nur dann greifen wird, wenn die nach dem Principe des zweiarmigen, wegen ungenügender Länge des centralen Knochentheiles nicht möglich ist, so beispiels- weise bei Anchylose des Hüftgelenkes, wobei der Abbruch am Schenkel- halse oder doch in dessen nächster Nähe zu erstreben ist. Als Ersatz für die meistens relativ ungenügende menschliche Kraft (relativ, weil dies nur bei kurzem Hebelarm Giltigkeit hat) wurden Apparate er- sonnen, Osteoclasten genannt, deren Wirkung gleichfalls eine doppelte sein kann, je nachdem sie nach dem Principe des ein- oder zweiarmigen Hebels wirken. Es kann nicht meine Aufgabe sein, alle Osteoclasten namhaft zu machen, welche seit der ältesten, von Bosch und Oesterlen ersonnenen „Dysmorphosteopalinclastes" getauften Maschine praktische Verwer- thung gefunden haben; auch kann ich vorderhand des „Appareil re- dresseur" von Collin nicht gedenken, da dessen Anwendung speciell nur die Verkrümmungen am Knie (genu valgum et varum) betrifft und davon im speciellen Theile die Rede sein wird; zweier Osteoclasten jedoch, als Vertreter je eines Hebelsystemes, will ich im Nachfolgen- — 255 — den gedenken, weil sie zu allgemeinerer Verwendung taugen. Nach dem Principe zweiarmiger Hebelwirkung fungirt der Osteoclast von Rizzoli (Fig. 76). Er fand Verwendung bei Anchylosen, bei schlecht geheilten Knochenbrüchen, ja Rizzoli verwendete mehrfach seinen Apparat, um normale Knochen, und zwar Oberschenkel künstlich zu brechen und damit eine bestehende ungleiche Länge der unteren Extremitäten durch Uebereinanderschiebung der Fragmente auszu- gleichen und das Hinken zu beheben. Seinerzeit galt sein Osteoclast als der beste; er war es auch für alle jene Fälle, wo es sich über- haupt um ein Zerbrechen handelte und es mehr minder gleichgiltig schien, ob der Bruch etwas höher oder tiefer erfolgte als man gedacht Fie:. 77. und ob der Knochen quer oder schräge abbrach. Als Concurrent mit der Osteotomie konnte er aber gewiss nicht ernstlich auftreten, da er einmal die früher betonten Vorzüge dieser nie und nimmer bieten konnte, und er auch nicht verwendbar war für Fälle, bei denen es sich darum handelte, in nächster Nähe von Gelenken einen Knochen- bruch zu setzen, indem er eine gewisse Länge der Hebelarme als conditio sine qua non beansprucht, wie aus der Zeichnung hervor- gehen dürfte. V. Robin war es vorbehalten, einen Osteoclasten zu er- sinnen, der wenigstens für viele Deformitäten die Osteotomie vollends zu ersetzen vermag, da er das Gleiche auf unblutige Weise zu Stande bringt. Rohin's Apparat wirkt nach dem Principe des einfachen Hebels, lässt die Stelle des zu setzenden künstlichen Knochenbruches — 256 — mit fast mathematischer Präcision bestimmen, setzt bei genauer Bedienung reine Querbrüche, gestattet eine Anwendung selbst in nächster Nähe von Gelenken, kurz, er trennt den Knochen ebenso genau und in der gleichen Weise, wie es durch eine Osteotomie mög- lich wird, nur mit dem Unterschiode, dass dabei keine vorgängige blutige Schwächung der betreffenden Knochenstelle nothwendig ist. Fig. 77 stellt den gedachten Osteoclast dar, zerlegt in seine ein- Fie. 78. zelnen Bestandtheile. Die feste hölzerne Ruheplatte wird mittelst der Schrauben SS an einen festen Tisch geschraubt; sie besitzt vier Bohrungen, in welche ebensoviele senkrechte, starke, mit Schrau- benwindungen versehene Eisenstäbe EE eingesetzt und durch fe- dernde Zapfen fixirt werden, welche ein gemeinschaftlicher Hebel D regiert. Auf den Stäben bewegen sich die Bügel BB, bestimmt, die metallene Hohlkehle G niederzudrücken, und zwar durch Schrau- benwirkung vermittelst des Schlüssels G, dessen Action durch Federwirkung 7t potenzirt wird, wodurch die fixirende Wirkung der - 257 — Hohlkehle gieichmässig und sicher gemacht ist. Es wurde wohl schon früher betont, wie wichtig es beim Principe des einfachen Hebels sei, für eine genaue centrale Fixirung des zu brechenden Knochens Sorge zu tragen. Nur der wirklich idealen Einhaltung dieses physikalischen Axioms hat es der Osteoclast von Bobin zu danken, dass man den Knochen der Quere nach und ganz genau in der bestimmten Linie zu brechen vermag; bei weniger exacter Fixirung wäre beides nicht der Fall und der Robin^sche Apparat würde sich dann den früheren Osteoclasten anreihen, von denen er sich eben dadurch gewaltig unter- scheidet. Die Hebelkraft wird durch die aus zwei Stücken zusammen- fügbare Hebelstange abgegeben, welche ihr Hypomochlion im vorderen Bügel findet, während ein dreifacher Ledergurt L die Hebelkraft auf das periphere Knochenende überträgt. Fig. 78 stellt den Osteoclast in seiner Anwendung dar, und zwar zu dem Zwecke, um behufs Redressirung eines genu valgum einen supracondylären Querbruch der Oberschenkeldiaphyse auszuführen. Die Möglichkeit, den Angriffs- punct der Kraft in die nächste Nähe des Fixirpunctes zu versetzen und die absolute Sicherheit der Fixirung selbst sind die Haupt- momente, welche den Werth des Apparates und seinen Unterschied von anderen Osteoclasten begründen. Die Kraft des langen Stangen- hebels ist eine gewaltige und ihr Angriffspunct dennoch so klein, dass die geringste Knochenfläche dazu genügt, ein Moment, welches allein die Möglichkeit gibt, supracondyläre Osteoclasien erzwingen zu können. Der Knochen wird von unten nach oben gebrochen, ob ganz durchgebrochen oder nur eingebrochen, wird abhängig sein von der Art und Weise, wie man den Stangenhebel in Action setzt. Geschieht dies langsam, stetig und mit Vorsicht, so gelingt es, Knochen auch nur einzubrechen, ein Vortheil, welcher sonst nur der Osteotomie allein zukommt. Nachtheile durch allzu starke Quetschung der Weich- theile, der Gefässe und Nerven sind bisher noch niemals vorgekommen. Ist einmal die gewünschte Infraction zu Stande gebracht, was sich durch plötzliche Nachgiebigkeit und durch ein krachendes Geräusch kundgibt, so muss augenblicklich die Stangenwirkung unterbrochen werden; ein einfacher Druck auf den Hebel D genügt dann, um die Extremität im selben Augenblicke aus der Klemme zu befreien und den Apparat in seine Componenten zu zerlegen. Ein starrer Verband wird sofort zur Fixirung der Extremität in redressirter Stellung an- gelegt. III. Knochenresection. Unter Knochenresection versteht man die Ab- trennung eines oder mehrerer Knochenstücke oder selbst ganzer Knochen bei Erhaltung der umgebenden Weichtheile. Der vom Mutterboden abgetrennte Knochen wird entfernt und dies ist der Zweck der Resection, woraus zu ersehen ist, dass diese Art Eingriffe nie zu den subcutanen zählen können, sondern stets und immer nur percutan ausführbar sind. Die Entfernung des abgetrennten Knochens kann sein: entweder eine bloss temporäre oder eine definitive. Handelt es sich um eine nur temporäre Verlagerung, so wird der Zusammen- hang des betreffenden Knochens mit seiner Umgebung sorgfältig zu T. M oseli;,-- Jloorhof: }Iandbiioli d. cliiiurs. Tuclmik. 4. Auil. 17 — 258 — erhalten sein, denn von ihr bekommt er ja seine Nahrung, und diese ist von absoluter Nothwendigkeit, um Necrosen zu verhüten und um dem Knochentheile die Möglichkeit zu belassen, an seiner alten Stätte wieder festwachsen zu können. Derlei Resectionen, welche nur eine temporäre Verlagerung eines Knochens beabsichtigen, nennt man osteoplastische ; ihr Zweck ist einzig und allein der, dem Operateur den nothwendigen Raum zu schaffen, damit er anderweitige Eingriffe an tiefer gelegenen Theilen, welche sonst nicht ausführbar wären, vornehmen könne. Die definitive Entfernung künstlich abgetrennter Knochentheile heisst gemeinhin Resection, aber auch der Ausdruck Knochenexcision ist gebräuchlich. Resectionen rangiren xar' i^oxrjv in die Gruppe der conserviren- den Operationen, denn sie bezwecken die Erhaltung der umgebenden Weichtheile und damit ist auch die Erhaltung sowohl ihrer Functionen als auch jener des ganzen betreffenden Körperabschnittes ausgesprochen. Mit der Heilung der gesetzten Resectionswunde ist der Zweck der Operation nicht immer ganz erfüllt; dies wird vielmehr erst dann der Fall, wenn die Functionstüchtigkeit so weit als möglich wiedergegeben ist. Es folgt daraus die allgemeine Regel: bei jeder Resection alles sorgfältig zu schonen und zu erhalten, was auf die künftige Leistungsfähigkeit des betreffenden Körperabschnittes von Einfluss sein kann. Dazu rechnet in erster Linie die Schonung von Gefässen, Nerven, Sehnen etc., in zweiter jene des Periostes und des Knochens, insoweit es das Krankheitsmoment zulässt, dessenthalben die Resection vorge- nommen wird. Die Wegbahnung zum Operationsfelde muss dement- sprechend nie an solchen Stellen erfolgen, wo massgebende Arterien verlaufen, an Extremitäten also beispielsweise nur an den Streck-, beziehungsweise Seitenflächen, niemals an der Beugeseite. Nerven und Sehnen, welche im Operationsgebiete selbst liegen, müssen durch temporäre Verlagerung erhalten und geschont werden. Etwa durch Unachtsamkeit durchschnittene Nervenstämme müssten nachträglich, id est nach beendigtem Resectionsacte durch die Nervennaht wieder vereinigt werden, ebenso wichtige Sehnen durch die Sehnennaht. Sehnen und Muskeln, deren Insertionspuncte gerade an solchen Knochentheilen sich vorfinden, welche der Abtrennung anheimfallen, können auf doppelte Art in ihrer Continuität erhalten werden: a) Soll der ganze Knochenabschnitt entfernt werden, welcher die Insertionsstätte der Sehne oder des Muskels bedeutet, so kann durch sorgfältige Conservirung des betreffenden Periostüberzuges auch ihre Verbindung mit der Beinhaut, oder besser gesagt, ihr Uebergang und ihre Verschmelzung mit dem fibrösen Antheile jener erhalten werden. V. Langenheck verdanken wir dieses Verfahren, welches er das sub- periostale Reseciren nannte, h) Es kann die Insertion von Sehnen da- durch intact belassen werden, dass man die betreffende Cortical- schicht in Form einer Knochenspange erhält. Von sehr grosser Wichtigkeit bei Resectionen ist die Behandlung des Periostes. Abgesehen von dessen ebenerwähnter topischer Be- deutung als Erhalter der Sehnencontinuität, hat es eine allgemeine Bedeutung als Knochenernährer und als Knochenregenerator. Diese Erkenntniss führt zum absoluten Gebote: es zu erhalten, so weit dies nur immer thunlich ist, und gegenwärtig resecirt man eigentlich — 259 — stets subperiostal. Die Erlialtung geschieht bei gewöhnlicher Resection durch stumpfe Abhebelung vom abzutrennenden Knochen, welche nur im allernoth wendigsten Umfange zu geschehen hat; bei osteo- plastischen Resectionen hingegen durch Belassung der Beinhaut im ganzen Umfange des temporär zu verlagernden Knochens, wobei ihre scharfe Durchschneidung an den Trennungsgrenzen des letzteren nothwendig wird, damit ihre Verbindungen mit dem Knochen beim Abtrennungsacte des letzteren nicht durch die hiefür üblichen In- strumente zerstört und sie unnöthigen Verletzungen durch Quetschen, Zerren, Reissen ausgesetzt werde. Die gleiche Rücksicht muss so viel als möglich auch den Beziehungen zwischen Beinhaut und äusserer Umgebung gezollt werden. Nichts ist schädlicher und mehr zu wider- rathen, als diesen organischen Zusammenhang, wo es nicht absolut Fig. 79. Fig. 80. nothwendig ist, zu trennen. Man spaltet daher gewöhnlich Deck- weichtheile und Periost womöglich in einem einzigen scharfgeführten Schnitte. Es werden demzufolge zu Resectionszwecken eigene Messer benützt, die man Resectionsmesser nennt (Fig. 79 a). Sie stellen Scal- pelle dar, mit kurzer, aber starker Klinge und mächtigem Griffe, auf dass man sie bequem in die volle Hand fassen könne. Behufs Ent- blössung des Knochens nach stumpfer Ablösung der Beinhaut mittelst Elevatorien müssen die Deckweichtheile genau abgezogen und abge- halten werden, wozu die gewöhnlichen Wundhaken zu schmal und zu schwach wären; deshalb nimmt man breitere und stärkere Instrumente, entweder Spatel- oder Doppelhaken mit eingebogenem Ende, um das Abrutschen zu meiden — Resectionshaken (Fig. 79 Z>). Zum weiteren Schutze der Weichtheile gegen die Knochentrenner benöthigt man öfters noch frischgeschnittene Holzspateln. Als Knochentrenner fungiren Sägen oder breitschneidige Meissel und Knochenscheren; 17* — 2(;o — bei Kinder können die Epiphysen oft auch mit starken Scalpellen — Knorpelmesser genannt — förmlich geschnitten werden. Eigene, ver- schieden gestaltete, mit stellbarem Griffe versehene, geöhrte, starke stählerne Hohlsonden, wie sie von Ollier Ueyfelder u. A. unter dem Namen Resectionssonden empfohlen wurden, gehören wohl kaum zum unentbehrlichen Inventar eines Resectionsinstrumentariums, immerhin sind sie oft sehr zweckdienlich als Leiter, sowohl für Messer und Sägen, als auch als Schützer für die umgebenden Weichtheile. Noth- wendiger sind Haltezangen für den jeweilig abzutrennenden Knochen- theil während des Sägeactes, damit der Parallelismus der Säge- flächen aufrecht erhalten und ein Geklemmtwerden der Säge inner- halb der Sägefurche verhütet werde. Sie heissen Resectionszangen (Fig. 80). Die Knochen sind glatt und ohne Splitterung zu trennen; ergäben sich bei zufälligem Abbrechen etwaige scharfe, vorstehende Spitzen oder Kanten, so müsste mit Knochenscheren oder Abzwick- zangen entsprechend abgeholfen werden, eventuell auch mittelst scharfem Löffel. Vielfach sind die Indicationen zum operativen Acte der Resection; wir wollen vorderhand die wichtigsten davon kurz anführen. Es zählen hierzu : Anchylosen, Verkrümmungen der Gliedmassen, difiFormer Callus nach Knochenbrüchen, namentlich Avenn dieser drückend auf Nervenstämme wirken sollte, Pseudoarthrosen, in Knochen eingekeilte Fremdkörper, Exostosen und anderweitige Knochenneubildungen, frische Knochenbrüche, wenn die Form der Bruchstücke die Coaptation ver- hindert. Gelenksverletzungen durch Schusswaffen und andere Traumen, frische und veraltete irreponible Verrenkungen, Knochen- und Markhaut- erkrankungen. Weiters wird auch resecirt, um Körperhöhlen in ge- nügendem Umfange zu öffnen, welche ganz oder theilweise vom Skelette verschlossen sind, behufs Behandlung anderweitiger Ver- letzungen oder Erkrankungen der betreffenden Höhlenorgane etc. Diesen nur nominell angeführten Anzeigen kann man entnehmen, dass die Resection bald in der Continuität und bald in der Contiguität der Knochen vorgenommen wird, gleichgiltig, ob letztere ana- tomischer Natur ist, oder durch pathologische Processe, beziehungs- weise durch Verletzungen erst bedingt wurde. Es dürfte wohl der Klarheit der Darstellung am meisten nützen, wenn wir zunächst die Verschiedenheiten einiger Resectionsarten im Allgemeinen hervorheben und kennzeichnen. Die Keilresection, auch Keilexcision oder keilförmige Osteotomie genannt, verfolgt orthopädische Zwecke und kommt bei Anchylosen und Verkrümmungen zur Anwendung. Sie wird in der Regel an spongiösen Knochenabschnitten vorgenommen und besteht im Wesent- lichen darin, aus der Verschmelzungsstätte zweier in Winkelstellung verwachsener Gelenksenden, oder aus der spongiösen Substanz eines verkrümmten oder sonst deformirten Knochens einen Keil zu excidiren, genau in jener Form und Grösse, welche zur Geradestellung des be- treffenden Skelettabschnittes jeweilig noth wendig ist. Die gleichen Gründe, welche bei der linearen Osteotomie eine Schonung der hinteren Corticalschicht wünschenswerth machten, sind auch bei der Keilresection massgebend, und verlegt man die Spitze des Keiles demnach nicht hinter den Knochen, sondern berechnet sie als im — 261 — Knochen selbst liegend; mit anderen Worten, man belässt auch hier die Hinterwand iindurchtrennt und bricht sie nach Entnahme des Keiles einfach ein. Die Keilexcision wird am wohlentblössten, gut ge- stützten Knochen der früher künstlich anämisirten Gliedmasse durch flache, gut schneidende, möglichst breite Meissel vorgenommen, die man zur Knochenachse schräg aufsetzt (nach früher wohlbemessenem Winkel) und mit denen man durch Hammerwirkung in berechnete Knochentiefe glatt eindringt. Nachdem die eine Keilfläche geschnitten, wird die zweite durchgestemmt und schliesslich der Keil als Ganzes entfernt. Stückweise entnommene Keile geben selten congruente Flächen, und solche sind für schöne orthopädische Erfolge sehr noth- wendig. Bei compacter Knochentextur oder sclerosirtem Knochen ist die Säge, wenn überhaupt anwendbar, entschieden dem Meissel vor- zuziehen, weil der Insult für den Knochen geringer ausfällt und die Ausführung der Operation viel leichter gelingt. Der Keilentnahme folgt die Redressirung auf dem Fusse nach und ein geeigneter Verband sorgt für ihre Erhaltung bis zur vollendeten Heilung durch Knochennarbe. Eine directe Fixirung der Sägeflächen durch Nähte oder Stifte ist entbehrlich. Namentlich für Gelenkresectionen dienen die früher allgemein aufgestellten Regeln der möglichsten Schonung alles dessen, was auf die künftige Gebrauchsfähigkeit der betreffenden Gliedmasse Einfluss haben kann. Da von der Wahrung von Sehnen, Sehnenansätzen, Ge- fässen, Nerven und von der Behandlung und Conservirung der Beinhaut schon früher Erwähnung geschah, erübrigt nur mehr, der technischen Behandlung des Knochens zu gedenken. Der in früheren Jahrzehnten lange geführte Streit, ob die Knochen ausgiebig auszuschneiden und partielle Resectionen überhaupt zulässig seien, ist längst zu Gunsten der Conservirung entschieden worden. Man entnimmt heutzutage dem oder den Knochen nur so viel, als eben nothwendig ist, um alles Krankhafte oder die Action Behindernde gründlich zu entfernen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Zeit der tj'pischen, schablonenmässig geübten Resectionen ist vorüber. Bei sorgsamer Schonung des Periostes ist an jenen Gliedmassentheilen, deren Er- haltung von wesentlicher Bedeutung ist, sogar die Entnahme vieler kleiner Knochen oder die Abtragung grösserer Längsstücke noch zu- lässig, mit Rücksicht auf die Hoffnung einer partiellen Regeneration; immerhin haben auch derlei ausgiebige Resectionen ihre Grenzen, die keinesfalls überschritten werden dürfen. Breitet sich bei Längsknochen die Erkrankung auf weitere Strecken der Markhaut aus, während die corticalis gesund ist, so wird eine Resection öfters dadurch ermöglicht, dass man die Markhaut auf oft lange Strecken von der Resections- fläche aus, mit Hilfe langgestielter, schmaler scharfer Löffel evidirt. Ist die Richtung eines derartig tunnelirten Knochens derart, dass seine Mündung nach abwärts gerichtet ist, so braucht man bloss einer Drainage, um die späteren Wundsecrete aus dem evidirten Markraume zu entleeren. Wäre das Verhältniss ein umgekehrtes, so würde es sich empfehlen, den Markraum an seinem tiefsten Punkte durch An- bohrung der corticalis zu canalisiren, um durch die Weichtheile hin- durch direct nach aussen drainiren zu können. Die Technik der Gelenkresectionen variirt ungemein je nach der Localität; bezüglich — 262 — der Knochentrennung kann im Allgemeinen gesagt werden, dass diese entweder quer, schräge, gewölbt, keilförmig oder stufenartig vor- genommen werden könne, wofür Stich-, Ketten-, Bogensägen, Circular- sägen oder Meissel dienen. Die Form der Sägeflächen richtet sich meistens nach dem gewünschten Enderfolge und nach dem Umstände, ob eine gegenseitige Verschiebung der resecirten Gelenksenden zu befürchten steht und leicht erfolgen kann oder nicht. Das Endresultat nach einer Gelenkresection kann ein dreifaches sein: 1. Die Knochenenden verschmelzen miteinander (Anchylose); 2. es bildet sich zwischen beiden eine mehr minder stramme, oftmals eine kleine glattwandige Höhlung bergende fibröse Bindemasse (Nearthrose) ; 3. es bildet sich eine sehr lange, entsprechend laxe und dünne Zwischenbrücke, oder die Enden gehen nur mit ihrer nächsten Umgebung Verbindungen ein (Schlottergelenk). Der letztgedachte Ausgang ist der traurigste, da er die Gebrauchsfähigkeit der betreffenden Gliedmasse geradezu vernichtet, dadurch, dass alle active Beweg- lichkeit aufhört. Die Ursachen für das Zustandekommen dieses üblen Vorkommnisses sind: Nichtschonung der Beinhaut, der Muskel- und Sehnenansätze am Knochen, Durchschneidung wichtiger Sehnen, allzu grosse Entnahme von Knochen, mangelhafte oder unzweckmässige Nachbehandlung hinsichtlich der Stellung und Fixirung der resecirten Extremität. Da dieses Endresultat zu meiden das grösste Bestreben des Operateurs sein soll, so bleibt ihm nur die Wahl übrig zwischen Anchylose und Nearthrose. Welches von beiden zu erstreben sei, ent- scheidet die Zweckmässigkeit, welche stets von der Localität bedingt ist. Im Allgemeinen erwünscht man Anchylosen nach Gelenkresectionen an den unteren Extremitäten, indem damit die Festigkeit der Glied- masse absolut gesichert wird und diese jedenfalls für die Brauchbarkeit nothwendiger ist als Beweglichkeit bei mangelnder Stützfähigkeit. Um Anchylose herbeizuführen, muss der Chirurg die resecirten Knochentheile in jene nothwendigen Bedingungen bringen, welche zur gegenseitigen Verschmelzung durch Knochennarbe unentbehrlich sind. Dahin gehören: a) Möglichst breite Knochenflächen; h) gegen- seitige innige Berührung, also Congruenz der Flächen; c) unverrückte Erhaltung der Knochen in coaptirter Lage bis zum Einsetzen orga- nischer Verwachsung, Wenn schräges Absägen in congruenten Richtungen möglich, und die verkehrt schiefen Flächen sogar durch gegenseitiges Anstemmen jede Verschiebungsmöglichkeit paralysiren, so ist diese Art der Knochentrennung der queren Abtragung entschieden vorzuziehen, da sie den oben gestellten Postulaten am besten Rechnung trägt. Eine zweite Trennungsart zu gleichem Zwecke wäre die gewölbte, id est convex-concave, da auch diese breitere Knochenflächen schafft, als die einfach quere. Auch das keil- oder stufenförmige Zuschneiden der Knochenenden wurde zur Erreichung gesicherter Coaptation em- pfohlen. Heutzutage sind die zwei letztgenannten, früher hie und da üblichen Trennungsmethoden verlassen worden, seit man gelernt hat, durch Knochensutur oder Annagelung beider Knochenenden aneinander, die Fixation in viel sichererer Weise zu Stande zu bringen; ja selbst eine Periostsutur genügt schon manchmal zu diesem Zweck, wenn sie durch inamovible Verbände unterstützt wird. — 263 — Nearthrosen werden nach Resectionen der oberen Gliedmassen oder des Unterkiefers bei Anchylostoma erwünscht, da der zu erstre- bende Endzweck in der Herbeiführung activer Beweglichkeit liegt. Zur Einleitung dieses Heilergebnisses dienen: a) Unterbleiben der Coaptation, oder mindestens gegenseitige Berührung an möglichst wenigen Punkten; h) Fixirung der Gliedmasse nur insolange als es nothwendig ist, um allzu bedeutende Verschiebungen und Stellungs- anomalien zu verhindern und insoweit es geboten erscheint, um die zur glatten Heilung absolut nothwendige Ruhe dem betreffenden Körpertlieile zu gewähren, c) Interposition von Weichtheilen, vorzugs- weise kleinen Muskellappen oder von aseptischem Fremdmateriale zwischen die Resectionsflächen. Baldthunlichst wird die Fixirung aufgegeben und zu regelmässigen passiven Bewegungen übergegan- gen, wodurch auch der Inactivitätsatrophie der betreffenden Mus- culatur vorgebeugt wird. Um die Coaptation zu vermeiden entfernt man die Resectionssenden etwas voneinander, indem man sie in Winkelstellung versetzt, und zwar fixirt man sie unter einem um so kleineren Beugungswinkel, je grösser der Abstand der Knochen- flächen voneinander sein soll, oder man hält durch den Verband die beiden Resectionsenden etwas voneinander ab. Würde viel Knochen entnommen worden sein, so hätte das eben Gesagte natürlich keine Anwendung, ja man müsste die weit entfernten Resectionsenden sogar einander thunlichst nähern, um ein Schlottergelenk zu verhüten; das Gleiche wäre der Fall, wenn durch andere Momente, etwa die Eigen- schwere des peripheren Gliedmassenabschnittes bei aufrechter Körper- haltung, eine zunehmende Diastasirung der Resectionsenden zu be- fürchten stünde. Die Winkelstellung hat, wie gesagt, nur eine Coapta- tionsbehinderung zum Zwecke und findet daher nur dann Anwendung, wenn wenig resecirt wurde, und daher die Knochenenden nahe an- einander sind. Möchte man die wechselseitige Berührung der Knochen- enden nicht ganz aufheben, sondern nur möglichst verringern, so würde es sich empfehlen, das eine Ende convex und das andere quer zu durchtrennen, wodurch die Imitirung eines Kugelgelenkes zu Stande käme. Bei sonstiger Unversehrtheit des einen Gelenkendes ist selbstverständlich bei intendirter Nearthrose die intacte Belassung der knorpeligen Gelenksfläche nicht nur zulässig, sondern geboten; bei intendirter Anchylose hingegen ist die Abtragung der Knorpel- flächen unter allen Umständen zweckmässiger und sicherer. IV. Operationen bei Knochenbrüchen und deren Folgezuständen. Da jeder Knochenbruch durch Knochennarbe heilen soll, so ist eine möglichst genaue, dauernde Coaptation der Bruchstücke in erster Linie anzustreben, falls eine Verlagerung überhaupt besteht. Je früher man zur sogenannten Einrichtung des Bruches schreitet, desto besser; manchmal bedingt die Verlagerung des einen Bruchstückes, durch mechanischen Druck auf wichtige Nachbargebilde so stürmische Er- scheinungen, dass schon dieserwegen rascheste Abhilfe nothwendig wird. Die Coaptation bedarf zu ihrem Zustandekommen einer wenn — 264 — auch kurzen, so doch zeitlichen übernormalen Verlängerung des ge- brochenen Kch'pertheiles als Ganzes betrachtet, also einer Distraction, welche das Product einer adäquaten Extension und Contraextension, beziehungsweise Fixation ist. Die zur Distraction erforderlichen Zug- kräfte werden meistens durch Händegewalt, seltener durch Zug- maschinen abgegeben; sie müssen unter allen Umständen stärker sein als die Summe der Widerstände, denn letztere müssen nicht nur paralysirt, sondern überwunden werden. Die Widerstände sind des Häufigsten activer Natur: Muskelcontractionen, hervorgerufen theils durch den Muskeltonus in Folge der genälierten Insertionspunkte, theils als Reflexe, ausgelöst durch den directen Insult der ver- schobenen Bruchstücke. Selbstverständlich kommen diese Muskel- spasmen bei gleichzeitiger passiver Anspannung besonders stark zur Geltung, während Relaxation sie verringert, daher die Regel : bei jeder Distraction, durch vorgängige entsprechende passive Körper- stellung, die Insertionspunkte der am meisten in Betracht kommenden Muskelgruppen möglichst zu nähern. Bei besonders muskelstarken, erethischen Subjecten und in Fällen besonders schwieriger Einrichtung ist behufs allgemeiner Muskelerschlaffung die Narcose indicirt. Bei gebrochenen Gliedmassen und vorhandener longitudinaler oder late- raler Dislocation wird die Zugkraft stets in der Achsenrichtung des betreffenden Gliedmassenabschnittes ausgeübt, und zwar mit stetiger, langsam zunehmender Zugkraftentfaltung, welche so lange unentwegt fortzudauern hat, bis die Distraction vervollständigt, id est bis die Bruchstücke in momentane Diastase versetzt worden sind. Dieser ist der passende Moment, um durch lateralen doppelten Druck in ent- gegengesetzten Richtungen beide Bruchenden vollends in die gleiche Ebene zu bringen und durch allmäligen Nachlass der Extension die Coaptation zu bewerkstelligen. War der Knochenbruch ein querer oder nur massig schiefer, so bleibt die erzielte Coaptation in der Regel erhalten und ist dann bei subcutanen Fracturen nur mehr die Anlegung eines Contentivverbandes erforderlich. Ist hingegen der Bruch in ganz schiefer Richtung erfolgt und kommt nicht die, A'on den Franzosen: fixation par engrenage benannte Einzahnung der Bruch- stücke glücklicherweise zu Stande, so besteht die Tendenz einer Wiederverschiebung durch Muskelwirkung fort und fort bis zur be- ginnenden organischen Verbindung. Unter solchen Verhältnissen ist zur Fixirung der Bruchstücke in der coaptirten Stellung ein Con- tentivverband nicht ausreichend ; es muss vielmehr die Muskelwirkung fort und fort paralj^sirt werden, die Extension muss dauernd aufrecht erhalten bleiben. Hierzu dienen die Extensionsverbände. Eine Abweichung erleidet die Technik der Coaptirung an solchen Knochenbrüchen, bei denen eine Dislocatio ad axin oder eine Dis- locatio ad longitudinem cum distractione stattgefunden hat. Erstere entsteht dadurch, dass das Trauma das eine Bruchstück gewaltsam um das andere herumwälzt, wodurch ein Reiten der Bruchenden übereinander zu Stande kommt. In derlei seltenen Fällen muss der Distraction, welche ohne gewaltsame Muskelzerreissung erfolglos bliebe, eine sogenannte Circumduction vorangeschickt werden, wodurch zunächst das abnormerweise rotirte Bruchstück in entgegengesetzter Richtung um das andere zurückrotirt wird bis zur Wiederherstellung — 265 — der normalen Achse. Erst dann beginnt man mit der Distraction und endet mit der Coaptation. Bei diastatisclier Längsverschiebung des einen Bruchstückes muss eine passive Annäherung dieses ver- mittelt werden, und da der Grund der Diastase activer Muskelzug ist, so muss durch entsprechende Gliedmassenstellung zunächst eine Annäherung der betreffenden Muskelinsertionen bewerkstelligt und dann die active Contraction durch Bindendruck verhindert werden. Wäre der betreffende Bruch ein percutaner, dann sollte die Apposition der Bruchenden durch eine Knochennaht gesichert werden; bei sub- cutaner Fractur kann man bei gleichzeitiger Handhabung strengster Antisepsis das Gleiche thun, wenn Verbände nicht ausreichen, oder Klammervorrichtungen nicht vorgezogen werden. Es bliebe noch zweier Dislocationen zu gedenken, welche bei subcutanen Knochen- brüchen nicht gar so selten vorzukommen pflegen, nämlich der winkeligen und der stufenförmigen Verschiebung. Erstere kommt als passive Form des Häufigsten bei Infractionen von Längsknochen vor und bei Gelenksfracturen ; zu ihrer Reduction genügt meistens seit- licher Druck. Viel unangenehmer und schwerer zu beheben ist die bei voll- ständigen Knochenbrüchen sich manchmal einstellende active Form der Winkelstellung, d. h. die durch Muskelzug unterhaltene seitliche Deviation. Man beobachtet sie am häufigsten bei hohen Oberschenkel- und Oberarmfracturen, wobei das kleine obere Bruchstück durch die Wirkung der glutaei nach aussen, beziehungsweise durch den pecto- ralis nach innen verzogen und winkelig zum unteren Bruchstücke gestellt und erhalten wird. Man beseitigt diese Deviation ent- weder durch directe Einwirkung auf das obere, oder durch ent- sprechende Stellung des unteren Bruchstückes. Am Oberschenkel, wo die Einwirkung auf die mächtige Glutäalgruppe für die Dauer kaum ausführbar wäre, wählt man den letztgedachten Weg, id est man stellt die Extremität, beziehungsweise das untere Bruchstück in eine solchermassen ausgesprochene Abductionsstellung, dass es in der Achse des oberen zu liegen kommt. Bei Oberarmbrüchen hingegen versucht man den ersten Weg und drängt das obere Bruchstück durch Einlagen in die Achselhöhle vom thorax so weit ab, bis die gleiche Achsenrichtung der Bruchstücke erzwungen ist. Stufenförmige Deviation beobachtet man bei der früher erwähnten, an einknochigen Extremitätsabschnitten vorkommenden Knochenbruchform mit Achsen- verschiebung durch Umrollung, ferner bei Schiefbrüchen der tibia. Letztere charakterisiren sich durch eine besonders hartnäckige Wiederverlagerungstendenz. Die Deviation betrifft in der Regel das obere Bruchstück, welches mit seiner scharfen Kante an die Haut sich stemmt. Schon zur Verhütung von Druckbrand ist eine Coaptations- erhaltung geradezu unentbehrlich. Sie kann auf doppelte Art zu Stande gebracht werden: entweder durch Druck auf das elastisch emporschnellende obere Bruchstück, oder durch die Erhebung des unteren Bruchstückes zur Höhe des oberen. Letzteres gelingt wohl selten für sich allein, zumeist nur unter gleichzeitiger Anwendung continuirlicher Extension. Sicherer ist die erstgedachte Weise und schon Malgaigne pflegte durch Schraubendruck direct einzuwirken. Sein Apparat bestand in einem starken Metallbügel, welcher an der — 266 — Lagerungsschiene so befestigt wurde, dass er die Bruchstelle über- wölbte. Vom Bogen des Bügels ging eine lange Schlüsselschraube senkrecht herab, deren Stab in eine scharfe Spitze endigte, bestimmt, in den schnellenden Knochen gebohrt zu werden, um diesen zu fixiren und nach abwärts zu drücken. Sehr zweckmässig hat Anc/er die Malgaignc sehe Druckvorrichtung dadurch modificirt, dass er der scharfen Spitze gepolsterte concave Pelotten substituirte und die Druckwirkung auf zwei Punkte verlegte, wodurch jene zum Wohle der Haut vertheilt wird (Fig. 81). In Ermangelung solcher Apparate wäre die Anlegung eines gefensterten Gipsverbandes mit entsprechen- der Einlage, welche nachträglich geregelt werden kann, zu empfehlen. Das quergestellte Fenster müsste so ausgeschnitten werden, dass der Fensterrand das obere Bruchstück an der Stelle der vorspringenden Kante überbrückt : durch Fingerdruck wäre dann die Stufendeviation zu beheben und deren Wiederkehr durch eine entsprechende Einlage zu vereiteln, die man zwischen Gipsverband und Haut ausbreitet. Fig. 81. Wäre die Deviation durch äusseren Druck nicht zu beseitigen, so müsste ein im Bruchherde liegendes, die Reduction mechanisch behinderndes Moment angenommen werden, also eine Interposition von Knochenfragmenten, Muskelfleisch, Sehnen etc. Dann wäre ein blutiges Eingreifen absolute Nothwendigkeit, um das be- stehende Hinderniss direct zu entfernen, wenn auch damit die Umwandlung des bisher subcutanen Knochenbruches in einen offenen gegeben ist. Bei percutanen Knochenbrüchen wird die behinderte Coaptations- fähigkeit durch Entfernung primärer Knochensplitter, durch Richtig- stellung verschobener Fragmente, durch Resection etwa vorspringender Kanten und Ecken besorgt, und die Coaptationserhaltung durch Ver- bände, oftmals auch durch directe Vereinigung der Bruchstücke ge- sichert. Man wendet dafür die Knochennaht an; sehr schiefe Bruch- enden können aber aber auch einfach mit Draht aneinander gebunden werden, indem man beide mit einer Drahtschlinge umwindet. Nicht glatt heilende Knochenbrüche können verschiedene Folge- zustände nach sich ziehen; so namentlich ausbleibende Callusbildung. — 267 — Wohl zu unterscheiden ist die bloss verzögerte Callusbildung von der ganz und gar unterbleibenden. Nur letzterer kommt der Name Pseudoarthrose zu. Die Verzögerung der Callusbildung ist nur der Ausdruck einer absoluten oder relativen Hemmung oder Störung der reparatorischen Knochenthätigkeit und schliesst den Begriff des Unfertigen in sich; Pseudoarthrose ist etwas Abgeschlossenes, Fertiges und gibt den Begriff einer entweder ganz fehlenden oder doch nur durch Bandmasse zu Stande gekommenen, folglich weichen Verbindung zweier Knochenenden. In letzterer Form ist dann die Pseudoarthrose ähnlich einer Nearthrose, freilich nur in anatomischem Sinne, denn Nearthrose heisst ja so viel als neues Gelenk; es schliesst dies aber die Nothwendigkeit in sich, dass ein altes vorbestanden habe und das neue an dessen Stelle getreten sei. Pseudoarthrose heisst „falsches Gelenk", also Beweglichkeit an einer Stelle, wo sie de norma nicht vorhanden sein sollte. Die therapeutischen Massregeln, welche bei verzögerter Callusbildung in Anwendung gezogen werden, beziehen sich entweder auf eine Beseitigung der störenden Momente, oder auf eine künstliche Anregung der trägen, schlummernden Gewebsthätigkeit. So bringt man Compres- sion und Fixation der Gliedmasse in Anwendung, oder kräftige Exten- sion, falls in mangelnder Ruhe oder in einer Längsverschiebung der Grund für die unterbliebene Consolidation gesucht werden kann. Zur Anregung der Gewebsthätigkeit im Knochen dienen alle jene Mittel, welche einen Reiz und folgerichtig eine regere Blutzufuhr zum Bruch- herde vermitteln können : also Hautreize, hervorgebracht durch Blasen- pflaster, Jodtinctur, Glühhitze, oder die schon durch Celsus empfohlene Exasperation der Bruchflächen. Letztere, durch mechanische Friction hervorgerufen, kann auf doppelte Art geübt werden: entweder manuell durch forcirte rotirende Bewegungen des unteren Glied- massenabschnittes nebst directem gewaltsamen Verschieben der Bruch- flächen gegeneinander, oder durch spontane Friction beim Ge- brauche der Gliedmasse. Bei oberen Extremitäten kommt meistens nur die manuelle Exasperation in Verwendung, bei unteren beide; natürlich darf der Gebrauch des betreffenden Beines nur bei gleich- zeitiger Fixation der Bruchstücke durch orthopädische Apparate oder starre Verbände gestattet werden. Zur Gruppe der Mittel, welche einen stärkeren Blutandrang zum Bruchherde erregen sollen, zählt auch der von v. Dianreicher zunächst für Pseudoarthrosen der tibia ersonnene bilaterale Druckverband mittelst keilförmiger Longuetten. Diese erregen zunächst Blutstauung der zwischen der peripheren und der centralen Compression in der Mitte liegenden, dem Bruchherde entsprechenden Hautpartie, Avelche passive Hyperämie sich in der Folge auch auf den bezüglichen Periostbezirk ausbreiten und schliesslich die Bruchstücke selbst in Mitleidenschaft ziehen soll. Die Folge dieser wiederholten Blutstauungen, deren Einzeldauer zwar mit Rücksicht auf die Haut zu regeln, aber immerhin möglichst zu verlängern wäre, soll eine raschere Consolidation sein. Den gleichen Zweck will Helfe- rich durch circuläre elastische Constriction mittelst Gummischläuchen erreichen. Er constringirt nur central, natürlich ohne den arteriellen Blutzufluss zu hemmen, und lässt die Constriction anfangs stunden-, später sogar tagelang wirken. Der periphere Extremitätstheil erhält — 268 — einen ret>elrechten Flanellbindendruckverband, um die Oedembildung einzuschränken. Thomas wendet stärkere Percussion der nächsten Bruchherdunigebuno- mittelst Hammerschlägen an und wendet nachher, um die locale Keaction zu verst;irken und zu verlängern, eine temporäre bilaterale Constriction an. Das Verfahren wird nach Bedarf öfters wiederholt, mit oder ohne Narcose, je nach der Gewalt der Percussion. Substanzverluste der Haut contraindiciren selbstverständlich das Verfahren. Wenn eines oder das andere der eben angeführten Mittel in Fällen angeblicher Pseudoarthrose zum Ziele geführt hat, so kann man sicher sein, dass es sich weniger um Pseudoarthrose als vielmehr um verzögerte Consolidation gehandelt habe; bei echter, wirklicher Pseudoarthrose muss viel energischer vorgegangen werden; es muss die Bandmasse zerstört, es müssen die Bruchenden, welche mehr minder sclerosirt sind, angefrischt und direct vereinigt, oder es muss mindestens ein entzündlicher Process in ihnen angeregt werden, welcher zur präparatorischen Knocheneinschmelzung und zur conse- cutiven Bildung einer Knochennarbe führen soll. Hiefür dienen ausser einer versuchsweisen Anwendung der Elektrolyse, eine Reihe von operativen Verfahren, von denen das durch Physich empfohlene Durch- ziehen eines mit reizenden Salben bestrichenen Setaceum durch die Bandmasse, und die Whife'sehe Cauterisation der blossgelegten Bruch- enden mit Kali causticum, Butyrum Antimonii, oder Glühhitze gegen- wärtig kaum in Frage kommen dürften. Heutzutage kann man bei Pseudoarthrose anwenden: 1. Die subcutane Discision der Bandmasse und eine gleichzeitige kräftige Scarification der Knochenenden mittelst starker Tenotome (Blandin^ Biondi). 2. Die Acupunctur (Malgaigne), wobei starke stählerne, eventuell vergoldete Nadeln in die Pseudoarthrose eingestochen und einige Tage darin belassen werden. Meistens ist mehrfache Wiederholung der Procedur nöthig. 3. Die Injection reizender Flüssigkeit in die Substanz der Bandmasse, sei es Jod nach der Formel: Jod puri 1, Aquae 2, Kali jodati q. sat. ad Solutionen! (Azam., Vernenü) oder con- centrirte Carbollösungen (Hüter) \ Burgtiet injicirte sogar Ammoniak. 4. Die subcutane multiple Perforation der Bruchenden mittelst Knochen- bohrer (Brainard). 5. Subcutane bilaterale Perforation der Bruchenden, id est einfache Anbohrung des centralen und peripheren Bruchstückes in einer Entfernung von 1 bis 1 \ o Centimeter vom Bruchherde und nachträgliches Einschlag^en von Stiften in die Bohrlöcher. Dleffenhach empfahl hierzu runde Elfenbeinstifte, welche der Form des Knochen- bohrers zu entsprechen haben und am Ende etwas conisch verjüngt sind, Heineke gibt vergoldeten Stahlnadeln den Vorzug. Die Technik dabei ist folgende : am Vortage der Operation wird ein genau passender Gipsverband angelegt und wenn er trocken geworden, längshalbirt, so dass man zwei starre, genau abmodellirte Hälften gewinnt. Sie werden vor der Operation entfernt. An jener Stelle der künstlich anämisirten Gliedmasse, von der aus man den Knochen am leichtesten erreicht, und welche keine wichtigen Organe birgt (Gefässe und Nerven), wird, gleichwie bei der subcutanen Osteotomie, ein langes, schmales, spitzes Messer durch sämmtliche Deckschichten senkrecht bis zum Knochen eingestochen. Während man nun die Klinge langsam zurückzieht, wird an ihr der Knochenbohrer bis zum Knochen vor- — 269 — geschoben und dieser darauf möglichst tief ein- oder gar durch- gebohrt; schliesslich entfernt man den Bohrer und schiebt rasch den desinficirten Stift nach, der mit einigen Hammerschlägen in das Bohrloch eingetrieben wird. Die Stifte müssen so lang sein, dass sie über das Hautniveau etwas vorragen. Sind beide Stifte eingeschlagen, so wird ein antiseptischer Deckverband angelegt, die starre Verband- hülse angepasst und mit Rollbinden befestigt. Schon beim Modelliren des starren Verbandes muss natürlich auf die Dicke des späteren Deckverbandes Rücksicht genommen werden, und ist hiefür die Extremität mit einem fingirten Deckverbande zu umhüllen. Elfenbein- stäbe werden gleich dem Catgut, wenn auch nach längerer Zeit, vom lebenden Gewebe verzehrt, es bleibt also nach 3 bis 4 Wochen nur übrig, den Stiftrest zu entfernen. Stahlstifte werden gewöhnlich nach drei Wochen locker und müssen dann entfernt werden, f. Langeitbeck wendet conisch zulaufende Stahlschrauben an, bei deren Verwendung nur die Corticalschicht des Knochens angebohrt zu werden braucht, da sie sich den weiteren Weg in die spongiosa selbst bahnen. Die Schrauben besitzen am Kopfende viereckige Fenster, in welche eine Tochterschraube passt. Sie werden am centralen und am peripheren Bruchende in einer und der gleichen Ebene eingebohrt, denn es soll, wenn sie einmal fest im Knochen sitzen, eine viereckige Stahlspange durch beide Schraubenfenster durchgesteckt werden, welche ihrer- seits in verticalen Schräubchen ihre Befestigung findet, wodurch eine directe Fixirung der Bruchenden zu Stande kommt. Die Schrauben werden so lange im Bohrcanale des Knochens belassen, bis durch Einschmelzung der Knochenmasse Lockerung eintritt und sie einfach ausgezogen werden können. Es empfiehlt sich diese Methode der An- bohrung und Stifteinlage, welche eine entzündliche Thätigkeits- steigerung der Bruchenden bezweckt, mit der sub 1 erwähnten zu verbinden. 6. Als die entschieden wirksamste, sicherste und den Postulaten einer Pseudoarthrosenheilung am meisten Rechnung tragende Methode ist eine directe Vereinig'ung der blossgelegten und angefrischten Knochenenden zu bezeichnen. Unter antiseptischen Cau- telen vorgehend, werden an der anämisirten Extremität zunächst sämmtliche Weichtheile, welche die Pseudoarthrose decken, in ge- nügender Länge durchschnitten, selbstverständlich an jener Seite, wo die Deckschichten dünner sind und keine besonders zu schonenden Organe bergen. Die Anfrischung der Bruchenden selbst und deren directe Vereinigung kann auf verschiedene Art vorgenommen werden : sie geschehe mit möglichster Schonung der Bruchenden, einerseits um den betreffenden Extremitätsabschnitt nicht unnöthigerweise zu verkürzen, andererseits um den verschlossenen Markraum nicht zu öffnen; ebenso ist aus bekannten Gründen das Periost gewissenhaft zu erhalten. Man frischt gewöhnlich durch Entfernung der Bindmasse und durch Wundschaben der Bruchenden mit dem scharfen Löffel an, genügt dies nicht, so hobelt man sie mit einem Handmeissel ab; in letzter Instanz resecirt man mit Schonung der Beinhaut beide Enden mittelst Meissel und Hammer, Die Verwendung von Sägen ist weniger zu empfehlen, weil sie eine ausgiebigere Entblössung der Bruchenden erforderlich machen. Die Anfrischungsflächen seien thunlichst congruent, da hiervon die Leichtigkeit und Genauigkeit — 270 — ihrer Coaptirung abhängig ist; ihre Form richtet sich vorzugsweise nach jener der Bruchenden. Hat ein Schiefbruch vorgelegen, so frischt man entsprechend schräge an, oder, wie Ranke es gethan, treppenförmig; bei Querbrüchen, mit Rücksicht auf die Länge, senk- recht zur Knochenachse. Im ersten Falle coaptirt man die wund- gemachten Flächen, bohrt beide in einer Richtung durch und schlägt in das gemeinschaftliche Bohrloch einen Elfenbeinstift ein, dessen vorstehendes Ende man nachträglich abkneipt, oder man bindet sie mittelst einer Metalligatur zusammen, mit der man beide Enden um- windet. Bei senkrechten Knochenflächen bedient man sich der Knochensutur und nimmt hierzu starkes Catgut oder fil de Florence, sicherer noch Silberdraht. Lassen sich die Bruchenden entsprechend diastasiren, so können beide, ihrer Längsachse entsprechend, beispiels- weise auf die Tiefe von je 1 Centimeter angebohrt werden; wird dann ein 2 Centimeter langer, etwas spindelförmig gedrechselter Elfenbeinstift eingetrieben, so kann dadurch eine Zapfen Vereinigung zu Stande kommen. Nelaton hat die Sicherung der Coaptation dadurch erzwingen wollen, dass er das Periost über die vereinigten Knochen- enden zog, sie damit überbrückte und das Periost in verschobener Lage festnähte. Er nannte sein Verfahren: Autoplastie periostique. Joiirdain umschnitt die Beinhaut kreisförmig an jedem Bruchstück, streifte sie mit Hinzufügen eines kurzen Längsschnittes manschetten- förmig zurück, resecirte dann die Knochenenden, coaptirte sie, schob die Periostmanschetten zurecht und vernähte beide so, dass ein mehr weniger continuirlicher Periostcylinder das Resectionsfeld umgab. Da hierbei unnöthig viel Knochen entfernt werden muss, modificirte Bydigier das Verfahren. Er scarificirt bloss die Knochenenden, trennt dann beiderseits in einiger Entfernung davon das Periost in Form je eines kleinen viereckigen oder abgerundeten Lappens durch, hebt jeden sorgfältig vom Mutterboden ab, invertirt die Lappen und ver- näht sie an- oder übereinander. Auch diese Methode hat ihre Nach- theile, weil die vom Knochen sowohl als auch von den Deckweich- theilen losgetrennten Beinhautlappen, die noch überdies umgeklappt werden, leicht der Mortification verfallen können. Ueberhaupt bietet die Nelafon'äche Idee auch bezüglich der Fixirungssicherheit nicht die wünschenswerthe Garantie und hat demnach in der Praxis wenig An- klang gefunden. Frischt man die Bruchenden derart an, dass die Form ihrer Contactflächen eine nachträgliche Verrückung der Coaptations- stellung nicht zulässt, so erweist sich eine specielle directe Vereinigung als überflüssig; man spricht dann von einer automatischen Fixation. Schräge, treppenförmige oder convex-concave Anfrischungen können hierzu dienen. Nicht zu empfehlen ist die Penetration der Fragmente nach Anger, eine Methode, welche in dem keilförmigen Zuschneiden des einen Bruchendes besteht, welches dann, cunei ad instar, gewalt- sam in den Markraum des zweiten Bruchstückes eingetrieben wird. Wenn auch keine weiteren nachtheiligen Folgen daraus hervorgingen, so müsste immerhin eine bedeutende Verkürzung der Gliedmasse resultiren. Für Knochendefecte zweiknochiger Extremitätstheile, wo ein grosser Zwischenraum zwischen den Defectenden besteht und man die Apposition nicht zuwege bringen kann, weil der intacte Neben- — 271 — knochen sie hindert, hat v. Nttsshauvi. eine genial gedachte Operations- methode ersonnen und mit Erfolg ausgeführt, die er Knochentrans- plantation nennt. Er entnahm dem einen Fragmente mittelst Meissel eine der Länge des Defeetes entsprechende periostbedeckte Knochen- leiste, welche nur an der Beinhaut des Fragmentrandes hängen blieb und klappte sie derart um, dass ihre Spitze das untere Fragment berührte. An diesem wurde nun eine passende Einkerbung aus- geschnitten, in welche das Ende der umgelegten Knochenleiste ein- gezwängt wurde, gleich einem geschlossenen Mauthbalken. Künstliche GelenkseröflFnung. Gelenke können sowohl subcutan als auch percutan eröffnet werden; erstere Methode verfolgt momentane, letztere mehr minder dauernde Effecte. Die subcutanen Gelenks- eröffnungen betreffen die Function und die Discission. Die Arthro- punction wird mit Troisquarts oder mittelst Hohlnadeln ausgeführt, letzterenfalls in Verbindung mit Aspiration. Der Zweck der Function kann ein explorativer oder ein curativer sein: explorativ, wenn über die Beschaffenheit einer Flüssigkeitsansammlung innerhalb der Ge- lenkskapsel positiver Aufschluss erbracht werden soll; curativ, wenn man flüssige Exsudate entleeren will, mit oder ohne nachfolgender Gelenksauswaschung, oder wenn man medicamentöse Lösungen zu be- stimmten Heilzwecken in eine Gelenkscavität einbringen will. Jede Gelenkspunction erfordert nebst gesicherter Asepsis die rigoroseste Vermeidung jedes Lufteintrittes in das Innere des Cavum. Dieses Postulat ist bei Anwendung der Aspiration leicht zu erfüllen, schwerer ist es, ihm gerecht zu werden, wenn man mit einem gewöhnlichen Troisquart eine Gelenkshöhle öffnet und ihren Inhalt durch äusseren Druck entleeren hilft. Der Operateur vergesse dabei nie, demjenigen, der die Manualcompression ausführt, dringend ans Herz zu legen, mit der Compression weder nachzulassen noch auszusetzen, so lange die Troisquartcanüle, sei es durch Sperrvorrichtung, sei es durch Finger- verschluss, nicht gesichert ist. Ebenso muss bei Gelenksinjectionen eine etwaige Miteinfuhr atmosphärischer Luft verhütet werden. Die subcutane Gelenksdiscission gehört der vorantiseptischen Zeit an und fand Anwendung zur Entfernung von freien Gelenksmäusen und Fremdkörpern überhaupt. Sie bestand in einer mittelst Tenotoms ausgeführten Discission der Gelenkskapsel über dem mechanisch fixirten Fremdkörper, der dann durch die geschnittene Lücke aus dem Cavum in das paraarticuläre Gewebe gedrängt wurde, gleich dem Steine aus der Pflaume. Man trachtete sodann die Gelenksmaus in ihrer neuen Stätte zu fixiren, entweder mittelst Nadeln, welche durch die Haut eingestochen Avurden, oder mittelst eines Ringes, den man um den Fremdkörper befestigte, und wartete die Verheilung der Kapselwunde ab, bevor man ihn nachträglich durch einen entspre- clienden Hautschnitt entfernte. Seltener operirte man in einem Tempo, wobei die aus dem Gelenke dislocirte Gelenksmaus bei verschobener Haut sofort excidirt wurde. Sowohl die subcutane Discission als aucli die von v. Nusshaum seinerzeit empfohlene subaquose Gelenkseröffnung — 272 — sind durch die Antiseptik zu Gunsten der directen percutanen Ge- lenkseröffnunji' verdräniit worden. Die Arthrotomie wird heutzutage vielfach geübt, so zur Entfernung freier oder sessiler Gelenkskörper oder von aussen eingedrungener Fremd- körper, zur Entleerung septischer Exsudate, ja selbst zur Entleerung von intraarticulären Blutergüssen; ferner behufs Reduction frischer Verren- kungen, wenn Sehnen-, Kapsel- oder sonstige Weiclitheilinterpositionen die Einrichtung unmöglich machen. Bei strenger Antisepsis gelingt es in der Regel, trotz der Arthrotomie dem Kranken dennoch ein be- wegliches Gelenk zu erhalten; das Gleiche gilt für intraarticuläre Osteo- tomien, bei denen die Gelenkseröffnung einen Voract der Knochen- trennung bildet. Die percutane Arthrotomie soll mit Vermeidung jeglicher Blutung ausgeführt werden; man geht schichtenweise prä- parirend vor und stillt genau jede Blutung, bevor man die Gelenks- kapsel spaltet; demgemäss soll dabei der künstlichen Blutleere besser entrathen werden. Bei Gelenkseiterung sind grosse Schnitte an- zulegen, und zwar stets dort, wo die Bedingungen zum freien Secret- abflusse am günstigsten sind. Noch ausgiebigere Zugänglichkeit erfor- dern jene Arthrotomien, welche eine Exstirpation der erkrankten Ge- lenkskapsel bezwecken und von v. Volkmann mit dem Namen Arthrec- tomien belegt wurden. Nach vollzogener Exstirpation vereinigt man die Schnitte theilweise durch die Naht, nachdem für eine entsprechende sichere Drainirung Sorge getragen wurde; das Gleiche kann bei der einfachen Arthrotomie auch gethan werden, wenn die Eröffnungs- schnitte in grosser Ausdehnung angelegt wurden. Die näheren Details der Technik der Arthrotomie und Arthrectomie, welche hauptsächlich am Kniegelenke, seltener am Schultergelenke zur Ausführung kommen, werden im speciellen Theile gegeben werden. Wir können diesen Abschnitt nicht schliessen, ohne einer neu- artigen, durch Albert zuerst vollzogenen und in die Chirurgie ein- gebürgerten Operation zu gedenken, der Arthrodese. Man bezeichnet damit die operative Sperrung eines Gelenkes, die künstliche Hervor- rufung einer Anchylose. Für angezeigt ist die Operation bei solchen paralytischen Gelenken zu halten, die durch eine auf andere Weise nicht mehr zu bessernde Lähmung bedingt sind, wo Schienenapparate zum Stützen und Fixiren der unbrauchbaren Gliedmassen nicht zu beschaffen sind und für Patienten, welche keine Apparate tragen wollen. Die Arthrodese soll die Kranken von Apparaten unabhängig machen. Betreffs der Operationstechnik ist die Ausführung einer tj'-pischen Resection mit nachfolgender Drahtsutur nicht nothAvendig, es genügt vielmehr nur die Abtragung, beziehungsweise Abschabung der Knorpelflächen nebst genauer Coaptationserhaltung durch geeignete Verbände. Die Synovialhaut des jeweiligen Gelenkes kann belassen werden ohne jeden Schaden für den Wundverlauf, sowie für die Anchylosirung, namentlich wenn die Heilung nicht ganz prima inten- tione erfolgt. Die Operation kann an allen Gelenken zur Ausführung kommen, am häufigsten dürften jedoch Knie-, Sprung- und Schulter- gelenke bei Paralyse der Sperrung bedürfen. — 273 — Wolff hat die Arthrodese im Schulter gelenke insofern modi- ficirt, als er an diesem Gelenke eine vollständige Anch3^1ose nicht als nothwendig und zweckentsprechend erachtet, sondern nur eine dauernde Annäherung der zwei diastatischen Gelenksenden anstrebt. Er meint, dass Diastase der elektrischen und mechano-therapeutischen Behandlung des Muskelschwundes so unüberwindliche Hindernisse entgegenstellt, dass man sie zuerst beseitigen müsse, um dann die gedachte Behandlung erfolgreich unternehmen zu können, Wolff arthro- tomirt, belässt die Knorpelflächen intact und hält sie einfach durch eine Knochensutur in Apposition: er bezeichnet seine Methode als Arthroraphie. Er erzielt damit eine beschränkte Beweglichkeit, welche für das Schultergelenk in jeder Beziehung einer Anchylosirung vor- zuziehen ist, namentlich wenn es später gelingt, der atrophischen Schultergürtelmusculatur etwas Kraft und Thätigkeit wiederzugeben. Für die untere Extremität bleibt die vollständige künstliche Anchjdo- sirung jedenfalls die zweckmässigste und daher mit allen Mitteln anzustrebende Therapie. VI. Verfahren bei traumatischen Verrenkungen. Der grösseren Klarheit wegen wollen wir die Verrenkungen in subcutane und percutane, in frische und veraltete eintheilen. Die allen gemeinschaftliche Therapie bildet das Bestreben, die dauernd,^ Verlagerung durch Wiederein- richtung, id est Coaptirung der Gelenksenden zu beheben. Die Art und Weise der Einrichtung variirt je nach dem Gelenke, je nach der Richtung der Verlagerung, endlich je nach dem Quäle der Verrenkung bezüglich ihrer Dauer und etwaigen Beigabe von Complicationen. Da hier von den Reductionsverfahren nur im Allgemeinen die Rede sein kann, so mögen nur jene Hindernisse betont werden, welche allen Verrenkungen gemeinschaftlich zukommen. Diese sind vor Allem das Verhalten der Kapsel und der accessorischen Gelenksbänder, in zweiter Linie etwaige Zwischenlagerung von Sehnen, Fascien oder Knochen, seien es nun abgesprengte Fragmente oder ossicula sesa- moidea, in dritter Linie der Muskelwiderstand, welcher, obzwar vor- nehmlich in temporären (jeweilig erregten) activen Contractionen sich kundgebend, dennoch ganz gewaltige Hindernisse abzugeben vermag. Diese Contractionen stellen Reflexe dar, welche durch die geringsten Momente: Untersuchung, Berührung des Thciles, ja selbst durch die blosse Aufmerksamkeit des Kranken auf die Vorgänge, deren Object er ist, unwillkürlich hervorgerufen werden. Wenn eine absichtliche Diversion der Psyche durch Fragen, Ausschelten, plötzliches Er- schrecken u. dgl. nicht gelingt und die Muskelcontraction stärker als die angewandte Reductionskraft bleibt, so erübrigt kein anderer Ausweg als die Xarcose. Legros und Anger empfehlen an Stelle der Xarcose, den Muskelwiderstand durch einen 30 Minuten lang fort- gesetzten permanenten elastischen Zug mittelst Kautschuksträngen zu überwinden, welcher einem Gewichte von 15 Kilogramm ent- sprechen soll, während Gaülard das Gleiche durch eine Gewichts- extension erzielen will. V. Mosetig-Moorhof: llaii.lbuch d. Chirurg. Technik. 4. AuU. 18 — 274 — Die Einriehtunu" frisch entstandener Luxationen soll baldigst vor- genommen worden; jede Yerz(")(i:eriinii kann von Nachtheil sein. Die dazu dienlichen Verfahren beruhen in gewissen Bewegungen und Manipu- lationen, die man mit dem peripheren Gelenksende vornimmt, während die centrale Gelenkscomponente sicher fixirt wird. Einzeln für sich betrachtet und analysirt, setzen sich die Manipulationen zusammen aus: Extension^ Elevation, Flexion, Rotation, endlich aus seitlichen Druck und Hebell)ewegungen, deren isolirte, oder gewöhnlicher com- binirte Anwendung durch den Standort der Verlagerung und durch das Verhältniss des luxirten Gelenksendes zum Kapselriss, also mit einem Worte, durch anatomische Momente bestimmt Avird. Die Fixirung des centralen Theiles erfolgt meistens durch die Hände kräftiger Gehilfen, welche entweder direct den Theil umfassen, oder indirect mittelst zügelartig den betreffenden Körpertheil umfassender Tücher einen entsprechenden Gegenzug ausüben. Die Wahl entscheidet die Zweck- mässigkeit und dieLocalität; es kann die Fixation auch dadurch bewerk- stelligt werden, dass der Körpertheil an eine feste, unverrückbare Unterlage gebunden, beziehungsweise mit Händegewalt gegen eine solche gedrückt wird. Zum Binden werden gemeiniglich cravattenförmig breit zusammengefaltete Betttücher verwendet. Bei gewissen Luxationen kann selbst das Körpergewicht als Belastungsmittel dienen und zur Fixation, beziehungsweise Contraextension, verwendet werden. Zur Ausführung der Manipulationen am peripheren Theile wird Händekraft oder Maschinenzug verwendet. Bei frischen Luxationen genügt wohl die Händekraft eines Gehilfen; wäre dies nicht der Fall, d. h. würde sie erfolglos bleiben, so muss die Schuld des Nichterfolges nicht gerade in ihrer Insufficienz gelegen sein. Erfahrungsgemäss ist es viel richtiger anzunehmen, dass dann die Kraft entweder nicht richtig zur Action gekommen sei, oder dass die jeweilige Manipulationsmethode für den speciellen Fall nicht getaugt habe, endlich dass Complicationen das Einrenkungshinderniss abgeben. Für Elevation, Flexion und Rotation kann die Händekraft direct zur Action gelangen, vorausgesetzt, dass der Theil nicht zu klein sei, um sicher und ausgiebig umfasst werden zu können; bei Fingerverrenkungen sind beispielsweise hierzu eigene Fasszangen oftmals nothwendig. Zur Extension, insbesondere wenn die Summe der erwarteten Widerstände voraussichtlich eine grössere Zug- kraft erforderlich macht, wird es gerathener sein. Zugschnüre anzu- machen, welche eine bequemere und kräftigere Entfaltung der Armkraft erlauben. Die Zugkraft selbst soll stetig sein und allmälig gesteigert werden, plötzliches Anziehen und Nachlassen, mit einem Worte, jedes Anreissen ist strenge zu meiden, da es den Muskelwider- stand anregt und steigert. Die Stelle, wo die Kraft anzugreifen habe, bestimmt die Localität der Verrenkung. Bei freier Wahl über mehrere Stellen pflegt man wohl jene zu wählen, welche dem luxirten Gelenke zunächst gelegen ist. Auch die Art und Weise der Anbringung der Zugschnüre variirt nach der Localität. Wird der Zug senkrecht zur Achse des luxirten Knochens in Action gebracht, dann genügt es, eine Cravatte in Form einer einfachen Schlinge um den Extremitäts- theil zu legen und die Tuchenden als Zugschnüre zu benützen. Anders müssen die Zugschnüre angemacht werden, wenn der Zug in der Richtung der Knochenachse wirken soll. In diesem Falle müssen die — 275 — Schnüre vor Allem so sicher an Ort und Stelle befestigt werden, dass sie nicht abgleiten; auch dürfen sie die Haut nicht schädigen. Man bedient sich daher nicht, gewundener, fester Hanfstricke, sondern pflegt lange Wollstränge zu benützen, deren Fäden parallel zu einander liegen und nur streckweise ringartig ganz locker umwunden sind. Nehmen wir beispielsweise an, es wären die Zugstränge an einem Oberarm anzumachen behufs Reposition eines luxirten Schulter- geienkes, so müsste am Oberarme zunächst eine Schutzhülle für die Haut angelegt werden, bevor man die Wollstränge anbindet. Dazu dient eine Leinwandcompresse, Avelche man zunächst glatt der Länge nach faltet und, nachdem sie in Wasser ausgerungen ist, stramm am Oberarme anlegt. Auf diese Compresse werden nun die Wollstränge, am besten zwei mittelst Doppelschlingen so angelegt und fest ange- zogen, dass die Strangenden längs der Aussen- und Innenfläche des Oberarmes, den gebeugten Vor- derarm zwischen sich fassend Fig. 82. nach abwärts laufen (Fig. 82). Früher noch eine Rollbinde um die Extremität anzulegen, um der Compressionsstauung ent- gegenzuwirken, ist bei frischen Verrenkungen, wo die compri- mirenden Zugstränge nvir kurze Zeit an Ort und Stelle weilen, nicht nothwendig; wohl würde aber die Rollbinde entschieden angelegt werden müssen, wenn eine länger dauernde Extension in Aussicht stünde, wie dies manchmal bei veralteten Luxa- tionen der Fall ist; da müsste wohl der Blutstauung gedacht werden, um unnöthige Ecchy- mosen der Peripherie hintan- zuhalten. Die gleiche Technik gilt für die Befestigung von Zugsträngen am Oberschenkel; nur in der Form der UnterlagscomiDresse obwaltet dabei ein Unterschied. Dar Oberschenkel verjüngt sich von oben nach abwärts, ein Umstand, der ein Abgleiten der Compresse wesentlich erleichtert; um nun der Umfangsdifferenz des Schenkels Rechnung zu tragen und sie etwas auszugleichen, pflegt man die Unterlagscompresse zu graduiren und dann so anzulegen, dass der dickere Compressenrand nach unten, der dünnere nach oben zu liegen kommt. Das Gelingen der Einrichtung gibt sich durch einen fühlbaren Ruck und oftmals auch durch ein deutliches trockenes Geräusch kund — Einschnappen. Wenn Interpositionshindernisse obwalten, welche alle Repositions- versuche vereiteln, so bleibt nichts übrig, als die Deckweichtheile zu spalten und nach direct beseitigtem Hindernisse die Einrenkung zu Stande zu bringen. Der Eingriff ist bei aseptischem Wundverlaufe weder gefährlich noch von üblen Folgen begleitet, da dem Gelenke die Beweglichkeit erhalten bleibt. Offene Luxationen sind nach exacter IS* ^^'^^tfßfffS — 27Ö — Fig. 83. Antisepsis ebenso zu behandeln; nur wenn letztere nicht sieher aus- führbar wäre, der Gelenkskopf durch das Trauma wesentlich «»elitten hätte, oder endlich, wenn die Verletzung schon längere Zeit bestünde, wäre die einfache Reduction nach zweckdienlicher Erweiterung der bestehenden Wunde nicht zu empfehlen, sondern es müsste dann das nackt vorstehende Gelenksende abgetragen, resecirt werden, da der replacirte Gelenkstheil bei eintretender Eiterung dem Secretabflusse im Wege stehen und eine entsprechende Drainage kaum nach Wunsch gelingen möchte. Wäre die Verrenkung mit einer Fractur des betreffenden verlagerten Extremitätsknochens complicirt, so müsste zunächst durch genaue Anpassung eines resistenten starren Verbandes ein zeitlicher Continuitätsersatz geschaffen werden, um überhaupt mit dem ge- brochenen Knochen die Einrenkungsmanipulationen vornehmen zu können. Hätte der Knochenbruch nahe dem Gelenksende stattgefunden, und wäre demnach die Anlegung eines Fixir- verbandes unmöglich, so empfiehlt sich, falls die Reposition des abgebrochenen Kopfes durch directen Druck nicht gelingt, entweder dessen Enucleation oder die Apposition der Bruch- fläche des Schaftes an die Pfanne, mit Um- gehung des abgebrochenen Kopfes. Bei veralteten Verrenkungen ist das Gelingen der Reduction stets zweifelhaft und um so schwieriger, eine je längere Zeitperiode seit der Einwirkung des Trauma verflossen ist. Nachdem aber bekannt ist, dass Einrichtungen von Luxationen gelangen, deren Bestand sich auf 2, ja nach Coo'per sogar auf 5 Jahre belief, so wird namentlich bei Kugelgelenken ein Reductionsversuch immerhin gerechtfertig sein, wenn auch dabei die Prognose stets mit Reserve zu stellen ist. Die Einrenkung hat bei veralteten Luxationen mit ungleich schwerer zu behebenden Hindernissen zu kämpfen, welche hauptsächlich in einer organischen Verengerung des Kapsel- risses und in jenen bindegewebigen Verwach- sungen gelegen sind, welche das verlagerte Gelenksende in der Zwischenzeit mit der Umgebung eingegangen hat. Bei gar alten Luxationen kommt auch die Verödung der Gelenkspfanne zur Geltung. Es ergibt sich aus dem eben Gesagten, dass die Be- wegungen und Manipulationen, welche behufs Einrenkung vorzu- nehmen sind, mit ungleich grösserer Gewalt in Action treten müssen als bei frischen, um den Kapselriss auszudehnen, die retrahirten Bänder zu elongiren und die bindegewebigen Adhäsionen zu trennen Das Quäle der Manipulationen variirt nicht wesentlich von den bei frischen Verrenkungen üblichen; auch hier wird theils extendirt, theils rotirt, flectirt, circumducirt, elevirt etc. Die Extension erfordert eine längere Wirkungsdauer und einen kräftigeren Zug, der aber nicht übermässig sein darf, um nicht Schaden zu bringen, und nicht ruck- weise, sondern stetig entwickelt werden muss. Sedillot hat nach viel- fachen Versuchen und Experimenten als Maximalzug ein Gewichts- — 277 — äquivalent von -200 Kilogramm bestimmt und gerathen, den Zug- strängen einen Dj'namometer einzuschalten, der jeweilig genau die angewendete Zugstärke abzulesen gestattet. Als Zugkraft verwendet man entweder eine oder mehrere Personen, welche an den Strängen ziehen, oder zweckentsprechender einen viel stetiger wirkenden Flaschenzug, welcher einerseits in die zusammengeknoteten Zug- stränge, andererseits an irgend einem festen Gegenstande eingehakt wird, während der Operateur die Zugschnur wirken lässt (Fig. 83). Die Wirkung des Flaschenzuges ist eine bedeutende, man hört dabei krachende Geräusche in Folge Zerreissens von Adhäsionen — ein plötzliches Einschnappen kommt aber dabei nicht vor. Erst die Her- stellung der normalen äusseren Gelenksform bezeugt die gelungene Einrichtung. Während der extendirenden Wirkung des Faschenzuges kann die Coaptation nicht erfolgen; es ist daher geboten, den Zug sofort aufhören zu machen, sobald eine deutliche Verschiebung des Gelenksendes aus seiner verlagerten Stellung wahrgenommen wird. Die Einrenkung erfolgt dann von selbst, oder während einer Rotations- bewegung. Eine Beweglichmachung des dislocirten Gelenksendes kann aber auch ohne Extension vollzogen werden, nämlich durch stärkere Ro- tationsbewegungen und Drehungen des verrenkten Knochens um seine Längsachse, ein Verfahren, welches von Eichet unter der Bezeichnung .Taraudage" (tarauder, das Eindrehen einer Schraube) beschrieben und empfohlen wurde. Des Häufigsten werden die verschiedenen Manipulationen combinirt oder abwechselnd entfaltet. Wenn frische oder veraltete Luxationen allen Versuchen trotzen und sich als irreponibel erweisen, muss auf blutig operativem Wege abgeholfen werden. Zu den üblen Zufällen bei und nach den Repositionsversuchen traumatischer Luxationen zählen: Verletzung der Hautdecken, sub- cutane Muskel- und Sehnenzerreissungen, Zerreissung grosser Gefäss- oder Nervenstämme, Knochenbrüche, Ohnmächten und plötzliche Todes- fälle. Ä. Giierin hat es sogar erlebt, dass bei der Einrichtung einer 3 Monate alten Luxatio humeri durch vier Gehilfen, welche an einer um das Handgelenk befestigten Zugschnur zogen, der Vorderarm im Ellbogengelenke ganz abgerissen wurde. FÜNFTEE ABSCHNITT. Allgemeine Verb and lehre. I. Capitel. Lagerung und Lagerungsapparate. Eine bequeme, reine und zweckentsprechende Lagerung zählt gewiss zu den Hauptpostulaten einer richtigen chirurgischen Hygiene. Für die Reinheit des jeweiligen Lagers bürgen ein häufiger Wechsel der Bett- und Leibwäsche, impermeable Bett- und Tüchereinlagen; für die zweckentsprechende Körperlage sorgen Polster, Stützen etc. Alles dies ist wohlbekannt, nur über die Bedeutung des Wortes „bequem" ist man bezüglich dessen Anpassung auf ein chirurgisches Bett nicht immer im Klaren. Das herrlichste, breiteste, mit elastischem Federeinsatze und Doppelmatratze ausgestattete Himmelbett wäre bei- spielsweise für einen Kranken, der ein Bein gebrochen, höchst unbe- quem, indem die bei jeder Bewegung des Körpers ausgelösten Schwan- kungen der Unterlage sich der gebrochenen Gliedmasse mittheilen und deren Ruhe stören; auch würde die Breite des Bettes die Wartung und Pflege des Kranken hindern, oder mindestens äusserst mühsam gestalten. Chirurgisch Kranke sollen in Betten untergebracht werden, welche nicht zu breit, von allen Seiten her zugänglich und mittelhoch sind. Federeinsätze sind verwerflich, stramme Drahtmatratzen zweck- dienlicher, obwohl auch diese für Knochenbrüche der unteren Glied- massen häufig zu elastisch sind und der Körperschwere nachgebend muldenförmig einsinken, wodurch die Sicherheit der Lagerung einige Einbusse erleidet. In allen Fällen also, in denen eine besonders ruhige Körperstellung nothwendig ist, wähle man nicht elastische Betten. Eiserne Bettgestelle sind, der Reinlichkeit und ihrer relativen Niedrigkeit halber, namentlich in Krankenhäusern wünschenswerth, wo es sich häufig um die Anbringung von Rollapparaten behufs continuirlicher Zugwirkung handelt. Vorrichtungen, an denen der Kranke sich durch eigene Händekraft emporziehen und aufsetzen kann, sind wünschenswerth, ebenso die bekannten stellbaren Rücken- — 279 — pulte, welche eine zeitweise bequeme halbsitzende Lage im Bette er- möglichen. Aeusserst wichtig und manchmal schwer ausführbar ist die Umbettung des Kranken, sei es, dass es sich um ein Uebertragen in ein frisches Bett handelt, oder nur um ein Emporheben und Empor- halten des Kranken aus seinem Bette für jenen Zeitabschnitt, welcher nothwendig ist, um es frisch zu überziehen, einen Decubitus zu ver- binden etc. Bei recht schweren Fällen ergibt sich die Nothwendig- keit, den Kranken ohne Aenderung seiner horizontalen Lage aus dem Bette zu heben, und zwar mit so gieichmässiger Unterstützung, dass dabei jede Schmerzerregung unterbleibt. Es sind zu solchem Zwecke eine ganze Reihe prachtvoller Maschinerien ersonnen worden, welche aber ihrer Kostspieligkeit und Complicirtheit wegen doch nur be- rufen sind, in grossen reichdotirten Krankenanstalten zu fungiren; ich nenne beispielsweise nur den Krankenheber von Base. Man kann und muss sich aber oftmals mit Improvisationen behelfen, die überall mit Leichtigkeit herzustellen sind. Eine solche habe ich bei Mafhieu gesehen und kann sagen, dass sie während der Belagerung von Paris in den Ambulanzen die besten Dienste leistete. Der Apparat bestand aus einem Holzrahmen und einer beliebigen Anzahl breiter Gurten- stücke, deren Enden zu Oesen umgebogen und vernäht waren. Bei Benützung werden zunächst die Gurten quer unter den Kranken ge- schoben, in jener Anzahl und an allen jenen Körperstellen, welche zur Belastung am geeignetsten dünken; sind alle Gurten am Platze, so werden zunächst durch sämmtliche Oesen je eine laterale starke Holzstange durchgeschoben, hierauf die Stangen auseinander gedrängt und die Stangenenden in zwei durchlöcherte Querhölzer gesteckt, Avodurch der viereckige Holzrahmen fertig zusammengestellt erscheint. Da nun die Querhölzer die Länge der Gurtenstücke besitzen, so resultirt daraus, dass im Holzrahmen die Gurten gleichmässig ge- spannt bleiben müssen. So wird ohne den Kranken zu rühren, unter ihm ein tragfähiges Gurtengerüste zusammengestellt, auf dem er durch zwei Gehilfen vom Bette aufgehoben und beliebig lange in unverrückter horizontaler Lage gehalten, ja eventuell auch in andere Räume übertragen werden kann. Bei der Rücklagerung ins frische Bett Avird in umgekehrter Reihenfolge verfahren. Zunächst legt man den Rahmen mit dem darauf befindlichen Kranken auf das Bett, ent- fernt sodann langsam und gleichzeitig beide Querhölzer, zieht die Stangen aus den Oesen und hat damit den Rahmen beseitigt. Die Gurtenstücke können sodann mit Leichtigkeit unter dem Körper des Kranken weggezogen werden. Der elastischen Gummipolster und Gummimatratzen bedient man sich öfters bei Kranken, welche an den bekannton Körperstellen auf- gelegen sind, oder an denen Decubitus droht. Polster und Matratzen oder Matratzentheile stellen verschieden geformte Gummisäcke dar, welche mit einem sperrbaren Metallverschluss ausgestattet sind. Die Füllung des betreffenden Sackes geschieht mit Luft oder mit Wasser je nach Wunsch. Polster werden der Leichtigkeit wegen mit Luft, Matratzen mit Wasser gefüllt, am besten zur Hälfte oder zu zwei Dritttheilen des Rauminhaltes, um die gewünschte Nachgiebigkeit und Elasticität nicht zu beeinträchtigen. — 280 — Zur Lagerung von Extremitäten dienen tlieils Polster, theils eioene zweckdienlich geformte Geräthe; seltener bedient man sich gewöhn- licher Kopfpr)lster, meistens wird Häckerling- oder Sandkissen der Vor- zug gegeben, weil ihr verschieblicher Inhalt leichter der Form der Gliedmasse sich adaptirt, wodurch deren Lage bequemer sowohl als auch gesicherter sich gestaltet. Die Bereitung eines solchen Kissens oder Polsters ist einfach genug und überall möglich. Man nimmt einen gewöhnlichen Kopfpolsterüberzug oder, falls dessen Grösse und Form nicht entspräche, lässt man aus einem zusammengelegten Bett- laken einen viereckigen Sack nähen, an dem vorläufig die eine Schmal- seite zum Theile offen gelassen wird. Durch die Lücke wird Häcksel oder feiner durchgesiebter Sand eingefüllt und der Sack nunmehr vollends zugenäht. Man legt nun den Häckselpolster auf das Bett, drückt mit dem Arme eine der Form der Extremität entsprechende Halbrinne ein und lagert in diese das kranke Glied. Sandsäcke geben der Lagerung eine grössere Sicherheit, sind aber im Ganzen und Grossen ihres enormen Gewichtes halber weniger beliebt. Es kann Fig. 84. jedoch auch bei Benützung von Häckerlingkissen diesen dadurch eine grössere Fixirfähigkeit verliehen werden, dass man, nach darauf gelagerter Gliedmasse, zwei entsprechend lange Hölzer von pris- matischer Form zwischen Kissen und Unterlage presst und diese sammt dem Kissen mit Tüchern um die Gliedmasse herum circulär festbindet. Zu den Lagerungsgeräthen zählen die sogenannten Lagerungs- sohienen und die verschiedenen Plana inclinata. Erstere sind entweder vorgebildet und dann in der Regel aus Blech; meistens finden sie Anwendung für untere Gliedmassen und bilden dann eine mehr minder gekehlte, verschieden lange Halbrinne mit einer flachen Sohle und einem Ausschnitte für die Ferse, f. Volkmann hat die seinerzeit von Petit angegebene Blechschiene so vorzüglich umgestaltet, dass sie fast allgemein Verwendung findet (Fig. 84). Durch ihre Querstütze macht sie sowohl Häckselpolster als auch den sogenannten Steigbügel ent- behrlich, der bei der ursprünglichen Pe^iV'schen Schiene geradezu noth- wendig war. Die Stellbarkeit der v. Volkmann' sehen Schiene zur Querstütze gestattet auch eine Regelung der jeweiligen Schienenelevation. Lage- rungsschienen für die obere Extremität sind zumeist aus Holz und dann den Umrissen eines Armes bei stumpf- oder rechtwinkeliger Beugung im — -281 — Ellbogengelenke entsprechend geschnitten ; der runde Ausschnitt ist für den epicondylus humeri internus berechnet, der leicht Decubitus her- vorrufen könnte, wenn er längere Zeit auf einer harten Unterlage lasten würde. Soll die Extremität zugleich elevirt bleiben, so müssen der Lagerungsschiene noch zwei mit einem Messingstabe verbundene Hohl- kehlen nebst einem Suspensionsringe zugegeben werden (Fig. 85 a) erstere als Stützen für die Ulnarfläche des Vorder- und die Rückwand des Oberarmes. Lagerungsschienen müssen immer sorgfältigst gepolstert, oder, wie der technische Ausdruck lautet, „gefüttert" werden, damit die Extremität weich und bequem darauf liege; namentlich soll darauf Rücksicht genommen werden, dass die Polsterung der Lagerfläche des betreffenden Extremitätstheiles annähernd entspreche, d, h. den bezüg- lichen Wellenlinien Rechnung trage, indem es wünschenswerth ist, dass die Extremität der Unterlage überall gleichmässig aufliege. Knochen vorsprünge erfordern besondere Sorgfalt. Es wurde schon erwähnt, dass die Beinschienen sowohl als auch die Armschienen an jenen Stellen, wo die Ferse, beziehungsweise der epicondylus cubiti zu liegen kommen, lochförmige Ausschnitte besitzen, damit der Druck geringer ausfalle und die Fütterung sich aushöhlen könne. Trotz- dem gibt bei längerem Krankenlager namentlich die Ferse dem Patienten sowohl als auch dem Chirurgen viel zu schaffen, um dem brennenden Schmerze abzuhelfen und Decubitus zu verhüten. Es wird beiden dadurch zu steuern getrachtet, dass man die Druckstätte wechselt und den jeweilig schmerzenden Theil temporär entlastet. Ich pflege meistens die Fütterung des Fersentheiles separat zu machen, id est unabhängig von der übrigen Schienenfütterung, und zwar mit Ein- haltung eines geringen Abstandes zwischen beiden, so dass eine Verschiebung der Fersenpolsterung für sich allein vorgenommen werden kann, ohne dass die Schienenfütterung deswegen ausser Platz gerathe, und ohne dass es nothwendig wird, die Extremität von der Schiene abzuheben. Schmerzt der Fersenhöcker, so wird die Polsterung so weit nach aufwärts geschoben, bis dieser vom Drucke befreit ist; schmerzt später die folgeweise stärker gedrückte Haut der Achilles- sehnenregion, so wird die Polsterung wie ursprünglich wieder herab- gerückt, die inzwischen ausgeruhte Fersenhaut neuerdings als Stütze genommen und dafür die Achillessehne entlastet. Diese abwechselnde Verschiebung der Fersenpolsterung kann wohl jede halbwegs intelli- gente Wartperson jeweilig besorgen. Dieses vielfach erprobte Ver- fahren ist immer und überall ausführbar und daher auch praktischer als die gewissen, eigens fabricirten Gummifersenpolster, welche Hohl- ringe darstellen, die man mit Luft oder Wasser, gleich den bekannten Sitzkissen, beliebig aufblasen oder anfüllen kann. Als Fütterungsmaterial kann verschiedenes Zeug genommen werden, so Leinwand, beziehungsweise Compressen, Watte, Werg, Jute etc.; bei gleichzeitig vorhandenen Wunden ist ein antiseptisches Material vorzuziehen. Für Fälle, bei denen wegen vorhandener Wunden auch das Lagerungsmaterial den Charakter strengster Asepsis tragen soll, hat Ghick Schienen empfohlen, welche aus Glas gefertigt sind und daher eine fast absolute Reinlichkeit und Des- infection ermöglichen. Selbst -PefZ/'sche geformte Beinschienen sind aus Glas verfertigt worden. Ist einmal die Extremität auf die wohl- — 282 — o-epolsterte Schiene bequem gelagert, so ])in(let man beide entweder durch Rollbinden oder durch Tücher zusanunen. Bei der unteren Extremität erfordert die scharfe Kante der tibia eine eigene obere Längspolsterung, wozu eine gefaltete, nicht zu dicke Leinencompresse sich'' am besten eignet. Die Rollbinden führt man um die Schiene und Gliedmasse von unten nach aufwärts und verwendet dazu Calicot, Leinen oder Flanell, je nach Vorrath, Wunsch und Bedarf. Die Be- festigung durch Tücher erfolgt in gleichmässigen Abständen: je ein dreieckiges Tuch wird in Cravattenforni gebracht, die Mitte der Cravatte auf die Gliedmasse gelegt, die Enden um die Schiene geführt, alldort bei massiger Anspannung gekreuzt und schliesslich über die Cravattenmitte niit Knoten und Schleife geschlossen. Die Anzahl der so oestalteten Cravattenringe richtet sich nach der Länge der Extre- Fig. 85. mität; zum mindesten ist eine Dreizahl noth wendig. An der unteren Extremität sitzt jene Cravatte, welche den Fuss an das Sohlenstück der Schiene befestigt, am besten in Form einer Achtertour, so dass ein Ring über den Fussrücken zieht, der zweite die Knöchelgegend umfasst. Lagerungsschienen für den Vorderarm werden des Häufigsten aus Pappe fabricirt. Fig. 85 & stellt ein diesbezügliches Modell vor. Die in der Chirurgie gebräuchlichen Plana inclinata stellen ent- weder einfache oder doppelte Schiefebenen dar. Als einfache Schief- ebene — Planum inclinatum simplex — dienen einfache gerade Holz- schienen, welche auf einem Unterlagsbrette entweder in einem gegebenen Winkel festgezimmert sind, oder deren Verbindung mit dem Brette durch ein Charnier hergestellt ist, so dass der Winkel nach Belieben geregelt und durch eine Stellvorrichtung gesichert werden kann. Auch v. Volkmcmn's in Fig. 84 dargestellte Blechschiene — -283 — gestattet ganz wohl die Herstellung einer einfachen Schiefebene für die untere Extremität, wenn bei entsprechender Länge die Verbin- dung des Sohlentheiles mit dem Stützstabe hochgestellt und mittelst der Schraube fixirt wird. Als doppelte Schiefebene — Planum incli- natum duplex — verwendet man für gewöhnlich dreieckige gesteppte Rosshaarpölster, wie sie von Stromeicr für die obere, von Böttcher für die untere, beziehungsweise bei grösserer Breite, für die unteren Extremitäten angegeben wurden. Das Planum inclinatum duplex wird oftmals nicht nur zur Lagerung eines Beines, behufs Ruhig- stellung desselben oder zur Entspannung des ileopsoas der betreffen- den Seite, sondern auch zu Extensionszwecken im Bereiche des Oberschenkels verwendet. Denkt man sich jene Fläche des Planum, welche den Oberschenkel aufnehmen soll, etwas verlängert, so wird der obere Grat des Apparates etwas unterhalb der Kniekehle zu stehen kommen; beugt man nun den Unterschenkel, so wirkt dieser gleich- sam nach Art eines einarmigen Hebels und übt einen Zug auf den Ober- schenkel aus, der noch verstärkt wird durch die contraextendirende Fio-. 8(5. Belastung des Beckens. Stehen nicht entsprechend hohe Plana zur Verfügung, so kann durch eine entsprechende Erhöhung der Unter- lage, welche die Basis des Polsters trägt, dem Mangel abgeholfen werden. Im Nothfalle lassen sich Plana duplicia extemporiren, und zwar durch einen oder zwei Kopfpolster, welche man winkelig ein- biegt und in dieser Lage mit Tüchern festbindet. Dolsnn empfiehlt ein einfaches, beliebig zu erhöhendes Holzgestelle, welches quer zur Bettachse unter die Matratze gegeben wird, wodurch diese hügelig emporgehoben wird und ein Planum inclinatum duplex für beide Beine abgibt. Stellbare doppelgeneigte Ebenen werden aus je drei Holzlatten angefertigt, welche untereinander durch Charniergelenke articuliren und zu einander in Dreieckform gebracht werden können, dessen jeweilige Winkelhöhle durch einen Falzmechanismus geregelt werden kann. White, Roux, Esmarch u. A. haben derlei stellbare doppelt geneigte Ebenen angegeben. Zu den Lagerungsapparaten müssen schliesslich noch gezählt werden: die von Bonnet eingeführten Drahtrinnen — gouttiere — welche für untere und obere Extremitäten, ja für den ganzen Körper passend, früher vielfach in Verwendung gestanden sind. Gegenwärtig — 284 — sind sie weni^ mehr in Gebrauch, ebenso wenig als die älteren Bein- und Armladen, die seinerzeit von Heister, Scheuer u, A. angegeben worden sind. Oftmals ist es erwünscht, von einer Extremität die directe Be- deckung und Belastung durch die Bettdecken abzuhalten, ohne dabei den Körpertheil ganz blosszulegen. Man benützt hiefür die sogenannten Reifenbahreu, durch welche die betreffende Extremität überwölbt werden kann und welche die Last der Bettdecke tragen. Fig. 86 stellt die gebräuchlichste Sorte solcher aus Holz gefertigter Apparate dar. Im Nothfalle behilft man sich mit einfachen Fassreifen, deren Enden man seitlich zwischen Bettpfeiler und Matratze steckt; auch lange Kistchen oder Schachteln können im Nothfalle hiefür verwendet werden, wenn man aus ihren Schmalseiten entsprechend grosse Rund- bögen ausschneidet. II. Capitel. W u n d V e r e i n i g u n g s V e r b ä n d e. Jene Verbände, welche eine Wundvereinigung anstreben, be- zwecken einen Ersatz für die blutige Naht; ihre Anwendung wird deshalb hie und da noch mit dem Namen „unblutige Naht' bezeichnet. Je nachdem nun eine frische oder eine granulirende Wunde damit vereinigt wird, spricht man, in Uebereinstimmung mit der Nomen- clatur der blutigen Wundnaht, von einer primären und secundären unblutigen Naht. Häufiger jedoch haben die bezüglichen Verbände weniger den Zweck Wunden zu vereinigen, id est zwei Wundflächen in innigste gegenseitige Berührung zu bringen und zu erhalten, sondern sie erstreben vielmehr eine Annäherung der Wundflächen, also eine Verkleinerung der Wundspalte und concurriren darin mit den sogenannten Distanznähten, welche das Gleiche beabsichtigen. Die Wirkungsweise der unblutigen Naht beruht in einer Zuziehung der Umgebungshaut; es folgt daraus, dass ihre Wirkung mehr minder nur auf die Oberfläche allein beschränkt ist. Tiefe Wunden könnten nur dann beeinflusst werden, wenn sich der Zuziehung gleichzeitig eine Constriction hinzugesellt und hiefür müssten die Verband- geräthe einerseits den Körpertheil circulär umfassen und die Wunde andererseits die Circumferenzebene kreuzen. Die Constriction hat aber periphere Circulationsbehinderung zur Folge, wenn nicht ein adäquater allseitig wirkender Druck die Peripherie vor der Stauung schützt. Circuläre Vereinigungsverbände setzen demnach eine vorgängige Bindeneinwickelung des ganzen peripher gelegenen Körperabschnittes als wünschenswerth, ja noth wendig voraus. Wenn diese nicht ausführ- bar, dann ist die gedachte Vereinigungsmethode auch weniger am Platze. Gegenwärtig bedient man sich der unblutigen Vereinigung in der Regel nur dann, wenn oberflächliche, die Haut allein betreffende frische Wunden vorliegen, insbesondere wenn die Spannung der Wundränder nur gering ist; häufiger wird sie benützt bei granu- lirenden Wunden, wobei eine correcte Apposition weniger in Betracht kommt, als vielmehr eine entsprechende Annäherung -der klaffenden — 285 — Wundränder. Nicht selten combinirt man Yereinigungs verbände mit der blutigen Naht und bezweckt damit eine Entspannung der vereinigten Wundränder oder man bedient sich ihrer nach Entfernung einer blutigen Naht, um ein Ausreissen der frisch verklebten Wundflächen zu verhindern. Circulär wirkende Wundvereinigungsverbände können mit Binden angelegt werden oder mit Heftpflasterstreifen, nicht circulär wir- kende sind einzig nur aus Klebestoff herstellbar. Will man eine Wunde, welche die Circumferenzebene des betreffenden Körper- theiles kreuzt, mit gewöhnlichen Rollbinden vereinigen, so wird zumeist eine zweiköpfige Binde dazu genommen. Die Anlegung ge- schieht derart, dass man den Verbindungstheil der Bindenköpfe zu- nächst an Jene Körperfläche anlegt, welche von der verwundeten diametral absieht. Von dort aus führt man die Bindenköpfe unter genügendem Zug der Wunde zu, kreuzt nun die Binde durch Wechseln der Köpfe über der Wunde, deckt sie genau, führt die Binde wieder zur absehenden Fläche, kreuzt alldort die Köpfe, um neuerdings zur Wunde zu kommen, und fährt damit so lange fort, bis diese ihrer ganzen Länge nach gedeckt und vereinigt ist. Wenn die Spannung nur sehr gering ist, so kann auch eine einköpfige Binde zur Ver- einigung ausreichen, wenn man die Wundränder zuvörderst mit den Fingern in Apposition bringt und sodann die Binde als Haltemittel darüber abrollt. Diese Art der Vereinigung empfiehlt sich ganz be- sonders, da man hiefür mit Antisepticis präparirte Gazestreifen — wenn kein sehr starker Zug nothwendig ist — benützen kann. Ueber- haupt sind gegenwärtig nur antiseptische Verbandstoffe zu Wund- vereinigungsverbänden benutzbar und zulässig. Jodoformgaze, zu entsprechend langen und breiten Streifen geschnitten und binden- förmig aufgerollt, empfiehlt sich ganz besonders der Möglichkeit halber, sie lange an Ort und Stelle belassen zu kr»nnen. Die zur Wundvereinigung dienenden Klebestoffe sind das englische Pflaster und das amerikanische Kautschukpflaster, welches letztere, wie schon erwähnt wurde, seiner vorzüglichen Klebeeigenschaften halber das unsichere Heftpflaster — Diachylum compositum - — ganz verdrängt hat. Das englische Pflaster muss vor der Anwendung an seiner Klebeseite genügend, aber nie übermässig befeuchtet werden. Man schneidet es in Streifen, fasst jeden einzelnen an einem Ende mit zwei Fingern, taucht den Zeigefinger der freien Hand in Wasser und bestreicht damit die Klebeseite; die Stoff seite bleibe trocken. Der befeuchtete Streifen wird nicht sofort angelegt, sondern, Avenn möglich, eine kleine Weile abgewartet bis der Klebestoff vom Wasser gelöst ist, dann klebt das Pflaster viel correcter. Das Eintauchen des ganzen Streifens in Wasser ist weniger zu empfehlen, weil dabei die durch- weichte Klebesubstanz den Seidenstoff durchsetzt und dieser dann den Fingern anklebt. Das Kautschukpflaster wird vor dem Anlegen durch Reibung erwärmt, damit es besser klebe. Bei Individuen mit empfindlicher, zu Eczemen geneigter Haut benützt man mit Vortheil Unnas Ziukmull. Bekanntlich deckt die Klebeseite des Pflasters eine schüttere Gaze, welche zunächst abzuziehen ist, um erstere aufzu- decken; es sei davor gewarnt, die Streifen mit der Deckgaze zugleich zu schneiden, weil durch den Druck der Scherenblätter ein so sehr — 286 — inniges Zusammenbacken beider Schichten zu Stande kommt, dass ein nachträgliches Abziehen des Ueberzuges Schwierigkeiten bereitet. Zur Vereinigung oberflächlicher frischer Wunden kann auch Collodium verwendet werden, und zwar in der Weise, dass man kleine Gazestreifen, mit Ausschluss jener Strecke, welche mit den Wund- rändern in Berührung zu kommen hat, damit tränkt und sich ihrer dann gleich dem englischen Pflaster bedient. Collodium dient auch zum Bestreichen fertig angelegter Pflasterverbände, wenn bei etwas mangelhafter Klebefähigkeit des Pflasters dem Verbände mehr Festig- keit und Sicherheit zu verleihen nöthig wäre. Mit der Wunde selbst soll Collodium wo möglich nicht in directe Berührung kommen, da es in Folge Verdunstung des Aethers brennenden Schmerz verursacht und vielfach die prima reunio dadurch hindert, dass es die Wund- lippen gar zu hermetisch abschliesst und ein etwaiges Entsickern von Wundsecret verhindert. III. Capitel. Deck- und Haltverbände. Da schon im zweiten Abschnitte davon die Rede gewesen, wie Wunden zu decken seien, so bedarf es nur mehr der Erwähnung, wie die Wundverbände geschlossen und gesichert werden sollen Den besten Verbandschluss erzielt man durch Binden, die , man deshalb auch überall verwenden wird, wo ein genauer Abschluss und eine gesicherte Lage des Verbandes nothwendig erscheinen. Es werden hiefür Binden aus schütterem billigen Baumwollzeuge verwendet : schütter, weil derlei Stoffe weicher und schmiegsamer sind; billig, weil es zweckmässiger ist, einmal in Verwendung gestandene beschmutzte Binden definitiv zu beseitigen, als sich von den umständlichen Proceduren des Waschens, Trocknens, Rollens etc. abhängig zu machen. Für gewöhnlich wird das Zeug in ganzen Stücken angeschafft und davon dann Streifen abgerissen oder abgeschnitten in jener Breite und Länge, welche je- weilig am zweckdienlichsten erscheint. Heutzutage sind vorzugsweise dreierlei Stoffe in Gebrauch : 1. Calicot. ein gleichmässig gewebter, fester Baumwollstoff, welcher auch wiederholt die Reinigungsprocedur durchzumachen vermag, ohne schleissig zu werden. 2. Gestärkter Gazestoff oder Organtin. id est ein schütterer grobfaseriger Baum- wollstoff, welcher mit Stärkekleister überzogen ist. Die daraus ge- schnittenen, sogenannten blauen oder Futtergaze-Binden werden vor der Anwendung in warmes Wasser getaucht und ausgerungen, wodurch der Kleister gelöst und die Binden weich und klebrig werden, so dass die einzelnen Touren zusammenbacken und nach dem Trocknen eine, der Anzahl der Schichten entsprechend dicke, starre, zusammenhängende Hülle bilden. Sie empfehlen sich zumeist zum Abschlüsse von Dauer- verbänden und für polyklinische Zwecke. :). Nicht appretirter Mull, der nur eine einmalige Verwendung zulässt. Der Stoff ist sehr schütter, aber auch so weich und schmiegsam, dass mit ihm selbst von un- geübten Händen passende und genau schliessende Verbände gemacht werden können. — 287 — Die geschnittenen oder gerissenen Streifen müssen zum Gebrauche aufgerollt werden, daher der Name Rollbinden; dazu verwendet man entweder reine Hände oder sogenannte Wickelmaschinen (Fig. 87). Dass beim Aufrollen der oft viele Meter langen Streifen, der auf- zurollende Theil nicht am Boden liegen und dort geschleift werden soll, ist selbstverständlich; dennoch wird oft genug gegen diese ein- fache Reinlichkeitsregel gesündigt. Wickelt man die Binde mit den Händen auf, so ist dies bei steiferem Materiale nicht schwer, wohl aber bei weichem, lockerem Stoffe, denn es ist wesentlich nothwendig, die Binde fest zu rollen. Lockere Bindenköpfe ziehen sich leicht zapfenförmig aus und stören das genaue Anlegen. Das Aufrollen mit den Händen geschieht derart, dass man zunächst das eine Streifenende mehrfach eng zusammenfaltet, bis eine Art Achse gebildet ist, um welche man dann den Streifen durch Drehen möglichst fest aufrollt. Hat der Kopf schliesslich eine entsprechende Dicke, so fasst man ihn mit der linken Hand zwischen Daumen, Zeige- und Mittel- finger entsprechend seiner Achse und dreht ihn mit der rechten Fio Hand gleich einem Rade, während der Streifen auf der Radialseite des Zeigefingers gleitet und allmälig aufgerollt Avird. An der aufgerollten Binde unterscheidet man das Bindenende und den Bindenkopf; je nachdem sie nun nur an einem oder gleichzeitig an beiden Enden aufgerollt wird, erhält man eine einköpfige oder eine zweiköpfige Binde. Zu Haltverbänden dienen in der Regel cink()pfige Rollbinden. Das Anlegen einer Deckbinde geschieht seltener in jener typischen Weise, die im nächsten Capitel geschildert wird, sondern wie es gerade am zweckmässigsten dünkt; Uebung macht auch hier den Meister. Im Allgemeinen mögen folgende Regeln dienen: Trockene Roll- binden festerer Qualität werden mit Daumen und Zeigefinger ent- sprechend ihrer Achse gehalten und dann um den betreffenden Körper- theil herum gerollt, weiche oder nasse Binden dagegen besser in die Hohlhand genommen. Der Bindenanfang soll stets unter die ersten Touren verlegt werden, auf dass er von ihnen fixirt werde, widrigen- falls die Binde sich lockert oder gar abwickelt. Hiefür legt man den Bindenanfang schräge auf und führt die ersten Touren horizontal darüber hinweg. Die einzelnen Bindentouren können sich entweder randständig decken oder, was seltener gebräuchlich, sie decken sich nicht und — 288 — umgceben in Form einer Spirale den Körpertheil — Dolabra repens — Gelenke werden zumeist in Dachziegel- oder in Achtertouren umfasst. Zur Befestigung von Kopfverbänden führt man die Binde in zwei an den Schläfen sich kreuzenden Touren, welche einerseits in der Richtung- Kinn -Scheitel laufen, andererseits die Stirne und das Hinterhaupt umkreisen. Soll der Scheitel frei bleiben, so führt man die Binde vom Kinn zum occiput und von dort zur Stirne, also in Aclitertouren, deren Kreuzungspunkt am Hinterhaupte liegt. Stets soll dabei das äussere Ohr womöglich frei gelassen werden, weshalb die Binde entweder vor oder hinter demselben vorbeigeführt wird. Muss das äussere Ohr mitgedeckt werden, dann verhüte man jede Verbiegung der Ohrmuscheln und polstere gut die Hinterfläche derselben. Bindenverbände am tliorax und am Unterleibe haben eine stete Neigung sich als Ganzes zu ver- schieben; Thoraxverbände rutschen gerne nach abwärts, Becken- verbände wieder verschieben sich nach aufwärts. Man steuert solcher Tendenz, indem man die Schultern, beziehungsweise Mittelfleisch- und Inguinalgegenden in den Verband einbezieht, d. h. man umwickelt beide Schulterblätter in Form von Tornisterhaltern, oder die Inguinal- regionen in Achtertouren, welche seitlich am Becken sich kreuzen. Die Verschiebung der einzelnen Bindentouren wird durch gegenseitige Befestigung derselben, durch Nähen oder mittelst Sicherheitsnadeln ver- hindert. Ist der Verband durch die Deckbinde überall und namentlich an den Rändern geschlossen, so befestigt man die Endtour an die früheren: bei Calicot mit einer Sicherheitsnadel oder dadurch, dass man das Bindenende eine Strecke weit der Länge nach entzweimacht, die Doppeltheile am Ende der Rissfurche einfach knotet und dann als Bändchen benützt; feuchte Organtinbinden kleben aneinander und be- dürfen keiner anderweitigen Sicherung; man streicht die Endtour ein- fach mit der Hand glatt. In Ermangelung von Sicherheitsnadeln kann auch ein Stückchen Klebepflaster zum Fixiren dienen. Gewöhnliche Stecknadeln, die keinen Spitzendecker besitzen, eignen sich weniger gut, weil die scharfe Spitze den Verbindenden oder den Kranken unversehens verletzen kann; eher empfiehlt es sich, die letzte Tour mit Nähnadel und Zwirn anzuheften. Will man den zu deckenden Körpertheil nicht so lange aufgehoben, id est von der Unterlage entfernt halten, als zur Anlegung einer Rollbinde nothwendig ist, so kann die sogenannte mehrköpfige Binde Verwendung finden. Sie wird folgendermassen zurecht gemacht. ]Man schneidet eine nach Bedarf doppelte oder dreifache Schichte Verbandzeug von der nöthigen Breite und solcher Länge, dass diese den Umfang des betreffenden Körpertheiles um die Hälfte übersteigt, legt die Schichten übereinander und steppt sie in der Mitte der Quere nach zusammen, sodann werden an beliebig viel Stellen und in regelmässigen Abstän- den alle Schichten längs eingeschnitten, bis gegen die Steppnaht zu, ohne sie jedoch zu erreichen. Hierdurch werden eine Anzahl Binden- köpfe gewonnen, welche an einen gemeinsamen Bindenkörper zu- sammenhängen. Letzteren schiebt man nun glatt unterhalb des zu deckenden Körpertheiles, so dass dieser hiefür nur auf Augenblicke gehoben zu werden braucht; oftmals gelingt das Durchschieben auch ohne Erheben. Liegt alles glatt, so nimmt man die jeweiligen ein- ander entsprechenden Köpfe der Reihe nach auf, führt sie circulär um — 289 — den Körpertheil, beziehungsweise Deckverband, legt sie mit ihren Enden gegenseitig übereinander und fixirt sie durch eine Nalit oder durch Sicherheitsnadeln. Derart können 12-, 18-, 24-, 36-, x-köpfige Binden zurecht gemacht und angelegt werden. Zu den mehrköpfigen Binden zählen noch die vierköpfige Kinn- schleuder und die dreiköpfige T-Binde. Erstere dient als Haltverband für das Kinn oder dortselbst angelegte Deckverbände. Sie wird extemporirt aus einem etwa 4 Querfinger breiten meterlangen Streifen aus Calicot, Leinwand oder Flanell, welchen man an beiden Enden einreisst bis zum Rückbleib eines etwa handbreiten Mittelstückes. Dieses wird nun dem Kinn so angelegt, dass die eine Hälfte es unten fasst, die andere es vorne deckt. Die beiden Bindenköpfe, welche der unteren Hälfte entsprechen, werden längs den Wangen und Schläfen zum Scheitel geführt und dort verknüpft; die der vorderen Hälfte gehörigen Enden schräge nach rückwärts, unterhalb der Ohr- läppchen zum occiput geführt, dortselbst gekreuzt, sodann oberhalb der Ohrmuscheln zur Stirne geleitet und dort gebunden, oder bei genügender Länge nochmals gekreuzt und am Hinterhaupte geknotet. Die T-Binde findet Verwendung als Haltverband für die Kreuz-Mittel- fleischgegend. Sie wird gewonnen, wenn man an die Mitte eines längeren Bindenstreifens einen zweiten kürzeren in senkrechter Richtung annäht. Dadurch tntstehen drei divergirende Bindenenden, welche jedes für sich aufgerollt die dreiköpfige Binde darstellen. Näht man statt des einzelnen Streifens einen Doppelstreifen in gleicher Weise an, so resultirt die sogenannte doppelte T-Binde. Sie dient für die gleiche Region, ist aber der einfachen in jeder Beziehung vorzuziehen, da sie einen viel sichereren und correcteren Halt abgibt. Ihre An- wendungsweise ist folgende: den doppeltköpfigen horizontalen Binden- theil bindet man gürtelförmig um das Becken, so dass die Binden- mitte, von der aus die senkrecht oder schief abfallenden Streifen abgehen, gerade auf die Kreuzgegend zu liegen kommt. Von hier aus werden die Streifen um das Mittelfleisch nach vorne geführt und rechts und links vom scrotum, respective vulva entlang den Inguinalregionen nach vorne zum Unterleibe geführt, allwo sie den horizontalen Gürtel- theil treffen und an diesen auf irgend eine Art befestigt werden. Auch das verkehrte Anlegen der T-Binde — Mitteltheil oberhalb der Symphyse — könnte fallweise zweckmässig sein. Befestigt man den, oder die senki'echt abgehenden Streifen an die Querbinde nicht durch eine Naht, sondern bloss durch Oesen, so erhält man stellbare, einfache oder doppelte T-Binden, welche den Vortheil einer beliebigen Verschiebbarkeit bieten. Als Ersatz der Binden dienen vielfach Tücher, mit denen man die Deckverbände sichert. In vorantiseptischer Ziiit, wo ein genauer Abschluss der Wunden nicht so nothwendig schien, pflegte man fast ausschliesslich Tücher zu benützen, was sich auch aus dem Grunde empfahl, als des Häufigsten zweimal im Tage ein Verbandwechsel statt- fand und das Abnehmen und V\'iederanlegen von Binden viel zu umständlich gewesen wäre. Gegenwärtig bedient man sich der Tücher, ausser im Nothfalle nur dann, wenn nicht nur kein Dauerverband, sondern auch selbst kein strenger Occlusivverband beabsichtigt wird. Meistens dienen zu diesem Zwecke dreieckige Tücher, die man cravatten- V. Mosetig-M oorhof: Handbuch d. chiiurg:. TLchiiik. 4. Auü. l9 290 förmig zusammenlegt, in jener Breite die el)en zweckdienlich er- scheint, und mit denen man in bekannter Cravattenart einfach oder doppelt die betreffende Körperregion umgibt. Sollte der Körperumfang die Länge des Tuches übersteigen, so kann diesem Uebelstande derart abgeholfen werden, dass man^an dem einen Tuclizipfe ein breiteres Band anmacht und ihn dadurch verlängert oder, indem man zwei Tücher der Länge nach zusammenknüpft. Als Ersatz für T-Binden wird das dreieckige Tuch ungefaltet benützt. Man bindet dann das gleichschenkelige Tuchdreieck mit seiner Basis um das Becken, lässt es das sacrum breit decken und führt es mit dem freien Ende um das Mittelfleisch herum nach vorne zu. Ebenso kann es seitlich umgebun- den werden, so dass das Tuch die Trochanterregion deckt. Zur Umhüllung der Brust wird die Mitte des Tuches auf jene gelegt und die Enden an den Achseln vorbei am Rücken gebunden, während man die Spitze über die eine Schulter nach hinten schlägt und am Rücken mit dem horizontalen Theile ver- knüpft ; im umgekehrten Sinne verfährt man zur Deckung des Rückens. Sollen Brust und Rücken gedeckt werden, so bedarf es hierzu zweier Tü- cher, deren Spitzen über die Achsel, deren Basisenden an den seitlichen Thorax- regionen wechselseitig zu binden sind. Der Kopf wird derart eingebunden, dass man den Ba.sisrand des Tuches quer über die Stirne legt, während die Tuchfläche den Kopf deckt und die Spitze am Nacken herunterhängt. Die Tuchenden werden über beide Ohren weg zum Hinter- haupte geführt, dort gekreuzt, wieder nach vorne geführt und an der Stirne geknotet. Dann wird die hinten herabhängende Spitze straff an- gezogen, über das Hinterhaupt hinaufgeschlagen und am Scheitel mit einer Nadel gesichert (Fig. 88). Statt dieses Kopftuches werden vielfach auch gestrickte Netzhauben verwendet, welche wohl das sicherste und bequemste Haltemittel für Schädelverbände abgeben. In wie vielerlei Weise man sich des dreieckigen Tuches als Hüll- und Haltverband be- dienen könne, hat wohl am ausführlichsten Esmarch gezeigt, indem er die Vorzüglichkeit dieser Verbandmethode, namentlich zum Zwecke der ersten Hilfeleistung im Frieden sowohl als auch im Kriege hervorhob. Es erübrigt noch jener Deckverbände zu gedenken, welche un- mittelbar auf die Körperoberfläche angebracht werden, falls kleine Verwundungen daselbst sich vorfinden. Selbstverständlich sind darunter nur Abschürfungen oder kleine Granulationsreste gemeint. Es dienen hierzu nebst den antiseptischen Salben am häufigsten das Pflanzenpapier, — 291 — auch Goldschlägerhäutchen oder pellicule balsamiqiie genannt, weil es schnell klebt und seiner Weichheit wegen allen Niveaudifferenzen innig folgt. Ueberflüssig dürfte die Bemerkung sein, dass bei An- wendung des Pflanzenpapiers nicht dieses, sondern nur die betreffende Hautfläche früher zu befeuchten ist. Auch Collodium, Photoxylin und Traumaticin sind manchmal verwendbar; man pinselt sie wiederholt mit einem Borstenpinsel auf und erhält nach der Verdunstung des Aethers, beziehungsweise des Chloroforms, eine luftdichte Schichte von Schiessbaumwolle, respective von Guttapercha. IV. Capitel. D r u c k V e r b ä n d e. Druckverbände haben den Zweck, entweder einen ganzen Körper- abschnitt gleichmässig zu comprimiren, oder nur eine isolirte Körper- stelle zu belasten. Die Wirkung ersterer besteht in einer Bethätigung des venösen Rückflusses und der Lymphcirculation, wodurch Blut- stauungen beseitigt oder verhindert und Transsudate, Extravasate oder diffuse Exsudate zur rascheren Aufsaugung gebracht werden. Die isolirte Compression wirkt nur in letzterem Sinne, denn sie wirkt sogar hindernd auf den Rüekfluss des Blutes und kann möglicherweise direct zu Blutstauungen führen; weiters dient sie als Verschlussmittel. Für ganze Körperabschnitte berechnete Druckverbände kommen in der Regel nur an Extremitäten in Anwendung und werden zumeist mit Rollbinden ausgeführt. Man benützt hierzu ein resistentes Materiale, und zwar Leinenbinden oder Flanellbinden, beide ohne Saum und Naht"; seltener, und dann nur aus Ersparungsgründen dient stärkeres Calicot, ausnahmsweise und nur für gewisse Fälle Gummibinden, sei es nun aus reinem Gummi angefertigte sogenannte Martin'sche, oder Gummistoff- binden. Ob man Leinen- oder Flanellbinden jeweilig benützen solle, ent- scheidet der speciell vorliegende Fall: Flanellbinden sind dehnbarer, elastischer, nachgiebiger; Leinenbinden entbehren dieser Vortheile und erheischen dessentwegen grössere Uebung und Vorsicht beim Anlegen, um nicht entweder durch Uebermass des Druckes direct zu schaden, oder durch das Gegentheil mindestens wirkungslos zu bleiben. Beabsichtigt man die mit einer Druckbinde umwickelte Gliedmasse noch mit Ueberschlägen zu bedecken, so muss erstere vor der An- legung in Wasser getaucht und ausgerungen w^erden, weil trockene Leinwand durch die Nässe sich zusammenzieht, demnach die Binden- touren nachträglich sich verengern und stärker einschnüren. Wäre eine unwillkürliche Befeuchtung der Binde von Seite des Kranken zu fürchten, etwa durch Urin, so muss jener Bindenabschnitt, der in Gefahr steht befeuchtet zu werden, davor durch Ueberziehen mit Gummipapier geschützt werden. Die Länge einer Rollbinde richtet sich stets nach der Länge und dem Umfange des einzuwickelnden Theiles; die Binde soll aus einem Stücke bestehen; alle Anstückelungen sind zu vermeiden, da der vorspringende, weil nothwendig dickere Nahttheil stärker drückt. Aus gleichem Grunde dürfen auch die Ränder nicht gesäumt sein. Bezüglich der Breite ist zu bemerken, dass breite 19* — 292 — Binden correct und ohne Faltenbildung an Extremitäten viel schwerer anzulegen sind als schmale; am handlichsten für Extremitäten sind bei erwachsenen Personen 3 querfinger-, für Kinder 2 querfinger- breite Rollbinden. Jede Rollbinde muss überall gleichmässig anliegen, nirgends zu locker, nirgends zu fest, niemals darf sie hohl laufen oder Falten bilden. Diesem Postulate zu genügen, kann nur eine längere Uebung im Anlegen lehren; eine weiche, fühlige Hand gehört wohl auch dazu. Man hilft sich zum Theile durch ein sorgfältiges Aus- gleichen aller Höhlungen und Vorsprünge des betreffenden Körper- theiles durch weiche, elastische Unterlagen, meistens durch Watte- polsterung. Dieses gilt namentlich für die Hohlhand, die Knöchel- gegend, für den Ellbogen und das Knie, endlich für die Achselhöhle und die Knochen vor sprünge am Becken. Finger, Zehen und Ferse bleiben für gewöhnlich von der Einwickelung frei, und diese beginnt an der Mittelhand oder am Mittelfuss. Wäre bei potenzirterem Drucke auch eine Einwickelung der Finger wünschenswerth, so müsste jeder mit entsprechend schmalen Bandstreifen von der Spitze bis zur Mittelhand umwickelt und die Streifenausläufer unter die Armroll- binde verlegt werden. Einzelne Finger werden meistens mit Klebe- streifen umwunden; Zehen können ihrer Kleinheit und ihrer ge- krümmten Gestalt wegen, mit Ausnahme der grossen Zehe, keine Sonderrücksicht erfahren, dagegen kann die Ferse in den Binden- einschluss miteinbezogen werden. Jeder Bindenanfang wird unter die ersten Kreistouren verlegt und dadurch fixirt; die einzelnen Binden- touren haben sich gegenseitig randständig zu decken, und zwar um desto mehr, je fester die Binde anzulegen ist. Gelenke werden in Achtertouren umfasst, nur das Kniegelenk kann man auch in so- genannten Schildkrötentouren umwinden, d. h. in Kreistouren, welche an der Patellarfläche sich weniger decken als in der Kniekehle, wo- durch der grösseren vorderen Wölbung des Knies Rechnung getragen wird; das gleiche Vorgehen wäre bei einer etwaigen Deckung der Ferse nothwendig. An jenen Stellen, wo der Umfang der Extremität sich ändert, muss die Binde, um das Hohllaufen der aufsteigenden Touren zu verhüten, stets umgeschlagen werden, und zwar stets in der Richtung zum dünneren Extremitätsabschnitte. Zu dem Zwecke fixirt man die betreffende Bindentour durch Aufsetzen des Daumens der freien Hand, roUt ein Stückchen vom Bindenkopfe ab und schlägt es nun um, unter einem mehr oder minder spitzen Winkel. Dieses Umschlagen (Renverse) muss so oft wiederholt werden, als die Umfangzunahme dauert; ist diese überwunden, dann rollt man die Binde ohne Um- schlagen fort. Es ist wichtig alle Renverses in eine Linie zu bringen, behufs correcteren Anliegens der Binde einerseits und gefälligerem Aussehen des Verbandes andererseits. Die Hüften werden einfach oder doppelt in Achtertouren umfasst — Spica coxae simplex et duplex — je nachdem nur ein oder beide Oberschenkel in den Ver- band einzubeziehen sind. Am Schultergelenke nennt man die Um- wickelung in Achtertouren mit Kreuzung an der Schulter — Spica humeri, und spricht von einer Spica humeri aut coxae anterior, externa oder posterior — • je nach der Körperfläche, an welcher man die Kreuzungslinie der Achtertouren verlegt (Fig. 89).^ Gegenwärtig — 293 — macht man des Oef testen von den sogenannten Tricotbinden Gebrauch, v/elche sich ohne Renverses glatt anlegen lassen. Als Ersatz für Bindencompression wird für die untere Extremität häufig der ela- stische Strumpf verwendet. Diese viel- gebrauchten Strümpfe sind aus Seiden- oder Baumwolltricot ver- fertigt, welchem ein Gummifäden- netz eingeschlossen ist; sie haben die Strumpf form, jedoch ohne Zehen- und Fersenkappe und sind im Handel in verschiedenen Grössen vorräthig, je nach dem Umfange der betref- fenden Extremität und je nach der Höhe, bis zu welcher sie reichen sollen. Die kürzesten reichen nur bis zum mittleren Dritttheile des Unterschenkels, die längsten bis zur Oberschenkelbeuge; letztere erfordern Strumpfhalter, um ihr Abrutschen zu verhindern. Es ist nicht sehr zweckmässig, elastische Strümpfe direct der Haut anzulegen, sondern vortheilhafter sie über einen dünnen Baumwollstrumpf an- zuziehen. Schnür Strümpfe sind kaum mehr in Gebrauch. Eine Ausnahme von der eben beschriebenen Anlegungs weise der Rollbinden von der Peripherie zum Centrum ist die in umgekehrter Richtung: vom Centrum zur Peri- pherie. Sie wird vorgenommen, wenn eine Verschiebung der Haut gegen die Peripherie oder eine Ent- spannung der Musculatur bezweckt wird, so beispielsweise bei Ampu- tationsstümpfen, wenn Hautretrac- tion nach unterbliebener prima reunio oder Manschettennecrose sich einstreut, so bei Patellarquer- brüchen mit Distraction des oberen Fragmentes. Die Technik der An- legung unterscheidet sich nur bezüglich der Anlegungsrichtung; stets muss früher manuell die Ver- ziehung der Haut, beziehungsweise die Herabrückung des diastasiren- den Bruchstückes vermittelt werden, Fig. 89. — 294 — indem der Bindendruek nur eine Sicherung dieser zu bewerkstelligen vermaii. Die isolirte Compression kann entweder für sich allein ausgeübt werden, oder bei Extremitäten auch in Verbindung mit einer Binden- einwickelung von der Peripherie zum Centrum. Wirkt sie durch circuläres Umgreifen des Extremitätstheiles, so darf sie, der Circula- tionsverhältnisse halber, nur zugleich mit adäquater Bindeneinwicke- liing zur Action gelangen. Man pflegt dann die locale Verstärkung der Compression dadurch zu bewerkstelligen, dass man unter den Bindentouren entsprechendenorts eine stärkere, resistentere Einlage anbringt, deren Grösse und Form natürlich der zu comprimirenden Partie jeweilig zu entsprechen hat. Ist eine längere schmale Strecke zu comprimiren, sagen wür eine ausgedehnte Blutader, so wird dazu eine Longuette verwendet,, die dann, damit sie nicht rutsche, an Ort und Stelle mit Klebestreifen zu befestigen ist, bevor man die Binde anlegt. Longuetten heissen vielfach eng zusammengefaltete, eventuell nach zwei Seiten stufenförmig abfallende — graduirte — in der Mitte der Länge nach gesteppte Leinencompresschen oder Streifen, welche die Rolle von Pelotten spielen, id est entsprechend ihrer Gestalt drückend auf die betreffende Fläche wirken. Soll eine mehr rundliche oder ovale Stelle einem local verstärkten Drucke ausgesetzt werden, so wählt man rundliche oder ovale Pelotten, die man auch extempo- riren kann, beispielsweise aus einigen übereinander gestellten Münzen, die in Leinwand eingehüllt werden oder, falls der Druck mehr elastisch sein sollte, ballt man CharpiebaumwoUe oder Gaze zu einer festen Kugel und bindet diese in ein Säckchen ein, etc. Für sich allein, ohne gleichzeitige Bindeneinwickelung kann nur dann eine isolirte Com- pression vertragen werden, wenn sie keine circuläre constringirende Wirkung äussert. Die einfachste Form der isolirten Compression ist die locale Belastung durch Gewichte. Gewöhnlich werden hierzu Bleiplatten verwendet, im Nothfalle auch geeignete Briefbeschwerer. Erstere sind meistens 1 Centimeter dick, oval geschnitten in der Grösse eines halben Handtellers. Zweckmässig ist es einen Satz von drei gleich grossen Platten zu besitzen, von denen die eine als unterste in ihrer Mitte einen senkrechten axialen Stab aufsitzen hat, während die anderen an gleicher Stelle durchlöchert sind, so dass sie suprapronirt werden können. Man hat es dann in seiner Hand den Belastungs- coefficienten zu regeln, je nachdem eine, zwei oder alle drei Platten gleichzeitig verwendet werden. Die untere Stabplatte soll seitlich gefenstert sein, um im Bedarfsfalle Bänder aufnehmen zu können, welche ihre Sicherung am Körper ermöglichen. Bei Schwellungen der Leistendrüsen finden diese primitiven Compressorien häufige Verwendung. Eine zweite Form der isolirten Compression ist die durch Feder- druck, deren Hauptrepräsentant das Bruchband ist. Das Bracherium hat die Aufgabe die Bruchpforte zu verschliessen, nicht etwa durch Ausfüllung, denn jeder Stoppelverschluss müsste mit der Zeit eine Erweiterung der Pforte mit sich führen, und das gerade Gegentheil wird ja bezweckt, sondern vielmehr durch äussere Verlegung der Pforte und möglichst auch durch Verengerung des Bruchcanales in Folge äusseren Druckes. Dieser wird nun unmittelbar durch die — 295 — Pelotte, mittelbar durch den Druck einer Feder ausgeübt. Um wirksam zu sein, muss die Pelotte in einer Richtung zum Bruchcanal drücken, welche senkrecht auf dessen Achse steht. Die Grösse, Form und Be- schaffenheit der Pelotten variirt demzufolge je nach der Bruchspecies und dem Quäle der Bruchpforte. Im Allgemeinen muss die Pelotte den Umfang der Bruchpforte um ein Beträchtliches überragen; ihre Druck- fläche ist convex oder concav, je nachdem der Bruchcanal leer ist, oder derselbe ein irreponibles Contentum beherbergt, welches nicht gedrückt, wohl aber umfangen werden soll. Pelotten mit zapfenförmigen Vorsprüngen, welche stoppeiförmig in den Bruchcanal hineinragen und ihn ausfüllen, sind aus oben gedachtem Grunde nicht zu empfehlen. Dem Materiale nach kennt man glatte und Polsterpelotten. Zu den glatten zählen jene aus Holz, Elfenbein, Hartgummi, zu den gepolsterten die aus Rosshaar oder Drahtspiralen geformt und mit Rehleder oder Gummi- zeug überzogenen und mit Glycerin gefüllten Pelotten. Feste Rosshaar- polsterung mit Lederüberzug empfiehlt sich am meisten für gewöhnliche Zwecke; nur zum Baden sind Gummipelotten, weil wasserdicht, zweck- entsprechender. Der Federdruck muss sich bezüglich seiner Intensität stets nach dem speciellen Falle richten: er ist proportional der Stärke der Stahlspange und ihrer jeweiligen Krümmung. Die Feder ist für gewöhnlich C-förmig und etwas spiralig gedreht, sie umfasst mit ihrer Concavität den betreffenden Körpertheil, sich mehrminder anschmiegend, aber ohne im mindesten zu drücken, und entfaltet die Druckwirkung an ihren zwei Endpunkten. Das eine Ende trägt die Pelotte, das andere nur eine beliebige Polsterung. Der Gegendruck findet immer in der Kreuzgegend statt, auf den Muskelpolstern neben der Wirbel- säule. Die Verbindung der Feder mit der Pelotte ist entweder fix, stellbar oder gelenkartig. Stellbare Verbindungen bedürfen eines Zahn- mechanismus und einer Stellfeder, sie werden an Leisten- und Schenkel- bruchbändern angebracht und dienen dazu, der Pelotte die richtige Stellung zur Bruchpforte zu geben. Verbindungen mit Nussgelenken besitzen unter anderen auch die stets doppelfederigen Nabelbruch- bänder. Bei Bracherien ist eine Gelenksverbindung aus dem Grunde oft erwünscht, weil bei den verschiedenen Körperstellungan und Be- wegungen, welche der Bruchkranke tagsüber eingeht und ausführt, ein steter Lagewechsel der Pelotte platzgreift, dieser aber in den Nussgelenken seinen Ausgleich findet und dadurch die Stabilität der Pelotte sichert. Schenkel- und Leistenbrüche verlangen bei unilateralem Vorkommen nur eine Feder, bei bilateralem dagegen Doppelfedern, welche an oben bezeichneter Kreuzgegend endigen und quer über die Wirbelsäule nur durch einen verkürzbaren Lederriemen wechsel- seitig verbunden sind. Von den einseitigen Schenkel-und Leistenbruch- bändern unterscheidet man zwei Sorten: das deutsche Bruchband, bei dem die Feder die bruchbehaftete Beckenhälfte uingreift, und das von Salmnn und Wickham empfohlene englische Bruchband, dessen Feder die bruchfreie Beckenhälfte umfasst und erst über der Symphyse sich wölbend zur kranken Seite gelangt. Namentlich für Individuen, welche viel Bewegung machen, reiten, klettern, turnen oder in vorgebeugter Körperhaltung viel sitzen, ist das englische Band vorzuziehen, weil sich die Pelotte weniger leicht verschiebt, indem die Feder von den Bewegunuen des Schenkels in 296 — Fig. 90. der Hüfte nicht in Mitleidenschaft gezogen wird und sie mit der Pelotte articulirt. Die Feder soll das Becken stets in einer Ebene umfassen, welche an der seitlichen Beckenfläche genau die Mitte hält, zwischen Trochanterspitze und crista ilei; sie selbst muss, wegen des ungleichen Standes ihrer Druck- und Gegendruckpuncte, etwas spiralig geformt sein. Einfederige Bruchbänder setzen sicli vom Endpunkte der Feder aus in einem Ledergurt fort, welcher die Umkreisung des Beckens vervollständigend an der Aussenseite der Pelotte befestigt wird, und zwar durch Einknöpfen. Gutgearbeitete Bruchbänder bedürfen in der Regel gar keiner weiteren Befestigung, namentlich gilt dies für die englischen. Mindergutpassende, manchmal auch nur schlechtangelegte Bracheria rutschen häufig nach oben ab, wodurch die Pelotte ihrer richtigen Lage zur Bruchpforte verlustig wird und nicht nur ihren Zweck nichterfüllt, sondern im Gegentheil geradezu nachtheilig und gefahrbringend wirkt. Um dieser Verschiebung der Pelotte während des Gehens und Sitzens vor- zubeugen, benützt man die sogenannten Schen- kelgurte, d. h. ein- genähte daumenbreite Leinwandbänder, welche um dieSchenkelbeuge ge- schlungen den Rücken- theil der Feder mit dem unteren Abschnitte der Pelotte verbinden und dadurch ein Rut- schen nach aufwärts behindern. Bei Indi- viduen mit übermässig entwickelten Schmeer- bäuchen und stark gepolsterten Becken besteht manchmal eine Tendenz des Bruchbandes nach abwärts zu rutschen. Dieser müsste durch Schulterriemen abgeholfen werden. Nabelbruchbänder bedürfen keiner Gurten und Bänder, selbst wenn sie nicht auf das beste passen, da wie früher erwähnt, alle Verschiebungstendenzen durch die Nuss- gelenke paralysirt werden. Statt der C-Federn kann für Nabelbruch- bänder auch die von Dolheau zuerst angewandte verkehrte Druckfeder benützt Averden, eine etwa spannlange, dünne, quere, mit der Mitte der Pelotte durch ein Nussgelenk articulirende Stahlfeder, an deren beiden freien Enden ein einfacher gepolsterter Ledergürtel seine In- sertion findet. Durch diesen wird die Feder gespannt und dadurch deren Spannkraft entfaltet, welche auf die Mitte der Pelotte drückt (Fig. !»0 a). Nyo'op hat ein sternförmig zusammengestelltes Sj'stem gekrümmter Stahlfedern construirt, welche gleich den Fingern einer - 297 — zum Fassen gestellten Hand das Mesogastrium umfangen und jede Verschiebung- hindern. In der Mitte des Sternes sitzt die Pelotte; das Ganze wird durch einen Bauchgurt gehalten (Fig. i'O h). Während die Dolheau^sche Feder, ihres Abstandes von der Hautoberfläche wegen, eines Ueberzuges entbehren kann, ist dieser bei den C-Federn geradezu unumgänglich, weil sie sich der Körperoberfläche anschmiegen und der ungedeckte Stahl durch die Feuchtigkeit der Hauttransspiration schnell rosten würde. Man überkleidet daher die Federn gewöhnlich mit Leder, bei Badebändern dagegen mit Kautschuk. Ebenso wird zum Schutze des Lederüberzuges der Pelotte vor der Einwirkung des Schweisses und des Hauttalges, zwischen Haut und Pelotte eine kleine, meistens vierfach zusammengefaltete glatte Lsinwandcompresse ein- geschaltet. Selbst der Schenkelgurt bedarf, namentlich im Sommer, einer Compressunterlage, um ein Wundwerden der Haut der plica cruro-perinea zu verhüten. Das Anlegen eines Bracherium soll in liegender Lage geschehen, natürlich, dass bei freien Hernien Bruchpforte und Bruchcanal leer sein müssen. Zuerst adaptirt man die Pelotte und fixirt sie an jener Stelle, wo sie dauernd zu verbleiben hat, dann kümmert man sich um die richtige Stellung der Feder, zuletzt um das Festmachen des Gürtel- endes an die Pelotte, beziehungsweise bei Doppelbruchbändern um den Riemenschluss zwischen beiden Pelotten. Oft wird dem Chirurgen die Frage gestellt, ob das eben getragene Bruchband auch passe. Der Anhaltspunkt zur Beurtheilung der Güte und Zweckdienlichkeit eines Bracherium wird durch den Umstand gegeben, ob es den Bruch auch gehörig zurückhalte und nichts von den Eingeweiden vortreten lasse. Im Momente des Anlegens oder kurze Zeit darauf erfüllt wohl jedes Band dieses Postulat, wenn es nur halbwegs richtig anliegt; erst später, wenn der Kranke damit stundenlang sich bewegt, kommen die Mängel nach und nach zum Vorschein. Und doch ist es wichtig und sehr häufig nothwendig, gleich nach dem ersten Anlegen ein bestimmtes Urtheil zu fällen. Ich pflege stets den Bruchkranken, dessen angelegtes Band ich beurtheilen soll, zwei Bewegungen ausführen zu lassen ; erstens das Aufsteigen auf einen Stuhl mit dem Fusse der kranken und das Hinuntersteigen mit dem Fusse der gesunden Seite, zweitens eine Kreisbewegung des der Bruchseite gehörigen Beines um eine horizontale Ebene, etwa über eine Stuhllehne. Bewährt sich das Bruchband namentlich bei der zweitgedachten gymnastischen Uebung, dann passt es sicherlich gut. Das Urtheil, ob das Band nicht drücke, ist ein subjectives und kann nur vom Patienten selbst gefällt werden. Beim Massnehmen behufs Anschaffung eines Bracherium geht man so vor, dass man zunächst den betreffenden Körperumfang von der Bruchpforte aus zu ihr zurück nimmt und dabei genau jene Ebene einhält, welche das Bruchband zu umfangen hat. Beispielsweise legt man bei einem Leistenbruche das Messband am äusseren Leistenringe an und führt es entlang der Mitte zwischen trochanter und crista ilei zum Ausgangspunkte zurück. Man gibt dem Bandagisten die Circumferenz in Centimetern an und setzt das Quäle des Bruches, ob Leisten-, ob Schenkelbruch zu, nebst einer beiläufigen Bemerkung über Richtung des Bruchcanales und Weite der Bruchpforte. Bei Leisten- und Schenkelbrüchen ist nämlich die feste Verbinduno- der Pelotte — 298 — zur Feder in etwas verschieden, weil der Schenkelcanal etwas tiefer gelegen ist als der Leistencanal; ferner ist die Form der Pelotte bei Leistenbändern etwas gestreckter oval, bei Schenkell)rüchen etwas gedrängter. Bei Nabelbrüchen ist einfach der Umfang des Unterleibes in der Nabelhöhe nr)tliig. Bei neiigebornen Kindern werden Nabel- brüche meistens mit Ileftpflasterstreifen behandelt, welche über eine kleine LeinAvandpelotte oder auch ohne dieser, in schräger und kreu- zender Richtung von den Hypochondrien der einen Seite zu jenen der anderen geführt werden. Man legt die Streifen stramm an und zieht dabei die Haut von der Seite der Mittellinie zu bis zwei Längsfalten die Bruchöffnung überragen und decken. Um das Lockerwerden und Abgleiten der Klebestreifen zu verhüten, wird darüber eine Rollbinde angelegt. Eine constante Compression der Brustdrüse wird am zweck- mässigsten durch Gummibinden ausgeführt, die man circulär um den thorax führt. Damit nicht, falls unnöthig, beide mammae dem Drucke unterworfen werden, soll die zu comprimirende, abgesehen von ihrer vorhandenen Grössenzunahme, die man eben durch constanten Druck zu reduciren willens ist, noch durch Einschaltung entsprechend dicker Wattelagen so sehr prominent gemacht werden, dass die Gummibinden über die gesunde Drüse mehr minder hohl laufen. Bei Hodenentzündungen pflegte man früher einen concentrischen Druck durch einen Verband mittelst Klebestreifen auszuüben, welcher durch Frt'cke bekannt geworden ist. Man benöthigt hierzu mehrere etwa 2 Centimeter breite Streifen und legt den ersten circulär um den Samenstrang und das scrotum, um den Hoden zu fixiren. Nun folgen eine Reihe von Streifen, welche, entsprechend den Richtungen der grössten Kreise, die kugelige Anschwellung des Hodens umgeben und sich gegenseitig genau deckend am unteren Pole kreuzen; ihre Enden werden zuletzt durch einen zweiten Circulärstreifen gesichert. Wenn der Verband in Folge Abschweilung des Hodens locker ge- worden, muss er sofort abgenommen und frisch angelegt werden. Der Verband wird nur dann gut vertragen, wenn er sehr correct angelegt Avurde, id est wenn der Druck die gerade erforderliche Grösse ein- hält. Durch den Reiz des Pflasters und durch die mehr minder verhin- derte Verdunstung des Schweisses resultiren nach einem mehrtägigen Verweilen des Verbandes recht häufig Erytheme und Eczeme, welche oft längere Zeit währen. Einen Compressionsverband nach gleicher Technik mit schmalen Flanellstreifen anzulegen, ist eine wenn auch mögliche, so doch sehr umständliche Procedur, indem jede Schleife an die Nachbartour angenäht werden muss, um das Abrutschen zu verhüten. V. Capitel. S u s p e n s i o n s V e r b ä n d e. Die Suspension eines Körpertheiles kann verschiedene Zwecke verfolgen; so wird suspendirt, um das Gewicht eines durch Verletzung oder Krankheit schmerzhaft gewordenen Körpertheiles zu jDaralysiren, d. h. man überträgt durch Bandagen dessen Gewicht auf weiter ab 299 Fio-. yi. gelegene, gesunde Gebiete und verhindert dadurch die durch das Gewicht bedingte, schmerzhaft gefühlte Zerrung. Selbstverständlich wird der hierzu dienliche Halteverband auf den umfassten und ge- tragenen Körpertheil gleichzeitig comprimirend einwirken, und zwar stets proportional dem Gewichtscoefficienten des Suspensum, Avodurch in zweiter Linie eine wohlthätige Regelung des Blutkreislaufes und eine Bethätigung der L3miphcirculation zu Stande gebracht wird. Man suspendirt daher das scrotum bei entzündlichen Affectionen oder Geschwülsten der Testikel oder des Samenstranges, bei Elephantiasis scroti, beziehungsweise auch bei Venenectasien des plexus pampini- formis; man suspendirt die weibliche Brustdrüse bei Mastitis, Galac- tostase und Neubildungen. Bei Extremitäten wird die Suspension mannigfach in Anwendung gebracht: zum Tragen des Armes sowohl, als auch bei immobilisirten Beinbrüchen, um dem liegenden Kranken einen gewissen Grad von Beweglich- keit zu ermöglichen, ohne Schaden für die gebrochene Gliedmasse und ohne wesentliche Anstrengung, ja ohne fremde Mithilfe. Manchmal kann durch eine zweckmässige Vertheilung der getragenen Ab- schnitte auch eine dehnende oder streckende Einwirkung auf die nicht getragene Nachbarschaft, oder es kann durch eine Verlegung des Schwebetragepunktes nach vorne zu, der Suspension gleichzeitig so- gar die Bedeutung einer Zugwirkung gegeben werden. Mehr minder senk- rechte Erhebung einer gestreckt gehaltenen Gliedmasse verfolgt nur anämisirende Zwecke und heisst dann Elevation. Der Suspensorien für den Hoden- sack, vulgo Tragbeutel, da sie ge- strickte oder leinwandene Beutel darstellen, in jener Form und Grösse, welche zur Bergung des betreffenden scrotum genügt, kennt man viele Varianten. Stets wird mittelst Bändern der Tragbeutel am Becken befestigt, wodurch das Gewicht des Hodensackes direct auf jenes übertragen, und jede Zerrung der Samenstränge vermieden wird. Die Befestigung am Becken kann auf doppelte Art erfolgen: entweder durch zwei einfache Bänder, welche vom Rande des Tragbeutels seitlich abgehend, längs den Leisten um das Becken geschlungen und dort geknotet werden; oder der Tragbeutel ist mit einem Becken- gurte verbunden und mit zwei Schenkelbändern versehen, welche von seinem hinteren Rande abgehend, längs den nates zum Beckengurte geführt werden, um dort ihre Befestigung zu finden. Wenn letzt- erwähnte Suspensorien auch etwas complicirter in der Art ihrer An- legung sind, so gebührt ihnen dennoch der Vorzug vor den ein- facheren, früher geschilderten Sorten ; sie stützen sicherer und drücken nicht die hintere Wand der Scrotumbasis, da der Rand des Beutels - 300 - durch die Schenkelbänder von jener abiiezo,<>en wird. Ein sehr i)rak- tisches, jederzeit zu extemporirendes Suspensorium hat Laiujfrhof an- gegeben. Aus starker Leinwand schneidet man ein trapezförmiges Stück, wie Fig. 91 es versinnlicht. Der breite obere Rand läuft in zwei schräg divergirende Bänder aus, am schmalen unteren Rand werden gleichfalls Bänder angenäht, und z^var in senkrechter Rich- tung zum Rande. Aus den etwas schrägen Seitenrändern schneidet man Dreiecke aus. In die Leinwand selbst etwas unterhalb des oberen Randes wird ein rundes Fenster geschnitten, bestimmt zum Durch- lassen des penis. Das Suspensorium ist damit zum Gebrauche fertig. Der breite Rand kommt an die Symphyse, der schmale an die hintere Wand der Scrotumwurzel. Die Ecken der Ausschnitte werden mittelst der alldort befestigten Schnüre vereinigt und dadurch dem früher flachen Leinwandstücke eine Hohlform gegeben. Die entsprechenden Masse für die Grösse des Trapezes sind von der jeweiligen Grösse des scrotum abhängig. Langfeherf sehe Suspensorien dienen auch zur Befestigung von Wundverbänden nach Scrotaloperationen. Liegt der Kranke zu Bette, so wird die Suspension des scrotum durch einen kleinen keilförmigen Polster vermittelt, welchen man zwischen den etwas gespreizt gehaltenen Beinen so hineinschiebt, dass er am Mittel- fleische anliegt. Je nach der Höhe des Polsters kann die einfache Sus- pension bis zu einem gewissen Grade der Elavation gesteigert werden. Die Suspension der mamma findet bei entzündlichen Processen sowohl als auch bei Hypertrophien ihre Anzeige, Der Verband be- zweckt die Uebertragung des Mammagewichtes auf den Schulter- gürtel. Hiefür dienen entweder Suspensorien oder Binden. Erstere werden aus einem viereckig zugeschnittenen, einfachen oder doppelten Leinwandstücke verfertigt, an welches Bindenstreifen anzunähen sind, und zwar in der Anzahl von sechs. Vier davon verlaufen divergirend horizontal; sie dienen zur Befestigung des die mamma deckenden Leinwandcarreaus an den thorax, die zwei anderen Streifen sind am oberen Rande der Compresse angemacht, verlaufen in einfacher oder gekreuzter Divergenz nach oben, werden in der Art von Hosenträgern um die Schultern geführt, am Rücken neuerlich gekreuzt, um schliess- lich entweder an die obere Horizontaltour befestigt oder von rück- wärts her unterhalb der mamma um den thorax geschlungen zu werden. Die Suspension mit Bindentouren geschieht mit einfacher oder doppelter Spica, je nachdem nur eine oder beide Brustdrüsen zu erheben sind. Man stellt sich vor die Kranke, umgeht zunächst mit einigen Kreis- touren den thorax unterhalb der Brustdrüsen, umfasst hierauf mit Schildkrötentouren von unten nach aufwärts die mamma, sagen wir exempli gratia die rechte und lässt die Touren über die linke Schulter hinauf und schräg am Rücken wieder zurücklaufen; zweckmässiger ist es indes, die Touren in Achterform noch um die linke Achsel laufen zu lassen und die Kreuzungen in die Schlüsselbeingegend zu verlegen. — Spica pectoris ascendens simplex — Zur Spica duplex wird das Verfahren abwechselnd bald rechts, bald links ausgeführt mit vollständig gleicher Technik. Selbstverständlich müssen jene Bindentouren, welche bei vollständiger Umhüllung der mammae deren obere Segmente decken sollen, circulär, ja in absteigendem Sinne schräg um den thorax geführt werden. 301 Fig. 92, Die obere Extremität wird stets am Nacken suspendirt, und zwar meistens mit Tüchern. Conditio dabei ist eine rechtwinkelige Beugung im Ellbogengelenke, indem der Ulnarrand des Vorderarmes meistens in seiner ganzen Länge vom olecranon bis zum Kleinfingergelenke als Stützfläche benützt wird. Verwendet man ein dreieckiges Tuch als Schwebe, so schlägt man den einen Endzipf über die gesunde Schulter und so weit um den Nacken herum, dass er auf der anderen Seite des Halses wieder zum Vorschein kommt und lässt ihn hier festhalten. Nun wird der andere Endzipf, welcher bisher entlang der vorderen Körperseite herabhing, um den gebeugten Arm derart geschlungen, dass dieser auf die Mitte des Tuches mit seinem Ulnarrande zu liegen kommt, so dass die Spitze des Tuches das olecranon nach hinten überragt. Dann führt man den Endzipf vor dem Arme zur Schulter der kranken Seite und knotet ihn mit dem anderen Endzipf am Nacken zusammen, mit Unterstellung einer Baumwolllage oder einer kleinen Compresse als Polster, damit der Knoten nicht allzu sehr drücke. Zum Schlüsse wird die Spitze des Tuches um den Ellbogen herum nach vorne ge- schlungen und hier mit einer Sicher- heitsnadel festgemacht (siehe Fig. 89). Man nennt diesen Verband das grosse Armtragetuch zum Unterschiede vom kleinen Armtragetuche, welches bloss in einer Cravattenschlinge besteht, wel- che zur Suspension der Hand oder des Vorderarmes vielfache Verwen- dung findet. Will man in das Arm- tragetuch gleichzeitig auch die Schul- ter der kranken Seite einschliessen, so muss ein viereckiges Tuch hierzu genommen werden, da das dreieckige die Schulter offen und unbedeckt lässt. Die Technik des Anlegens dürfte aus Fig. 92 ersichtlich werden. In Ermangelung zweckdienlicher Tücher kann die Suspension des Armes auch mittelst des betreffenden Rockärmels vermittelt werden, welchen man mit Sicherheitsnadeln an das Bruststück des Rockes befestigt; man kann auch die Aermelnaht entsprechend der Radial- seite trennen und an die Stoffränder breite Bindenstücke annähen lassen, welche dann um den Nacken zu schlingen sind. Auch ein heraufgeschlagener Rockschosszipf kann im Nothf alle als Trage dienen. Elegantere Verbände zur Suspension des Armes am Nacken bilden die sogenannten Tragkapseln: halbrinnenförmige, am Ellbogen ab geschlossene Cartonschienen, welche gefüttert und mit schwarzem Tuch oder Seide überzogen, auf Bändern befestigt werden. Bei Frac- turen der Knochen des Schultergürtels, namentlich der clavicula und des Collum scapulae, wird das untere Bruchstück durch das Gewicht der Extremität nach abwärts verzogen. In derlei Fällen wäre die Suspension des betreffenden Armes allein kaum genügend, um die Verschiebung der Bruchstücke vollends zu bemeistern ; vielmehr muss eine directe Erhebung des Armes und eine Fixation in empor- — 302 gedrückter Stollun.u' zu Stande gebracht werden. Das Armtragetuch ist hiefür nicht ausreichend und kann nur als provisorischer Verband Geltung haben. Zur definitiven Fixirung des Armes in empor- gedrängter Stellung ist ein Verband mit sorgfältig angelegten Binden- touren nöthig. Iliefür wird eine feste Binde, in sich deckenden Schleifentouren um den gebeugten Vorderarm insbesondere am ole- cranon angelegt, welche die Ulnarfläche anspannen, in Achtertouren an der kranken Schulter über Compressen sich kreuzen und die Achselhöhle der gesunden Seite, über Brust und Rücken laufend, um- fassen. Nebstdem führt man zum Schlüsse einige Cirkeltouren, welche den Oberarm an den Stamm drücken. Um die Maceration der, solcher- art förmlich abgeschlossenen Hautflächen der Achselhcihlenwandungen und der Ellbogenbeuge durch den Schweiss zu verhüten, ist eine vor- gängige Befettung der Haut mit Zinkoxydpasta und eine Einlage entfetteter Baumwolle nicht zu vergessen; weiters empfiehlt es sich, die Lage der einzelnen Bindentouren dadurch vor Verschiebung zu bewahren, dass man den Fig. 03. fertigen Verband noch mit nassen gestärkten Organtin- binden deckt. Statt der Bin- den kann auch mit ent- sprechend langen und brei- ten Heftpflasterstreifen ein ähnlich wirkender Verband angelegt werden. Der Haupt- streifen soll dann entlang der Hinterfläche des Ober- armes und der Ulnarfläche des Vorderarmes, das ole- cranon deckend, zur ge- sunden Schulter laufen, ein zweiter zieht von der kran- ken Schulter zum Hand- gelenk {Sayve, Bavleit u. A.). Suspension der unteren Gliedmassen wird deren Gewicht auf das Bett gestellte Apparate übertragen. Es eigene Reifenbahren, theils Holzgerüste, welche fussend und am Bettgestelle befestigt, das meterhoch überbrücken. Auf derlei Gestelle, wird nun das sorgfältig immobilisirte Bein Bei der auf äussere, feste, dienen hierzu theils am Zimmerboden sicher Lager des Kranken etwa auch „Galgen" genannt, durch Vermittlung von Schnüren und Rollen derart suspendirt, dass der Körper des Kranken im Bette einige Bewegung ausführen kann, ohne die leidende Extremität in Mitleidenschaft zu ziehen, da sie fixirt bleibt und die Mitbewegung von den Rollen übernommen wird. Fig. 93 stellt das Schwebegestell nach Salter dar, bei dem die Vor- und Rückbewegung der Extremität auf Rollen erfolgt, welche über eine eiserne Schiene laufen: Fig. 94 die Schwebevorrichtung nach Smith mit vorderer oder dorsaler Beinschiene aus Draht, an welche die Extremität jeweilig gebunden wird. Bei der Befestigung mittelst Rollbinden können dabei beliebige Stellen und Extremitätsabschnitte temporär frei gelassen werden, falls dies nothwendig wäre. Das Einbiegen — 303 — der ursprünglich geraden Drahtschiene entsprechend den verschiedenen Gelenken, geschieht entweder mit eigenen starken Zangen, oder in Ermangelung dieser und gewiss ebenso gut, durch Umbiegen an einer Bettkante mittelst Händekraft allein. Aehnliche Drahtschwebevor- richtungen haben Ward Co7tsins und Bardelehen für die untere, V. Volkmann für die obere Extremität angegeben; sie tragen den Theil auf einem Gurtenlager der in einem Drahtgehäuse gespannt wird, wodurch die obere Fläche der Extremität frei bleibt. Sauter's Schwebe stellt ein hölzernes, mit einer Fussstütze versehenes Brett dar, welches durch vier Gurten an einem Bettgerüste suspendirt wird, gleich einer Wagschale. Zor/^ser'^- Schwebe besteht aus einem länglichen, aus Holzstäben gezimmerten, länglich viereckigen Kasten, in welchem mittelst Bindenstreifen ein Stützlager fhr die Extremität bereitet wird. Fig. 94. Bei der Kopfschwebe handelt es sich darum, das Gewicht des Kopfes direct auf den Rücken, beziehungsweise auf ein den Stamm umfassendes Traggerüste zu übertragen, um die erkrankte Halswirbel- säule zu entlasten. Das Gerüste wird entweder durch einen Gipspanzer nach Sayre oder durch ein orthopädisches Mieder hergestellt, von dem eine gebogene Eisenstange ausgeht, welche von hintenher Halswirbel- säule und Hinterkopf in gegebener Entfernung umgibt und, ähnlich der Raupe eines Dragonerhelmes, etwa fausthoch über den Scheitel endigt. An dieser Stange, welche von den Franzosen „der Bogen von Levacher'\ von den Amerikanern „the jury mast" genannt wird, und zwar an deren freiem Ende, wird mittelst einer sogenannten Hals- schwinge der Kopf aufgehängt, eventuell auch distrahirt. Diese von Glisson angegebene Bandage besteht aus einem ringförmigen wohl- gepolsterten Ledergurte, welcher den Kopf gleich einer hohen Hals- — 304 — krause iim^uibt und am Nacken mittelst Schnalle und Kiemen ge- schlossen wird. Der Gurt stützt sich auf den unteren Rand des Unter- kiefers, lehnt an die Warzenfortsätze und an das Hinterhauptbein, und lässt seitlich je zwei schräg aufsteigende Riemen abgehen, welche, das äussere Ohr umfassend, zu je einem Riemen sich vereinigen. Letztere haben Löcher, bestimmt in Knöpfe aufgenommen zu werden, welche der P^ndtheil des Rogens trägt. Je straffer man die Riemen einknöpfelt, desto ausgiebiger ist die Suspension, id est desto mehr geht sie in einen verticalen Zug über, den man durch Einschaltung von Kautschukringen oder Spiralfedern zu einem elastischen machen kann. Der Zug kann auf der einen Seite überwiegend gemacht werden vor dem der anderen Seite, eine Möglichkeit, welche den Apparat auch zur Redression des Kopfes bei Caput obstii)um eignet. Während das Mieder den Rogen in einer Stahlöse aufnimmt, muss beim Gipscorset der in einen viel längeren Stab nach unten auflaufende Rogen mit in den Verband eingeschaltet, also eingegipst werden. VI. Capitel. Content! wer bände. Contentivverbände kommen zumeist bei Knochenbrüchen und Resectionen zur Anwendung: sie bezwecken, der gebrochenen oder ihrer Gelenksverbindungen beraubten Gliedmasse einen äusseren Halt zu geben, einen temporären Ersatz zu bieten für die fehlende Skelet- stütze; ihr Verbleiben auf der Gliedmasse wird demzufolge so lange zu währen haben, bis diese ihre Festigkeit wiedererlangt hat. Weiters bedient man sich der Contentivverbände auch zur Fixirung entzünd- lich erkrankter oder sonst beschädigter Gelenke etc. Rei Knochen- brüchen ist es selbstverständlich, dass dieser vorerst genau eingerichtet sein muss, bevor man zur Anlegung des Contentiv Verbandes schreitet; ebenso ist es klar, dass die Coaptationsstellung durch Fortdauer der Extension und Contraextension insolange genau eingehalten werden muss, bis der Verband fertig angepasst ist, es sei denn, dass absolut keine Neigung zu irgend einer Verschiebung vorhanden wäre, oder eine Verschiebung überhaupt nicht bestand. Für solche Fälle genügt oft nur die einfache Herstellung einer zweckdienlichen sicheren Lagerung, umgekehrt sind wieder für Fracturen, bei denen eine grosse Tendenz zur Wiederverschiebung der Rruchenden besteht, die Con- tentivverbände oftmals ungenügend sie zu verhindern und dann treten die Extensionsverbände in ihre Rechte. Alle Stützverbände müssen, um ihren Zweck zu erfüllen, die gebrochene Gliedmasse in einer gewissen Ausdehnung umfangen; es gilt als Regel, dass der jeweilige Verband beide Nachbargelenke des gebrochenen Extremitätstheiles überrage und auch die nachbarlichen Extremitätsabschnitte auf weiter Strecke umfasse. So muss beispiels- weise bei einer Fractura cruris oder antibrachii, der Contentivverband stets Fuss oder Hand fixiren und über Knie oder Ellbogen am Ober- arm, respective Oberschenkel, weit hinaufreichen. Oberarm- und Ober- schenkelfracturen erfordern wieder eine gleichzeitige Fixirung nicht nur des Unterschenkels oder Vorderarmes, sondern auch des Schulter- — 305 — gürteis oder Beckens. Contentivverbände dürfen nirgends drücken, weder isolirt noch weniger aber circulär; ersteres würde zu localem Decubitus, letzteres zu Ernährungsstörungen des ganzen peripheren Abschnittes führen. Die Verbände bedürfen daher einer correcten nachgiebigen Polsterung, denn zur Fixation selbst bedarf es starrer Wandungen. Diese können hergestellt werden entweder durch Schienen oder durch Verbände, welche erst nach der Anlegung erstarren ; man spricht demzufolge von Schienenverbänden und von starren, richtiger erstarrenden Verbänden. a) Schienenverbände. Wir wollen der Uebersichtlichkeit halber und um störenden Wiederholungen vorzubeugen, die Schienen nach ihren wesentlichen Unterscheidungsmerkmalen classificiren und werden der Eintheilung in: gewöhnliehe, modellirte, modellirbare, unterbrochene und arti- cuiirte Schienen folgen. Gewöhnliche Schienen möchte ich jene nennen, welche in Vorrath gehalten, von Fall zu Fall verwendet werden, ohne Rücksicht auf diese oder jene Körperregion, die man damit stützen will. Die ge- Ficr bräuchlichsten sind aus Holz, und zwar theils zumeist ^\ bis ' ,, Centimeter dicke Latten von verschiedener Breite, aus denen man sich mittelst einer gewöhnlichen Holzhandsäge jeweilig so lange Stücke abschneidet, als man eben benöthigt, und deren Ränder man abrundet und glättet; theils stellen sie mehr minder tief gehöhlte Hohlrinnen dar und heissen dann gekehlte Holzschienen. Letztere werden meistens aus Tannenholz verfertigt. ' Xebstdem sind auch Schienen gebräuchlich, die jeweilig aus stärkerer Pappe geschnitten werden in der eben benöthigten Form und Grösse. Es empfiehlt sich, zunächst auf dem Cartonblatte mittelst Bleifeder die Schienen vorzuzeichnen und sie dann mit einem scharfen starken Taschenmesser derart auszu- schneiden, dass man das Cartonblatt mit seiner Kante gegen die eigene Brust stemmt und nun mit schräoe gehaltener Klinge in sägenden ' Als Ersatz für gekehlte Schienen hat Sculon eine Art Stabsehienen in Handel gebracht, welche recht praktisch sind. Sie sind aus einer Reihe parallel und dicht gedrängt aneinander gestellter viereckiger Holzstäbchen zusammengesetzt, welche mit der einen Fläche auf Leder oder Leinwand festgeklebt werden. Sie lassen sich mit der Lederfläche angelegt, der Quere nach beliebig krümmen, auf Kosten einer Diastase der einzelnen Spaltenräume. ,s«don nennt diese Schienen: Attelles articulees. Martini und Gooch haben ähnliche Schienen empfolilen. Auch Esmai-ch's „schneidbarer Schienen- stoff" zählt zu dieser Kategorie von Verbandsmaterialien. Er besteht aus Holzrouleaux- brettchen, welclie in kleinen Zwischenräumen zwischen zwei Schichten Baumwollstoff mittelst Wasserglas festgeklebt sind. V. Mosetig -Sloorhoi: Handbuch d. chinn-g. Technik. 4. Aull. 20 306 - Fio-. SV//' sehen Ansa mit flüssigem Tischlerleim anzukleben. Heusner bedient sich zum Anhängen der Gewichte zweier Filzstreifen, welche durch eine Klebe- Fig. 101. masse an die Gliedmasse befestigt werden und an welche Segeltuch- streifen angenäht sind. Die Klebe- masse besteht aus: Gera flava, Resina Damarah und Colophonium äa 10-00, Terebinthina l'OO, Aether, Spiritus vini, Oleum terebinthinae aa 55'00. Die filtrirte Masse wird mittelst eines einfachen Zerstäubungs- röhrchens direct der Haut in dünner Schichte aufgeblasen und sogleich die Filzstreifen angepickt. Eine Rollbinde sichert das Ganze. Noch besser ist die Verwendung eines entsprechend langen elastischen Strumpfes, an dessen Aussenfläche die Zugbänder früher angenäht werden, doch erlaubt die Kostspielig- keit des Strumpfes diese Art der Zuganbringung nicht in allen Fällen ; Schnürgamaschen sind selten brauch- bar. Fig. 101 stellt ein Rollenstativ dar, welches am Fussrande des Bettes befestigt werden kann und sich seiner Einfachheit wegen empfehlen dürfte. Das Anmachen des Zuges am gebeugten Oberschenkel und am Oberarm findet in ähnlicher Weise statt, da die Oberschenkel-, beziehungsweise die Oberarmknorren auch der Holzspreize bedürfen, um nicht gedrückt zu werden; am Vorderarm ist letztere unnöthig, da die Abplattung zur Mittelhand und zu den Fingern eine graduell so bedeutende ist, dass letztere zwischen der Endschlinge kaum gedrückt werden können. Das jeweilig zu wählende Gewicht (meistens mit Sand gefüllte Säcke) wird bestimmt: durch die Grösse der benöthigten Distraction, durch die Grösse der Reibung, endlich durch die Richtung, in welcher der Extremitätsabschnitt zu bewegen ist, ob horizontal, ob auf- oder absteigend. Dass bei der Distraction die Richtung des Zuges stets genau der Extremitätsachse folgen und die Zugschnur gleichsam eine Verlängerung jener bilden soll, ist selbstverständlich. — 323 — Zur Contraextension während der Dauer der Gewichtsdistraction wird benützt: c) Eine Fixation des centralen Extremitätstheiles oder des Stammes auf Schienen, oder durch Gurtenschleifen, welclie bei- spielsweise das Becken umfassen, wozu dicke, gut gepolsterte Mittel- fleischgürtel, cravattenförmig zusammengelegte Leintücher, dickste Gummischläuche etc. Verwendung finden. Zweckmässiger als diese, nicht immer gut vertragenen Fixirungen bewährt sich, wenigstens tagsüber, oder richtiger gesagt während des Wachens, das Anstemmen des gesunden zweiten Beines gegen eine verticale, am unteren Bett- pfosten befestigte, gepolsterte Stütze. Am Oberarm kann die Fixirung des oberen Bruchstückes dadurch bewerkstelligt werden, dass man das Lagerungsbrett des Armes, bei zweckmässiger Polsterung des concav ausgeschnittenen oberen Randes, gegen die Achselhöhle stemmt. h) Eine doppelte Distraction in zwei divergirenden Richtungen, wobei entweder zwei Croshj/'sche Ansäe nothwendig werden mit zwei Ge- wichten, welche in ihrer Zugwirkung entgegengesetzt sich verhalten, oder man hängt das Gewicht nur dem peripheren Theile an, während das centrale durch das eigene Gewicht in entgegengesetztem Shme wirkt. Erstgedachte Methode ist nur am Vorderarme anwendbar und üblich, letztere wird für die untere Extremität verwendet, theils bei extendirter, theils bei doppelt tlectirter Stellung des betreffenden Beines. Wie dies bei flectirter Stellung zu bewerkstelligen sei, wurde am Beginne dieses Capitels angedeutet; bei extendirter Stellung pflegt man hiefür die Unterlage in eine schräg aufsteigende schiefe Ebene umzuwandeln, dadurch, dass man den Fusstheil des Bettes erhöht, durch Unterstellung von Holzstückeln unter die vorderen Stützen der Lagerstätte. Hierdurch wird bei der Rückenlage das Becken des Kranken tiefer gestellt als die Ferse; freilich hat dieses Vorgehen den Nachtheil, wegen der schräg aufsteigenden Richtung des Beines ein entsprechend grösseres Gewicht zu beanspruchen. Eine in querer Richtung wirkende Gewichtsextension wäre nach Art der Hüter^schen Bindenzügel anzubringen. Die entgegen- wirkenden Nebenzügel müssen an einem seitlich angebrachten Brette, einem Galgenpfosten etc. befestigt werden, während der redi^essirende Hauptzügel das Gewicht trägt, welches an der entgegengesetzten Bett- seite über eine Rolle läuft. Da hierbei eine Verschiebung der Binden- zügel nur zu leicht erfolgen könnte, wenn sie als einfache Schlingen die Gliedmasse umgeljen würden, so ist es dringend zu empfehlen, zunächst eine Rollbinde an den Extremitätstheil anzulegen, und dann an diese die Bindenzügel zu nähen. Soll der seitliche Zug auf den Extremitätstheil mehr in axialem Sinne, also rollend wirken, so nimmt man ein kurzes Stück einer rauhen Binde — Flanell — und um- wickelt damit in mehrfacher Decklage die betreffende Stelle derart, dass die Richtung des Bindenlaufes der Rollrichtung entspricht. Dass Längs- und Querzug combinirt werden können, bedarf wohl keiner Betonung. Wie man am Kopfe einen Zug anbringen könne, Avurde schon erörtert; es galt das Gesagte für die aufrechte Körperhaltung; bei horizontaler Lage kann an die Glisson^sclie Halsschwinge ein Ge- wicht befestigt werden, dessen Tragschnur über eine, am Kopfende des Bettes anzubringende Rolle geführt wird. 21* — 324 — h) Der Distraction durch Schraubenwirkung bedient sich zumeist die Orthopädie, und zwar theils um eine Dehnung entsprechend der Achse, theils um eine Streckung von Winkelkrümmungen zu effectuiren. Dennoch hat Ifrine auch eine Combination des Gipsverbandes mit Schraubenextension ersonnen. Erlegte, beispielsweise bei einer P^ractura cruris mit Verkürzung, zunächst einen geschlossenen Gipsverband in zwei Abtheilungen an: die untere umfasste den Fuss und den Unterschenkel bis zur Fracturstelle oder etwas darüber hinaus, die zweite begann an der Grenze der ersten und reichte weit am Ober- schenkel hinauf bis zum Becken. An den Grenzen der beiden Ab- theilungen wurden nun an zwei gegenüber liegenden Punkten, meistens innen und aussen, je zwei Stahlschienchen miteingegipst, welche durch eine Schraube in divergenten Richtungen auseinander getrieben werden konnten. Geschieht dies nach festgewordenem Verbände, so erweitert man allmälig den Spalt zwischen beiden Gipshülsen, indem man sie auseinander treibt. Theoretisch mag es gelten, praktisch war der Gedanke unfrucht- bar, da der Druck mehr minder nur isolirte Hautstellen trifft, wie dies schon bemerkt wurde. c) Der elastische Zug kann Verwendung finden entweder für sich allein, oder in Verbindung mit einer Gewichtsbelastung, gleichsam als Verstärkung dieser; die Einschaltung eines Kautschukringes im Verlaufe der Zugschnur genügt hierzu. Beim rein elastischen Zuge wird ein gespannter Kautschukschlauch verwendet; die Spannung muss um so grösser und die Schlauchwandungen um so dicker sein, eine je grössere Zugwirkung erfordert wird. Dass das Zugobject gegen einen äusseren festen Gegenstand gezogen werden müsse, ist selbst- verständlich. Dieser kann entweder ein Bettpfosten oder eine feste Schiene sein, welche möglicherweise der zu distrahirenden Extremität gleichzeitig als Lagerungsstätte dient und Vorrichtungen besitzt zur peripheren Befestigung des elastischen Zugmateriales, während dessen centraler Angriffspunkt meistens an CVo.s%'scher Ansa stattfindet. Bei Verwendung des elastischen Zuges zur Geraderichtung von Ver- biegungen und Verkrümmungen bedient man sich entweder einer elastischen Binde, welche die Convexität der Krümmung an eine der Concavität der Gliedmasse angepassten Schiene drückt, oder es werden die elastischen Schnüre an articulirte Schienen befestigt, welche dem Krümmungswinkel entsprechend angepasst, allmälig durch die Elasti- cität der gespannten Gummischnüre gestreckt werden, welcher Be- wegung dann die gekrümmte Gliedmasse folgen muss, wenn der Zug- stärker ist als der, der Streckung entgegengesetzte mechanische Widerstand. Anhang. Locale Regelung der Temperatur. Der Chirurg kommt oftmals in die Lage, die locale Temperatur eines Körpertheiles erhöhen oder erniedrigen zu müssen, je nach der Causalindication. Kälte und Wärme können in zweifacher Weise angewendet werden, trocken oder feucht. Feuchte Wärme wird durch — 325 — Warmwasserumschläge zugeführt, welche man mit wasserdichtem Zeuge hermetisch abschliesst, um die Abkühlung und die Austrock- nung, beide Producte der Verdunstung, zu verhüten; seltenere Ver- wendung finden die in früherer Zeit so beliebt gewesenen Brei- umschläge. Feuchte Kälte wird durch Kaltwasserumschläge erzeugt, deren Wechsel durch die jeweilige Erwärmung des Umschlages geboten wird. Eine constantere Einwirkung der Kälte, unabhängig von der Wartung und mit geringerer Belästigung des Kranken ist erzielbar, wenn dem Kaltwasserumschlage eine Eisblase aufgelegt wird. Man hat Eissäcke aus Pergamentpapier, welche vor Benützung in lauem Wasser zu erweichen sind, man hat Eisblasen aus Gummi- tuch oder Kautschuk in verschiedener Form und Grösse und mit verschiedenen Schlussvorrichtungen (Klemmen-, Hauben-, Stoppel- Fiyr. 102. verschluss) versehen, welche das Ausrinnen des allmälig schmelzen- den Eises verhüten. Nie soll eine Eisblase direct auf die Haut appli- cirt werden, sondern stets mit Zwischenhaltung einer Compresse, deren Dicke dem Grade der Kälteeinwirkung in verkehrtem Verhält- nisse zu entsprechen hat; nie sollen grössere Eisstücke in die Blase eingefüllt werden, nie verkleinertes Eis in zu grosser Menge. Soll die Belastung des local abzukühlenden Körpertheiles durch den gefüllten Eissack gemieden werden, so muss dieser suspendirt und nur der deckenden Compresse angelehnt werden. Zur Suspension dienen Reifenbahren, oder ein geöffneter, zwischen Matratze und seitlichem Bettgestelle geschobener, das Lager überwölbender Fassreif. Trockene Wärme wird mit erwärmten Tüchern, seltener mit Kräuter- säckchen gespendet, nebstdem mittelst Wärmeflaschen oder Steinkrügen, welche mit heissem Wasser gefüllt sind; trockene Kälte mit Eisblasen, — 326 — welche ühor trockene Compressen angelehnt oder aufgelegt werden. Leiter hat Apparate ersonnen, die er „Wärmeregulatoren" nennt, da sie sowohl eine locale Wärmeentziehung als aucii eine Wärmezufuhr ge- statten. Sie setzen sich aus einem Systeme von intercommunicirenden Röhren zusammen, welche zu Apparaten der verscliiodensten Grösse und Form zusammengestellt sind, wie es Fig. 1()2 zeigt. Es sind ver- zinnte Bleiröhren, auf Metallplatten gelöthet, welche durch ihre Bieg- samkeit eine genaue Adaptirung des Apparates an den Contour der jeweiligen Körperoberfläche gestatten. Die Enden des Röhrensystems werden mit Gummischläuchen verbunden, Avelche die Zuleitung und die Ableitung des die Röhren durchfliessenden Wassers vermitteln. Je nach der Temperatur des Wassers gestaltet sich auch jene des Apparates. Die Leiter^ &c\\en Regulatoren werden der Körperoberfläche zumeist direct aufgelegt, ohne Zwischenschaltung einer Compresse; sie wirken ganz vorzüglich und haben nur den einen Nachtheil, dass sie etwas schwer sind und zarte Körpertheile empfindlich belasten. Mader hat die Regulatoren insoweit modificirt, dass er den Blei- röhrchen Gummischlüuche substituirte, welche er auf Leinwandunter- lagen mit Nahtschleifen umspinnen und solchermassen zu beliebig geformten Röhrensystemen gestalten Hess in Nachahmung der, nament- lich zur Kühlung des Halses üblichen Kühlschlange von Thornsfon. Allein die Kühlschlange wird gewöhnlich aus einem weiten Gummischlauche improvisirt, während Älader's Schläuche kleincalibrirt sind und es auch sein müssen, um leicht sein zu können. Dieser Umstand gestattet aber nur einem kleinen Wasserquantum in einer Zeiteinheit durch- zuf Hessen, und da noch das Moment sich geltend macht, dass Kautschuk ein schlechterer Wärmeleiter ist als Blei, so resultirt, dass sie weniger rasche Abkühlungen hervorrufen. Immerhin genügen sie dem Zwecke und empfehlen sich durch ihre Leichtigkeit. Leiter hat unter Beibehaltung seines Principes auch Kühlapparate für den Mastdarm und die Vagina construirt. An abschüssigen Körperflächen werden die Regulatoren mittelst Binden fixirt. Das Durchfliessen eines auf 8 bis 12" C. temperirten Wassers bewirkt schon eine sehr bedeutende constante Wärmeentziehung. SECHSTER ABSCHNITT. Operationen am Kopfe. I. Capitel. Blutige und unblutige Operationen am Knochengerüste des Kopfes. Ä Am Schädeldache kommen typisch nur Eingriffe zur Ausführung, welche zur Gruppe der Resectionen gehörig sind, da sie in einer kunst- gerechten Entfernung von Knochensubstanz bestehen. Der Zweck kann ein doppelter sein: entweder die Entfernung durch äussere Schädlich- keiten ab- oder eingebrochener Knochentheile und im Knochen ein- gekeilter Fremdkörper, beziehungsweise erkrankter oder durch Neu- gebilde in Mitleidenschaft gezogener Knochenabschnitte, oder die Blosslegung von Knochenhöhlen, beziehungsweise des Schädelinneren. Während man nun die Blosslegung von Höhlen, welche die Schädel- knochen in ihrem Inneren bergen, einfach mit dem Namen Eröffnung bezeichnet und sonach von einer Eröffnung der Stirnhöhlen oder des Höhlenraumes im Warzenfortsatze spricht, ward die Blosslegung des Schädelraumes gemeinhin als Trepanation bezeichnet, obgleich, strenge genommen, darunter nur die Entfernung von Knochentheilen mittelst Rundsägen (Trepane) verstanden werden sollte. Trepanation ist identisch mit dem Begriffe einer Resection aus der ganzen Dicke eines Schädeldeckknochens. Im Allgemeinen ist dieser Eingriff stets angezeigt, wenn durch ihn störende oder gar das Leben bedrohende cerebrale Krankheitserscheinungen behoben werden können. Als specielle Anzeigen gelten: a) Schädelfracturen. Gemeinhin wird verlangt, dass die Fractur eine offene sei ; immerhin mögen aber auch subcutane Fracturen den Eingriff erfordern, wenn ein Knocheneindruck deutlich nachweisbar ist, oder abgebrochene Splitter als Ursache der bestehenden Cerebral- — 328 - Symptome angenommen werden können; weiters, wenn im Gefolge einer Verletzung sich einstellende, stetig zunehmende Compressions- erscheinungen auf eine intracranielle Blutung durch Zerreissung der arteria meningea media schliessen lassen; endlich wenn Symptome einer intracraniellen Eiterung auftreten. Der Zweck der Resection bei Fracturen ist theils ein prophylaktischer, theils ein curativer. Prophylaktische oder primäre Trepanationen heissen jene, welche gleich oder bald nach stattgefundener Verletzung vorgenommen werden, um die causa zu entfernen, bevor noch der effectus sich kundgibt. Diese Art Operationen gelten selbstverständlich ausschliesslich nur für offene Schädelbrüche. Schon die Obsorge für eine correcte Antisepsis der bestehenden Knochenwunde kann sie peremptorisch erheischen, wenn auch kein wesentlicher Eindruck und keine besondere Splitte- rung zugegen wären, sondern vielleicht nur eine Knochenspalte be- stünde, in dieser aber Haare sich eingeklemmt hätten; oder wenn ein gegründeter Verdacht vorläge, dass septische Stoffe eingedrungen seien. Liegt eine einfache Knochendepression vor, so ist die prophy- laktische Resection nicht apodiktisch angezeigt, indem erfahrungs- gemäss derlei Verletzungen auch ohne operative Kunsthilfe heilen können, ohne besondere Functionsstörungen der cerebralen Organe hinterlassen zu müssen, ja Eindrücke an kindlichen Schädeln sich oft von selbst ausgleichen. Splitterbrüche dagegen indiciren die prophy- laktische Abhilfe einerseits behufs Entfernung der losgetrennten, etwa in die harte Hirnhaut eingestochenen scharfen Splitter, andererseits behufs gründlicher Antisepsis, da bei Splitterbrüchen der Abschluss der Schädelhöhle von der Aussenwelt nicht mehr als so hermetisch angenommen werden kann, als dies bei einfacher Depression oftmals der Fall ist. Curative oder secundäre Trepanationen werden jene genannt, die erst nach dem Eintritte solcher cerebralen Symptome vorgenommen werden, welche eine chirurgische Abhilfe bestimmt er- heischen: Spättrepanationen endlich heissen jene Schädelresectionen, die nach schon geheilter oder in der Heilung vorgeschrittener Ver- wundung ausgeführt werden, so beispielsweise wegen Gehirn ab scessen oder wegen Epilepsie, deren Ursprung man in einem localen Reize an der früheren Verletz iingsstelle zu suchen berechtigt ist. Seit HorsJey bewiesen hat, dass man jene Fälle von traumatischer Epilepsie, welche eine palpable und daher entfernbare Rindenläsion als Ursache erkennen, dann mit Erfolg operiren könne, wenn man nicht nur die bestehende Haut- und Knochennarbe nebst dem adhärenten Meningen, sondern auch die betroffene Rindenpartie des Gehirns in weitem Umfange exstirpirt, ist die Anzeige zur Trepanation wegen traumatischer Epilepsie wieder lebensfähiger geworden, als sie es vordem war. Dass dafür eine genaue Bestimmung des Sitzes der gereitzten Rindenpartie absolut nothwendig sei, ist wohl selbtverständlich. h) Bei Fremdkörpern trei3anirt man in der Absicht sie zu ent- fernen, falls dies der einfachen Ex'airese nicht gelingt, sei es nun, dass der Fremdkörper im Knochen eingekeilt liegt, sei es, dass er durchgeschlagen habe und sich im Inneren des Schädelraumes befindet. Läge der Fremdkörper an einer der Eintrittspforte entfernten Stelle an der Lmenf lache des Schädelgehäuses, so müsste an dieser die Trepanation vollzogen werden. — 329 — c) Localisirte Schädelknochenerkrankungen indiciren wohl auch manchmal die Trepanation; so Necrosen, wenn der Knochen in seiner ganzen Dicke abgestorben ist und die Form des Sequestes dessen ein- fache Extraction nicht gestattet. Man trepanirt aber auch bei Caries cranii und schabt oder exstirpirt nachträglich die etwa fungös granulirende dura mater. Weiters können dem Knochen aufsitzende und das Knochen- gewebe in Mitleidenschaft ziehende maligne Neubildungen die Mitent- fernung des betroffenen Knochenbezirkes nothwendig machen. dj Als weitere Anzeige gelten Gehirnabscesse als Folgen voraus- gegangener septischer Processe an den Weichtheilen oder in den Knochen des Schädels, oder nach eiteriger Entzündung des Mittel- ohres, endlich nach eiterigen Pleuritiden und Bronchitiden, wogegen metastatische und tuberculöse Gehirnabscesse einen Eingriff wohl kaum rechtfertigen dürften ; erstere schon ihres multiplen Vorkommens wegen. e) Man eröffnet auch den Schädel, um cerebrale Tumoren zu exstirpiren, wenn deren Sitz genau bestimmbar ist, dieselben primär auftreten und der Convexität des Gehirns angehören. Secundäre also metastatische Neubildungen und solche an der Gehirnbasis geben be- greiflicherweise keine Anzeige zur Ojieration. f) Eine letzte Indication zum operativen Eindringen in die Schädelhöhle gibt auch die Nothwendigkeit den verstärkten intracra- niellen Druck zu verringern, also zur Behebung von Druckei scheinungen: so bei einigen Formen döS chronischen Hydrocephalus wobei eine Drainage der Ventrikel beabsichtigt wird, so bei intensiven durch keine anderweitigen Verfahren zu lindernde Kopfschmerzen und selbst bei einigen Formen von Geisteskrankheiten. Auch bei mikrocepha- lischen Kindern mit vorzeitig verstrichenen Nahtverbindungen wurde durch Lonneloncpie behufs Besserung des Idiotismus die „Craniectomie lineaire" eingeführt. So sind in der That, dank dem Schutze der Antisepsis, den ver- besserten Operationsmethoden, der gewandteren Technik, zweck- mässigerem Instrumentarium und vor Allem dank den Fortschritten in der Diagnostik der Localisation, die Indicationen zur Trepanation im jetzigen Decennium bedeutend erweitert worden und dürfte auch gegenwärtig noch kein Stillstand zu erwarten sein. Schreibt doch Doyen : man solle die Schädelhöhle weit öffnen wie den Bauchraum. Es wird auch allmälig dazu kommen, da man zur Erkenntniss gelangt, dass in dem sorgsam ausgeführten operativen Acte keine wesentliche Gefahr für den Kranken liegt, man demnach berechtigt ist, auch selbst nur zu ex- plorativen Zwecken einzugehen. Die Ausführung der Operation ist verschieden, je nach der vor- handenen Anzeige: wenn beispielsweise ein Splitterbruch vorliegt, so kann vielleicht die blosse Exairese der primären, beziehungsweise die der secundären Splitter mit der Pincette genügen, wenn sie eben dem Instrumente zugänglich sind; des Häufigsten ist indes eine entspre- chende Erweiterung der Knochenwunde erforderlich und hierzu dient der Meissel. Wie bei jeder Resection überhaupt, ist auch hier eine sorgfältige Erhaltung der Beinhaut durch stumpfes Abheben derselben geboten. Nur an den Schädelsuturen ist das Losmachen des Periostes schwierig und bedarf der Beihilfe des Messers; an allen übrigen 330 Stellen genügt hierzn ein schmal zulaufendes Scalpellhet't oder ein Raspatorium; ja die Beinhaut kann in Verbindung mit den weichen Schädeldecken einfach mit den Fingern abgezogen werden. Ueber- flüssig ist die früher hierzu gebräuchliche fünfkantige Rougine (siehe Fig. 104: a). Eingedrückte, das Gehirn belastende Knochenstücke werden entweder ganz entfernt oder nur in ihre normale Lage zurückver- setzt, elevirt. Welcher Weg jeweilig einzuschlagen sei, entscheidet wohl der specielle Fall: ist das Knochenstück ganz abgebrochen, so pflegt man es zu entfernen; sind hingegen nicht alle Verbindungen mit dem Mutterboden gelöst, handelt es sich mehr um eine Infraction als um eine Fractur, so beschränkt man sich gerne auf die einfache Elevirung und dies umsomehr, als erfahrungsgemäss die Resections- Fig. 103. lücke nicht durch Knochennarbe heilt, wenn auch das Periost erhalten wurde, sondern nur durch Bindegewebsnarbe sich schliesst, wodurch als nothwendige Consequenz jeder Schädelresection eine bleibende Lücke im knöchernen Schädelgehäuse zurückbleiben müsste, wenn nicht, wie später geschildert werden wird, eigene Deckverfahren zur Ausführung gelangen. Es wird demnach sehr im Interesse des Ope- rirten gelegen sein, wenn die unausbleibliche Lücke so klein als möglich ausfällt, wenn also so wenig Knochen als eben thunlich ent- fernt wird. Zur Aufrichtung eingebrochener Knochenstücke dienen zumeist Elevatorien oder Knochenhebel. Für kleinere Bruchstücke kann auch der spitze Haken von Eoser (Fig. 104 hj mit Vortheil verwendet werden. — 331 Fig. 104. Man kennt Handtrepane oder Trephinen und Bogentrepane (Fig. 103), an denen die eigentliche Trepankrone befestigt wird; bequemer, hand- licher und daher gebräuchlicher ist der Bogentrepan, an dem der obere, um die Achse drehbare Teller und die gleichfalls drehbare, die Mitte des Bogens einnehmende Olive unterschieden wird; das untere Ende des Bogens heisst der Ansatz, da er zur Aufnahme und zur Befestigung der Krone dient. Die Trepankrone stellt einen hohlen, am unteren Rande gezähnten Cj^linder dar, dessen Durchmesser variirt, je nach der Grösse des zu resecirenden Knochenbezirkes. Da die Krone eine Rundsäge ist, so wird auch das damit entfernte Knochenstück eine Scheibe sein oder mindestens einem Kreissegmente entsprechen: letzteres dann, wenn nur der Rand des den Eindruck überragenden Kno- chens abgetragen wird. Um ein bestimmtes Knochensegment auszuschneiden, muss die Rundsäge stets im gleichen Zirkel wirken und sich um ihre eigene Achse unentwegt drehen. Da jedoch dieses Postulat schwer einzuhalten wäre, so lange die Rundsäge nicht eine entsprechend tiefe Furche im Knochen gebohrt hat, welche jede Platzverän- derung verhindert, so ergibt sich die Noth wendigkeit : durch anderweitige Vorkehrungen der Rundsäge ihren Platz be- stimmt zu sichern. Resecirt man eine ganze Scheibe, so dient hierzu ein verschiebbarer und durch eine Schraube be- liebig stellbarer, in der Achse der Rundsäge befindlicher Eisenstab, dessen unteres Ende pyramidenförmig gestaltet ist, eine scharfe Spitze und schneidende Kanten besitzt. Mit dieser, jeweilig über den Sägerand vorgestellten und in vorgeschobener Stellung fixirten Pyramide wird im Knochen die Achse vorgebohrt, das Centrum der aus- zusägenden Scheibe. Natürlich, dass die Pja^amide nicht zu weit vorge- schoben werden darf, 2 Millimeter genügen; sie wird so lange vorgestellt belassen, bis die Rundsäge im Knochen eine genügend tiefe Furche gegraben hat. Nunmehr ist ein weiterer Achsenhalt für die Krone un- nöthig, die Circularfurche hindert jeden Platzwechsel, erstere kann selbstständig fortsägen. Demnach wird die Pja-amide in das Innere der Krone zurückgeschoben und durch die Schraube alldort zurück- gehalten, denn ein Zuendesägen bei vorgestellt bleibender Pj'ramide würde eine Verletzung der dura mater, ja des Gehirns selbst zur Folge haben. Soll ein Kreissegment ausgesägt werden, welches grösser I Kv\n — 332 - ist als die Hälfte einer Scheibe, so muss die Pyramide am Rande des zu resecirenden Stückes angesetzt werden; darf aber das Segment nur kleiner sein als die Hälfte der Scheibe, so kann von der Pyra- mide kein Gebrauch gemacht werden, da die Achse dann ausserhalb des betreffenden Knochensegmentes fällt. Für derlei Fälle ist der Meissel selbstverständlich dem Trepane vorzuziehen. Die dura mater verbietet es, die Knochenscheibe vollends durch- zusägen, da die Sägezähne dabei Verletzungen dieser Gehirnhülle ab- setzen könnten und trotz aller Geschicklichkeit es auch sicher würden. Man begnügt sich daher, die Scheibe nur so weit einzusägen, bis sie be- weglich wird, immerhin aber noch an mehreren Stellen mit der tabula vitrea zusammenhängt. Ist die Scheibe so weit eingesägt, dass sie be- weglich wird oder mindestens federt, so wird sie von ihren letzten Verbindungen mit der Glastafel losgebrochen. Zum Losbrechen ist aber eine Handhabe nothwendig, an welcher die Kraft einwirken kann und diese gibt der Tirefond (Fig. 103 c), eine gestielte Schraube. Den Tirefond erst dann einzuschrauben, wenn die Scheibe schon federt, wäre insofern gefährlich, als die Kraft, welche zum Einschrauben des Instrumentes in die resistente Knochensubstanz nothwendig ist, leicht den Knochen in das Schädelinnere hineindrücken könnte. Des- halb bohrt man sich den Abdruck der Schraube in das Centrum der Scheibe vor, so lange diese noch fest am Mutterboden hängt; man pflegt demnach sofort, nachdem die Pyramide in die Krone zurück- gezogen wurde und bevor diese tiefer einzusägen beginnt, in das Bohrloch der Pyramide die Schraube einzudrehen. Letztere wird nur so tief eingedreht, bis sie feststeckt, dann dreht man ohne Aenderung der Ebene die Schraube verkehrt heraus; es verbleibt ein genauer Abdruck des Schraubenganges im Bohrloch zurück, welcher es er- möglicht, den Tirefond später in die beweglich gesägte Scheibe ein- zusetzen, ohne im Geringsten drücken zu müssen. Früherer Zeit benützte man auch sogenannte getheilte Tirefonds, bei denen Schraube und Griff aus getrennten Stücken bestanden. Beim Gebrauche solcher Instrumente wird die eingedrehte Schraube in der Knochenscheibe belassen, und nach beendetem Sägen nur der Griff angemacht, um das Abbrechen zu vermitteln. Jedes Abbrechen eines Knochen lässt Unebenheiten, vor- und einspringende Zacken zurück; an der spröden Glastafel tritt dieser Umstand gewiss in höherem Masse auf. Die scharfen] Spitzen und Zacken an der vitrea würden die anliegende und durch die Hirn- bewegung fortwährend angepresste dura mater reizen und verletzen, es muss demnach der unebene, rauhe, scharfe Glastafelrand geglättet werden. Dies besorgt das Linsenmesser (Fig. 104 c), ein scharfrandiges, aussen convexes, innen flaches Ptaspatorium mit ovaler Schutzplatte; grössere Glastafelzacken werden mittelst einer Knochenzange ab- gezwickt, deren eine Branche ebenfalls eine ovale Schutzplatte trägt und daher Linsenzange heisst, oder mittelst eigenthümlicher Beisszange von Launelo/tgue (Fig. 105 a). Die Technik beim Trepaniren gestaltet sich folgendermassen: Zunächst ist die Schädelfläche, an der trepanirt werden soll, in mög- lichst grosser Ausdehnung zu rasiren und die Haut zu desinficiren. Bewusstlose Kranke werden natürlich nicht narcotisirt, bei vor- 333 - handenem Bewiisstsein ist eine vorsichtige Narcose immerhin zulässig. Besteht eine Wunde in der weichen Schädeldecke, so wird sie benützt und nur entsprechend erweitert, denn volle Zugänglichkeit zum Knochen ist selbstverständlich absolut nothwendig. Ist keine Wunde vorhanden, so müssen die Weichtheile erst durchschnitten und sammt der Beinhaut vom Knochen abgehoben werden. Wie man die Schnitte anzulegen habe, entscheidet der specielle Fall; im Allgemeinen kann empfohlen werden, die Trennungsschnitte thunlichst parallel zum Gefässverlaufe zu führen, denn quere Durchtrennungen der Hautgefässe bedingen unnütze Blutungen, die nur durch Umstechungen zu stillen sind, da der derbe Scalp isolirte Unterbindungen kaum zulässt. Alle Gefässe, welche in den Weichtheilen des Schädels sich verästeln: frontales, temporales, occipitales nehmen die Richtung vom Basisumfange zum Scheitel und ermöglichen Winkelschnitte zur Bildung dreieckiger Lappen. Ob nun durch einen Kreuzschnitt 4 Lappen, durch einen T-Schnitt 2 Lappen, oder ob die Weichtheile des Schädels inclusive Beinhaut nur in Form eines einzigen abgerundeten Lappens durch- schnitten und abgehoben werden, bildet" wohl keinen wesentlichen Plg. lOi) Unterschied. Ist der Knochen vollends blossgelegt, so Avird die ent- sprechend gross gewählte Krone mit etwas vorgestellter Pyramide senkrecht zur Oberfläche aufgesetzt. Man pflegt die Krone mit der rechten Hand gleich einer Schreibfeder zu halten und aufzustellen; hierauf umfasst die linke Hand den Teller des Bogens und stemmt ihn in die vola, während die Finger ihn seitlich umgreifen. Nunmehr verlässt die rechte Hand die bisher gehaltene Krone, erfasst mit drei Fingern die Olive und beginnt den Trepanbogen langsam zu drehen, in der Richtung von rechts nach links. Es greift zunächst der Pyramidenstachel ein; erst wenn dessen vorgestellter Abschnitt ein- gedrungen ist, fangen die Zähne der Rundsäge ihre Arbeit an. Man dreht nun fort und gibt nur Acht, die senkrechte Richtung zur Knochenebene genau einzuhalten, damit die Sägefurche gleichmässig- tief ausfalle. Ist einmal die tabula externa eingesägt, so entfernt man den Bogentrepan und stellt zunächst die Pyramide ganz in das Ge- häuse zurück; nun wird der Tirefond eingesetzt und wieder ab- genommen, endlich die Sägefurche mittelst einer Meisselsonde von den Knochenspänen befreit und auch die Krone von ihnen gesäubert. So lange die Säge in der tabula externa wirkt, sind die Knochen- späne hart, trocken, die diploe liefert weichere Späne; in die externa dringt die Säge schwerer und langsamer ein, in die diploe leichter — 334 — und schneller. Ist das Reinigen zu Ende, so wird die Krone nunmehr ohne, oder besser *iesaen. Der Operateur beginnt die Operation mit der Ablösung der Lippentheile von der Unterlage, wenn h()here Grade der Hasenscharte vorliegen; häufig genügt ein Durchschneiden des frenulum labii, oftmals ist eine Ablösung in weiterem Umfange nothwendig. Hiefür wird zuerst der eine, dann der andere Lippentheil mit zwei Fingern gefasst, umgestülpt und an- gezogen; die Abtrennung beginnt am Grunde der Lippentasche und wird knapp am Knochen ausgeführt, entweder mit einer zweispitzigen Hohlschere oder mit einem spitzen Bistouri. Nach der Mobilmachung schreitet man zur Anfrischung der Spaltränder: 3{alga/'gne' sehe Lappen werden am besten mit einer geraden Schere eingeschnitten, die wei- tere Anfrischung mit einem spitzen Bistouri vollzogen. Sofort fasst der Assistent die Lippe zwischen Daumen- und Zeigefinger der einen Hand, comprimirt sie an der Lappenbasis, wenn die durchschnittene coronaria zu spritzen beginnt, und spannt gleichzeitig die Lippe in senkrechter Richtung an. Ob mar. die weitere Anfrischung, beziehungs- weise Zuschneidung der Lippensegmente aus freier Hand oder auf einem der Lippe als Unterlage unterstellten Lindenholz- plättchen ausführt, ist Geschmacks- und Uebungssache. Frischt der Operateur aus freier Hand an, so fixirt er zunächst den Spaltrand mit einem spitzen Häkchen oder einer Hakenpincette, spannt ihn etwas an, sticht das Bistouri durch die Gesammtdicke der Lippe und schneidet in sägenden Zügen. Die Anfrischungsfläche muss breit sein, gleich der Dicke der Lippe; es muss daher das Messer ein klein wenig nach aussen vom Schleimhautsaume des Spaltrandes geführt werden, da diese Partie sich all- mälig verschmälert und etwas conisch zu- läuft. Soll auf dem Holzplättchen ange- frischt werden, so schiebt man es unter die Lippe, fixirt darauf beide Spaltränder genau, sticht das Messer durch die Lippe in das Plättchen und durchschneidet in einem Zuge. Der Schnitt wird wird kräftig geführt, damit die Trennung in einem Zuge erfolge und glatte Wundränder resultiren. Die richtige, sichere Fixirung der Lippe auf dem Plättchen ist nicht so einfach als man glauben sollte und bedarf einiger Uebung. Auf der Unterlage werden nur geradlinige Schnitte ausgeführt; der Bogenschnitt beim Cheilocoloboma, der die beiderseitigen Anfrischungsschnitte verbinden soll, wird daher stets aus freier Hand geführt, höchstens zeichnet man sich früher den Schnitt mit der Messerspitze vor, um Zacken zu vermeiden. Bei doppelter Hasenscharte wird der Mittellappen zweckmässigerweise mit einer geraden Schere zugeschnitten. Ist die Anfrischung beendet, so schreitet man zur Naht. Selten kommt die umschlungene Naht zur Anwendung; in der Regel bedient man sich der Knopfi^aht und nimmt — 393 — hierzu eine mittelstarke Seide; die Läppchen hingegen werden mit ganz feiner Seide oder mit dünnem Catgut angenäht. Die erste Naht kommt an jene Stelle, wo die arteria coronaria liegt, also in der Höhe des Lippenrothes, die anderen folgen in aufsteigender Richtung. Das Knoten wird erst nach dem Anlegen sämmtlicher Nähte besorgt. Alle Nähte, ob vereinigend, ob entspannend, müssen die Gesammtdicke der Lippe schräge durchlaufen und daher knapp an und A-or der Schleimhaut der inneren Lippenfläche sehr correct geführt werden, denn eine genaue Vereinigung ist zum Erfolge unerlässlich. Nach der Operation wird die Lippe mit einer antiseptischen Salbe bedeckt und die Nähte am fünften bis siebenten Tage entfernt. Bei der Entfernung der Nähte soll ein Gehilfe, durch Verschieben der Wangen zur Me- diane das Operationsfeld von jeder Spannung befreien; nach Ent- fernung der Nähte werden Klebepflasterstreifen angelegt zu dem Zwecke, um ein nachträgliches Ausreissen oder Dehnen der jungen Narbe zu verhüten. Dafür müssen die Streifen so lang sein, dass sie, quer über das Gesicht ziehend, von einer regio retroauricularis zur anderen reichen. Wolff trennt den rothen Lippensaum der beiden Oberlippen- hälften von der übrigen Lippe ab, klappt die abgelösten und nach der Mittellinie hin verzogenen Saumtheile gegeneinander nach unten um und vernäht sie in dieser umgeklappten Lage möglichst breit mit- einander. Dieser für sich vernähte Lippensaum soll gegen alle Even- tualitäten einer gestörten Primaheilung sicheren Schutz gewähren, weil die Vereinigung des Lippenrothes erhalten bleibt. Einer eingehenden Erörterung bedarf der Umstand einer be- sonders grossen Spannung der zu vereinigenden Lippensegmente, welche die Naht entweder ganz unmöglich macht oder sie doch unter Verhältnisse bringt, welche den Erfolg wesentlich bedrohen. Man be- gegnet derlei Hindernissen bei der Operation der doppelten Hasen- scharte, wenn das Mittelstück sehr verkümmert und die Diastase der seitlichen Lippentheile bedeutend ist. Man hilft dabei durch Ablösung der Lippenhälften und der Wangennachbarschaft vom Oberkiefer oder durch den Diefenhach' sehen Wellenschnitt ab, wie es bei der Cheilo- plastik beschrieben wurde. Besser ist jedenfalls die Loslösung der Lippen und Wangen in weitem Umfange, da hierbei die Verwundung eine geringere ist und auch der entstellenden Abplattung und Ver- ziehung der Nasenflügel, welche derlei hochgradige Hasenscharten begleiten, abgeholfen werden kann, denn der Verziehung der Lippen und Wangen gegen die Mediane folgen auch die Nasenflügel und runden sich dadurch normalmässig ab. In solchen Fällen bedarf es nebst den Knopfnähten auch einer Plattennaht, welche die Nasenflügel zusammenrückt und entspannend wirkt. Nebstdem empfiehlt sich die sofortige Anlegung eines entspannenden Vei'bandes mittelst englischer Pflasterstreifen. VI. Exstirpation von Speicheldrüsen. Der isolirten Exstirpation werden zumeist nur parotis und glandula submaxillaris unterzogen, falls sie der Sitz von Neugebilden sind. Die Unterkieferspeicheldrüse erkrankt — 394 - in der Regel secundär, d. h. ex contliiiio, in der i)arotis hingegen kommen primäre Neugebilde vor. Die Parotisexstirpation gehört wohl zu den schwereren chirurgischen Eingriffen; die Möglichkeit ihrer Ausführung wurde in früheren Zeiten sogar bezweifelt. Und in der That verlaufen theils innerhalb der Ohrspeicheldrüse, theils in ihrer allernächsten Nachbarschaft so sehr wichtige Gebilde, dass deren nothAvendige Durchschneidung oder Schonung dem Operateur Schwierig- keiten bereitet. Es lehrt die Anatomie, dass als Regel arteria carotis externa und vena facialis posterior in mehr minder senkrechter Rich- tung innerhalb der Substanz der Drüse verlaufen, während der Stamm des nervus facialis quer durch die parotis tritt; nur als äusserst seltene Ausnahme trifft man Arterie, Vene und Nerven nicht inner- halb der Drüse, sondern an ihrer Hinterfläche in seichte Furchen gebettet. Unterhalb der parotis, durch sie gedeckt und von ihr nur durch das ligamentum stylo-maxillare getrennt, lagern carotis interna und vena jugularis communis, endlich findet man noch im obersten Abschnitte der Ohrspeicheldrüse nahe dem Jochbein den nervus auriculo-temporalis. Am schlimmsten gestaltet sich für den Kranken die Durchtrennung des nervus facialis, deren Folge eine Parese der gleich- seitigen Gesichtshälfte ist. Die Technik der Exstirpation ist folgende: man durchschneidet die Weichtheile über dem Tumor in senkrechter Richtung, oder durch zwei halbelliptische Längsschnitte, wenn das Neugebilde etwa die Haut in sein Bereich gezogen hätte. Um grössere Zugänglichkeit zu gewinnen, fügt man dem Längsschnitte kleinere Querschnitte an geeigneter Stelle bei und formt dadurch Lappen, welche abpräparirt und abgezogen werden. Älberf zieht einen zungen- förmigen Lappen mit oberer Basis vor, um noch mehr Raum zu gewinnen. Man erblickt nun die von ihrer Capsel umhüllte Parotis- geschwulst. Wohl die meisten Chirurgen sind der Ansicht, dass es zweckmässiger sei, die Capsel nicht zu spalten, sondern die parotis sammt ihrer Capsel zu exstirpiren, da man bei weichen Neugebilden an ihr die beste Leitung, die einzige Grenze findet. Natürlich gilt diese Regel bloss für die Totalexstirpation der Drüse, nicht aber für die Ent- fernung von Neoplasmen (Enchondromen), welche nicht die ganze Drüse substituiren, sondern bloss in ihrer Substanz eingebettet sind; bei diesen muss eo ipso die Capsel gespalten werden, um den harten, strenge begrenzten Knollen zu enucleiren. Man geht demnach entlang der Capsel zur unteren Peripherie der Drüse, sucht arteria carotis externa und vena facialis posterior auf, isolirt sie und führt Fäden um beide herum. Es ist gewiss von Vortheil, wenn man jedes der beiden Gefässe sofort doppelt unterbindet und in der Mitte zwischen den Ligaturen entzweischneidet, da man hierdurch manche spätere Ver- legenheit sparen kann und zugleich die untere Peripherie der parotis frei macht. Das Anlegen der Fäden, ohne sofort zu unterbinden, hätte nur dann einen Sinn, wenn die carotis in einer Furche der Hinter- fläche gebettet verliefe, also in toto geschont werden könnte. Nun versucht man auf stumpfe Weise die Capsel von der Umgebung abzu- lösen, theils mit dem Finger, theils mit geschlossener krummer Schere; begegnet man Strängen, in denen Gefässe zu vermuthen sind, so gibt man je zwei Ligaturen herum und schneidet zwischen beiden durch. Die Arterien : auricularis, occipitalis, temporalis, transversa, möglicher- — 395 — weise selbst pharyngea ascendens gelangen eventuell zur Unterbindung. Hat man den Tumor ringsum losgemacht, wobei der Kopfnicker mit Haken stark nach rückwärts abzuziehen ist, so wird er mit der aller- grössten Vorsicht von seiner Basis, wenn es sein kann, stumpf ab- gelöst, da dortselbst carotis interna und jugularis communis liegen. Leichter und einfacher ist die Exstirpation der glandula submaxillaris, welche nur vom plat3'sma myoides und der fascia colli bedeckt, zwischen Unterkieferrand und musculus digastricus liegt. An der äusseren Fläche der Drüse verlauft die arteria maxillaris externa, deren Verletzung fast unvermeidlich ist; am unteren Rande zieht der hypoglossus, am oberen der nervus lingualis; die Trennung der Weichtheile entspricht dem grössten Durchmesser des Tumor, jene der Deckschichten nach Spaltung der Haut nimmt man auf der Hohl- sonde vor, um nicht unnöthigerweise die vena facialis communis zu durchschneiden; die arteria maxillaris externa wird zwischen zwei Ligaturen durchtrennt. Man kann sich die stumpfe Ausschälung des Tumor erleichtern, wenn man vom Boden der Mundhöhle aus die Drüse mit dem Finger nach abwärts vorbaucht und so deren Ver- bindungen spannt. VIL Verfahren zur Heilung von Speichelfisteln. Speichelfisteln kommen bekanntermassen nur am Ausführungsgange der glandula parotis, am ductus Stenonianus vor; sie sind entweder primäre Folgen von Ver- letzungen oder entstehen secundär nach ulcerativen Processen an der Wange, in der Umgebung der Ausmündung des Ganges. Es muss stets genau unterschieden werden, welcher Abschnitt des ductus die Fistel trägt, ob jener, welcher der Aussenfläche des musculus masseter aufliegt, oder der periphere Abschnitt, welcher, am vorderen Rande des Kaumuskels umbiegend, in die Tiefe der Wange sich senkt, um an der Innenfläche der Backenschleimhaut, gegenüber dem ersten oder zweiten oberen Mahlzahne auszumünden. Fisteln des tractus praemasse- tericus können verschiedenen Heilverfahren unterzogen werden, je nachdem das Endstück des Ganges, id est der peripher von der Fistel gelegene Theil durchgängig ist oder nicht. Es sind hierbei drei Fälle möglich: das Endstück ist normal durchgängig — nur bei frischen Schnittverletzungen — es ist zwar permeable, aber bedeutend ver- engt, und endlich: es ist verwachsen, obliterirt. Im ersten Falle führt man eine Darmsaite vom Munde aus in den Gang bis zur Fistel, sodann von dieser aus weiter centralwärts, und vereinigt schliesslich die frische Schnittwunde durch die Xaht. Kdufmann erzielte auch Heilung durch einfache Einlage eines dünnen Gummirohres in die Fistel, derart, dass das eine Ende des Röhrchens V2 Centimeter weit im Munde vorragte, während das andere Ende schräg zugeschnitten so gestellt wurde, dass der Speichel direct in dasselbe einfliessen konnte und die äussere Fistelmündung trocken blieb. Im zweiten Falle muss die verengte Partie zunächst mittelst Darm- saiten allmälig erweitert werden. Das Sondiren bei schon verengtem Gange gelingt viel schwerer. Morand empfiehlt, mit einer feinen, leicht gekrümmten ^«eTschen Sonde von der Fistel aus in den i^eripheren Gang- — 3'J6 — theil einziidrinoen, worauf ein Faden nachgezogen wird. An diesen befestigt man Darmsaiten, welche, eingelegt, durch ihr hygro- skopisches Aufquellen dilatirend wirken. Ist einmal der periphere Theil des Ganges erweitert, so sucht man in das centrale Ende mit der Sonde einzudringen, worauf die Darmsaite, welche vom Munde aus in den peripheren Theil eingezogen wurde, nunmehr von der Fistel aus neben der ^we^' sehen Sonde weiter in den centralen Theil des Ganges in continuo weiter geschoben wird. Eine vorgängige blutige Erweiterung der äusseren Fistelöffnung ist hierzu wohl nothwendig. Im dritten Falle muss an Stelle des obliterirten Abschnittes, von der Fistel aus, ein neuer Gang geschaffen werden, bevor man zum Ver- schlusse der äusseren Fistelöffnung schreiten kann. Die Herstellung des Ganges kann auf doppelte Art vollzogen werden; entweder man durchsticht von der äusseren Fistelöffnung aus mit einem Troisquart die Wange und führt durch die Canüle ein Drainrohr oder einen Bleidraht ein (Desault). Letzterer bleibt dann wochenlang liegen, bis eine Uebernarbung der Stichcanalwandungen im Zuge ist, dann wird er entfernt, die äussere Fistel angefrischt und vernäht. Der ausfliessende Speichel hindert zwar den Verschluss des neuetablirten Ganges, immerhin ist für die erste Zeit fleissiges Sondiren oder die Einführung von Darmsaiten zu empfehlen. Das zweite Verfahren, nach de Guise, be- steht darin, dass man von der äusseren Fistelöffnung aus die Wange nach zwei Avenig divergirenden Richtungen mit Troisquarts durchstosst und das so umfasste Mittelstück mit einem Bleidraht umgibt. Die ursprüngliche äussere Fistelöffnung wird sodann wund gemacht und über die Drahtschlinge vernäht. Nach einigen Wochen kneipt man von der Mundhöhle aus den Draht durch und zieht die Schlinge heraus; dem Stenonischen Gange ist eine Doppelmündung in die Mundhöhle ge- schaffen. Oder man umschneidet die äussere Fistelmündung und deren Umgebung bis gegen die Schleimhaut der Wange zu, durchsticht dann den restirenden Grund zweimal mit einer Nadel und zieht eine Fadenschlinge nach, die man festbindet, wodurch das Umfasste allmälig abgeschnürt wird. Unmittelbar nach Anlegung der Schnürschlinge schreitet man zum Verschlusse der wundgemachten äusseren Fistel- mündung durch die Naht. Delore will das centrale Ende des Fistel- ganges biossiegen, den Gangrest aus der Umgebung herausschälen, dann die Wange durchstossen, durch den neugeschaffenen Canal den Gangrest durchziehen und dessen Ende mit einigen Nähten an die Schleimhaut der Backe fixiren. Speichelfisteln im tractus massetericus ergeben grössere Schwierig- keiten. Am besten kommt man zum Ziele mit einem dem Delore' sehen ähnlichen, aber modificirten Verfahren. Der centrale Gangrest ward durch einen Querschnitt blossgelegt und von der Umgebung frei, also beweglich gemacht. Nun führt man zwei Fadenschlingen durch die Wandungen des Gangendtheiles, welche durch dessen LichtuiTg ziehen ohne dieselbe aber zu verschliessen, armirt die Enden der Doppel- schlinge in eine starke gestielte Nadel, perforirt mit ihr in schräger Richtung den Masseter und gelangt in die Mundhöhle. Hier werden die Fäden aus dem Oehr gezogen und die Nadel entfernt. Zieht man die Fäden an, so schlüpft das daran befestigte Speichelgangende in den Beginn des Bohrcanales so tief als die Länge des Gangrestes es — 397 — eben erlaubt, die Fadenenden werden in der Mundhöhle geknotet und liegen gelassen, bis sie von selbst abgehen. Hierauf genauer Xaht- verschluss der äusseren Wunde. Der liegenbleibende Faden soll den Stichcanal für den Speichelabfluss offen erhalten. Für ganz desperate Fälle, avo auch die eben geschilderte Methode nicht ausführbar ist, erübrigt nur die künstliche Obliteration der parotis selbst, entweder durch längere Compression nach Maisonneuve oder durch Abbinden des letzten Restes ihres Ausführungsganges nach Vihorg. III. Capitel. Operationen in den Höhlen des Kopfes. .4. Orbita. Auch der Chirurg ist häufig berufen, den Augapfel entfernen zu müssen, und zwar zumeist wegen Neubildung des bulbus, eventuell auch der Lider allein, oder wegen Verletzungen, welch letztere, sei es mit, sei es ohne Eindringen von Fremdkörpern in den bulbus, oft genug auf sympathischem Wege das gesunde Auge gefährden. Der Augapfel kann entweder als solcher allein ausgelöst werden, oder die Operation betrifft die Ausräumung der ganzen orbita; man spricht im ersten Falle von einer Enucleatio bulbi, im zweiten von einer Exenteratio orbitae. a) Die Enucleatio bulbi betrifft die Ausschälung des Augapfels aus der Tenon'schen Capsel; sie ist angezeigt, wenn das indicirende Leiden nur den bulbus allein befallen hat, oder wenn derselbe nach Exstirpation eines oder beider Lider seines Schutzes beraubt wurde. Ist der Augapfel vergrössert, so muss die Operation mit einer Er- weiterung der Lidspalte durch Spaltung der äusseren Commissur eingeleitet werden; wenn nicht, genügt ein starkes Abziehen der Lider mittelst der Finger oder eigener Lidhälter. Der Operateur erfasst nun vor jenem geraden Augenmuskel, der seiner rechten Hand zukehrt — rectus internus am rechten, externus am linken Auge des Kranken — mittelst Pincette eine Conjunctivalfalte, 3 Millimeter vom Cornealrand entfernt, schneidet sie verticalein und verlängert den Schnitt durch die Bindehaut, längs und parallel dem Hornhautrande in der ganzen Rundung mit der Schere. Hierauf wird durch die Scleralücke mit einem Schielhäkohen der betreffende rectus erfasst, vorgezogen und hinter dem Häkchen mittelst Schere durchgetrennt. Nun geht man nach oben oder unten mit dem Schielhaken weiter und trennt alle viör recti auf gleiche Weise ab. Der bulbus hängt nunmehr an den obliquis und am nervus opticus; letzteren durchschneidet man zuerst. Um hiefür den bulbus aus der orbita vorzuziehen und den Nerven anzuspannen, erfasst man den Stumpf des zuerst durch- schnittenen geraden Augenmuskels mit einer kräftigen Hakenpincette, zieht den Augapfel kräftig hervor und rollt ihn etwas ab, geht sodann an der gleichen Seite mit einer etwas grösseren Hohlschere ein, schiebt sie längs der sclera geschlossen nach hinten ein, öffnet sie — aub — dann und durchschneidet mit einem Schlage den Nerven. Dass die Durchschneidung gelungen, erkennt man sofort durch den Umstand, dass der bulbus dem Zuge folgend vor die rima palpebrarum ge- bracht werden kann. Mit der Durchtrennung der beiden musculi obliqui ist der Eingriff beendet. Die kleine Blutung stillt man mit einem Jodoformgazetampon, der gleich einige Tage lang in situ zu verbleiben hat; darüber werden die Lider geschlossen und durch eine Augenbinde etwas Watte angedrückt gehalten. Hätte man die äussere Commissur gespalten, so vereinigt man sie wieder mittelst einer Catgutnaht. h) Die Exenteratio orbitae kommt nur bei Anwesenheit solcher Neubildungen in Betracht, welche eine isolirte Exstirpation mit Erhal- tung des Augapfels nicht ermöglichen. Bei der Ausweidung der Augen- höhle kommt zunächst stets das Verhalten der Augenlider in Betracht. Sind sie mitergriffen, so müssen beide, eventuell eines mit exstirpirt werden und die Operation beginnt dann mit der totalen oder par- tiellen Umschneidung der Orbitamündung und Blosslegung des knö- «hernen Augenhöhlengerüstes. Sind die Lider erhaltbar, so begnügt man sich mit der Spaltung der äusseren Commissur und strammen Abziehen der Lider nach auf- und abwärts, worauf man nach Durchschneidung des Bindehautsackes auf die knöcherne Orbitalöffnung lossteuert. Hängt das Neugebilde nicht mit der Beinhaut der Orbita zusammem, so zieht man das Neugebilde mit einer Museaux^ sehen Zange möglichst vor und dringt vom äusseren Winkel aus mit einem stumpfen Elevatorium ein, den man entlang der äusseren Wand allmälig gegen den Augen- höhlengrund eindringen lässt. Haftet das Neugebilde an der Beinhaut, so mag diese entsprechend dem margo umschnitten und mit dem Elevatorium subperiostal eingedrungen werden. Wäre der Knochen selbst in Mitleidenschaft gezogen, so müsste, falls man sich schon zur Operation entschlossen hätte, mit dem Meissel parallel und entlang der in Mitleidenschaft gezogenen Orbitalwand vorgedrungen oder die Abstemmung des Knochens nachträglich vorgenommen werden. Die Thränendrüse muss stets mitentfernt werden. So dringt man nun von allen Wandungen her stumpf ein, bis man alle Weichgebilde vor der orbita losgemacht hat und dieselben nur mehr hinten an einem Stiele haften, gebildet vom Sehnerven und dem Bündel der Muskelursprünge. Der Stiel wird mit einer starken krummen Schere abgesetzt und die Blutung mit einem festen Jodoformgazetampon gestillt; eventuell kann man auch versuchen, die arteria ophthalmica nach provisorischer Tamponade zu unterbinden. Nach CoUis soll auch die subperiostale Ausweidung unschwer gelingen, ein jedenfalls viel sichereres, weil das mögliche Zurücklassen von Neubildungsresten kaum zulassendes Ver- fahren. Kommt man bei der präperiostalen Methode mit dem stumpfen Elevatorium nicht gut vorwärts, dann möge man mit der krummen Schere unter Leitung des Zeigefingers linker Hand theils schneidend, theils stumpf trennend vorgehen; Helling hat die Verwendung eines spitzen Bistouri empfohlen, doch ist die Methode wegen der starken Blutung und der Möglichkeit, die Grenzen des Neugebildes nicht so sicher einzuhalten als beim stumpfen Operiren, wieder verlassen worden, bis in jüngster Zeit Küster neuerdings auf die Methode verfiel. Er .stosst ein langes, gerades, nicht zu schmales Messer an der Umschlag- — 399 — falte der Bindehaut ein und führt es hart am Knochenrande in sägen- den Zügen um den bulbus im Kreise herum, bis er zum Ausgangs- punkte zurückkehrt. Eine krumme Schere vollendet die Operation mit der Durchschneidung des Stieles. Nach gestillter Blutung wird nach- träglich noch der Rest von Geweben aus der orbita geräumt. Waren die Lider vollends intact und sind sie sonach erhalten worden, dann bedient man sich ihrer zur Deckung und zum Verschlusse der entleerten Augenhöhle, wofür man, nach Abtragung der Con- junctiva und der cilientragenden Lidränder, die angefrischten Ränder mit Zurücklassung offener Wundwinkel vernäht, behufs Secretabflusses. Vernäht man die Lidränder nicht, so bleibt eine klaffende Spalte übrig, da die Lider durch den Vernarbungsprocess gegen die orbita zu trichterförmig verzogen werden. Sind ein oder beide Augenlider mit- entfernt worden, so soll nach Küster die Augenhöhle durch einen gestielten Lappen verschlossen werden, den man der Schläfegegend oder der Stirne entnimmt. Wären die Lider nicht ganz, sondern etwa nur am freien Rande ergriffen, so kann man den gesunden Theil er- halten, beziehungsweise am Beginn der Operation die Lidhaut für sich abpräpariren, bis man den Orbitarand erreicht. Die Lidhautreste plus einer Unterminirung der Haut der Orbita-Umgebung könnten dann eventuell eine solche Herbeiziehung der Lidreste gestatten, dass eine Xahtanlegung dennoch möglich würde und eine Plastik um- gangen werden könnte. Um grössere Zugänglichkeit zur Augenhöhle zu gewinnen, ohne entstellende Defecte zu hinterlassen, in Fällen von ohne Ent- nahme des bulbus exstirpirbaren Tumoren empfiehlt Krönlein die osteoplastische Resection der äusseren Orbitawand, welche deren temporäre Verlagerung gestattet. Der Weichtheilschnitt beginnt 1 Centimeter oberhalb des margo supraorbitalis, verläuft mit vorderer Convexität entlang dem äusseren Orbitarande und dem oberen Rande des Joch- bogens in dessen Mitte endigend. Nach stumpfer Ablösung der Peri- orbita entlang der äusseren Orbitawand gelangt das Elevatorium zur fissura orbitalis inferior, von welcher aus in zwei divergirenden Richtungen mit dem Meissel ein Knochendreieck ausgestemmt wird, dessen Basis der äussere Orbitarand bildet. In Verbindung mit den Weichtheilen wird er wie eine Flügelthür nach aussen umgelegt, um nach beendetem Eingriffe wieder an Ort und Stelle zurückgelagert zu werden. B. Aeusseres Ohr. Wenn nicht das Specialgebiet der Otologie betreten werden soll. darf man sich einzig nur auf die Besprechung der Entfernung von Fremdkörpern aus dem äusseren Ohre beschränken, weil dieses Capitel auch dem Nichtfachmanne geläufig sein muss. Es ist bekannt, dass die abenteuerlichsten, lebenden und nicht lebenden, weichen und harten quellbaren und im Volumen unverändert bleibenden, dem Stein-, Pflanzen- oder Thierreiche entstammenden Fremdkörper durch Zufall oder mit Absicht in den Gehörgang gelangen und daselbst verweilen können. Die Ueberzeugung, dass ein Fremdkörper im Gehörgange vorliege, ergibt die Besichtigung mit dem Ohrspiegel, die nie unterlassen Averden soll. In zweiter Instanz dient hierzu das Sondiren, welches, um nicht unberechen- — 400 — baren Schaden zu stiften, nur bei sehr sicher fixirtem Kopfe, wenn nicht gar in narcosi vorzunehmen ist.' Der Localität nach kann der Fremdk()rper entweder im äusseren Gehörgange oder, nach Durch- brechung des Trommelfelles, innerhalb der Paukenhöhle lagern, ja sogar in den Raum des Warzenfortsatzes gedrängt worden sein. Aus dem äusseren Gehörgange können Fremdkörper, bei intactem Trommelfell, am zweckmässigsten mittelst eines lauen Wasserstrahles ausgespült werden, den man, bei emporgehobener und etwas nach rückwärts gezogener Ohrmuschel, längs der hinteren W^md des Gehörganges mit einiger Gewalt einspritzt. Das Wasser dringt am Fremdkörper vorbei, hinter diesem ein und da es, des Trommelfelles wegen, nicht abfliessen kann, so sammelt es sich vor diesem an und drängt den Fremdkörper rücklings heraus. Bei zerstörtem tympanum ist dieses Verfahren natürlich fruchtlos, es sei denn, die Wassereinfuhr erfolge durch die tuba Eustachi!. Dieser indirecten steht die directe Exairese gegenüber, wozu Instrumente nothwendig sind. Es zählen dazu: geriffte oder gezähnte Ohrpincetten (Tröitsch, Trautmann, Politzer), kleine Haken (SchüUer), stellbare Curetten (Leroy (TEtioUes, v. Langenbeck), einfache Hebel, aus einer stumpfwinkelig eingebogenen Meisselsonde hergestellt, oder schaufeiförmige Hebel (Zavfal), respective Ohrlöffel, endlich auch einfache oder doppelte Drahtschlingen (BiUroth, Wilde). Die instru- menteile Exairese darf nur unter Controle des Auges, also bei gleich- zeitiger Benützung des Ohrspiegels und genügender Beleuchtung vor- genommen werden. Meistens bedient man sich zur Beleuchtung eines Reflectors, besser dürfte sich wohl der neuerer Zeit von Ratttl an- gegebene „Otoscope electrique" bewähren, einerseits weil die Licht- quelle im Ohrspiegel selbst liegt und daher durch die operirende Hand nicht verdeckt werden kann, andererseits wegen der Intensität des Lichtes selbst. In Ausnahmsfällen haben auch andere Methoden zur Extraction von Fremdkörpern gedient: so hat beispielsweise Lucae eine Perle aus dem äusseren Gehörgang dadurch entfernt, dass er in das sichtbar vorliegende Bohrloch derselben ein feines Laminaria- stäbchen einführte und es bei Wassereinguss eine halbe Stunde liegen Hess, bis es aufquoll und im Bohrloch der Perle sich einklemmte. Olivenha.um entfernt Glasperlen derart, dass er das Ende eines Holz- stäbchens in geschmolzenen Alaun eintaucht und dann an die Perle andrückt. Der in wenigen Secunden eintrocknende Alaun bildet eine hinlänglich feste Klebemasse, um den Fremdkörper extrahiren zu lassen. Oft wird die Entfernung eines festgekeilten, weichgequollenen oder spröden Körpers durch Zerstückelung ermöglicht, ein alt- bekanntes, schon von Bramhilla empfohlenes Verfahren. Für weich- gequollene Hülsenfrüchte dienen spitze Häkchen oder ein Messerchen, mit denen man die Hülse aufreisst, respective aufschneidet. Nach theilweiser Entleerung des Fruchtmarkes mag dann der Rest mit dem Häkchen ausgezogen, oder mittelst Wasser ausgespült werden. Gelang die Exairese nicht und beginnen Erscheinungen einer Meningealreizung, so gibt es noch zwei Wege, um Fremdkörper zu entfernen: a) Die partielle Ablösung mit nachfolgender Vorklappung der 1 Gegenwärtig dürfte man im Cocain ein Mittel besitzen, um die Empfindlichkeit der Gehörgangswandungen abzustumpfen und die Manipulationen dortselbst erträglicher zu machen. — 401 — Ohrmuschel und des knorpeligen Gehörganges. Man umschneidet an der Rück- seite die Ohrmuschel mittelst eines Bogenschnittes, der am Beginne des Ohrläppchens enden soll, um den Stamm des Antlitznerven zu schonen — in dem Schnitte kann die arteria auricularis posterior bluten — isolirt weiters, bei gleichzeitigem Heben und Vorziehen der Ohrmuschel, die Rückwand des knorpeligen Gehörganges bis zu ihrem Ansätze an den meatus osseus, von dem man sie in solcher Ausdehnung ab- trennt, bis das Vorklappen der Muschel anstandslos gelingt und man von der Wunde aus in den knöchernen Gehörgang hineinblicken und darin manipuliren kann. Hierdurch ist man dem Fremdkörper näher gerückt und kann namentlich hebeiförmig wirkende Instrumente oder Curetten leichter und sicherer handhaben. Weitere Abstem- mungen der knöchernen Wandungen des Gehörganges sind nur bei äusserster Noth- Fig- 12G. wendigkeit zulässig, h) Die Aufmeisselung des Warzenfortsatzes wurde von Gruber für solche Fälle empfohlen, wo der Fremdkörper in Folge vergeblicher gewaltsamer Extractions- versuche von der Paukenhöhle aus in das Zellengehäuse des processus mastoideus ge- drängt wurde. Durch das Bohrloch wird dann der Fremdkörper in die Paukenhöhle zurück- geschoben und von dort aus direct extrahirt. Lebende Thiere — Fliegenmaden, Tau- sendfüssler. Schaben etc. — werden zuerst getödtet, am leichtesten durch einige Tropfen Chloroform, die man, auf Watte geträufelt, an die Mündung des Gehörganges bringt, und dann mit lauem Wasser ausgeschwemmt, oder man träufelt Oel in den Gehörgang und entfernt die rasch auf die Oberfläche der Flüssigkeitssäule kommenden Thiere mit einer Pincette; Cerumenpfröpfe müssen mit Oel aufgeweicht werden, bevor man sie ausspült. C. Nasenhöhle. Tamponade der Nasenhöhle. Rhinorrhagien, welche den bekannten milderen Verfahren nicht weichen und ob des Blutverlustes gefahr- drohend werden, erheischen manuelle chirurgische Hilfe. Die erste Auf- gabe des Chirurgen ist die Bestimmung der Localität der Blutung. Erfolgt diese aus dem einen Nasenloche allein, so kann angenommen werden, dass die Gefässläsion in der entsprechenden Nasenhälfte allein bestehe; ver- fehlt wäre aber die Annahme, dass bei Blutung aus beiden Nasenlöchern sie auch aus beiden Nasenlöchern stammen müsse, weil diese Schluss- folgerung einen etwaigen Bestand von Defecten der Nasenscheidewand nicht berücksichtigen würde. Erfolgt die Blutung aus dem vorderen Gebiete der Nasenhöhle, aus der knorpeligen Nasenscheidewand oder aus dem Boden der Nasenhöhle vor den Nasenmuscheln, so kann mittelst V. Mosetiff-M o orhof: Hanabu.:Ii d. Chirurg. TecliuiU. 4. Aull. 26 — 402 — Nasenspiegels (Fig. 12G) bei künstlicher Beleuchtung die Quelle der Blutung oft ganz genau eruirt werden. Blutungen aus den mittleren und hinteren Räumen der Nasenhöhle lassen die ])räcise Auffindung der Lücalität dm-ch das Auge nicht zu. Die chirurgische Abhilfe einer Rhinorrhagie besteht in der directen oder indirecten Tamponade des einen, beziehungsweise beider Nasenräume. Bei ersterer wird die blutende Stelle durch den Tampon direct comprimirt, bei der zweiten verlegt man die Ausmündungen des Nasenraumes und behindert dadurch den Abfluss des darin ergossenen Blutes, welches folgeweise stagnirt, coagulirt und nun, indirect als Tampon wirkend, den weiteren Blut- austritt hemmt. Zur directen Tamponade dienen, abgesehen von der Zusammen- pressung der knorpeligen Nase durch äusseren Fingerdruck, zumeist längere Streifen Jodoformgaze, die man mittelst Kornzange dm*ch das Nasenloch einführt und tiefer treibt. Mlchehon formt Tampons aus einem Gemenge vom PenghawerDjambi und gewöhnlicher Watte, welche mit entfetteter Baumwolle überzogen werden; sie sollen einen höheren Grad von Elasticität besitzen und weniger quellbar sein.^ Mit diesen Verfahren lassen sich nur die vorderen Nasenräume verlegen, tiefer gelegene Blutungsquellen erreicht man damit schwerer. Scheinbar steht wohl die Blutung, da aus dem verlegten Nasenloche nichts heraus kann; schaut man jedoch dem Kranken in den Rachen hinein, so tritt die Irrung sofort zu Tage und ein rother Blutstreifen gibt Zeugniss ab, dass Blut längs der hinteren Rachenwand nach abwärts rinne. Nament- lich bei der Rückenlage des Kranken fliesst das Blut fort und fort durch den Oesophagus in den Magen, ohne dass der Kranke sich dessen bewusst wird — deshalb versäume der Chirurg in solchen Fällen die Inspection des Rachens nie. Um tiefer direct zu tamponiren, bedarf es weicher, leerer länglicher Schläuche, welche längs des Bodens der Nasenhöhle unterhalb der tiefen Nasenmuschel vorgeschoben und dann mit Wasser oder Luft aufgeblasen werden. Sie blähen sich, vermöge ihrer exquisiten Elasticität, in alle Vertiefungen und schmiegen sich an alle Vorsprünge der Nasenhöhle, wodurch ein gleichmässig wirkender Druck auf die Nasenhöhlenwandungen ausgeübt wird. Saint Änge empfahl hiefür unter dem Namen „Rhinobyon" einen gewöhnlichen Condom, der mittelst eines elastischen Catheters eingeschoben, hierauf ad maximum aufgeblasen und schliesslich zugebunden oder abgeklemmt werden soll, ehester modificirte das Verfahren auf folgende zweckmässige Art: er nimmt einen weichen Ja^^ttes-Patent-Harnröhrencatheter, stülpt darüber einen Condom und bindet ihn am Catheter fest. Wohlbeölt wird das Ganze in die Nasenhöhle bis hinter den Choanen vorgeschoben und nun mittelst einer Wundspritze Wasser in den Catheter eingepresst. Das Wasser entweicht aus den Fenstern des Catheters, gelangt in den Condomraum und treibt diesen entsprechend auf. Das Ende des 1 Es muss entschieden widerrathen werden, mehrere kleine, nicht an Fäden be- festigte Wattetampons in die Nasenliöhle einzuführen, da möglicherweise ein oder der andere davon zwischen die Muscheln gerathen und alldort lange verweilen kann. Ich erinnere mich, einen Fall monatelang bestandener, nach einer durch Tamponade ge- stillten Rhinorrhagie aufgetretener Pseudo-ozaena durch Entfernung eines verirrten kleinen Wattetampons geheilt zu haben. 403 — o Catheters wird nun abgeklemmt und die Spritze abgenommen. Condom und Catheter verbleiben im Nasenraume bis zur definitiven Sistirung der Blutung, hierauf wird nach Ablass des Wassers das Ganze ent- fernt. Dionisio empfiehlt eine Tamponcanüle von 13 Centimeter Länge, an welche mantelförmig ein 11 Centimeter langer, am Choanenende 3 Centimeter breiter Gummisack hängt, der nach vorne zu sich ver- schmälert. Küchenmeister endlich benützt einen kleinen dünnwandigen Kautschukballon, der am Ende eines Gummischlauches angebracht ist und mit diesem communicirt. Der Apparat, als Rhineurynther bekannt, wird gleich der jedenfalls praktischeren, weil leicht zu extemporiren- den Combination von ehester bedient. Als Typus indirecter Tamponade gilt das classische Verfahren von Beäocq, welches die Verlegung der Choanen und der äusseren Nasenmündungen bezweckt, wäh- Fig. 12T. rend der mittlere Nasenraum durch das Blut- coagulum sich ausfüllen muss. Man benöthigt hierzu die in jedem Taschenbestecke vorfind- liche Bellocq^ sehe Röhre, bestehend aus einer am vorderen Ende leicht gebogenen Metall- röhre und einem geraden Stabe, welcher eine geknöpfte Uhrfeder trägt (Fig. 127 a). Das In- strument hat die Bestimmung, den hinteren Tampon, welcher die Choane verlegen soll, durch die Mundhöhle in die Rachenhöhle ein- zuziehen. Der Tampon muss etwas grösser sein a als die Choanenmündung, weil er die Bestim- mung hat, dortselbst eingezwängt zu werden; diesbehufs gestaltet man ihn erfahrungsgemäss von einer Dicke, welche dem Endgiiede der f^ Daumenphalanx des jeweiligen Kranken bei- ^ läufig entspricht, und von einer Länge von circa 3 bis -4 Centimeter. Früherer Zeit fertigte man den Tampon aus einer entsprechenden Lage geordneter parallelfaseriger Charpie, wel- che man in der Mitte zusammenband und, caudae equinae ad instar doppelte. Gegenwärtig wählt man irgend einen antiseptischen Gaze- stoff, den man in die entsprechende Form krüllt, damit er com- pressionsfähig und schmiegsam bleibe. Dieser so gefertigte anti- septische Längsballen wird mit einem langen Doppelf aden in der Mitte fest zusammengebunden. Die Procedur des Einführens gestaltet sich technisch folgendermassen: man schiebt die schreib federförmig gehaltene Bellocqsche Röhre bei zurück-, id est in die Lichtung der Röhre gezogener Feder durch das betreffende Nasenloch längs des Bodens der Nasenhöhle vor, die Concavität des gekrümmten Röhren- theiles nach abwärts gerichtet, bis die Röhrenmündung, über die Choanenöffnung tretend, den Boden, an dem sie bisher fortgeglitten war, verliert und sich in den Rachenraum senkt. Sobald die Hand diese Bewegung der Röhre fühlt, hält sie mit dem Einschieben inne und fixirt die Röhre, während die bisher freie zweite Hand den Stab in die Röhre vortreibt, wodurch die Feder vorgeschnellt wird. Sie 26* — 404 — rollt sich in Gestalt einer Bogenspirale auf, welche den weichen Gaumen von rückwärts umfasst, so dass das Knöpfchen auf die vordere Fläche des weichen Gaumens zu liegen kommt. Man lässt nun dem Kranken den Mund weit öffnen, fasst das Knöpfchen der Feder mit einer bereitgehaltenen Kornzange und zieht es durch Streckung der Feder beim Munde heraus. Am Knöpfchen wird nun das eine Ende des Doppelbändchens festgemacht, hierauf zieht man den Stab aus der Röhre vor, dadurch die Feder in sie hinein, endlich das ganze Instrument aus der Nase heraus; der Faden des Tampons folgt nach und wird knapp am Knöpf chen abgeschnitten; er bildet nunmehr eine Schlinge, deren Klang den weichen Gaumen umfasst; zieht man nun an ihrem freien Ende, welches aus dem Nasenloche vorragt, so befördert man das andere Ende mit dem daran befestigten Tampon in die Mundhöhle, beim weiteren Anziehen in die Rachenhöhle, endlich in die Ausmündung der Choane. Damit der am weichen Gaumen reitende Faden ersteren durch Reibung nicht unnöthigerweise verletze, hilft man mit dem Zeigefinger der linken Hand nach und schiebt den Tampon hinter das velum palati, während die rechte Hand am Faden zieht. Ist ein- mal der Tampon in die Choane eingekeilt, so hat man zwei Doppel- fäden vor sich, der eine kommt geradlinig aus der Nasenöffnung, der andere ragt beim Munde heraus. Ersterer heisst der Einziehfaden, letzterer Ausziehfaden, weil er dazu dient, den Tampon via oris zu entfernen, wenn die Zeit gekommen ist, den Verschluss aufzuheben, was meistens am zweiten, längstens am dritten Tage geschehen soll. Es kann vorkommen, dass man sich in der Berechnung der Tampondicke täuscht und der Bauschen zu dünn sich erweist, um eine wirksame Verlegung der Choane zu erzielen; man erkennt dies an dem Umstände, dass der Tampon sich ungebührlich weit in die Nasen- höhle vorziehen lässt. Diesem Uebelstande lässt sich leicht abhelfen. Man versucht zunächst den Tampon zurückzuziehen; dadurch bauscht er sich auf und gewinnt an Dicke auf Kosten seiner Länge. Das Zurückziehen darf aber nicht durch einfaches Anziehen des gespannten Ausziehfadens geschehen, denn dieser würde dabei den Rand des velum palati wundreiben können; um dies zu verhüten, spannt man den Faden an, führt nun ihm entlang den Zeigefinger bis unter das velum ein und drückt ersteren in senkrechter Richtung nach abwärts. Wäre der Tampon so sehr klein oder locker, dass selbst das Aufbauschen nichts fruchtet, so zieht man ihn ganz heraus und knotet am Faden den Einziehfaden eines frischen, dickeren Tampons. Hierdurch erspart man die Wiederbenützung der Röhre. Als Surrogat der Bellocq'' sehen Röhre kann ein elastischer Catheter, eine Wachsbougie, ja selbst ein starker, mit Pech oder Wachs gesteifter Bindfaden dienen. Man führt sie, nachdem ihr Ende etwas gekrümmt wurde, in die Nasen- höhle ein und schiebt sie so lange vor, bis deren Spitze an der hinteren Rachenwand sichtbar wird. Das Fassen und Vorziehen des Endes, das Befestigen des Einziehfadens, endlich das Zurückziehen bleiben sich gleich. Sitzt der Tampon in der Choane fest, so theilt man zunächst den einen Doppelfaden in seine zwei Componenten, schiebt zwischen beiden die vorderen, zum Abschlüsse des Nasenloches die- nenden Tampons fest hinein und bindet darüber die Fäden. So werden hintere und vordere Tampons durch den gleichen Doppelf aden gehalten — 405 — und in ihrer Lage wechselseitig gesichert. Der Ausziehfaden verbleibt locker in der Mundhöhle, sein Ende wird am Mundwinkel vorbei zur Ohrmuschel geführt und alldort umwunden oder mit einem Stück Heft- pflaster an die Wange geklebt. Beim Entfernen der Tampons durch- schneidet man zunächst den Knoten des Doppelfadens am vorderen Tampon, entfernt zuerst diesen und hierauf, mit der früher geschil- derten Vorsicht, den hinteren. Schliesslich wird das zum Theil ver- flüssigte Coagulum mit einer antiseptischen Lösung vorsichtig aus- gespritzt. Zur Erleichterung der ganzen Procedur hat Englisch, in Nachahmung des Rhineurynter von Küchenmeister, einen Doppelballon aus Kautschuk anfertigen lassen, wie Fig. 127 6 es darstellt. Der hintere Ballon verschliesst die Choane, der vordere das Nasenloch. Es unterliegt gar keiner Frage, dass Rhineurynter zweckmässigere und für den Kranken angenehmere Tamponaden der Nase gestatten, dass der Verschluss schneller zu Stande gebracht und rascher ab- genommen werden kann; man vergesse aber nicht, wie schnell Kaut- schukballons defect werden und wie schwer es ist, Gummiwaare über- haupt in Vorrath aufzubewahren. Deshalb wird die classische Methode von Bellocq stets in Ehren bleiben; vielleicht dass die Chester^ s,che Procedur ihr noch am meisten Concurrenz machen wird, weil sie nicht eigens fabricirte, schwer beschaffbare und nicht leicht zu conservirende Apparate erfordert, sondern mit Materialien angeführt werden kann, deren Herbeischaffung leichter möglich ist. IL Fremdkörper in der Nasenhöhle. Die innerhalb der Nasenhöhle vorkommenden Fremdkörper entstammen entweder der Aussenwelt oder der Nasenhöhle selbst. Zur ersteren Kategorie zählen zumeist runde Gegenstände, welche Kinder entweder sich selbst oder gegen- seitig in die Nase bohren, seltener trifft man lebende Thiere an: Fliegenmaden, Tausendfüssler, Ascariden etc.; zur zweiten Kategorie gehören die Nasensteine, Rhinolithen, d. h. Concremente aus Co.^ und Po^ Kalk, welche meistens kleine Fremdkörper einschliessen, oder Knochen- sequester aus den Nasenwandungen. Die instrumenteile Entfernung der Fremdkörper erfordert manchmal ihrer Grösse wegen, theils eine Verkleinerung in loco, theils eine temporäre Ablösung des Nasenflügels. Einer Verkleinerung sind ihrer Sprödigkeit halber nur Rhinolithen zugänglich; stärkere Kornzangen genügen, um sie zu zerdrücken, seltener dürfte man Urethral-Lithotriptoren benöthigen. Feste, nicht spröde Fremdkörper, welche im unteren Nasengange eingekeilt sind, können eine temporäre Ablösung des betreffenden Nasenflügels behufs Aufklappung nothwendig machen, um überhaupt Zugänglichkeit zu schaffen. Die Extraction nicht eingekeilter Fremdkörper kann auf doppelte Art vollführt werden, entweder man treibt sie in die Rachenhöhle oder man entfernt sie durch das Nasenloch. Erstgenanntes Verfahren muss mit der Vorsicht vollzogen werden, dass der nach rückwärts gestossene Fremdkörper vom Rachen aus nicht in den Kehlkopf gelange; also Vorneigung des Kopfes und prolongirte Exspiration, oder Einführung zweier Finger hinter dem velum, um den herab- — 406 — fallenden Körper direct aufzufangen. Zur Extraction nach vorne benützt man bei runden, glatten Körpern keine Zangen, weil diese, an der Oberfläche abgleitend, den Fremdkörper nur noch tiefer hineinstossen können, sondern versucht sie durch hebeiförmig wir- kende Instrumente herauszubefördern. Es dienen hierzu Ohrlöffel, gekrümmte Sonden oder Curetten. Necrotische Sequester erfordern Kornzangen. Welchen Weg der Exairese man jeweilig einschlagen solle, entscheidet die Stelle, wo der Fremdkörper sitzt; immerhin wird man stets trachten, den Weg nach vorne einzuschlagen und das Zurückstossen in den Rachen bloss auf jene Fälle beschränken, in denen der Fremdkörper eben nicht anders zu entfernen ist. Eine wesentliche Erleichterung zur Eruirung und Entfernung eines Fremd- körpers gewährt die Benützung eines Nasenspiegels bei günstiger Beleuchtung. Ein neues, einfaches und gänzlich ungefährliches Ver- fahren wird von Dodd empfohlen. Ein 1 bis 2 Fuss langes Gummi- rohr mit einem in das Nasenloch möglichst genau passenden Ansatz- stück aus Hartgummi oder Holz wird in dasjenige Nasenloch ange- setzt, in dem der Fremdkörper nicht steckt. Nun bläst der Arzt kräftig in das Gummirohr hinein, wobei der Fremdkörper aus der Nase herausfliegt. Man kann die Wirksamkeit dieses Manövers da- durch erhöhen, dass man mit dem Finger das zweite Nasenloch ver- schliesst und während man in den Schlauch bläst, plötzlich öffnet. Durch den Druck der comprimirten Luft wird dann der Fremdkörper sicher entfernt. ni. Operation an der Nasenscheidewand. Ausser den perichondralen Abscessen erheischen die angeborenen, oder nach Verletzungen er- worbenen Verbiegungen der Nasenscheidewand operative Abhilfe, wenn durch sie eine mechanische Verlegung der einen Nasenhälfte hervor- gerufen wird. Hiefür kommen in Betracht: a) Die subperiostale Ex- cision des prominirenden Theiles der Scheidewand. Man schneidet an der vorgewölbten Stelle Schleimhaut und Periost, respective Perichon- drium durch, entblösst den Knochen oder Knorpel durch stumpfes Abheben des Ueberzuges und excidirt aus ersteren ein hinreichend grosses Stück, h) Man kneipt mit der von Rupprecht angegebenen Lochzange ein Stück der Nasenscheidewand sammt Decke aus und etablirt damit eine dauernde Communication zwischen beiden Nasen- höhlen, c) Man bricht mit der von Jurasz ersonnenen, getrennt ein- zuführenden Blattzange das septum ein, richtet es gerade und legt dann einen Compressor in die Nase, welcher, beide Flächen der Scheidewand zwischen sich fassend, eine Rückkehr zur abnormen Stellung hindert, bis organische Sicherung eingetreten ist. Ver- biegungen des septum im Muschelraume würden eine temporäre Ab- lösung und Aufklappung der knorpeligen Nase nothwendig machen, um für die gedachten Eingriffe Zugänglichkeit zu schaffen. Wäre die Asymmetrie der Scheidewand nicht durch Deviation, als vielmehr durch unilaterale hyperostotische Auftreibung bedingt, so müsste nach F. Berger die Abhilfe in der Abtragung des knöchernen Vor- sprunges mittelst eines dünnen Meisseis bestehen. . 407 IV. Entfernung von Nasenpolypen. Am häufigsten kommen Schleim- polypen in der Nase vor; der Lieblingssitz dieser geschwulstartigen, gestielten Hyperplasien der Nasenschleimhaut ist der freie Rand der mittleren Nasenmuschel, seltener finden sie sich an der obersten Muschel und am Schleimhautüberzuge des Siebbeinlabyrinthes vor; untere Nasenmuschel und Nasenscheidewand sind in der Regel frei, nur am septum choanorum kommen Rachenschleimpolypen vor. Die Entfernung der, oft in grosser Menge vorkommenden Schleimpolypen, welche nicht nur die Durchgängigkeit der Nase und folgeweise den Geruchssinn wesentlich beeinträchtigen oder gänzlich aufheben und näselnde Sprache Fig. 128. nebst Schwerhörigkeit bedingen, sondern sogar das Nasendach aufzutreiben und dem- nach wesentliche Verunstaltungen zu bedin- gen vermögen, kann entweder mit einer Drahtschlinge oder mittelst Zangen besorgt werden. Das Operiren mit der Drahtschlinge gestaltet sieh zweifelsohne zu einem für den Kranken milderen Verfahren und empfiehlt sich namentlich für nicht allzu grosse, nicht gedrängt aneinander sitzende Polypen. Man macht sich zunächst mittelst Nasenspiegels und guter Beleuchtung den Polypen sicht- bar, sucht nun eine Drahtschlinge, welche auf einem Schlingenschnürer montirt ist, um den Körper des Schleimpolypen zu bringen, drängt sodann durch eine kleine Hebelbewegung des Schnürers die Schlinge dem Polypenstiele zu, zieht sie in den Schnürer zurück und quetscht das Gefasste ab. Das hierzu gebräuchliche Instrument (Fig. 128«) ist dem M^i/cZe'schen Ohrpolypen- schnürer ähnlich, nur in den Dimensionen um ein Geringes grösser, aber dafür etwas schlanker gebaut; die Verkleinerung der Schlinge erfolgt durch Zuziehen der Ringe, in welche man Daumen, Zeige- und Mittel- finger einlegt. Auf ganz analoge Weise kann man sich der Ansa galvanocaustica bedienen, wie es VoUolini empfiehlt. So einfach die Anwendung der Schlinge theoretisch erscheinen mag, ebenso schwierig gestaltet sie sich in der Praxis und erfordert eine darin wohlgeübte Hand, um nicht durch öfteres Misslingen allzu langwierig und zeit- raubend zu werden. Wohl erscheint die Exairese mit der Zange roher und gewaltthätiger, wohl entbehrt man dabei der Controle des Auges und hat eine stärkere Blutung im Gefolge, allein rascher kommt man damit sicher zum Ziele, und eine zarte, fühlige Hand wird auch hier der Rohheit steuern. Die gebräuchlichen Nasenpolypenzangen halten bezüglich ihrer Form und Stärke etwa die Mitte ein zwischen einer Korn- zange und einer Pince haemostatique. Die Zangen sind gerade oder — 408 — entsprechend dem Blätterrande gekrümmt nnd tragen an den Ringen Sperrvorriclitungen. Die Haltung der Zange ist analog jener einer Schere. Der Kranke sitzt gegenüber einem Fenster, ein Tuch wird ihm umgebunden, eine Eiterschale dem Kinn untergehalten; ein Ge- hilfe fixirt den Kopf, ein zweiter die Hände. Eiswasser, Eisstücke und eine Wundspritze sind vorräthig zu halten. Nur ganz vorne, der Nasenmuschel aufsitzende Polypen lassen die Zangenextraction unter Controle des Auges, beziehungsweise mit Beihilfe des Spiegels zu, tiefer liegende müssen dem Gefühle nach entfernt werden. Der Ope- rateur stülpt dem Kranken mit der linken Hand die Nasenspitze in die Höhe, ergreift mit der rechten eine gerade Polypenzange und führt sie durch das Nasenloch geschlossen ein. In die Nasenhöhle gelangt, öffnet er die Zangenblätter und schiebt sie, längs der Nasen- scheidewand gleitend, nach rückwärts vor; dabei bewegt sich das untere Blatt am Boden der Nasenhöhle, das obere im Niveau der oberen Muschel. Ist die Zange, approximativ gerechnet, bis zu den Choanen eingedrungen, dann schliesst man, dreht sie um die Achse und zieht sie wieder aus. Das Gefühl entscheidet sofort, ob die Zange etwas gefasst hat oder nicht; hält man sich strenge an die Nasen- scheidewand, so ist ein Mitfassen der Muschelkrümmung ausge- schlossen. Damit entfernt man jene Polypen, welche, von der Schleim- haut der mittleren Muschelwölbung ausgehend, der Mitte zu lagern. Hat man auf diese Weise den Polypencomplex zwischen Muscheln und Scheidewand extrahirt, so bekommt der Kranke durch den früher verlegten Nasenraum wieder etwas Luft. Der Entwurzelung der Po- Ij^pen folgt eine stärkere oder geringere Blutung auf dem Fusse nach. Der Kopf des Operirten wird daher etwas vorgebeugt und Eiswasser durch das Nasenloch eingespritzt. Damit der Patient das Wasser nicht verschlucke, muss er den Kopf nach vorne neigen und den Mund weit offen halten; es rinnt dann beim Munde, wäre der andere Nasenraum frei, auch durch diesen heraus. Nun schreitet man zur Exairese jener Polypencomplexe, welche zwischen mittlerer und unterer Muschel lagern. Hiefür wird die gerade Zange so gestellt, dass die Blätter sich der Seite zu öffnen. Man öffnet die Blätter nach Ueberschreitung des Nasenloches, führt ein Blatt längs der Scheide- wand, das andere längs der äusseren Nasenhöhlenwand im Räume zwischen mittlerer und unterer Muschel bis zur Choane vor, schliesst hierauf die Zange, dreht sie um die Achse und zieht sie heraus. Da- mit die Zangenblätter nicht den mittleren Muschelrand miterfassen und ihn abbrechen, ist es nothwendig, dass sie schmal seien, und dass man sich an der Vorwölbung der unteren Muschel halte. König empfiehlt, Zangen mit theilbarem Schloss zu benützen und jedes Blatt einzeln einzuführen. Wäre der mittlere Muschelrand mitgefasst worden, so gibt sich dies durch den grösseren Widerstand im Zangen- schluss und im Rotiren kund. Das Abbrechen des Muschelrandes ist gerade kein Unglück, ja es wird damit auch der Boden für künftige Recidiven entfernt, da jener, wie erwähnt, den Hauptausgangspunkt für Polypenbildungen abgibt; allein das Abbrechen bewirkt heftigen Schmerz, das Krachen erschreckt den Kranken und die nachträg- liche Blutung wird profus. — 409 — Nach einer kleinen Ruhepause untersucht der Operateur den Raum zwischen mittlerer und oberer Muschel, endlich die Decke des Nasenraumes, wofür gekrümmte Zangen erforderlich sind. Solche dürfen selbstverständlich nicht gleich den geraden um die Achse gedreht werden; mit krummen Zangen operirend, reisst man den gefassten Polypen mit einem kurzen Ruck der Zange ab. Wollte oder müsste man des Widerstandes halber drehen, so sollen dabei die Ringe in einem Kreisbogen herumgeführt werden, damit die ge- krümmten Blätter sich um ihre Achse drehen. Als letztes Moment der Operation gilt die Untersuchung der Choanenmündungen, an denen häufig Polj^pen sitzen, die hinter dem Gaumensegel in den Nasen- rachenraum herunterhängen. Man führt den Finger durch die Mund- höhle um den Gaumensegel herum in den Schlundkopf ein und be- tastet rasch, aber sorgfältig die Choanen. Findet man Polypen vor, so drängt sie der Finger von rückwärts her in den Nasenraum hinein, während die schnell eingeführte Zange sie vor der Fingerspitze fasst und via nasi auszieht. Rachenschleimpolypen können aber auch von der Mund- höhle aus, unter Beihilfe des Auges — Rhinoscopia posterior — ent- fernt werden. Es dient hierzu die Störck-CattP sehe Zange (Fig. 128 h). Ist die Nasenhöhle vollends gesäubert, so hat der Kranke freie Durch- gängigkeit sowohl beim Einziehen der Luft, als auch beim Aus- schnaufen. So lange letzteres nicht ganz frei ausführbar ist, insolange sind noch Polypen zugegen und muss danach gesucht werden. Die Blutung stillt sich auf Einspritzungen von Eiswasser und Einlegen von Eisstücken bald ganz. Desinfectantia sind kaum nothwendig, da septische Erscheinungen nach der Extraction von Schleimpolypen noch niemals beobachtet wurden. Reinheit der Instrumente bleibt trotzdem Gebot. Dem operativen Eingriffe folgt eine entzündliche Anschwellung der membrana Schneideri, welche eine vorübergehende Verstopfung der Nase bedingen kann. Der Recidive sucht man durch Aufschnupfen eines tanninhaltigen Pulvers vorzubeugen. Sehr zahlreiche kleine, den Gesammtraum der Nase ausfüllende, namentlich in den oberen Muschelregionen sitzende Schleimpolypen, häufiger wohl fibröse Nasenrachenpolypen oder andersgeartete Neu- bildungen der Nasenhöhle, können eine temporäre Aufklappung der Nase durch Trennung des knorpeligen oder knöchernen Nasendaches, ja bei der zugleich nothwendig machen, behufs Herstellung genügender Zugäng- lichkeit. Es können hiefür folgende Verfahren eingeschlagen werden: a) Auiklappung- der knorpeligen Nase. Sie gibt wenig Zugängiich- keit und entblösst nur den vorderen Abschnitt der unteren und mittleren Muschel. Man schlitzt hiefür mit einem schmalen Messer, das vom Nasenloche aus strenge entlang der Nasenscheidewand geführt wird, das knorpelige Nasendach bis zum freien Rande des os nasi hinauf, und klappt den Flügel mit einem spitzen Haken nach der Seite auf. Soll die Aufklappung beiderseits erfolgen, so geht man nach Trennung der einen Seite auf der anderen ebenso vor, nur mit dem Unterschiede, dass der Schnitt am Nasenrücken bei verschobener Haut ausgeführt wird, so dass post operationem ein einziger, etwas lateral gestellter Dorsalschnitt resultirt, der nur entsprechend der Nasenspitze in zwei Schenkel sich theilt, Avelche im jeweiligen Nasen- loche auslaufen, rechts und links knapp an der Scheidewand, — 410 — h) Unilaterale Aufklappung des knorpeligen und knöchernen Nasen- daches. ^Methode nach v. Lainjoihecl:. S(!liiiitt eiitlanii;- der Xaseiischeide- waiid, vom Nasoiiloche bis liinaui' zur Nasenwurzel. Der knorpelige Theil wird wie in a ganz durchschnitten, am knöchernen Haut und Beinhaut in einem Zuge getrennt. Ein zweiter Schnitt geht vom Nasenflügelansatz entlang der Grenzlinie zwischen Nase und Wange bis unterhalb des Augenwinkels, bei Schonung des Thränensackes; der knorpelige Theil wird abgelöst, am knöchernen Haut und Periost getrennt. Nun schiebt man, entsprechend den zwei Schnittebenen, Knochenscheren ein, trennt medianwärts die Verbindung der ossa nasi, lateral den processus nasalis maxillae und klappt den knöchernen Nasendeckel sammt Nasenflügel auf, mittelst eines als Hebel benützten Elevatoriums. Die Aufklappung erfolgt nach aufwärts, der Stirne zu, auf Kosten der Nahtverbindung beider Knochen mit dem Stirnbeine. Wollte man sich lieber einer Stichsäge oder des Meisseis bedienen als der Knochenschere, so müssten vor deren Anwendung zuerst die Schleimhaut und das Periost der Innenfläche in gleicher Länge und Richtung wie die äusseren Decken durchschnitten werden. c) Unilaterale Aufklappung des knöchernen Nasendaches allein. Diese Modification des v. Langenhech' sehen Verfahrens unterscheidet sich von h nur dadurch, dass dabei die knorpelige Nase intact bleibt und der untere Trennungsschnitt entlang der apertura pyriformis läuft. Linhart umgrenzte mit einem Winkelschnitt bloss an zwei Seiten das knöcherne Nasendach: in der Mediane und entlang der apertura pyriformis, hierauf wurden os nasi und processus nasalis maxillae der Quere nach subcutan durchgetrennt und der Hautknochendeckel seitlich umgelegt, gleich einem Fensterbalken. d) Aufklappung der gesammten äusseren Nase. Hiefür sind zwei Verfahren bekannt: 1. OlUer klappt die Nase nach abAvärts; er führt einen hufeisenförmigen Schnitt, der an einem Nasenflügelansatz be- ginnt, der Grenzlinie zwischen Nase und Wange der einen Seite bis zum Thränennasensack folgt, hierauf die Nasenwurzel umzieht und, an die andere Seite gelangt, symmetrisch wieder zum zweiten Nasenflügel herabfährt. Die so an ihrer Basis umschnittene äussere Nase wird vom Boden abgetrennt, wobei auch die Nasenscheidewand in gleicher Ebene zur Trennung gelangt, und nach abwärts über den Mund herab- geschlagen. Die intact bleibende Nasenlöcherumrandung bildet das Charnier. 2. Chassaignac wollte die Nase seitlich umlegen, der einen Wange zu. Hiefür umschnitt er die Basis der Nase entsprechend der Nasenwurzel und längs der einen Grenzlinie zwischen Nase und Wange; der Schnitt entlang der anderen Grenzlinie entfiel, dafür musste die Nase von der Oberlippe quer abgetrennt werden. Die Abklappung erfolgte auf Kosten der Verbindung zwischen Nasenbein- und Nasen- fortsatz des Oberkiefers der betreffenden Seite, v. Bruns zieht diese Methode der OlUerschen vor, mit der Betonung, dass der Gesammt- nasenlappen dabei eine breitere Ernährungsbrücke behalte, welche es ermögliche, im Nothfalle die Nase selbst längere Zeit aufgeklappt zu belassen, ohne Inanitionsgangrän befürchten zu dürfen und ohne den Mund des Kranken 2u verlegen. Derartige Eingriffe sind so schmerz- haft, dass sie ohne Narcose kaum ausführbar erscheinen. Als Vorsichts- massregeln gegen das mögliche Eindringen von Blut in die Luftwege, — 411 — dienen entweder die Tamponade der Choanen mit BeUocq scher Röhre oder das Operiren bei hängendem Kopfe. Nach vollendeter Operation wird die Nase zurechtgelegt und durch Hautnähte fixirt. Ein längeres Aufgeklapptbleiben der Nase behufs Ueberwachung etwaiger Recidiven könnte eventuell eine spätere Anfrischung der Trennungsränder noth- wendig machen. D. Mundhöhle. I. Angeborene Gaumendefecte. Die Spaltbildungen betreffen entweder das Gaumengewölbe in toto oder nur einzelne Abtheilungen desselben; erstere werden TJranoschismata, letztere Uranocolobomata genannt. Beide halten die Mittellinie des Gaumens ein, am weichen Gaumen genauer als am harten, an welchem die Spalte oftmals um etwas seitlicher als die Mitte gestellt erscheint. Bei näherer Betrachtung des Gaumen- skelettes erscheint der harte Gaumen aus den Gaumenplatten beider Oberkiefer zusammengesetzt, denen sich nach hinten zu die horizon- talen Platten der Gaumenbeine anschliessen; erstere bilden nach vorne, entsprechend dem Alveolarfortsatze, ein offenes Dreieck, in welches das os intramaxillare, als Einheit betrachtet, eingefügt ist. Von der embryonalen Selbstständigkeit des os intramaxillare gibt im ausgebildeten Kiefer noch das foramen naso-palatinum Zeugniss. Zieht man von diesem zwei schräge Linien nach vorne, welche zwischen seitlichen Schneide- und Eckzähnen jederseits auslaufen, so hat man auch die Grenzen des die vier Schneidezähne tragenden Zwischen- kiefers. Mangelhafte Entwickelung dieser eben angedeuteten Consti- tuentia des knöchernen Gaumengewölbes und folgeweise ausbleibende Verbindung, beziehungsweise Verlagerung ist die Ursache der an- geborenen Spaltbildungen. TJranoschismata kommen in drei Varianten vor: Beim TTranoschisma intermedium ist der Zwischenkiefer derart mangelhaft entwickelt, dass er zu fehlen scheint, oder er ist zwar entwickelt, aber horizontal ver- lagert. Die Spalte beginnt demnach breit am Alveolarfortsatze und setzt, sich etwas verschmälernd, bis nach rückwärts fort, inclusive dem velum palati, welches coulissenartig in zwei gleiche Hälften ge- trennt erscheint. Gaumenfortsätze und Gaumenbeine bilden nur schmale Leisten, zwischen denen das Pflugscharbein sichtbar wird. Ist das os intramaxillare entwickelt, aber nur einseitig mit dem Kiefer verwachsen, so liegt stets eine Achsendrehung des Zwischenkiefers vor, wodurch sein nicht verwachsener Rand dem Alveolarfortsatze des Oberkiefers mehr minder vorsteht und mit ihm eine Stufe bildet. Die Spalte des Gauniens wird sonach in solchem Falle am vorderen Antheil eine schräge Abweichung erfahren, im Sinne der nicht verwachsenen Seite: TTranoschisma unilaterale. Sollte der bilateral nicht verwachsene Zwischenkiefer nicht horizontal, sondern nur schräge verlagert sein, so würde die Form des TTranoschisma bilaterale resultiren. Bei der unilateralen sowohl, als auch bei der bilateralen Form ist der Spalt gemeiniglich weniger breit, und eine Seite des harten Gaumens er- scheint mit dem vomer ganz oder theilweise verwachsen. Der Spalt - 412 — ist dabei etwas nach einer Seite hin ;Lierückt; die mit dem vomer ver- einigte Gaumenhälfte ist in der Regel steil, die andere, minder ent- wickelte dagegen mehr horizontal gestellt. Alle genannten Arten vcwi Uranoschisma sind gleichzeitig mit Hasenscharten combinirt; das intermediiim und das bilaterale stets mit doppelter, das unilaterale zumeist mit einfacher Lippenspaltc. Uranocolobomata haben einen geschlossenen Alveolarfortsatz und beginnen daher erst vom foramen incisivum ab, oder noch weiter rückwärts; sie können sich auch mit Lippenspalten compliciren, müssen es aber nicht. Am häufigsten kommt die Spalte in drei Gradationen vor. Der höchste Grad betrifft die Spaltung vom foramen incisivum ab; es sind also nicht vereinigt: Fig. 129. Gaumenplatten der Oberkiefer, Gaumenbeine und Gaumensegel; beim zweiten Grade beginnt die Spalte erst von der Mitte der Gaumen- platten oder gar erst an den Gaumenbeinen; beim dritten findet man den knöchernen Gaumen vollständig entwickelt und nur das velum gespalten, entweder bis zu den Gaumenbeinen hinauf oder tiefer endend; den allerniedrigsten Grad bildet die uvula bifida. Wolff tritt für die Operation an Kindern vom zehnten Monate ab in die Schranken; er meint, das frühzeitige Operiren ergebe die Mög- lichkeit, ein normales Sprachvermögen zu Stande zu bringen. Die heutzutage zum Verschlusse von knöchernen Gaumendefecten allein übliche und zulässige Operation — Uranoplastik — besteht in der Be- nützung des mucös-periostalen Gaumenüberzuges. Diese Methode, deren Schöpfer v. Langenheck ist, hat die früherer Zeit (vor 1862) üblichen — 413 — Methoden: die Diefenbach' sehe Knochen-, und die Schleimhautplastik von Eoux, mit Recht vollends verdrängt. Der operative Verschluss des weichen Gaumens allein — Staphylorrhaphie — bestehend in der An- frischung der Spaltränder und Vereinigung des entspannten Gaumen- segels durch die Naht, ist schon im zweiten Decennium unseres Jahr- hunderts von Graefe und Roxix vollends ausgebildet worden. Dass bei den Gaumenspalten höherer Grade, Uranoplastik und Staphylor- rhaphie combinirt und in einem Acte vorgenommen werden müssen, ist wohl selbstverständlich. Zur Beschreibung der Operationstechnik wollen wir annehmen, es handle sich um ein Uranocoloboma höchsten Grades, also um eine Gaumenspalte, welche bei geschlossenem Alveolarbogen am foramen incisivum beginnt. Man wähle zur Operation einen sonnigen Tag; der Kranke sitzt, ihm gegenüber der Operateur. Zunächst wird der ganze Gaumen des Kranken mit einer stärkeren Cocainlösung (5 bis 10 Pro- cent) etwa fünf Minuten lang gepinselt, um die Schleimhaut zu an- ästhesiren. Nach Wolff gelingt es dadurch, nicht nur den Gaumen unempfindlich zu machen, sondern es hört dabei auch jede Reflex- thätigkeit des velum temporär auf; man kann dann am Gaumen operiren, ohne durch Contractions- und Würgebewegungen gestört zu Fig. 130. werden und ohne dass es zur Ansammlung des sonst massenhaft secernirten zähen, glasigen Schleimes käme. Die Operation ist eine lange währende, eine wahre Geduldprobe für Arzt und Patienten, die nicht in einem continuo zu Ende geführt werden kann, sondern viele oft längere Unterbrechungen erfordert behufs Blutstillung einerseits, und Erholung des Operirten andererseits. Dieser muss den Mund weit offen halten, um dem Operateur die grösstmögliche Zugänglichkeit zu bieten. Willensstarke, zielbewusste Patienten öffnen den Mund activ, bei geringeren Intelligenzen ist ein passives Offenhalten des Mundes nothwendig. Hiezu dienen Instrumente, bestimmt, theils den Mund überhaupt gewaltsam zu öffnen, theils den freiwillig geöffneten offen zu halten. Zu letzteren Zwecken genügt ein Korkstück, welches man zwischen den Mahlzähnen als Keil einschiebt. Zweckmässiger ist der gestielte Keil nach Weinlechner (Fig. 129^»), welcher durch Gehilfen- hand mit Leichtigkeit in seiner Stellung gesichert werden kann. Zum gewaltsamen Oeffnen des Mundes dient der erste beste Mundspiegel, nach Wood, nach Heister oder irgend eine andere Variante ähnlicher Instrumente. Ein weiteres Hinderniss für den Operateur gibt die Zunge des Patienten ab, welche sich unwillkürlich bäumt und dadurch so- wohl die Aussicht als auch die Zugänglichkeit zu den Rachengebilden stört. Es bedarf sonach gestielter, winkelig gebogener Spateln, mit denen die Zunge nach abwärts gedrückt und fixirt werden kann; am besten eignet sich hierzu die Zungenspatel nach TilrJc (Fig. 129c). Auch — 414 — Combinationen von Mundctffner und Zungenspatel sind bekannt, so der „Ouvre-bouche a creniaillore" von (Jollin (Fi<^'. 129 6) und der ähnlich o'estaltete und gleichwirkende Apparat nach Whitehead. Zur Stillung der Blutung und zum jeweiligen Reinigen des Operationsfeldes dienen Eiswasser und gestielte Schwämme, Ijeziehungsweise kleine Tupfer, welche auf entsprechend langen sperrbaren Zangen (Fig. 130) befestigt sind. Die wirksamste Blutstillung dürfte durch eine methodisch geübte temporäre Wundcompression zu erzielen sein. Wo(ff lässt das ganze je- weilige Wundgebiet mittelst eines festen, in Salicylgaze eingebundenen Holzwolletampons durch zwei bis vier Minuten unausgesetzt compri- miren; der Erfolg ist sicher. Auch mit Cocain befeuchtete, länger an- gedrückt gehaltene Bauschen dürften sich recht wirksam erweisen in Anbetracht der exquisit gefässzusammenziehenden Wirkung des Prä- parates. Die Uranoplastik kann, dem Operationsgange entsprechend, in drei verschiedene Acte eingetheilt werden, und zwar: 1. Anfrischung der Spaltränder; 2. Ablösung des mucös-periostalen Ueberzuges und Entspannung des Gaumensegels; 3. Vereinigungsnaht. 1. Die Anfrischung betrifft beide Spaltränder in ihrer ganzen Länge. Man beginnt mit der Wundmachung der Gaumensegelränder und kann dies entweder mit dem Messer oder mit der Schere be- sorgen. Vor der Anfrischung muss die betreffende Gaumensegelhälfte fixirt und angespannt werden, um lineare Schnitte zu ermöglichen. Spitze Häkchen oder langarmige Hakenpincetten, mit denen man die Velumhälften nahe derUvulaspitze fasst, dienen hierzu; sie werden knapp an der Anfrischungslinie, natürlich noch nach innen von ihr der Mittellinie zu angelegt. Benützt man die Schere, so muss das velum schräge nach vorne, der Mundhöhle zu, gespannt werden, das eine Blatt der Winkelschere (Fig. I31c) wird hinter dem Segel, einige Milli- meter vom Rande eingeführt, das zweite Blatt vor dem Segel an- gesetzt und die Anfrischung mit Einem Schlage beendet. Der ab- geschnittene Randtheil bleibt vorderhand in situ hängen. Wählt man zur Anfrischung das Messer — ein langgestieltes spitzes Tenotom (Fig. 131 h), so muss das Gaumensegel senkrecht nach abwärts, dem Schlundkopfe zu, gespannt werden. Das Messer wird im Bereiche der Uvulahälfte, etwas oberhalb ihrer Spitze, senkrecht durch das Gaumen- segel gestochen und nun der Spaltrand mit sägenden Zügen von unten nach oben wund geschnitten, bis zur Grenze des palatum durum. Erst wenn dieser Schnitt beendet ist, wendet man das Messer mit der Schneide nach abwärts und trennt die kleine, bisher zurückgelassene Brücke an der Uvulaspitze durch. Ein Anfrischen in umgekehrter Richtung, id est von oben nach abwärts, verbietet sich wegen des ab- rieselnden Blutes, welches das Operationsfeld verdeckt. Sind die Spaltenränder des Gaumensegels wundgemacht, so schreitet man zur Anfrischung der Spaltenränder am harten Gaumen. Dieser Act ist leichter als der erstgedachte, indem eine knöcherne Unterlage vor- liegt und auch das Operationsplanum weiter nach vorne gerückt ist. Die Anfrischung des mucös-periostalen Ueberzuges kann nur mit dem Messer ausgeführt werden. Man benützt dazu bauchige Scalpelle; V. Langenbeck bediente sich eines der Gaumenwölbung analog ge- krümmten, convex schneidigen Messers, welches sich dem Operations- planum besser anschmiegt. Die Anfrischungsebene des mucös-periostalen — 415 — Ueberzuges miiss als Fortsetzung jener des Gaumensegels gedacht werden; beide liegen in einer Flucht. Die Anfrischiing des Gaumen- überzuges erfolgt selbstverständlich ganz nahe dem Spaltenrande und diesem strenge parallel. Bei üranocoloboma umkreist der Anfrischungs- schnitt die vordere Spaltgrenze, bei Uranoschisma laufen die Schnitte vorne frei aus. Das Messer muss stets scharf geführt werden, damit in einem Zuge Alles bis zum Knochen sicher durchtrennt werde. Erst nach ganz vollendeter Anfrischung präparirt man den abgetrennten Spaltsaum in toto ab. Von dieser äusserst wichtigen Regel sollte nie abgewichen werden, indem nur die Ausschneidung der Spaltränder in toto die volle Garantie dafür bietet, dass die Anfrischung allüberall gleichmässig stattgefunden habe, wovon der Erfolg der Operation Fig. 131, zum grossen Theile abhängig ist. "2, Der zweite Operationsact bezweckt die Ablösung sämmtliclier Weichtheile, also mucös-periostalen Ueberzug und Velumhälften, vom knöchernen Gaumen in Gestalt zweier ganzer Verschiebungslappen mit doppelten Ernährungsbrücken. Die eine Ernährungsbrücke jedes Gaumenweichtheil-Lappens liegt vorne hinter den Schneidezähnen; sie vermittelt die Blutzuführ von Seite der arteria nasopalatina ; die zweite Ernährungsbrücke bildet der Ueb ergang des weichen Gau- mens in die seitliche Rachenwand, in die arcus palato-giossi und pa- lato-pharyngei. Behufs Ablösung des mucös-periostalen Ueberzuges vom harten Gaumen führt man je einen, das involucrum palati bis auf den Knochen trennenden Seitenschnitt, welcher hart an und entlang den Zahnreihen ver- läuft, entsprechend dem seitlichen Schneidezahne beginnt und am hamulus pterygoideus endet. Die Seitenschnitte nicht in einer Linie, sondern unterbrochen, fenster- artig anzulegen, dürfte sich aus dem Grunde weniger empfehlen, weil die intacten Zwischenbrücken die Verschieblichkeit der Lappen wesentlich behindern würden. Nur enge Spalten bei sehr steilen Gaumephälften könnten sich dafür eignen. Die Seitenschnitte bluten etwas stärker und erheischen das feste Andrücken der bereit ge; haltenen Tupfer als temporäre Tamponade. Nach gestillter Blutung dringt man von den Seitenschnitten aus, mittelst stark gebo- gener oder winkelig gekrümmter Elevatorien zwischen Beinhaut und Knochen ein und hebelt langsam und vorsichtig den ge- sammten Gaumenüberzug ab. Das Elevatorium wird jeweilig mit der concaven Fläche dem Knochen zugekehrt eingeführt, das stumpfe — 416 — Ende am Knochen gestemmt und mit der convexen glatten Fläche die Beinhaut abgehebelt, wobei der Zeigefinger von aussen her alle Bewegungen des Instrumenets genau controlirt und unterstützt. Das Abhebein muss mit grosser Vorsicht ausgeführt werden, damit nicht etwa der Gaumenüberzug durchstossen oder eingerissen werde. Für jene Fälle von Gaumenspalten, wo die eine steile Hälfte direct in den vomer übergeht, kann nach Latmelongue ein mucös-periostaler Lappen der frei vorliegenden Seitenfläche des vomer entnommen werden, um gleich einer Flügelthür umgelegt und mit dem wund- gemachten Rande der freien Gaumenfläche vereinigt zu werden; die Ablösung des Gaumenüberzuges unterbleibt dann. Diese Transplan- tation eines der Nasenscheidewand entnommenen mucös-periostalen Lappens vereinfacht wesentlich die Operation und gestaltet sie viel weniger eingreifend, leider eignet sie sich nur für ganz bestimmte, nur vereinzelt vorkommende Fälle. Ist die Ablösung beiderseits bis zum hinteren Rande des os palatinum fortgeschritten, so wendet man sich der Ablösung und Ent- spannung des weichen Gaumens zu. Letztere erheischt die Durch- schneidung der musculi levator und tensor palati. v. Langenbeck be- nützte hiefür ein kleines spitzes, sichelförmiges Messer (Fig. 131a), man sticht es mit nach aufwärts gerichteter Schneide dicht unterhalb und etwas nach aussen vom hamulus pterygoideus, also am hinteren Ende des früheren Seitenschnittes, in der Richtung von aussen nach innen und von vorne nach hinten durch das Gaumensegel bis gegen die hintere Pharynxwand ein und durchschneidet mit sägeförmigen Messer- zügen das Gaumensegel in seiner ganzen Dicke bis zum hinteren Rande der horizontalen Platte des Gaumenbeines. Dieser Schnitt wird circa 2 Centimeter lang, trennt die Gaumenspanner und Gaumenheber vollständig durch und verletzt weniger als die früherer Zeit von Graefe und Roux empfohlenen halbmondförmigen Entspannungsschnitte durch die Länge des Gaumensegels. Der v. LnngenhecJc' sehe Schnitt umkreist den canalis pterygo-palatinus und verschont die gleich- namigen Gefässstämme. Nunmehr trennt man zuletzt den weichen Gaumen vom hinteren Rande des os palatinum ab, indem man den hinteren Schleimhautüberzug des velum, id est den Uebergang der Schleimhaut des Gaumensegels in jene der Choanen abtrennt. Mau benöthigt hierzu ein gekrümmtes, geknöpftes Bistouri, welches vom Spaltrande des Defectes aus, entlang dem Gaumenbein nach aussen geführt wird, bis das Knöpfchen des Messers durch die Rückseite des früher geschilderten Entspannungsschnittes in den Rachenraum gelangt. Hierdurch wird der hintere Gaumenüberzug auf die Messer- schneide gestellt und kann in Einem Zuge durchschnitten werden. Hiermit ist auch die totale Ablösung der Gaumenweichtheile vom knöchernen Gaumen und gleichzeitig die Entspannung des Gaumen- segels besorgt. Die abgelösten und entspannten, dicken, derben Lappen hängen schlaff herab, sind passiv sehr beweglich und lassen sich median- wärts verschieben bis zur gegenseitigen Berührung; sie verhalten sich nunmehr zum entblössten harten Gaumen ähnlich wie aufgespannte Hängematten zum Cajütendach. Um die beiderseitige Durchtrennung der Muskeln bei Führung der Seitenschnitte zu vermeiden, pflegte Billroth nicht die ganze Dicke des velum durchzutrennen, sondern nach Durch- — 417 - schneidung der Schleimhaut die innere Lamelle des Flügelfortsatzes oberhalb des hamulus pterygoideus mit einem schmalen Meissel durch- zuschlagen, beweglich zu machen und dergestalt die ganze Gaumenhälfte nach der Mitte zu verschieben. Die Verschiebbarkeit der Gaumenlappen bis zur wechselseitigen Berührung der wunden Spaltränder ohne jede Spannung, ist Haupterforderniss zum Gelingen der Operation. Wo noch Spannung besteht, muss sorgsamst abgeholfen werden, ehe man zum dritten Acte schreitet. 3. Die Vereinigungsnaht ist der schwierigste Theil der Urano- plastik. Die Wundränder werden durch die Knopfnaht vereinigt, wozu sich Seide wohl am besten eignet. Nachdem die erste Naht- schlinge am Ende des velum eingeführt wurde, legt man die anderen Fäden in gleichmässiger Entfernung, meistens in der Richtung von vorne nach rückwärts ein, knüpft sie aber nicht sofort, sondern wartet damit bis alle Fäden eingelegt sind, dann erst knotet man die Schlingen in gleicher Richtung; die erstdurchgeführte Nahtschlinge wird zuletzt geknüpft. Damit aber in der Zwischenzeit die Fadenenden nicht unter- einander gerathen, befestigt man jede Fadenschlinge, sowie sie durch- Fig. 132. geführt ist, mit ihren beiden Enden in Klemmen, die an einem Stirn- bande angemacht sind, welches der Kranke trägt. Ich pflege an einem Bandstreifen ein Dutzend gewöhnlicher Hafteln nebeneinander nähen zu lassen und binde ihn während des Nähens dem Kranken um die Stirne; die einzelnen Fadenpaare werden an je einer Haftel locker umwunden. Das Einführen der Fadenschlingen um die Spaltränder besorgt man im Nothfalle mit gewöhnlichen krummen oder geraden chirurgischen Nadeln kleinerer Sorte und geeigneten Nadelhaltern. Die Verwendung gewöhnlicher Nadeln erfordert aber einen nicht ge- ringen Grad von manueller Gewandtheit und Sicherheit. Leichter gestaltet sich das Nähen mit hakenförmig gekrümmten, gestielten Na- deln, welche man, je zwei an einem Faden, von hinten nach vorne durch die Spaltränder sticht, v. Langenheck hat ein eigenes Nadelwerkzeug für uranoplastische Zwecke ersonnen, welches wohl vollendet zweck- mässig ist. Es besteht aus einer geraden Hohlnadel, welche am Stiele unter einem stumpfen Winkel befestigt ist; sie wird stets von vorne nach hinten schräg duix;h den jeweiligen Spaltrand durchgestochen, worauf durch Federdruck aus der Hohlnadel ein winziges Häkchen vorgestossen wird, in welches man das eine Ende des Fadens schlin- genförmig einlegt. Bei Nachlass des Federdi'uckes schnellt das Häkchen in das Innere der Hohlnadel zurück und zieht den gefangenen Faden nach; entfernt man nun die Hohlnadel aus dem Stichcanal, so wird V. Mosctig-Moorhof: Handbuch d. Chirurg. Technik. 4. Aufl. 27 - 418 — der Faden nachgezogen. Zum Auftragen des Fadens auf das Häkchen bedarf es eines eigenen Fadenträgers (Fig. 132). Sind alle Faden- schlingen bis zur Uvula eingelegt, so geht in gleicher Richtung, nach genauer Entfernung aller Blutcoagula, das Knüpfen an. Die vorderen Schlingen lassen sich leicht knüpfen, die hinteren schwerer. Es ist von grösster Wichtigkeit, dass jede Schlinge genau passe, d. h. dass sie die Wundränder genau vereinige, nicht locker sei, noch weniger aber schnüre, v. Langenheck empfiehlt den ersten Knoten chirurgisch zu schürzen, d. h. das eine Fadenende nicht ein-, sondern zweimal um das andere herumzuschlingen. Allerdings hält ein derartiger Knoten sicherer als der einfache, man lauft also dabei weniger Ge- fahr, dass der erste Knoten sich lockere, während man den zweiten oder Schlussknoten schürzt. Wenn aber feuchtes Materiale zur An- wendung kommt, so gleitet ein chirurgischer Knoten scliAver und ein zu locker oder zu fest ist dann nichts weniger als ausgeschlossen. Sicherer ist es immer, den ersten Knoten einfach zu schürzen und die Lockerung während der Bildung des zweiten dadurch zu ver- hindern, dass ein Assistent in der Zwischenzeit den ersten Knoten mit einer Pincette hält. Knotenschieber (Fig. 131 fZ), durch dessen Rinp; man die Fadenschlinge reiten lässt, während sie gespannt gehalten wird, dienen zum Zurechtschieben des Knotens, ersetzen also die Finger und sind von Vortheil, wenn man die Nähte am Gaumensegel schliesst. Sobald eine Fadenschlinge sicher geknotet ist, schneidet man beide Fadenenden ab, nicht gar zu kurz, da ein längeres Rest- chen bei der Entfernung der Nähte, welche zwischen dem siebenten und neunten Tage erfolgt, sehr gut zu Statten kommt. Damit die Naht halte und sichere organische Vereinigung eintrete, ist vor Allem Ruhe des Gaumens absolute Nothwendigkeit; jeder kräftigere Schluckact muss mindestens für die ersten acht Tage unterbleiben, breiige Nahrung gestatte man nicht vor der zweiten, feste erst in der dritten Woche. TFoZ^' empfiehlt öftere Ausspülungen der Mund-, Nasen- und Rachenhöhle bei herabhängendem Kopfe; der Wundschmerz wird dadurch wesentlich gelindert und die Nahrungsaufnahme erleichtert. Weiters ist auch jede Spannung der genähten Theile zu vermeiden. Es kann bei weitem Defecte schon während der Operation eine Spannung sich bemerkbar machen (primäre Spannung) ; dieser hilft man durch weiteres Ablösen des Gaumenüberzuges, am velum durch entspannende Längsschnitte ab. Ich habe in zwei Fällen durch metallene Entspannungsringe abgeholfen, führte dicken Silberdraht durch den einen Seitenschnitt ein, zwischen dem vereinigten Gaumen und dem Gaumenskelette zum anderen Seitenschnitt heraus, bog dann den Draht sorgfältig um, legte ihn flach der Schleimhautfläche an und drehte die Enden in der Mediane zusammen. So wurden zwei Ringe, oder richtiger gesagt zwei flache geschlossene Metallspangen in einiger Entfernung von- einander um den vereinigten Gaumenüberzug gelegt, welche jede Spannung dauernd beseitigten und erst in der dritten Woche entfernt wurden. Dtidon will jeder Naht entrathen und die Vereinigung nur durch zwei, je 1 Centimeter breite Zwirnbänder erzielen; ein Vorschlag, der wohl keine Nachahmer finden dürfte. Ferner ist es rathsam, die in Folge der medialen Verschiebung der Gaumenlappen entstehenden klaffenden Seitenspalten mit Jodoformgaze auszufüllen, — 419 — um dem Vernarbungszuge entgegenzuarbeiten, welcher den gesenkten Gaumenüberzug zu erheben und dem Knochen zu nähern strebt (secundäre Spannung). Bisher wurde die Uranoplastik stets in einer Sitzung abgethan. Der um die Ausbildung der Operationen am und im Munde so verdienstvolle Wolff glaubt auf Grund zahlreicher Er- fahrungen die Ausführung der Operation in zwei, durch eine Pause von drei bis fünf Tagen geschiedenen Zeiten empfehlen zu sollen. Er will zunächst die Ablösung des Gaumenlappens ausführen und etliche Tage später erst ihre mediale Anf^'ischung und Vereinigung vornehmen. Die Vortheile sind: die Operationen namentlich bei Kindern weniger gefahrdrohend zu gestalten, und zweitens die Garantien eines sicheren Erfolges zu bieten, indem die Ernährung der abgelösten Gaumenlappen in der Zwischenzeit sich günstiger gestaltet und damit auch die Bedingungen zur Wundvereinigung durch eine spätere Naht sich bessern. Partielle oder totale Necrosen der Gaumenlappen, wie sie beim einzeitigen Operiren sich etwa doch manchmal einstellen könnten, sollen beim zweizeitigen Operiren nicht vorkommen. Endlich besteht auch ein wesentlicher Vortheil noch darin, dass das bei der Operation verlorengehende Blut nicht auf einmal vergossen wird, so dass der Patient nach ersterlittenem Blutverluste Zeit zur Erholung gewinnt, bevor er den zweiten Blutverlust erleidet, ein Umstand, der namentlich beim Operiren an Kindern von wesentlicher Bedeutung sein kann. Durch die geschilderte Uranoplastik wird der Knochendefect knöchern verschlossen, insofern als die verschobenen periostalen Lappen Knochenneubildungen eingehen und diese in späterer Zeit den Defect ausfüllen. Mittelst Akidopeirastik kann man sich davon sattsam überzeugen. Trotzdem behalten die operirten Kranken, wenn die Heilung auch noch so schön zu Stande kam, eine näselnde Sprache zurück, die Folge einer Insufficienz des zu kurzen velum palati. Um ihr abzuhelfen, empfehlen WoJß und Schiltsky elastische, mit Luft zu füllende Obturatoren, welche, in den Ptaum zwischen velum und hinterer RacheuAvand eingefügt, ihn ausfüllen und die Nasenhöhle vollends abschliessen. Es wurden auch Ersatzoperationen für die Staphylorrhaphie ersonnen, so das Annähen beider getrennt bleibenden Gaumensegelhälften an die hintere Gaumenwand — Gaumenschlundnaht nach Fassavant — weiters die Schönhorn-Trendelen- Imrg' sehe Staphyloplastik, wobei ein, der hinteren Rachenwand ent- nommener Schleimhautlappen in den Yelumspalt transplantirt wird. Keine der beiden Methoden hat sich bewährt, indem die Kranken den dauernden Abschluss der Nasenhöhle, deren Ausschaltung aus dem Respirationswege nicht auf die Länge vertragen; am besten dürften die 8cki(tshf sehen Obturatoren dem Uebelstande der näseln- den, schwer verständlichen Sprache abhelfen, da sie nur temporären Abschluss zu Stande bringen und bei Nacht abgelegt werden können. Wolff meint, dass erst dank diesen Obturatoren die Uranoplastik ihren vollen Werth erlange und dass geeignete Fälle auch durch einen geeigneten Sprachunterricht allein vollends functionsfähig werden können. 27* — 420 — IL Erworbene Gaumendefecte. Diese unterscheiden sich von den an- geborenen Defocten zunächst durch den Umstand, dass ihre Ränder nicht mit Schleimliaut, sondern mit Narbe überzogen sind. Weitere Unterscliiede geben die Form und Grösse nebst der Localität. Nur durcli zerfallene Gummata bedingte Defecte pflegen die Mittellinie des harten Gaumens einzuhalten; durch Traumen, entzündliche oder neoplastische Processe bedingte Substanzverluste kommen zumeist seitlich von der Mediane vor. Ulceröse Perforationen des velum palati vernarben zumeist, ohne Löcher und Spalten zu hinterlassen, wohl aber mit erheblichen Randverlusten und Zerstörung der uvula. Dass noch im Ulcerationsstadium befindliche Defecte des harten Gaumens erst der Uebernarbung zugeführt werden müssen, ehe an ihren Ver- schluss gedacht werden kann, ist wohl selbstverständlich. Dieser kann auf doppelte Weise effectuirt werden: durch Obturatoren, welche am besten an Vulcanitplatten angebracht werden, und auf organischem Wege. Median gelegene Defecte mögen durch eine Uranoplastik mit mucös-periostalen Verschiebungslappen nach r. Langenbeck' scher Art gedeckt werden, seitlich gelegene können durch gestielte, der Um- gebung entlehnte, gleichfalls mucös-periostale Transplantationslappen verlegt werden. Kleine Gaumenöffnungen schliessen sich häufig durch wiederholte leichte Cauterisationen der Ränder mittelst schwarzglühen- dem Thermocauter. Gaumendefecte können jedoch auch durch anderwei- tige, d. h. ausserhalb des Gaumens entnommene Weichtheile verschlossen werden. Blasius hat versuchsweise einen Stirnhautlappen durch die zerstörte Nase in den Gaumendef ect geleitet und alldort fixirt, freilich ohne Erfolg; Thiersch verschloss einen grossen seitlichen Gaumen- deföct, der aus einer Schussverletzung resultirt war, dadurch, dass er nach Abtragung des noch bestehenden gleichseitigen Alveolar- fortsatzes einen gestielten, der ganzen Dicke der Wange entnommenen Lappen so in die Mundhöhle hineinstülpte und an den Defecträndern annähte, dass die Schleimhaut des Lappens der Nase, die Hautfläche der Mundhöhle zugekehrt blieb; Rose verwendete zum Defectver- schlusse Lappen aus der Lippenschleimhaut. Derartige Operationen haben wohl nur dann einen Sinn, wenn der Defect so gross ist, dass der Ueberzug der noch vorhandenen Gaumenreste zur Deckung nicht ausreicht. Wenn auch selten, so kommt es dennoch vor, dass nach syphi- litischen Ulcerationen am Gaumensegel und an der Rachenwand eine vollständige Verwachsung der Segelreste mit jener resultirt. Dadurch bleibt die Nasenhöhle dauernd von der Mundhöhle abgeschlossen und der Kranke hat wesentliche Nachtheile davon. Er kann nur bei offen gehaltenem Munde athmen, entbehrt des Geruchsinnes, und auch der Gehörsinn leidet unter dem Abschlüsse. Ich habe in einem derartigen Falle, um dem Kranken eine erträglichere Existenz zu schaffen, künstlich eine Oeffnung im harten Gaumen anlegen müssen, um auf diese Art die benannten Beschwerden theilweise zu heben. Damit aber — 421 — der künstlich erzeugte Defect der Sprache keinen näselnden Ton ver- leihe, legte ich die Fistel ganz vorne hinter den Schneidezähnen an, etwa entsprechend dem foramen incisivum. Hiefür wurde an be- sagter Stelle ein rundliches, linsengrosses Stück aus dem mucös- periostalen Gaumenüberzuge umschnitten, dann abgetragen und hier- auf mittelst Meissel und Hammer ein Knochenstückchen in entspre- chender Grösse ausgestemmt. Nachdem schliesslich auch die Weich- theile des Bodens der Nasenhöhle durchschnitten waren, wurde ein kurzes Metallröhrchen eingelegt, damit die Oeffnung sich nicht schliesse. Der Erfolg war ein sehr befriedigender. Patient konnte nunmehr durch die Nase athmen, bekam wieder etwas Geruch und konnte sich wieder schneuzen; auch das Gehör ward besser. Die Sprache erhielt keinen näselnden Beiklang. Nach vielen Jahren mel- dete mir der Operirte, dass er mit seiner künstlichen Fistel äusserst zufrieden sei. Den gleichen Beschwerden sind die durch die Gaumen- schlundnaht oder durch Stnphyloplastik behandelten Defectkranken ausgesetzt; je gelungener die Operation, desto unerträglicher die Beschwerden. So kam es, dass in einigen so operirten Fällen der mit dem Schlünde verwachsene Gaumen wieder aufgetrennt werden musste, eine Zerstörung schwieriger Arbeit, welche den Status quo ante und mit ihm die näselnde Sprache wieder herstellte. Vielleicht Hessen sich die Passavant und Schönh orn^ ^c\\en Verfahren mit meiner künstlichen Fistelbildung am foramen incisivum combiniren und dadurch zu- lässig machen? III. Operationen an der Zunge und am Boden der Mundhöhle. A. Lösung des Zungenbändchens. Wenn auch diese Operation vi'el zu häufig begehrt und ausgeführt wird, so kommen doch Fälle vor, wo eine zu grosse Länge des Bändchens, wobei es bis zur Zungen- spitze reicht, die Bewegungen dieser hindern und das Saugen der Neugeborenen unmöglich machen. Die Lösung der Zungenspitze mittelst Durchschneidung des Bändchens ist dabei absolut noth- wendig und ohne Zögern vorzunehmen. Die Operation selbst ist ein- fach genug, nur die Stelle, wo man das Bändchen mit der Schere einschneidet, ist nicht gleichgiltig; würde man etwa die Insertion des Bändchens an der Zungenspitze durchschneiden, so könnte dabei die arteria ranina verletzt werden, welche knapp unter der Schleimhaut verlauft. Es gilt als Regel, das Bändchen in der Mitte seines Ab- standes zwischen Mundboden und Zungenspitze zu trennen. Man drückt die Zungenspitze in die Höhe, spannt hierdurch das Bändchen und schneidet es mit dem Ende einer geraden oder gekrümmten, besser nicht spitzen Schere durch. Es kann aber auch so vorgegangen werden, dass man das Bändchen in den Einschnitt einer gewöhnlichen Zungenspatel (Fig. 133) einzwängt, hierauf die Spitze empordrängt und nun unterhalb der schützenden Spatel die Schere wirken lässt. Es ist gar nicht nothwendig, das Bändchen weit nach rückwärts hin durchzutrennen, eine Einkerbung in der Länge von V2 Centimeter genügt vollends. Wäre eine Verletzung der arteria ranina unterlaufen, - 422 — so könnte die Blutung nur durch Umstechung der kleinen Schlag- ader dauernd gestillt werden. B. Verfahren bei Macroglossie. Diese angeborene, nur in den ersten Lebensjahren vorkommende Difformität der Zunge beruht auf einer Neubildung und Erweiterung von Lymphgefässen, zählt also zu den cavernösen Lymphangiomen. Sie combinirt sich stets mit einer gleich- zeitigen erheblichen Zunahme des interstitiellen Bindegewebes und einer Hyperplasie der Muskelfasern, wodurch die vergrösserte, aus der Mundhöhle weit vorquellende Zunge in ihrer Consistenz bald mehr teigig derb, bald schwammig erscheint, je nachdem das eine oder das andere Constituens der Macroglossie prävalirt; sie kann aber auch nur der Ausdruck reiner Muskelhypertrophie sein. Solche zu gross gewordenen Zungen behindern die Nahrungseinnahme, erschweren das Athmen und erfordern Abhilfe, respective rasche Verkleinerung. Helferich empfiehlt die multiple Function der Zunge mit dem Ther- mocauter, dessen spitzen Ansatz man an zahlreichen Stellen tief in das Gewebe der Zunge einsenkt. Bei einiger Vorsicht kann die Ope- ration ohne Blutverlust abgehen; weniger zu empfehlen ist das Ab- tragen eines Zungenstückes mit dem Ecraseur oder mit der galvano- caustischen Schlinge, da hierbei die künftige Form der Zunge und Fig. 1.33. dadurch die Sprache leiden mögen. Endlich können mit dem Messer aus dem Rücken der Zunge entsprechend grosse Doppelkeile — ein horizontaler und ein darauf senkrechter Keil — ausgeschnitten werden, ein Verfahren, welches, von Boyer angegeben, wegen des Blutreich- thums der Zunge mit Vorsicht zu unternehmen ist. Zunächst muss dabei durch Anlegen von Sperrzangen an die Zunge der Blutzufluss temporär gehemmt werden; nach Entnahme der Keile wird eine sorgsam und tief angelegte Naht die Blutstillung dauernd besorgen. Die der Operation folgende entzündliche Schwellung der Zunge kann Erstickungsgefahr bedingen und erheischt sorgfältige Ueberwachung des Kindes. Fehleisen hat von einer bilateral ausgeführten Ligatur der lingualis dauernd günstigen Einfluss auf die Volumreduction der Zunge gesehen. C. Amputation der Zunge. Unter dem Namen Amputatio linguae begreift man die Entfernung grösserer Zungensegmente, der halben oder selbst der ganzen Zunge bis gegen ihre Basis hin. Anzeige zu diesen traurigen Operationen geben zumeist carcinomatöse, seltener andersartige Erkrankungen. Kleinere Knoten schneidet man keil- förmig aus und spricht dann von Excision. Es gilt als Gesetz, nicht nur im gesunden Gewebe, sondern weit vom Neugebilde — mindestens 1 Centimeter davon — zu operiren. Daher werden kleinere Knoten auch keilförmig excidirt, weil das Neugebilde stets zapfenförmig in das Zungengewebe hineinreicht; die keilförmige Wundform ermöglicht aber auch am besten eine Vereinigungsnaht, die schon behufs der — 423 — Blutstillung sich empfiehlt. Die Entfernung ganzer Zungensegmente ist ein operativer Act, der nur vermöge der Localität Schwierigkeiten bereitet, welche die freie Zugänglichkeit zum bequemen und correcten Operiren, namentlich aber zur Stillung der unausweichlichen arteriellen Blutung behindert. Alle Bestrebungen der Chirurgen sind demnach auf die Beseitigung der beiden Momente gerichtet: die Blutung zu verhüten, beziehungsweise sie möglichst gering zu machen, und der operirenden Hand, sowie dem controlirenden Auge möglichst freie Zugänglichkeit zu schaffen. Um ohne Blutverlust die erkrankten Zungenpartien entfernen zu können, wurde empfohlen: 1. Die Abbindung des Krankheitsherdes durch metallische oder nicht metallische Abschnürungsfäden; es entsteht Necrose und Ab- stossung des abgeschnürten Theiles durch entzündlichen Demarcations- process. Gegenwärtig nicht mehr geübt. 2. Abquetschung mittelst Ecraseur. Die Einführung der Kette er- folgt auf verschiedene Art und Weise, je nach dem Sitze des Leidens und dessen Ausdehnung. Soll nur der freie Theil der Zunge, die Zungenspitze abgetragen werden, so zieht man die Zunge mittelst Hakenzangen möglichst weit aus dem Munde heraus, sticht jenseits der Krankheitsgrenze zwei starke, geknöpfte Stahlnadeln senkrecht von oben nach unten durch die Substanz der Zunge und legt hinter den Nadeln, welche das Abgleiten der Kette verhindern sollen, diese um die Zunge herum. Aehnlich wäre das Verfahren der Anwendung der Quetsch- kette bei Macroglossie. Muss die eine laterale Hälfte der Zunge allein abgequetscht werden, so gestaltet sich die Technik der Anlegung der Kette etwas schwieriger: zunächst ist hinten der Uebergang der Zungen- hälfte in die Zungenwurzel zu trennen, hierauf die mediane Spaltung vorzunehmen und schliesslich die Verbindungen mit dem Mundhöhlen- boden abzuquetschen. Die Kette muss demnach zuerst quer zur Achse der Zunge, dann parallel zu dieser ftnd schliesslich in horizontaler Ebene wirken. Zur Einführung der Kette dienen grosse gekrümmte Nadeln, mit denen man doppelte Seidenfäden an den entsprechenden Stellen einzieht, um an ihnen die Ecraseurkette nachzuführen. Auch hier ist das Einlegen vonFixirnadeln oder grosser spitzer Haken während des Abquetschens nothwendig, um das Abgleiten der Kette zu hindern. Soll die Abquetschung wirklich unblutig ablaufen, so darf die Hebel- stange des Quetschers nur um einen Zahn in der Minute vorrücken. Liegt die Nothwendigkeit vor, die ganze Zunge an ihrer Basis ab- zuquetschen, so gestaltet sich die Technik wieder leichter. Nach Chassaignac's und Maisouneuve^s Vorgang spaltet man vom Halse aus den Boden der Mundhöhle in der Mediane bis gegen den Zungengrund, sticht sodann von der Wunde aus in schiefer Richtung eine Nadel in die Mundhöhle, zieht den Faden nach, umkreist damit die Zungen- wurzel und sticht an der entgegengesetzten Seite die Nadel wieder durch die Schleimhaut in den Medianschnitt zurück. Zieht man die Kette nach, so wird diese die Zungenbasis umkreisen und abschnüren können. Die restirenden geringen Verbindungen sind nachträglich leicht zu durchschneiden oder durchzuquetschen. Das Abgleiten der Kette nach vorne wird mit spitzen Haken verhindert, welche man als Barrieren in den Rücken der Zunge einsenkt. — 424 — 3. Die Abtrennung mit der galvanocaustischen Schlinge. Der Platin- draht wird in ähnliclior Weise eingelegt wie die Ecraseurkette. Nur wenn mit dicken Drähten und schwachem Strome vorgegangen wird, kann die Operation blutleer verlaufen, dünne weissglühende Drähte sind gefährlich, da dabei sich einstellende Blutungen schwer zu stillen sind. Die Galvanocaustik eignet sich nur für Carcinome, welche nicht weit nach rückwärts reichen, denn die Nähe der epiglottis könnte nachträglich durch ödematöse Schwellung ihrer Schleimhautbänder in Folge der Glühhitze bedenklich werden. Das Operiren mit dem Pacquelin' sehen Thermocauter ist nur bei ganz vorne sitzenden Ge- schwülsten empfehlenswerth, obgleich v. Langenbeck auch ausgedehn- tere Zungenkrebse damit abtrug. 4. Die temporäre Absperrung; der zuführenden Gefässe. Für Ampu- tationen der Zungenspitze genügt die Umstechung der arteriae raninae nach B. /Schmidt. Man sticht die Nadel dicht oberhalb einer caruncula subungualis circa l ' A, Centimeter nach aussen von der Mittellinie ein, führt sie quer durch die Mitte der Zunge durch und schliesslich an der entgegengesetzten Seite symmetrisch wieder aus. Wird die so eingelegte Schlinge geknotet, so umschnürt sie beide raninae. Nach erfolgter Amputation und angelegter Vereinigungsnaht wird die Schnürschlinge durchschnitten und entfernt. Bei Amputationen des Körpers der Zunge muss ihre ganze Basis, durch welche die arteriae linguales eindringen, umstochen werden. Langenbuch hat hiefür mittelst langer Nadeln zwei temporäre Massenligaturen angelegt, welche die Basis jeder Zungenhälfte quer umschnürten. Bei nur eiiiseitiger Ope- ration würde es nur einer Umstechung bedürfen, indem bekanntlich die Verästelungen der beiden linguales in der Zunge keine directen Anastomosen besitzen; das septum linguae ist somit als neutraler Boden zu betrachten. 5. Die Continuitätsligatur einer arteria lingualis, wenn unilateral, beider, wenn bilateral oder wenigstens über das septum hinaus amputirt wird. Die Lingualisligatur als Voract der Amputatio linguae wird heutzutage mit Vorliebe ausgeführt: durch sie kann die Zunge blutleer gemacht und die Ausschneidung ganz grosser Stücke, ja der ganzen Zunge, ohne Blutung ausgeführt werden. Immerhin spritzt auch dabei beim Ablösen der Zunge vom Boden der Mundhöhle eine kleine Arterie, welche dem Stamme der maxillaris externa ent- stammt, doch ist das Gefäss sehr klein und liegt so weit nach vorne, dass die isolirte Ligatur des blutenden Lumen keine Schwierigkeiten bereitet. Nach Wölfler müssten zum vollendeten blutleeren Operiren nebst der lingualis auch die maxillaris externa unterbunden werden. Demarquay hat die Unterbindung einer oder beider linguales auch für solche Fälle von Carcinoma linguae empfohlen, in denen das Leiden so weit fortgeschritten ist, dass an keinerlei Exstirpation mehr gedacht werden kann; er wollte durch Absperrung der Ernährungs- quellen das Wachsthum des Neugebildes hemmen, ja eine Art Atro- phirung künstlich hervorrufen und hierdurch die Beschwerden der Kranken lindern. Die Technik der Lingualisunterbindung folgt im nächsten Capitel. Grössere Zugänglichkeit zum Operationsfelde, beziehungsweise zum cavum oris kann geschaffen werden entweder durch temporäre Durch- — 425 — schneidung' der Weichtheile, welche die Mundhöhle umgeben, oder durch osteoplastische Resection des Unterkiefers und temporäres Aufklappen desselben. Es ist wohl begreiflich, dass beide Methoden verschiedene Varianten zählen, welche durch die Nothwendigkeit bedingt sind, entweder mehr nach vorne oder mehr nach hinten zu operiren und demzufolge den vorderen oder hinteren, namentlich aber den seitlichen Theil des cavum oris freilegen zu müssen. Alle im Folgenden näher anzuführenden Methoden gelten als Voract der eigentlichen Zungenamputation : 1. Durchtrennung der Weichtheile allein. a) Die horizontale Spaltung der Wange vom Mundwinkel aus (Rizzoli, Rose u. A.). Selbst wenn die Spaltung bis zum masseter geführt wird, verschafft sie nicht die vollends erwünschte Zugänglichkeit, da der Kieferbogen das Haupthinderniss für die vordere Mundhöhlen- region abgibt; nebstbei lässt die Spaltung der Wange eine dauernde Verunstaltung des Gesichtes zurück, trotz genauer Wiedervereinigung. ß) Die temporäre Abtrennung des Bodens der Mundhöhle vom Bogen des Unterkiefers. Durch die neueröffnete Pforte in der Submentalgegend kann dann die Zunge vorgezogen und dadurch die Amputation quasi extra cavum oris vorgenommen werden. Dieses Verfahren gibt wohl die ausgiebigste Zugänglichkeit, da die Zunge danach bis zum Sichtbarwerden der epiglottis vor- und abwärts gezerrt werden kann. Die Operation ist an der, fast bis zur Körperoberfläche dis- loeirten Zunge mit grosser Bequemlichkeit und relativer Leichtigkeit auf das genaueste, durch Tastsinn und Auge controlirt, auszuführen, jede Blutung durch isolirte Ligatur der spritzenden Gefässe zu stillen, und schliesslich bietet die Ablösung der Submentalgegend vom Kiefer- bogen auch die beste Gelegenheit, um die Mundhöhle an den tiefsten Punkten drainiren und dadurch für die rascheste Abfuhr der Wund- secrete sorgen zu können. Reynoli, welcher das Verfahren ersann und zuerst praktisch ausführte, ging folgendermassen vor: Er schnitt zunächst in der Medianlinie der regio submentalis senkrecht ein, vom Kinn bis zur Mitte des Zungenbeines, hierauf wurde entlang dem unteren Rande des Unterkiefers je ein schräg horizontaler Schnitt geführt, der am oberen Ende des senkrechten begann und am vor- deren Rande des masseter endete, um die arteria maxillaris externa nach Möglichkeit zu schonen. Durch diesen etwa schräge gedachten T-Schnitt wurden die Weichtheile der Submentalgegend in zwei mehr minder spitzwinkelige Lappen mit hinterer unterer Basis getrennt. In diesen Schnittlinien allmälig tiefer eingehend, trennte er alle am Kinn sich inserirenden Zungenbein- und Zungenmuskeln (m3do-hyoidei, genio- hyoidei und genio-glossi) und eröffnete zuletzt die Schleimhaut der Mundhöhle, Vor der Trennung der genio-glossi muss die Zunge mittelst einer früher durch ihre Substanz geführten Fadenschlinge oder mittelst Zangen gesichert werden, damit sie durch ihre Retraction nach ver- lorenem vorderen Halt nicht zu plötzlichen Erstickunganfällen Ver- anlassung gebe. Nachdem schliesslich die untere Schleimhauttasche beiderseits ausgiebig durchschnitten worden, konnte die Zunge unter dem Unterkiefer frei herausgezogen werden. Billroth hat das Begnoli'sche Operationsverfahren auf zweckmässige Weise etwas modificirt. Der Unterschied besteht: 1. In der äusseren Schnittführune:. Die Weich- - 426 - theile der Unterkiniigegend werden in Form eines weiten Bogens durchschnitten; der horizontale, etwa 5 Centimeter lange Bogen- schnitt zieht entlang dem Unterkieferrande und durchtrennt auch das Periost; die den beiden Enden des Bogens senkrecht nach abwärts angeschlossenen Schnitte sind nur je 3 Centimeter lang und endigen seitlich und ausserhalb der Zungenbeinlu'h-ner. 2. Am liorizontalen Bogenschnitte werden die Weichtheile mit dem Perioste in Ver- bindung gelassen und dieses von der Innenfläche des Kieferbogens seitlich abgelöst. Am Kinnstachel müssen die daselbst ihre Insertion findenden Muskeln aber gleichfalls durchschnitten werden, indem die Ablösung des Periostes an der spina mentalis unmöglich ist. Nach- dem die Schleimhaut am inneren Alveolarrande durchschnitten worden, dringt man in die Mundhöhle ein und führt die Zunge bei der Wunde heraus. Zweifellos ist die seitliche Schnittführung nach Billroth zweckmässiger als die BegnoW sehe Spaltung in der Mittel- linie, denn man kann von den Seitenschnitten aus eventuell die arteriae linguales unterbinden, in der Submentalgegend befindliche carcinöse Lymphdrüsen bequem exstirpiren und auch besser bilateral drainiren, da die Endpunkte der geraden Schnitte in den seitlichen Zungenbeingegenden die tiefstliegenden, geradesten Canäle zum Secretabflusse bieten. y) Die seitliche Eröffnung der Mundhöhle, ein Verfahren, welches von Kocher unter dem Titel „Zungenexstirpation von der Basis" für Krebse empfohlen wurde, welche die seitliche Gegend der Zunge nahe dem arcus palato-glossus einnehmen. Man führt einen Winkelschnitt : der vordere Schenkel lauft von der Mitte des Abstandes zwischen Kinn und Zungenbein quer zum vorderen Rande des Kopfnickers und erhält einen kurzen halben EegnolP sehen Medianschnitt als Zu- satz ; der hintere Schenkel wird vom Ohrläppchen herab entlang dem Vorderrande des Kopfnickers zum äusseren Ende des Horizontal- schnittes geführt, so dass ein dreieckiger Lappen mit vorderer, dem Kieferrande zusehender Basis hervorgeht. Der Hautlappen wird dem Gesichte zu emporgeklappt und damit die fovea submandibularis freigelegt. Nach Unterbindung sämmtlicher Gefässe (vena facialis, arteria maxillaris externa und lingualis) und Ausräumung der Unter- kieferspeicheldrüse wird der mylohyoideus durchschnitten, die Schleim- haut getrennt und damit die Mundhöhle von der Seite her eröffnet. Von der W\mdspalte aus überblickt man den ganzen Zungenrand bis zur epiglottis hin. 2. Temporäre Kieferresectionen. a) Trennung des Unterkiefers in der Medianlinie. Diese Methode nach Sedilht eignet sich für Operationen an den vorderen Abschnitten der Zunge bei gleichzeitiger Erkrankung des Mundhöhlenbodens. Man spaltet die Unterlippe in der Mittellinie und fügt beiderseits je einen schrägen Schnitt entlang dem Unterkieferrande hinzu. Nach Spaltung des Zahnfleisches, der Beinhaut und Entfernung eines mittleren Schneidezahnes wird der Unterkiefer median durchgesägt, hierauf die Muskeln von der spina mentalis abgelöst, an jeder Sägefläche ein starker spitzer Haken eingesetzt, sodann beide Kieferhälften doppel- thürartig nach aussen zu, so weit als thunlich aufgeklappt und die Zunge direct vorgezogen. Post exstirpationem werden die Unter- — 427 — kieferhälften entweder durch Knochennaht oder Verzapfung vereinigt, oder auch nicht, da keine Verschiebungsneigung vorliegt. ß) Temporäre Resection des mittleren Theiles vom Kieferbogen nach Billroth. Die Weichtheile werden durch zwei senkrechte Schnitte, von den Mundwinkeln aus bis zur Höhe des Zungenbeines gespalten und nach Durchschneidung der Beinhaut in den gleichen Linien der Kiefer durchsägt. Nach Ablösung der Weichtheile an der Innenseite des resecirten Kieferstückes wird dieser selbst nach abwärts umgeklappt und hierdurch hinlänglich Raum zur Mundhöhle und zum Mundhöhlen- boden gewonnen. y) Laterale Trennung des Unterkiefers nach r. Langenheck. Spaltung der Weichtheile durch einen senkrechten Schnitt vom Mundwinkel der kranken Seite nach abwärts, bis zur Höhe des Schildknorpels; man entfernt etwaige infiltrirte Drüsen der Submaxillargegend, trennt bigastricus und hyoglossus, unterbindet die lingualis und sägt in der Schnittlinie den Kiefer durch, r. Langenheck will die Durchsägung des Kieferbogens in schräger Richtung, von aussen oben nach innen unten vorgenommen wissen, damit keine Dislocation der Kieferhälften zurückbleibe. In den Sägeflächen w^erden schliesslich scharfe Haken eingepflanzt und damit insbesondere das äussere kleinere Segment aufgeklappt, auf Kosten einer unvollständigen oder vollständigen Luxation im betreffenden Unterkiefergelenke. Hierauf trennt man entlang der Innenfläche des aufgeklappten äusseren Segmentes die Schleimhaut bis zum arcus palato-giossus durch, den man mit der dahinterliegenden Tonsille deutlich übersieht. Nunmehr wird die Zunge nach der gesunden Seite abgezogen und derart gewinnt man Platz, um nicht nur unilaterale, weit nach rückwärts ragende Neu- gebilde der Zunge bequem zu exstirpiren, sondern auch, um bei etwa vorhandener Nothwendigkeit gleichzeitig den arcus und die Tonsille zu exstirpiren. Würde das Carcinom das septum linguae überschreiten, so müsste die jenseitige arteria lingualis von der Wunde aus isolirt unterbunden werden, was sicherlich keine grosse Schwierigkeit bietet. Nach beendeter Exstirpation bringt man die Kieferhälften aneinander und fixirt sie durch Knochennaht oder Verzapfung. Ein Drain soll hinter dem Kieferbogen eingelegt und am untersten Wundwinkel des senkrechten Schnittes hervorgeleitet werden. Unter all den soeben angeführten Methoden, sich grössere Zu- gänglichkeit zum cavum oris zu verschaffen, Methoden, welche nur im Falle absoluter Nothwendigkeit zur Anwendung gelangen sollen, verdienen hauptsächlich drei Beachtung. Es sind dies: a)J)'ie Billroth- sche Variante der RegnolP sehen Ablösung der Weichtheile in der Submentalregion; sie empfiehlt sich für solche Neubildungen, welche den Körper der Zunge einnehmen und auch den Boden der Mund- höhle in Mitleidenschaft gezogen haben; ß) die Kocher^ sehe Methode für Krebse, welche mehr nach hinten gewuchert sind, gegen die Zungenbasis hin; und endlich y) die v. L^an genheck' sehe seitliche Kieferdurchsägung, wenn auch arcus palati und Tonsille mit entfernt werden müssen. Ohne solch besondere Nothwendigkeit soll man den Kiefer nicht durchsägen, da bei mangelnder Asepsis es leicht zu Osteomj'elitis suppurata mit folgender Pyämie kommt, und oftmals Necrose der Sägeränder sich einstellt, mit langwierigem Heilungs- — 4 -'8 — Fig. 134. verlaufe und mehr minder bleibender Entstellung des Gesichtes. Hin- gegen müsste das Mittelstück des Unterkiefers definitiv resecirt werden, wenn das Neugebilde auch den Unterkieferknochen bereits einnehmen würde. Um die Blutung während der Zungenamputation zu meiden, empfiehlt sich bei intrabuccalem Operiren die vorgängige Unterbindung der einen oder beider arteriae linguales. Von grösster Wichtigkeit ist die Handhabung der Antisepsis. Man reinige genau die Mundhöhle durch Absprengen des Zahnsteines, Entfernung faulender Zahnstümpfe und Wurzeln, und durch längeren Gebrauch "eines antiseptischen Mundwassers. Das Carcinomgeschwür cauterisirt man vor der Operation mit starker Lapislösung und neutralisirt den Ueberschuss mit Salzwasser. Der Kranke nimmt eine mehr sitzende Stellung ein. Ob man narcotisiren solle oder nicht hängt ab von der Ausdehnung des Leidens nach rückwärts und von dem Um- stände, ob man sich durch vorgängige Unter- bindung der linguales vor Blutung geschützt hat oder nicht, endlich von dem Momente, ob intra- oder extrabuccal vorgegangen wird. In allen Fällen soll, falls man narcotisirt und nicht bei hängendem Kopfe operirt, der Kopf des Kranken gegen die Brust geneigt erhalten werden, damit kein Blut in die Luftwege ge- rathen könne. Zum Vorziehen und Fixiren der Zunge dient die Zange (Fig. 134): sie hält sicher, ohne das Gewebe zu zerreissen. Die Amputation der Zunge kann mittelst starker Schere oder mit dem Messer vorgenommen werden, falls nicht der Ecraseur oder die gal- vanocaustische Schlinge den Vorzug bekommen. Man trennt zunächst die Zunge an der Rück- seite durch, um sofort den nervus lingualis ausser Spiel zu setzen; bei der v. Langenbeck- schen Kieferosteotomie und der Kocher' sehen Methode kann der Nerv auch früher isolirt durchschnitten werden, bevor man die Zunge angeht. Werden beide genio-glossi durchschnitten, so muss der Retraction des Zungenstumpfes vor- gebeugt werden, zu welchem Zwecke man durch letzteren eine Faden- schlinge zieht und diese entweder an die Vorderzähne bindet oder, wie Billroth empfiehlt, dem Mundwinkel anheftet. Zweckmässig bleibt es stets, den Zungenstumpf mit Schleimhaut zu decken, wofür deren Ränder durch Catgutsuturen vereinigt werden, falls keilförmig excidirt wurde. Den Rest der Wunde bewahrt man vor Sepsis durch Einreiben von Jodoformpulver und durch Verstopfen mit Jodoformgaze, welche acht bis zehn Tage in situ verbleiben kann. Zum Abflüsse der Secrete wird, falls Zugänglichkeitsoperationen ausgeführt wurden, an den tiefsten Punkten drainirt. Billroth vereinigte bei seinen Submentalschnitten die Schleimhaut des Bodens der Mundhöhle mit der äusseren Haut an den tiefsten Punkten der senkrechten Schnitte, um den Wund- — 429 — secreten leichteren Abfliiss zu schaffen und das Einlegen von Drain- röhren zu ersparen. Bei rein intrabuccalem Operiren entbehrt man der Drainage und deckt die Wunden nur mit Jodoform. Um dem Kranken post Operationen! Flüssigkeiten verabreichen zu können, bedarf man eigener theekannenähnlicher Schalen, deren langes Ab- flussrohr über den Zungenstumpf bis gegen den Rachen hin ein- geführt wird. Wäre das Schlingen unmöglich, so müsste ein Dauer- schlundrohr durch die Nase in die Speiseröhre eingeführt, dort eine Woche und darüber belassen, und durch dieses Flüssigkeiten direct in den Magen gegossen werden. Auch kommt nach grossen, weit nach hinten greifenden Excisionen die Tracheotomie mit Tamponcanülen in Berücksichtigung, zur Vermeidung von Schluckpneumonien. Wenn drairirt worden wäre, empfiehlt es sich, dem Kranken in den ersten Tagen eine halbsitzende Lage im Bette zu geben, um den Abfluss der Mund- und Wundsecrete zu befördern. Bei Nachblutungen in Folge etwaigen Aufgehens einer Ligatur pflegt Heath die rasch auftretende starke Blutung augenblicklich dadurch zu stillen, dass er den bluten- den Stumpf mit zwei, hakenförmig um die Zungenwurzel eingelegten Fingern stark nach vorne drängt. Hierdurch wird einerseits ergiebig comprimirt und die Blutung im Momente gestillt, andererseits auch die blutende Stumpffläche nach vorne gerückt und die Anlegung einer frischen Ligatur, beziehungsweise Umstechung erheblich erleichtert. D. Operationen an sublingualen Geschwülsten. Jene sublingualen Cj'sten, welche gemeinhin als Ranula bekannt sind, können auf zweierlei Weise zum Verschwinden gebracht werden: durch Exstir- pation der C3'ste als Ganzes, oder des Cystenbalges nach früher ent- leertem Inhalte, und durch Obliteration in Folge Verklebung und Ver- wachsung der Sack Wandungen. Das erstgenannte Verfahren ist das sicherste, das zweitgenannte bringt häufig Recidive des Leidens, da- her die diesbezüglichen Eingriffe zumeist einer mehrmaligen Wieder- holung bedürfen. Die Ausschälung der Ftanula nach Schuh ist zwar keine ganz leichte Aufgabe, einerseits wegen der Localität und an- dererseits ob der Dünnheit und Zerreisslichkeit der Cystenwandungen ; immerhin ist sie möglich, wenn die Verwachsungen der Cystenwand mit der Umgebung nicht zu feste sind. Behufs Ausschälung spaltet man die dünne Schleimhaut, welche die Cystenwölbung deckt, der grössten Länge nach, sei es aus freier Hand, sei es nach Aufhebung und Einschneidung einer Falte, auf der Hohlsonde; hierauf werden beide Schnittränder mit spitzen Häkchen gespannt, und der Operateur sucht mit den Enden einer geschlossenen Hohlschere zwischen Schleim- haut und Cystenwand einzudringen, um letztere auf stumpfe Weise frei zu machen. Berstet der Sack während dieser Manipulationen oder ging a priori der Schnitt durch die Schleimhaut zu tief, so lässt man den zähen Inhalt abfliessen, fasst sodann mit Sperrpincetten die Sack- ränder, zieht sie möglichst vor und trennt ihre Verbindungen. Zur gründlichen, dauernden Beseitigung des Leidens ist es erforderlich, dass der ganze Balg entfernt werde; bleiben Reste zurück und mögen diese auch noch so klein sein, kann es stets zur Recidive kommen. Die Verödung des bloss entleerten Cystensackes hat man auf mannigfache Art herbeizuführen getrachtet; die Menge der Varianten beweist das Unzureichende der einzelnen Methoden, welche sind: — 430 — o) Das Einlegen von Fremdkörpern in den entleerten Sack. Hiefür wird zunächst die Wölbung der Ranula inclusive Deckschleimhaut meistens mit der Schere eröffnet; man sticht die Scherenspitze durch den Balg in den Cystensack, schiebt das Scherenblatt weit in den letzteren hinein und schneidet durch. Bei grossen Cysten ist es rath- sam, nach der einfachen Spaltung mit Hakenpincette und Hohlschere noch halbmondförmige Stücke aus dem Cystendache herauszu- schneiden und hierdurch den Höhlenraum zu reduciren. Der entleerte verkleinerte Cystenraum wird nun mit gekrüllter Gaze oder kleinen Wattebauschen ausgefüllt, welche Stoffe zumeist mit Tinctura jodina oder ätzender Chlorzinklösung imprägnirt werden. Damit die Tam- pons nicht herausfallen können, ist es nothwendig, sie in der Cysten- höhle zu fixiren, was am besten dadurch geschieht, dass man die Schnittränder über den Tampons mit einer Knopf naht vereinigt; eine einzige der Mitte der Schnittwunde entsprechende Naht genügt vollkommen. Eichet, der dieses Verfahren mit Chlorzinktampons em- pfiehlt, entfernt nach 48 Stunden die Naht, lüftet die Wundränder und zieht die Tampons heraus. Statt Tampons einzulegen, kann man auch die Cystenwandungen, nachdem sie trocken gelegt wurden, mit Nitras argenti oder Kali causticum fusum intensiv ätzen, wobei nicht zu vergessen ist, den Ueberschuss des Causticum sorgsam zu neu- tralisiren, um unnöthigen Verätzungen der Mundhöhle vorzubeugen. Einige Chirurgen begnügen sich mit der einfachen Spaltung und dem Einlegen von etwas trockener Wolle oder Gaze ohne reizende oder ätzende Zuthaten, nachdem sie die Cysten wand mit der Schleimhaut durch einige Hefte der Knopfnaht vereinigten. Krahhel hat in einem Falle stark nach aussen promenirender Ranula dieselbe intra- und extrabuccal gespalten und nach partieller Excision der Sackwandungen den Rest drainirt. h) Die Injection von ätzenden Flüssigkeiten in den durch Function entleerten, geschlossen bleibenden Cystensack. Le Dentu empfiehlt die Injection von einigen (1 bis 3) Tropfen Chlorzinkhydrat, id est flüs- siges concentrirtes Chlorzink, in den Cystenbalg ohne oder mit vor- gängiger theilweiser Entleerung des flüssigen Inhaltes. Es soll starke Reaction mit bedeutender Verschwellung der Mundbodenweichtheile, aber dafür auch definitive Heilung in 10 bis 12 Tagen eintreten. Auch Jodtinctur, Eisenchloridlösung, Alcohol und Chloroform sind zur Einspritzung benützt worden. Dermoidcysten der Sublingualgegend sollen stets von aussen her exstirpirt werden, also von der Haut der regio submentalis aus. Die Exstirpation gelingt ohne Verletzung der Schleimhaut des Mund- höhlenbodens, wodurch die Wundhöhle extrabuccal bleibt. Die intra- buccale Ausschälung ist viel mühsamer, die Wundbehandlung gibt mehr Arbeit, dauert länger und macht dem Kranken mehr Ungelegen- heiten als die kleine lineare Narbe in der Submentalgegend, welche nach der extrabuccalen Exstirpation zurückbleibt. 431 E. Rachen höhle. Fig. 135. Tonsillotomie nennt man die partielle Abtragung hypertrophischer Tonsillen; die Operation beschränkt sich auf die Ausschneidung jener Partien, welche über das Niveau der Arcusfalten hervorragen und den aditus ad pharjmgem verengern. Tonsillen können auf doppelte Art araputirt werden: mit geknöpften, ge- raden oder gekrümmten, langgestielten, nur im vorderen Abschnitte zur Schneide geschärften Bistouris, oder mit guillo- tineartigen Instrumenten. Ersteres Ver- fahren wird heutzutage nur selten mehr geübt, da es umständlicher ist, längere Zeit in Anspruch nimmt und eine gewisse Willigkeit des Patienten erfordert. Fig. 13.5 stellt die von Schuh verwendeten Tonsillotome dar, mit de- nen folgendermassen verfahren wird: der Kranke sitzt und öffnet weit den Mund; ein Gehilfe drückt mit einer Spatel die Zunge herab, der Operateur nimmt in seine linke Hand einen lang- gestielten spitzen Doppelhaken, in seine rechte das gerade oder gebogene Ton- sillotom, sticht den Doppelhaken von rückwärts in die linke Tonsille des Kranken ein, oder fasst sie mit einer Hakenzange, zieht sie aus ihrer Nische etwas vor und schneidet nun entlang dem Gaumenbogen in sägeförmigen Zügen die Mandel von unten nach auf- wärts durch, um nicht durch das herab- rieselnde Blut in der Schnittrichtung beirrt zu werden. Um die rechte Ton- sille des Patienten zu amputiren, muss ein Händewechsel stattfinden. Nicht ambidextre Chirurgen werden besser thun, den Kopf des Kranken stark rück- lings zu neigen und von rückwärts her zu operiren. Scheren als Ersatz des Messers sind nicht mehr üblich. Allgemeiner geübt und selbst bei widerstrebenden Kranken leicht ausführbar ist die Tonsillotomie mit der Guillotine. Nachdem Fahnenstock die erste Guillotine ersonnen, folgton eine Menge Modificationen des Apparates. Man kennt solche von Charriere, Ruprecht^ Kalbe u. A. m. Das bekannteste und vielleicht gebräuchlichste Modell ist die von Mathieu angegebene Ringguillotine (Fig. 135 6^. Jede Guillotine besteht aus zwei wesentlichen Componenten: der fixirenden und etwas hebelartig - 432 — wirkenden, mit Widerhaken versehenen Gabel, womit die Tonsille gespiesst und etwas vorgezogen wird, und dem die Tonsille um- fassenden, die Schneideklinge bergenden Ring. Mathieu^s Instrument wird mit drei Fingern gefasst und gehandhabt. Zeige- und Mittel- finger kommen in die seitlichen Ringe, die Daumenphalanx in den Endring. Wird letzterer zurückgezogen, so verlässt die Gabel den Schneidering ; wird er vorgeschoben, so dringt die Gabel in den Bereich jenes vor; ein weiteres Vordrücken des Ringes entfaltet die Schneide der Guillotine. Das Instrument wird derart eingeführt, dass die Gabel der Mittellinie, die glatte Fläche der Tonsille zugekehrt ist. Die Technik seiner Anwendung ist einfach genug. Zungenspateln sind kaum nöthig; ein Gehilfe stützt den Kopf. Man geht in die Mund- höhle mit dem linken Zeigefinger ein, drückt damit die Zunge herab und führt gleich das Instrument nach. Wenn die Guillotine bis zum Racheneingang vorgedrungen ist, kann Patient den Mund nicht mehr schliessen, denn es treten starke Würgbewegungen ein, während welcher der Mund unwillkürlich weit "geöffnet, die Zunge gesenkt und die Gaumenbögen sammt den Tonsillen vorgetrieben werden. Man benützt diesen günstigen Augen- blick, um den Ring der Guillotine rasch um die Tonsille zu schieben, durch leichten Druck die arcus palatini von der Tonsille abzudrängen, die Gabel vorzustossen und die Klinge spielen zu lassen. Die ab- geschnittene, gespiesste Tonsille wird mit dem Instrumente sofort entfernt und dem Kranken Eiswasser zum Gurgeln gereicht. Kindern soll das Gurgeln früher eingeübt werden. Weigern sich die kleinen Patienten behufs Operation den Mund freiwillig zu öffnen, so hält man ihnen plötzlich die Nase zu; die meisten Kinder öffnen dann sofort den Mund, um Luft zu schnappen und diesen Augenblick benützt man zum gleichzeitigen Einführen von Zeigefinger und Guil- lotine. Geht man rasch zum Racheneingang vor, so wird jedes Zu- beissen durch die sofort eintretenden Würgbewegungen paralysirt. Immerhin mag zur grösseren Sicherheit ein Holzkeil zwischen die Zahnreihen geschoben werden. Manche Kinder öffnen bei zugehaltener Nase wohl die Lippen, aber nicht die Zahnreihen. Da ist nun ein plötz- liches Erschrecken der Kinder durch Anschreien oft von guter Wirkung; wenn nicht, muss ein Mundspiegel herbei. Bei bilateraler Tonsillotomie ist zwischen der Entfernung der einen und der anderen Tonsille eine kleine Pause zu machen, damit die Blutung aus der Amputationsfläche sich verringere und der Patient sich erhole; die Pause wird durch Ausgurgeln mit Eiswasser ausgefüllt. Es können bei Erwachsenen so sehr vergrösserte Tonsillen zur Operation kommen, dass der Ring der Guillotine, obwohl man kleinere für Kinder und grössere für Er- wachsene zu wählen pflegt, dennoch zu klein sich erweist, um die ganze Tonsille zu umhalsen; dann muss jede Tonsille, wie ich es wiederholt thun musste, in zwei Reprisen ausgeschnitten werden. Der Tonsillotomie können sich manche unangenehme Ereignisse zugesellen, die man genau kennen muss, um rasche Abhilfe schaffen zu können. a) Die Tonsille lässt sich nicht fassen, entweder weil ihr Gewebe so sehr morsch ist, dass Haken oder Gabel ausreissen, oder weil ihre Vorderfläche mit dem arcus palato-glossus erwachsen ist, wo- — 433 — durch dieser wie ein Vorhang, der Mittellinie zu verzogen, die Ton- sille deckt. Morsche Tonsillen lassen sich zerdrücken, indem man einen Zeigefinger an die Tonsillen legt und mit den Fingern der anderen Hand von aussen her einen Gegendruck ausübt — Tonsillothlipsie nach Nagel — oder man entfernt sie mit dem scharfen Löffel, endlich können sie auch durch wiederholte Aetzungen mit dem Lapisstifte zur Schrumpfung gebracht werden. Verwachsungen der Tonsille mit dem vorderen Gaumenbogen müssen mit einem gekrümmten Eleva- torium oder einem Knopfmesser abgelöst werden, bevor man zur Amputation schreiten kann. h) Die Tonsille läast sich nicht durchschneiden, weil Concremente im Gewebe enthalten sind, welche gerade in der Schnittebene lagern. Operirt man mit dem Tonsillotome, so gelingt es leicht, dem Concre- mente auszuweichen und die Trennung zu vervollständigen; dagegen wird die Klinge der nur in einer einzigen, bestimmten Ebene wirkenden Guillotine aufgehalten. Es bleibt dann nichts übrig als rasch mit einem Knopf bistouri die Tonsille hinter der Gabel, eventuell hinter der Guillotine zu durchschneiden, da es nur schAver gelingen dürfte, das eingesetzte Instrument ohne Mitnahme der Tonsille entfernen zu können, indem die Widerhaken der Gabel deren Rückbewegung hindern. Es geht daraus die Regel hervor, bei Tonsillotomien mittelst Guillotine stets auch ein Knopfbistouri in Bereitschaft zu haben. Letzteres könnte auch nothwendig werden, wenn etwa die Klinge der Guillotine brechen und ein Stück davon abspringen würde. Daraus die zweite Regel: vor jeder Anwendung das Instrument auf seine Integrität zu prüfen und namentlich darauf zu sehen, dass der zarte, schmale Schneidering keine Sprünge habe. Ruprechtes Guillotine, welche scherenartige Schneideblätter besitzt, und auch Kolbe's, der historischen Revolutions-Guillotine ähnlich gebautes Instrument mit schräg convexer Messerschneide sind diesbezüglich sicherer als das Charriere' sehe oder Mdthi/^ii'sehe Ringmessermodell. c) Stärkere Blutung. Die Möglichkeit, bei einer Tonsillotomie die arteria carotis interna zu verletzen, ist bei regelrechtem Verfahren nicht denkbar; selbst die totale Entfernung der Tonsille aus ihrer Nische würde die carotis unberührt lassen. Das gefürchtete Gefäss liegt ausserhalb der seitlichen Pharynxwand. Die Blutungen nach der Amputatio tonsillarum sind ihrem Charakter nach meist parenchymatös. Da die Möglichkeit ihres Auftretens um so grösser, je blutreicher das Drüsengewebe ist, so vermeidet man es, entzündete Tonsillen zu ent- fernen. Es gilt wohl als allgemeine Regel, das Schwinden der ent- zündlichen Erscheinungen abzmvarten, ehe zur Operation geschritten wird. Immerhin kommt es auch bei nicht acut geschwellten Tonsillen zu stärkeren Blutungen, auch ohne dass den Operirten der Charakter der Haemophylie imputirt werden könnte. Man beobachtet dann oft- mals in der Schnittfläche ein blutendes arterielles Gefäss, einen grösseren Ast der arteria tonsillaris. Letztere wird manchmal direct aus der carotis externa abgegeben, öfters entstammt sie der arteria palatina ascendens, weniger oft der pharyngea ascendens. Die arteria tonsillaris dringt vom äusseren Pol der Tonsille in letztere ein und durchbohrt dabei deren stramme fibröse Capsel. ZncJcerkawU sieht in der innigen Anheftung der Arterie an die Capsel den Grund der nach Tonsillotomien V. Mose t ig-M o o rliof : Handbuch d. Chirurg, Technik. 4. Aufl. 28 — 434 — auftretenden arteriellen Blutungen, und zwar weil die Fixirung des Gefässes an die Durchtrittsöffnung der Capsel jede spontane Blut- stillung hindert, indem durch jene die Contraction und Retraction des Gefässstumpfes unmöglich gemacht wird. Dieser Ansicht zufolge würden insbesondere dann arterielle Blutungen zu befürchten sein, wenn man bei der Abtragung der Tonsille nicht Mass hält und sich der äusseren Cai)selwand allzu sehr nähert. Wird weniger a])gekappt, so kann das intratonsillar befindliche Arterienstück sich zusammen- ziehen und die Blutung spontan stillen. Es ist die Pflicht des Operateurs, jeden tonsillotomirten Kranken genau zu inspiciren, bevor er ihn verlässt, denn das Blut muss nicht immer ausgeworfen werden; manch- mal rieselt es die seitliche Rachenwand hinunter in Speiseröhre und Magen, ohne dass der Kranke dessen inne wird. Nur eine sorgfältige Ocularinspection kann Sicherheit verschaffen, nicht die Färbung des benützten Gurgelwassers. Stillt sich die Blutung auf die Einwirkung von Eiswasser nicht, so muss sie durch mechanischen Druck bekämpft werden. Ricord hat seinerzeit ein eigenes Compressorium hierzu ersonnen, welches neuerer Zeit von Mikulicz etwas modificirt w^urde. Es sind zangenförmige Instrumente, deren Blätter an ihren Enden je eine kleinere und eine grössere metallene Pelotte tragen. Das Blatt mit der kleineren flachen Pelotte wird intrabuccal eingeführt und letztere an die blutende Trennungsfläche der Tonsille angelegt; das andere Blatt stellt sich dem ersten parallel quer über die Wange, während die grössere, leicht convexe Pelotte hinter dem Unterkiefer- aste zu liegen kommt. Schliesst man die Zange und bindet die Zangen- arme, beziehungsweise derenRinge aneinander, so drücken die Pelotten Tonsille sammt Nachbarschaft zwischen sich zusammen und stillen die Blutung. Jede Lver'^che „Pince ä cremaillere", deren Blätter man etwas füttert, ist den benannten Compressorien gleichwerthig. Im Nothfalle comprimirt man mit dem Finger oder mittelst eines impro- visirten gestielten Tampons, caustisch wirkende Styptica sind zu meiden. Wenn alles im Stich lässt und Verblutungsgefahr droht, wäre als äusserstes Mittel die Ligatur der arteria carotis externa vorzu- nehmen, niemals jene der carotis interna oder communis. Die Exstirpation einer ganzen Tonsille wegen primär oder secundär dortselbst aufgetretenen Neugebildes ist nicht ohne Voroperation aus- führbar, denn einmal ist vom Munde aus kaum genügende Zugänglich- keit geboten, andererseits wäre die Excision zu unsicher und möchte eine Blutung nicht zu bekämpfen sein. Will man die ganze Tonsille allein oder mit den entsprechenden Antheilen der Gaumenbögen entfernen, so muss zunächst dem Auge sowohl als der Hand sicherer und bequemer Zugang geschaffen werden, wozu sich eventuell die V. Larigenheck' sehe seitliche temporäre Resection des Unterkiefers empfiehlt. Milwlicz exstirpirte in einem Falle als Voroperation den Kieferast bis zum Bogen. Verneuil empfahl folgendes Verfahren: Hautschnitt an der ent- sprechenden Lippencommissur beginnend, der Kinn-Wangenfurche folgend, senkrecht nach abwärts bis zum Unterkieferrande, dann - 435 — horizontal nach aussen abbiegend längs des Randes bis zum Unter- kieferwinkel. Im Bereiche des horizontalen Schnitttheiles werden sämmtliche Weichtheile schichtweise durchtrennt bis zur glandula submaxillaris; doppelte Unterbindung und Durchschneidung der arteria maxillaris externa und Ausräumung der eventuell degenerirten Drüsen den Trigonum submaxillare. Dann sucht man an der Leitung der unterbundenen arteria maxillaris externa die carotis externa auf und unterbindet sie, worauf die Mundhöhle durch Spaltung der Weich- Iheile inclusive Schleimhaut in der Richtung des senkrechten Theiles vom Anfangschnitte eröffnet und die Kiefer weit aufgesperrt werden. Man hat nun genügend Zugänglichkeit und kann bei vor- und ab- g'ezogener oder nach Bedarf niedergedrückter Zunge ohne wesentlichen Blutverlust die Exstirpation des Tumor vornehmen. Die Abtragung des Zäpfchens bei allzu grosser Länge wird nach Hervorziehung der uvuia mittelst Hakenpincette durch einen Scheren- schlag ausgeführt; bei ödematösen Schwellungen nimmt man Scarifi- cationen vor; am bequemsten hierzu, sowie auch zur Eröffnung von Tonsillaratscessen eignen sich spitze Tenotome. IL Entfernung von Eremdkörpern. Fremdkörper bleiben in der Regel im unteren Abschnitte des Schlundes, id est am Uebergange des Schlundes in die Speiseröhre stecken, sei es vermöge ihrer Grösse, sei es, weil sie spitzig sind und irgendwo im Schlünde sich anspiessen oder anhaken. Voluminöse Fremdkörper, zumeist nicht zerkaute Fleisch- Stücke oder sonstige zähe Bissen, verlegen durch ihr Steckenbleiben den aditus ad laryngem und bedingen Erstickungsgefahr, welcher rasch zu begegnen die Pflicht jedes Arztes, ja jedes Laien ist. Ohne Zeitverlust muss man dem Kranken den Mund öffnen — gewaltsam bei schon eingetretener Bewusstlosigkeit und etwaigem Trismus — und mit dem Zeigefinger längs des Zungenrückens in den Rachen eindringen, theils um den Fremdkörper zu suchen, theils um ihn mit dem Finger hervorzuhebein und solchermassen den Kehldeckel zu entlasten. Um dabei nicht gebissen zu werden, verhindere man den Schluss der Zahnreihen durch Einlegen eines beliebigen Keiles zwischen den Mahlzähnen. Die Untersuchung darf nicht oberflächlich vorgenommen werden, denn zähes, weiches Fleisch kann dem Gefühle die Gaumenwände vortäuschen. Ist der Finger nicht lang genug, um neben oder unter dem Fremdkörper eindringen und diesen empor- hebeln zu können, so bedient man sich einer Schlundzange oder im Kothfalle eines Löffelstieles. Bei nicht erlahmter Reflexthätigkeit genügt manchmal das Herumtasten der Fingerspitze im Rachen, um heftige Würgbewegungen auszulösen, welche dann ohne weitere in- .stiuimen teile Nachhilfe die Entfernung des Eindringlings besorgen. "Würden alle Versuche misslingen, so müsste der drohenden Asphj'xie -durch rasche Eröffnung der Luftwege am Halse abgeholfen werden. 28* — 436 Fig. 130. Kleine spitze Fremdkörper: Nadeln, Fischgräten, Knochen etc., lassen der Hilfeleistung mehr Zeit, da sie keine directe Ersticküngs- gefahr hervorrufen. Es ist in derlei Fällen nicht rathsam, mit der Digitaluntersuchung zu beginnen, da diese den Körper oft tiefer in das Gewebe drücken, falls er eingestochen hat, oder ihn tiefer verlagern kann, falls dies nicht der Fall wäre. Man beginnt die Untersuchung mit der Ocularinspection und besichtigt zunächst bei herabgedrückter Zunge und zur Phonirung des Vocalen a gestelltem Schlünde jene Partien, welche der directen Besichtigung zu- gänglich sind; für die unter dem Zungen- niveau liegenden Partien ist ein Kehlkopf- spiegel unentbehrlich. Die Entfernung des einmal entdeckten Fremdkörpers erfolgt seiner relativen Kleinheit wegen mittelst Schlund- zangen, deren es verschiedene Modelle gibt. Ein recht praktisches Modell zeigt Fig. loG. Es ist das bequemste und entspricht am besten den Anforderungen der Praxis, da die Bewe- gungen der Branchen weniger im Schlosse der Zange, als vielmehr nahe den Branchen- enden sich vollziehen. Bei etwaiger Durch- tastung des Schlundes hüte man sich, das grosse Hörn des Zungenbeines für den ge- suchten Fremdkörper zu halten. Auch mit Haken ausgestattete Fremdkörper kommen im Schlünde vor, in Gestalt von verschluckten künstlichen Gebissen oder bei Kindern, von hakenförmig gebogenen Theilen eines Spiel- zeuges. Diese zu finden ist leicht, sie kunst- gerecht zu entfernen oft sehr schwer. Man muss nämlich bedenken, dass derlei Fremd- körper erst beim Würgacte sich einhaken, also in der Richtung von unten nach oben ein- gepflanzt werden; wollte man den mit der Zange gefassten Körper direct ausziehen, so könnte dies nur mit Gewalt gelingen, wobei der Haken die Schleimhaut aufreissen müsste. Dieser Umstand macht es zur Regel, derartige festsitzende, dem Zuge der Zange Widerstand leistende Fremdkörper zunächst etwas nach unten zu drücken, um den Haken zu befreien und sodann durch seitliche Bewegungen zu versuchen, in welcher Achse die Exairese am besten gelingen kann. Bei metallischen Fremdkörpern könnte eventuell auch an die ver- suchsweise Benützung stärkerer Magnete aedacht werden. III. Pharyngotomie. Die Eröffnung der Rachenhöhle von aussen her bezweckt die Beschaffung von Zugänglichkeit, um anderweitige Operationen dortselbst ausführen zu können, so; Exstirpation von - 437 — Geschwülsten oder Entfernung festsitzender Fremdkörper, deren Exairese vom Munde aus nicht gelingt. Man hat zwei Wege, um zur Pharynxhöhle zu gelangen, von unten her oder von der Seite; ersterer entblösst den Kehldeckel und seine Umgebung, letzterer schafft Zu- gang zur seitlichen und hinteren Rachenwand. a) Pharyngotomia subhyoidea nach Malgaigne. Man führt einen Querschnitt parallel dem unteren Rande des Zungenbeines bis zu den Spitzen der grossen Hörner, trennt Haut und Fascie, seitlich auch die inneren Fasern des platysma, durchschneidet der Quere nach sterno-hyoidei und thyreo-hyoidei, unterbindet nach Bedarf in den Wundecken die arteria laryngea superior und gelangt auf die hierdurch freigelegte membrana thyreo-hyoidea. Mit einem Spitzbistouri, dessen Spitze etwas nach oben gerichtet ist, Avird nunmehr knapp am unteren Rande des Zungenbeinkörpers die Membrane durchstochen, wobei die Spitze des Bistouri in den Raum zwischen Kehldeckel und Membrane gelangt, und weiters mit einem geknöpften Messer letztere entlang dem Zungenbeine durchschnitten. Um ja sicher den Grund der fossa glossoepiglottica zu eröffnen, kann man den linken Zeigefinger unter- halb der Zunge in jene einführen und damit die Spitze des Bistouri controliren. Das Knopf messer bedarf dieser Controle nicht mehr, da dessen Knopf den Grund der fossa ohnehin nicht verlässt. Durch die mittelst Abziehhaken klaffend gemachte Wunde übersieht man die ganze epigiottis, ja man kann sie aus der Wunde hervorziehen und so in den aditus ad laryngem Einblick gewinnen. Geschwülste, welche dem aditus oder dem Kehld3ckel aufsitzen, können dann bequem exstirpirt werden. Oedematöse Anschwellungen der Kehldeckelfalten werden in der Regel vom Munde aus, unter Controle des Auges oder auch unter Leitung der Fingerspitze scarificirt, ebenso hierortige Abscesse eröffnet. Immerhin können durch die Pharyngotomia subhyoidea auch Neugebilde exstirpirt werden, welche die hintere Pharynxwand, ja selbst den Anfang der Speiseröhre einnehmen. Hiefür ist Tracheotomie behufs Tamponirung der Luftröhre vorauszuschicken, um den Bluteintritt in die trachea zu verhüten und auch um die Möglichkeit zu gewinnen, ohne Erstickungsgefahr eine temporäre Verlagerung des larynx vor- nehmen zu können. Iversen empfiehlt, durch die epigiottis eine Faden- schlinge zu ziehen und mittelst dieser eine beliebige Traction auf das Kehlkopfgehäuse auszuüben in der Richtung, wohin es jeweilig noth- wendig wird, um genügende Zugänglichkeit zur Pharynxwand zu gewinnen. Wollte man den Anf angstheil der Speiseröhre exstirpiren, so müsste an jener Seite, wo das Neoplasma hauptsächlich sitzt, dem Querschnitte von Malgaigne noch ein Längsschnitt hinzugefügt werden in gerader oder etwas schräger Richtung nach abwärts f/t-ersen, Küster). DieResection der Pharynxwand unterliegt keiner besonderen Schwierig- keit und lässt sich nach ausgeführtem Grenzschnitte zumeist stumpf ausführen. Der aus der Resection resultirende Substanzverlust wird der Heilung durch Granulation überlassen. Strenge Antiseptik wird vor Sepsis der Wunde und deren Folgen : Cellulitis colli, Mediastinitis etc., bewahren können. Einlage eines Schlundrohres durch die Nase ist behufs Ernährung des Kranken nothwendig, eine Dauertamponade der trachea zur Verhütung von Aspirationsbronchitis und Pneumonie sehr zu empfehlen. Nebstdem ist eine Tamponade der Rachenhöhle mit — 438 — Jodofoi'muaze um das Schluiidrohr herum nicht zu verabsäumen. Auch kann, nach Icersen, das bei der Operation durchschnittene ligamentum hyo-epiglotticum nachträglich durch eine Catgutsutur wieder ver- einigt und damit dem Kehldeckel seine normale Stellung wieder- gegeben werden. h) Pharyngotomia lateralis nach r. Langenheck Hautschnitt in der Mitte zwischen Kinn vmd Kieferwinkel, am unteren Rande des Kiefer- bogens beginnend, in schräger Richtung über das grosse Zungen- beinhorn bis zur Höhe des Ringknorpels oder noch tiefer hinab. Nach Durchschneidung des platysma und des omohyoideus wird, entsprechend der Höhe des Zungenbeines, vorsichtig präparirend in die Tiefe vor- gedrungen, arteria lingualis, thyreoidea superior und vena facialis nach je doppelter Unterbindung durchschnitten und beide Aeste des nervus laryngeus superior durchtrennt. Hierauf löst man die Sehnen des vorderen Bauches vom digastricus und stylohyoideus vom Zungen- beine ab und eröffnet die Pharynxhöhle von der Seite her. Letztere, sowie die Rückwand sind dadurch für Auge und Hand zugänglich gemacht,. > Grössere Zugänglichkeit zur Rachenwand verschafft wohl das von Krönlein empfohlene Vorgehen: Ein mächtiger Bogenschnitt, be- ginnend am Mundwinkel der kranken Seite, verlauft senkrecht über den Unterkiefer bis zum grossen Zungenbeinhorn, den er am oberen Rande tangiert, wendet sich dann im Bogen zum vorderen Rande des Kopfnickers und endigt, den Muskel schräge kreuzend, am hinteren Rande des processus mastoideus. Der Unterkeifer wird in der Schnitt- ebene durchsägt und temporär aufgeklappt. Nach Spaltung der Schleim- haut gelangt man in den Pharynx. DieExstirpation des Unterkieferastes ist nicht noth wendig, es sei denn, dass er auch mit erkrankt wäre,. Retropharyngeale Abscesse eröffnete man bisher von der Mund- höhle aus; Burckharclt empfiehlt, von der Halsseite deren Eröffnung vorzunehmen, um dadurch allen jenen Uebelständen aus dem Wege zu bleiben, welche erstgedachter Methode anhaften. Er führt einen Schnitt entlang dem inneren Rande des Kopfnickers in der Höhe des Kehlkopfes durch Haut und Platysma, lässt die zur Schilddrüse laufenden Gefässe nach aussen schieben und gelangt zwischen diesen und dem Kehlkopfe, sich dicht an letzterem haltend, ohne weitere Anwendung des Messers in das lockere Zellgewebe an dem inneren Umfange der carotis communis. Sodann gelangt der Finger an jene verdichtete Zellgewebsschicht, welche beim Bestände retropharyngealer Abscesse diese umgibt. Macht man in diese verdichtete Zellgewebs- lage dicht neben dem Kehlkopfe mit dem Bistouri einen kleinen Einschnitt und erweitert die Oeffnung mit der Kornzange, so gelangt man sofort in den retropharyngealen Raum, den man mit dem Finger untersuchen, drainiren und antiseptisch behandeln kann. Auch in den retropharyngealen Raum vom Munde aus eingedrungene spitze Fremd- körper lassen sich auf gleichem Wege sicher und bequem entfernen, IV. Exstirpation von Nasenrachenpolypen. Ihrer Textur nach zählen diese, nur der Entwickelungsperiode männlicher Individuen zukommen- den Geschwülste zur Gruppe der Fibrome, und sind entweder reine — 439 — Fibrome, derb gefässarm, oder Angio-Fibrome, schwellend blutreich, von mächtigen, venösen Gefässen durchzogen. Ihr Ausgangspunkt ist verschieden: so das Periost der Schädelbasis (Boden der Rachen- oder der Nasenhöhle bis zum Siebbeine), der Flügelfortsätze, der oberen Halswirbel, endlich die Aponeurose des foramen lacerum. Von einem oder mehreren der gedachten Punkte ausgehend, wächst das Fibrom in die Höhlungen hinein, welche seinem Wachsthum keinen Widerstand entgegensetzen, seltener usurirt es die Schädelbasis und wächst der dura mater zu. Durch sein Wachsthum gegen die Höhlen wird es gestielt und schickt polypenartige Fortsätze in jene hinein; so gelangt es in den Schlundkopf, stülpt den weichen Gaumen vor und wird schliesslich auch vom Munde aus sichtbar; gleichzeitig dringt es in die Choanen, usurirt das septum und wächst in den Xasenraum nach vorne zu ; endlich kann es auch auf dem Wege des foramen spheno- palatinum oder durch Muskelinterstitia in die Flügelgaumengrube gelangen und sich am Jochbogen in einen Schläfen- und in einen Wangenfortsatz scheiden; seltener wuchern die Fibrome durch die untere Orbitalfissur in die Augenhöhle unter den Erscheinungen eines Exophthalmus. Das Wichtigste nach gestellter Diagnose ist die Be- stimmung des Sitzes, beziehungsweise des Stieles der Geschwulst, denn in dessen Abtrennung besteht die Operation, liegt die Möglichkeit seiner Entfernung. Den Sitz des Stieles zu bestimmen, kann nur der Digital- und der Sondenexploration gelingen. Der vom Munde aus unter dem velum, hinter und seitlich vom Tumor eingezwängte Finger bestimmt direct den Sitz; durch Sondirungen können indirect die freien Seiten eruirt und damit per exclusionem die Ausgangsstätte präcisirt werden. Durch das Auge, mit oder ohne Spiegel, je nachdem der Polyp den Rand des Gaumensegels überschritten hat oder nicht, kann man nur die Beschaffenheit seiner Oberfläche erkennen. Die Verfahren, den Polypenstiel durchzuschneiden, sind mannig- faltig: kann man den Tumor auf irgend eine Weise umgehen, so ge- schieht die Abtragung in der Regel durch eine Metallschlinge, sei es zum Zwecke der Abquetschung, sei es zur Abglühung durch den galvanischen Strom. Das alte Verfahren der langsamen Abbindung ist heutzutage mit Recht aufgegeben, theils wegen der langen Dauer und der Jauchung des necrosirenden Gebildes, theils wegen der Möglich- keit, dass der Kranke ersticke, falls der Abfall des Tumor während des unbewachten Schlafes erfolgt. Füllt der Polyp Nasen- und Rachen- höhle derart aus, dass keine Möglichkeit besteht dem Stiele beizu- kommen, oder sitzt dieser etwa der Halswirbelsäule auf, so müssen Voroperationen ausgeführt werden, nur um sich die zum Operiren genügende Zugängiichkeit zu verschaffen. Im erstgedachten Falle, wenn die Umkreisung des Stieles möglich ist, fragt es sich, wäe es am besten gelingen könne, eine Schlinge um den Polypen zu legen. Diese nluss von der Mundhöhle aus um den Polypen gezogen w^erden, und müssen beide Schlingenenden bei einem und demselben Nasen- loche herausragen, damit der Klang überall ohne Zwischenlage den Stiel umfassen könne. Man geht folgendermassen vor: zunächst wird eine Bellocq'sche Rr)hre durch ein Nasenloch entlang der äusseren Nasenrachenwand, zwischen dieser und dem Polypen vorgeschoben, bis das Ende der Röhre an die Wirbelsäule stösst; nun zieht man — 44U — die Röhre etwas zurück, damit die Feder sich entwickeln könne und schiebt den Stab vor; die Feder schnellt um den Gaumensegel und wird in der Mundhöhle sichtbar, man ergreift das Knöpfchen, zieht es vor, befestigt einen biegsamen Metalldraht, am besten dicken Platindraht daran und zieht ihn durch den Mund in die Nasenhöhle und beim Nasenloche heraus. Ebenso verfährt man an der anderen Seite und hat somit beide Drahtenden bei je einem Nasenloche hervorragen, während der Klang der Schlinge noch vor und ausserhalb der Mundhöhle weilt. Nunmehr muss noch das eine Drahtende von einem Nasenraume, zwischen dem Polj'pen und . dem Reste der Nasenscheidewand nach dem anderen geführt werden, damit beide Drahtenden bei einem und demselben Nasenloche heraus- kommen; eine gekrümmte Oehrsonde, ein Arterienhaken, eine schmale krumme Kornzange werden hiefür ausreichen, da es sich meistens doch nur um die Umgehung der an Länge reducirten Nasenscheide- wand handelt. Wenn dies alles besorgt ist, kommt die Schwierigkeit, den Klange der Schlinge von der Mundhöhle aus um den Körper des Polypen herumzuführen. Ist zwischen dem Polypen und den seit- lichen Rachenwänden noch etwas Raum frei, so führt man eine im Schloss sich öffnende, stark gekrümmte Oesophaguszange verkehrt, d, h. mit der Concavität nach oben, durch die Mund- in die Rachen- höhle ein, und schiebt die beiden Zangenbranchen lateral vom Polypen so hoch als möglich hinauf. Wenn die untere Wölbung des Polypen von vorne her sichtbar ist oder bis nahe an den Gaumensegelrand reicht, dann nimmt man als Drittes im Bunde einen langen spitzen Doppelhaken und spiesst damit von rückwärts den Polypen an, ihn dabei etwas von der Wirbelsäule vorziehend. Beide Zangenbranchen und der Haken bilden ebenso viele Leitstangen, welche den Klang der Schlinge offen halten, und an denen er bis zur Schädelbasis fort- gleiten kann, wenn an den Drahtenden am Nasenloche entsprechend gezog-en wird. Ist für die Zange kein Platz, so behilft man sich mit dem Haken allein, den ich aus Erfahrung bestens empfehlen möchte, wie oben gesagt, und behilft sich für die Seiten mit den Fingerspitzen oder besser mit jenen Drahtführern (langgestielte gebogene Metallstäbe, welche am Ende kleine Krücken tragen), welche bei Anwendung der Galvanocaustik zu ähnlichen Zwecken dienen. Das Schwierige ist nur das Umwinden des Polypenkörpers; die kolbige, gegen die Basis sich verjüngende Form des Neugebildes macht das Erreichen des Stieles leicht, indem der Draht beim Anziehen auf der schiefen Ebene von selbst hinaufrutscht. Der eingeführte Platindraht dient nun entweder für sich zur Trennung — Galvanocaustik — des Stieles, oder man bedient sich seiner, um eine andere stärkere Metallschlinge für den Draht- oder Kettenecraseur nachzuziehen. Die Entbindung des abgetrennten Polypen aus einem Lager erfolgt von der Mundhöhle aus; es wird zu diesem Zwecke der von unten erreichbare Rachenantheil des Tumor mit einer gekrümmten Hakenzange gefasst und nach abwärts gezogen, während mau mit dem Zeigefinger der anderen Hand oder irgend einem stumpfen Instru- mente von einem Nasenloche aus auf die Nasalportion des Neugebildes drückt und versucht, sie in den Rachen zu drängen. Sobald Nach- giebigkeit sich einstellt, wird mit dem Griffe der Hakenzange ein — 441 — Viertelkreisbogen beschrieben und damit der Tumor um das velum palati in die Mundhöhle und endlich nach aussen entwickelt. Häufig- ist die Exairese mit heftiger Blutung combinirt, selbst wenn galvano- caustisch vorgegangen wurde; zur Beherrschung dieser dient die Tam- ponade der Rachenhöhle, gefolgt von Tamponade der Nasengänge. Erstere wird folgendermassen geübt: Man construirt sich zunächst einen etwa 6 Centimeter langen, den Durchmessern des Rachenkopfes entsprechend dicken Wulst von Jodoformgaze, führt dann mittelst Bellocq'scher Röhre jederseits ein starkes Fadenbändchen von aussen in die Mundhöhle und, den Gaumensegel umkreisend, in die Nasen- höhle, bindet beide beim Munde heraushängende Enden in einem Abstände von etwa 3 bis 4 Centimeter um den Tampon und zieht diesen zuerst an einer Seite, dann an der anderen, also schräge in die Rachenhöhle ein. Damit der Tampon sich nicht lockern könne, müssen die vorderen Fadenenden am septum narium über einem Gummirohrstücke festgeknotet Averden. Gelingt das Herumführen einer Schlinge um den Stiel des Polypen nicht, sei es, dass die Stelle seiner Wurzelung dies nicht erlaubt, sei es, dass die Grösse des Gebildes und sein dichtes Anliegen an den Höhlenwandungen nicht den hierzu nöthigen Raum bietet, so muss die Bahn zum Stiele durch gewisse Voroperationen erst ge- schaffen werden und besteht die Möglichkeit, von drei verschiedenen Seiten den Zugang zu erschliessen: von der Mundhöhle aus, von der Nasenhöhle, endlich durch die Wange. Die Wegbahnung von der Mundhöhle aus kann nur in der Baseitigung des Hindernisses bestehen, welches der Gaumen abgibt. So wurde \on Manne und später von D/e^e»- hach der weiche Gaumen in seiner ganzen Länge mitten entzwei- geschnitten. Maisonneure führte denselben Schnitt, Hess jedoch die Uvula ungetrennt, in der ganz richtigen Ueberlegung, dass die Erhal- tung des Zäpfchens die Vornahme der späteren Staphj^orrhaphie wesentlich erleichtere. Boeckel trennte den weichen Gaumen an seiner Basis der Quere nach, wodurch er für die Einführung des Zeigefingers Rium gewann. Chalot macht eine temporäre Resection des ganzen harten Gaumens, der am Gaumensegel hängend fallthürähnlich herab- geklappt wird, um nach beendetem Eingriffe wieder reponirt und am Mutterboden angenäht zu werden. Nelaton fügte dem Boeckel sehen Querschnitte einen senkrechten an, der Mitte des harten Gaumens entsprechend, löste hierauf die durch den T-Schnitt gewonnenen Lappen vom harten Gaumen ab und stemmte so viel von den horizontalen Platten der Gaumenbeine und von den Gaumenfortsätzen der Oberkiefer heraus, als nothwendig schien, um die erforderliche Zugänglichkeit zum Stiele des Polypen zu gewinnen. Gussenhaiier geht noch weiter: er trennt den mucös-periostalen Ueberzug des harten Gaumens in der Mittellinie durch, löst auf stumpfe Weise mittelst Elevatorien lang- sam die beiden Hälften des Ueberzuges bis zu den Alveolarfortsätzen vom Knochen los und trägt nun die knöcherne Wölbung des harten Gaumens mit Meissel und Hammer in genügender Ausdehnung ab. Diese partiellen oder totalen Abtragungen des harten Gaumens sind gestattet, indem, wie schon früher hervorgehoben worden ist, sich nach gepflogener Wiedervereinigung des mucös-periostalen Ueber- zuges durch Knochenneubildung vom erhaltenen Perioste aus, ein — 442 — neuer kiKtcherner Gaumen zu bilden pflegt. Alle soeben erwähnten Wegbahnunyen von der Mundhiilile aus dienen zumeist zur Ent- fernung von Polypen, welche am Dache der Rachenhcihle oder an der Halswirbelsäule wurzeln; wurzeln die Polypen am Boden der Nasen- höhle, so empfehlen sich jene Methoden der temporären Resection der Nasenbeine und der Aufklappung der ganzen Nase, welche bereits beschrieben wurden. Jene Polypen endlich, welche mehr dem P'lügel- fortsatze aufsitzen und deren Arme in die Flügelgaumengrube reichen, erfordern die temporäre Resection des Oberkiefers nach r. Laiiastricus schräge von aussen zum Zungenbeine herab- steigen, mit welchem seine Sehne bindegewebig verbunden ist. Die arteria lingualis kann unterhalb oder oberhalb der Sehne des diga- stricus blossgelegt werden; unterhalb in der Ecke jenes spitzen Winkels, den der hintere Bauch des digastricus mit dem Zungenbeine bildet — trigonum digastrico-hyoideum — und dessen Grund von den Fasern des. musculus h3'oglossus ausgefüllt ist. Unterhalb der oberflächlichen Bündel des letztgenannten Muskels tritt die lingualis in die Substanz der Zunge ein; es müssen demnach diese Muskelbündel vorsichtig quer durchtrennt werden, um die Arterie, welche unbegleitet zieht, sichtbar zu machen. Oberhalb des digastricus liegt das trigonum linguale; die Aussenseite des Dreiecks bildet der spindelförmige hintere Muskel- bauch, die Innenseite: der Rand des musculus mylohyoideus, die obere: der von aussen unten kommende nervus hypoglossus in Be- gleitung der venae linguales. Nerve und Venen ziehen unter dem Rande des mylohyoideus, zwischen diesem und dem darunter folgenden hyoglossus. Man lässt nervus hypoglossus und Venen nach oben aussen, den digastricus nach unten, den Rand des mylohyoideus nach innen mit Haken verziehen und übersieht im Grunde die etwas schräge Faserung des hyoglossus (Richtung von unten aussen nach oben innen). Trennt man vorsichtig mit der Schere einige Randbündel quer durch, so erblickt man bald die isolirt verlaufende arteria lingualis. Sie wird demnach vom nervus hypoglossus und von den Lingualvenen durch eine dünne Bündelschicht des hyoglossus ge- schieden, so dass eine Verwechslung bei einiger Aufmerksamkeit kaum stattfinden dürfte. Bei bilateraler Unterbindung muss auf gleiche Weise zweimal vorgegangen werden. Die Operation wird als Voract der Amputatio linguae vorgenommen. Demarqiiay und Hüter nehmen sie auch als curative Massregel vor, Ersterer bei nicht operablen Zungenkrebsen, Letzterer bei Elephantiasis linguae; auch Fehleisen hat beide linguales wegen Macrogiossie an einem 13monatlichen Kinde unterbunden. V. Capite]. Operationen an Kopfnerven. Die Eingriffe an den Nerven des Kopfes bezwecken entweder die Excision eines Nervenstückes, oder eine Dehnung des Nervenstammes. Ersteres Verfahren wird in der Regel an den sensitiven Bahnen des trigeminus, letzteres an dem motorischen facialis geübt; am trigeminus wegen Gesichtsneuralgien, welche anderer Therapie widerstreben, am facialis wegen mimischem Gesichtskrampf. Bezüglich der Technik der Neurectomie und der Neurotonie muss auf Seite 242 verwiesen werden; im Nachfolgenden soll nur von der Aufsuchung und Blosslegung der verschiedenen Nerven die Rede sein. 1. Ramus primus nervi trigemini. Unter den drei Zweigen dieses Astes: lacrymalis, frontalis und nasociliaris, wurden Resectionen bisher nur an den letztgenannten Hauptzweigen vorgenommen. Der nervus frontalis liegt dem Dache der orbita an und theilt sich in die rami: supratrochlearis, supraorbitalis und frontalis; der - 445 — supraorbitalis verlässt in Begleitung der Arterie gleichen Namens durch das foramen, beziehungsweise incisura supraorbitalis die Augenhöhle, der frontalis schwingt sich etwas weiter nach einwärts über den margo supraorbitalis zur Haut der Stirne. Die Aufsuchung dieser beiden Nerven ist leicht: man schneidet entsprechend und parallel dem oberen Orbitalrande knapp unterhalb der Augenbraue, vom angulus internus an bis 1 Centimeter weit nach aussen vom foramen supraorbitale die Haut durch, spaltet auf der Hohlsonde den orbicularis orbitae, hier- auf in gleicher Länge die fascia tarso-orbitalis superior, nachdem man eine kleine Lücke mit dem Spitzbistouri gestochen hat, um eine Hohlsonde unterschieben zu können und drängt nun den bulbus sammt dem musculus levator palpebrae mit einer Spatel oder Flügel- sonde vom Dache der orbita ab. Der Operateur überblickt nun deut- lich die dabei sich anspannenden Nerven. Er fasst die peripheren Enden mit einer Pincette, zieht sie vor und präparirt sie, bei Ver- ziehung der Augenbraue, soweit als thunlich, der Stirne zu ab. Bei bestehenden foramen supraorbitale kann man den Nerven entweder herausreissen, oder die Canaldecke durchstemmen; ist nur ein Halb- canal vorhanden, eine incisura supraorbitalis, so gestaltet sich die Präparation viel leichter. Zur Resection des supratrochlearis muss, nach Koni//, ein bogenförmiger Schnitt entsprechend dem oberen inneren Orbitalrande direct unterhalb der Augenbraue geführt werden. Ich habe vor vielen Jahren wegen einer Trigeminusneuralgie am ersten Aste, welche besonders an der Nasenwurzel und vom Rande der apertura P3'riformis ab in den Nasenflügel ausstrahlte, nebst dem ramus fron- talis auch den nasociliaris dicht am foramen ethmoidale anterius mit Erfolg resecirt. Hierzu wurde der zur Neurectomie des frontalis geführte Schnitt entlang dem angulus orbitae internus bis zum inneren Lidbande verlängert und der Augapfel nach unten aussen gedrängt. 2. Raraus secundus trigemini. Der zweite Ast des fünften Gehirn- nervenpaares verlässt die Schädelhöhle durch das foramen rotundum des Keilbeines, gelangt in schräg horizontaler Richtung in die fossa spheno-maxillaris, zieht nach der Abgabe kleinerer Zweige, unter denen nur der nervus zygomaticus chirurgisches Interesse besitzt, durch die fissura orbitalis inferior in die orbita, und gelangt als nervus infraorbitalis mit der gleichnamigen Arterie durch den canalis infra- orbitalis zur Antlitzfläche, allwo er sich büschelförmig ausbreitet und den pes anserinus minor bildet. Je nach dem ursächlichen Ausgangs- punkte der Neuralgie kann entweder die Durchschneidung des infra- orbitalis innerhalb der Augenhöhle genügen, oder man ist bemüssigt, den Ast des Nerven in der Flügelgaumengrube selbst aufzusuchen. A. Bei der Neurectomie des infraorbitalis wird entlang dem unteren Augenhöhlenrande quer eingeschnitten, so dass die Mitte des Schnittes dem canalis infraorbitalis entspricht. Nach Durchschneidung der Haut und des musculus orbicularis spaltet man auf der Hohlsonde das ligamentum tarso-orbitale inferius, entsprechend der Länge des Haut- schnittes und kann nun den Inhalt der orbita nach oben verdrängen und die untere Orbitalwand entblössen. Zum Abhalten des bulbus und seiner Fettcapsel benützt man eine blankgeputzte Metallspatel, da deren Spiegelung das Uebersehen des Operationsplanum erleichtert. — 446 Fig. IST. Wagner verwendete hierzu ein eigenes Instrument, welches er den „spiegelnden Hohlhebel" nannte (Fig. 1:57), es hat das Gute, den Aug- apfel, ohne ihn abzuplatten, viel besser abzudrängen und den Grund der orbita zugänglicher zu machen. Die spiegelnde convexe Fläche reflectirt das Licht und beleuchtet die Orbitalwand, an der man den Verlauf des canalis infraorbitalis und die fissura orbitalis inferior recht deutlich sehen kann. In der fissur erblickt man den Nerven und die Arterie, letztere nach aussen vom Nerven, ihm jedoch anliegend. Mit einem feinen stumpfen Häkchen wird nun zwischen Nerven und Arterie eingedrungen, ersterer aufgeladen und isolirt. Wagner bediente sich eines eigenen Häkchens, welches ähnlich einer Dechamp' sehen Unterbindungsnadel geformt war und konnte damit den Nerven weit nach rückwärts zu iso- liren — angeblich bis zum foramen rotundum. Besteht statt der Fissur ein Canal, so muss dessen obere Wand behufs Isolirung des Nerven ab- gesprengt werden, vorsichtig aber, um nicht das antrum Highmori zu eröffnen. Der isolirte, von der Arterie abgedrängte Nerv wird zunächst ab- gerissen. Nun präparirt man die Ausmündung des canalis infraorbitalis frei, wobei der musculus levator labii superioris abgezogen oder abgelöst werden muss, da er an der oberen Umrandung des Canals seine Insertion findet. Unterhalb des Muskels treten nervus und arteria infraorbitalis zur Antlitzfläche. Am foramen isolirt man neuer- dings den Nerven von der Arterie, verfolgt dessen Ausstrahlung zum pes anserinus minor, trennt die einzelnen Ausläufer möglichst peripher und dreht den Nerven aus dem Canale. Häufig legt man den Nerven nur bei seinem Austritte bloss, erfasst ihn mit der Thiersch' sehen Zange und dreht ihn einfach heraus. Man gewinnt in der Regel ein recht langes Stück. ß. Die Neurectomie des trigeminus am foramen rotundum ist eine viel schwierigere und bedeu- tendere Operation. Gelingt es mit Benützung der Wagner' sehen Specialinstrumente nicht, den Nerven von der orbita aus bis zum Grunde der Flügelgaumengrube zu verfolgen und blosszulegen, so muss zu Voroperationen gegriffen werden, um sich die zur Neurectomie am foramen rotundum nothwendige Zu- gänglichkeit zu schaffen. Je nachdem die Bahn von vorne her, oder von der Seite aus gebrochen wird, unterscheiden sich die diesbezüg- lichen Operationsverfahren. Zur Freilegung der fossa spheno-maxillaris von vorne, also von der Antlitzfläche aus, dient entweder die osteoplastische Oberkiefer- resection nach r. Langenheck, oder die Tunnelirung des Oberkiefers nach Carnochan. Beide Verfahren sind sehr verletzend und daher nicht mehr üblich. Viel zweckmässiger ist die durch v. Bruns in Vorschlag gebrachte Wegbahnung von der Schläfe aus, nach temporärer Ver- lagerung des Jochbogens. Der Jochbogen kann dabei nach oben ver- — 447 ^ lagert werden — Methode nach Lache — oder nach unten — Verfahren nach Lassen und Branu. Die Trigeminusresection am foramen rotundum nach Lüche hat folgende Technik: man legt den linken Zeigefinger an den oberen Rand des Jochbogens und durchtastet diesen nach vorne zu, bis man in den Winkel gelangt, den der processus zygomaticus des Jochbeines mit dem processus orbitalis bildet. An diesem Winkel wird ein Resec- tionsniesser angelegt und kräftig Haut und Periost durchgeschnitten, in der Richtung einer schräge nach vorne abwärts laufenden Linie, die den obengenannten Winkel mit der unteren Umrandung der stärksten Vorwölbung des Jochbeines an der Backe vereinigt, also ziemlich ent- sprechend dem unteren Ende der sutura zygomatico-maxillaris. Mit einem schmalen Bistouri, dessen Schneide nach vorne gekehrt ist, wird nun am unteren Schnittende hinter dem Jochbeine eingedrungen und die Weichtheile inclusive Beinhaut knapp an der Knochenfläche durchtrennt. Neben der Klinge leitet man sofort eine Oehrsonde ein, entfernt das Bistouri und zieht eine Giglisäge nach, womit das Joch- bein von innen nach aussen und von rück- nach vorwärts abgesägt wird. Die Griffe der Säge müssen hiefür der Mittellinie des Gesichtes zugekehrt werden. Man gewinnt dadurch zwei schräge breite Säge- flächen, welche den Vortheil bieten, die Replacirung und Wieder- anheilung des temporär verlagerten Jochbeines zu erleichtern. Weiters gewährt das schief abgetrennte Jochbein mehr Zugänglichkeit, als wenn es in senkrechter Richtung abgetrennt und dessen Körper steil und hinderlich emporragen würde. Man durchtastet nun den unteren Rand des Jochbogens und trennt entlang demselben die Haut durch. Dieser zweite horizontale Schnitt beginnt am unteren Ende des ersten Schrägschnittes und endet fingerbreit vor dem tragus. Hierauf durch- schneidet man die Anheftung des masseter am unteren Rande des Jochbogens und kneipt schliesslich diesen selbst am Ende des Quer- schnittes durch, worauf er sammt der Haut nach oben verlagert wird. L'tssen und Braun lassen die Verbindung des masseter mit dem Joch- bogen intact, schonen somit den Kaumuskel und trennen dafür die fascia temporalis vom oberen Rande des ersteren ab, sie verlagern demnach den beiderseits durchsägten Jochbogen nach abwärts. Der erste Schrägschnitt wird Avie bei dem Z.;7cÄ.v/'schen Verfahren geführt, der zweite Horizontalschnitt beginnt hingegen am oberen Ende des Schräg- schnittes, longirt den oberen Rand des Jochbogens und endet in schiefer Richtung am früher bezeichneten Punkte des unteren Randes. Hat man auf diese oder auf jene Weise den Jochbogen verlagert, so stösst man auf den musculus temporalis und muss dessen Vorder- rand nach rückwärts abziehen lassen, eventuell seine Randfasern durch- schneiden, um bequemer zur fossa spheno-maxillaris zu gelangen. Diese enthält, in reichlichem Fettgewebe eingeschlossen, zunächst den Stamm der arteria maxillaris interna nebst dem begleitenden mächtigen Venenplexus. Alle diese Gefässe müssen nach rückwärts abgedrängt werden; hiefür schiebt man eine Spatel entlang dem tuber maxillae ein und drängt Arterie und Venenplexus nach hinten ab, worauf ein Spatelhaken die Stelle der Spatel einnimmt. Zwischen Haken und tuber maxillae dringt man in die Tiefe, entfernt vorsichtig die hinder- lichen F'ettläppchen, sucht durch Sondirung die untere Orbitalfissur — 448 — auf und gelangt so zum trigeminus, der sich durch seine Richtung von innen oben etwas schräge nach vorne unten, von der zu ihm sich gesellenden arteria infraorbitalis unterscheidet, welche von aussen her kommt. Hierauf wird der Nerv mit einem Schielhäkchen isolirt und centralwärts bis zum foramen rotundum verfolgt; bevor er aber knapp an jenem abgeschnitten wird, dringt man mit einem Teno- tome von rückwärts her in die fissura orbitalis ein und trennt den Nerven, während man ihn stark anspannt, ausnahmsweise zuerst peripher durch, dann folgt das centrale Abdrehen. Braun jedoch trennt den Nerven zunächst am foramen rotundum, legt sodann das foramen infraorbitale von der Antlitzfläche aus bloss, schneidet den Nerven bei seinem Austritte durch und dreht endlich das bilateral durchschnittene Nervenstück aus dem Canale heraus. Von Wichtigkeit ist es, auch den, entlang dem tuber maxillae ziehenden nervus alveolaris superior sicher zu trennen. Wenn der Nerv nicht sichtbar sein sollte, empfiehlt Lücke das Periost der hinteren Kieferfläche quer zu scarifi- ciren, abzuschaben, eventuell sogar vom tuber eine dünne Knochen- schicht abzumeisseln. Nach beendeter Excision wird der replacirte Jochbogen durch eine Knochennaht am Mutterboden fixirt. Das Aufsuchen des Nerven in der Tiefe der schmalen fovea spheno-maxillaris ist ein schweres Beginnen; in der Regel vermag das Auge in die schmale Spalte nicht zu dringen, so dass man genöthigt ist, mit einem stumpfen Schielhäkchen auf gut Glück den Nerven herauszuholen. Leichter gestaltet sich die Operation nach Kocher, der einen Knochenkeil herausstemmt, dessen Basis den Körper des Jochbeines bildet, dessen drei concentrisch verlaufende Flächen ihre Spitze in der fissura orbitalis inferior finden. Ein querer ein- wärts vom foramen infraorbitale beginnender an der Verbindung des Processus zygomaticus maxillae mit dem os zygomaticus endender Schnitt trennt dieWeichtheile bis zum Knochen. Durch starkes Abziehen des oberen Schnittrandes legt man den margo orbitalis bloss, löst den orbicularis ab und spaltet das ligamentum tarso orbitale vom foramen infraorbitale nach aussen. Nun wird mit dem Meissel schief der Processus Zygomaticus maxillae bis zur fissura orbitalis so ab- gemacht, dass die Decke des canalis infraorbitalis mitgenommen wird. Hierauf meisselt man gleichfalls in schiefer Richtung nach vorgängiger Ablösung der musculi zygomatici und des Antheiles des masseter den Processus zygomaticus frontalis bis zur fissura orbitalis durch. Schliesslich erübrigt nur die Abtrennung des Ueberganges vom Joch- beine in den Jochbogen. Der so abgetrennte Knochenkeil ist beweg- lich und lässt sich mittelst Elevatorium nach aussen unten temporär verlagern. So gewinnt man klare Einsicht in die Orbitahöhle bis zur fissura orbitalis inferior hin, sieht von unten her den Nerven, der sich leicht isoliren und bis zum foramen rotundum verfolgen lässt. Leider wird dabei die Oberkieferhöhle miteröffnet, da ja ein Theil der äusseren oberen Wand im Knochenkeile enthalten ist. Durch Replacirung desselben wird freilich die Oberkieferhöhle wieder ge- schlossen, es kann aber dennoch zu Eiterungen kommen, welche den Heilungsverlauf zu stören vermögen. Kümmert man sich um die Eröffnung der Kieferhöhle nicht, so ist auch ein anderes, viel ein- facheres Verfahren ausführbar, welches seinerzeit von Schuh geübt — 449 — wurde, nämlich nach Blossleiiung des Xerven an seiner Austrittsstelle, aus der unteren Orbitalwand ein Knochendreieck, welches den canalis infraorbitalis in seiner ganzen Länge umfasst, also bis zur fissura orbitalis inferior reicht, einfach abzustemmen. Freilich resultirt dabei ein bleibender Knochendefect, der aber der Schmalheit des entnom- menen Dreiecks oder Keiles wegen keine absonderliche Entstellung zurückzulassen pflegte. Seltener wurde bisher der nervus zygomaticus malae resecirt. V Graefe hat gezeigt, dass dessen Reizung auf reflectorischem Wege Gesichtskrampf bedinge und umgekehrt, dass ein fester Druck auf den Nerven den vorhandenen Gesichtskrampf zu stillen vermöge. Als Ersatz für die Dehnung des nervus facialis zur Heilung des mimischen Gesichtskrampfes ist jedoch die Neurectomie des zygomaticus bisher noch nicht ausgeführt worden. Die Aufsuchung der Nerven ist leicht: man schneidet entlang dem äusseren Orbitalrande unterhalb des liga- mentum canthi externum bis auf den Knochen ein und gelangt alsbald entlang der Orbitalfläche des Jochbeines zur Mündung des canalis zygomatico-orbitalis, in welchen der feine Nerv eintritt. Seiner Isolirung und Excision steht dann nichts mehr im Wege; bei einiger Uebung kann man ihn sogar bis zu seinem Eintritte in die orbita durch die fissura inferior leicht verfolgen. 3. Ramus tertius trigemini. Der dritte Ast des dreigetheilten Nerven kann entweder als Ganzes gleich bei seinem Austritte durch das foramen ovale durchschnitten, oder es können nach erfolgter Theilung dessen einzelne Zweige aufgesucht werden. I. Die Neurectomie am foramen ovale ist zuerst durch Krönlein nach eigener Methode und in Verbindung mit der Durchtrennung des zweiten Astes am foramen rotundum ausgeführt worden. Die Opera- tionstechnik war folgende: Bildung eines grossen, halbrunden Haut- lappens in der Schläfe- und Wangengegend, dessen Basis oben zwischen äusserem Orbitalrande und tragus lag, und dessen Scheitel eine vom Nasenloche zum Ohrläppchen gezogene Linie tangirte. Die Ablösung dieses Lappens von der Fascienunterlage geschah vorsichtig, um den nervus facialis, die arteria temporalis und den ductus Stenonianus zu schonen. Nach AufklapiDung des Hautlappens wurde die fascia tem- poralis vom oberen Rande des Jochbogens abgelöst, der Jochbogen bilateral durchsägt und nach abwärts geklappt. Nunmehr meisselte man den processus coronoideus des Unterkiefers an seiner Basis in schräger Richtung nach vorne unten ab, und verlagerte ihn mit dem Schläfemuskel nach aufwärts; damit war freie Zugänglichkeit zur Schädelbasis geschaffen. Bevor Krönlein an das Aufsuchen des foramen ovale ging, durch- schnitt er zwischen zwei Ligaturen die arteria maxillaris interna an der Stelle, wo sie zwischen den pterj^goideis verlauft und hebelte die obere Insertion des pter3"goideus externus von der crista infratemporalis ab, worauf der Muskel mittelst Häkchen nach abwärts verzogen wurde. Immer hart an der Schädelbasis medialwärts vordringend, gelangte eri hinter der Wurzel des Flügelfortsatzes zum foramen ovale und zu dem aus ihm hervortretenden dritten Aste. Die in der Nähe liegende und zum foramen spinosum ziehende arteria meningea media kommt dabei in Sicht. Nunmehr folgte als letzter Act die Aufsuchung und V. Moseti5-Moo rhof: Ilaudbuch d. chiruiv. Terli.ilk. 4. Aud. Of) — 450 — Trennuiifi des zweiten Astes am foramen rotundum und des dritten Astes am foramen ovale. Zum Schlüsse werden sowohl der processus coronoideus als auch der zj-gomaticus, die bis nun verlai>ert geblieben waren, replacirt und durch einige Periostsuturen mittelst Catgut am Mutterboden gesichert. Mikulicz bevorzugt einen Schnitt vom Warzenfortsatz längs des vorderen Randes des Kopfnickers bis zur Höhe des Zungenbeinhornes und von hier im Bogen nach vorne und oben bis zum Kieferrande. Der Unterkiefer wird dicht vor dem Ansatz des masseter vom Ende des Schnittes getroffen. Nach Durchtrennung der oberflächlichen Weichtheile wird an der eben bezeichneten Stelle des Unterkiefers das Periost circulär durchschnitten, und mittelst Kettensäge der Unterkiefer hinter dem Weisheitszahne in verticaler Richtung durch- trennt, wobei man Sorge tragen muss, die Mundhöhle nicht zu er- öffnen. Nun löst man noch mit der Schere den Ansatz des musculus pterygoideus internus vom Kieferwinkel ab. Zieht man hierauf mittelst scharfen Haken den Kieferast stark nach oben zu, während der Körper des Kiefers nach vorne gedrängt wird, so entsteht ein trichterförmiger, mit der Spitze gegen die Schädelbasis gerichteter Raum, in welchem alle Verzweigungen des dritten Astes im Zusammenhange überblickt werden können. Entlang den Zweigen gelingt es bald, bis zum foramen ovale vorzudringen. Nach vollführter Resection wird der Kieferast reponirt und durch Knochennaht mit dem Körper des Unterkiefers vereinigt. Ohalinski veränderte das Verfahren von Mikulicz: er führt den Weichtheilschnitt längs des unteren Kieferrandes, von einem 3 Centi- meter über dem Kieferwinkel beginnenden bis zu einem 3 Centimeter vor demselben endigenden Punkte, also in Winkelform; er durchsägt den Knochen nicht vor, sondern hinter dem masseter, oder eigentlich nach Verschiebung seiner hinteren Bündel, wodurch die Tiefe des trichterförmigen Raumes verringert wird, was das Aufsuchen des Nerven nur erleichtern kann; endlich wird der Knochen nicht vertical, sondern horizontal durchsägt. Salzer führt einen nach oben convexen Bogenschnitt von einem Ende der Jochbrücke zum anderen (vom unteren hinteren Rande des Jochbeinkörpers zum unteren Rande des processus zygomaticus, fingerbreit vor dem tragus) durch Haut, Fascie, Jochbeinperiost und musculus temporalis. Nach bilateraler Resection des Jochbogens wird der Schläfemuskel vom Schädel abgelöst, so dass der Hautmuskel- knochenlappen nach abwärts gedrängt werden kann. Stumpfe Prä- paration entlang der Schädelbasis legt nun die Ramification des dritten Trigeminusastes und die arteria meningea media frei. Der Processus coronoideus ist nicht im Wege, wenn der Mund des Kranken massig geöffnet erhalten wird; die Gefässe der fossa pterygoidea liegen unter dem Niveau des Operationsfeldes und bleiben durch den oberen Rand des musculus pter3^goideus externus vor Verletzung geschützt. n. Die Neurectomie des dritten Astes nach seiner Theilung kann drei Zweige betreffen: den nervus inframaxillaris, den lingualis und den buccinatorius. Der nervus inframaxillaris kann resecirt werden: a) vor seinem Eintritte in den canalis inframaxillaris; h) während seines Verlaufes — 451 — innerhalb des Unterkiefercanales, und c) bei seinem Austritte am foramen mentale. Der inframaxillaris steigt in Begleitung der Arterie gleichen Namens an der äusseren Seite des musculus pterygoideus internus zur lingula mandibulae herab; vor ihm der nervus lingualis. Bevor der inframaxillaris sich vom lingualis trennt, um in den canalis inframaxillaris zu treten, gibt er den nervus mylohyoideus ab ; im Canale selbst bildet er den plexus dentalis inferior, der die Arterie umstrickt; der Rest des Nerven verlässt als mentalis den Knochen- canal. Vor seinem Eintritte in den Unterkiefercanal kann der Unter- kiefernerv intrabuccal oder extrabuccal aufgesucht werden. Die extra- buccale Blosslegung ist wieder entweder mit oder ohne vorgängige partielle Resectionen des Unterkiefers vollziehbar. a) Die intrabuceale Resection wurde von Lizars angegeben, neuerer Zeit wieder durch Paravicini empfohlen. Die Operation ist des be- schränkten Raumes halber schwer, sie entbehrt der Controle des Auges, muss sich fast ganz allein auf das Gefühl verlassen, und er- fordert strengste antiseptische Massregeln, damit die Wundheilung glatt verlaufe. Man schneidet bei weit geöffnetem Munde und möglichst abgezogenem Mundwinkel an der Innenfläche des Unterkieferastes, knapp hinter dessen vorderem Rande, Schleimhaut und Periost longi- tudinal durch, etwas unterhalb der Spitze des processus coronoideus beginnend, bis zum Niveau des letzten Mahlzahnes herab, legt ein schmales Elevatorium ein und hebelt damit den mucös-periostalen Ueberzug, inclusive pterygoideus internus von der Innenfläche des Kieferastes bis zur lingula hinauf ab. Die eingeführte Spitze des Zeigefingers fühlt hinter der lingula die Arterie und knapp hinter ihr den Nerven, dessen nunmehrige Isolirung den schwierigsten Act der ganzen Operation darstellt. Der Raum ist eng und über eine gewisse Grenze nicht erweiterbar, das Auge kann nicht zu, als ein- ziger Leiter fungirt der Finger. Zur Isolirung des Nerven bedarf es hakenförmig gekrümmter Instrumente, am besten der Aneurysmen- nadel ähnliche Haken von Wagner) doch muss man sich hüten, den Nerven knapp an der lingula zu umgreifen, weil dabei die Arterie nicht geschont werden könnte und die Blutung aus diesem Gefässe einem Operateur schon solche Verlegenheiten bereitete, dass er zur Ligatur der carotis externa zu schreiten Veranlassung fand. Es muss zunächst mit einer winkelig gebogenen Sonde zwischen dem Nerven und der Arterie, dem Gefühle nach eingegangen, der Nerve nach rückwärts verlagert, und jetzt erst der Haken herumgeführt werden. Billroth hat sehr zweckmässigerweise mittelst einer iJechamjy sehen Unterbindungsnadel eine Fadenschlinge um den Nerven gelegt und diesen damit festgeschnürt, damit nach erfolgter Durchschneidung das zu excidirende Nervenende nicht in die Wunde verschlüpfen könne. Bei solchem Verfahren ist ein Mitfassen des nervus lingualis kaum denkbar, da dieser mit dem abgehobenen Perioste auf der Nagelfläche des Zeigefingers reitet, während die Pulpa dem Knochen zugekehrt ist. b) Die extrabuccale Resection des inframaxillaris nach Sonnenhurg- Lilcke hat folgende Technik: 6 Centimeter langer Winkelschnitt ent- sprechend dem Kieferwinkel, so dass der eine Schenkel dem hinteren Rande des Kieferastes, der zweite gleichlange dem unteren Rande 20* — 452 — des Kieferbogens entspricht. Der Schnitt trifft Haut und Beinhaut, Nun wird ein Elevatorium eini>esetzt und das Periost von der Innen- fläche des Kieferwinkels, hierauf von jener des Kieferastes abgehoben, bis die lingula zum Vorschein kommt. Das weitere Verfahren gestaltet sich wie bei der intrabuccalen Methode, nur ist es Avomöglich noch schwieriger auszuführen, weil das Operationsplanum tiefer gerückt erscheint. Lücke operirte bei hängendem Kopfe und guter Beleuchtung. Albert resecirte in einem Falle den Kieferwinkel temporär ab und verlagerte das mit den äusseren Weichtheilen in Verbindung bleibende Knochendreieck nach aussen, um den Weg zum Nerven etwas kürzer zu gestalten. Wir gelangen nun zu jenen extrabuccalen Methoden, bei denen als Voroperation ein Stück des Unterkiefers definitiv resecirt wird: Kühne hat den Unterkieferwinkel denudirt und in Form eines Drei- eckes excidirt; v. Brnns sägte ein länglich viereckiges Stück vom hinteren Rande des Kieferastes ab; Warren, Velperm^ /Schuh, Linhart entblössten die Aussenfläche des Astes und trennten davon mit dem Trepane oder mit Meissel und Hammer die Aussenwand des Astes ab, wodurch die supralinguläre Region und gleichzeitig der Anfang des canalis inframaxillaris blossgelegt wurden, und man dadurch von der Wangenfläche des Gesichtes aus direct zum Nerven gelangte. Die Schnitte in den Weichtheilen behufs Entblössung der äusseren Astfläche müssen stets mit Rücksicht auf den Uebergang des parotis in den Stenonischen Gang, auf die Verästelung des facialis und auf jene der Arterien: maxillaris externa und transversa faciei, geführt werden. Linhart durchschnitt die Haut in der senkrechten Halbirungs- ebene des Kieferastes, spaltete die Fascie des masseter, legte den Gang der Ohrspeicheldrüse bloss, Hess ihn sammt der arteria trans- versa nach oben verziehen, trennte die Faserung des masseter nebst der Beinhaut longitudinal durch, hebelte diese lateralwärts ab, Hess Muskel und Beinhautränder abziehen und stemmte schichtweise mit Meissel und Hammer die äussere Wand des Astes in Form eines schmalen senkrechten Viereckes ab, bis der Beginn des canalis in- framaxillaris sichtbar wurde und in diesem eingebettet, nervus und arteria inframaxillaris zu erblicken waren; der Nerve wurde isolirt und centralwärts bis über die lingula hinaus verfolgt, wobei der Meissel nach oben zu den Weg durch den Knochen bahnte. Diese Methode ist viel empfehlenswerther als die Bogen- oder Winkel- schnitte, welche den Ansatz des masseter am Kieferwinkel abtrennen. Auch ist die Handhabung des Meisseis zweckmässiger als die einer Trepankrone, weil man viel langsamer und vorsichtiger vorgehen kann, nicht Gefahr läuft, den Nerven und die Arterie im Knochen- canale zu verletzen, und schliesslich weniger Knochensubstanz opfert. Die Excision des nervus mentalis wird auch entweder intrabuccal oder extrabuccal ausgeführt. Beim erstgenannten Verfahren lässt man die Untei'lippe nach aussen umstülpen, schneidet entsprechend dem ersten und zweiten unteren Backenzahne horizontal die Schleimhaut durch, etwa im Niveau des mittleren Abstandes zwischen Zahnfleisch und Kieferbogenrand, dringt vorsichtig in die Tiefe vor, palpirt das foramen mentale und legt es bloss. Alsbald Avird der mentalis sieht- — 453 — bar, kann isolirt und durchschnitten werden. Fasst man nun das knapp am foramen abgeschnittene Nervenende mit einer Pincette und spannt es an, so kann man dessen büschelförmige Ausstrahlung in die Unterlippe verfolgen und die einzelnen Nervenfasern in einiger Entfernung peripher abschneiden. Ist der Sitz der Neuralgie nicht allein in der Kinnhaut, sondern auch in den Zähnen des Unterkiefers, so wird es unter allen Um- ständen zweckmässiger sein, den mentalis während seines Verlaufes im Canale durchzuschneiden, beziehungsweise ein längeres Stück zu exstirpiren; hiefür ist aber die Blosslegung des Canales am Kiefer- bogen nothwendig. Diese Operation wird lieber extrabuccal vorge- nommen : man spaltet die Unterlippe horizontal, knapp unterhalb der unteren Backentasche; der Schnitt beginnt in der Ebene des Eck- oder ersten Backenzahnes und endet vor dem Masseterrande, um die arteria maxillaris externa zu schonen. Sind in dem Schnitte sämmt- liche Weichtheile inclusive Periost durchtrennt, so hebelt man letzteres nach oben zu ab, sucht die Mündung des foramen mentale und meis- selt nun in horizontaler Richtung rinnenförmig die äussere Knochen- wand des Unterkiefercanals, allmälig centralwärts fortschreitend auf. Der isolirte Nerve wird hierauf peripher durchschnitten, das centrale herauspräparirt und abgedreht. Der Kranke behält zwar nach der Heilung eine horizontale Narbe im Gesicht zurück, allein die Operation ist leichter und empfiehlt sich auch wegen der grösseren Sicherheit vor septischen Processen, die beim intrabuccalen Vorgehen schwerer zu vermeiden sind. Der nervus lingualis kann auch entweder intra- oder extrabuccal resecirt werden; intrabuccal an jener Stelle, wo er vor seinem Ein- tritte in die seitliche Zungenflüche knapp unter der Schleimhaut liegt. Bei weit offenem Munde wird die Zunge möglichst stark gegen die entgegengesetzte Seite und etwas nach oben abgezogen. Der Mund- winkel wird nach aussen abgehalten. Eoser spaltete sogar, um grössere Zugänglichkeit zu erlangen, die Wange vom Mundwinkel aus der Quere nach. Man führt nun einen Längsschnitt durch die Schleim- haut vom Kieferaste zur seitlichen Basis der Zunge, dicht unterhalb dem Schleimhautübergange von der seitlichen Zungenfläche in den Boden der Mundhöhle. Der blossgelegte Nerve kann dann leicht mit einem Schielhäkchen gefasst, vorgezogen und ein Theil von ihm ex- cidirt werden. Bei sehr schmerzhaften, nicht mehr operablen Zungenkrebsen kann man auch zur submucösen Neurotomie seine Zuflucht nehmen, um dem Kranken die Schmerzen zu lindern. Wenn an der Innenfläche des Kieferastes, vor und knapp unterhalb der lingula ein Teno- tom submucös flach eingesenkt, hierauf die Schneide dem Knochen zugekehrt und ein scharfer, den Knochen quer nach vorne streifender Schnitt geführt wird, so trifft dieser den Nerven. Endlich kann auch wie bei der intrabuccalen Blosslegung des inframaxillaris vorgegangen M'erden, mit dem Unterschiede, dass man nicht subperiostal vorgeht, sondern nur die äussere Fläche des musculus pterygoideus internus abhebt, längs welcher der lingualis hinabzieht. Zur extrabuccalen Neurectomie des lingualis können alle jene Methoden verwendet werden, welche wir zur Aufsuchung des infra- — 454 - maxillaris von rückwärts besprochen haben; durch den Ast des Unterkiefers sich einen Weg bahnen zu wollen, wäre ein ebenso un- nöthiges als unpraktisches Beginnen. Eher kann der von Luschka vor- geschlagene Weg eingehalten werden, von der Sublingualgegend aus. Schnitt vom Kinne bis zur Massetergrenze entlang dem Kieferbogen- rande, Trennung von Haut, platysma, fascia; Verdrängung der glan- dula submaxillaris nach vorne und abwärts, ebenso der arteria und Vena submentalis, ferner des nervus mylohyoideus, nach Spaltung des den musculus mylohyoideus deckenden tiefen Blattes der fascia. Der Rand des mylohyoideus wird nach vorne abgezogen, eventuell dessen Randfasern eingeschnitten, worauf die glandula subungualis zum Vorschein kommt, welche vom nervus lingualis an ihrer unteren Fläche umschlungen wird. Der blossgelegte, isolirte Nerve kann von hier aus weit centralwärts verfolgt und aus seiner Continuität ein sehr beträchtliches Stück excidirt werden. Der nervus auriculo-temporalis verläuft an der Rückseite der Tem- poralgefässe unter welchen er sich nach oben herausschlägt. Man legt ihn durch eine Haut und fascia trennende Längsincision bloss, welche von der Wurzel des Jochbogens nach aufwärts geführt wird. Der Stamm des nervus buccinatorius Avurde bisher äusserst selten aufgesucht: Er liegt der Innenfläche der Sehne des musculus tem- poralis an, knapp oberhalb ihrer Insertion an den processus coronoideus, nur von der Schleimhaut der Mundhöhle bedeckt, allein, ohne Begleiter. Holl gibt zur Blosslegung des Nerven folgendes Verfahren an: man schneidet am lateralen Rande jenes sulcus ein, der sich bei weit auf- gesperrten Munde in der hinteren Wandung des cavum orale externum vorfindet, wobei die Messerschneide gegen den processus coronoideus gewendet sein soll. Gleich nach Spaltung der Schleimhaut sieht man das Nervenstämmchen, kann es leicht isoliren und ein Stück davon excidiren. So bestechend durch ihre relative Einfachheit und Sicher- heit diese intrabuccale Methode auch sein mag, unterliegt es doch keinem Zweifel, dass ein extrabuccales Verfahren schon wegen der leichteren Asepsis entschieden den Vorzug erhalten müsste, wenn man mit gleicher Sicherheit und geringer Verletzung, von aussen her dem Nervenstamme zukönnte. Bisher war dies leider nicht der Fall, denn die von Michel u. A. befolgte Operationstechnik: durch eine Incision entlang dem vorderen Masseterrande einzudringen, trifft nicht den Hauptstamm des Nerven, sondern bloss den Mundwinkelast desselben. Erst ZuckerkcüicU hat eine Operationsmethode angegeben, durch welche der Stamm des buccinatorius von aussen her erreicht werden kann, ohne wesentliche nachträgliche Verunstaltung der Wange und ohne Gefahr, die Facialisäste oder den Speichelgang zu verletzen. Die Technik ist folgende: es wird die Wangenhaut durch einen 5 Centimeter langen Querschnitt getrennt, der ungefähr einen Quer- finger breit unterhalb der Jochbrücke in der Richtung vom tragus zur Mitte der Nasolabialfurche geführt wird, und der gerade in die Projection des Speichelganges fällt. Von den 5 Centimetern dieses Schnittes liegen IY2 Centimeter rückwärts vom vorderen Rande des masseter auf diesem Muskel; 3^2 Centimeter fallen vor den Muskel- rand. Im vorderen Wundwinkel soll der musculus zygomaticus major sichtbar werden. Nach Durchschneidung der fascia parotideo-masse- — 455 — terica wird der, nun frei zu Tage tretende Speichelgang sammt den zwei ihn begleitenden Facialisästen in einen Haken gefasst und nach abwärts gedrängt, Avorauf der Zugang zur fossa bueco-tempo- ralis frei wird. Nach stumpfer Ausschälung des die fossa ausfüllen- den Fettklumpens gelangt man zur Insertion des musculus temporalis. Zur genauen Aufsuchung des Nerven ist es nun geboten, den Rand des masseter möglichst nach hinten abzuziehen, da der Nervenstamm 2 ' 2 bis 3 Centimeter hinter dem vorderen Masseterrande, längs der Innenwand der Temporalissehne hervortritt. Fio-. 138. Wenn die Entfernung des zweiten und des dritten Astes des Trigeminus keinen Erfolg hatten, bleibt kein anderer Ausweg übrig als den Stamm des Nerven anzugehen, und es mitsammt dem Ganglion Gasseri abzudrehen: Der erste Ast reisst dabei ab, ihn weiter zu verfolgen und frei zu präpariren verbietet der Sinus ca- vernosus in dessen Wand er sich einbettet. Nerven- stamm und Ganglion la- gern innerhalb der Schä- delhöhle; es ist deshalb nothwendig diese zu er- öffnen und bezeichnet man demzufolge den Ein- griff als intracranielle Tri- geminusresection. Es gibt drei Wege dem Nerven- stamme beizukommen : aj Die Gegend des Pro- cessus pterygoideus. Verfahren von William Rose. Man bahnt sich den Weg zur Flügelgaumengrube wie Krönlein es vorschreibt. Ist das foramen ovale gefunden, so wird vor diesem und etwas seitlich davon die Schädelbasis mit einer kleinen Trephine eröffnet und, den dritten Ast als Wegweiser zum Ganglion Gasseri vorgedrungen und nach Durchschneidung beider Aeste dasselbe von der dura stumpf abge- trennt und stückweise mittelst Pincette und Curette abgerissen. Dieses Verfahren bietet grosse technische Schwierigkeiten, man ist dabei nie sicher das ganze Ganglion entfernt zu haben, schwebt in Gefahr, die ganz nahe der Trepanationsöffnung gelegene Eustachi'sche Ohr- trompete mitzuverletzen und hierdurch septischen Infectionskeimen die Wanderung in die eröffnete Schädelhöhle zu ermöglichen. b) Weg durch die Temporalgegend. Verfahren nach Hartley und Krause. Mit einer zweihändig zu führenden Rotationssäge wird aus der Schläfegegend der entsprechenden Seite ein längsovaler Weich- theilknochenlappen geschnitten, dessen schmälere Basis unmittelbar über dem intact bleibenden Jochboaen liegt und der Wange zu herab- — 456 — gebrochen, Fiu'. 138. In Ermant>elung der Säge meisselt man den Knüclienlapi)en. Ist der Knochenlappen heruntergebrochen, nimmt man den unten stehen bleibenden Knochenrand mit der Beisszange bis zur Schädelbasis fort, dringt nun zwischen ihr und dura mit Finger und Elevatorium in die mittlere Schädelgrube vor, sorgsam die dura ablösend. Zunächst gelangt man zum foramen spinosum und zu der aus dem Loche zur dura emporsteigenden arteria me- ningea media, welche, während der Assistent das von der dura um- schlossene Gehirn mittelst einem 3 Centimeter breiten, rechtwinkelig abgebogenem Metallspatel zart und vorsichtig abhebt, doppelt unter- bunden und durchschnitten wird. Bei constant abgezogenem Gehirn medial weiter vordringend, gelangt man nun zum dritten und weiter zum zweiten Aste und präparirt sie frei. Ueber dem Ganglion wird die ihn umschliessende dura so weit nach hinten stumpf zurück- geschoben, dass der Nervenstamm eben sichtbar wird. Hierbei ent- fliesst etwas liquor cerebro-spinalis, wegen des nicht zu vermeidenden Einreissens der dura. Nun wird das Ganglion quer in die Thiersch- sche Zange gefasst, hierauf die beiden Aeste knapp an den Eintritts- löchern mit einem spitzen Tenotom durchgeschnitten und der Nerven- stamm herausgedreht. Hierauf wird bei kurzer Drainage der Weich- theilknochenlappen reimplantirt und vernäht. Zwei Umstände können, wenn Sepsis ausgeschlossen, Gefahr bringen: Die Blutung und die Gehirncompression mit der Spatel. Erstere hat schon gezwungen die Operation zu unterbrechen um ihr durch Tamponirung des foramen spinosum Einhalt zu gebieten. Auch der Sinus cavernosus ist bei der Operation schon verletzt worden, zwar ohne üble Folgen, da die Blutung durch Jodoformgaze, die 24 Stunden liegen blieb, gestillt werden konnte. Ausnahmsweise ver- läuft die arteria meningea eine Strecke weit in einem Knochencanal statt in einer Rinne zu lagern und wird beim Herunterklappen des Lappens, wobei der Knochen einbricht, zerrissen. Es muss dann durch Aufstemmen der Knochenrinne das Gefäss befreit und unterbunden werden. Eine Unterbindung der carotis externa ist nicht nothwendig. Auch beim Ablösen der dura bluten dabei zerreissende Emissaria, die auf localen Druck mit Gazetampons bald zu stillen sind. Die Unterbindung der meningea media am foramen spinosum erfordert ein etwas stärkeres Emporheben des Gehirnes und eine entsprechend gebogene Oehrsonde. Da bei der Operation die motorische Wurzel nicht isolirt werden kann, resultiren neben den sensiblen auch mo- torische Ausfallserscheinungen im Gebiete der Kaumuskeln. c) Weg durch die Temporo-Sphenoidalgegend, Verfahren nach Doyen welches den Zweck verfolgt die Gefahren der Gehirncompression zu verringern, dadurch, dass man mehr Knochen von der Schädelbasis abkneipt und grössere Zugänglichkeit schafft. Es soll dabei nach Er- öffnung des Schädels nach Krause mit der Beisszange die Basis des Schädels bis zum foramen ovale abgetragen werden, das letzte Stück- chen, also die äussere Umrandung des foramen auf dem Schutze eines darin eingeführten kleinen stumpfen Hakens. Gelingt das Ausweichen des foramen spinosum nicht, dann ligirt man das Gefäss. Die Operation kann aber auch derart ausgeführt werden, dass man durch den von — 457 — Salzer angegebenen Temporallappenschnitt sich Zugang schafft und nebstdem den Jochbogen temporär resecirt, ihn nach abwärts ver- lagernd. Man eröffnet dann mit einer kleinen Trepankrone den Schädel nach Abdi'ängung des pterygoideus externus im Bezirke der regio infratemporalis und führt die Beisszange von dieser Lücke aus ein. Dehnung des nervus facialis. Der Gesichtsnerv wurde zuerst von Baum in einem Falle von mimischem Gesichtskrampf blossgelegt und gedehnt; früherer Zeit sind von Klein und Sdnippert wegen des gleichen Leidens Stückchen vom facialis excidirt worden. Der Nerve kann entweder bei seinem Austritte aus dem foramen stylo-mastoi- deum blossgelegt (Baum), oder weiter nach vorne im Gewebe der Ohrspeicheldrüse aufgesucht werden (Hüter). Die Technik des erstgenannten Verfahrens ist folgende: man umschneidet zunächst das Ohrläppchen und fügt dem halbmond- förmigen Schnitte einen senkrechten nach abwärts, parallel dem hinteren Rande des Unterkieferastes verlaufenden, l Centimeter langen Schnitt bei. Präparirt man die beiden seitlichen Hautfascie- läjopchen ab und klappt sie nach aussen auf, "so entblösst man den oberen Rand der parotis, verzieht ihn mit einem scharfen Haken und gelangt direct zum foramen stj'lo-mastoideum. Vor diesem sieht man den, von einer kleinen Vene gedeckten facialis, der nunmehr isolirt, mit einem Schielhäkchen umfangen und gedehnt werden kann. Weniger empfiehlt sich das Quetschen und Abheben des Nerven mit einer Pincette, da bleibende Lähmungen der innervirten Bezirke daraus hervorgehen können. Hüter operirte nach folgender, durch Löhker an der Leiche her- ausgetüpfelten Methode : Ein etwa 5 Centimeter langer Schnitt trennt die Insertion des Ohrläppchens von der Wange und verläuft längs des hinteren Kieferraudes nach .abwärts: Haut und fascia parotidea werden durchschnitten und das Parotisgewebe vorsichtig getrennt. Um die arteria carotis externa nicht zu verletzen, darf das Messer mit der Schneide nur gegen den Rand des Kieferastes gerichtet werden, man muss es also schräge halten, nicht senkrecht. Bei der vorsichtigen Trennung des Parotisgewebes begegnet man zuerst dem ramus inferior des Nerven. Dieser muss central verfolgt werden, worauf der ramus superior sichtbar wird und beide vereinigt als Stamm den Weg zum foramen stylo-mastoideum einschlagen. Der ramus inferior hat einen geschwungenen Verlauf und bildet einen nach vorne concaven Bogen, der superior zieht horizontal und beide stossen unter einem spitzen Winkel zusammen. Kaufmann führt ent- lang dem hinteren Rande des Kieferastes einen 2 Centimeter langen Schnitt durch Haut, Fascie und Drüsengewebe, sucht den nahe am Kieferwinkel verlaufenden, am weitesten nach unten liegenden Fa- cialiszweig, den nervus subcutaneus colli superior auf und isolirt ihn auf die Länge von 1 Centimeter. Spannt man den genannten Zweig mit einem Schielhäkchen an, so kann von unten her sein centraler Verlauf deutlich verfolgt und dadurch die Directive zu einem zweiten, dem Ende des ersten angesetzten Schnitte gewonnen werden, der schräg nach hinten oben bis über den processus mastoideus zu führen ist. An dem Leitfaden des subcutaneus gelangt man zum ramus in- ferior und zuletzt zum Stamme des facialis. SIEBENTER ABSCHNITT. Operationen am Halse. I. Capitel. Operative Eingriffe bei strumöser Entartung der Schilddrüse. Bei vorliandener Kropfbildung tritt die chirurgische Hilfeleistung' dann in ihre Rechte, wenn die sonst übliche Medication die Wirkung versagt, oder wenn das Leben bedrohende Druckerscheinungen von Seite der Nachbarorgane eine rasche Entlastung nothwendig machen. Die chirurgischen Eingriffe bezwecken theils eine Verkleinerung- der abnorm vergrösserten Schilddrüse, theils eine directe Entfernung der- selben als Ganzes, oder nur der erkrankten Partien allein, unter Rücklass des gesunden Drüsenrestes. Je nach dem Quäle der Struma kommen hiefür in Betracht: 1. Intrastrumöse Injectionen. Diese Behandlungsweise eignet sich einzig und allein nur für Struma parenchymatosa. Als Injectum wird verwendet: Jodtinctur in der Menge von Va bis 1 Gramm (Lücke) oder Alcohol (Schwalhe). Ich gebe Jodoformlösungen den Vorzug und habe damit bisher recht hübsche Erfolge gehabt (Jodoform 1, Aether 5, Oel 10). Bei der Vornahme intrastrumöser Injectionen ist es vor Allem erforderlich, mit einem aseptischen Instrumente zu operiren, weil sich sonst sehr leicht eiterige Entzündungen der Injectionsherde und deren Umgebung einstellen können. Aus gleichem Grunde ist auch eine gründliche Reinigung der die Struma bedeckenden Hals- haut nothwendig. Bezüglich der Injectionstechnik möge noch Erwäh- nung finden: a) Die bei passiv gespannter Haut senkrecht eingestochene Nadel soll oberflächlich sichtbare Gefässe meiden, nicht durch Muskel- bäuche ihren Weg nehmen, und tief in das Parenchym der Struma eindringen. Dass die Hohlnadel im Gewebe der Schilddrüse sich be- finde, erkennt man an der Mitbewegung der Nadel beim Schlingacte^ den auszuführen der Patient stets angegangen werden soll. — 459 — h) Die Nadel darf tiefgelegene, der Struma eigene Gefässe, ins- besondere Venen, nicht verletzen, weil sonst eine schadenbringende intravenöse statt der parenchj'matösen Injection resultiren würde. Der Operateur muss sich daher unmittelbar vor der Einspritzung genau überzeugen, dass die Hohlnadel nicht in ein Gefässlumen ge- rathen sei. Hiefür entfernt er die gefüllte Spritze von der einge- stochenen Canüle und überzeugt sich, dass aus letzterer kein Blut träufelt; blutet es, so muss eine andere Einstichstelle gewählt werden, entleert sich kein Blut, so vollzieht man nach wieder angepasster Spritze durch langsamen Stempeldruck die Injection. Ein Platzwechsel der Canüle während der Einspritzung, der bei anderen Parenchymen zulässig, ja ob der gleichmässigeren Vertheilung des Injectum sogar vortheilhaft ist, verbietet sich bei Struma der Gefahr wegen, ecta- tischen Venen zu begegnen. Man wiederholt die Einspritzung in regelmässigen, mehrtägigen Intervallen und wählt jeweilig einen an- deren Einstichpunkt. Bei stärkerer Reaction wird Körperruhe und locale Kälte nothwendig. ^ 2. Entleerung bestehender Cystenräume durch Function. Sie wurde in der Regel mit nachträglicher Jodinjection combinirt, welche eine Verödung des Cj'stenraumes erzwingen sollte; wird heutzutage nicht mehr geübt. 3. Strumotomie. Die Spaltung einer Struma kann nur die Ent- leerung dortselbst angesammelter Flüssigkeiten bezwecken und findet daher Anzeige bei Abscessbildung im Strumagewebe, sei es als Re- sultat einer Strumitis suppurativa spontanea, sei es post punctionem als Folge von Jodinjectionen in das Parenchym, oder in Cystenräume; für Struma cystica ist die Ausschälung die einzig richtige Therapie. 4. Strumectomie. Zur Ausschälung eignen sich wohl alle Arten von Struma, welche milderen therapeutischen Verfahrungsweisen un- zugänglich sind, und dem Träger solche Beschwerden bereiten, dass deren rasche Hebung zum Gebot wird. Noch vor Kurzem galt auch die Cosmetik als Oi^erationsanzeige; nachdem aber Jidliard, R^verdin. insbesondere aber Kocher erwiesen haben, dass die totale Strumec- tomie keine für den integren Fortbestand des Organismus gleich- giltige Operation sei, sondern, obgleich nur bei jungen Individuen, einen cretinoiden Zustand mit bleicher, gedunsener, myxoedemähn- licher Gesichtshaut und grosser Körperschwäche im Gefolge haben könne (Cachexia thyreopriva), weiters durch BUlrotli Tetanie als Folgeerscheinung öfters beobachtet wurde, ist man vorsichtiger ge- worden und exstirpirt nur jene Strumen in toto, welche duroh ihr Verweilen zu ernsten, das Leben durch Erstickung bedrohenden Er- scheinungen Veranlassung geben. Es zählen hierzu insbesondere Strumata maligna und Strumitis diffusa mit zahlreichen disseminirten Eiterherden, weiters die Struma retro-pharyngea, retro-sternalis, die seltene Struma circularis fCrede), welche Luft- und Speisewege ring- förmig umschliesst, endlich die Struma bilobaris, welche die trachea 1 Bei Benützung von Jodoformlösungen beobachtete ich manchmal, unmittelbar nach oder noch während des Einspritzens, das Auftreten eines intensiven spastischen Hustens, der längere Zeit (bis zu einer halben Stunde) andauerte und dann spurlos verschwand. Locale Reaction, ausser subjectiven Gefühlen des Schmerzes und grösserer Völle, trat nie ein. — 400 — säbelscheidenförmig- zusammendrückt oder anderweitig deformirt und theils durch mechanische Verengerung der Luftwege, theils durch Compressionslähmung der Glottiserweiterer Erstickungsgrfahr bedingt. Das Quäle der Struma hat weniger Bedeutung, ja selbst Strumata bei Morbus Basodowii sind von Tillcnix^ liehn u. A. mit günstigen Er- folgen in toto oder zur Hälfte ausgeschält worden. Leichter ent- schliesst man sich zur partiellen Entfernung jener Schilddrüsentheile, w'elche der Sitz isolirter Erkrankung sind, weil dabei ein späterer Eintritt bedauerliclier Folgezustände ausgeschlossen ist. A. Strumectomia totalis. Bevor die Technik dieser, zu den schwierigeren Eingriffen zählenden OjDeration fasslich erörtert werden kann, ist es nothwendig, einige anatomische Daten in Kürze zu er- örtern. Bekanntlich deckt die Schilddrüse die Luftröhre mit ihrem isthmus zu, dem sich jederseits ein Lappen anschliesst, welche beide vor den grossen Gefässen des Halses lagern. Nicht selten fehlt der isthmus und man findet nur zwei getrennte, in der Mediane sich theilweise berührende oder einen kleinen Spalt übriglassende seit- liche Lappen vor; in solchen Fällen bleibt die vordere Wand der trachea in der Mediane von Schilddrüsengewebe mehr weniger un- bedeckt. Die Seitenlappen schicken oftmals Fortsätze aus, welche theils der Submentalgegend zustreben, theils zwischen trachea und Oesophagus sich krümmen und oft der Schädelbasis zu, bis in den Pharynxbezirk wachsen; vom isthmus geht manchmal ein Lappen nach oben ab, welcher einen Theil der Vorderfläche des Kehlkopfes deckt. Auch ganz selbstständige, mit dem Mutterboden nicht zu- sammenhängende Läppchen — glandulae accessoriae — werden ver- schiedenorts gefunden, welche selbstständig erkranken können, vorwiegend parenchymatös oder cj^stös. Die Mutterdrüse wird von vier grossen Arterien ernährt: zwei davon kommen von oben herab, entstammen der carotis und heissen arteriae th3^reoideae superiores. In der Regel kommen sie von der Seite her zum oberen Rande der Schilddrüse, verlaufen alldort eine Strecke weit, anastomosiren zu- weilen mit je einem grösseren Zweige, welcher dann am oberen Rande des isthmus sich lagert — arcus arteriosus superior — und verästeln sich im Gewebe der Drüse. Bei fehlendem isthmus fehlt natürlich auch der arcus, doch ist er auch sonst nicht constant. Die zwei von unten, aus der subclavia entspringenden arteriae thyreoideae inferiores lagern sich nahe dem unteren Rande der Drüse an ihrer Hinterfläche und anastomosiren auch zuweilen zu einem arcus inferior. Ausnahmsweise findet sich noch eine Arterie vor, welche vom arcus aortae entlang der Mittellinie der trachea senk- recht nach oben steigt, um den unteren medianen Pol der Drüse zu erreichen (arteria thyreoidea ima). Die Venen entsprechen den Ar- terien und verlaufen in unmittelbarer Nähe und in gleicher Richtung mit diesen, Nebstdem findet sich aber als Regel, auch bei nicht vor- handener arteria ima, eine sehr entwickelte Vene vor, welche vom unteren Pol der Schilddrüse entlang der Mediane in die Thoraxhöhle sich schlängelt, um ihr Blut der vena innominata sinistra zuzuführen. Statt einer einfachen vena thyreoidea inferior mediana kann auch ein plexus venosus vorkommen, wie überhaupt abnormer Venenver- lauf in der Reerion der Schilddrüse nicht selten ist. . — 4(31 — Ein sehr wichtiges Gebilde, dessen Schonung bei Vornahme einer Kropfausschälung mit grösster Vorsicht zu erstreben, ist der nervus recurrens vagi. Dessen unilaterale Durchschneidung bedingt Stimmbandparese der entsprechenden Seite, dessen beiderseitige Ver- letzung gänzlichen Verschluss der Stimmritze mit Erstickungsgefahr. Bekanntlich innerviren die nervi recurrentes jene Muskeln, welche die Stimmritze öffnen, ihre Ausschaltung bringt die Stimmband- schliesser zur alleinigen Action und damit ist die Gefahr des Er- stickungstodes auch gegeben. Nach Rotter ist die topographische Lage dieser Nerven eine variable; immerhin halten sie sich stets nahe den Seitenflächen der trachea, denen entlang sie in senkrechter Richtung nach oben dem Kehlkopfe zusteuern und sich dabei mit den quer oder schräge verlaufenden arteriae thj^reoideae inferiores kreuzen. Bald findet man die recurrentes vor den Arterien, bald hinter ihnen, ja bei gabeliger Theilung der Arterie geht der Nerv durch die Gabe- lung, so dass er den unteren Querast an der vorderen, den oberen an der Rückseite kreuzt. Diese inconstanten topographischen Ver- hältnisse zwingen den Chirurgen, bei der Unterbindung und Durch- schneidung der arteriae thyreoideae inferiores mit Bedacht vorzu- gehen. Die einzig sicheren Anhaltspunkte sind: die Nähe der seit- lichen Trachealflächen zu meiden, die Arterien möglichst weit nach aussen von der Mittellinie zu unterbinden und die Abschälung der Drüse am unteren Rande und dem nächstgelegenen Theile der Hinter- fläche, anatomisch präparirend zu vollziehen; noch sicherer ist es, den entsprechenden Theil der hinteren Schilddrüsenkapsel, entlang welcher die recurrentes ihren Weg nehmen, in der Wunde zurück- zulassen. Die Schilddrüse ist von einer bindegewebigen Hülle ein- geschlossen; diese Capsel schickt vom oberen Rande der Drüse eine fächerförmige, fascienartige Verlängerung ab, welche an der Aussen- fläche des Kehlkopfes, namentlich am Ringknorpel ihre Ansatzstätte findet und dermassen als Aufhängeband dient — ligamentum Suspen- sorium. Nebst dieser als äussere bekannten besitzt die Drüse auch eine innere Umhüllung, welche fächerförmige Septa ins Parenchym sendet. Nach aussen wird die Schilddrüse von Fascien und Muskeln gedeckt, und zwar von der fascia colli superficialis, welche die Muskeln : sterno-cleidomastoideus, sterno-thj^^eoideus und sterno- hyoideus scheidenartig umhüllt und darunter von der lamina superior fasciae colli profundae, wogegen die lamina inferior bekanntlich hinter dem Oesophagus ihren Weg nimmt. Erstere wird auch vielfach fascia colli media benannt, und dieser Bezeichnung wollen auch wir uns ferner bedienen. Zwischen fascia superficialis und media, mit letzterer mehr minder organisch verbunden, lagert der musculus omohyoideus. Als äugserste Deckschichten sind zu nennen: der musculus platysma myoides und die äussere Haut. Die Technik einer Strumectomie lässt sich in drei Acte scheiden, welche eine gesonderte Darstellung erheischen: a) Blosslegung der Struma, ß) Isolirung der Seitenlappen mit Absperrung und Durch- schneidung der zu- und abführenden Gefässe, endlich y) Abtrennung der Schilddrüse von ihrer Verbindung mit der Luft — beziehungs- weise Speiseröhre. — 462 - a) Dio Blosslegung der Struma betrifft die Durchschneidung sämmt- liclier Deckschichten bis zur Drüsencapsel. Der Hautschnitt richtet sich nach der Gr()sse des Tumor und der entsprechend nothwendigen Zugänglichkeit. Linearschnitte sind stets die zweckmässigsten, da sie die geringste Verwundung abgeben und sich jederzeit je nach dem augenblicklichen Bedarf durch Zugabe grösserer oder kleinerer, uni- lateraler oder bilateraler Seitenincisionen, zu beliebigen Winkel- schnitten umgestalten lassen. Man unterscheidet mediane und laterale Längsincisionen; erstere halten die Mitte der vorderen Halsfläche, letztere den Innenrand des Kopfnickers ein; fügt man dem Median- schnitte am oberen Ende zwei Schrägschnitte hinzu, welche die Rich- tung zum Kieferwinkel einhalten, so erhält man einen Y-Schnitt, den Koche}' empfiehlt. Alle Längsschnitte müssen nach abwärts bis zum manubrium sterni reichen. Zwei Lateralschnitte entlang den Kopf- nickern bis zum jugulum geführt, treffen alldort zusammen und geben einen dreieckigen Lappen mit oberer Basis. Excisionen von Haut- streifen bei scheinbarem Hautüberfluss sind gänzlich unnöthig und daher verwerflich, indem der Hautüberschuss durch Autoretraction sich in wenigen Tagen ausgleicht; nur etwa bestehende Kropf fisteln erfordern die Umschneidung und Entfernung der Fistelmündung. Gleichzeitig mit der Haut soll auch das platysma durchschnitten, beziehungsweise abpräparirt werden: beides geschieht mit dem Scal- pelle, die darauf folgende fascia superficialis trennt man auf der Hohlsonde. Nun treten oberflächlich Venen zu Tage, jugulares ante- riores oder jugulares externae, je nach der Lage des Schnittes. Lassen sie sich abziehen, so schont man sie und lässt stumpfe Abziehhaken eingreifen; ist dies nicht der Fall, so durchschneidet man sie zwischen zwei Ligaturen. Das gleiche Verhalten beanspruchen die Längs- muskeln, welche bei nur einigermassen entwickelter Struma quer durchschnitten werden müssen; den Kopfnicker schone man nach Möglichkeit, nur im äussersten Nothfalle trenne man ihn quer durch, mit dem Vorbehalte, dessen Enden nach beendeter Excision wieder durch Catgutnähte zu vereinigen. Die durchschnittenen sterno-thyre- oidei, sterno-hyoidei und auch der omohyoideus erfordern keine nachträgliche Muskelnaht, da ihr Getrenntbleiben erfahrungsgemäss nicht die mindesten Folgeübel, sei es cosmetischer, sei es functioneller Art, bedingt. Mit der Spaltung der fascia media und der äusseren Drüsencapsel ist der erste Act beenüet und die zumeist mit ectati- schen Venen durchzogene Capseloberfläche der Drüse zu Tage gelegt. ß) Die Isolirung der Struma wird, während eingelegte Wundhaken die getrennten Deckschichten wirksam abziehen und Klemmzangen die Drüsencapsel spannen, zunächst am oberen Rande begonnen und von der Mitte nach aussen fortgeführt. Man geht dabei schrittweise vor, wobei die Wundhaken der gleichnamigen Seite stärker in Action kommen, während die gegenseitigen temporär entfernt werden. Nur auf diese Weise gelingt es, selbst bei Linearschnitten genügende Zu- gänglichkeit zum betreffenden Seitenlappen zu gewinnen. Während des Ausschälens achte man sorgsamst auf etwaige intercurrente Ge- fässe, welche vor der Durchtrennung an zwei Stellen abgeklemmt werden sollen, bevor man sie durchschneidet. So allmälig, entlang — 463 — dem oberen Strumarande nach aussen zu isolirend, gelangt man zur arteria thj'reoidea superior in Begleitung der gleichnamigen Vene. Man kann nun mittelst einfacher Pincette und Hohlsonde entweder beide, sei es isolirt, sei es gemeinsam, freimachen, oder man unter- bindet en masse. Ersteres Verfahren ist sicherlich zeitraubender, dafür aber eleganter. Die isolirten Gefässe werden doppelt abge- klemmt und in der Mitte durchgeschnitten. Sind genügend viel Sperren (Schieberpincetten und Klemmen) in Vorrath, so lässt man sie vor- läufig an den Gefässen hängen und verliert mit dem Unterbinden keine Zeit; sonst muss sofort unterbunden werden. Bei der Unter- bindung en masse wird der ganze Strang, in dem die Gefässe ein- gebettet liegen^ brückenartig umfangen, die Unterbindungen an den Endpunkten der Brücke angelegt und in der Mitte zwischen beiden durchgeschnitten, mit Schere oder Bistouri. Das einfachste Verfahren ist das Durchstossen einer geschlossenen Pincette; die federnden Branchen dilatiren die Lücke, fassen die Unterbindungsfäden und ziehen sie unter der Brücke durch. Oder es wird die Formung der Brücke mit der Hohlsonde besorgt, deren Rinne dann gleich zur Einlegung der Unterbindungsfäden dient;, sei es dass man sie direct durchfädelt, sei es dass man sie mittelst einer Oehrsonde nachzieht. Die Hohlsonde bleibt während der Unterbindung in situ liegen und Fig. 139. dient dann gleich als Leiter für das Bistouri. Kocher hat eine eigene Kropfsonde erdacht, deren breite spatelartige Fläche drei nebenein- ander gelagerte parallele Rinnen trägt; die seitlichen dienen zum Einziehen der Fäden, die mittlere für das Spitzbistouri oder für ein spitzes Scherenblatt (Fig. 13i^)). Schliesslich kann man die Brücken- bildung und das Einführen der Fäden auch mit einer Dechamir sehen Gefässnadel recht gut besorgen. Nach versorgten oberen Schilddrüsengefässen gelangt man zum äusseren Strumarande, dessen Isolirung zumeist auf stumpfe Art, mit Benützung des Zeigefingers als Trenner gelingt, immerhin aber Vor- sicht erheischt wegen etwaiger Gefässe (Venen), welche abnormer- weise seitlich abgehen könnten. Allmälig nähert man sich dem unteren Rande und damit der arteria und vena thyreoidea inferior. Sobald der Operateur ihrer ansichtig wird, muss er nach der Lage der trachea beiläufig den Ort bestimmen, wo wahrscheinlicherweise der nervus recurrens liegt. Ist er nach aussen von jener Stelle auf die Gefässe gestossen, so isolirt er sie wie oben, unterbindet und schneidet durch ; liegt der mindeste Zweifel vor, so verfolgt er die Gefässe bis ausserhalb der gefährlichen Region und ligirt erst da. Hierauf nähert er sich dem unteren Pole, unterbindet die vena thyreoidea inferior mediana und eine allenfallsige arteria ima, und hat nunmehr die eine Hälfte der Struma isolirt. Schwieriger gestaltet sich die Isolirung des unteren Lappenrandes bei Struma retrosternalis; hierbei muss, wenn - 464 — die Finger nicht ausreichen, der Lappen mit stumpfen Fasszangen aus seiner retrosternalen Nische emporgehoben und dann median- wärts umgelegt werden, damit die arteria thyreoidea inferior und die medianen Gefässe zu Gesichte treten. Es gibt Fälle, wo die arteria thyreoidea inferior sich weiter Aveg vom unteren Rande, also mehr der Rückfläche der Struma zu sich lagert. Wenn dieses topographische Verhältniss vorliegt, muss vorläufig ihre und der gleichnamigen Vene Sicherung unterbleiben und wird dann für jenen Moment aufgespart, wenn die Isolirung der Gesammtdrüse so weit vollendet ist, dass nach Losschälung von der trachea ein Umstürzen des Tumor nach abwärts zu möglich wird, wobei der untere Abschnitt seiner Rück- fläche freie Zugänglichkeit erlangt. Bevor zur Isolirung des zweiten Lappens geschritten wird, befreit man den bis jetzt scharf abge- zogenen Schnittrand der Deckweichtheile von der Action der Abzieh- haken, und legt diese dafür am zweiten Schnittrande an. Ob die da- bei freigelassenen Deckweichtheile besser vor oder hinter dem schon isolirten Schilddrüsenlappen sich vorschieben sollen, ist im Allgemeinen nicht bestimmbar; die Zweckmässigkeit gibt den jeweiligen Entscheid. Man vermeide es bei der Isolirung der an die trachea noch fest- haftenden Strumalappen, diesen allzu grosse Locomotionen durch Herauswälzen, Abziehen etc. aufzubürden, denn es treten dabei Athem- beschwerden, ja selbst Gefahr der Asphyxie ein, in Folge Verzerrung der Luftröhre oder durch Compression. Sowie Schwerathmigkeit und Cyanose sich einstellen, muss der verzogene Drüsenlappen sofort freigelassen werden. y) Sind die Drüsenränder ganz, und die Rückflächen der Lappen an ihren äusseren Partien von der Umgebung freigemacht, ist die Zu- und die Abfuhr des Blutes durch doppelte Unterbindung oder temporäre Abklemmung der betreffenden Gefässe sistirt, so kommt der dritte und letzte Act der Operation an die Reihe: die Ablösung der Struma aus ihrer Verbindung mit der Vorderfläche der trachea, linkerseits eventuell auch mit der Seitenfläche des Oesophagus. Bei Struma benigna sind die Verbindungen zumeist lockerzellig und lassen eine stumpfe Abtrennung zu, seltener erweisen sie sich festerer Natur und erfordern dann die vorsichtige Handhabung des Scalpells. Im letzteren Falle ist dabei die Möglichkeit einer Verletzung der mit der inneren Drüsencapsel verbundenen, oder wenigstens ihr eng an- liegenden nervi recurrentes gegeben. Bekommt der Operateur die beiden feinen Nervenstränge zu Gesicht, so wird er auch im Stande sein, sie isoliren und schonen zu können; sind sie nicht mit Sicher- heit kenntlich, so ist es, wie schon erwähnt, gerathener, jenen Theil der hinteren Drüsencapsel in der Wunde zurückzulassen, welcher die trachea und deren nächste seitliche Umgebung deckt und an ersterer festhaftet. Zu solchem Zwecke umschneidet man die innere Capsel- wand durch zwei halbelliptische, am oberen und unteren Pole sich vereinigenden Schnitte, legt dadurch das Drüsengewebe bloss und schält es mittelst Finger oder Hohlsonde von dem umschnittenen Stücke der Capsel stumpf ab. Da früher schon alle Arterien und Venen gesichert wurden, so ist dabei jede stärkere Blutung ausge- schlossen und das etwa entf liessende Blut entstammt nur dem aus der Circulation bereits ausgeschalteten Tumor. Fiorani hat in einigen — 465 — Fällen den Stiel der Kropfgeschwiilst von seiner trachealen Unter- lage durch die Anwendung elastischer Ligatur abgetrennt und rühmt diese Methode. Es ist kaum zu vermuthen, dass sie Anklang finden wird, denn die Blutung bei diesem Acte, welcher die Abbindung wohl in erster Linie begegnen soll, wird von keinem Chirurgen ge- scheut und hat die Methode so viele Xachtheile gegenüber "der so- fortigen gänzlichen Exstirpation, dass sie in keinem Falle empfehlens- werth scheint. V. N'usshaum empfiehlt, die Lappen des Kropfes bis in die Tiefe blosszulegen, so dass der Tumor quasi gestielt nur mehr der trachea aufsitzt, worauf er ihn in horizontaler Richtung mittelst Thermocauter oder mit der galvanocaustischen Schlinge sehr langsam derart ab- trägt, dass nur ein Rest von vielleicht \'^ bis V3 der Gesammtmasse auf der Luftröhre zurückbleibt. Er nennt seine Methode „Amputation des Kropfes". Der operative Eingriff kann bei ganz langsamem Vor- gehen und ausschliesslicher Verwendung von Rothglühhitze ganz blutleer ausgeführt werden und entfällt hiedurch der gefährlichste Act der strumectomia totalis, die Ablösung von der trachea, so dass weder Verletzungen des nervi recurrentes vagi unterlaufen können, noch auch ein Einknicken der etwa erweichten Luftröhre zu be- fürchten steht, indem der belassene Drüsenrest dieselbe stützt. Letzterer schrumpft; der Verlauf und die Heilung der offen, aber streng antiseptisch behandelten Wunde erfolgte in den so operirten fünf Fällen ganz tadellos. Das wichtigste Moment liegt aber darin, dass der Operirte dadurch, dass ihm ein Stück Schilddrüse erhalten bleibt, der traurigen Folgekrankheit totaler Elctomie: der cachexia thyreopriva, oder wie man die Krankheit auch zu nennen pflegt, dem Myxoedem und der Tetanie entrinnt. Strumata maligna haben oftmals schon die äussere Capsel durch- brochen und sind in die Trachealwand, beziehungsweise in den linkerseits vorstehenden Theil der Oesophaguswand. übergewuchert. Dass bei dem Bestreben, alles Krankhafte zu entfernen, beide Hohl- organe in Gefahr schweben, eröffnet zu werden, ist wohl klar. Deren Eröffnung hat aber begreiflicherweise sehr üble Folgen, weshalb es gerathener sein dürfte, in solchen Fällen die Operation unvollständig zu beenden und einen Theil des Neugebildes zurückzulassen, umso- mehr, als bei solch traurigen Verhältnissen von einer dauernden Heilung eo ipso keine Rede mehr sein kann. Während der Vornahme einer Strumectomie können sich mannig- fache Complicatiouen und üble Ereignisse einstellen, so zunächst stärkere Blutung. Sie erfolgt aus den zu- und abführenden Gefässstämmen, wenn die Isolirung des Kropfes unbedacht und mit Unterlassung vorgängiger doppelter Unterbindungen, respective Abklemmungen erfolgt, oder aus den ectatischen Venen der Kropfoberfläche bei zufälliger Verletzung der Capselwand mit spitzen Haken oder Zangen, daher deren Verwendung besser zu unterbleiben hat. Man bediene sich nur der Finger oder stumpfer Instrumente zum Abziehen oder Emporheben des Tumor. Blutungen aus den extracapsulären Gefässen sind sofort durch Compression mit dem Finger temporär zu stillen, namentlich jene aus grösseren Venenstämmen, weil dabei die Mög- lichkeit eines Lufteintrittes obwaltet : während nun der Finger com- V. Mosetig-M u o rh of : Handbuch d. chii-urg. Technik. 4. Aull. 30 — 466 — priniirt, fasst man mit einer Klemme das ganze Gewebe hinter dem Finger und sieht zu, ob dabei die Blutung steht. Ist dies der Fall, so lässt man vorderhand die Klemme liegen und fährt mit der Isolirung fort. Blutungen aus der verletzten Strumacapsel erfordern das gleiche Verfahren oder, im Falle Nichtgelingens, die Umstechung. Plötzliche Asphyxie. Sehen wir ab von der asphj'xia ex narcosi, so kann sie bedingt sein: entweder durch eine Lähmung der nervi recurrentes in Folge Durchschneidung oder längerer Einwirkung von Carbolsäure auf die biossliegenden Nervenstämme oder durch augen- blicklichen Verschluss der Luftröhre. Letzterer findet statt: durch Verlagerung, beziehungsweise Compression der Trachealwände bei allzu starkem Zerren, Emporheben oder Umbiegen der ganzen Struma oder eines Strumalappens, durch Einknickung der in Folge lang- dauernder Belastung zur Form einer Säbelscheide gestalteten Luft- röhre, endlich nach Rose durch Knorpelschwund. Ist letzterer als Belastungsergebniss bestehend, so hat die Luftröhre dadurch ihre Röhrengestalt verloren und ist zu einem häutigen Schlauche ge- worden, dessen Wandungen durch den Druck der äusseren Luft ein- sinken, sobald nach Entfernung der Kropfgeschwulst der von ihr gegebene äussere Halt verloren gegangen ist. Zwar leugnen einzelne Autoren den i?ose'schen Knorpelschwund, dennoch scheint er vorzu- kommen, wie einige Präparate zur Genüge beweisen. Häufiger kommt jedenfalls die säbelscheidenförmige Deformirung vor, welche bei der geringsten seitlichen Kopfstellung zur winkeligen Einknickung, und demzufolge zur gänzlichen Absperrung des Tracheairohres führen kann. Sobald diese Deformirung der Luftröhre constatirbar ist — die Luftröhre ist von beiden Seiten zusammengedrückt und springt nach vorne kielartig empor, seltener wird sie von vorne nach rück- wärts abgeplattet oder nur unilateral eingedi'ückt — wird mit grösster Sorgfalt verhütet werden müssen, dass die gerade Kopf- stellung sich ändere. Hat sich eine Einknickung bei säbelscheiden- förmiger Abplattung eingestellt, so muss in die einspringende seit- liche Wand der Luftröhre augenblicklich ein spitzer Haken einge- setzt und durch Abziehung der Wand die Einknickung rasch behoben werden. Damit sie sich nicht neuerdings einstelle und vielleicht im Verlaufe der Nachbehandlung das Leben des Operirten bedrohe, ist die Vornahme einer Tracheotomie nicht unumgänglich noth wendig, denn Kocher hat die Säbelscheidenform durch die Naht beseitigt, welche der Luftröhre ihre normale Gestalt wieder gab. Hiefür wird ein starker, doppeltarmirter Catgutfaden durch beide plattgedrückten Seitenwände der Luftröhre quer geführt, so dass der Klang auf die vordere Kante der Säbelscheide zu liegen kommt. Zieht man dann die Fadenenden zusammen und knotet sie vorne, so werden da- durch die Seitenwände voneinander abgezogen und der Rücken der Säbelscheide abgeplattet, wodurch eine Retablirung der Röhrenform annähernd gelingt. Die Faden durchlaufen seitlich je eine Brücke der Luftröhrenwand, ohne die Schleimhaut zu verletzen. Die JSose'sche Knorpelerweichung erfordert die Eröffnung der häutig gewordenen Trachealwand behufs Einlegung einer starren Trachealcanüle, welche die Bestimmung hat, den durch den Knorpel verlust verlorenen Halt zu ersetzen, attelae ad instar. Auch die bilaterale Lähmung der — 467 — Glottiserweiterer würde möglicherweise die Vornahme einer Tracheo- tomie nothwendig machen; unilaterale Lähmung der Glottiserweiterer hat bloss Heiserkeit im Gefolge. Nach Wölfler stellt sich darnach auch das Symptom häufigen Verschluckens ein, in Folge Schiefstellung der epiglottis, welche dadurch zum Verschlusse des aditus ad laryngem insufficient wLrd. Verletzung der Oesophaguswand könnte sich ausser bei Struma maligna auch bei unvorsichtiger Ausschälung retroösopha- gealer Fortsätze einstellen, wenn diese nicht stumpf ausgelöst würden. Gewöhnlich gelingt dieses Auslösen mit Leichtigkeit, würde aber die Capsel an der Umgebung inniger haften, so müsste sie an der Basis des Fortsatzes circulär umschnitten und das Drüsengewebe mit Rück- lass seiner Scheide ausgeschält werden. Maas war in einem Falle sehr voluminöser, weil nach oben ragender Struma gezwungen, ein Stück der mit dem Tumor verwachsenen ansa nervi hypoglossi mitzu- entfernen; in einem zweiten Falle hatte die Struma maligna die ge- sammte gemeinschaftliche Gefässscheide der grossen Halsgefässe um- wuchert und musste von carotis, vena jugularis und nervus vagus das entsprechende Stück resecirt werden. B. Strumectomia partialis. In Anbetracht der gefährlichen Folge- erkrankungen nach der totalen Schilddrüsenentfernung wird die partielle gegenwärtig als Regel geübt. Bei dieser Variante handelt es sich entweder um die Entfernung eines einzelnen Lappens, oder um die Ausschälung von im Schilddrüsengewebe isolirt eingebetteten Knoten oder Cysten. Die Entfernung eines ganzen lateralen, bezie- hungsweise lateralen und medianen Lappens unterscheidet sich von der exstirpatio totalis im Wesentlichen bloss dadurch, dass es sich dabei um die Abtrennung der wegfallenden Theile vom zurück- bleibenden Lappen handelt. Wolff meint, dass man selbst hyper- plastisch entartete, also wesentlich vergrösserte Lappen ganz ruhig zurücklassen könne, da diese nach vollzogener Entfernung des oder der anderen Drüsentheile einer spontanen Involution unterliegen und sich ohne weitere Beihilfe mit der Zeit wesentlich verkleinern. Die Exstirpation eines einzelnen Lappens bei fehlendem isthmus unterliegt wohl bezüglich der Abtrennung keiner Schwierigkeit, weil dann die Verbindung beider Lappen nur durch ein fascienartiges Binde- gewebsstratum dargestellt ist ; besteht aber ein Drüsenparenchym- übergang, so ist die zu trennende Brücke sehr blutreich und muss daher als Ganzes oder durch Kettenligaturen fest und sicher unter- bunden werden, ehe die Abschneidung des entfallenden, bereits isolirten Lappens erfolgen kann.^ Wenn von einem Parenchymüber- gange der drei Lappen gesprochen wurde, so ist dies nur im prakti- schen Sinne zu verstehen und nur in operativ-technischer Beziehung giltig. Anatomisch betrachtet sind die einzelnen Lappen durch Binde- gewebssepta geschieden, welche der Capsula propria entstammen. Um der oben erwähnten Massenligatur des Drüsenreststieles zu entgehen, welche übrigens gar keinen störenden Einfluss auf den Verlauf der Wundheilung ausübt, wenn sie mit aseptischem, insbesondere aber mit resorbirbarem Materiale ausgeführt wird, haben einige Chirurgen 1 Mikulicz empfiehlt die Methode partienweiser Unterbindung und nachfolgender Abtragung von Strumastücken mit Rücklassung des hilus, unter der Bezeichnung ,,Struniaresection". 30* — 468 — die intracapsuläre Exstirpation von Strumaknoten ersonnen und auch vielfach mit Glück ausgeführt. Diese Operationsvariante besteht im Wesentlichen darin, dass man nach Blosslegung- der Struma auch deren Capsel einschneidet und nun, mit dem Finger längs der Innen- wand der Drüsencapsel allmälig vordringend, die Ausschälung des Strumagewebes zu Stande bringt, jedoch die leere Capsel in Verbin- dung mit ihrer Umgebung in der Wunde zurücklässt; höchstens dass man post enucleationem die vordere Wand der entleerten Capsel nach Thunlichkeit mit einer krummen Schere abträgt, um auf diese Weise die Grösse und die Form der Capselhöhle zu reduciren und günstiger zu gestalten. Da man beim intracapsulären Verfahren die zu- und abführenden Gefässe nicht früher unterbinden kann, indem sie ja nur extracapsulär zugänglich sind, so gestaltet sich der opera- tive Act bedeutend blutiger. Sobald die Capsel gespalten ist und der Finger längs ihrer Innenwand die Ablösung des Strumagewebes be- ginnt, werden an den Capselrändern Klemmzangen angelegt, um jene besser anspannen zu können. Im Verlaufe der stumpfen Ausschälung begegnet man Strängen, welche, da sie Gefässe bergen, zunächst mit Sperren central abzuklemmen und dann erst peripher durchzuschneiden sind. Reissen einzelne Stränge durch, bevor Pincetten angelegt wurden, so fängt es an der Stelle heftiger zu bluten an. Sogleich soll der Assistent seine Fingerspitze auf die Stelle legen und comprimiren, während der Operateur die Losschälung an einer anderen Stelle an- geht. So wird theils intracapsulär geklemmt, theils comprimirt, bis der Drüsenlappen aus seiner Hülle ganz ausgeschält und entfernt ist. Nunmehr lassen die comprimirenden Finger einzeln los: steht die Blutung, um so besser, stellt sie sich neuerdings ein, so muss um- stochen werden, weil das Anlegen einer Sperre meistens versagt. Die während der Ausschälung gefassten Gefässe werden regelrecht unter- bunden und die Sperren sodann entfernt. Wolff behauptet, dass die Compression zumeist genüge, es keiner nachträglichen Unterbindungen bedürfe und er mehrere intracapsuläre Strumaexstirpationen solcher- massen ganz ohne jede Unterbindung ausgeführt habe. Auf ganz gleiche Art können Cysten und einzelne Knoten aus dem Struma- gewebe isolirt ausgeschält werden; natürlich, dass dafür das Drüsen- parenchym nebst der Capsel gespalten werden muss, falls eine Schicht davon die äussere Cystenwand decken sollte. Um die etwaige Drüsen- decke blutleer zu durchtrennen, sich des Thermocauters zu bedienen, ist wohl kaum nöthig und kann den Nachtheil haben, dass hierbei die Cystenwand leicht mitverletzt wird, eine volle Cyste sich aber leichter ausschälen lässt als eine leergewordene. Hätte man die Cystenwand verletzt, so empfiehlt es sich, den Cystenraum mit ge- krüllter Gaze auszustopfen, um die Auslösung leichter und schneller ausführen zu können. Zu retropharyngealen Strumen muss man sich durch laterale Pharyngotomie Zugänglichkeit schaffen. Ist die Strumectomie glücklich zu Ende geführt und alle Blu- tung sicher gestillt, so findet sich der Operateur einer Wundhöhle gegenüber, deren Form und Umfang von der Grösse und der Lagerung des Exstirpirten abhängt. Die Luftröhre steht ganz oder einseitig nackt zu Tage, linkerseits sieht man den hinter der trachea hervorragenden Speisoröhrenwulst, nach aussen die grossen Hals- - 469 — gefässe in ihrer gemeinschaftlichen Scheide ; nach oben ragt die Höhle oft bis zum Niveau des Kehlkopfes oder seitlich darüber hinaus, nach unten senkt sie sich manchmal tief hinter dem sternum hinab. Diese mehr minder grossen, buchtigen Wundhöhlen sollen prima intentione heilen, müssen dafür aseptisch sein und aseptisch erhalten werden. Hierzu ist vor Allem zu empfehlen, alle Ligaturen, isolirte und Massenunterbindungen, mit Catgut aus- zuführen, denn Seidenfäden heilen des Häufigsten nicht ein und werden später durch Eiterung abgestossen. Um die Asepsis auf- recht zu erhalten, ist ein genauer Abschluss der Wunde von der äusseren Luft conditio sine qua non; man vernäht daher die Haut- ränder, drainirt und legt einen genauen, leicht comprimirenden Occlusiv- verband an, nebstdem fixirt man den Kopf durch seitlich angebrachte, vom Scheitel längs des Halses zum thorax laufende Tapetenholzspäne, welche über dem Occlusivverbande mit nassen Organtinbinden fest- gemacht werden. War der Chirurg während oder nach der Operation gezwungen, wegen Knickung, Abplattung oder Erweichung der Luftröhre die Tracheotomie Fig. 140. auszuführen, so sind die Bedingungen zur Asepticität der Wunde vernichtet, denn mit der Luft dringen auch Zersetzungskeime ein. Daher ist es rathsam, bei geöffneten Luftwegen keinen Occluvivverband anzulegen, sondern lieber die halboffene Wundbehandlung einzuschlagen, denn die Versuche, trotz der Canüle occlusiv zu ver- binden, haben keine guten Resultate gehabt. Man hat hiefür die Aussenmündung der Canüle durch Anpassen eines Gummirohres verlängert und letzteres aus dem Occlusivverbande heraus ragen lassen. Die Trachealcanülen, welche man in die Luftröhre einlegt, haben die Aufgabe, die deformirte oder weich gewordene Luftröhre zu stützen; hiefür müssen sie manchmal länger sein als die gewöhnlichen und empfehlen sich dann insbesondere die von König empfohlenen (Fig. 140). Diese flexiblen und doch starren Canülen gewinnen aber ihre volle Be- deutung und werden erst dann unentbehrlich, wenn die Eröffnung der Luftwege möglicherweise schon vor der gänzlichen Ausschälung des Tumor erfolgen muss, wo also die Compressionsursache noch nicht behoben ist und sie dennoch rasch paralysirt werden muss. Das Gleiche ist der Fall b-ei Compressionsstenose durch nicht operable Strumata. In beiden Fällen muss die trachea über dem Hindernisse eröffnet und die Luftröhre in ihrer ganzen Halslänge gestützt werden, daher auch eine entsprechende Länge der Canüle erforderlich ist. Aus dem Gesagten dürfte deutlich hervorgehen, wie unendlich störend eine eröffnete Luftröhre auf den ganzen Verlauf der Wundheilung wirken müsse. Deshalb gilt es als Regel, die Tracheotomie nur bei äusserster Nothwendigkeit auszuführen, d. h. wenn auf andere Art der Erstickung des Kranken nicht vorgebeugt werden kann. Würde nach Exstirpation einer retrosternalen Struma sich Eiterung einstellen, so könnte die exacte Herausbeförderung der stagnirenden Wundsecrete — 470 — aus dem retrosternalen Räume am besten durch Glycerineinguss voll- zogen werden. Neueren Datums ist die Exothyreopexie, eine etwas seltsame Operation, welche auf der Erfahrung beruht, dass manche einfach nur blossgelegte Strumen schrumi)fen. Namentlich gilt dies für die diffus hypertrophischen Formen, welche der Schilddrüsen-, eventuell Jod- therapie widerstehen und grosse Beschwerden verursachen. Der opera- tive Act besteht in der Blosslegung und Isolirung der Strumalappen mit nachfolgender Luxation nach aussen, so dass der Kropf extracutan der vorderen Halsfläche aufzuliegen kommt. Bewirkt das Deplacement Erscheinungen von Trachealstenose, so replacirt man die Struma und lässt nur den Weichtheilschnitt offen. (Jahoulay, Poncet u. A.) Die herausluxirte Struma soll allmälig schrumpfen und über- häuten. Endlich wird auch die Unterbindung der zuführenden Arterien zumeist in der Dreizahl empfohlen, um eine Schrumpfung der Struma zu erzwingen und sie dem Organismus zu belassen. II. Capitel. Operationen an den Luftwegen. Eröffnung der Luftwege am Halse — Bronchotomie. Im Allgemeinen betrachtet, findet die zu beschreibende Operation ihre Anzeige ent- weder bei mechanisch behinderter Athmung, wenn das vorliegende Hinderniss nicht auf andere Weise entfernbar, beziehungsweise in seiner Wirkung paralysirbar ist, oder als Voract anderer Operationen, endlich als prophylaktisches Mittel, um dem Eintritte einer zu be- fürchtenden Erstickungsgefahr vorzubeugen. So pflegt man bei Schuss- oder Schnittwunden des Kehlkopfes und seiner nächsten Umgebung prophylaktisch die Luftwege unterhalb der Verletzungsstelle zu er- öffnen, um sich vor dem oft rasch eintretenden Glottisödem oder Zell- gewebsemphysem zu wahren. Die Eröffnung der Luftwege am Halse kann an mehreren Stellen erfolgen, zunächst entweder am larynx oder an der trachea. Der untere Rand des Ringknorpels bildet die Grenze zwischen beiden anatomischen Gebieten; oberhalb jenes ist das Gebiet für Laryngotomien, unterhalb dasjenige für Tracheotomien; überschreitet der Eröffnungsschnitt den Ringknorpel nach der unteren oder nach beiden divergirenden Längsrichtungen, so resultiren Laryngo- Tracheotomien. A. Laryngotomie. Das Operationsterrain ist ein ganz oberfläch- liches; in der Regel ist es nur bedeckt von den, vom sternum zum Zungenbein und zum Schildknorpelgehäuse ziehenden Muskeln, von den zwei Blättern der fascia colli und der äusseren Haut, da in die Mittel- linie des Halses, wo sich das Operationsfeld ausschliesslich befindet, kein platysma mehr reicht. Die fascia colli superficialis, welche, wie wir schon im früheren Capitel bemerkten, die Muskelscheiden bildet, macht sich in der Mittellinie zwischen den beiden Sternalmuskelgruppen als eine weisse Linie kenntlich. Diese Linie ist für den Operateur — 471 — wichtig, denn sie gibt ihm den Weg an, den er strenge einzuhalten hat; unterhalb der faseia superficialis folgt die lamina media. Nach Durchtrennung dieser liegt der Kehlkopf entblösst vor : man überblickt die vordere Vereinigungskante beider Schildknorpel, darunter den Ringknorpel, zwischen beiden das ligamentum conicum. Findet sich abnormerweise ein oberer accessorischer Schilddrüsenlappen vor, so bedeckt er meistens in Form einer Zunge Ringknorpel und Ligament. Von Gefässen ist nur ein arterieller Ast der thyreoidea superior im medianen Gebiete des Kehlkopfes wichtig: die arteria crico-thyreoidea; sie ist so ziemlich beständig und pflegt mit dem gleichnamigen Ge- fässe der anderen Seite eine horizontale Anastomose einzugehen, welche, dem ligamentum conicum aufliegend, die Mittellinie, also das Operationsplanum kreuzt und bei der Längsspaltung durchtrennt werden muss. Die Operationstechnik einer Laryngotomie ist sehr einfach. Der Kranke liegt horizontal; erlaubt die bestehende Athemnoth diese Stellung nicht, dann halbliegend mit einer Rolle im Nacken; ein Ge- hilfe fixirt den Kopf in der Mediane, andere sichern Arm und Beine, Kinder werden gefascht. Der Operateur, rechts vom Kranken stehend, fixirt mit zwei Fingern seiner linken Hand die Haut des Halses in der Mittellinie und spannt sie, um die Trennung in Einem Zuge des Messers ausführen zu können. Da es für ein rasches und correctes Operiren von der grössten Wichtigkeit ist, die Mittellinie des Halses strenge einzuhalten und sie nie zu verlassen, so ist bei der Fixirung der Haut jede Verschiebung sorgsamst zu meiden. Die Haut kann in zwei Richtungen fixirt und gespannt werden, in verticalem und late- ralem Sinne. Seitlich die Haut zu spannen ist vielleicht bequemer, allein eine Verschiebung dabei auch viel leichter ; spannt man vertical, so lauft man weniger Gefahr, der Medianlinie der vorderen Halsgegend untreu zu werden. Der Operateur setzt seine Hand von der Seite her an, die Spitze des Zeigefingers, ohne herumzutasten, an die incisura superior des Schildknorpelgehäuses, den Daumen auf den Ringknorpel; spreizt er dann die Finger etwas weniges voneinander, so dass der Daumen, ohne die einmal berührte Stelle der Haut zu verlassen, sich zugleich mit ihr vom Zeigefinger entfernt, so ist damit die nöthige Spannung erzielt. Der Schnitt in der so gespannten und sicher fixirten Haut beginnt etwa in der Mitte des vorderen Schildknorpelrandes und wird bis zum unteren Rande des Ringknorpels, nach Bedarf noch etwas tiefer hinab geführt. Sobald die Haut durchschnitten ist, setzt der Assistent je einen kleinen spitzen Doppelhaken an die Schnitt- ränder und zieht sie gleichmässig voneinander ab; die Spaltwunde wird zu einem Oval, in dessen Längsdurchmesser eine weisse schmale Linie sichtbar wird, jederseits von schmalen, etwas röthlich durch- scheinenden Längswülsten begrenzt. Man schneidet die weisse Längs- linie durch, der Assistent setzt die spitzen Haken, nachdem er mo- mentan die Hautränder freigelassen, an die Ränder der neuen Tren- nungsschicht und zieht beide auseinander; in der Tiefe erscheint die lamina media, welche auch mit dem Scalpelle, oder sicherer noch auf der Hohlsonde durchtrennt wird. Der Assistent nimmt sofort auch diese letzte Schicht in die Haken; sollte ein Pyramidenfortsatz der Schilddrüse sich vorfinden, so wird er stumpf abgelöst und seitlich - 472 — vorzogen. Da der Kranke nur schwer und angestrengt athmet, so bewegt sich der Kehlkopf sehr lebhaft auf und ab. Um ihn sicher zu eröffnen, muss er fixirt werden; hierzu dient ein einfacher spitzer Haken, den man am unteren Rande der Schildknorpelcommissur ein- setzt und festhalten lässt. Der Operateur belüsst den Nagel seines linken Zeigefingers am oberen Rande des Ringknorijels, ergreift mit der rechten Hand ein spitzes Bistouri in steiler Schreibfederhaltung, die Messerschneide von sich gekehrt, sticht es, dem Nagel entlang, senkrecht durch das ligamentum conicum so tief ein, bis aus der Lücke Luft hervorzischt, senkt sodann etwas den Griff und durch- schneidet in sägenden kurzen Zügen das Ligament in der Richtung von unten nach oben seiner ganzen Länge nach rasch durch. Bevor noch die Klinge den Kehlkopfraum verlässt, führt der Assistent, der inzwischen die bisher benützten siDitzen Doppelhaken beiseite gelegt hat, je einen rechtwinkelig gekrümmten stumpfen Haken entlang der Messerklinge in die Larynxhöhle, zieht die Spaltränder nach Mög- lichkeit ab und fixirt dadurch den Kehlkopf. Der bisher in Verwendung- gestandene spitze Fixirhaken wird, weil überflüssig, entfernt. Zumeist ist die einfache Längsspaltung des ligamentum tliyreo-cricoideum unzureichend, die dadurch gesetzte Lücke viel zu klein, um genügende Zugänglichkeit zum Kehlkopfinneren zu schaffen, sei es nun zu weiteren Manipulationen dortselbst, sei es zum blossen Einführen einer Canüle. Bei Kindern ist dies sicher der Fall, man erweitert daher an den kleinen Patienten, wenn man überhaupt an ihnen laryngotomirt, die Wunde in der Längsrichtung nach abwärts auf Kosten der Continuität des Ringknorpels. Diese Erweiterung des Schnittes geschieht am besten mit einem geknöpften Bistouri; überschreitet man dabei die Grenze des unteren Ringknorpelrandes und setzt die Trennung auf den ersten Trachealknorpel oder gar auf mehrere fort, so ist damit auch die Umwandlung der bisherigen reinen Laryngotomie in eine Lar3^ngo- Tracheotomie gegeben. An älteren Individuen ist dieses Vorgehen nicht empfehlenswerth, indem die Elasticität des derber gewordenen Knorpels bedeutend verringert ist und daher das Aufklappen des ge- trennten Ringes nicht in dem Masse gelingt, als zur ausgiebigen Er- weiterung der Wunde noth wendig wäre, ja es kommt vor, dass man den Ringknorpel verknöchert findet. Es wird daher bei Laryngotomien Erwachsener anders vorzugehen sein. Will man den Ringknorpel in Mitleidenschaft ziehen, so muss man aus ihm subperichondral ein Stück entfernen, so gross als nothwendig ist, um die Canüle bequem zu lagern — Cricoectomie (Panas) — dafür kann dann der Längsschnitt im ligamentum conicum bedeutend reducirt werden. Entschieden besser und viel einfacher ist die Erweiterung des Längsschnittes durch quere Einkerbungen der Schnittränder, die entweder in der Mitte — Kreuz- schnitt — oder am oberen Rande des Ringknorpels — verkehrter T-Schnitt — anzubringen sind. Erst mit der Einführung der Canüle ist die Operation beendet, erst dann verlassen die Haken die Wunde. B. Tracheotomie. Man unterscheidet eine obere oder hohe, eine mittlere, und eine untere oder tiefe Tracheotomie. Da der isthmus glandulae thj^reoidea in der Regel hoch nach oben ragt und mit dem Kehlkopfe durch das ligamentum Suspensorium verbunden ist, so er- scheint die obere Tracheotomie stets nur unter der. Voraussetzung — 473 — möglich, dass man das Aufhängeband durchschneidet und den Rand der Schilddrüse nicht nur lüftet, sondern so weit nach abwärts drängt, dass dadurch ein zur ergiebigen Incision hinlänglich langes Stück der trachea freigelegt wird. Die mittlere Tracheotomie erfordert die vorgängige Spaltung des mittleren, die Luftröhre deckenden Lappens der Schilddrüse, um überhaupt ausführbar zu sein; nur die Anomalie eines fehlenden mittleren Lappens könnte die Verhältnisse wesentlich vereinfachen; die tiefe Tracheotomie kann, wenigstens bei Kindern und nicht strumösen Individuen, ausgeführt werden, ohne mit der Schilddrüse in Collision zu gerathen, da ein genügend langes Stück der Luftröhre zwischen isthmus und jugulum unbedeckt zu bleiben pflegt. Je weiter vom Kehlkopfe ab, desto tiefer wird der Stand der Luftröhre zur Oberfläche des Halses; oberhalb des jugulum liegt sie am tiefsten. Die anatomischen Verhältnisse der Luftröhre zur Schild- drüse und deren Blutgefässe sind im vorigen Capitel zur Sprache gekommen: bei der Tracheotomia superior ist eines etwaigen arcus arteriosus am oberen Rande des isthmus zu gedenken, bei der inferior, der Vena inferior mediana oder des sie substituirenden plexus venosus, weiters einer eventuellen arteria thyreoidea ima; nebstdem soll bei Kindern nie vergessen werden, dass der Stand der anonyma ein viel höherer zu sein pflegt als bei Erwachsenen. Dieses mächtige Gefäss reicht oft bis zum Niveau des jugulum, ja noch höher hinauf, wobei es das Operationsgebiet der Tracheotomia inferior erreicht und die mediane Schnittrichtung schräge durchkreuzt. Schliesslich kommt es auch bei gewissen Anomalien in der Verästelung des Aortabogens vor, dass eine carotis oder subclavia die trachea kreuzen muss, um ihre Verlaufsstätte zu erreichen. Auch die Thymusdrüse reicht bei Kindern manchmal hoch hinauf und reicht dann ins Operationsgebiet. Die Operationstechnik der Tracheotomien ist nur in einzelnen Punkten von der oben beschriebenen Laryngotomie verschieden und diese sollen in Folgendem eine kurze Erläuterung finden. Die Trennung der Haut und der beiden Blätter der fascia colli bleibt sich stets gleich, nur dass der Schnitt tiefer beginnt, etwa in der Höhe oder etwas unterhalb des Ringknorpels; wie weit der Schnitt nach abwärts reichen soll, ist verschieden, je nach der Operationsmethode; im Allge- meinen ist es empfehlenswerther, lange Schnitte zu führen, da solche dem Kranken keinen Nachtheil bringen und dem Operateur grossen Vortheil bieten, insofern er mehr Zugänglichkeit für Hand und Auge gewinnt und sich dadurch den operativen Act wesentlich erleichtert. Nach erfolgter Durchschneidung der lamina media muss bei der Tracheotomia superior zunächst das ligamentum Suspensorium der Schilddrüse der Quere nach getrennt werden. Böse bezeichnet als geeignetste Stelle hiefür die Vorderwand des Ringknorpels, gegen welche man sonach die Messerschneide zu richten hat. Ist das Auf- hängeband in genügender Breite durchtrennt, so kann man mit einem Haken oder selbst mit dem Fingernagel die Schilddrüse nach abwärts drängen und so weit verschieben, dass die obersten drei bis vier Luftröhrenringe frei werden, die sich durch ihre weisse Farbe und ihre Resistenz kenntlich machen. Tiefer unten, etwa am Rande des isthmus das Aufhängeband zu durchschneiden, wäre insofern ein Fehler, als man dabei mit Gefässen in Collision gerathen könnte — 474 — Sobald der Operateur nach Verschiebung der Schilddrüse und Fixirung in verschobener Lage, wofür die Spitze des Zeigefingers dient, die frei und entblösst vorliegenden Trachealknorpel sieht, lässt er einen spitzen Haken am unteren Rande des Ringknorpels einsetzen, damit den Kehlkopf emporheben, sticht knapp am Nagel seines Zeigefingers ein spitzes Bistouri ein und führt die Spaltung der trachea von unten nach oben, dem Ringknorpel zu in einer Länge von etwa drei Ringen. Die sofortige Einlage der stumpfen Haken in die Trachealwunde ist gleicli wie bei Laryngotomie vorzunehmen, noch bevor die Klinge die Wunde verlässt. Hat man geringe Assistenz, so empfiehlt sich die Verwendung des doppelten Fixationshakens von v. Langenheck, der sowohl die Fixirung der Luftröhre vor der Eröffnung, als auch das laterale Ab- ziehen der Wundränder nach der Durchschneidung in Einem besorgt (Fig. 141). Dabei wird der Schnitt zwischen beiden Haken geführt. Wäre es nicht gelungen, ein genügend langes Stück der Luftröhre durch Verziehung der Schilddrüse frei zu bekommen, so könnte der Trachealschnitt auf Kosten des Ringknorpels nach aufwärts verlängert werden, wodurch man die Tracheotomia superior in eine Tracheo- Laryngotomie, respective Tracheo-Cricotomie umwandelt. Die Tracheotomia media erfordert, wenn der isthmus nicht fehlen sollte, dessen Spaltung. Das Verhältniss der oberen Schilddrüsenarterie zum isthmus und dessen eigener Blutreichthum erlauben die Spaltung, falls sie mit dem Messer erfolgen soll, nur nach vorgängiger bilateraler Massenunterbindung des isthmus. Aber auch damit ist ein Zeitverlust gegeben, der recht fatal werden kann. Sollte gar der mittlere Schild- drüsenlappen etwas stärker entwickelt sein, dann wären die Schwierig- keiten noch bedeutender und die Blutungsgefahr noch viel grösser. Französische Chirurgen pflegen die Trennung des isthmus mit dem Thermocauter auszuführen. Die mittlere Tracheotomie wird zumeist nur in jenen Fällen von Strumectomie ausgeführt, in denen die Er- öffnung der Luftwege .aus besagten Gründen nothwendig wird. In Frankreich hegt man überhaupt eine grosse Vorliebe dafür, die Blosslegung der Trachea auch bei der hohen Methode mit dem Ther- mocauter auszuführen, um alle Blutung zu verhindern. Voltolini gab der Galvanocaustik den Vorzug. Vernetiü trennte auch die äussere Haut mit dem Glühmesser, während Böclcel zunächst die Haut mit dem Scalpelle durchschneidet und dann erst zum Glühmesser greift. Die Benützung des Thermocauter ist selbstverständlich nur bis zur Freilegung der Luftwege gestattet, diese selbst werden ausschliesslich nur mit dem Messer gespalten. Bei der Tracheotomia inferior muss die Trachealwand von den grossen ausgedehnten Venen und von der eventuellen arteria ima auf stumpfe Weise entblösst werden, d. h. mittelst Pincette und Hohl- sonde, oder mit zwei Pincetten, indem man damit das lockere Binde- gewebsgerüste zerreisst oder zerzupft. Nebstbei richte man sein Augen- merk auf etwaige Verlaufsanomalien der grossen Halsgefässe und bei Kindern auf den Stand der truncus anonymus. Diese Präparation in der Tiefe ist bei beschränkter Zugänglichkeit kaum mit Sicherheit ausführbar. Daher sind bei der tiefen Tracheotomie ein langer Schnitt und gute Assistenz nebst correcter Beleuchtung unumgäng- 475 liehe Erfordernisse. Zartheit der Ausführung ist dabei auch empfehlens- werth, um keine Venen zu verletzen. Die Durchschneidung der trachea darf nur dann vorgenommen werden, wenn man die Knorpel- ringe ganz rein vor sich sieht und keine Blutung obwaltet. Gefäss- anomalien, hoher Stand der anon3^ma, der glandula thymus oder Blutung aus verletzten Venen machen das Aufgeben dieser Stelle zur Pflicht. Das Abziehen der Deckschichten und das Emporhalten des unteren Schilddrüsenrandes soll nur mit stumpfen Haken vorge- nommen werden, da spitze die Gefässe verwunden könnten ; nur zur Fixation der Luftröhre diene ein einfacher spitzer Haken, den man am höchst erreichbaren Tracheairinge einsetzt. Der linke Zeigefinger wird knapp über der incisura sterni so angelegt, dass der freie Nagelrand die Luftröhre berührt und die Fingerbeere den Eingang zum mediastinum schützt. Die Eröffnung der tra- Fig. ui, chea erfolgt wie bei den anderen Methoden in der Richtung von unten nach oben, vom Nagel des Zeigefingers bis zur Stelle hinauf, wo der spitze Haken lagert. Würde der isthmus weit nach abwärts reichen, so müsste sein unterer Rand mit grosser Vorsicht stumpf abgelöst werden, um ihn, so weit als eben thunlich, nach oben verziehen zu können. Wenn man mit Berücksichtigung des Gesagten die eben kurz geschilderten Verfahren der Eröffnung der Luft- wege am Halse miteinander vergleicht, so wird wohl die Laryngotomie als die einfachste und am leichtesten durch- zuführende Methode erscheinen; ihr zunächst reiht sich die Tracheotomia superior und die Laryngo-Tracheotomie. Wenn ein asphyktisches Individuum vorliegt und die grösste Eile noththut, so wird man stets zwischen beiden wählen, und bei mangelhafter Assistenz, der Eröffnung des liga- mentum conicum den absoluten Vorzug geben. In der That sind an dieser Stelle die Luftwege so sehr oberflächlich gelegen, dass man es sogar wagen kann, auch ohne vor- gängige Spaltung der Haut und Präparation der Deck- ||i schichten directe ein Bistouri in den Kehlkopf einzusenken, gleich als ob es sich um die Eröffnung eines Abscesses handeln würde. Bei Erwachsenen fixirt man dafür den oberen Rand des Ringknorpels mit dem Nagel des linken Zeigefingers und sticht das Spitzbistouri in senkrechter Richtung durch Deckschichten und ligamentum conicum in die Kehlkopfhöhle hinein. Das Gefühl der Hand, dass der Widerstand, den die Gewebe der Messerspitze entgegensetzen, überwunden sei und das Heraus- zischen der Luft neben der Messerklinge geben sicheren Auf- schluss, dass das Bistouri in die Kehlkopfhöhle eingedrungen sei. Sofort schneidet man dann sägend nach oben zu und lässt rasch zwei stumpfe Haken neben der Klinge in die Wunde gleiten. Erst wenn diese sicher eingegriffen haben und zwischen ihnen die Luft mit etwas Blut vermengt herauszischt, darf man die Messerklinge aus der Wunde ziehen, ja nicht früher, da sonst durch Verschie- bung der Deckblätter der Parallelismus der Wundränder verloren gehen und es oft schwer halten würde, den geschnittenen Weg rasch wieder zu finden. Da hierbei die arteria crico-thyreoidea mit- — 47r. — verletzt werden kann und deren Sicherung, ausser durch percutane Umstechung, unmöglich ist, so muss man dafür sorgen, dass der Wund- spalt von der nachträglich eingelegten Canüle vollends ausgefüllt werde und sie als Tampon wirke. Bei Kindern durchschneidet man lieber den Ringknorpel und nimmt im Nothfalle noch den ersten Trachealring mit, da bei ihnen das ligamentum conicum ohnedem sehr kurz ist und man dadurch der arteria crico-thyreoidea sicher aus dem Wege bleibt. Bei diesen en bloc-Eröffnungen ist das Ein- führen der Canüle der Kleinheit der Wunde wegen schwer, daher man eigene Instrumente ersonnen hat, um das Verfahren als Ganzes zu erleichtern. Man nennt sie Laryngo- oder auch Tracheotome ; erstere Bezeichnung ist jedenfalls richtiger und bezeichnender, da mit ihnen in der Regel der Weg durch das Ligament genommen wird. Im Laufe der Zeiten wurden eine Menge solcher Instrumente erfunden, trotz- dem der Bedarf ein äusserst geringer ist. Vielleicht das sinnreichste unter allen ist das von Rizzoli erdachte und von Hanke modificirte Instrument, welches in Fig. 142 dargestellt ist. Es wird gleich einem Troisquart gehandhabt; nach Entnahme des Stachels bleibt gleich die Doppelröhre als Canüle in der Wunde Fig. 142. liegen. So zweckmässig dieses Instrument auch dünken mag, so hat es doch den Nachtheil der Unsicherheit und ist in seiner Anwendung nicht ungefährlich. Da man es nämlich, selbst nach vorgängiger Trennung der Haut, nur unter starkem Drucke einführen kann, so ergibt sich dabei eine nothwendige Abplattung der Luftwege, wodurch die vordere Wand der hinteren genähert wird; es kann dabei vor- kommen, dass man mit dem Instrumente gar nicht in die Luftwege, sondern nur prätracheal gelangt, oder dass man nicht nur die vordere Wand durchsticht, sondern auch die hintere oder diese mindestens zum grossen Nachtheile des Kranken verletzt. Würde aber das Instrument für die trachea Verwendung finden, deren Schleimhaut bekannter- massen weniger fest an die Unterlage gebunden ist als jene des larynx, so könnte es, insbesondere wenn man wegen entzündlichen Processen die Operation ausführt, wobei ein gelockerter Zustand der Schleim- haut und der submucösen Schichten besteht, sehr leicht geschehen, dass die Troisquartspitze die Schleimhaut, statt sie zu durchstossen, nur vor sich her drängt und von der Unterlage ablöst, wobei schliesslich die Canüle nicht in das Lumen der Luftwege, sondern in eine submucöse Tasche geräth und der Operirte vollends erstickt. Wenn man bedenkt, dass dieses übelste aller Ereignisse einem her- vorragenden Chirurgen beim regelrechten, schichtenweisen Tracheo- tomiren mit dem Bistouri begegnete, so wird man begreifen, dass das Gleiche mit einem Troisquart noch viel leichter erfolgen kann, umsomehr als dabei das wichtige Zeichen des Herauszischens der Luft vollends entfällt und nicht als Richtschnur dienen kann, um bei Zeiten abhelfen zu können. Wird man aber erst nach ausgezogenem Stachel und vollends eingestossenem Doppelrohre dieses üblen Er- eignisses gewahr, so ist es gewöhnlich auch zu spät, ym noch rettend — 477 — Fig. 143. einspringen zu können. Dieses Verhalten der Schleimhaut verbietet es geradezu, meiner Ansicht nach, eine Tracheotomie mit derlei In- strumenten auszuführen. Zweckmässiger wäre vielleicht der Laryn- gotom von Plfha, der aus einem Doppelbistouri besteht, dessen Klingen man nach vollzogenem Schnitte in Paralleldivergenz voneinander treiben und dadurch die stumpfen Haken ersetzen kann. Die Trachealcanülen sind verschieden construirt. je nach dem Zwecke, den sie verfolgen. Der äusseren Form nach haben sie die Gestalt eines Kreissegmentes, entsprechend dem Wege, den sie zu durchlaufen haben, entsprechend der Lage, in der sie verharren müssen, ohne auf die Umgebung einen schädlichen Druck auszuüben. Der Zweck der Trachealcanülen kann ein mehrfacher sein : a) Sie dienen dazu, die Wunde offen zu halten und die Passage der Luft zu sichern. Derlei Canülen sind stets Doppelröhren, und zwar deshalb, damit man bei etwaiger Verlegung des Innenrohres, durch Blut, Schleim, Croupmembranen ohne Entfernung des Gesammt- apparates abhelfen könne. Es genügt da- für, das Innenrohr herauszuziehen und zu reinigen, worauf es mit Leichtigkeit in das äussere, unverrückt am Platze verblei- bende Aussenrohr wieder hineingeschoben werden kann, ohne dem Kranken die aller- mindeste Störung zu bereiten. Das Aussen- rohr (Fig. 143) ist entweder ganz oder an der grössten Wölbung seiner oberen Wand gefenstert, das Innenrohr ist stets ganz. Das Fenster des Aussenrohres hat eine Bedeu- tung und kommt zur Geltung, wenn es nach abgelaufener Erkrankung des Kehlkopf- inneren zur Entscheidung kommen soll, ob der Kranke auf normalem Wege zu athmen vermöge oder nicht, da dies auf die Zu- lässigkeit bestimmend wirkt, ob und wann die Canüle definitiv entfernt und die Wunde der Vernarbung überlassen werden kann. Wenn die Zeit zur Probe gekommen, entfernt man die Innenröhre und verschliesst die Mündung der äusseren. Athmet der Kranke trotz verstopfter Aussencanüle eine Nacht über frei und un- behindert, so ist der Beweis gegeben, dass die Luft ohne Hinderniss durch die Kehlkopfhöhle streichen kann. Stärk hat Doppelcanülen an- gegeben und empfohlen, bei denen das Innenrohr gefenstert ist, wäh- rend das Aussenrohr an der entsprechenden Stelle siebförmig durch- löchert ist. Derlei Canülen sollen den Vortheil haben, den Kehlkopf von dem Luftdurchtritte nicht gänzlich auszuschalten, wodurch einer- seits für den Kranken weniger Beschwerden bei der Entfernung der- selben resultiren und andererseits auch der Bildung von Granulomen im oberen Umfange der Trachealwunde A'orgebeugt werden kann, in- dem die durchstreichende Luft die entzündliche Schwellung, Lockerung und consecutive Wucherung der Schleimhaut angeblich erschwert. Die Innencanüle überragt an Länge die äussere um ein Geringes, damit Schleimpfröpfe und Croupmembranen nur sie und nicht auch das Aussenrohr verlegen können. Das Material, aus dem man 478 — Fig. 144. Canülen fertigt, ist Metall oder Hartgummi; ihre Grösse, respective Lichtung ist verschieden, je nach dem Alter des Operirten. Da nämlich die Regel gilt, dass die Canüle dem Lumen der trachea annähernd entsprechen müsse, nicht drücken und andererseits auch nicht zu enge sein solle, um nicht einen Raum als Depot für Schleimpfröpfe und dergleichen zwischen sich und der Trachealwand übrig zu lassen, so resultirt die Nothwendigkeit, für Kinder, Halberwachsene und Er- wachsene entsprechende Canülen zu verwenden, deren Lichtung jener der Luftröhre im betreffenden Alter beiläufig entspricht. Fig. 143 zeigt Canülen aus Hartgummi in verschiedenen Grössen, wie sie Leiter anfertigt. Metallcanülen werden zumeist aus Silber geformt, besser eignet sich wohl Aluminium hierzu, da es das leichteste Metall ist, schwere Canülen aber leicht Decubitus erzeugen an jenen Stellen der Wunde, welche sie belasten. Damit die Canüle eine freiere Bewegung des Kopfes zulasse, ohne dabei me- chanisch an Wunde und Schleimhaut der trachea zu drücken und an letzterer Geschwürsbildung zu be- dingen, ist das Aussenrohr mit der Platte oder dem Schilde (Fig. 143 a) gelenkig verbunden, so dass die Be- Avegungen des Kopfes in dem Ge- lenke sich ausgleichen und das Rohr ruhig an seinem Platze verbleibt. Das Einführen der Canüle in die frische Wunde ist um so schwerer, je tiefer die gesetzte Oeffnung der Luftwege vom Niveau der Halsober- fläche absteht, je kleiner die Wund- öffnung relativ zum Umfange der Canüle ist und über je weniger Assistenz man jeweilig verfügt. Ohne Leitungsinstrumente Canülen ein- schieben zu wollen, ist nicht rathsam, namentlich nicht bei der tiefen Tra- cheotomie, da man hierbei sehr leicht den Weg verfehlen und die Canüle extratracheal einbohren könnte. Die einfachsten Leitungsinstrumente sind rechtwinkelig ge- krümmte, möglichst plattgehämmerte stumpfe Haken, welche die Wundränder abziehen und zwischen deren glatten Flächen die Canüle sicher gleiten kann. Zu ihrer Verwendung bedarf es aber der beiden Hände eines sachkundigen Gehilfen; entbehrt man ihrer, so legt man eigene Instrumente ein, welche Dilatatoren heissen, und führt die Canüle zwischen ihren aufgesperrten Branchen hindurch. Fig. 144 stellt den Dilatator von Lahorde dar; auch die schlanke, innen völlig glatte Lister^ ^che Drainzange eignet sich prachtvoll dazu. Bei der Laryngotomie und der hohen Tracheotomie kann die Canüle, wenn nur die Spaltränder gut abgezogen sind, eventuell auch ohne •eigenen Leiter eingeführt werden. Es mag hiefür je ein spitzer Haken seitlich von der Wunde in die Trachealwand eingesetzt — 479 — und damit die Spaltränder abgezogen werden, ohne dass in den Spalt selbst Instrumente kämen, welche immerhin die Weite der Oeffnung um die Dicke ihrer Branchen verringern. Bei solchem Verfahren gelingt die Einführung der Canüle am leichtesten durch eine drehende Bewegung. Man legt sie von der Seite her an die Wundöffnung, so dass die Richtung der Röhre zur Achse der Luftwege zunächst eine quere ist; während nun das Rohr langsam durch die Wundspalte eindringt, dreht man es allmälig um einen Viertelbogenkreis, bis das Schild der incisura sterni zusieht ; sodann erhebt man es langsam, wobei die gekrümmte Doppelröhre allmälig in die trachea gleitet. Benützt man Dilatatoren oder legt man Abziehhaken in die Wundspalte selbst ein, so kann die Canüle direct eingeschoben werden. Bei gelockertem Zustande der Schleim- haut sind letztere jedenfalls sicherer, indem beim freien Eindrehen der Canüle eine Ablösung des einen oder anderen Schleimhautrandes nicht unmöglich erscheint. Erweist sich die einmal gesetzte Wunde zur Aufnahme der Canüle zu klein, so kann sie entweder mit einem Knopfmesser zur Genüge erweitert oder, falls nur geringe Nachhilfe vonnöthen, stumpf Fig. 145. dilatirt werden. Ersteres Verfahren ist ent- schieden vorzuziehen und letzteres nur aus anatomischen Gründen zulässig, wenn nämlich dabei die Verletzung eines Gefässes oder der Schilddrüse zu befürchten stünde. Die ur- sprüngliche Anlegung einer weiten Luftröhren- spalte wäre zwar für die Einführung der Canüle bequem, hätte aber für den Kranken gewisse Nachtheile; so ein leichteres Ein- fliessen von Blut und von Wundsecreten in die Luftwege und umgekehrt von Tra- chealcontentis in die Wunde, ferner ein Einkrempen der durchschnittenen Tracheal- knorpel, woraus eine verzögerte Wundheilung und eine locale Verengerung der Luftröhre in späterer Zeit re- sultiren kann. Es ist demnach stets besser, die Wunde nur so gross anzulegen, als zur Einführung der Canüle eben genügt. Dies vor Augen, hat Krishaber am untersten Abschnitte des Innenrohres conisch zulaufende Canülen empfohlen, welche durch eine relativ kleinere Wunde eingeführt werden können, als cylindrische und namentlich dann recht zweckmässig sind, wenn im Verlaufe der Nachbehandlung ein Canülenwechsel wünschenswerth oder erforderlich wird (Fig. 145). Die einmal in die Luftwege eingebrachte Canüle wird am Halse mittelst Bänder gesichert, welche am Schilde anzu- bringen sind. Die Befestigung sei nie zu fest, sondern eben nur hin- reichend, um ein Herausrutschen der Doppelröhre aus der Wunde zu verhindern. Zwischen der Rückfläche der Schildes und der Wunde wird eine kleine, zur Hälfte eingeschnittene Compresse aus mehrfach zusammengelegter Jodoformgaze eingeschaltet, welche man durch den Schlitz auf die Canüle reiten lässt. Mangelt eine Canüle, so behilft man sich zeitweilig mit einem Stücke entsprechend dicken Drain- rohres oder elastischen Catheters. Einmal musste ich mich mit zwei — 480 — Fig. 14ß. gewöhnlichen Haarnadeln behelfen, deren gebogenen Tlieil ich haken- förmig krümmte und deren freie Enden durch Einbiegen so auf- stellte, dass ein Bändchen daran befestigt werden konnte. Eingelegt und im Nacken festgebunden, zogen diese improvisirten Haken die Trachealränder voneinander und hielten die Oeffnung offen, bis eine Canüle zur Hand war. Linhart hat ähnliche, eigens angefertigte Haken angegeben und empfohlen. h) Canülen dienen auch dazu, um die Luftröhre von innen her zu stützen, quasi zu schienen, sei es, dass letztere durch Geschwülste von aussen zusammengedrückt wird, welche man nicht entfernen oder deren Druck man auf andere Art nicht beseitigen kann, sei es, dass es sich um eine Knickung, Abplattung oder Erweichung der trachea nach der Kropfexstirpation handelt. Da hierzu eine viel längere Canüle erforderlich ist, indem es der Stütze auf einer längeren Strecke bedarf, andererseits ganz starre Canülen, ihrer Krümmung wegen, nicht eine bestimmte, für den angedeuteten Zweck ungenügende Länge übersteigen dürfen, weiche, elastische, aber keinen entsprechenden Halt geben könnten, so hat König die schon im früheren Capitel erwähnte und in Fig. 140 abgebil- dete Canüle erdacht, deren Wandungen zum Theile aus starrem Metalle, zum Theile aus spiralig gewundenem Silberbande ge- fertigt sind, wodurch dem Rohre, trotz der Starrheit und Unnachgiebigkeit seiner Wan- dungen, die zur Einführung nothwendige Beweglichkeit gegeben wird. Selbstverständ- lich können derartige Rohre nicht doppelt sein. c) Für jene Fälle, wobei die Eröffnung der Luftwege als Voract anderer Operationen ausgeführt wird, welche den Eintritt von Blut in die Luftröhre im Gefolge haben könnten, muss die Canüle deren Raum voll- ends ausfüllen, um sie von der Kehlkopfiiöhle abzuschliessen. Die Canüle muss mit einem Worte die Luftröhre tamponiren, weshalb sie dann auch Tamponcaniile genannt wird. Da eine einfache glatte Röhre nie so passend den Luftröhrenraum ausfüllen kann, um einen hermetischen Verschluss zu Stande zu bringen, so ist der unteren Abtheilung des Aussenrohres ein Gummimantel angemacht, welcher nach erfolgter Einführung so weit mit Luft gefüllt wird, als es noth- wendig erscheint, damit er den Raum zwischen Canüle und Luftröhren- wand genau ausfülle. Fig. HG zeigt die von Trendelenhurg angegebene Tamponcaniile. Soll die Luftröhrentamponade längere Zeit hindurch — etwa tagelang — in Permanenz bleiben, um der Aspiration septi- scher Secrete vorzubeugen oder um, bei vorhandener Schlucklähmung, den Eintritt von Speichel und flüssiger Nahrung in die Luftwege zu verhindern, so darf bei Verwendung der Tamponcanüle nicht Luft zum Aufblasen des Gummimantels verwendet werden, da die Luft sich schon nach wenigen Stunden durch Diffusion verliert und dadurch die Tamponade insufficient wird. Es ist dann rathsamer, — 481 — statt der Luft Wasser oder Glycerin zum Auftreiben des Gummi- mantels zu verwenden, weil diese Art Füllung wochenlang unver- ändert Stand hält. Entbelirt man einer Tamponcanüle, so behilft man sich mit einer directen Einführung von Tam^^ons in die Luftröhre, von der Tracheotomiewunde nach aufwärts und legt sodann eine ge- wöhnliche Athmungscanüle ein. Es dient hierzu ein Gummicondom, in den man ein Stückchen getrockneten Schwamm einlegt, der nachträg- lich durch Wasser einguss zur Aufquellung gebracht wird (Michael). Der Condom muss selbstverständlich an die Canüle gebunden werden, damit er sich nicht verschieben könne. Palmie verwendet einen in Jodoformgaze eingehüllten jodoformirten Pressschwamm, der zu einer Rolle zusammengelegt und mit starken Seidenfäden durchnäht wird. Damit die Pressschwammrolle in ihrem Lmern keine Lichtung habe, wird dieselbe durch einen Streifen des gleichen Materiales ausgefüllt. Diese Art Tampons sollen namentlich nach der Ausführung der tiefen Tracheotomie sich eignen, wogegen sie für das Gehäuse des Kehl- kopfes wegen des starken Druckes, den sie auf die Wandungen aus- üben, weniger verwerthbar sind. Hahn befestigt circulär an das Aussenrohr der Canüle einen gepressten jodoformirten Schwamm, während Michael wieder mehrere Stücke Drainrohr übereinander der Canüle anzieht und dadurch deren Wandstärke der Lichtung der Luftröhre passender gestaltet. Roser empfiehlt Jodoformtamponcanülen, welche folgendermassen hergerichtet Averden: um eine gewöhnliche silberne, ungefensterte Silbercanüle wickelt man einen etwa 2 Centi- meter breiten, 10 Centimeter langen Streifen aus gestärktem Organ- tin, welchen man früher mit Sublimatlösung angefeuchtet hat. Die Umwickelung des feuchten und daher klebenden Streifens beginnt an der Spitze der Aussencanüle und endet am Schilde. Der Ueberzug erreicht eine Dicke von IV2 bis 2 Millimeter und wird, so lange er noch feucht ist, dick mit Jodoformpulver bestaubt und eingerieben. Nach dem Eintrocknen verbleibt, innig auf der Canüle klebend und nicht abstreifbar, eine festhaftende jodoformimprägnirte Kruste. Ein- geführt und in der trachea belassen, quillt der starre Ueberzug durch Imbibition und bildet dann einen weichen, gut anschliessenden Polster. Wurde das Caliber der Canüle jeweilig entsprechend gewählt, so passt Canüle und Ueberzug so genau in die trachea, dass ein vollständiger Abschluss erfolgt. Eoser rühmt den Jodoformcanülen namhafte Vortheile nach; sie sollen gut vertragen werden, keinerlei Reiz oder Druck ausüben, die Luftröhre sicher tamponiren und das Einfliessen von Secreten aus dem larynx in die Bronchien verhindern. d) Endlich benützt man bei vorhandenen Narbenstricturen des larynx doppelarmige, sogenannte T-Canülen, wovon der eine Theil für den lar3''nx, der andere für die trachea berechnet ist und der Verbindungstheil beider durch die Tracheotomiewunde nach aussen ragt. Beim Anlegen wird jeder Theil getrennt eingeführt und beide erst in der Wunde vereinigt. Die T-Canüle von Dnptiis ist die hierzu am meisten verwendete. Die Wahl des Ortes, an dem die künstliche Eröffnung der Luft- wege am Halse vorgenommen werden soll, wird durch die specielle Indication bestimmt, daher eine rasche Musterung der Anzeigen un- entbehrlich erscheint. Bei Fremdkörpern in den Luftwegen muss zunächst V. Mose tig -M o o rhof: üandbuch il. chintrg. Technik. 4. Aull. 31 482 Fig. 147. unterschieden werden, ob sie im larynx stecken geblieben oder ob sie die Stimmritze passirt haben und in die Luftröhre gelangt sind. Ersterenfalls lagern sie, bei entsprechender Kleinheit, zumeist in den Morgagni sehen Taschen. Man kann sie oftmals auf laryngoskopischem Wege sehen und dann mit einer geeigneten Zange fassen und extra- hiren. Die in Fig. 147 abgebildete Larynxzange nach Cusco eignet sich dafür ganz vorzüglich. Gelingt die Entfernung auf diese Art nicht, so führt man bei Kindern die Crico-Tracheotomie aus und entfernt den Fremdkörper durch die klaffende Wunde, oder man schiebt ihn mit einem Catheter rücklings in die Mundhöhle hinauf. Die Frage, ob man nach Entfernung des Fremdkörpers noch eine Athmungscanüle einlegen soll oder nicht, kann nur aus dem Verhalten der La- rynxschleimhaut entschieden werden; hat beispielsweise der fremde Körper durch etwaige Unebenheiten seiner Oberfläche die Schleimhaut der MorgagnPschen Ta- schen verletzt, oder ist sie durch häufig- wiederholte Extractionsversuche stark in Mitleidenschaft gezogen worden, dann ist eine reactive entzündliche Schwellung der Larynxschleimhaut und folgeweise ein Oedem der Glottisbänder zu erwarten. In solchen Fällen pflegt man eine Canüle einzulegen, sie aber nur für die Dauer der Reaction zu belassen, durchschnittlich 3 bis 4 Tage. Ist keine Reaction zu be- fürchten, dann kann vom Einlegen einer Canüle vollends Umgang genommen und die Wunde dem Verschliessen überlassen werden. Hat der Fremdkörper 'die Stimm- ritze passirt und ist er in die trachea gelangt, allwo er entweder frei flottirt oder in einem bronchus eingekeilt liegt, so empfiehlt sich die Ausführung der Tracheotomie — superior oder inferior — mit weitem Schnitte. Nach eröffneter trachea und gut abgezogenen Wund- rändern wird der Fremdkörper, wenn er frei flottirt, zumeist durch einen Hustenstoss herausgeschleudert oder wenigstens in die Wunde gebracht, wo er dann gefasst und ausgezogen werden kann. Steckt der Fremdkörper in einem bronchus, so suche man ihn von der Trachealwunde aus zu entfernen, etwa durch eine geeignete Zange, oder falls er hohl wäre und einen Cylinder dar- stellen würde (Stück einer abgebrochenen Canülej, mittelst eines hakenförmig gebogenen Drahtes. Bei sonst intactem Kehlkopfinneren ist nach entferntem Fremdkörper das Einlegen einer Canüle vollends überflüssig und diese nur dann nothwendig, wenn der erste Extractions- versuch misslang und weitere in Aussicht genommen sind; die Canüle hätte dann nur den Zweck, die gesetzte Wunde für die ferneren Mani- pulationen offen zu erhalten, sie könnte also ebensogut durch Haken — 483 — ersetzt werden, die man am Nacken festbindet. Hat ein volnminöser weicher Körper, etwa ein Fleischklumpen, den aditus ad laryngem verlegt, so soll er mit dem Finger oder einer Zange rasch extrahirt werden; wäre er in die Stimmritze eingekeilt, so empfiehlt es sich, nach Czerny, den Kehlkopf von aussen her stark nach vorne zu ziehen, wodurch der Bissen gelockert werden soll. Nur Avenn der Verunglückte schon asphyktisch und kein noch so geringer Zeitverlust mehr zu- lässig ist, soll rasch zur Eröffnung der Luftwege geschritten werden. Das beste Verfahren ist dann die Lar^^ngotomie, weil sie am raschesten ausgeführt werden kann. Zu den Fremdkörpern, welche in die Luftwege eindringen und dortselbst durch ihr Verweilen Asphyxie bedingen können, lassen sich auch Flüssigkeiten zählen: Blut, Wasser, oder Serum und Schleim beim acuten Lungenödem (Huterj. Trotzdem dabei im Kehlkopfe oder in der trachea kein Hinderniss vorliegt, so nimmt man dennoch die Bronchotomie vor, um von der Wunde aus die Entleerung der Flüssig- keiten mittelst Aspiration vorzunehmen. Ob dafür die Larjaigotomie, ob Tracheotomie mit oder ohne Durchschneidung des Ringknorpels vorgenommen werden solle, entscheidet zumeist das Alter des Patienten und die Raschheit, mit der operirt werden muss. Unmittelbar nach Eröffnung der Luftwege wird sofort zur Aspiration geschritten. Um letztere wirksam zu gestalten, muss der Weg zwischen der Saugkraft und der zu entleerenden Flüssigkeit luftdicht abgeschlossen sein. Man aspirirt entweder mit der Saugkraft des eigenen oder eines fremden Mundes, oder man verwendet Saugspritzen, Gummiballons, kurz Fump- apparate. Bei Verwendung des Mundes kann dieser direct der Wunde aufgelegt werden, wobei die Lippen den hermetischen Abschluss be- sorgen; bei Verwendung von instrumentalen Saugern muss jener auf andere Weise erzielt werden. Es dient hierzu entweder die Tampon- canüle nach Trendelenlmrg, welche eine vollständige Ausfüllung der Luftröhre besorgt, oder der nach gleichen Principien wirkende „Lungencatheter" nach Passavanf. Das genannte Listrument besteht aus einer elastischen Röhre, welche etwas oberhalb ihrer Endmündung einen kleinen, von aussen her beliebig aufblasbaren Gummiballon mantelartig trägt. Die Wirkung ist jener einer Tamponcanüle analog und beruht der Unterschied, quoad aspirationem, wesentlich nur darin, dass man mit Passavant's Lungencatheter den hermetischen Ab- schluss in viel grösserer Tiefe, nämlich im bronchus, herzustellen vermag. Parker und Coidey Mnthy haben eigene Saugapparate ange- geben, welche, an der jeweiligen Trachealcanüle oder am Aussenende eines eingeführten Catheters angepasst, entweder den Mund des Operateurs durch eine Saugpumpe ersetzen, welche dem Po^aüt 'sehen Aspirateur nachgebildet ist, oder, wie das ParÄ-er'sche Instrument, zwar den Mund nicht entbehrlich machen, ihn aber vor etwaiger In- fection schützen. Hiefür ist der Aspirationsröhre aus Gummi ein Glas- gehäuse eingeschaltet, welches, mit carbolisirter Watte vollgefüllt, als Filter dient. Mit gewöhnlichen elastischen Stoff-, NelatorCschQu oder Jacques^ Patentcathetern, welche man durch die Trachealwunde in die Luftwege einschiebt, kann nicht gut aspirirt werden, weil dabei der luftdichte Abschluss maugelt, welcher nach physikalischen Gesetzen unentbehrlich ist. Sie könnten nur dann wirksam sein, wenn das 31* - 484 — Catheterende unter das Flüssii^keitsniveau gebracht würde, die Ein- führung derartiger Instrumente bezweckt daher zumeist nur die Ausübung eines mechanischen Reizes auf die Schleimhaut, um als Reflexbewegung Husten auszulösen, als eigentliche expulsorische Kraft Eine Hauptindication zur Eröffnung der Luftwege bilden ent- zündliche und geschwürige Processe im larynx, welche gefahrdrohende Stenose veranlassen, so Glottisödem, wenn Scarificationen der ge- schwellten ligamenta mucosa nicht ausführbar sind oder nicht die gewünschte Entlastung herbeiführen, Perichondritis mit Abscessbildung, wenn nicht mehr intralaryngeal vorgegangen werden kann, syphili- tische und tuberculose Geschwüre im larynx, am häufigsten Croup und Diphtheritis. Bei den letztgenannten Processen hat man die blutige Eröffnung durch den Catheterismus der Luftwege vom Munde aus er- setzen wollen, von der Ansicht ausgehend, dass man durch Einführung eines Rohres in die Stimmritze der Indication einer raschen Luft- zufuhr genügen könne. Die Idee ging von Frankreich aus und das Verfahren wurde „Tubage" genannt. Es besteht darin, dass man eine catheterförmige Röhre via oris in den Kehlkopfeingang bringt und sie dann durch die entzündlich verengte Stimmritze, welche das wesentlichste Athmungshinderniss abgibt, in den Anfang der Luft- röhre schiebt. Loiseau entfernt die eingeschobene Röhre nach einiger Zeit wieder, wenn der Lufthunger nachgelassen hat, und erhofft von dem temporären Drucke einen dauernden Nachlass der Schwellung; BoucJmt lässt die einmal eingelegte Röhre am Platze liegen, um Wieder- holungen der keinesfalls ganz leichten Einführung zur sparen und die Kranken vor einem Wiedereintritte der Asph.yxie zu sichern. Die zur Tubage dienende Röhre muss eine geeignete Krümmung besitzen, auf dass sie in den larynx gelange und nicht daran vorbei in den Oeso- phagus schlüpfe. Weinlechner hat hierzu ein eigenes Instrument ange- geben, im Nothfalle dient auch ein Stoffcatheter mit grossem seit- lichem Fenster oder besser noch, mit quer abgesetztem unteren Ende. Das Instrument wird entlang dem früher in die Mundhöhle einge- legten Zeigefinger eingeführt, welcher die Zunge niederdrückt und gleichzeitig mit seiner Spitze die epiglottis aufhebt und emporgerichtet hält. Man sucht mit dem Instrumente ihre Innenfläche zu gewinnen und gleitet an dieser in den Kehlkopf hinein. Das Einführen muss rasch und dabei mit Zartheit erfolgen, das Hinderniss der Stimm- bänder durch massigen constanten Druck überwunden werden. So bestechend und einfach auch die Tubage dünken möge, so hat die Erfahrung dennoch ihren Werth auf ein Minimum reducirt und gelehrt, dass sie nicht ohne Gefahren sei. Loiseau s Methode muss verworfen werden, da sie öftere Wiederholungen nothwendig macht. Bouchut's dauernde Tubage wird schwer vertragen und bewirkt leicht Geschwür- bildung der entzündeten Schleimhaut, theils direct als Decubitus- wirkung, theils indirect durch Einwanderung septischer Microben in die Schleimhautritzen, ohne welche es schwerlich abläuft. Endlich ist nicht zu vergessen, dass das Instrument die Croupmembranen even- tuell ablösen und vor sich her schieben kann, welche dann das Rohr- ende verlegen und den Erfolg annulliren können, oder Schleimpfröpfe und Theile von Croupmembranen, welche aus tieferen Regionen der Luftwege stammen, werden durch den Husten nach oben geschleudert 485 und verlegen gleichfalls das freie Ende des Rohres. O'Dicyer ver- wendet goldplattirte Metallröhren von l'Vi bis 21/2 Zoll zur Tubage; der obere Rand der für jede Altersstufe entsprechend calibrirten Röhren ist umgelegt und bestimmt, sich auf den falschen Stimm- bändern zu stützen; das untere Ende ist quer abgeschnitten und wird beim Einführen durch einen passenden Obturator abgerundet, welcher gleichzeitig zum Einführen des Rohres dient und nach gelungenem Einlegen rasch ausgezogen wird. Um bei verfehltem Einsetzen den tubus zurückziehen zu können, trägt dieser oben ein Oehr zur Durch- führung eines Fadens. Entfernt werden die Röhren durch ein eigenes Instrument, Extractor genannt (Fig. 148). Die Einbringung geschieht auf früher geschilderte Art; ist sie gelungen, so entfernt Fig. 14?. man unter Gegendrängen des tubus gegen die glottis den Faden und belässt das Röhr- chen in der trachea, bis die Erkrankung, welche die Tu- bage erforderte, beseitigt ist. Das eingelegte Rohr soll aus- nehmend gut vertragen, durch Schleim und Croupmembranen nicht häufig verlegt und auch durch Hustenstösse nicht herausgeschleudert werden; es reicht bis auf \'o Zoll Ent- fernung von der Bifurcation der trachea. Da der Tubus den Glottisverschluss hindert, so können Flüssigkeiten nur mittelst Schlundsonde einge- flösst werden. Das Heraus- nehmen der Röhre scheint oft schwierig zu sein und eine locale Anästhesirung mit Cocain nothwendig zu machen. Decubitusgefahr für die tra- chea besteht trotz langen Ver- weilens nicht, weil das Rohr beträchtlich enger ist als das Lumen der Luftröhre; ebenso wenig sollen die Stimmbänder leiden, trotz der Belastung. Das Verfahren wird Intubation des larynx genannt. Bei" entzündlicher Stenose des larynx wird die Eröffnung der Luftwege selbstverständlich stets unterhalb des Hindernisses ausge- führt: Glottisödeme, perichondritische Processe, Geschwüre gestatten in der Regel die Laryngotomie, indem der Krankheitsherd im Bezirke des Schildknorpelgehäuses beschränkt zu sein pflegt; anders wohl gestaltet sich die Sache bei Croup und Diphtheritis. Diese häufige Erkrankung hat, wenn sie in der Rachenhöhle beginnt, die Tendenz, sich centralwärts auszubreiten, und nie kann im vorhinein mit Sicherheit bestimmt werden, wie tief von der Stimmritze nach ab- wärts die Erkrankung bereits reiche. Da nun das Operiren in loco — 486 — morbi von sehr fatalen üblen Ereignissen begleitet sein kann, so soll man stets trachten, sich möglichst weit vom larynx zu halten. Bei Croup und Diphtheritis darf daher ausschliesslich nur tracheotomirt werden. Manche Chirurgen geben mit Recht der tiefen Tracheotomie den Vorzug. Scheut man die an jener Stelle des Halses sich entgegenstellenden Schwierigkeiten nicht, ist man in der Ausführung der Operation durch asph3dvtische Erscheinungen nicht sehr gedrängt und verfügt man über recht gute Behelfe, dann möge man immerhin die trachea unter- halb der Schilddrüse öffnen; sind die genannten Bedingungen aber nicht vorhanden, so wird es stets klüger sein, die Tracheotomia superior auszuführen. Nach Eröffnung der Luftröhre soll nicht sogleich die Athmungs- canüle eingeführt werden, sondern man warte bei weit offen ge- haltener Wunde ab, bis der erste Hustenparoxysmus abgelaufen, bis aller angesammelte Schleim und sonstiges Contentum herausgeschleudert worden ist. Stockt der Husten bei fortdauernder Stenose, so suche man das Hinderniss, wohl stets eine Croupmembran, mechanisch zu entfernen oder durch Kitzeln der Luftröhre mittelst eines Federbartes, eines dünnen elastischen Catheters etc. einen neuen Hustenanfall hervorzurufen. Biedert warnt davor, diese Reizvermittler durch drehende Bewegungen oder durch hastiges Scheuern wirken zu lassen, weil dabei Croupmembranen abgelöst und mechanisch nach abwärts ge- schoben werden könnten. Gleichzeitig wird künstliches Athmen unter- halten und damit nicht früher aufgehört, als bis die Respiration voll und regelmässig geworden ist. Hautreize kommen erst in zweiter Reihe, die Bethätigung und Unterhaltung der Athmung ist das Wesent- liche. Erst wenn der Patient sich vollends erholt hat und die Athmung sicher im Gange ist, schiebt man die Canüle ein und überlässt den Operirten gut überwacht der Ruhe. Langenhuch schiebt von der Tracheotomiewunde aus einen jodo- formirten Tampon nach oben in den larynx und führt dann erst die Canüle ein. Der kleine TamjDon besteht aus einem Stückchen mit Jodoformäther getränkter und in Jodoformpulver aufbewahrter Watte, um welches ein Seidenfaden mit herabhängenden Enden geknotet ist, dazu dienend, den eingeführten Tampon an die Canüle zu befestigen. Durch diese Methode will Langenhuch viel bessere Erfolge nach der Operation wegen Diphtheritis erfahren haben, als bei der Tracheotomie ohne Jodoformtamponade des larynx. Bei Lähmung der Glottiserweiterer, oder Krampf der Glottisschliesser bei Trismus eröffnet man zumeist das ligamentum conicum, bei Larynxstricturen und bei Neubildungen im Kehlkopfe bevorzugt man die Tracheotomia superior, um nicht in den Bereich der Erkrankung zu kommen, bei Compression der trachea von aussen und nicht ander- weitig beseitigbarer Ursache wird wohl in der Regel die Eröffnung der Luftwege oberhalb des Hindernisses gemacht werden müssen, worauf durch Einführung einer König^Bohen Canüle der Belastung der trachea entgegengearbeitet wird. Sitzt das Hinderniss in solcher Höhe, dass unterhalb desselben noch Zugänglichkeit erübrigt, so wird selbstverständlich unter allen Umständen die Tracheotomia inferior vollzogen. Zum Tamponiren der Luftröhre eröffnet maii diese zumeist — 4S7 — unterhalb des intact belassenen Ringknorpels, seltener unterhalb des isthmus der Schilddrüse. Als üble Ereignisse während einer Tracheotomie gelten: a) Blutung. Ob arteriell, ob venös, stets ist sie durch Abklem- mungen der betreffenden Gefässe sicher und gänzlich zu stillen, bevor die eigentliche Eröffnung des Luftrohres erfolgt. Es ist wohl richtig, dass die Herstellung normaler Athmung die venöse Blutfülle am sichersten ausgleicht und damit die venöse Blutung auch von selbst aufhört, allein die grosse Gefahr liegt im Hineiufliessen des Blutes in die geöffneten Luftwege, bevor die Athmung sich regelt, wodurch die bestehende Asphyxie nur noch gesteigert und der Zweck der Operation vereitelt wird. Nur drohender Erstickungstod kann den Operateur bewegen, die Luftwege rasch zu öffnen, noch bevor die Blutung gänzlich gestillt ist, selbst unter Gefahr, dass etwas Blut einf Hesse; es bleibt eben dann keine Wahl übrig. Daraus geht aber die Warnung hervor, bei der Xothwendigkeit, eine Tracheotomie mit grösster Schnelligkeit ausführen zu müssen, stets solche Stellen zu wählen, an denen, anatomischen Regeln zufolge, keine grossen Ge- fässe und keine blutreichen Gewebe vorliegen, selbst wenn man bei grösserer Müsse besser anderswo operiren würde. Ist man gezwungen, die Luftwege zu öffnen, bevor die Blutung gänzlich gestillt ist, so lege man wenigstens einige Pincetten rasch an die blutenden Stellen, ohne erst A'iel nachzusehen, was und wie viel man gefasst, und mache den Eröffnungsschnitt nur so gross, dass die Canüle, welche sofort einzuführen ist, die Wunde möglichst ausfülle. Nach erfolgter Ein- lagerung wird dann die Wunde in der ganzen Umgebung der Canüle fest tamponirt. h) Fortdauer der Asphyxie. Die Gründe dafür können gelegen sein: a) In der Narcose, falls diese dem operativen Acte vorangeschickt wurde. Im Allgemeinen gilt es als Regel, Tracheotomiecandidaten nur dann zu narcotisiren, wenn sie bei vollem Bewusstsein sind und das Athmen noch relativ gut von statten geht. Bei bestehender Cya- nose und schwerem Athem ist das Bewusstsein in der Regel nicht mehr ganz frei und eine Narcose demnach zwecklos, zeitraubend und ge- fährlich. /3) Die Eröffnung der trachea geschah unvollständig, inso- fern als die gelockerte Schleimhaut nicht durchschnitten, sondern gegen die Lichtung der Luftröhre vorgebaucht und der hinteren Wand zugedrängt wurde. Beeilt sich der Operateur dabei noch mit dem Einführen der Canüle, so kann diese die Schleimhaut in weitem Umfange von ihrer Unterlage losmachen und sich prämucös lagern. y) Die Schleimhaut ist zwar miteröffnet worden, aber eine dem Ope- rationsplanum aufliegende Croupmembrane wurde durch das Messer Aveggedrängt und verlegt nun die trachea. Die Vorbauchung der un- durchschnittenen Schleimhaut mag in der Regel die Erstickung des Operirten zm^ Folge haben, weil diese eintreten wird, bevor der Ope- rateur zur richtigen Erkenntniss des Fehlers gelangt und im Stande ist, Abhilfe zu schaffen, welche nur im Vorziehen der invertirten Schleimhaut mit Pincette oder spitzem Haken und rascher Spaltung bestehen kann. Daher die Regeln: die trachea mit scharf gespitztem Bistouri durch rasches Einstechen zu öffnen und auf das Heraus- zischen von Luft zu achten, ferner das einmal eingestochene Messer — 488 — nicht gleich wieder herauszuziehen, sondern es ruhig- in der Luftröhre zu belassen, um dann sofort die Erweiterung des Schnittes bis zur nöthigen Länge auszuführen. Bei Verdrängung einer Croupmembran ist die Asphyxie wohl nie so complet, da erstere ihrer Lockerheit wegen immer an einer oder der anderen Stelle während des Abhebens einreisst. Bei solchem Ereignisse sucht man die abgelöste Membran mit einer Pincette zu fassen und herauszuziehen, oder man zerstört sie mit einem Catheter, einer Federspule, und löst damit zugleich Hustenbewegungen aus, welche die Elimination besorgen. Vorzeitiges Einschieben einer Athmungscanüle ist zu meiden, da ein solches Vor- gehen die Sache nur noch schlimmer gestalten würde, d) Eintritt von Blut in die trachea macht die Aspiration erforderlich, Ist wegen Croup oder Diphtheritis operirt Avorden, so möge sie durch Saugapparate erfolgen und nicht mit dem Munde, um einer Infection des Aspiriren- den vorzubeugen, falls nicht Parker's Aspirationsröhre zur Hand wäre, b) Die Fortdauer der Asphyxie in Folge entschwindender Lebenskraft macht die Anwendung unentwegt fortgesetzter künstlicher Athmung in erster und aller übrigen Wiederbelebungsmittel in zweiter Reihe insolange zur Pflicht, als nicht die Zeichen des eingetretenen Todes zweifellos eingelegt haben. Als grobe Operationsfehler sind zu erachten: a) Die seitliche oder schräge Eröffnung der trachea. Das Verlassen der Medianlinie bringt Verlegenheiten beim Einlegen der Canüle. Diese kann dabei nicht ganz eingeführt werden, sondern muss bei starker Verdrängung der gleichseitigen Deckschichten grossentheils aus der Wunde vorragend belassen werden, um mit ihrem unteren Rande nicht Decubitus der Tracheaischleimhaut zu erregen, h) Die Mitverletzung der hinteren Trachealwand, wobei entweder nur die Schleimhaut eingeritzt oder gar der Oesophagus miteröffnet wird. Bisher mag es dazu nur bei der einzeitigen Operation mit Laryngotomen gekommen sein; auch ein Verfehlen der Luftröhre ist dabei, wie schon erwähnt, nicht undenkbar. Nach gelungener Operation muss die Athmungscanüle so lange in der Wunde belassen werden, bis das Causalmoment der Larynx- stenose dauernd behoben ist. Es ist wohl klar, dass die unmittelbar nach der Operation eingelegte Canüle nicht wochenlang ununter- brochen am Platze belassen, sondern schon aus Reinlichkeitsgründen gewechselt werden soll. Dennoch vermeidet man es, während der ersten drei bis fünf Tage ohne zwingende Nothwendigkeit die Gesammtcanüle zu entfernen und beschränkt sich während dieser Zeit auf das Heraus- ziehen, Reinigen und Wiedereinlegen des Innenrohres der Doppel- canüle, während das Aussenrohr ungestört am Platze verbleibt. Nach dieser Zeit wird aber, namentlich bei Croup, auch die Entfernung und Reinigung der Aussencanüle wünschenswert!!, da Schleim und Membranfetzen an ihrer Aussenfläche und ihrem Unterrande sich lagern, dortselbst zu Krusten eintrocknen und das Athmen behindern. Die Gesammtcanüle zu entfernen ist leicht, sie wieder einzulegen um so schwerer, an einer je tieferen Stelle man tracheotomirt hat und je frühzeitiger man den Canülenwechsel vornimmt. Sind nämlich die Deckschichten noch nicht gegenseitig durch plastische Verklebung und beginnende Granulationsbildung verbunden, so ist der Weg, den — 489 — die Canüle durchwandern muss, um wieder eingeführt zu werden, noch nicht eben und geglättet, und dann verfängt sie sich leicht. Wäre man aus irgend einem Anlasse vor dem dritten Tage zur tem- porären Entfernung der Gesammtcanüle gezwungen, so ist es stets gerathen, die Wiedereinführung auf Leitinstrumenten vorzunehmen: Haken oder Dilatatoren. Nach der benannten Zeit bedarf es ihrer nicht mehr. Bei voller, üppiger Granulation in späterer Zeit ver- engert sich die Wunde nach entnommener Canüle oft rasch, und das Wiedereinlegen cylindrischer Canülen macht dann dem Operateur etwas Mühe, bereitet dem Kranken Schmerz und ruft durch ober- flächliche Verletzung der Granulation kleine Blutungen hervor. Für derlei Fälle eignen sich besonders die in Fig. 145 dargestellten Doppelcanülen nach Krishaher, weil sie, der conischen Form der Innen- canüle wegen, viel leichter und bequemer einzuführen sind; auch die Eoser-Lissarcr sehen geknöpften Canülen eignen sich dafür. Sobald das Causalleiden behoben ist, beeile man sich, die Canüle vollends zu entfernen, damit die Trachealwiinde sich schliessen könne. Wann dieser Moment gekommen ist, lässt sich auf laryngoskopischem Wege nicht immer entscheiden, denn die Erfahrung lehrt, dass, wenn der Befund dabei auch ein vollends negativer ist und alles ad normam reducirt erscheint, der Kranke dennoch nach entfernter Canüle und verlegter Wunde nicht gleich frei zu athmen vermag. Er muss sich vielmehr allmälig erst daran gewöhnen, auf normalem Wege zu athmen, und hierzu ist die, wenigstens unterbrochene Belassung der Canüle noch nothwendig, da sonst die Wunde allzu rasch sich verengert und schliesst. Für die Dauer dieser Uebungszeit bedarf es nur des äusseren gefensterten Rohres einer Doppelcanüle, deren Ausmündung man verstopft, so dass der Patient gezwungen wird, durch den Mund zu athmen und die Luft durch das Fenster der Canüle streicht. Berard hat hiefür Canülen mit Klappenventilen ersonnen, welche nur das Athmen durch den Mund gestatten. Erst wenn der Kranke, trotz der aussen geschlossenen Canüle, durch viele Stunden ohne wesentliche Beklemmung zu athmen vermag, wird sie definitiv weggelassen. Häufiger geben diphtheritische Lähmungen und Granulome die positive Ursache dafür ab, dass die Kranken ohne Canüle nicht zu athmen vermögen, trotzdem das ursprüngliche Causalleiden gänz- lich beseitigt ist. Granulome bilden sich des Häufigsten am oberen Rande der Wundöffnung und wuchern kolben- oder zapfenartig in das Innere der Luftwege; seltener bilden sie sich aus diphtheritischen Ulcerationen oder aus Decubitusgeschwüren im Innern der trachea. Sie können je nach ihrer Grösse hochgradige Athemnoth, ja Er- stickungsgefahr bedingen, sobald die Canüle entfernt wird, da sie von der einströmenden Luft ventilartig gegen das Lumen der trachea gedrückt werden. Man kann diese Gebilde entweder auf laryngo- skopischem Wege oder nach Entfernung der Canüle durch die Wunde direct sehen und deren Sitz bestimmen. Entspringen sie dem oberen Wundrande, so lassen sie sich leicht erreichen und dann entfernen, sei es durch Abreissen (scharfer Löffel), Abschneiden oder Abätzen (Chromsäure). Gelingt dies nicht, so muss an tieferer Stelle frisch tracheotomirt werden, worauf man nach Einlegung einer Tampon- canüle die Spaltung der Luftwege von der alten Wunde aus vor- — 4'JO — nimmt, bis die entsprechende Ziigännlichkeit zur Entferniin<];' des rrnuiulom ueschaffen ist. An der unteren Umrandung der Wund- öffnung bilden sich keine Granulome, da der Druck der Canüle jede Gewebswucherung hindert, dafür entstehen dortselbst durch stärkere Belastung oder mechanischen Druck (daher leichte Canülen und be- wegliche Schilder) Decubitusgeschwüre, welche zu Knorpelnecrose und, falls stärkere Gefässe in der Nähe sind (arcus thyreoideus superior, anonyma, carotis sinistra, wenn anomalerweise entspringend) diese arrodiren und zu gefährlichen, ja tödtlichen Blutungen Veran- lassung geben können. Manchmal wird auch durch den Druck des Canülenendes auf die Schleimhaut der trachea locale Nocrose mit Gesell würsbildung und consecutiver Blutung hervorgerufen. Organi- sche Verengerungen der Luftwege oberhalb der Eröffnungsstelle machen die Entfernung der Canüle nur unter der Voraussetzung- möglich, dass vorgängig die Verengerung behoben worden sei, wo- für Dilatation oder gar eine Resection der defecten Trachealpartie mit folgender Naht in Betracht kommen. Wenn auch selten, so kommt es dennoch vor, dass nach dauernd entfernter Canüle die Trachealwunde nicht vollends zum Verschlusse gelangt, sondern eine Lippenfistel zurückbleibt, id est ein mehr minder enger Canal, dessen Wandung mit Schleimhaut überkleidet ist. Diese Schleimhaut setzt ohne Unterbrechung in die Tracheal- mucosa über. Die Heilung solcher, insbesondere die Phonation be- einträchtigenden Trachealfisteln erfordert complicirtere Operations- verfahren. Nur wenn der Gang sehr enge ist, kann versucht werden, durch Cauterisationen mit der Glühnadel allein, oder mit einer nach- träglichen Schnürnaht (Dieffenhach) des granulirenden Canals com- binirt, den Narbenverschluss zu erzwingen. Wenn man glauben würde, dass bei weiteren Fisteln oder nach Misslingen der Cauterisation das sicherste Heilmittel etwa in einer Anfrischung der Fistel und einer genau ausgeführten Verschlussnaht gegeben sei, so wäre man auf falscher Bahn. Weitere Fisteln erlauben kaum einen präcisen Naht- verschluss, da die Trachealknorpel, welche durch bleibende Diastase oder durch Substanzverluste in Folge von Necrose das Entstehen und den Bestand der Fistel herbeiführten, sich entweder nicht bis zur gegenseitigen Berührung nähern lassen oder mindestens einen stär- keren Widerstand leisten und dadurch die Spannung der vernähten Wundränder so stark gestalten, dass die prima reunio vereitelt wird. Auch dürfte man weitere Fistelgänge kaum dem Verfahren der ein- fachen Anfrischung und Naht unterziehen, ohne im Falle des sehr fraglichen Gelingens eine locale Verengerung des Tracheairohres be- fürchten zu müssen. Eine Vernähung der wundgemachten Hautränder allein, ohne Einbeziehung des knorpeligen Antheiles, würde aber aus dem Grunde keinen Bestand haben können, weil sich nach der ober- flächlichen Verlegung Hautemphysem einstellen müsste, welches den organischen Verschluss vereiteln würde. Das einzig rationelle Ver- fahren besteht in der nach Hüter ausgeführten Bronchoplastik, weil es alle Bedingungen zur Heilung in sich birgt und jede Verengerung der Luftröhre aus dem Grunde ausschliesst, weil die Knorpelringe dabei ausser Spiel bleiben. Es besteht in Folgendem: man um- schneidet die Trachealfistel bis zum Niveau der Knorpel, nicht tiefer. — 491 — so dass der Uebergang der Fistelschleimhaut in die Trachealschleim- haiit unverletzt bleibt, stülpt hierauf den umschnittenen Ring nach einwärts, vernäht dessen Wundränder auf das genaueste mit Catgut und schliesst derart das Schleimhautrohr der trachea ohne jede Spannung hermetisch ab. Nunmehr ist ein Luftaustritt nicht mehr möglich und kann die äussere, mehr minder elliptische Wunde durch Haut gedeckt werden, welche man in Form von Brücken- oder ge- stielten Lappen der Umgebung entnimmt. Jacobson heilte eine Tracheal- fistel dadurch, dass er die Haut der Umgebung durch seitliches Ver- schieben so weit medianwärts verstellen Hess, bis die zwei Hautfalten in der Mediane oberhalb der Fistelausmündung zur gegenseitigen Berührung kamen. Die beiden Hauptduplicaturen wurden nun zu- nächst durch drei metallene horizontal gestellte Matratzennähte in verschobener Stellung fixirt, hierauf die wechselseitig zukehrenden Epidermisflächen oberflächlich angefrischt, so dass die Schnitte nur die Haut allein trafen, ohne das subcutane Zellgewebe irgendwo blosszulegen, und schliesslich die streifenförmigen Hautwundflächen durch oberflächliche Nähte genau vereinigt. Zwischen dem 5. und 9. Tage wurden die Nähte entfernt und die Haut durch quergeführte Heftpflasterstreifen gestützt. Nicht mehr verschliessbare Substanz- verluste der vorderen Trachealwand können, falls eine Resection der trachea nicht versucht werden oder versagen sollte, nur dadurch erträglich gemacht werden, dass die Kranken zeitlebens Canülen tragen, welche gefenstert sind und im Schilde Ventilvorrichtungen besitzen, die wohl das Einathmen gestatten, beim Ausathmen aber sich schliessen und die Luft zwingen, durch den larynx zu streichen. C. Laryngofission. Unter dieser Bezeichnung begreift man die Eröffnung des Schildknorpelgehäuses durch Spaltung der vorderen Verbindung beider Schildknorpel im vorspringenden Winkel des pomum Adami. Diese Operation, schon von Desanlt empfohlen, erkennt mehrfache Anzeigen : vor Allem im Kehlkopfinneren befindliche und dortselbst fixirte Fremdkörper, welche weder auf laryngoskopischem Wege entfernt werden können, noch auch dadurch, dass man nach vorgängiger Eröffnung der Luftwege unterhalb des Schildknorpel- gehäuses durch einen gekrümmten Catheter versucht, sie von der Wunde aus rücklings in die Mundhöhle retour zu befördern. Wagner u. A. wollen die Laryngofission bei Verletzungen der Kehlkopfsknorpel ausgeführt wissen, theils um Eindrücke und Verschiebungen zurecht- zustellen, theils um bei gleichzeitigem Bestände von Wunden der Schleimhaut den Gesetzen der Antisepsis gerecht zu werden. Als fernere Indication gelten organische Verengerungen des Kehlkopf- inneren und dortselbst sässige Neubildungen, insbesondere solche benigner Natur (Papillome). Narbenstricturen und Neoplasmen geben die Anzeige natürlich nur dann, wenn beiden auf laryngoskopischem Wege, sei es ohne, sei es mit vorgängiger Tracheotomie nicht beizu- kommen ist. Da die Stimmbänder ihre vorderen Insertionen im angulus anterior der Schildknorpel finden, dieser aber bei der Operation temporär gespalten wird, so kann daraus entnommen werden, wie wichtig es für die Integrität der Stimme sei, nach erfüllter Indication dafür zu sorgen, dass die Wiedervereinigung der Schildknorpelplatten — 492 — ohne jede Verschiebung erfolge. Da nun letztere wieder davon ab- hängig ist, ob das Gehäuse ganz gespalten wird, oder vielleicht der obere Randtheil intact erhalten werden kann (partielle Laryngofission), ob die Verbindung der Schildknorpel mit dem ligamentum thyreo- cricoideum und thyreo-hyoideum medium erhalten wird oder nicht, und letzterenfalls in welcher Ausdehnung die Trennung erfolgt, so resultirt das Gesetz : die Spaltung jeweilig nur in jenem Umfange, und die Ablösung der Bänder nur in jener Ausdehnung vorzunehmen, als zur Zweckerfüllung unumgänglich nothwendig ist. Der Laryngo- fission wird stets und immer die Tracheotomie vorangeschickt, sei es unmittelbar, sei es einige Zeit vorher, je nach der vorliegenden Indication, einerseits um dem Kranken während der Operation das freie Athmen zu sichern, andererseits um durch Einlage einer Tam- poncanüle das Einfliessen von Blut aus dem Operationsplanum in die trachea zu verhindern. Sollte man einer Tamponcanüle entbehren, so kann man dem Mangel dieser, ausser durch die früher erwähnten Surrogate nach Michael und Hahn noch auf zweifache Art abhelfen : a) Es wird eine gewöhnliche möglichst passende Athmungscanüle eingelegt, die Spaltung vollführt und, bevor man zur Besorgung der eigentlichen Indication schreitet, zu deren Vollzug die Laryngofission nur den Vor- act darstellt, rasch von der aufgeklappten Spalte aus der Theil der Luftwege oberhalb der Canüle mit kleinen Schwämmen (v. Nnssbaum) oder gekrüllter Jodoformgaze tamponirt. ß) Das zweite Verfahren be- steht darin, dass man nach eingelegter Athmungscanüle den Ober- körper des Kranken in eine schräge, dem Kopfe zu abfallende Richtung dadurch bringt, dass man dem horizontal gelagerten Kranken einen hohen Keilpolster unter den Rücken schiebt, Maas empfiehlt diese Körperlage, welche er als „halbe itose'sche" bezeichnet, weil dabei der Kopf des Operirten den tiefsten Punkt des Oberkörpers darstellt, ohne deshalb hängend zu sein, und dadurch das Blut ver- hindert wird, in die unteren Luftwege einzudringen; ebenso gut könnte aber auch bei hängendem Kopfe operirt werden. Selbst- verständlich wird dabei der Kranke narcotisirt, und zwar durch die Trachealcanüle. Die Haut wird entlang des Kehlkopf vorsprunges strenge in der Mediane gespalten, vom oberen Winkel bis zum Ringknorpel und mit ihr die fascia colli superficialis durchschnitten, worauf die beider- seitigen Muskelgruppen auseinander weichen. Unter der dünnen lamina media trennt man hierauf, knapp unterhalb der incisura inferior, das ligamentum conicum sammt der Schleimhaut in möglichst geringer Ausbreitung der Quere nach und eröffnet damit das Innere des Kehlkopfgehäuses. In die gesetzte Lücke wird nun das Instrument eingeführt, welches die Spaltung der vorderen Commissur besorgen soll: bei jüngeren Individuen ein geknöpftes Bistouri, bei bejahrten Subjecten, an denen eine Verknöcherung der Schildknorpel schon platzgegriffen, eine starke stumpf abgesetzte Schere, eventuell eine Knochenschere. Bistouriklinge oder Scherenblatt werden intra- laryngeal durch die Stimmritze bis zur epiglottis hinaufgeführt und nun durch sägende Züge, beziehungsweise durch Schluss der Schere die Commissur entweder ganz durchtrennt oder nur zum grössten Theile mit intacter Belassung der incisura* superior. Derlei — 493 — partielle Laryngofissioiien siud nur bei jüngeren Subjecten möglich, da die vollends elastischen Knorpel eine Diastasirung ihrer Ränder gestatten, auch wenn die Verbindung der oberen Randtheile undurch- trennt bleibt; bei verknöchertem oder doch weniger elastischem Kehlkopfe ist die Durchschneidung der Commissur in ihrer Gesammt- länge nothwendig, ja selbst noch eine quere Ablösung des ligamen- tum thyreo-hyoideum erforderlich, um eine Aufklappung zu ermög- lichen. Würde man bei bestehender Verknöcherung die Trennung der Commissur mit einer Stichsäge ausführen wollen statt mit der Knochenschere, so müsste der Einführung der Stichsäge die Durch- schneidung der Schleimhaut am Innenwinkel der Commissur voran- geschickt werden. Das Aufklappen der Schildknorpel erfolgt mit starken spitzen Doppelhaken, die man in beide Wundflächen einsetzt. Längstrennung des ligamentum conicum als Ersatz für die kurze Querspaltung ist, der Verletzung der arteria crico-thyroidea wegen weniger zu empfehlen, obgleich sie sonst einfacher und auch zweck- mässiger wäre. Ist die Aufklappung in genügender Weise gelungen, so schreitet man je nach vorhandener Anzeige: zur Extraction des Fremdkörpers, zur Aufrichtung der eingebrochenen Knorpelwand, zur Spaltung oder Excision der Narbenstränge, zur Entfernung des Neugebildes, alles unter möglichster Schonung der chordae vocales. Nach gestillter Blutung, besorgter Antisepsis, nach etwaiger Einlage von Dilatationsröhren in die durchschnittene Narbenmasse replacirt man die temporär diastasirten Kehlkopf knorpel in möglichst normaler Stellung zu einander und legt einige Catgutnähte durch das Peri- chondrium an, oder entrathet ihrer und vereinigt nur die Haut, da ja die Trachealcanüle bis zum organischen Verschlusse des Kehlkopf- gehäuses an Ort und Stelle verbleibt und demnach das Auftreten von Hautemphysem nicht zu besorgen ist. Das Trennen der Haut durch T-Schnitte, wobei man dem Medianschnitte einen Querschnitt entlang dem margo superior anfügt, dürfte seltener und nur dann nothwendig werden, wenn durch den Medianschnitt allein ein ge- nügendes Aufklappen nicht ermöglicht wurde. Hätte man die trachea nicht nach Trendelenhurg, sondern mit gewöhnlicher Canüle, nach V. Nusshaum, tamponirt, so müssten vor dem Larynxverschlusse die eingelegten Schwämme oder Gazebauschen entfernt werden. Wie man einer längeren Tamponade auch bei einfacher Canüle gerecht werden könne, wurde früher schon erwähnt. Neubildungen oder Stricturen können aucli ein längeres Offenbleiben des larjaix wünschenswerth oder nothwendig machen. IL EXstirpation des Kehlkopfes. Diese, zuerst 1866 von Watson aus- geführte, aber erst 1873 durch Billroth in die Chirurgie eingebürgerte Operation besteht in der totalen oder unilateralen Entfernung des Kehlkopfgehäuses. Wohl die häufigste, wenn nicht einzige Anzeige zu diesem ernsten Eingriffe geben bösartige Neubildungen (Carcinome und Sarcome), welche primär im Kehlkopfinneren ihren Sitz nehmen. Ob man unilateral oder bilateral excidiren soll, ob die epiglottis gleichzeitig mitzuentfernen sei und wie weit der trachea zu man die — 494 — Operation auszudehnen habe, entscheidet die Ausbreitung, welche das Neugebilde im speciellen Falle bereits erlangte. Es wird unilateral exstirpirt : 1. Wenn das Neugebilde das Gebiet einer cartilago thy- reoidea, also die Medianebene nicht überschritten hat, sonach die eine Hälfte des Kehlkopfgehäuses noch vollends intact sich erweist. 2. Bei unilateral ansässigen Papillomen, welche durch Laryngofission nicht complet entfernt werden können. .^. Bei Narbenstricturen, welche milderen Verfahren liartnäckigen Widerstand leisten. Hat das bösartige Neugebilde die Medianebene des Kehlkopfes überschritten, so ist stets die totale Excision indicirt, selbst wenn ein Theil des Kehlkopfinneren noch frei wäre. Gegenangezeigt ist der Eingriff, wenn das Neugebilde schon die Knorpelwände durchbrochen hat und in die Umgebung hineingewuchert ist. Das Verhalten des Operateurs zur epiglottis ist gleichfalls von der Ausbreitung des Neoplasma be- dingt; findet man sie noch intact, so wird sie am Platze belassen, beim geringsten Zweifel aber mitentfernt. Die Bedeutung des Kehl- deckels für den Schlingact ist nicht so gar gross; Operirte, denen die epiglottis mit dem Kehlkopfe ausgeschnitten wurde, bewiesen, dass man auch ohne Schlussdeckel anstandslos schlingen könne. Auch die Erhaltung oder Nichterhaltung des Ringknorpels ist von der Aus- breitung des Leidens abhängig. Zwar will Hahn den Ringknorpel ganz oder zur Hälfte, je nachdem unilateral oder bilateral ectomirt wird, unter allen Verhältnissen entfernt wissen, selbst wenn die stricte Nothwendigkeit dafür nicht vorläge, angeblich weil der restirende Ringknorpel später das Schlingen behindere ; andere Chirurgen behaupten aber das Gegentheil, ja pointiren sogar den Vortheil der Erhaltung des Ringknorpels mit der Behauptung, dass er das spätere Einlegen der Phonationscanülen wesentlich erleichtere. Im Falle der Nothwendigkeit müssten nicht nur der Ringknorpel, sondern auch die nächsten Tracheairinge entfernt und nach oben zu selbst die Grenzen des Zungenbeines überschritten werden. Salis-Cohen beobachtete an exstirpirten Kehlköpfen, dass die der vorderen Medianlinie benachbarten Schildknorpeltheile auch bei aus- gedehnten Carcinomen des larynx sehr lange gesund bleiben, und schlug darum vor, auf jeder Seite der Mittellinie eine 0*6 Centimeter breite Spange der cartilago thyreoidea zu erhalten, angebUch weil die Resultate in Bezug auf Function, Degiutition und Einlegung der Phonationscanüle viel bessere sein sollen. Der Kehlkopfexstirpation wird in der Regel die Tracheotomie vorausgeschickt; die suprathyreoidea, wenn man sicher ist, die Grenze des Ringknorpels nicht überschreiten zu müssen, die infrathyreoidea im entgegengesetzten Falle. Der Grund für die präliminare Tracheo- tomie mit nachfolgender Tamponade, oder für die i?ose'sche Lagerung dürfte aus dem Früheren bekannt sein, nur Bottini glaubt des vor- gängigen Luftröhrenschnittes entrathen zu dürfen, wenn die Exstir- pation auf galvanocaustischem Wege ausgeführt wird, wobei jeder Blutung gesteuert und die Operation zu einer unblutigen gestaltet wird. Da jedoch die meisten Chirurgen dem Messer den Vorzug geben, so wird die Vornahme der Tracheotomie als Voract der Kehl- kopfexstirpation vorläufig als Regel gelten. Es handelt sich also nur lim die Frage : wann tracheotomirt werden solle, ' ob gleichsam in — 495 — einem Tempo mit der Exstirpation oder einige Zeit vorher. Die Wahl ist nicht immer freigegeben; oft erfordert eine bestehende Laryngo- stenose die sofortige Ausführung der Traclieotomie, um den Kranken vor der Asphyxie zu retten, zu einer Zeit und unter Bedingungen, welche eine gleich nachfolgende Ectomie des larynx nicht zulassen. Wenn dies aber nicht der Fall ist, so steht dem Chirurgen allerdings die Wahl frei. r. Bergmann räth, die Tracheotomie der Exstirpation unmittelbar vorauszuschicken, angeblich weil nach einer längeren Zwischenpause zwischen beiden, in Folge der bindegewebigen Ver- wachsungen, die sich in der Umgebung der Trachealwunde etabliren, die correcte und leichte Ausschälung des larynx erschwert werden soll. Andere Chirurgen behaupten das Gegentheil und glauben gerade in den bindegewebigen Verwachsungen das beste Mittel zu erblicken, um der nach erfolgter querer Abtrennung des larynx nothwendig resultirenden Retraction der trachea gegen den thorax vorzubeugen. Würde man v. Bergmann s Rathe folgen, so müsste der Retraction der trachea nach der Totalexstirpation dadurch vorgebeugt werden, dass man den Trachealrand jederseits in entsprechender Höhe an die äussere Haut heftet; bei schon organisch fixirter trachea entfällt diese Nothwendigkeit. Der Totalexstirpation des larynx kann entweder die Spaltung der vorderen Commissur vorausgeschickt oder diese unterlassen werden. Sind die Grenzen des Neugebildes nicht mit Sicherheit auf laryngoskopischem Wege bestimmt worden, so dürfte es wohl am gerathensten sein, der Exstirpation die Laryngofission vorauszuschicken, um ein klares Bild des Ausbreitungsgebietes zu bekommen und danach den Operationsplan bestimmen zu können. Bei unilateraler Ectomie ist natürlich die Spaltung unerlässlich, nur wird dabei zu empfehlen sein, die Fission wenn möglich nicht in der Commissur selbst, sondern etwas der kranken Seite zu vorzunehmen, um die vordere Anheftung des erhalten bleibenden Stimmbandes ja sicher zu schonen und intact zu erhalten. Die Arterien, welche bei der Exstirpation des Kehlkopfes in Betracht kommen, sind: a) die laryngea superior; sie liegt nach aussen von der Mittellinie unterhalb des musculus thyreo-hj-oideus und durchbohrt das ligamentum thyreo- hyoideum ziemlich nahe dem oberen Rande des Schildknorpels. h) Die arteria crico-thja'eoidea verläuft von oben kommend in schräger Richtung oberhalb des musculus constrictor pharyngis inferior und des thyreo-hyoideus der Mittellinie zu und anastomosirt mit ihrem Gegenpart auf dem ligamentum conicum, nicht weit vom angulus inferior des Schildknorpelgehäuses, c) Die laryngea inferior kommt schräge von unten herauf, schiebt sich unterhalb des musculus sterno-thyreoideus, um das ligamentum conicum seitlich zu durch- bohren. Diese drei Gefässe sind diejenigen, welche zur Unterbindung zu gelangen pflegen, sei es vor, sei es nach ihrer Durchschneidung. Der ramus hj^oideus der arteria lingualis ist zu hoch gelegen, um durchschnitten werden zu können, da er unter dem grossen Hörne des Zungenbeines, diesem annähernd parallel verlauft; nur bei be- stehender Nothwendigkeit, auch die Region des Zungenbeines in die Operation einzubeziehen, käme auch dieser Ast in Betracht, ebenso wie die arteria thyreoidea superior nur dann, wenn die Abtrennung — 496 — die ersten Tracheairinge überschreiten müsste und in das Gebiet der Schilddrüse fiele. Die Operationstechnik einer totalen Larynxexstirpation gestaltet sich folgondermassen: der narcotisirte Kranke liegt, durch eine Tamponcanüle athmend, horizontal am Tische mit einer Rolle unter dem Nacken; ist keine sichere Tamponcanüle zur Hand, so muss die iiose'sche Lage mit überhängendem Kopfe oder überhängendem Oberleibe (Maas) eingehalten werden. Man spaltet die Haut zuerst in der Medianlinie des Halses vom Zungenbeine nach abwärts; der Schnitt überschreitet unter allen Verhältnissen den Ringknorpel; oft lässt man ihn in die Tracheotomiewunde auslaufen, falls die superior ausgeführt worden wäre; ein Querschnitt entlang dem oberen Schild- knorpelrande gestaltet die Wunde zu einem T. Im Nothfalle fügt man am unteren Ende des Längsschnittes einen zweiten Querschnitt an — Thürflügelschnitt. Mit der Haut wird auch jederseits gleich der entsprechende musculus sterno-hyoideus abgezogen, den man an der zweckdienlichsten Stelle quer durchschneidet. Man überblickt nunmehr die vordere Commissur, und an den Seitenwandungen des Kehlkopfgehäuses die Insertionen der musculi sterno-thyreoideus und thyreo-hyoideus, kenntlich an dem etwas schräggestellten weissen sehnigen Streifen, welcher beide Muskelbäuche voneinander scheidet und als gemeinschaftliches Insertionsband dient. Die Abtrennung der genannten Muskeln erfolgt zunächst nur an einer Seite, und zwar auf stumpfe Weise mittelst eines Elevatoriums; nur das Insertionsband lässt sich nicht abhebein, da seine Verwachsung mit dem Schild- knorpel allzu fest ist: es muss mit dem Messer knapp vom Knorpel abpräparirt werden, wobei der gegenseitige Zusammenhang der Muskeln intact erhalten bleibt. Die arteria laryngea inferior und die crico-thyreoidea werden dabei verletzt und erfordern die Unter- bindung; beide können auch vor der Durchschneidung doppelt gesichert und zwischen den Ligaturen durchschnitten werden. Die von der Seitenwand des Schildknorpels abgelösten Weichtheile sind in einen Haken zu nehmen und abzuziehen. Man nähert sich nun dem hinteren Rande des Schildknorpels und den Insertionen des musculus pharyngeus tertius, beziehungsweise seiner portio thyreo- pharyngea, deren Abtrennung mit grosser Vorsicht und knapp am Knorpel mit dem Messer oder mit den Scherenspitzen erfolgen muss, einerseits um dabei nicht den Schlundkopf zu öffnen, andererseits um nicht die Gefässe zu verletzen, welche in nächster Nähe lagern: laryngea superior, crico-thyreoidea auf ihrem Laufe nach abwärts innen, endlich thyreoidea superior. In gleicher Weise wie den thyreo- pharyngeus löst man den crico-pharyngeus vom Ringknorpel los, wobei das Vor- und Abziehen des Kehlkopfes das Operiren wesentlich erleichtert. Es dient hierzu ein spitzer Haken, den man sicher ein- greifen lässt und mit dem man das Anspannen beliebig steigern und regeln kann. Ist der musculus pharyngeus tertius in seinen beiden Portionen vollends abgetrennt, so wird das Messer, beziehungsweise die Schere mit einem Elevatorium vertauscht und mit diesem, bei gleich- zeitigem Abziehen des Kehlkopfes, die Pharynxwand von der Hinter- fläche des Kehlkopfgehäuses stumpf abgedrängt. Nun wendet man sich der anderen Seite zu, und wenn auf gleiche Art der larynx in — 497 — Fig. U9. ganzem Umfange losgeschält ist, erübrigt nur noch, ihn oben und unten abzutrennen. Oben hängt der Kehlkopf noch mittelst der liga- menta: hyo-thyreoideum medium und lateralia dem Zungenbeine an. Man lässt die Abziehhaken wirken und sucht nach der arteria laryn- gea superior, welche das ligamentum hyo-thyreoideum laterale kreuzt ; nach doppelter Unterbindung wird sie durchschnitten und gleich das Band entzweigemacht. Das Gleiche wird auf der zweiten Seite gethan und nun ein spitzes Bistouri in das ligamentum hyo-thyreoideum medium eingestochen. Beabsichtigt der Operateur die epiglottis mit- zuentfernen, so wird er das Messer, gleichwie bei der Pharyngo- tomia subhyoidea, schräge nach oben einstechen und die ligamenta epiglottica trennen; soll der Kehldeckel erhalten bleiben, so senkt man das Messer horizontal durch die Basis des Kehldeckels ein und schneidet diese nach beiden Seiten hin durch; die epiglottis hat damit ihre Verbindungen mit dem Kehlkopfgehäuse verloren, bleibt aber dem Kranken erhalten. Hierauf setzt man den scharfen Haken am oberen Rande der Schildknorpel ein, zieht damit den larynx zu sich vor, durchschneidet die Pharynxschleimhaut entsprechend dem freien Rande der Aryknorpel und hat damit alle Verbindungen des Kehlkopfes nach oben getrennt ; er lässt sich, wenn früher die Ab- schälung der Rückwand vollends gelungen war, ganz aus der Halswunde herausziehen. Es erübrigt dann nur mehr der letzte Act: die quere Abschneidung des larynx vom Ringknorpel oder von der trachea. Maas und Wegner haben in zwei Fällen nicht den ganzen, sondern nur die untere Hälfte des Ringknorpels erhalten, die Abtrennung also mitten durch den Knorpel ausgeführt. Das geschilderte technische Verfahren kann auch in umgekehrter Reihenfolge besorgt werden, d. h. man trennt den Kehlkopf zuerst von der trachea, bezie- hungsweise vom Ringknorpel ab, und durchschneidet zuletzt die Verbindungen mit dem Zungenbeine; das Isoliren des Kehlkopfes bleibt sich stets gleich. Die unilaterale Ectomie des Kehlkopfes differirt in der Technik nicht wesentlich; man isolirt eben nur an einer Seite allein, durchschneidet den Ringknorpel in senkrechter Richtung und die hintere Kehlkopfwand zwischen beiden Ary- knorpeln. Die nach vollendeter Exstirpation zurückbleibende, mehr minder grosse Wundhöhle muss durch Granulation heilen. Am besten ist es, die Höhle mit antiseptischer Gaze auszufüllen. Zur Vermeidung sep- tischer Bronchitis und Pneumonie als Folgen der Aspiration von Wundsecreten, empfiehlt sich eine Dauertamponade des Tracheairohres und strenge Handhabung der Antisepsis beim Wundverband. Gluck und Bergmann durchschneiden zuerst die trachea und fixiren das centrale Ende durch eine Ringnaht an die äussere Haut. Zum völligen Wundabschluss werden an die hintere Fläche der trachea zwei seit- liche Hautlappen transplantirt. Man kann bei solchem Verfahren die Tamponcanüle entbehren, und einen viel sichereren Abschluss vom r. Mosetig- Moorhof: Handbuch d. Chirurg*. Technik. 4, AuH. 32 — 498 — Operationsherde erzielen. Lässt sich die trachea wegen zu ausgiebiger Exstirpation nicht genügend vorziehen, so muss sie in thunlichst vor- gezogener Lage mit Hautlappen umsäumt werden. Nebstdem muss in die Speiseröhre eine Sonde eingeführt werden und so lange einge- legt bleiben, bis das willkürliche Schlingen wieder möglich geworden. Bardenheuer vernäht den vorderen Rand der Oesophagusschleimhaut mit der Epiglottis, beziehungsweise derem Stumpfe, Herzel die Rachen- wundränder in verticaler Richtung. In der ersten Zeit hält der Operirte eine halbsitzende Stellung im Bette ein, am Ende der zweiten, besser noch in der dritten Woche geht man daran, in die nunmehr lebhaft granulirende Wunde eine Röhre einzulegen, welche im Inneren ein Metallzungenwerk birgt, als Ersatz für das verlorene Sprachorgan. Man nennt deshalb die Canüle gemeinhin den „künstlichen Kehl- kopf"; Fig. 149 zeigt den von Gussenbauer zuerst angegebenen Apparat dieser Gattung. Die Sprechcanüle bildet einen Bestandtheil der Athmungscanüle; das Einlegen erfolgt derart, dass man zuerst die Trachealcanüle einführt und dann durch das Fenster dieser, die Sprechcanüle einschiebt mit der Richtung nach aufwärts, dem Schlünde zu. Trotz des oberen Deckels gelangt aber leicht Schleim in das Zungenwerk und behindert dann dessen Function, weshalb viele Patienten das Tragen einer einfachen T-Canüle vorziehen, wenn sie sich dabei auch nur mit lispelnder Stimme verständlich machen können. Bei unilateraler Exstirpation vermittelt das dabei intact bleibende Stimmband der einen Seite eine genügende Phonation, so dass alle Surrogate entbehrlich werden. Partielle Excisionen des Schildknorpelgehäuses, sei es in allen Schichten, sei es mit Erhaltung des Perichondrium und der Schleim- haut, pflegt man mit dem Namen Resectionen des larynx zu bezeichnen. Heine hat diese Operationen eingeführt, deren Anzeige sich zunächst auf chondritische Processe und Stricturen bezieht. Die Technik dieser seltenen und ganz atypischen Operationen dürfte man sich aus dem Vorhergehenden zurechtstellen können. III. Capitel. Operationen an der Speiseröhre. Das Sondiren der Speiseröhre. Wir wollen unter der Bezeichung „Sondiren" überhaupt das Verfahren bezeichnen, Instrumente welcher Art immer in den Oesophagus einzuführen. Das Quäle der Instrumente ist vom Zwecke abhängig, den man verfolgt, und dieser kann ein dreifacher sein : als Mittel zur künstlichen Ernährung, als diagnostischer und endlich als therapeutischer Behelf. Als Paradigma der folgenden Besprechung möge die künstliche Ernährung dienen, von den anderen Indicationen wird später die Rede sein. Bei Nahrungsverweigerung im Gefolge von Psychosen, bei Lähmungen der Schlundmusculatur, bei Compressionsstenosen, bei Verwundungen des Oesophagus, seien es künstlich erzeugte oder zufällig entstandene, werden* catheterähnliche — 499 — Rohre von entsprechender Länge eingeführt, durch welche flüssige Nahrung mittelst Einguss beigebracht wird. Hiefür muss das Rohr die ganze Speiseröhre durchwandern und in den Magen einmünden. Die Länge und Weite des Speiseröhrencatheters variirt nach dem jeweiligen Alter des Patienten; das Material ist zumeist Gummi; Stoffcatheter werden bei vorhandenen Stenosirungen bevorzugt, wenn es einer etwas grösseren Resistenzfähigkeit des Instrumentes bedarf, um das gegebene permeable Hinderniss zu überwinden. Unmittelbar vor dem Einführen soll man den Stoffcatheter in heisses Wasser ein- legen, damit er weicher und biegsamer werde, bei Gummisonden ist dies überflüssig. Das Instrument kann nach jeweilig beendetem Dienste entweder gleich wieder entfernt werden und dient demnach nur in gleichmässigen Intervallen, oder es wird für die Dauer in der Speise- röhre belassen; im letzteren Falle spricht man von einem Dauer- catheterismus des Oesophagus und von Verweilsonden. Die Wahl zwischen beiden Verfahren wird durch die vorliegende Anzeige ent- schieden: bei Verwundungen ist ein Dauercatheterismus bis zur Heilung der Wunde absolute Nothwendigkeit, einerseits weil er an- fänglich die Wundsepsis und später, bei schon granulirender Wunde die Behinderung des Wundverschlusses durch das Eindringen von Speisetheilen verhindern soll, andererseits weil das im Tage öfters zu wiederholende Sondiren, die Wunde aus ihrer Ruhe stören und sie auch direct verletzen könnte. Bei Stenosen hingegen ist eine Verweilsonde, wenigstens für längere Dauer, nicht immer zweckmässig, denn bei Compressions- stenosen könnte dadurch eventuell Decubitus der gedrückten Oeso- phaguswand resultiren, und bei Neubildungsstenosen wird schon durch ein zeitweiliges Sondiren des Oeftesten dadurch abgeholfen, dass Zer- fall des Neugebildes eintritt, womit die Lichtung des Oesophagus weiter und ein Verweilen der Sonde, wenigstens für eine gewisse Zeit- periode, unnöthig wird. Immerhin kann auch bei derberen Neubil- dungen eine weiche Gummisonde unglaublich lange Zeit in situ be- lassen werden, wie es zwei Fälle von Krishaber beweisen, der bei Car- cinomen Verweilsonden 49 und 305 Tage in der Speiseröhre belassen konnte. Bei Lähmungen können nur äussere Verhältnisse zum Dauer- verweil der eingeführten Sonde Anlass geben. Die Einführung von Sonden in die Speiseröhre kann erfolgen: vom Munde, von der Nase aus, und endlich ausnahmsweise auch durch eine Wunde, welche auf künstlichem Wege am Halse angelegt wurde; erstgenannte Einfuhrwege sind die gebräuchlichsten. Die Unannehm- lichkeiten und mannigfachen Beschwerden, welche ein aus der Mund- höhle ragendes Rohr dem Kranken bereitet, macht die Benützung des Mundweges nur für vorübergehende Sondirungen geeignet; Verweil- sonden werden durch die Nasenhöhle eingelegt, denn nur unter dieser Voraussetzung wird die lange Dauer erklärlich, während welcher ein Mensch eine Verweilsonde in seinem Oesophagus überhaupt vertragen kann. Die Technik der Einführung via oris ist folgende: der Kranke sitzt und neigt den Kopf nach rückwärts. Wird die Rückwärtsneigung des Kopfes ad maximum gesteigert, so ist man im Stande, selbst gerade, starre Röhren anstandslos in die Speiseröhre zu schieben, und auf diesem Umstände beruht die Möglichkeit der Oesophago- und 32* — 500 — der Gastroscopie. Bei einfacher Sondirung mit elastischen oder weichen Instrumenten ist eine übertriebene Rückwärtsstellung des Kopfes natürlich nicht nothwendig, eine Neigung aber sehr zweck- mässig, indem diese das Einführen dadurch erleichtert, dass der Ueber- gangswinkel der Achse der Mundhöhle mit jener des Schlundes grösser wird. Müssten besonders dicke Sonden eingeführt werden, so wäre es gerathener, den Kopf des Kranken etwas vorgeneigt zu halten, weil bei dieser Stellung, wie bekannt, der Eingang in den Halstheil der Speiseröhre erweitert wird. In den weitgeöffneten Mund des Patienten, aus dem etwaige falsche Gebisse früher zu entfernen sind, legt der Operateur seinen linken Zeigefinger auf die Mitte des Zungenrückens so auf, dass die massig gebeugte Endphalanx den Zungengrund deckt, ohne bis zur epiglottis zu reichen oder diese zu berühren. Anfänger pflegen in ihrer Beklommenheit öfters den Finger zu tief einzuführen; sie suchen die epiglottis zu erreichen, um das Eindringen der Sonde in den Kehlkopf zu verhindern: eine ganz unnöthige und unbegründete Befürchtung. Mit dem linken Zeigefinger drückt man die Zunge nach abwärts, ergreift die Sonde wie eine Schreibfeder und lässt sie entlang dem Finger fortgleiten. Die Sonde soll kurz gefasst werden, id est nahe ihrem Ende, damit sie bei etwas Fig. 150. unsicherer Hand keine Pendelbewegungen im Rachen ausführe und dadurch Würgen und Hustenreiz auslöse. Stoffcatheter pflegt man dem Ende zu massig zu krümmen, entsprechend dem Wege, der zu durchlaufen ist; Gummisonden krümmen sich von selbst. Zum Schutze des linken Zeigefingers vor dem Gebissenwerden legt man zwischen den Mahlzähnen des Patienten einen Holzkeil ein, der den Kiefer- schluss hindert, oder man bedeckt den Finger mit einer metallenen Rüstung, welche die Wirkung der Zähne paralysirt. Fig. 150 stellt einen derartigen articulirenden Fingerschützer dar. Die jeweilige Oesophagussonde wird mit Oel oder Glycerin befeuchtet, auf dass sie besser gleite und nun, nachdem sie in den Rachen gelangt ist, ganz sachte und allmälig vorgeschoben. Das erste anatomische Hinderniss begegnet man in der Höhe des Ringknorpels, an dessen hinterem, median nach rückwärts vorspringendem Halbringe sich die Spitze des Instrumentes des Oeftesten stemmt, wenn es nur einigermassen steif ist. Man braucht das Rohrende nur etwas nach der linken Seite zu neigen, um dem Vorsprunge auszuweichen und in die weitere, seitliche Oesophagustasche zu gelangen. Man wählt mit Vorliebe die linke Seite, weil bekanntlich die Speiseröhre links etwas von der Luftröhre seitlich abweicht, wodurch die linke Oesophagustasche etwas weiter wird als die rechte. JDuncan lässt den Patienten bei leicht — 501 — zurückgebeugtem Kopfe eine Schlingbewegung ausführen und zieht dabei den Unterkiefer etwas vor. Nach Ueberwindung dieses ersten Hindernisses gleitet die Sonde unbehindert hinab, man braucht sie nur in kurzen Reprisen vorzuschieben, bis zur cardia. Der Schliess- muskel hierselbst gibt nur selten und nur bei besonders erethischen Naturen, durch spastischen Verschluss des Magenmundes, das zweite physiologische Hinderniss. Noch seltener begegnet man ähnlichen spastischen Contractionen der Circulärmuskelfasern im Verlaufe des Oesophagus. Derlei spastische Hindernisse dauern nur kurze Zeit an, es genügt, mit der Sonde an Ort und Stelle stille zu halten und einen leisen Druck auf das verschlossene Thor zu üben, um den Krampf zu überwinden und die Operation zu beenden. Das Sondiren durch die Nase kann nur mit Gummiröhren voll- zogen werden. Man schiebt sie wohlbefettet durch das eine Nasenloch entlang des unteren Nasenganges ein, während man dem Kranken den Kopf nach vorwärts drückt. Das Instrument gleitet entlang der einen Seitenwand des pharynx ruhig in den Oesophagus, ohne dem Hindernisse des Ringknorpels zu begegnen. Die Einfuhr der Nahrung erfolgt bei ganz flüssiger Beschaffenheit — Milch oder Wein — durch Einguss, wofür man dem Aussenende des eingeführten Rohres einen kleinen Glastrichter aufsetzt, zähere Flüssigkeiten — Suppen mit Eierdotter etc. — treibt man mittelst einer gewöhnlichen Wund- spritze ein. IL Entfernung von Fremdkörpern ans der Speiserölire. Steckengebliebene Fremdkörper können je nach ihrem Quäle und dem Orte ihres Ver- weilens auf dreifache Weise entfernt werden: entweder man zieht sie via oris heraus, oder befördert sie in den Magen, oder endlich man eröffnet den Oesophagus in seinem Halstheile und entfernt sie durch die gesetzte Wunde. Da die Oesophagotomie später beschrieben werden wird, soll in Folgendem nur von den zwei erstgenannten Verfahren die Rede sein. Vor Allem muss sich der Operateur über- zeugen, dass wirklich ein Fremdkörper in der Speiseröhre stecke, denn häufig setzen rauhe oder scharfe Gegenstände bei ihrem Durch- gange, in der Schleimhaut des Oesophagus kleine Ritzen oder Schür- fungen ab, welche dem Kranken ein ähnliches Gefühl bereiten, als ob der Fremdkörper noch festsässe. Die Unmöglichkeit, Speise und Trank in den Magen zu befördern, stellt sich nur bei obturirenden Fremdkörpern ein; kleinere spitze oder scheibenförmige Gegenstände gestatten zwar behinderte und schmerzhafte, aber doch mögliche Ein- fuhr. Zur positiven Diagnose verhilft nur die Sondirung der Speise- röhre, denn die äusserliche Betastung des Halses ist nur bei volu- minösen Fremdkörpern von Werth, und selbst die Sondirung ist bei Fischgräten oder Nadeln nicht immer massgebend, insofern als ein negativer Befund noch keinen voUgiltigen Beweis dafür abgibt, dass kein Fremdkörper solcher Natur vorliege. Das Hauptmerkmal für das Vorhandensein eines Fremdkörpers ist der Befund, dass die eingeführte Sonde an einer Stelle des früher normal durchgängigen Oesophagus aufgehalten wird. Da nun kleine Fremdkörper noch so viel Platz — 502 — neben sich freilassen können, dass ein dünnes Instrument zum Durch- gleiten Raum findet, so sollen a priori zur Sondirung auf Fremd- körper relativ dickste Instrumente Verwendung finden, welche die Speiseröhre möglichst ausfüllen. Es dienen hierzu Stoff catheter oder fensterlose Stoffbougies von der Dicke eines Fingers und darüber, die man durch Eintauchen in heisses Wasser weich und biegsam macht, oder sogenannte Schlundstosser, id est Fischbeinstäbe, an deren einem Ende ein rundliches Stück Badeschwamm festgebunden ist. In Wasser getaucht, schwillt der Schwamm auf und erreicht das Volumen einer Herzkirsche. Reiner, leichter einzuführen und gefälliger ist die Modification von Trousseau, wobei eine olivengrosse und auch oliven- förmige Eichel aus Hartgummi oder Elfenbein den Schwamm sub- stituirt. Harte Fremdkörper, als Münzen, Knochenstücke, künstliche Gebisse u. dgl. kennzeichnen sich beim Sondiren auch durch den Klang, den sie geben, wenn das Sondenende aus Elfenbein oder Hart- gummi geformt ist. Collin hat die Olive der Trousseaii'sahQn Sonde aus hohlem Metall construirt und dem freien Sondenende eine Re- sonanzplatte nach TJiovipson angemacht, wodurch die Vermittlung des beim Anstossen erweckten Klanges der fühlenden Hand und dem Ohre sicherer erfolgt. Bei der Anwendung solcher Instrumente vergesse man nicht, dass auch das Anstreifen des Sondenstabes an den Rand der Schneidezähne von einem gewissen Klange und Gefühle begleitet wird, der leicht zu Täuschungen Anlass geben kann. In den Magen dürfen nur solche Fremdkörper künstlich be- fördert werden, welche eine weiche glatte Oberfläche haben, rauhe nur dann, wenn sie nahe der cardia stecken geblieben sind. Ist der Fremdkörper zugleich spröder Natur — gekochte Kartoffel, Eier in der Schale etc. — und steckt er im Halstheile der Speiseröhre, so kann er zuerst durch Händegewalt von aussen her zerdrückt werden, bevor er hinabbefördert wird. Häufig wird letzteres dann überflüssig, indem die einzelnen Stücke von selbst hinuntergleiten. Zähe Bissen müssen auf instrumentellem Wege in den Magen gedrückt werden, wozu eine dicke Stoffbougie oder ein Schlundstosser dient. Der Druck, den man damit ausübt, sei ein langsamer, allmälig ansteigender. Die verdauenden Eigenschaften der Speiseröhre, welche schon von Ma- gendie experimentell bewiesen wurden, machen es denkbar, dass ver- dauliche Fremdkörper, insbesondere Fleischklumpen, auch durch die Naturkräfte allein, trotz ihres Steckenbleibens, beseitigt werden können. Bloch will den Verdauungsprocess im Oesophagus durch Einfuhr von Pepsin und Salzsäure beschleunigen. Zur Exairese via oris fordern auf: zunächst alle Fremdkörper, welche näher dem Schlünde als dem Magen stecken, weiters alle, welche oberhalb gleichzeitig bestehender Verengerungen — Stricturen oder Neoplasmen — lagern, endlich jene, welche rauh oder spitzig sind und nicht nahe der cardia, sondern höher oben festsitzen. Man schreitet zur instrumenteilen Entfernung, wenn künstlich erregte Brechbewegungen sich fruchtlos erwiesen haben, wofür die Titillation des Gaumens oder die subcutane Einverleibung von Apomorphin sich eignen. Die zur Extraction verwendeten Instrumente sind sehr man- nigfaltig. Im Allgemeinen lassen sie sich eintheilen: in zangenförmige und in hakenförmige. Zangen waren früherer Zeit nur für den — 503 — obersten Abschnitt der Speiseröhre möglich, da ihre Construction nur die Einführung bis zum Niveau des Ringknorpels gestatteten. Die Oesophaguszangen sind nämlich den gewöhnlichen, im Schlosse sich öffnenden Schlundzangen analog gebaut und besitzen nur etwas län- gere Branchen und stärkere Krümmung (Fig. 151). Sie werden gleich Kornzangen gehalten und unter der Leitung des Fingers eingeführt. Für tiefer gelegene Fremdkörper und namentlich für solche, welche bei stenosirter Speiseröhre stecken bleiben, ist von Mathieu eine arti- culirende Zange ausgedacht und angefertigt worden, welche in Folge der vielen gelenkig verbundenen Stücke eine solche Biegsamkeit er- langt, dass sie ebenso leicht bis zur cardia eingeführt werden kann als eine biegsame Röhre. Fig. 152 erspart wohl die Beschreibung. Bei der Anwendung von Zangen soll man sein besonderes Augenmerk dahin richten, ja nicht gleichzeitig mit dem Fremdkörper auch eine Schleimhautfalte mitzufassen; demzufolge versuche man bei gefasstem Fremdkörper zunächst kleine Drehbewegungen, deren Ausführbarkeit ohne Gewaltanwendung den Beweis liefert, dass jener isolirt gefasst Fifi-. 151. worden sei. Lassen sich Drehbewegungen nicht ausführen, so gilt dies nicht als Gegenbeweis, denn der Fremdkörper kann ja fest- gehalten sein. Man versuche dann Tractionen in der Richtung nach oben, meide aber jede Gewalt und alles rohe Gebaren. Als Extrac- tionshaken dienen der einfache Schlundhaken und der doppelte, so- genannte V. Graefe'sche Schlundkorb oder Münzenfänger (Fig. 153 a,h). Ersterer ist mittelst einer Metallfeder mit einem Fischbeinstabe ver- bunden, letzterer articulirt mit dem Stabe so, dass der Korb kleine seitliche Bewegungen auszuführen vermag. Man kann sich der Haken nur dann bedienen, wenn der Oesophagusabschnitt unterhalb des Fremdkörpers von normaler Weite ist und wenn der Haken neben dem Körper vorbeigeführt werden kann. Die Wirkungsweise des Ha- kens besteht nämlich darin, dass er von unten her den Fremdkörper fasst und ihn derart mit sich nach oben führt. Der Haken wird gleich einer Sonde eingeführt und man sucht, am Fremdkörper angelangt, an irgend einer Seite an ihm vorbeizukommen; dazu dient die Feder des einfachen Hakens und die beschränkte Beweglichkeit des Korbes, Vorrichtungen, welche das Ausweichen nach jeder beliebigen Rich- tung ermöglichen und nach jener gestatten, wo das Hinderniss noch — 504 — Raum belässt. Ist man glücklich neben dem Fremdkörper vorbei, so wird das Instrument noch eine kleine Strecke vorgeschoben und dann langsam zurückgezogen, bis der Haken sitzt, ein Beweis, dass er jenen glücklich erfasst hat. Bei Benützung des einfachen Hakens Fig. 154. Fig. 152. Fig. 153. kann es geschehen, dass er mit seiner Krümmung verkehrt gestellt ist, insofern als diese, weil vom Fremdkörper abgewendet, ein Erfassen unmöglich macht. Sicherer ist daher der Korb, da dessen bilaterale Höhlung das Erfassen unter allen Umständen möglich macht, wenn er sich von unten her gegen den Fremdkörper bewegt. Wenn einmal der Fremdkörper mit dem Hacken sicher gefasst ist, so wird langsam — 505 — und allmälig die Exairese begonnen und durch Herausziehen des Instrumentes beendet. Damit der Fremdkörper, der bei Verwendung- des Hakens überhaupt hart, rauh und zumeist scheibenförmig ist, während des Ausziehens entlang den Oesophaguswänden leichter gleite und letztere weniger verletze, ist es stets empfehlenswerth, vor der Einbringung des Instrumentes dem Kranken etwas Oel oder Glycerin schlucken zu lassen. Es kann auch vorkommen, dass man den gut und sicher eingehakten Fremdkörper nicht extrahiren kann, weil er zu fest eingekeilt steckt und man bei Anwendung zu starker Trac- tionsgewalt Gefahr läuft, den Oesophagus zu durchreissen. Man muss dann von jedem weiteren Extractionsversuche abstehen und zur Oeso- phagotomie schreiten; diese rangirt aber, wie wir später hören werden, zu den schwierigeren Operationen, die man nicht staute pede aus- führen kann. Was soll in der Zwischenzeit, bis man alles zur Opera- tion Nothwendige herbeigeschafft hat, mit dem Haken geschehen? Ihn herausziehen, ist nicht immer möglich, denn bei den forcirten Extractionsversuchen hat sich das Instrument so fest eingehakt, dass ein Losmachen schwer gelingt, und selbst wenn dieses gelingt, so wird bei Benützung des Korbes ein stetes Wiedereinhaken erfolgen, sobald man das Instrument gegen den eingekeilten Fremdkörper zu bewegt. Monastyrsld erzählt, dass ihm dieses unangenehme Ereigniss einmal begegnete, er den mit dem v. (rj-ae/e' sehen Korbe erfassten Knochen wieder extrahiren, noch auch den Münzenfänger freimachen konnte und sich deshalb genöthigt sah, den Kranken mit dem fest- steckenden Instrumente im Schlünde die ganze Nacht liegen zu lassen, bis er am nächsten Tage mit der oesophagotomia externa abzuhelfen in die Lage kam. Halten wir uns die Möglichkeit eines solchen Er- eignisses vor Augen und berücksichtigen, wie es bei einigermassen voluminöseren oder in ungeeigneter Position gestellten Fremdkörpern öfters schwer oder geradezu unmöglich sein dürfte, mit dem Haken vorbeizukommen, so wird man den stellbaren curettenartigen Haken von ColUn (Fig. löi) aus dem Grunde vorziehen, weil damit ein wirk- sames Klemmen des gefassten Gegenstandes und ein beliebiges Los- lassen möglich gemacht wird. Der Haken wird durch Vorschieben des Stabes in der Röhre beliebig gestellt und durch die kleine Schraube fixirt. Zur Extraction von Gräten oder Nadeln werden Instrumente gewählt, welche, den Oesophagus ausfüllend, ihn von unten nach oben fegen und dabei den kleinen, in die Wand eingestochenen Gegenstand erfassen und mitnehmen. Das gebräuchlichste und bekannteste Werk- zeug ist der Grätenfänger von Weiss (Fig. 153 c). In einer biegsamen Röhre ist ein Stab angebracht, welcher, länger als die Röhre, an beiden Enden vorragt und an dem unteren einen Schwamm trägt. Das Rohr- ende ist mit dem etwa zollweit vorragenden Stabende durch ein cir- culäres Gitter von Schweinsborsten verbunden. Zieht man den Stab in die Röhre zurück, so bauchen sich die Borsten zunächst auf, da ihre befestigten Endtheile einander genähert werden; bei weiterem Zurück- ziehen wird die Vorbauchung stets grösser, bis schliesslich das ganze Gitterwerk in Form eines geschlossenen Korbes, endlich eines Quer- rades sich einbiegt und aufstellt. Bei ebenem Gitter bringt man das Instrument bis zur cardia, baucht es dann korbförmig auf und fegt damit die Oesophaguswände von unten nach aufwärts. — 50() — Gelingt das Manöver, so findet man später die Gräte oder die Nadel im Gitter verfangen vor. Im Nothf alle könnte auch ein Schwamm- stab benützt werden, den man am unteren Ende der Speiseröhre längere Zeit belässt, während der Kranke öfters einen Schluck Wasser zu sich nimmt, bis der Schwamm die genügende Ausdehnung ge- wonnen hat. Metallische Fremdkörper, insbesondere Nadeln, könnten eventuell auch durch eingeführte Magnete entfernt werden. Das übelste Ereigniss, welches bei versuchter Exairese oder ausgeführtem Hinab- drängen eines harten, rauhen oder spitzen Körpers sich einstellen kann, ist eine Verletzung der Oesophaguswand. Ist die Verletzung ganz oberflächlich, so heilt sie meist, reicht die Verletzung tiefer in die Oesophagusschichten, so stellen sich, wegen der Unmöglichkeit, septische Keime von der Wunde abzuhalten, entzündliche Processe phlegmonösen Charakters ein, welche in der Regel zu periösopha- gieller Abscessbildung führen und unter Zutritt von Mediastinitis und Pleuritis suppurativa in den meisten Fällen mit dem Tode enden, y. Langenheck konnte allerdings einen ähnlichen Fall durch Eröffnung der Pleura und Entleerung der Jauche am Leben erhalten. Perforirt der Fremdkörper den intrathoracischen Theil der Speiseröhre, so gelangt er, falls er nicht in der Wunde verbleibt, in das mediastinum oder direct in den Pleuraraum, und alle Flüssigkeit, die der Kranke geniesst, geht dann denselben Weg. Grosse Verlegenheiten bereiten Fremdkörper, welche oberhalb einer Oesophagusverengerung stecken bleiben; es sind zumeist Frucht- kerne — Citronenkerne, Pflaumensteine und dergleichen mehr — welche die Kranken aus Versehen mit der Speise oder dem Getränke verschlucken und welche am bestehenden Hindernisse aufgehalten werden, dessen Zugang complet obturirend. Bleiben derlei Gegenstände im Halstheile stecken, so kann im ungünstigen Falle durch eine Er- öffnung der Speiseröhre am Halse abgeholfen werden, sitzen sie aber im Brusttheile, dann ist Abhilfe schwerer. Nur mit Hilfe des Oeso- phagoskops gelingt noch manchmal die Extraction. Misslingt auch dieser Weg, dann kann nur eine Gastrotomie versucht werden, um vom Magen aus rückläufig den Fremdkörper nach dem Munde zu mittelst Sonden zu schieben. III. Behandlung von Stricturen des Oesophagus. Zunächst soll aus- schliesslich nur von Narbenstricturen die Rede sein, jenen traurigen Folgen absichtlicher und unabsichtlicher Verätzungen der Speiseröhre durch Säuren oder Alkalien. Den Sitz der Verengerung kann sowohl der Hals-, als auch der Brusttheil der Speiseröhre abgeben, die Strictur einfach oder mehrfach sein, durchgängig oder nicht. Nicht permeable Stricturen indiciren je nach ihrem Sitze die äussere Oesophagotomie oder die Etablirung einer Magenfistel; durchgängige gestatten in der Regel eine künstliche Erweiterung, welche auf dreierlei Art geübt werden kann: durch allmälige oder langsame Dilatation, durch rasche gewaltsame Ausdehnung und durch innere Discission. Zum Nachweise einer Strictur und zur Bestimmung ihres Sitzes bedient man sich der Sondirung mit dicken cylindrischen — 507 — Stoffboiigies oder mit dem Troussemc^ sehen Olivenstabe stärkeren Oalibers. Die Wahl dünner Instrumente könnte zu Täuschungen in der Diagnose weniger prononcirter Verengerungen führen, insofern als man dabei möglicherweise keinem Hindernisse begegnet, obgleich eine geringe Stenosirung des Lumen dennoch besteht. Bei multiplen Stricturen kann durch die erste Sondirung nur die oberste ermittelt werden, die tiefer liegenden ergeben sich erst später im Verlaufe der Behandlung. Die allmälige Erweiterung geschieht durch regelmässige Ein- führung graduell an Stärke zunehmender bougieartiger Instrumente, welche durch ihr zeitliches Verweilen in der Strictur, kraft des aus- geübten Druckes dehnend auf den Narbenring wirken. Man benützt hiefür theils Darmsaiten, theils Stoff bougies: erstere sollen den Vortheil haben, durch ihr hygroskopisches Quellen rascher zu dehnen. Man greift zu Darmseiten, wenn ganz dünne Stoffbougies nicht zur Hand sind oder selbst die dünnsten Nummern, weil immer noch dicker als eine E-Saite, nicht durchzuführen sind. Der Grund, warum dünne Stoffbougies lieber verwendet werden als gleichdicke Darm- saiten, ist der, dass erstere ihrer grösseren Resistenz halber sicherer zu handhaben sind, während dünne Darmsaiten sich vor der Strictur, selbst von der fühligsten und zartesten Hand geführt, leicht knicken, umbiegen, aufrollen und so zu bedauernswerthen, schwer controlir- baren Täuschungen Anlass geben. Bei der Anwendung von Darm- saiten vergesse man nicht, deren Spitzen durch Eintauchen in heisses Wasser weich zu machen, denn dünne Darmsaiten mit scharfen steifen Spitzen sind gefährliche Instrumente, welche leicht die Schleimhaut verletzen, ja selbst die Oesophaguswand durchbohren können, denn oberhalb der Strictur ist die Speiseröhre zumeist er- weitert und deren Wandungen in Folge chronischer Schwellung häufig mürber gestaltet. Weiters gestatten dünne Darmsaiten nur eine einmalige Verwendung theils wegen Rauhwerdens und Zerfaserns der Oberfläche, theils durch Verbiegungen und spiralige Aufrollungen während des Trocknens: Stoffbougies lassen sich immer wieder ver- wenden, so lange die Harzhülle keine Sprünge und Defecte bekommt. V. Hacker will bei besonders schwierigen intrathoracischen Stricturen zunächst eine elastische, beiderseits offene Röhre bis zur Strictur einführen und hierauf erst Darmsaiten durch die Röhre, in und durch die Strictur schieben. Diese Procedur soll den Vortheil haben, dass die dünnen Saiten nicht in falsche Wege gerathen, und ferner, dass sie nicht allzu früh erweichen, da sie ja durch die Röhre von der Feuchtigkeit des Mundes und Schlundes geschützt bleiben. Ist die Strictur für dünne Darmsaiten permeable geworden, dann kann nach V. Hacker eine länger wirkende Dilatation in der Art erzielt werden, dass man einen langen Kelaton-Catheter über einen feinen Fischbein- stab oder über eine noch nicht gebrauchte Darmsaite auszieht und gespannt erhält und nachdem die Strictur passirt ist, den Stab oder die Saite, die gut mit Vaseline bestrichen waren, zurückzieht. Der Catheter bleibt dann durch die Strictur hindurch geführt liegen, zieht sich zusammen, wird dicker und wirkt erweiternd auf die Strictur. Das eingeführte Rohr kann beliebig lange liegen bleiben und man kann durch selbes den Kranken ernähren. Gewalzte Guttapercha- — 508 - Stäbe sind ihrer Brüchigkeit wegen nicht zu empfehlen. Stoffbougies bekommt man im Handel von verschiedener Dicke, cylindrisch oder conisch je nach Bedarf. Dünne conische, sich zuspitzende Oesophagus- bougies eignen sich wohl am besten zum Zwecke allmäliger Dilatation. Man lässt die Bougie so lange in der Strictur liegen, als der Kranke sie eben verträgt und schützt den aus dem Munde herausragenden Endtheil dadurch vor einer Einwirkung der Zähne, dass man zwischen den Zahnreihen einen runden, entsprechend dicken Holzstab quer einstellt. Namentlich ist dies bei Kindern, welche so häufig durch Waschlauge sich verletzen, nothwendig, weil sie die ganze Zeit des Bougiebelasses durch alternirende Würg- und Kaubewegungen auszu- füllen pflegen. Je nachdem der Kranke eines erethischen oder apathischen Naturells sich erfreut, wird die eingelegte Sonde nur minutenlang oder halbe, ja ganze Stunden lang vertragen. Auch die Gewöhnung spielt eine Rolle; im Anfange der Behandlung pflegen die Kranken empfindlicher, im späteren Verlaufe weniger empfindlich zu sein. Bei Kindern wird oft ein Mundspiegel nöthig, um den Widerstand im Oeffnen der Zahnreihen zu überwinden. Das Einführen der Bougies wird jeden Tag oder jeden zweiten, ja selbst jeden dritten Tag wieder- holt. Mit der Dilatation kann rascher oder langsamer vorgegangen Fig. 155. werden, je nach dem Grade der Reaction — entzündliche Schwellung — welche sich jeweilig bemerkbar macht. Es ist sehr zu empfehlen, sich einer und derselben Bougienummer mehreremale hintereinander zu bedienen, bevor man zur nächst höheren Nummer übergeht, und stets die dünnere Nummer unmittelbar früher einzulegen, ehe man zur stärkeren greift: erstere dient dann quasi als Wegbahner. Zumeist werden in der ersten Zeit der Behandlung conische Bougies genommen und so lange in progressiver Dicke benützt, bis einmal eine bleifeder- dicke cylindrische Bougie eingebracht werden kann; dann bedient man sich progressiv steigender cylindrischer Instrumente, weil mit diesen eine gleichmässigere Dilatation zu Stande gebracht werden kann. Sobald eine stärkere Reaction : Schmerzen, Schlingbeschwerden, Fieber sich bemerkbar macht, muss sofort pausirt werden, da man sonst Gefahr laufen würde, die Entzündung zu steigern und periöso- phageale Abscesse beklagen zu müssen. Dieser Umstand verbietet es auch, die Dilatation allzu früh nach der Verätzung zu beginnen, ab- gesehen von der Möglichkeit, die gelockerten Häute der Speiseröhre mit der Bougie verletzen, ja durchbohren zu können. Drei bis vier Wochen sollten stets vergehen, ehe man nach der Verätzung zur Bougie greift. Namentlich französische Chirurgen pflegen zu Dilatations- zwecken sich des früher schon erwähnten Trotisseau' sehen Oliven- stabes zu bedienen, wofür sie eine ganze Reihe von Oliven vorräthig zu haben pflegen in aufsteigender Durchmesserprogression, die ab- 509 — Fig. 156. wechselnd je nach Bedarf an einem und demselben Fischbeinstabe festgeschraubt werden. Mit diesem Instrumente vorgehend, durch- wandert man einmal oder mehreremale die stricturirte Stelle mit der Olive, indem man sie durchdrückt und wieder vorzieht; das längere Liegenlassen entfällt (Fig. 155). Weil das Zurückziehen der einmal vorgedrückten Olive durch die Strictur insofern manchmal Schwierigkeiten bereiten kann, als die Strictur den Stab umklammert und der Olive den Rückgang hindert, hat Duguet die Trotis- seau' sehe Canüle derart abgeändert, dass er den Uebergang zwischen dem Stabe und der Olive dadurch zu einem allmäligen gestaltet, dass er den ersteren oberhalb des Gewindes halsförmig verbreitert, so dass der brüske Uebergang zwischen beiden wesentlich abgeschwächt wird; Chassagny wieder hat die Olive im Durchmesser von vorne nach rückwärts verjüngt, also ab- geplattet, angeblich, weil man mit platten Oliven das anatomische Hinderniss des Ringknorpels leichter überwindet und auch leichter in die Stricturen eindringt, entsprechend der Abplattung des Oesophagus im gleichen Sinne. Es unter- liegt keiner Frage, dass man kurze Stricturen mit allmälig im Dickendurchmesser aufsteigenden Oliven recht gut erweitern kann, für lange Stricturen eignen sich indess Stoffbougies un- vergleichlich besser. Senator hat behufs Dehnung narbiger Ver- engerungen der Speiseröhre ftuellsonden ange- geben. Laminariastücke verschiedenen Calibers werden mittelst metallischer Schraubenhülsen an den Enden weicher französischer Bougies befestigt und letztere mit schwachen Mandrins montirt, um leichter eingeführt werden zu können. Nebstdem wird durch die Basis des Laminariastäbchens ein Seidenfaden quer durch- zogen, um aller Eventualität eines Versagens der Schraube vorzubeugen. Vor der Einführung wird die Laminaria in Wasser getaucht, ja nicht beölt, weil letzteres das Aufquellen verhindern würde. Sitzt die Laminaria in der Strictur, so belässt man sie Vi bis Va Stunde darin und entfernt sie dann, um sie sofort mit 5^^/o Car- bolwasser oder ^oo Sublimat gründlich zu des- inficiren und sodann trocknen zu lassen, wo- durch sie neuerdings gebrauchsfähig wird. Senate behauptet, dass der grosse Vortheil seiner Sonde gegenüber den sonst gebräuch- lichen Bougies darin bestehe, dass man jeweilig ein solches Caliber der Laminaria wählen könne, welches eben ohne Anwendung einer besonderen Gewalt durch die Strictur durchgeführt werden kann, 510 Fig. 157. und dass durch die Aufquellung eine äusserst schonende Dilatation erzielt wird. Bei undurchdringlichen Stricturen im Brusttheile pflegt man den Magen zu eröffnen, theils um die Gefahr der In- anition zu beschwören, theils um die Strictur zu erwei- tern. Die Erfahrung lehrt, dass impermeable Stricturen nach ausgeführter Gastrostomie manchmal permeable werden und dann eine allmälige Sondendilatation zu- lassen; sollte dies nicht der Fall sein, so benützt man die künstlich geschaffene Magenfistel, um vom Magen- inneren aus durch die Cardia (Darmsaiten) in die Speise- röhre einzuführen und sonach von unten her in die Strictur zu dringen. Wenn dies einmal gelungen ist, dann unterliegt die weitere Dilatation keiner Schwierigkeit mehr. Hagenbach lässt den Kranken ein Schrotkorn, welches an einem Faden befestigt ist, schlucken und Flüssigkeit nachtrinken. Findet das Schrotkorn durch die Strictur seinen Weg in den Magen, wird es durch die Magenfistel hervorgezogen und man hat nun einen Faden, von dem ein Ende aus dem Munde, das andere aus der Magenfistel vorragt. Abbe leitet nun auf den Faden vom Munde aus eine dicke, unten offene weiche Bougie bis zur Strictur als Schutz ein, ergreift dann die Fadenenden, spannt den Faden und führt damit sägende Bewegungen aus, bestimmt die Strictur einzuschneiden. Hacker zieht elastische Gummirohre ein, welche mehrere Stunden in der Strictur belassen werden, dieselbe dila- tiren und für solche dickeren Calibers Platz schaffen. Sondirung ohne Ende. Nach erweiterter Strictur schliesst die Magenfistel zumeist von selbst, selten dass es noth- wendig wird, sie künstlich zu verschliessen. Gelänge die Dilatation nicht, müsste natürlich die Magenfistel dau- ernd erhalten bleiben. Zur raschen, gewaltsamen Ausdehnung, ein Verfahren, welches sich aus bekannten Gründen keineswegs em- pfiehlt, dienen eigene Dilatatoren, von denen mehrere Modelle bekannt sind. Das beste unter anderen dürfte der CoUi7i' sehe dilatateur ä echelle sein, welches in Fig. 15fj ersichtlich ist. Die Spitze des metallenen Instrumentes besitzt einen kurzen filiformen Conductor, um leichter den Weg in die Strictur zu finden. Das Vor- treiben der kleinen Leiter erfolgt durch Schraubendruck und kann am Dynamometer jederzeit controlirt werden, wie gross die Diastase der beiden Stäbe sei. Einen ähn- Dilatator hat Le Fort angegeben. Die innere Discision, auch Oesophagotomia interna ge- nannt, findet ihre seltene Anzeige bei solchen membra- nösen und cicatriciellen Verengerungen, welche der allmäligen Dilatation durch Sondenbehandlung nicht weichen. Das geeignetste Instrument zur internen Oesophagotomie dürfte das von Trelat erdachte sein, Fig. 1.57 stellt es dar. Eine Scala an der Aussenfläche der Röhre macht er- — 511 — sichtlich, bis zu welcher Tiefe das Instrument jeweilig vorgedrungen sei. Die Spitze ist stumpf und ohne Conductor, das Vortreten des Klin- genpaares erfolgt durch Schraubenwirkung in schräg divergirenden Richtungen und kann die Divergenz der Klingen am kleinen Djaiamo- meter genau controlirt werden; hinter den Klingen, dem Griffe zu, ist ein stufenförmiger Vorsprung der Röhre, welcher ein tieferes Eindrin- gen des Instrumentes über die Strictur hinaus verhindern soll. Die Klingen werden, während das Instrument in der Strictur lagert, vorge- schraubt und diese beim Rückziehen des Instrumentes bilateral einge- schnitten. Die Divergenz der Klingen ist so leicht zu regeln, dass man bei einiger Vorsicht es sicher vermeiden kann, die Incision zu tief zu machen, mit Gefährdung der Wandungsintegrität. Die Gefahr liegt mehr in der Möglichkeit septischer Infection von den kleinen Schnitt- wunden aus. Maisonneuve, der wohl die meisten inneren Oesophagoto- mien ausgeführt haben mag und sie selbst in Fällen anzuwenden pflegte, wo Andere die Sondendilatation als unbedingt zulässig und durcliführbar erachtet hätten, bediente sich eines Instrumentes, wel- ches seinem Urethrotom analog construirt war, und zwar angeblich mit recht guten Erfolgen. Er behauptete, durch die innere Oesopha- gotomie eine bleibende Erweiterung der Strictur herzustellen und dadurch das prophylaktische Sondiren, welches nach der Dilatations- methode zur Verhinderung von Recidiven jahrelang, ja lebenslang in gleichmässigen längeren Intervallen gepflogen werden muss, unnöthig zu machen. Es soll damit nicht gesagt sein, dass nach der Discission der Narbe alles Bougiren überflüssig sei, im Gegentheil, das gegen- seitige Zusammenwachsen der Einkerbungen kann nur durch Von- einanderhalten ihrer Wundflächen und dieses wieder nur durch Ein- führung adäquat calibrirter Sonden verhindert werden. Heutzutage würde man eine Discission wohl nur unter Controle des Auges vor- nehmen dürfen, unter Verwendung des Oesophagoskop. Carcinomatöse Verengerungen müssen mit Vorsicht sondirt werden, einerseits um nicht durch zu starken Druck und zu rasches Vorgehen Zerfall der Neu- bildung zu bedingen, andererseits um nicht durch brüskes Vorgehen die morsche degenerirte Oesophaguswand zu durchstossen. Sehr ent- sprechend erscheint Billroth's Empfehlung, die Sonde durch eigenen Druck wirken und sich den Weg allein bahnen zu lassen. Diesbehufs muss die Sonde ein grösseres Gewicht haben und am Ende gut ab gerundet sein. Billroth benützte mittelstarke cylindrische Stoffbougies also abgeschlossene, dickwandige Röhren, welche mit regulinischem Quecksilber gefüllt und gut verkorkt waren. So präparirte Bougies haben ein bedeutendes Gewicht und arbeiten unter hohem Druck. Bis zur Strictur eingeführt, werden sie sich selbst überlassen, wäh- rend der Kranke mit stark rückwärts geneigtem Kopfe und weit offenem Munde eine sitzende Stellung einhält. Leydea und Renvers empfahlen die Behandlung carcinöser Oesophagusstricturen mit Dauer- canülen nach SymomJs: die eingelegte und in der Strictur liegen blei- bende, trichterförmig gestaltete kurze Hartgummicanüle soll den Ge- webszerfall des Neugebildes verhindern und dennoch die Passage für die Einfuhr flüssiger Nahrungsmittel offen erhalten. Man beginnt die Behandlung mit antiseptischen Ausspülungen der Speiseröhre und dehnt dann die Strictur mit Darmsaiten und Bougies so weit, bis — 512 — eine zur Aufnahme der Canüle genügende Lichtung gewonnen ist. Die Hartgummicanüle ist von vorne nach rückwärts etwas abgeplattet, also queroval, trichterförmig und mit zwei seitlichen Ringen versehen, durch welche Seidenfäden gezogen werden, bestimmt, das Durch- rutschen des kurzen Rohres durch die Strictur in den Magen zu ver- hindern und die Möglichkeit zu gewähren, es jeden Augenblick per os entfernen zu können. Zum Einführen dient ein Mandrin. Sitzt die Canüle, dann werden die Sicherheitsfäden an den Ohren fest- gebunden, erstere eventuell durch die Nase gezogen und am Septum geknotet. Derlei Canülen sollen bis zu sechs Monaten in der Strictur verbleiben können. Höher, also im Halstheile gelegene Carcinoma erfordern das Einlegen elastischer Rohre, welche dann, dem Quäle des Materiales entsprechend, kaum länger als 14 Tage in der Speise- röhre belassen werden können. IV. Aeussere Oesophagotomie. Die Eröffnung des Halssegmentes der Speiseröhre findet bei Fremdkörpern und bei Verengerungen ihre Anzeige : bei ersteren vornehmlich, wenn sie im Halstheile stecken und auf instrumentellem Wege nicht entfernt werden können oder dürfen. Aber auch bei tiefsteckenden Fremdkörpern mag zur Oeso- phagotomie geschritten werden, wenn die gegründete Hoffnung be- steht, ihnen von der Wunde aus besser beikommen zu können. Aehn- lich verhält es sich mit den impermeablen Stricturen, wogegen bei carcinösen Verengerungen die Oesophagotomie nur dann Anwendung finden darf, wenn unterhalb des Tumor operirt werden kann, wogegen bei Neubildungen im Brusttheile keineswegs die Eröffnung der Speise- röhre am Halse, sondern nur die Bildung einer Magenfistel Anzeige findet. Als planum operationis dient der zwischen Ringknorpel und manubrium sterni gelegene Theil des Oesophagus, welcher linkerseits etwas seitlich von der trachea vorragt, daher sich auch die linke Seite des Halses zum Eindringen vorzugsweise eignet. Der von der Luft- röhre nicht bedeckte Seitentheil des Oesophagus liegt auf der Wirbel- säule, respective an dem musculus longissimus colli; im leeren Zu- stande erscheint die Speiseröhre als ein musculöser plattrundlicher Wulst, welcher, etwa der Höhe des sechsten Halswirbels entsprechend, von der quer verlaufenden arteria thyreoidea inferior gekreuzt wird. Bei anormalem Abgange der carotis dextra und der subclavia sinistra vom Aortabogen können die benannten grossen Gefässe hinter der Speiseröhre ihren Lauf nehmen und sie demnach ebenfalls kreuzen. Die nervi recurrentes vagi nehmen in den Längsfurchen, welche die Luftröhre mit der Speiseröhre bildet, jederseits ihren Lauf zum Kehl- kopfe, bleiben daher ausser Spiel. Der äussere Speiseröhrenschnitt wird am halbsitzenden Kranken vorgenommen, dessen Kopf nach rechts gedreht erhalten wird. Der Hautschnitt beginnt nach Guattani etwas unterhalb, bei kurzen Hälsen in gleicher Höhe mit dem Ringknorpel, zieht am Innenrande des linken Kopfnickers und endet etwas oberhalb des manubrium sterni. Haut, Platysma und fascia superficialis werden mit Schonung der vena jugularis anterior durchschnitten, und hierauf mit stumpfen -^ 513 - Haken der Kopfnicker sammt seiner Fascienhülle nach aussen abge- zogen gleichzeitig mit dem äusseren Wundrande. Man überblickt nun die lamina media fasciae colli und auf ihr liegend den musculus omo-hyoideus, spaltet die fascia mit oder ohne Schonung des omo- hyoidus und lässt den Spaltrand mit in den Abziehhaken nehmen. Damit wird der linke Seitenlappen der Schilddrüse entblösst und kann ihr Seitenrand mit dem Finger stumpf isolirt Averden; sofort lässt man einen zweiten Haken anlegen und damit den Schilddrüsen- lappen nach innen abdrängen. In der Tiefe kommen nun zum Vor- schein: arteria carotis, vena jugularis communis und nervus vagus, von ihrer gemeinschaftlichen Scheide umhüllt, auf welcher der ramus descendens nervi hypoglossi liegt. Das ganze Gefäss- und Nerven- paquet wird vom äusseren Haken mitgefasst und abgezogen. Wirken beide stumpfe Haken in genügender Weise, so gelangt man in die Tiefe zur Speiseröhre. Bei strumös vergrössertem Schilddrüssenlappen könnte es nothwendig werden, diesen in weiterem Umfange zu isoliren, um ihn entsprechend abziehen, beziehungsweise aufklappen zu können. Hierzu ist eine vorgängige Sicherung und Durchschneidung der arteria thyreoidea superior nothwendig. Dioiioitt sah sich gezwungen, den hindernden Strumalappen zu exstirpiren. Bei kurzen Hälsen kann be- hufs Herstellung einer grösseren Zugängiichkeit die Abtrennung der Sternalportion des Kopfnickers wünschenswerth werden, um diesen Muskel besser nach aussen abziehen zu können. Ist auf solche Weise die Speiseröhre blossgelegt, so muss zunächst bestimmt werden, in welcher Höhe der Eröffnungsschnitt zu erfolgen hat: liegt die Stelle im Bereiche der thyreoidea inferior, so muss zunächst dieses Gefäss isolirt, doppelt unterbunden und mitten zwischen beiden Li- gaturen durchschnitten werden. Die Eröffnung der Speiseröhre er- folgt entweder direct auf dem die Seitenwand vorstülpenden Fremd- körper, oder (bei Stricturen) auf Leitinstrumenten, welche man dies- behufs vom Munde aus bis zur Strictur einschiebt. Hiefür können benützt werden : ein Schlundstosser mit Schwamm, ein 7 rousseau'' scher Olivenstab, eine dicke cylindrische Stoffbougie oder ein eigenes Instrument, Namens Ectropo-oesophag. BerUnghieri, der Erfinder dieses nicht unentbehrlichen Werkzeuges, empfahl eine catheterförmige, lang- und schmalgefensterte Metallröhre, aus welcher eine bandartig geknöpfte Feder hervorspringt, sobald man am Stabe zieht, welcher die Feder trägt. Lner hat das Instrument insofern zweckmässig modificirt, als die Feder durch Drücken des Stabes aus dem Fenster sich vorbiegt. Die Feder des Luer^ sehen Instrumentes ist an der Aussenfläche längsgefurcht und dient dem trennenden Spitzbistouri als Leiter. Man kann jedoch auch jedes Leitinstrumentes entbehren und muss es auch, wenn unterhalb des Hindernisses operirt werden soll. In solchem Falle wird der leicht kenntliche Querwulst des Oesophagus zwischen zwei spitzen Häkchen gespannt und aus freier Hand eröffnet. Der Oesophagus besteht aus zwei ineinander geschachtelten Röhren, welche sehr lockerzellig mitsammen verbunden sind: dem inneren Schleimhaut- und dem äusseren Muskelrohre; sticht man mit dem Bistouri direct ein, was nur bei vorgCAvölbter Oeso- phaguswand gestattet ist, so wird zumeist das gespannte Muskelrohr in grösserer Ausdehnung durchschnitten, als die schlaffe mucosa, ». Mosetig-Moorhof: Handbuch d. Chirurg. Technik. 4. Aull. 33 — 514 — welche sogar der Spitze des Bistouri ganz ausweiclien kann. Man hilft dann mit einem Knopfmesser nach oder sticht von neuem ein. Soll die Eröffnung ohne Leitungsinstrument erfolgen, so trennt man die Oesophaguswand schichtenweise mit dem Scalpelle. Das Muskel- rohr wird dann, kraft seiner Circulärfasern den Längsschnitt zu einem Ovale gestalten, welches rahmenartig die grauer gefärbte Rückfläche der Schleimhaut umfasst; es empfiehlt sich, letztere separat mit zwei Häkchen zu fixiren und zu spannen, bevor man sie mit dem Spitz- bistouri oder Schere in gleicher Länge zur muscularis trennt. Das weitere Verfahren richtet sich nach der Indication; hat man eines Fremdkörpers wegen operirt und direct auf ihn incidirt, so ent- fernt man ihn durch Hebel- oder Zangenwirkung; wurde unterhalb eines obturirenden Neugebildes die Eröffnung vorgenommen, so zieht man die Wundränder der Speiseröhre in die Halswunde vor, stülpt die Hautränder ein und vernäht beide miteinander, denn es ist ja der Zweck der Operation, eine Dauerfistel anzulegen, durch welche man den Kranken künstlich ernährt, unter Vermittlung von Gummisonden, welche durch die Fistel in den Magen geschoben werden. Man spricht dann von einer Oesophagostomie. Sind weitere Manipulationen inner- halb der Speiseröhre vorzunehmen, wie solche bei tiefer gelegenen Fremdkörpern oder Stricturen nothwendig sind, so wird man gut thun, durch beide Wundränder je eine Fadenschlinge durchzuziehen, welche dann als Zügel dienen, um erstere zu spannen, vor- oder ab- zuziehen, je nach Bedarf. Es handelt sich nämlich darum, zangen- oder sondenähnliche Instrumente in die SiDeiseröhre einzuführen, des Häu- figsten wohl Sonden, mit denen der Eingang in und der Weg durch die Strictur gefunden werden soll. Ist dieser gefunden, dann muss zunächst entschieden werden, welcher Behandlungsweise die Strictur am passendsten zu unterziehen sei. Die allmälige Dilatation, welche via oris gepflogen, als die beste und sicherste Methode gilt, ist via vulneris viel zu langwierig und erfordert ein allzu langes Offenbleiben der Halswunde, bis jener Zeitpunkt eintritt, wo es gelingt, auf nor- malem Wege sondiren zu können. Dieser Umstand gibt den rascheren Methoden den Vorzug, welche umsomehr sich empfehlen, als in Folge der relativ näher gerückten Strictur die Sicherheit des Eingriffes ge- winnt und das Unheimliche des Uncontrolirten und Verborgenen ent- fällt. Man dilatirt also rasch oder man incidirt die Narbenstrictur und verbindet derart, nach Gussenhauer, die äussere Oesophagotomie mit der inneren. Eigene Instrumente mit verborgenen Klingen sind hierzu kaum nöthig: Gussenhauer führt eine Hohlsonde ein und in- cidirt mit einem Herniotome; auch die rasche Dilatation lässt sich mit einer feinen glatten Zange ausführen, die man geschlossen in die Strictur einzwängt, und dann durch vorsichtiges Oeffnen der Blätter gleich einem Handschulidehner verwendet. Ist die Oesophagusstrictur so weit dilatirt, dass eine mitteldicke Sonde durch kann, so führt man letztere durch die Nase in die Wunde und von dieser aus durch die erweiterte Strictur in den Magen. Ebenso muss nach Entfernung von Fremdkörpern eine weiche Sonde auf gleichem Wege eingelegt werden und eingelegt bleiben bis zur vollendeten Vernarbung der Wunde. Es fragt sich, was nach erreichtem Zwecke mit der Schnittwunde des Oesophagus zu geschehen habe, ob man sie durch die Naht ver- — 515 — einigen oder dem Verschlusse durch Granulation überlassen solle. Die Chancen für die prima intentio durch die Naht sind nicht gross; immerhin kann man sie versuchen, jedoch stets nur unter der Vor- aussetzung, dass die Halswunde ganz oder halb offen gehalten werde, damit ein etwaiges Nachgeben der Naht, respective das Aus- bleiben der erhofften prima intentio keine üblen Folgen habe. Man kann auch eine Doppelnaht anlegen, zunächst die Schleimhautränder genau vereinigen und darüber die Muskelhaut nähen in der Erwar- tung, dass eine derartige exacte Doppelnaht bessere Dienste leiste als die bisher gepflogene einfache Knopfnaht. Wurden bei der Entfernung eines voluminösen, harten, rauhen Körpers etwa die Wundränder stark gezerrt, gequetscht oder eingerissen, so ist es rationeller, nicht zu nähen und die Halswunde ganz offen zu lassen, locker mit Jodo- formgaze tamponirt. Der Ernährung wegen ist dabei eine Verweil- sonde unentbehrlich. Billroth führte von der Wunde aus ein Drain- rohr in den Magen und Hess es etwa acht Tage am Platze, bis volle Granulation eingetreten war. An die Oesophagotomia externa lassen sich zwanglos noch zwei Operationen anreihen, die zwar selten ausgeführt werden, aber immer- hin eine Erwähnung erheischen: nämlich die operativen Verfahren zur Beseitigung von Oesophagusdivertikeln und die Resection des Oesophagus. Divertikel des Oesophagus kommen als angeborene und als er- worbene Leiden vor; sie sitzen in der Regel dem Halstheile der Speiseröhre auf, seltener und nur angeborene Divertikel kommen auch in der Höhe der Trachealbifurcation vor. Erworbene Divertikel sind die Folgen von localisirten, entzündlich ulcerösen Processen, welche durch Lähmung und Zerstörung der musculösen Elemente, dem afficirten Oesophagussegmente eine derartige Widerstandsunfähigkeit verleihen, dass schon der Druck der verschlungenen Bissen im Stande ist, eine Wandfläche dauernd partiell auszubuchten und endlich zu einem mehr minder weiten und tiefen, der Speiseröhre aufsitzenden und mit ihr direct communicirenden Sacke umzugestalten. Zenker und Ziemssen nennen derlei durch Innendruck hervorgerufene sackförmige Ausbuchtungen: Pulsionsdivertikel ; sie können sich mit Stricturen combiniren. Bokifansh/ hat gefunden, dass auch entzündete, mit der Oesophaguswand innig verwachsene Lymphdrüsen den gleichen Effect herbeiführen können, wenn sie abschwellen und schrumpfen. Sie ziehen dabei, um ihrer Volumsverkleinerung gerecht zu werden, jenen Wandtheil der Speiseröhre, an dem sie haften, nach aussen, wodurch anfänglich eine Oesophagusbucht entsteht, später, wenn die Speisen sich darin verfangen, ein Divertikel. Solche, wenigstens in ihrem Anfange, durch Zug von aussen bedingte Säcke nennt man Tractions- divertikel. Besteht ein Divertikel, gleichgiltig ob angeboren odei* erworben, so hat der betreffende Besitzer grosse Hindernisse bei der Nahrungseinnahme, insofern als die verschluckte Speise theilweise in den Divertikel gelangt, diesen allmälig ausfüllt und zu einem Tumor gestaltet, der dann die Speiseröhre comprimirt und selbst 3.S* — 51G - Athembeschwerden hervorruft. Abhilfe kann durch zweierlei Verfahren gebracht werden: König empfiehlt zunächst eine Magenfistel anzulegen und wenn diese gesichert ist, den Divertikel von aussen her bloss- zulegen, zu isoliren, den Sack an seiner Einmündung in den Oesophagus abzuschneiden und schliesslich die Speiseröhre durch eine sorgfältige Catgutnaht in ihrer Continuität zu reintegriren. Die vorhandene Magenfistel macht die Einlage einer Oesophagussonde überflüssig und sichert die Ernährung des Kranken bis zur definitiven Vernarbung der Halswunde. Nicoladoni will den Divertikel biossiegen, den Sack- grund spalten und dessen Wundränder an die äussere Haut heften. Er etablirt auf solche Weise eine äussere Oesophagusfistel, Während der Wundheilung muss eine Sonde eingelegt bleiben. Die aufgeklappten Divertikelwandungen will er später durch wiederholte Cauterisationen zur Vernarbung bringen. Die Resection eines Oesophagussegmentes gehört noch zu den seltenen Operationen. Die Anzeige hierzu geben nur ganz circumscripte, die Wandungen nicht überschreitende Carcinome im Halstheile der Speise- röhre. Man legt hiefür den Oesophagus bloss, schneidet ihn an den Grenzen des Neugebildes quer durch, exstirjDirt das Mittelstück und heftet das centrale Resectionsende an die äussere Haut. Auch an die Vornahme einer Oesophagoplastik, einer Herstellung des fehlenden Segmentes durch Transplantation von Hautlappen aus der Halsgegend könnte in geeignetem Falle gedacht werden, wenn gleichzeitig die Kehlkopf exstirpation ausgeführt wurde. IV. Capitel. Gef ässunterbindungen am Halse. I. Ligatur des truncus anonymus. Dieser mächtige Gefässstamm liegt hinter dem manubrium sterni auf der trachea und wird durch die Vena innominata dextra theilweise gedeckt, während die innominata sinistra seine Vorderfläche kreuzt. Die Theilung der anonyma in carotis und subclavia dextra erfolgt in der Höhe und hinter der articulatio sterno-clavicularis. Zur Blosslegung der anonyma können zwei wesentlich voneinander verschiedene Verfahren eingeschlagen werden: a) Es werden carotis und subclavia an ihrer Ursprungs- stätte entblösst und ihnen entlang in das mediastinum anticum ein- gedrungen, wo die anonyma liegt. Z>J Es wird der Gefässstamm durch Resection des manubrium sterni nebst den Sternalenden einer oder beider claviculae und den entsprechenden Theilen der einen oder beider ersten Rippen blossgelegt. Die bisherigen 18 Fälle von zu Ende geführten Unterbindungen der anonyma, von denen nur eine (Smith) günstigen Ausgang hatte, wurden alle auf dem ersterwähnten Wege, also vom Halse aus vollzogen. Die Schnittführungen waren sehr verschieden, denn fast jeder Operateur hatte eine eigene Va- riante; die grösste Zugängiichkeit dürfte die Methode von Mott bieten, welcher im zweiten Decennium unseres Jahrhunderts zuerst die ano- — 517 — nyma unterband. ]\I(>tt bediente sich eines Lappenschnittes: zunächst wird horizontal und dem oberen Rande der clavicula entsprechend ein circa !• Centimeter langer Schnitt geführt, der in der Mitte der incisura sterni seinen Anfang nimmt; ein zweiter ebenso langer Schnitt verfolgt den Innenrand des Kopfnickers und mündet in den Anfang des ersten ein. Durch diesen Doppelschnitt wird ein spitz- winkeliger Lappen umschrieben; man durchschneidet Haut, platysma, fascia superficialis, löst die Insertion des Kopfnickers am sternum ab und klappt den Hautmuskellappen nach oben aussen um. Hierauf werden die Anheftungen der sterno-hj^oidei und sterno-thj^reoidei quer durchschnitten und mit dem betreffenden Hautrande medianwärts abgezogen. Hat man schliesslich noch die lamina media fasciae colli auf der Hohlsonde gespalten, so ist das Operationsfeld erschlossen und wird der bulbus venae jugularis sichtbar. Mit Vorsicht wird nun die jugularis nach aussen gedrängt und dadurch die carotis communis nahe ihrem Ursprünge entblösst. Hinter der vena jugularis, an der Aussenseite der carotis, liegt der nervus vagus; er wird sammt der Vene mit einem stumpfen Haken von der Arterie abgezogen. Verfolgt man nun die carotis centralwärts, so gelangt man alsbald zum Ur- sprünge der subclavia dextra und damit zur Theilungsstelle der anonj'ma. Vor dem Ursprünge der subclavia legt sich an ihre Vorder- seite der nervus vagus dexter und entsendet an dieser Stelle den ramus recurrens, welcher in Form einer Schlinge die subclavia um- fasst; auch ist dabei der nervus phrenicus nicht zu vergessen, der zwischen arteria subclavia und vena innominata in die Brusthöhle zieht. Mit sorgsamer Schonung des vagus, recurrens vagi und phre- nicus verfolgt man die subclavia centralwärts und gelangt dadurch zur anonyma. Hierselbst muss die vena innominata dextra etwas nach aussen, die innominata sinistra nach abwärts gedrängt werden, um zur Isolirung des mächtigen Arterienstammes und zur Einführung des Ligatur fadens schreiten zu können. Noch eine Vorsicht ist beim Anlegen der Fadenschlinge mittelst Dechampschev Nadel nöthig: die Schonung der pleura sinistra, auf deren Kuppel die Arterie liegt. Sind alle Hindernisse glücklich überwunden, so muss der breite Ligaturfaden nicht plötzlich, sondern durch allmäliges Zuschnüren geknotet werden, v. Bergmann führt einen geraden, horizontalen Schnitt von der Mitte der fossa supraclavicularis beginnend, daumenbreit oberhalb der clavicula und parallel derselben bis in das jugulum reichend. Nach Freilegung des Kopfnickers wird dessen claviculare Portion mit dem Periost des Schlüsselbeines im Zusammenhange ab- gelöst, letzteres entsprechend seiner Mitte durchgesägt und im Sternal- gelenke exarticulirt. Zungenbeinmuskeln und portio sternalis des Kopfnikers bleiben intact. Da der Collateralkreislauf nach Verschluss der anonyma zumeist auf dem Wege carotis sinistra und vertebralis sinistra sich herstellt, so ist es sehr fraglich, ob man mit dem truncus anonymus nicht gleichzeitig auch die arteria vertebralis dextra ligiren solle. Smith hat es nachträglich thun müssen, als Nachblutung sich einstellte. Die directe Blosslegung der anonyma durch Resection der Deck- knochen ist von Bardenheuer vorgeschlagen worden. Er benützt hierzu einen T-Schnitt: der quere Theil wird entlang dem oberen Rande des — 51R — manubi'ium sterni über die Claviculargelenke, der senkrechte entlang der Mittellinie des manubriiim sterni geführt. Die Hautlappen werden mit dem Perioste vom Knochen abgehebelt, hierauf claviculae und costae primae durchsägt, das Periost von der Hinterfläche des manu- briuni abgedrängt (man soll dabei von der linken Seite und nicht von oben eingehen, da letzteres grössere Schwierigkeiten bereitet) und schliesslich das manubrium vom corpus sterni mit dem Meissel abgestemmt. Nach Entfernung dieses Knochendeckels spaltet man das hintere, bisher unverletzt gebliebene Periostblatt und ist damit in das vordere mediastinum gelangt, wo nach Abdrängen der beiden venae in- nominatae direct die anonyma sichtbar wird. IL Ligatur der arteria carotis. Es kann entweder der Stamm der carotis communis in der Region zwischen Schildknorpel und sternum unterbunden werden, oder einer ihrer Hauptäste: carotis externa oder interna oberhalb der Schildknorpelregion; die Wahl hängt ab von der Nothwendigkeit, nur diesen oder jenen Gefässbezirk oder gleichzeitig beide aus dem Kreislaufe schalten zu müssen. Die Unterbindung der carotis communis wird meistentheils entsprechend der Höhe des Ring- knorpels vollzogen, welcher beiläufig der Mitte des astlosen Gefäss- stammes entspricht. Carotis communis und vena jugularis communis verlaufen in einer gemeinschaftlichen Scheide — vagina communis — welche aus der Doublirung der fascia colli profunda hervorgeht, vor ihrer Theilung in eine lamina media und eine lamina profunda. Auf der gemeinschaftlichen Scheide ruht longitudinal die leicht kenntliche ansa nervi hypoglossi. Das Verhältniss der carotis communis zur vena jugularis ist ein solches, dass die Vene zwar nach aussen von der Arterie liegt, sie aber mit ihrem Innenrande theilweise deckt. Sowohl Arterie als auch Vene haben natürlich je eine eigene Gefässscheide — vagina propria. — In dem einspringenden Winkel, den die Arterie mit der Vene auf der Rückseite bildet, liegt der nervus vagus, während der Sympathicusstrang ausserhalb der vagina communis entlang dem musculus longissimus colli zieht. Die genannten Insassen der gemein- schaftlichen Gefässscheide liegen rechts und links von der trachea. Als Führungslinie zur Blosslegung der Gefässe dient der Innenrand des Kopfnickers; sollte dieser nicht deutlich kenntlich sein, dann eine Linie, die man sich von der articulatio sterno-clavicularis zum Processus mastoideus gezogen denkt. Man spaltet durch einen aus- giebigen Schrägschnitt, dessen Mitte stets der Stelle entsprechen soll, wo die Ligatur anzulegen ist, Haut und platysma, trennt am Innenrande des Kopfnickers, ohne die Muskelscheide zu öffnen, die fascia superficialis, lässt den Kopfnicker nach aussen abziehen, gelangt nun auf die lamina colli media, spaltet diese ober- oder unterhalb der Kreuzungsstelle des omo-hyoideus, lässt letzteren abziehen (zumeist nach abwärts), legt einen Haken am Rande der sich nun präsentirenden Schilddrüse und schiebt sie sammt ihren langen Deckmuskeln (sterno- hyoidei und sterno-thyreoidei) nach innen. Sogleich wird die gemein- — bl\) — schaftliche Hülle sichtbar und auf ihr der nervus hypoglossus. Die Gefässhülle soll an der Innenfläche, jener, welche der seitlichen Tracheahvand zugekehrt ist, mit Vorsicht auf der Hohlsonde gespalten werden, ja nicht an der Vorderfläche, weil dabei die dünnwandige, durch die Hakenaction plattgedrückte Wand der vena jugularis com- munis eröffnet werden könnte. Ebenso möge, gleichfalls an der Innen- fläche, auch die vagina propria der Arterie getrennt und nach Iso- lirung des Gefässrohres der Unterbindungsfaden von aussen — der Venenseite — eingeführt werden. Je näher dem Schlüsselbeine die Unterbindung ausgeführt werden soll, desto schwieriger gestaltet sich die Operation, einerseits wegen der grösseren Tiefe des Gefässes, andererseits wegen der geringeren Zugänglichkeit. Als Anhaltspunkt zum Auffinden des Gefässes gilt nach Chassaiguac der vordere Höcker des Querfortsatzes vom sechsten Halswirbel, an welchem die Arterie lehnt. Die Operationstechnik ist die gleiche, nur wird dabei der musculus omo-hyoideus nicht nach unten, sondern nach oben verzogen. Bei kurzen Hälsen kann eventuell eine quere Abtrennung der Sternalportion des Kopfnickers nothwen- dig werden, um mehr Raum zu schaffen. Soll einer der Hauptäste isolirt unterbunden werden: carotis externa oder interna, so wird der Schnitt entlang dem Innenrande des Kopfnickers weiter oben geführt, etwa von der Höhe des Kiefer- winkels nach abwärts. Die Theilung der carotis communis erfolgt in der Höhe des oberen Schildknorpeirandes, die Ligatur wird zumeist etwas oberhalb der Theilungsstelle angelegt. Man präparirt demnach unter den angegebenen Cautelen den obersten Abschnitt der carotis communis bloss, isolirt das Gefäss aus der vagina communis, verfolgt es bis zur Theilungsstelle, eröffnet hier erst die vagina propria jenes Astes, welcher unterbunden werden soll, und führt die Fadenschlinge ein. Bekanntlich liegt an der Theilungsstelle die carotis interna nach aussen und die externa nach innen, doch macht auch der baldige Abgang der thyreoidea superior die carotis externa unverkennbar. Die Arterien werden von der vena facialis communis gedeckt. ^ III. Ligatur der arteria subclavia. Die subclavia wird zumeist nach ihrem Durchtritte zwischen musculus scalenus anticus und medius aufgesucht, selten wird am Durchgangsstück, noch seltener median- wärts davon die Ligatur angelegt. Die Arterie kann ausserhalb der Scalenispalte an zwei Stellen blossgelegt werden, oberhalb oder unter- halb des Schlüsselbeines. Obgleich nun die letztgenannte Unter- bindungsmethode eigentlich nicht mehr in den Bereich der Opera- tionen am Halse zählt, da das Schlüsselbein die Grenze zwischen Hals und Stamm bildet, so wollen wir doch der Zusammengehörigkeit zuliebe beide Methoden in diesem Absclmitte erörtern. a) Unterbindung oberhalb des Schlüsselbeines. Die arteria subclavia tritt mit dem Nervenbündel des plexus brachialis durch die Muskel- ' Behufs Exstirpation eines basalen Zungencarcinoms wurden von Lane beide arteriae carotides comniunes nacheinander ligirl. Es erfolgte Heilung, ohne dass Hirn- erscheinungen aufgetreten wären. - 520 — spalte zwischen scaloniis anticus und medius. Der erstgenannte Muskel inserirt sich am oberen Rande der ersten Rippe, und zwar an der Stelle, wo jener höckerige Vorsprung sich befindet, welcher unter dem Namen tuberculum Lisfranc bekannt ist. Scalenus anticus bildet mit erster Rippe annähernd einen rechten Winkel; in diesem nun, knapp an der Aussenseite des tuberculum, liegt die Arterie, deren Verlauf ein horizontaler ist, während die Nerven in schräger Richtung von oben nach abwärts ziehen. Die vena subclavia nimmt ihren Weg ausserhalb des scalenus anticus, ist demnach etwas tiefer gelegen als die Arterie und von ihr durch die ganze Dicke des sca- lenus anticus geschieden. Das Aufsuchen der arteria subclavia am tuberculum costae primae ist nicht schwer. Zur Bestimmung der Lage des scalenus anticus wird der Kopfnicker benützt und angenommen, dass der unterste Abschnitt seines Hinterrandes mit dem Aussenrande des scalenus in einer und derselben Ebene liege. Man schneidet sonach vom hinteren Rande des Kopfnickers, etwas oberhalb seiner Insertion an das Schlüsselbein, schräge nach aussen, dem oberen Rande der clavicula zu, bis man letzteren etwa in der Mitte seiner Länge trifft. Das Operationsfeld hat wenig Deckschichten: Haut, platj'sma und beide Blätter der fascia colli, zwischen welchen Fettgewebe und Lj^mphdrüsen sich vorfinden nebst dem musculus omo-hyoideus. Man achte während der Durchschneidung der benannten Schichten auf die im inneren Wundwinkel sichtbar werdende vena jugularis externa, welche nach innen, der omo-hyoideus dagegen nach oben verzogen werden sollen. Geschwellte Lymphdrüsen werden exstirpirt, die feinen nervi supraclavicularis durchschnitten. Nach Spaltung der fascia colli profunda kommen die weissen, rundlichen Nervenstämme zum Vor- schein; legt man auf diese den Zeigefinger und verfolgt sie central- wärts, so gelangt man leicht zum Aussenrande des scalenus; lässt man hierauf die Fingerspitze an letzterem herabgieiten, so erreicht sie das tuberculum und fühlt knapp an diesem die Arterie auf der ersten Rippe, am Lebenden pulsirend, an der Leiche bandartig flach. Nun werden Haken am Kopfnicker angelegt und dieser medianwärts verzogen; die Schulter und mit ihr das Schlüsselbein lässt man nach abwärts drücken und gleichzeitig den Kopf nach hinten und gegen die andere Seite drängen. Die Isolirung der Arterie und deren Um- schlingung mit dem Ligaturfaden gelingt bei einigermassen guter Beleuchtung sehr leicht, der Ligaturträger möge von aussen nach innen geführt werden. hj Die Unterbindung unterhalb des Schlüsselbeines gestaltet sich etwas schwieriger, denn einerseits liegt die Arterie tiefer, anderer- seits ist ihr die Vene recht nahe gerückt. Das topographische Ver- hältniss zwischen den Nerven des plexus brachialis, der arteria und der vena subclavia ist folgendes geworden: die Vene hat sich über die Arterie geschoben und liegt dem innersten Stamme des plexus, dem späteren nervus medianus, dicht an. Bei der Aufsuchung müssen demnach diese zwei Nachbarn erst voneinander in divergenter Richtung (Nerve nach oben, Vena nach abwärts) abgezogen werden, um in der Tiefe der Zwischenspalte auf die Arterie zu gelangen. Nerven, Vene und Arterie verlaufen unterhalb der fascia coraco-clavicularis, in der Tiefe der Muskelspalte zwischen subclavius' und pectoralis — 521 — minor; zumeist wird die Arterie an dieser Stelle ligirt, Diesbehufs wird ein horizontaler Schnitt geführt, dessen beide Endpunkte innen die grösste vordere ConA'exität des Schlüsselbeines, aussen die Spitze des Processus coracoideus scapulae treffen. Nach Spaltung der Haut und der dünnen fascia superficialis gelangt man zum bindegewebigen, an Form dreieckigen Interstitium zwischen musculus deltoides und pecto- ralis major. In diesem trigonum Mohrenheimii verlauft die am Innen- rande des deltoides sich emporschlängelnde vena cephalica, welche ihren Weg zur vena subclavia nimmt, in welche sie einmündet, so dass man die cephalica anstandslos als Wegweiser zur subclavia benützen kann. Die obersten Muskelfasern des pectoralis major werden in gleicher Richtung mit dem Hautschnitte durchtrennt; sobald dann die Ränder mit Haken auseinander gezogen sind, gelangt man zur starken fascia coraco-clavicularis und sieht die vena cephalica nahe dem Schlüsselbein durch sie hindurchtreten. Nach Spaltung der Apo- neurose in querer Richtung treten musculus subclavius und pectoralis minor zu Tage. Zieht man deren Nachbarränder entsprechend ausein- ander, so kommen in der Tiefe zunächst die blaue vena subclavia, neben ihr nach oben, der clavicula zu, die weissen rundlichen Cer- vicalnerven zum Vorschein. Mit einer Hohlsonde wird nunmehr das lockere Zellgewebe, welches Nerven und Vene verbindet, vorsichtig getrennt, die Vene nach abwärts, der Nerve nach oben verlagert und die Arterie erscheint sofort in der Tiefe, da sie ja knapp hinter dem Paare liegt. Das Einführen des Ligaturfadens um die isolirte Arterie erfolgt von der Vonenseite aus. Behufs Unterbindung der subclavia zwischen den scalenis müsste noth- wendigerweise der scalenus anticus quer durchschnitten werden, wobei auf den Verlauf des nervus phrenicus zu achten wäre; auch die arteria mammaria interna ist in bedenklicher Nähe. Zur Ligatur inner- halb der scaleni eignet sich die subclavia kaum wegen der vielen und starken Aeste, die der kaum ;3 Centimeter lange Arterienstamm in kurzer Reihenfolge abgehen lässt. Die Operationstechnik müsste sich jener für die Anon3'maligatur ähnlich gestalten und nebst der sub- clavia auch die Aeste: vertebralis und thjn'eo-cervicalis mit unter- bunden werden, wie Koch es gethan. IV. Ligatur der arteria vertebralis. Früherer Zeit wurde dieser tief- gelegene erste Zweig der subclavia, welcher von ihrer oberen Wand gegenüber der mammaria interna abgeht, nur dreimal wegen Blu- tungen ligirt; neueren Datums hat W. Alexander diese Operation zur Heilung der Epilepsie empfohlen und in Ol Fällen mit angeblich recht günstigen Erfolgen ausgeführt. Er unterband das Gefäss sowohl uni- lateral, als auch bilateral, letzterenfalls beide vertebrales in einer Sitzung oder in getrennten Zwischenräumen. Zugänglich ist das Gefäss nur in seinem ersten Abschnitte, bevor es den canalis transversarius betritt; die Arterie wird von der gleichnamigen Vene begleitet, welche vor dem Eintritte in den Knochencanal der Halswirbelquerfortsätze, nach aussen von der Arterie gelegen ist. Hierselbst liegen beide - 522 — Gefässe zwischen den einander zugekehrten Rändern des musculi: scaleniis anticiis und longus colli. Behufs Unterbindung wird ent- weder am Innenrande des Koi^fnickers oder an dessen Aussenrande eingegangen. Vom Innenrande aus begegnet man dem Gefässe an seiner Abgangsstelle von der subclavia, vom Aussenrande aus tiefer drinnen, vor dessem Eintritte in den Knochencanal. Da es nun zweck- mässiger erscheint, die Arterie nicht ganz nahe dem Mutterstamme zu versch Hessen, so wird auch für gewöhnlich am äusseren Rande des Kopfnickers eingedrungen. Man spaltet Haut, platysma und fascia entlang dem Muskelrande in entsprechend schräger Richtung, schont nach Möglichkeit die im oberen Wundwinkel sich einstellende vena jugularis externa, oder durchschneidet sie zwischen zwei Ligaturen und lässt den Kopfnicker sammt der carotis, jugularis communis und dem vagiis, welche in ihrer gemeinschaftlichen Scheide eingehüllt bleiben, nach der Mediane des Halses abziehen. Der Operateur führt hierauf den Zeigefinger in die Tiefe der Wunde ein, erreicht die Querfortsätze der Halswirbel und fühlt am sechsten Halswirbel jenen höckerigen Knochenvorsprung, den wir schon bei der carotis com- munis-Ligatur als tuberculum Chassaignac kennen lernten. Zur leichteren Auffindung des tuberculum lasse man den bisher über- gestreckten und nach der entgegengesetzten Seite rotirten Kopf des Kranken gerade stellen und etwas vorneigen. Etwas unterhalb und medianwärts vom Höcker wird die Arterie auf der Halswirbelsäule gefühlt, in der Muskelspalte zwischen scalenus anticus und longus coli. Man lässt nun die Muskelränder abziehen und führt mit einem kurz gebogenen Arterienhaken von der Venenseite, also von aussen, die Ligaturfaden um die Arterie. Helferich kneipt den vom Periost entblössten vorderen Bügel des Processus transversus des sechsten Halswirbels ab und unterbindet das Gefäss im foramen transversarium. Die Unterbindung der Schilddrüsenarterien — arteria thyreoidea superior et inferior — wurde von Wolfler in Vorschlag gebracht, um grosse Strumata zu reduciren und dadurch die Druckerscheinungen bei Vermeidung einer Strumectomie zu heben. Schon Porfxi hatte 1850 von der doppelseitigen Unterbindung beider zuführenden Schild- drüsengefässe bei Struma einen vollkommenen Erfolg: die bestandene Dyspnoe schwand und die Grösse der Kropfgeschwulst verringerte sich bedeutend; ebenso hat Wölfler schon bei unilateraler Unter- bindung einen zufriedenstellenden Erfolg zu verzeichnen; er empfiehlt daher die schon vergessene Ligatur neuerdings, nicht nur für aneurys- matische, sondern auch für gelatinöse Strumata. Die Aufsuchung der arteria thyreoidea superior erfolgt am grossen Hörne des Zungenbeines, welchem gegenüber man das Gefäss findet. Unter normalen Verhält- nissen liegt sie am oberflächlichsten nach aussen vom musculus omo- hyoideus, im Dreiecke, welches vom letztgenannten Muskel mit dem Kopfnicker und dem biventer gebildet wird. Man führt den Schnitt längs dem Innenrande des Kopfnickers bis zur Höhe des Schild- - 523 - knorpels. Bei bestehender Struma wird die periphere Partie des Ge- fässes durch die Geschwulst emporgehoben. Sind gleichzeitig auch der omohyoideus und der sterno-hyoideus in die Höhe gerückt, so gelingt es leichter, die Arterie am Innenrande des omo-h3^oideus blosszulegen, statt nach aussen von ihm, im oben bezeichneten Muskeldreiecke. Schwieriger sind die topographischen Verhältnisse der tief lie- genden arteria thyreoidea inferior. WölfU'r empfiehlt folgende Unter- bindungsmethode: man trachte das Gefäss an seiner Umbeugungs- stelle zu unterbinden, da, wo es aus der senkrecht aufsteigenden in die horizontale Richtung übergeht. Diese Stelle befindet sich in der Höhe des tuberculum caroticum oder einen Finger breit tiefer me- dialwärts von ihm, ungefähr in gleicher Höhe mit dem Ringknorpel. Man führt einen Plautschnitt an der Seite des Halses, der zwischen den beiden Portionen des Kopfnickers zu liegen kommt; da jedoch dieser Muskel bei bestehender Struma sehr verbreitert und dislocirt ist, so wird in solchem Falle die Lage der carotis die Schnittführung bestimmen; nach aussen von ihr wird dann die Incision anzulegen sein, welche die ganze Länge des Halses von dem Schildknorpel bis zum Schlüsselbeine einnehmen soll. Beim Eindringen in die Tiefe durch Platysma und Fascien (Unterbindung der querverlaufenden, das Operationsterrain kreuzenden Venen: transversa colli, transversa scapulae, jugularis externa) hält man sich mehr im oberen Winkel der Wunde und verlängert nach Bedarf den Muskelspalt zwischen den beiden Köpfen des sterno-cleidomastoideus nach oben zu. Den sehnigen Theil des omo-hyoideus, welcher hierauf sichtbar wird, durchschneidet man oder lässt ihn nach aussen oben verziehen ; an der Stelle, wo dieser gelegen hatte, isolirt man ein wenig den Aussen- rand der inneren Drosselader, um sie dann vorsichtig medialwärts verziehen zu lassen. Bei diesem Abziehen erblickt man an ihrer Hinter- wand den nervus vagus und auch noch den lateralen Rand der arteria carotis, worauf der von lockerem Zellgewebe und der tiefen Halsfascie bedeckte musculus scalenus anticus in Sicht kommt. Nach stumpfer Durch trennung beider Deckschichten bemerkt man gegen den Aussen- rand des scalenus zu, den nervus phrenicus, welcher nach aussen ge- schoben wird. Am Innenrande des scalenus erblickt man nun die arteria thyreoidea inferior; sollte dies nicht der Fall sein, so lässt man den inneren Muskelrand ein wenig nach aussen verziehen und gelangt nun sicher auf den Bogen der gesuchten Schlagader. Auf diese Weise vorgehend, begegnet man weder den grossen Schlüssel- beingefässen, noch auch dem truncus thyreo-cervicalis. Würde man bei der Präparation etwa statt den Aussen- den Innenrand der ju- gularis interna oder den äusseren Rand der carotis isolirt haben, so hätte dies deshalb nicht viel zu sagen, weil der Weg zur unteren Schilddrüsenschlagader zwischen jugularis interna und carotis ein noch directerer ist als an der Aussenseite der Vene. Drohnik findet es bequemer, am Aussenrande des Kopfnickers einzugehen und daselbst den Hautschnitt von der Clavicularinsertion bis zur Höhe des un- teren Randes vom Schildknorpel zu führen. Nun dringt er, nach vor- sichtiger Ausräumung des Fettes, welches zwischen Kopfnicker und scalenus eingelagert ist, zum Innenrande des letztgenannten Muskels vor und sucht die arteria thyreoidea inferior oberlialb der Sehne des — 524 — musculiis omo-hj'oideus, wo sie noch als truncus thyreo-cervicalis lagert. Nach Abdränoung der medialwärts vom truncus ziehenden Vena jugularis communis verfolgt man ersteren entlang dem Scalenus- rande bis zur Höhe des siebenten Halswirbels, allwo die Theilung in die arteria cervicalis ascendens und thyreoidea inferior stattfindet. ßU'roth hat in mehreren Fällen eine enorme Dünnwandigkeit und Brüchigkeit der arteria thyreoidea inferior constatirt und empfiehlt daher, zur Vermeidung von Nachblutungen das Gefäss bloss einfach zu ligiren, ohne den Faden allzu stramm zu schnüren. RilfJygler gibt folgende Operationstechnik an : bei nach der an- deren Seite abgewendetem Gesichte wird etwa 2 Centimeter oberhalb und parallel mit dem oberen Rande der clavicula ein 6 bis s Centi- meter langer Schnitt geführt, welcher den inneren Kopfnickerrand kreuzt, so zwar, dass die kleinere innere Hälfte des Schnittes auf den Muskel selbst quer zu liegen kommt. Nach Spaltung der Haut, platysma und fascia isolirt man stumpf mittelst beider Zeigefinger den Kopf- nicker, trennt das lockerzellige Bindegewebe und sucht an den inneren Rand des scalenus anticus zu gelangen, sogar noch etwas darüber hinaus. Die grossen Halsgefässe mit dem vagus bleiben an der Hinter- fläche des Kopfnickers und werden mit letzterem durch den einen Finger nach oben gehoben. Darauf setzt man in den so gebohrten Spalt einen oder zwei recht lange stumpfe Haken ein und lässt mit ihnen den Muskel sammt den Gefässen und vagus nach vorne und innen ziehen, so dass der Spalt möglichst klafft. Jetzt sieht man mit Leich- tigkeit, wenn man den Spalt weit genug nach innen vom scalenus gebohrt hat, an seinem inneren Rande den truncus thyreo-cervicalis pulsiren und die arteria thyreoidea inferior in einem Bogen nach innen sich abbiegen. An der quer durch den Spalt verlaufenden ar- teria cervicalis superior oder an der aufwärts steigenden arteria cer- vicalis ascendens erkennt man mit Sicherheit, dass der truncus, be- ziehvmgsweise die arteria thyreoidea inferior vorliege. Mit langen Pincetten und Aneurysmennadeln gelingt die Isolirung und Unter- bindung mit relativer Leichtigkeit, Bydygier meint, dass durch das geschilderte stumpfe Vorgehen die Operation sehr erleichtert und ab- gekürzt werde und die topographischen Verhältnisse ebenso deutlich seien, als wenn man präparando vorgeht. Liegen Drüsen im Wege, so entferne man sie und gehe überhaupt etwas dreist vor. Der nervus phrenicus kommt zu Gesichte, kann aber unmöglich verletzt werden. Auch in cosmetischer Beziehung sei die Methode vortheilhafter als jene Drohnik's. V. CapiteJ. Operationen an Halsnerven. I. Blosslegung des nervus accessorius Willisii. Dieser Nerv, welcher den sterno-cleidomastoideus und den cucullaris mit motorischen Zwei- gen versieht, wird behufs Dehnung oder Durchschneidung in jenen Fällen von Collum obstipum spasticum blossgelegt, bei denen mildere — 525 — therapeutische Verfahren fruchtlos blieben. Der Nerv verläuft, bevor er sich in den cucullaris verliert, am hinteren Rande des Kopfnickers, an der Grenze zwischen dem oberen und mittleren Dritttheile des Muskels; an der gedachten kleinen Strecke liegt er ganz oberfläch- lich und ist leicht zu finden. Man braucht nur etwa querfingerbreit unterhalb des processus mastoideus einen etwa 4 bis 5 Centimeter langen Schnitt zu beginnen, der genau dem Hinterrand des Kopfnickers entlang verläuft. Die Schichtentrennung, Haut und Fascie, muss recht vorsichtig geschehen, damit der Nerv nicht gleich in den Schnitt falle und mit durchschnitten werde. Der accessorius umgreift den hinteren Rand des Kopfnickers und erscheint als schräge Schlinge; man legt demnach den Muskelrand im oberen Wundwinkel bloss und verfolgt ersteren nach abwärts, wobei der Nerv sich bald schräge im Wege stellt. Ich habe in einem Falle von Collum obstipum spasticum in einer Sitzung beide accessorii mit günstigem Erfolge gedehnt. II. Blosslegung des plexus cervicalis. Man schneidet gleichfalls entlang dem hinteren Rande des Kopfnickers ein, aber etwas tiefer als zur Auf- suchung des accessorius, etwa dem mittleren Muskeldrittel entspre- chend. Gleich nach Blosslegung des Muskelfleisches erblickt man die aus der Tiefe hervortretenden und mehr minder dicht beisammen- liegenden Nerven: auricularis magnus, subcutaneus colli und supra- claviculares, deren Austrittsstelle beiläufig der Mitte des hinteren Kopfnickerrandes entspricht. Verfolgt man einen der sichtbar ge- wordenen Zweige centralwärts, so gelangt man mühelos zum plexus cervicalis, der zwischen den Muskeln: scalenus medius und levator anguli scapulae gebettet liegt. III. Der plexus brachialis ist zuerst durch v. Nusshanm 1873 an einem Soldaten der Dehnung unterzogen worden, welcher an traumatischer Muskelcontraction und Anästhesie des linken Armes litt. Es war dies die erste mit Absicht unternommene Nervendehnung überhaupt; bezüglich des Operationserfolges kann man im „Berichte des Sanitäts- dienstes bei den deutschen Heeren im Kriege gegen Frankreich" lesen, dass die Nervendehnung sich nicht bewährt habe und dass der Operirte 1876 angeblich an Tetanus gestorben sei. Die Bloss- legung des plexus ist nicht schwer : man schneidet über dem Schlüssel- beinie gerade auf den Nervenstrang los, den man unschwer durch die Haut hindurch greifen kann, isolirt die einzelnen Stämme, verfolgt sie durch den Spalt der scaleni bis gegen die Halswirbelsäule und dehnt nach beiden Richtungen. Bei der Präparation muss die vena jugularis externa, sowie der musculus omo-hyoideus sorgfältig ge- schont werden. ACHTER ABSCHNITT. Operationen am Stamme. I. Capitel. Operationen am Brustkorbe. I. Exstirpation der weiblichen Brustdrüse. Die Ablösung der gesammten Milchdrüse ist eine gar häufige Operation, welche zumeist wegen Neubildungen ausgeführt wird, seltener wegen Hypertrophie, wenn die Grösse und das Gewicht der mamma dringende Abhilfe verlangt. Gut- artige Neugebilde als Cysten, Lipome und Adenofibrome erfordern die einfache Ausschälung. Bei Sarcomen und Carcinomen kann die Regel nicht genug beherzigt werden: womöglich mit dem Neugebilde das ganze Organ zu entfernen, in dem es sitzt. Dem ersten Satze der Regel kann bei der weiblichen Brustdrüse leicht Rechnung getragen werden, und ihm getreu zu folgen, ist die Pflicht jedes Operateurs. Das Gleiche gilt auch für Tuberculose der Brustdrüse. Mit Ausnahme der Menstruationstage, einer etwaigen vorgerückten Schwangerschaft oder Lactation kann ein malignes Neugebilde nicht früh genug ex- stirpirt werden, wenn es überhaupt noch entfernbar ist und der Organismus der Trägerin eine Operation zulässt. Ueberfettung, Glyco- surie, Bright'sche Niere etc. sind beispielsweise recht schlimme Be- gleiter eines Brustkrebses; doch uns interessirt vielmehr der Entscheid: wann ein Brustkrebs vom technischen Standpunkte aus noch entfernbar ist. Dieses entscheiden wesentlich zwei Momente: die Beweglichkeit, beziehungsweise Verschieblichkeit des Tumor auf der Brustwand und das Verhalten der benachbarten Lymphdrüsen. Die mamma liegt be- kanntlich der fascia des musculus pectoralis maior auf und ist mit ihr durch lockerzelliges Bindegewebe verbunden. Spannt man den pectoralis durch Abziehen des entsprechenden Armes bis zur horizon- talen und vermag man dabei den Tumor in der Richtung der Muskel- faserung, also von innen unten nach oben aussen zu verschieben, so — 527 — gilt dies als Beweis, dass das Neoplasma die Grenze der Brustdrüse nicht überschritten habe. Eine Beweglichkeit bei erschlafftem pectoralis gibt diesen Beweis nicht, weil bei der versuchten Verschieblichkeit diese auf Kosten einer Mitverschiebung des Brustmuskels effectuirt wird. Findet man bei gespanntem pectoralis keine Verschieblichkeit vor, so hat der Tumor auch die fascia pectoralis in Besitz oder ist gar in die Muskelsubstanz hinein gewuchert; kann der Tumor auch bei erschlafftem pectoralis nicht bewegt werden, dann ist auch schon die Thoraxwand in den Xeubildungsprocess miteinbezogen worden. Nur bewegliche Brustdrüsentumoren sind in der Regel operable, an die Brustwand fixirte nicht, weil damit ihre Begrenzung verloren geht, welche allein den Operateur in den Stand setzt, mit gutem Gewissen zum Messer zu greifen, da er dann wenigstens alles durch die groben Sinne als entartet zu Erkennende auszuschneiden vermag. Dieses letztgedachte Postulat einer gewissenhaften Exstirpation gestaltet die disseminirte Form des Carcinoma lenticulare zu einer nicht operablen, wenn dabei auch das Moment der Beweglichkeit des Haupttumor vollends bestünde. Die nächsten Lymphdrüsen, welche bei Cancer mammae in Mit- leidenschaft gezogen werden, sind jene der nachbarlichen Achselhöhle und deren Verlängerung in die regio subclavicularis; später erkranken die Drüsen der seitlichen Halsregion: supraclaviculares und cervi- cales. Gewöhnlich bedeutet das Schlüsselbein die Grenze: wenn auch die Prognose bei bestehender Mitaffection der glandulae infraclavi- culares eine trübe quoad Recidiven ist, so besteht dabei wenigstens die Möglichkeit, zu Ende operiren, d. h. alles fühlbar Entartete ent- fernen zu können; man entbehrt dieses tröstenden Gefühles gänzlich erfüllter Pflicht, wenn die Drüsenaffection über das Schlüsselbein hinaufgegriffen hat, denn mit der Entfernung einiger oberflächlicher Supraclaviculardrüsen ist es wahrlich nicht abgethan. Doch auch be- zeichnete Grenze nicht überschreitende Drüseninfracte contraindiciren die Operation, wenn neuralgische Schmerzen der Extremität und Oedeme daselbst der Vermuthung Raum geben, dass das Neugebilde die Drüsengrenze überschritten und an die vena axillaris gewuchert, ja sogar die grossen Nervenstämme in seinen Bereich gezogen habe. Dass jede Ablatio mammae unter antiseptischen Cautelen strengster Art vorzunehmen sei, ist wohl selbstverständlich; eine be- sondere Aufmerksamkeit ist der gründlichen Desinfection der Haut des Operationsplanums zu widmen, namentlich jener der Achselhöhle, deren Haare sorgfältig wegrasirt werden müssen, falls man genöthigt ist, dortselbst zu operiren. "Wäre der zu entfernende Tumor aufge- brochen und jauchend, was namentlich bei weichen Krebsen und C3'stosarcomen oftmals der Fall ist, so muss die Desinfection des Ge- schwürsherdes gründlich ausgeführt und zugleich durch eine geeignete Tamponade der Geschwiirshr)hle verhindert werden, dass während des Operirens Jauche abfliesse und die frische Wunde besudle. Es kann dagegen Chlorzink angewendet werden, indem man Stücke von Charpiebaumwolle in eine etwa Tprocentige Chlorzinklösung eintaucht, ausdrückt und in die Geschwürshöhle stopft; Eisenchloridwatte trocken eingebracht, erfüllt den gleichen Zweck. Wie man die Hautschnitte — 5--2S _ führen solle, häniit wesentlich ab vom Verhalten des Neugebildes zur äusseren Decke. Alle Haut, welche von der Unterlage nicht verschiebbar ist, mag sie auch scheinbar noch unverändert sein, muss entschieden entfernt werden, selbst auf die Gefahr hin, die Ope- rationsfläche theilweise unbedeckt lassen zu müssen. Gesund aus- sehende, normal dicke, gut verschiebliche Haut mag erhalten bleiben: Haut sparen soll man aber lieber nicht. Man beginnt die Operation mit zwei halbelliptischen Schnitten, welche eine der Wölbung der be- treffenden Brustdrüse entsprechende Länge besitzen und an zwei gegenüber liegenden Peripheriepunkten ineinander münden. Ob man durch die beiden Schnitte, Längs-, Quer- oder Schrägstreifen umgrenzt, in deren Mittelpunkt die Brustwarze sitzt, ist nicht von allzu grosser Bedeutung; zumeist wählt man jene Schrägebene, deren Verlängerung nach aussen oben in Achselhöhle ausläuft — äusserer Schrägschnitt. — Diese Methode ist namentlich dann zu empfehlen, wenn ein Carcinom die Anzeige zur Operation abgibt, da man bei Krebsen, wie König richtig schreibt, selbst dann die Achselhöhle biossiegen und deren, aus fetthaltigem Zellgewebe, Lymphgefässen und Drüsen bestehende Ausfüllungsmasse mitentfernen soll, wenn das Tastgefühl auch keine Drüseninfiltrationen mit Bestimmtheit nachzuweisen vermag. Diese Vorsichtsmassregel gegen Recidive möge nie unterlassen werden. Operirt man wegen sarcomatösen oder anderen Entartungen, bei denen die Achselhöhle unberührt bleiben kann, ist die Richtung der Hautschnitte mehr minder gleich, es sei denn, dass ein besonderer Werth auf den unteren Wundwinkel als Wundsecretableiter gelegt würde, in welchem Falle die Schnitte in verkehrt schräger Richtung zu führen wären, nämlich von innen oben nach unten aussen, da der untere Wundwinkel dann auch dem tiefsten Punkte entspricht, mit Rücksicht auf die horizontale Bettlage der Patientin — innerer Schräg- schnitt. — Da man es aber in seiner Macht hat, die Hautlappen nach beendeter Exstirpation an allen jenen Stellen zu durchlöchern, behufs Einlage von Drainrohren oder zur einfachen Canalisation, die sich zum Secretabflusse am besten eignen, so ist es begreiflich, dass die Richtung der Schnittebene beliebig gewählt werden kann. Immerhin sind Läng- oder Schrägschnitte den Querschnitten entschieden vor- zuziehen aus dem Grunde, weil bei grösserem Hautverluste die zur Deckung der Wundfläche noth wendige Herbeiziehung der Nachbar- haut von der Seite her leichter gelingt, als in der Richtung von oben nach unten. Bei der Nothwendigkeit, viel von der Deckhaut ent- fernen zu müssen, wird man natürlich alle erhaltbare Haut schonen und sich dafür zu den unregelmässigen Schnittführungen gezwungen sehen. Die Kranke liegt horizontal am Tische, der Arm der gleich- namigen Körperseite wird horizontal vom Stamme abgezogen, bis er mit diesem einen rechten Winkel bildet; die nothwendige, passive Anspannung des Brustmuskels erfordert diese Stellung des Armes. Die Hautschnitte durchdringen auch das subcutane Zellgewebe, dessen Grenze zum Brustdrüsengewebe (das dünne vordere Blatt der fascia thoracica), wenn die oberste Schicht noch scheinbar gesund ist, bei gutgepolsterten Individuen nicht leicht zu finden ist. Man begnügt sich in solchem Falle mit dem „beiläufig" und prä}5arirt die Haut — 529 — von der Brustdrüse, nur mit einer dünnen Fettschicht bekleidet, in Lappenform ab. Dies ist um so räthlicher, als sich bekanntermassen das Fett zur prima Heilung mit der Unterlage nicht besonders eignet. Das Ablösen erfolge mit langen Messerzügen bei gleichzeitiger starker Anspannung der Haut in senkrechter Richtung, um Stufenbildung zu meiden. Das Anspannen bei gleichzeitigem Umlegen des Lappens hat den Nachtheil, dass man oft die Schnittgrenze verfehlen und die Haut unnöthig fenstern kann. Ist auf solche Art die Hautdecke in genügen- der Ausdehnung von der Brustdrüsen wölbung abpräparirt, so wendet man sich der inneren Hälfte der Drüse zu und verfolgt ihre allmälige Abflachung, bis die fascia pectoralis zum Vorschein kommt. Nun lässt man die Brustdrüse mittelst einer Hakenzange senkrecht emporziehen und trennt ihre Basis aus der lockeren bindegewebigen Verbindung mit der Fascie in wenigen langgeführten flachen Messerzügen ab. Das entnommene Präparat besitzt annähernd die Kuchenform, den Grund der Wunde bildet die intacte faserige Aponeurose des grossen Brustmuskels. Das Abpräpariren der Drüse in umgekehrter Richtung, von aussen nach innen, hätte den Uebelstand, dass weniger geübte Operateure leicht den Rand des pectoralis verfehlen und dann unter- halb des Muskels gerathen. Im Falle das Neugebilde mit der Fascie verwachsen wäre, ist es am besten, gleich den ganzen Brustmuskel mitzuentfernen. Da man sich bei der Ablatio mammae nicht der Blutsparung bedienen kann und der Verlauf der Blutgefässe auch kein so sicherer, oder, besser gesagt, topographisch nicht so leicht bestimmbarer ist, so gestaltet sich die Operation zu einer ziemlich blutigen. Nur sehr gute Assistenz kann den Blutverlust verringern; sobald ein Gefäss unter dem Schnitte zu bluten beginnt, soll der Assistent sofort mit einem Finger die Stelle comprimiren und bei nächster Gelegenheit das Ge- fässlumen mit einer Fincette sichern, die dann vorläufig hängen bleibt; man operirt indessen unentwegt fort, bis die Drüse ent- fernt ist. Erst dann werden die Gefässe einzeln revidirt, unter- bunden und etwa noch nothwendige Sperren angelegt. Mit wenig Sperren gehe man an keine Ablatio mammae totalis. Die Brustdrüse erhält ihre Pulsadern aus den Stämmen der arteria mammaria interna und externa, den intercostales und der arteria thoracica longa, welch letztere entsprechend dem oberen äusseren Quadranten der Drüse einmündet. Zur Ausräumung der Achselhöhle, denn so bezeichnet man die Ent- fernung der dortselbst befindlichen Lymphdrüsen, sammt dem sie umgebenden, den Inhalt der Achselhöhle bildenden Fettpolster braucht man gutes Licht und grosse Aufmerksamkeit. Dieses Umstandes wegen pflegen manche Operateure die Operation ausnahmsweise mit der Achselhöhlenräumung zu beginnen und erst nach deren Vollendung die Mammaexstirpation nachfolgen zu lassen, weil für letztere nicht ein so exactes Vorgehen vonnöthen ist und eine gewisse, aus dem Voracte etwa resultirende Müdigkeit von geringerem Belange wird. Wurde die Ablatio mammae durch den typischen äusseren Schräg- schnitt ausgeführt, so verlängert man dessen äusseren Pol der Länge nach entlang dem Vorder- oder Hinterrande der Achselhöhle hinauf, dem Oberarm zu; wäre eine andere Schnittmethode zur Anwendung r. Mosctig-Moorhof: Handbuch d. Chirurg. Tccliuik. 4. Aufl. 34 — 530 — gekommen, so müsste der Hautschnitt ebenso angelegt und in den Substanzverlust der frischen Exstirpationswunde hinein verlängert werden. Ganz unzulässig sind Achselhöhlenschnitte, welche nicht in den Wunddefect übergehen, indem es als absolute Nothwendigkeit gelten muss, alles Gewebe zwischen dem Defecte und der Achselhöhle genau zu exstirpiren und nichts davon zurückzulassen, da gerade in diesem Uebergangsstücke Krebskeime verborgen liegen. Ist die Achsel- höhlenhaut bis zur Fascie durchschnitten, so präparirt man sich die Haut lappenförmig ab und klappt sie um: aller fetthaltige Zellstoff wird dann vom Defecte aus von der seitlichen Thoraxwand sorg- fältig abpräparirt bis zum serratus anticus maior. Sind die vor- springenden Ränder des pectoralis maior und des latissimus dorsi erreicht, so befindet man sich auch am Eingange zur Achselhöhle. Die axilla stellt eine vierseitige Pyramide dar mit oberer Spitze und unterer Basis. Die Innenseite wird gebildet von der Thoraxwand, die Vorderseite vom pectoralis maior, die Hinterseite von latissimus dorsi, die Aussenwand bildet der Oberarmkopf und die ihn um- gebenden Weichtheile; letztere birgt die gefährlichen Organe, deren unbedachte Verletzung die unangenehmsten Ereignisse im Gefolge haben kann, denn an ihr lagern die Nervenstämme des plexus axillaris, hinter welchen, also zunächst der Gelenkscapsel, die arteria axillaris, vor welchen die mächtige vena axillaris liegt. Die Axillar- vene ist sonach, von der Achselhöhle aus betrachtet, am oberfläch- lichsten gelegen und somit der Verwundung am meisten ausgesetzt; die Arterie hingegen bleibt durch die Nervenpalissade geschützt und kommt, ausser bei eventuellem abnormen Verlaufe, bei der Aus- räumung der axilla nicht in Betracht. Das Fettstoffdrüsengewebe der Achselhöhle wird soweit als möglich stumpf ausgelöst, nicht stück- Aveise, sondern als Ganzes, wobei der auslösende Finger sich genau an die Wandungen der Achselhöhle hält, mit Ausnahme der Gefäss- region; die Abtrennung von dieser wird als letzter Act vorbehalten, wenn der Gewebszapfen von den übrigen Verbindungen schon ab- gelöst ist. Die Ablösung von der Aussenwand soll mit grösster Vor- sicht erfolgen, unter Beihilfe von anatomischer Pincette und Hohl- sonde, mit denen man zerreissend und stumpf trennend vorgeht und zunächst die vena axillaris in Sicht zu bringen trachtet. Wurde etwa die arteria thoracica longa nebst ihrer Begleitvene freigelegt, so kann man an letzterer den Weg zur vena axillaris finden, da sie in diese einmündet. Bei diesem wichtigen Operationsacte muss der Rand des grossen Brustmuskels möglichst abgehoben und etwas abgezogen werden, um leichter und sicherer arbeiten zu können. Dafür ist es aber nothwendig, den pectoralis etwas zu erschlaffen; der Arm darf demnach bei diesem Acte nicht zu stark abgezogen oder gar nach aufwärts gekehrt werden. Das Verhalten der carcinös infiltrirten Drüsen und ihrer Umgebung zur Axillarvene kann ein verschiedenes sein : entweder sie lehnen nur an die Vene, oder sie umfassen die Vene; endlich kann letztere in den Erkrankungsprocess miteinbezogen, ihre Wandungen durch Krebsmasse schon substituirt sein. Im ersten Falle ist die Ablösung von der Venenscheide leicht und auf stumpfe Weise ausführbar, nur ist dabei der Gefässstrang d6r vasa thoracica longa vor der Abtrennung zu unterbinden, im zweiten Falle muss — 531 - die Gefässscheide gespalten, die Vene herausgeholt und das, den Drüsen adhärente Stück der Scheide mitexstirpirt werden; im letzten Falle endlich muss die Vene central- und peripherwärts isolirt, doppelt unterbunden und das ganze Mittelstück ausgeschnitten werden. Ebenso müssen etwa entartete Nervenstücke behandelt, id est mitexstirpirt werden, wenn sie mit der Krebsmasse innig verbunden sich zeigen sollten. Ist auf diese oder jene Weise der krebsige Achselhöhlen- polster von allen Wandungen abgeschält worden, so wird dessen oberster Ausläufer unterhalb des pectoralis maior in die regio sub- clavicularis mit dem Zeigefinger verfolgt und von dort rein heraus- geholt; ähnlich verfährt man mit etwaigen Subscapularausläufern. Nach beendeter Ausräumung soll die Achselhöhle wie ein anatomisches Präparat aussehen, man erblicke nur Muskelwandungen, die frei- liegende Vene und die Achselnerven. Behufs Ausräumung der fossa supraclavicularis empfiehlt Madelung die temporäre Resection des Schlüsselbeines. Ist die Blutstillung complet, so wird für entsprechende Drainage gesorgt, die Hautränder des Achselhöhlenschnittes durch die Naht vereinigt und ebenso die Haut über dem Mammadefect adaptirt und vernäht. Hätte viel Haut mitexstirpirt werden müssen, so soll dennoch getrachtet werden, die übriggebliebenen Reste möglich herbeizuziehen, um den Hautdefect der Wunde nach Thunlichkeit zu verringern. Hierzu verwendet man metallene Entspannungssuturen, mit denen die Umgebungshaut, sei es auch unter grosser Spannung, herbeigezerrt werden kann. Blieben noch ungedeckte Partien übrig, müssten Hautimplantationen vorgenommen werden. Der antiseptische Verband decke nicht nur die operirte Stammesseite in weitem Um- fange, sondern hülle auch einen Theil der gesunden ein. Eine Kugel aus Charpiebaumwolle oder Krüllgaze dränge die Haut in die Achsel- höhlung, ohne jedoch den Wundsecretabfluss zu behindern; Drainage: der Arm der operirten Seite wird schliesslich über dem Occlussiv- verbande am Stamme befestigt. Küster erblickt als Ursache der nach Achselhöhlenausräumungen oftmals zurückbleibenden Schwerbeweg- lichkeit des Armes und der Unmöglichkeit, letzteren nach rückwärts rotiren zu können, die bei der Operation erfolgte Verletzung der zwei unteren nervi subscapulares, welche die Trias der am tuberculum minus sich inserirenden Muskeln innervirt: musculi subscapularis, teres major und latissimus dorsi. Die Folge dieser Nervendurchtrennung ist eine dauernde Störung der physiologischen Function besagter Muskeln und eine, die folgende Atrophie begleitende interfibrilläre, Bindegewebswucherung, aus welcher eine Starrheit und Contractheit jener Bewegungsorgane resultirt. Demzufolge erscheint eine Schonung- jener zwei, aus dem plexus brachialis entspringenden Nerven geboten. Beide Nerven laufen von ihrer Ursprungsstätte schräge nach abwärts und aussen: der zweite, für den musculus teres major bestimmte subscapularis an der medialen Seite des gleichnamigen, aus einer Arterie und zwei Venen bestehenden Gefässbündels, auf welchem Wege er dem lateralen Rande des musculus subscapularis Zweige abgibt, um sich sodann in das Fleisch des teres major zu verlieren. Der dritte Subscapularnerv geht am lateralen Rande des Schulterblattes herab, um etwa in der Mitte desselben in die Substanz des musculus latissimus dorsi einzutreten. Je nachdem einer oder beide der be- 34* — 532 — öcliriebenun Nerven bei der Operation verletzt werden, leidet ent- weder der teres major allein oder mit ihm auch der latissimus. Stumpfe Präparation und i^enaue Besichtigung' des Operationsfeldes, sobald man sich dem lateralen Rande der Scapula nähert, wird die Schonung jener, für die künftige Brauchbarkeit des Armes bedeutungsvollen Nerven ermöglichen. Bei jeder Ausräumung der Achselhöhle wird aber stets der, als Verstärkungsbündel zum nervus cutaneus brachii internus fungirende nervus intercosto-humeralis durchtrennt, woraus sich die stets resultirende, aber bald verschwindende Anästhesie an der Innenseite des Oberarmes erklärt. Abscesse der Brustdrüse, die Folgen plegmonöser Entzündungen kommen bei Wöchnerinnen und säugenden Frauen in doppelter Form vor : als Mastitis suppurata und als retromammale Zellgewebsvereite- rung. Abscesse innerhalb der Brustdrüse sollen unter antiseptischen Cautelen sofort eröffnet werden, und zwar mittelst ausgiebiger, nach Bedarf sogar mehrfacher Schnitte. Kleine, dem Eiter nur unvollstän- digen Abgang gewährende Incisionen sind zu meiden, da sie nicht jene Abhilfe schaffen, die zur Ausheilung nothwendig ist; man gehe daher nie an eine Mastitis suppurata, ohne die Kranke in Narcose versetzt zu haben. Alle Einschnitte müssen die radiäre Richtung ein- halten, einerseits um unnöthige Gefässverletzungen und profuse Blu- tungen zu meiden, andererseits um die Milchgänge möglichst zu schonen, denn die Richtung beider ist, wie bekannt, radiär. Man lege die Incisionen stets an den tiefsten Stellen an, damit die Secrete an- standslos und ohne Stauung abgehen. Mit dem ersten Einschnitte ist es aber nicht abgethan, denn da die Entzündung und Vereiterung von dem interacinösen fetthaltigen Bindegewebsgerüste ausgeht, so ist die Form der Abscesshöhle ausserordentlich buchtig und der Innen- raum von intacten Strängen (ductus lactei) durchzogen. All die Stränge müssen mit dem eingeführten Finger getrennt oder mit Hilfe eines geknöpften Bistouri durchschnitten werden, und es darf die Operation nicht eher als beendigt erklärt werden, bis nicht alle Buchten zu einem einzigen Cavum reducirt worden sind. Erst wenn nur mehr eine einzige Wundhöhle vorliegt, wird drainirt und antiseptisch verbunden. Retromammale Abscesse kommen des Häufigsten an der Peripherie des äusseren oberen Quadranten, seltener am unteren äusseren, nie an der Innenhälfte der Brustdrüse zum Vorschein. Sind die Abscesse rein retromammal, so ist das Cavum mehr gieichmässig, nur Combinationen beider Formen geben entsprechende Resultate. Reine retromammale Formen finden sich auch als Abscessus frigidi vor, parostealer oder ostealer Natur. Retromammale Abscesse erfor- dern in der Regel mehrfache Spaltungen, zunächst am oberen äusse- ren Quadranten den Eröffnungsschnitt, hierauf Contraaperturen an den tiefst erreichbaren Punkten des äusseren unteren Quadranten, beide, des Blutgefässverlaufes wegen, gleichfalls in radiärer Richtung. Kalte Abscesse in der Brustdrüse selbst, das Resultat des Zerfalles localtuberculöser Herde, erheischen die Ablatio mammae, wenn gründ- lich und rationell abgeholfen werden soll. Stärkere Blutung aus den Wandungen gespaltener Brustdrüsenabscesse ist nur durch Taniponade zu stillen; letztere ist jedoch stets unter Einschaltung starker dick- wandiger Drainrohre auszuführen, damit der Secretabgang keine Einbusse erleide. II. Thoracocentese. Der Zweck dieser, auch Function des thorax ge- nannten Operation ist die Exairese von Flüssigkeiten, welche sich im Fleuraraume angesammelt haben und durch Compression der Lunge nachtheilig und gefahrdrohend wirken. Dieser curativen Tho- racocentese steht die explorative gegenüber, welche rein nur dia- gnostische Ziele verfolgt, und in ZAveifelhaften Fällen theils das Vor- handensein von Flüssigkeiten überhaupt, hauptsächlich aber das Quäle der schon auf physikalischem Wege diagnosticirten Exsudate zu er- mitteln hat. Die explorative Thoracocentese wird ausschliesslich nur auf dem Wege der Aspiration gepflogen, für die curative eignet sich die einfache Function in der Regel besser. Im Folgenden wollen wir entprechend den grossen Brustcavitäten, von der Function der Fleura- höhle und von jener des pericardium handeln und die gleiche Ein- theilung auch für die Eröffnung des thorax durch den Schnitt bei- behalten. a) Function des Brustfellraumes. Die Exairese von Flüssigkeiten aus dem Pleuraräume findet bei solchen Transsudaten und Exsudaten ihre Anzeige, welche durch ihr rasches Zunehmen, der dadurch be- dingten Compression der Lunge und durch Verdrängung der Nachbar- organe gefahrdrohend werden, oder bei solchen Exsudaten, deren Resorbtion sich ungebührlich verzögert. Bei frischen Pleuritiden wird das seröse, sero-albuminöse oder sero-fibrinöse Exsudat nicht im acuten Stadium der Erkrankung der Function unterzogen, sondern erst in der fünften bis siebenten Woche, wenn alle entzündlichen Erscheinungen gewichen sind und der Stand des Exsudates trotz innerer Medication und sonstiger Hygiene ein stationärer geworden ist. Erfahrungsgemäss wirkt dann eine Verringerung des intrathoraci- schen Druckes durch theilweise Entleerung des angesammelten Fluidum bethätigend auf die Resorption des zurückbelassenen Restes, offenbar durch Herstellung der gestörten Blutcirculation in den Pleuraf lachen und durch Entlastung der Lymphgefässstomata; die Function wirkt aber in solchem Stadium ausgeführt auch insofern günstig, als sie der pseudomembranösen Constriction der Lunge vorbeugt, indem die wieder- gewonnene Expansionsmöglichkeit die frischen Fseudomembranen dehnt. Frühe Functionen sind demnach in solchen Fällen geradezu rettende Operationen, späte Functionen haben des Häufigsten nur unvollständigen Erfolg. Gegenangezeigt ist die curative Thoracocentese bei jauchigem Fneumo-pyothorax und bei Echinococcus pleurae; bei diesen Leiden tritt das dauernde Offenbleiben der Thoraxhöhle in seine Rechte, damit das septische Contentum sich unbehindert ent- leeren könne, eine etwaige Desinfection der Eiterhöhle ermöglicht und auf diese Weise die Heilung durch Verwachsung der Pleurablätter angebahnt werde. Bei Transsudaten serösen oder gar hämorrhagischen Charakters, ferner bei dem so seltenen Chylothorax nach Verletzungen - 534 — des ductus thoracicus ist die Function nur als Palliativum auf- zufassen und nur bedingt zulässig. Das Grundleiden wird ja durch die Entleerung nicht beeinflusst;, eine Wiederansammlung daher nicht verhindert; nur Erstickungsgefahr mahnt in solchen Fällen zur Action. Bei einer Thoracocentese des Brustfellraumes wird nie die Ge- sammtmenge'der jeweilig angesammelten FUissigkeit entleert, sondern nur so viel, als jeweilig spontan auszufiiessen vermag. Die Kräfte, welche nach gemachter Function die Austreibung der Flüssigkeit besorgen, sind: a) die Expansion der comprimirten Lunge, h) die grössere Entfaltung der gesunden Lunge, welche das verschobene mediastinum zurechtstellt, c) das Emporsteigen des nach unten ver- drängten Zwerchfells, d) das Näherrücken der auseinandergedrängten Rippen, e) das Einsinken der Intercostalräume. Vorausgesetzt, dass die Canüle des Functionsinstrumentes ihre Durchgängigkeit intact behält, erfolgt die spontane Entleerung der Flüssigkeit so lange, als die Gesammtthätigkeit der benannten Expulsionsfactoren anhält. Er- schöpfen sich diese, dann hört der Ausfluss auf und da in der Regel die Kraft der Factoren früher zu Ende geht, als die Entleerung voll- endet wird, so resultirt der Rückblieb eines Flüssigkeitsrestes, der grösser oder kleiner ist, je nachdem der wichtigste der Factoren beschaffen ist: die Expansionsfähigkeit der comprimirten Lunge. Auf diesem Moment beruht der Haupterfolg der Function; wenn man dies festhält, so wird man nicht nur die Berechtigung, sondern die ab- solute Nothwendigkeit einer thunlichst frühen Thoracocentese ein- sehen und anerkennen müssen. Mit dem Aufhören des spontanen Flüssigkeitsausflusses muss der Operateur die Exairese als beendet erklären, nachdem er sich überzeugt hat, dass nicht etwa eine Ver- legung der Canüle die Ursache der Stockung sei; ja vorsichtigerweise wird man mit der Entleerung schon etwas früher aufhören, wenn der Kranke starken Hustenreiz oder merkbare Beklemmung bekäme. Dieulafoy, Fräntzl u. A. empfehlen, unter keinen Verhältnissen mehr als 1500 oder höchstens 1800 Gramm auf einmal ausfliessen zu lassen, um nicht üble Folgeerscheinungen beklagen zu müssen. Sicherer ist es, noch weniger zu entfernen und die an sich unbedeutende Operation lieber nach etlicher Zeit zu wiederholen. Eine künstlich forcirte Exairese ist absolut unstatthaft, weil nach erschöpften Expulsions- factoren eine fernere Flüssigkeitsentnahme nur auf Kosten gefähr- licher intrathoracischer Blutungen ex vacuo oder Berstungen der Lunge erfolgen könnte; daher die Verwendung der Aspiration ge- fährlich und verwerflich ist. Selbst der Potain^sche Apparat, der mil- deste unter den Aspiratoren, da er die Grösse des Luftdruckes durch Regelung des Vacuumcoefficienten beliebig bestimmen lässt, wäre bedenklich. Zweckmässiger wäre vielleicht die von Röchelt angegebene Aspi- rationsflasche, welche nur einfache Heberwirkung entfaltet. Eine 1000 Kubikcentimeter fassende Glasflasche trägt zwei durch den Stoppelverschluss laufende Glasröhren, von denen die eine bis zum Boden der Flasche reicht, während die zweite schon unter dem Flaschenhalse mündet. Das längere Glasrohr wird mit einem l\/o bis 2 Meter langen Gummirohr armirt, an dessen Ende man das Punc- — 535 — tionsinstrunient befestigt; das kürzere Glasrohr trägt ein zweites, etwa \o Meter langes Gummirohr. Die Aspirationsflasche wird mit einer antiseptischen Lösung so weit gefüllt, dass das untere Ende des längeren Glasrohres unter das Flüssigkeitsniveau taucht. Bei Beginn der Operation hebt man die Flasche so hoch, bis etwas von der anti- septischen Lösung durch die Punctionscanüle abfliesst, worauf das Gummirohr temporär abgeklemmt und die Function vorgenommen wird. Wenn nun die Flasche wieder gesenkt wird, so tritt sofort Heber- wirkung ein; das Exsudat fliesst ununterbrochen in die Flasche und von ihr, nach deren Füllung in ein untergehaltenes Gefäss ab. Menge und Farbe des Exsudates lassen sich leicht controliren. Die einzige Möglichkeit, die Flüssigkeit aus dem Brustfellraume gänzlich entleeren zu können, ohne die Folgen eines negativen intra- thoracischen Druckes beklagen zu müssen, wäre die, dass man das Exsudat gradatim durch Einführung anderer Flüssigkeiten oder Gase ersetzt. Parker hat diesen Gedanken auf folgende Art praktisch aus- geführt: er punctirt mit einem gewöhnlichen Troisquart entsprechend dem tiefsten Punkte der ausgedehnten Pleurahöhle und beginnt die Entleerung. Wenn sie zu stocken anfängt, punctirt er oberhalb des durch Percussion nachgewiesenen Flüssigkeitsniveaus mit einer feinen Hohlnadel, welche durch ein Gummirohr, unter Einschaltung eines Carbolwattefilters, mit dem einen Halse einer Wulf s,c\ien Flasche in Verbindung steht. Die Flasche wird theilweise mit einer heissen Carbolwasserlösung l : 20 gefüllt und hat ihren zweiten Hals mit einer Pumpe in Verbindung, welche atmosphärische Luft in den Flaschenraum eintreibt. So wird dem Operirten gewärmte, carbolisirte Luft in die Pleurahöhle eingetrieben, welche durch den Carbolwatte- filter streicht und somit aller schädlichen Beimengungen bar in den Brustraum gelangt, allwo sie den intrathoracischen Flüssigkeitsdruck ersetzt, so dass eine vollständige Entleerung des Exsudates ohne üble Folgen möglich wird. Theoretisch ist gegen das ParZ:er' sehe Verfahren wohl kaum etwas einzuwenden, die Feuerprobe der Praxis scheint es aber nicht bestanden zu haben, wenigstens ist es nicht in Gebrauch. Bei serösen pleuritischen Exsudaten ist es aber auch nicht noth- wendig Alles zu entleeren, da, wie gesagt, der Rest, unter günstigere Resorptionsverhältnisse gestellt, allmälig ohne weitere operative Bei- hilfe vom Organismus selbst entfernt werden kann; anders verhält es sich bei serös-purulenten Exsudaten. Sollte bei solcher Beschaffen- heit die Eröffnung durch den Schnitt nicht zur Ausführung kommen können, so wäre in der Parfct'?-' sehen Methode vielleicht denn doch ein Mittel gegeben, um jene zu ersetzen, denn bei eiterigen Exsudaten muss selbstverständlich Alles entfernt werden und darf kein Rest erübrigen. Möglicherweise könnte auch die carbolisirte Luft günstig auf die grosse Secretionsf lache wirken, d. h. dieselbe derart um- stimmen, dass die Neoproduction eiterigen Secretes unterbleibt. Bei der Function des thorax wird nicht an der tiefsterreich- baren Stelle eingegangen, wie Boicditch empfahl, nicht im achten oder gar neunten Intercostalraume, sondern höher oben, denn einerseits ist die tiefste Stelle für den Abfluss nicht massgebend, da die Ge- setze der Schwere im geschlossenen Brustfellraume keine Geltung haben, andererseits der tiefste Punkt kein fixer, sondern ein variabler — 536 — ist, der mit der fortschreitenden Entleerung, mit dem Aufstei^^en des Zv.'erchfells stetig in die Höhe rückt. Eine an ursprünglich tiefster Stelle eingebohrte Canüle würde also keinen sicheren Stand haben, sondern vom Zwerchfell umgelegt und deren Mündung bald verlegt werden; man pflegt demnach das Punctionsinstrument in den fünften bis siebenten Intercostalraum einzusenken, nicht tiefer; bezüglich der Thoraxgegend, an der eingegangen werden soll, ist die Axillarlinie als Ort der Wahl angenommen. Zur Ausführung der Operation wird der Kranke am besten dem entsprechenden Bettrande zunächst gerückt, flach gelagert, mit massig erhöhtem Kopfe; sollte er diese Lage der Athemnoth wegen nicht vertragen, so möge man ihm eine halbsitzende Stellung im Bette gönnen, jedoch die Unterlage derart einrichten, dass man die hori- zontale Stellung sogleich herstellen könne, wenn diese durch den Ein- tritt etwaiger Ohnmacht nothwendig würde; andererseits ist es wieder bei primärer Flachlage zweckmässig, sie leicht in eine erhöhte um- wandeln zu können, falls während des Abfliessens heftiger Husten eintreten würde. Dieser beliebige, rasche Wechsel der Körperstellung wird am besten durch ein stellbares Bettpult ermöglicht, während aufgethürmte Polster die nothwendige körperliche Passivität des Operirten während des Lagewechsels stören. Als Punctionsinstrument empfiehlt sich ein klein- oder mittelcalibrirter Troisquart mit Schliess- hahn. Grosscalibrirte Instrumente setzen zu grosse Stichcanäle und gestatten einen zu raschen Abfluss der Flüssigkeit, der unter allen Umständen zu vermeiden ist, da die zu rasche Entlastung der Blutgefässe eine stürmische Blutüberfüllung zur Folge hat, mit eventueller Rhexis oder möglicher Embolie, wenn es in Folge lang dauernder Compres- sion und folgeweiser Circulationsbehinderung zu Thrombosirungen in den Lungenadern gekommen wäre. Einen Sperrhahn soll der Trois- quart haben, damit man im Stande sei den Abfluss zu regeln oder zeitweilig ganz zu sistiren, wenn Ohnmacht oder stärkerer Husten sich einstellen; er ist aber auch durch Abklemmen des Gummiabfluss- rohres ersetzbar. Hohlnadeln sind zur Pleurapunction weniger ge- eignet, weil deren Spitze die pleura pulmonalis im Verlaufe der Ent- leerung reizen und verletzen könnte, obschon dies von der Tiefe ab- hängt, in welche man die Hohlnadel einbringt, und obgleich der Operateur es stets in seiner Macht hat, durch allmäliges Zurückziehen der Nadel den genannten Uebelständen zu begegnen. Es muss Vor- sorge getroffen werden, etwaigen Verlegungen der Canüle durch Faserstoffgerinnsel, welche in dem Exsudate flottiren und im Aus- flussstrome mitgerissen werden, zu begegnen. Verstopfen derlei Pfropfe die Canüle, so tritt eine plötzliche Stockung im Ausfliessen ein; man muss dann mit einem Stabe das Pfröpfchen zurückdrängen, um den Abfluss wieder zu ermöglichen. Sonden oder elastische Bougies, be- ziehungsweise Stoffcatheter, werden als geeignete Instrumente hierzu empfohlen; entschieden besser ist es, sich solcher Troisquarts zu bedienen, denen ein dem Stachel adäquat gebauter stumpfer Metall- stab beigegeben ist, weil dieser gleich dem Stachelstabe die Lichtung der Canüle vollends ausfüllt, wirksamer reinigt und dabei den Luft- eintritt sicher verhütet. Um letzterem ja sicher vorzubeugen, ist am CoUin'schen Troisquart hinter dem Sperrhahn ein kleiner Tunnel — 537 — angebracht, welcher durch einen Filzring den Stab genau umfasst und luftdicht abschliesst (Fig. 158). Die Thoracocentese muss mit aseptischen Instrumenten, unter completem Luftabschluss ausgeführt werden. Am zweckmässigsten ist es, diesbehufs dem Abflussrohre des Troisquarts ein entsprechend langes Gummirohr sicher anzupassen, dessen Ende unter Wasser gestellt wird und während der ganzen Operationsdauer gestellt bleibt. Das Gummirohr möge mit Carbol- wasser vollends angefüllt und dann abgeklemmt werden, bevor der Troisquart eingestochen wird; erst nach der Einführung entfernt man die Klemme und taucht das Ende in ein calibrirtes, mit einer bekannten Menge Wasser gefülltes Gefäss. Derlei Messgläser sind zur Ablesung der jeweilig entleerten Flüssigkeitsmenge dringend zu em- pfehlen. Labemittel seien stets zur Hand. Die Technik der Operation ist sehr einfach: durch Abtasten und Abzählen der Rippen in der Mamillarlinie bestimmt man sich den zur Function gewählten Intercostalraum und lässt die Spitze des linken Zeigefingers am oberen Rande der nächst unteren Grenzrippe nach aussen gleiten, bis die Axillarlinie erreicht ist. Der Zeigefinger Fig. 158. bleibt unverrückt dem oberen Rippenrande fest angelegt und dient als Leiter für den Troisquart, der mit der rechten Hand in horizon- taler Richtung eingestochen wird. Am Aufhören des Widerstandes erkennt der Operateur, dass die Spitze des Instrumentes in das cavum thoracis eingedrungen sei. Aus der bekannten Länge der Canüle lässt sich die Tiefe, in welche das Rohr jeweilig eingedrungen ist, beiläufig bestimmen. Nun wird der Stachel bis hinter den Schliesshahn zurück- gezogen und letzterer sofort gesperrt; der Abfluss beginnt durch das Zweigrohr; der Hahn am Hauptrohre bleibt geschlossen, wenn nicht die Nothwendigkeit sich geltend macht, die Canüle zu entpfropfen, wofür, wie oben erwähnt, das Einführen eines Stabes durch das Hauptrohr nothwendig wird und hiezu der Sperrhahn geöffnet werden muss; dies soll aber erst erfolgen, wenn der Stab den Tunnel bereits passirt hat und hierdurch jeder Lufteintritt unmöglich gemacht ist. Erachtet der Operateur das entleerte Flüssigkeitsquantum als hin- reichend, oder nimmt der Abfluss gradatim ab und hört er allmälig auf, so klemmt man das Gummirohr wieder ab und zieht die Canüle heraus. Kommt es während der Operation zu starken Hustenanfällen oder wird der Kranke ohnmächtig, so soll gleichfalls durch Abklemmen des Gummirohres mit zwei Fingern der Abfluss temporär gehemmt werden. Es muss also der Operateur stets auf der Hut sein, um nach — 538 — Bedarf den Abfluss regeln zu können. Während das Punctionsinstru- ment in dem Brustkasten steckt, muss es selbstverständlich gehalten werden, einerseits damit es seine horizontale Richtung nicht aufgebe und die Stichwunde nicht schmerzhaft zerre, andererseits damit es nicht tiefer in die Pleurahöhle hinein- oder aus dieser herausrutsche, was bei heftigem Husten oder bei Veränderungen der Körperlage sonst wohl der Fall sein könnte. Um allen diesen Eventualitäten vor- zubeugen, fixirt man das eingestochene Instrument am thorax am besten so, dass man die Hand mit ihrer Rückfläche an die Brust- wandung lehnt, die Canüle zwischen Zeige- und Mittelfinger durch- treten lässt und sie von unten her noch mit dem Daumen stützt. Der Function kann ein Einschnitt der Haut vorausgeschickt werden. Bei traumatischem Pneumothorax punctirt man mit dünner Canüle, die man am Thorax befestigt, während der mit ihr befestigte lange Gummi- schlauch permanent unter Wasser gestellt wird. Die kleine Stich- wunde wird nach entfernter Canüle mit einem Stückchen Jodoform- gaze bedeckt und durch ein darüber geklebtes Stück Heftpflaster verschlossen. h) Function des Herzbeutels. Mutatis mutandis erkennt die Function des Herzbeutels die gleichen Indicationen wie jene der Pleurahöhle, also Hydropericardium und pericardiale Exsudate, welche keine Neigung zur Spontanresorption zeigen. Eine fernere bedingte Anzeige gibt das Haematopericardium nach Verletzungen durch Stichwaffen. Eose hat die Aufmerksamkeit auf die oft rasch zum Tode führenden Erscheinungen gelenkt, welche in einer Hemmung oder Behinderung der Thätigkeit des Herzens ihren Grund finden und dadurch zu Stande kommen, dass Blut in den Herzbeutel sich ergiesst, ihn ad maximum ausfüllt und comprimirend auf den Herzmuskel wirkt. Als Symptome gelten: rasch nach der Verletzung auftretende Cyanose und gänzlich aus- setzender Puls. Sehr richtig bezeichnet Böse diese plötzliche Füllung des pericardium mit extravasirtem Blute als „Tamponade des Herzens". Um diesem drohenden Stillstande des Kreislaufes rasch zu steuern, soll die Aspiration zur Anwendung kommen, behufs Exairese des flüssigen Hemmungsmomentes. Diesem Vorschlage wäre nur das Be- denken entgegenzustellen, dass die nicht verschlossene Herzwunde nach Entfernung des Bluttampons neuerdings zu bluten beginne, allein wenn Gefahr im Verzug ist und der Tod unausweichlich er- scheint, wird man verpflichtet sein, als letztes Mittel einer möglichen Lebensrettung die Function auszuführen, wenn nicht anderes, um Zeit zu gewinnen, zu eingreifenderen Verfahren. Behufs Exairese von Flüssigkeiten aus dem Herzbeutel ist aus- schliesslich die Aspiration zu verwenden, im Gegensatz zur pleura. Bedenkt man, dass dem Herzbeutel die Austreibungsfactoren, welche der ausgedehnten Pleurahöhle zur Verfügung stehen, grossen- theils mangeln, so wird man die Nothwendigkeit einer äusseren Aspi- rationskraft einsehen und diese auch ohne weitere Bedenken in An- wendung bringen, da beim Herzbeutel die Gefahr der Herstellung eines negativen Innendruckes nicht obwaltet. Das Punctionsinstrument, ein zweiarmiger dünner Troisquart oder eine mittelstarke Hohlnadel, wird in der Regel in der linken Farasternallinie des vierten oder fünften Intercostalraumes eingeführt, entsprechend der grösseren Aus- — 539 — dehnung des mit Flüssigkeit gefüllten Herzbeutels an seiner Basis. Da entlang den Sternalrändern, in nicht weiter Entfernung davon die beiden arteriae mammariae internae im subpleuralen Zellstoffe ver- laufen, so wird das Punctionsinstrument entweder knapp am Sternal- rande oder mindestens IV2 bis 2 Centimeter davon entfernt einge- stochen werden müssen, um einer möglichen Verletzung der benannten Arterie und ihrer Begleitvenen vorzubeugen. Wenn die Wahl zwischen Troisquart und Hohlnadel freigestellt ist, wird es gerathen sein, letztere zu bevorzugen, weil bei ihrer Anwendung quasi sondirend A'orgegangen werden und diese Möglichkeit oftmals nützlich sein kann. Die Technik ist folgende: Die wohldesinficirte, mit Carbolwasser gefüllte und durch einen dickwandigen Gummischlauch mit dem Dieulnfoj/' sehen oder son- stigen Aspirateur in Verbindung gebrachte Hohlnadel wird senkrecht eingestochen, sodann der Pumpraum geöffnet und nun die Nadel langsam tiefer geschoben, bis Flüssigkeit in die Pumpe wirbelt. Sofort senkt man die Nadel und schiebt sie um ein Weniges in den Pericar- dialraum so vor, dass ihre Richtung eine möglichst schräge wird, wodurch das Anstreifen des Herzmuskels an die scharfe Hohlnadel- spitze verhütet wird. Ob man den Gesammtinhalt des pericardium entleeren soll oder ob es gerathener sei die Flüssigkeit nur theilweise, d. h. bis zur genügenden Entlastung des Herzens auszupumpen, wird vom Verhalten des Patienten während der Operation abhängig sein. Ohnmachtsanwandlungen oder sonstige Warnungssymptome müssen sorgsam beachtet werden; die Aspiration soll durch die Sperrhähne geregelt sein und nie stürmisch erfolgen. in. Thoracotomie. Die Durchschneidung der Thoraxwandungen in ihrer Gesammtdicke dient zur bleibenden Eröffnung einer Thorax- cavität. a) Pleurotomie. Die Eröffnung einer Pleurahöhle durch den Schnitt findet ihre Anzeige bei der Ansammlung septischer Exsudate daselbst; sie bezweckt zunächst deren Entleerung und sodann die Herstellung aseptischer Verhältnisse im Brustfellraume. Gleichgiltig, ob es sich um eine genuine Pleuritis suppurata handelt, oder um einen Ichorpneumothorax in Folge penetrirender Verletzungen von aussen her oder von der Speiseröhre aus, mit dem Eindringen von Fremdkörpern complicirt oder ohne solche, immer gilt die gleiohe Anzeige: Entleerung der septischen Producte, Bekämpfung der Sepsis und ihren Folgen. Eine weitere Indication geben Echinococcen im Pleuraraum. Bei genuinem einfachen Pyothorax wollen manche Chi- rurgen noch gegenwärtig die Thoracotomie durch die Herstellung einer Pleuralfistel ersetzt wissen, d. h, sie ziehen es vor, mit ganz dicken Troisquarts zu punctiren, den Eiter zu entleeren, dann die Canüle in der Wunde ä demeure zu belassen, um durch Irrigationen und medicamentöse Einspritzungen in den Brustfellraum günstig ein- zuwirken und einen stetigen Ablass des Eiters zu ermöglichen. Ki(ss- mmd hat eine eigene catheterähnliche Doppelröhre angegeben, welche durch die in situ belassene Troisquartcanüle jeweilig eingeführt — 540 — werden soll und mittelst welcher man im Stande ist, den Pleuraraum dauernd, d. li. ohne Absätze zu irri;Liiren, da die Doppelröhre eine gleichzeitige Einfuhr von Irrigationsflüssigkeit und Abfuhr des Spül- wassers gestattet. Diese Variante der Function mit Dauerverbleib der Canüle darf in dieser Form die Fleurotomie nicht ersetzen. Noch weniger ist die alte Hippe )kratische Methode üblich, welche darin bestand, die Dauerpunction nicht durch einen Intercostalraum aus- zuführen, sondern durch eine tunnelirte Rippe, um der eingelegten Canüle mehr Sicherheit und Bestand zu sichern und sie unabhängig zu machen von dem gegenseitigen Näherrücken der Rippen im Ver- laufe der Nachbehandlung. An welcher Stelle soll der Brustfellraum durch Schnitt eröffnet werden? Handelt es sich um Fyothoraces, welche schon nach aussen perforirt haben, oder um peripleuritische Abscesse, so wird natürlich stets dort eingegangen, wo der Eitersack durch Vorwölbung und Schwappung sich zu erkennen gibt; bei noch vollends abgeschlossener Fleurahöhle ist eine freie Wahl gegeben. Man sollte glauben, dass zur Schnittführung stets jene Stelle zu wählen wäre, welche relativ zur Körperstellung des Operirten (horizontale Bettlage) den tiefsten Funkt des Brustfellraumes darstellt, da ja nach weiter Oeffnung desselben atmosphärische Luft einströmt und damit das Gesetz der Schwere zur Geltung gelangt. Dementsprechend sollte die Fleurahöhle am tiefsten Funkte ihrer Rückenwand eröffnet werden. Gegen diese Wahl sprechen aber mehrere Momente: zunächst das schon früher bei der Thoraco- centese erwähnte Verhalten des Zwerchfelles, vor der Eröffnung, nach der Entleerung und im späteren Verlaufe. Die tiefste Stelle, welche vor der Entleerung bequemen Zugang zum Brustfellraume gewährte, wird später durch das Hinaufrücken des Zw^erchfelles verlegt und demnach insufficient. Gegen das Eindringen vom Rücken aus sprechen ferner die engeren Intercostalräume und dicken Muskelschichten, ob- gleich Walther gerade den achten Intercostalraum hinten am Rücken des Kranken für die geeignetste Stelle erklärt, da allhier der Abfluss am leichtesten sich vollführt. Man gibt also wieder der Axillarlinie den Vorzug, weil daselbst die Rippen am weitesten voneinander ab- stehen und die Deckschichten weniger mächtig sind, und wählt ge- meiniglich die Höhe des fünften bis siebenten Intercostalraumes. Sollte ein von aussen eingedrungener Fremdkörper im Fleura- raume weilen, dessen Exairese sodann natürlich geboten wäre, und könnte man, von der eben benannten Höhe aus, seiner nicht habhaft werden, so müsste von der dortselbst gesetzten Thoracotomiewunde aus eine gekrümmte Metallsonde bis zum Fremdkörper hinab einge- führt und dann von aussen her nochmals eingeschnitten werden, um dessen Extraction direct vollziehen zu können. Diese zweite Eingangs- pforte würde aber dann der Vernarbung überlassen werden können, so dass ein Hinaufsteigen des Zwerchfelles über sie keine Bedeutung mehr hätte, indem die regelrecht geschnittene obere Fforte für die ungehinderte Ableitung der Fleurasecrete bürgt. Die Eröffnung eines Brustfellraumes durch Incision kann ent- weder intercostal oder retrocostal erfolgen : zu letzterer Methode ist die vorgängige Resection eines entsprechenden Stückes aus der Gesammt- continuität der betreffenden Deckrippe erforderlich, deren Technik — 541 — später erörtert wird. Vorderhand soll nur von der Benützung eines Intercostalraumes zum Zwecke der Pleurotomie ausschliesslich die Rede sein. Jeder Intercostalraum wird in der seitlichen Brustwand- region durch zwei Muskeln ausgefüllt; der äussere Muskel hat eine schräge Richtung nach vorne und unten, der innere lässt seine Fase- rung an der verkehrt schrägen Richtung nach hinten und unten er- kennen. Die Ursprünge beider Muskeln fassen den am unteren Rande jeder Rippe befindlichen sulcus costalis und die darinnen gedeckt ver- laufenden Gefässe und Nerven zwischen sich. Hinter dem inneren Zwischenrippenmuskel folgt die aponeurosis intrathoracica, dann kommt das häufig schwartig verdickte subseröse Zellgewebe und endlich die pleura. Nach aussen wird die Thoraxwand durch den mus- culus serratus anticus, die fascia thoracica superficialis und die äussere Haut gedeckt. All die genannten Schichten müssen der Quere nach in genügender Länge durchschnitten werden; das Verhältniss der Ge- fässe und Nerven zum unteren Rande jeder Rippe veranlasst den Operateur, diesen zu meiden und sich stets am oberen Rande der nächst unteren Rippe zu halten. Die Operationstechnik gestaltet sich folgendermassen : der Kranke wird, wenn seine gestörten Respirations- und Circulationsverhältnisse es erlauben, vorsichtig narcotisirt, sonst local anästhesirt. Patient wird an den Rand des Operationstisches gerückt, da er zumeist die sonst wohl günstigere Seitenlage im Sinne der gesunden Hälfte nicht verträgt. Der Operateur fixirt mit zwei Fingern den oberen Rippen- rand des erwählten Intercostalraumes und schneidet in paralleler Richtung zu jenem mit einem Scalpelle die Deckschichten durch in einer beliebigen Länge, also zunächst Haut, Fascie und musculus serratus. Die abgezogenen Wundränder lassen die entblössten Rippen erschauen, sowie den sich nun präsentirenden musculus intercostalis externus. Nach Stillung eventueller Blutung aus den kleinen mit- durchschnittenen Gefässen trennt man nahe dem oberen Rippenrande beide intercostales durch, indem man sie schichtenweise einer Hohl- sonde aufladet. Sind beide Muskeln in gleicher Länge mit der Haut durchschnitten, so sieht man nach Abziehung ihrer Trennungsränder die weisse aponeurosis intrathoracica; auch diese wird auf der Hohl- sonde vorsichtig durchschnitten. Bevor man die pleura selbst eröffnet, muss alle Blutung definitiv gestillt sein, alle gefassten Gefässlumina sind mit Catgut zu sichern. Vorsichtshalber ist es manchmal gerathen, eine Explorativpunction mit feiner Hohlnadel unter Aspiration aus- zuführen, um ja sicher zu sein, dass man auf richtigem Wege sei und um die Richtigkeit der Diagnose zu constatiren. Entquillt Eiter, dann greift man zuvörderst zum Jodoform und reibt etwas von dem Pulver in die Wundflächen ein, um die Infection der frischen Wunde durch die darüber fliessenden Pleuralsecrete septischen Charakters a priori zu verhüten. Dann senkt man die Spitze eines Bistouri ein, lüftet durch eine kleine Drehung des Messers die gestochene Lücke und führt durch diese eine Hohlsonde in den Brustfellraum ein. Längs der Rinne der Hohlsonde fliesst langsam der Eiter ab ; man lässt einen guten Theil des flüssigen Inhaltes ab, bevor man die plem'a weiter spaltet. Es ist nämlich nicht zweckmässig, wenn die Entleerung stürmisch erfolgt, da hierbei starker Husten, Ohnmächten, Herzparalyse, — 542 — intrathoracische Blutuiiyr, ja plötzlicher Tod durch Gehirnembolie in Folge der plötzlichen Entlastung sich einstellen können. Erst wenn ein guter Theil des pleuralen Inhaltes sich entleert hat, trennt man die pleura in querer Richtung weiter durch und vollendet die Er- weiterung des Schnittes durch stumpfe Dilatation mit beiden, als Haken benützten Zeigefingern oder mit sonstigen geeigneten Instru- menten. Dass nach vollendeter Thoracotomie die Pleurahöhle vollends entleert werden soll, ist wohl klar; hiefür muss der Kranke vom Tische abgehoben und so auf die kranke Seite umgedreht werden, dass die gesetzte Wunde zutiefst liege, mit einem Worte, der Kranke wird so behandelt, wie ein halbgeleertes Fass, dessen Spundloch man nach abwärts kehrt, um den Rest auszugiessen. Soll man das entleerte Cavum mit warmen desinficirenden Flüssigkeiten ausspülen? Die Irrigation der Pleurahöhle ruft manch- mal recht unangenehme Folgezustände hervor: Hustenreiz, Athem- noth, Schmerzen, ja selbst Convulsionen und embolische Lähmungen, so dass es geboten ist, sie entweder ganz zu unterlassen oder doch mit grosser Vorsicht auszuführen, insofern als der Wasserstrahl nie mit grösserer Kraft eindringen darf. Anstatt der Ausspülung wurde vielfach die Perflation der Thoraxhöhle empfohlen, id est das Eintreiben von durch lOprocentige Carbollösung getriebener Luft durch ein Gummigebläse. Ist nur eine Wunde vorhanden, so genügt es voll- ständig, die Einblasung mit einem recht langen Drain bei zusammen- gepresster Wunde vorzunehmen. Die Luft hat den Vorzug, in alle todten Räume einzudringen und als leichter Körper alle Secrete und Gewebspartikelchen niederzuschlagen, so dass sie an die abhängigsten Stellen gelangen. Es wird dabei auch die Lunge nicht mit starkem Gewichte wie bei Benützung von Flüssigkeiten belastet und daher die Procedur angenehmer und weniger gefährlich für den Kranken. Roser meint, dass auch die wiederholte vollständige Austrocknung der Pleura- höhle günstig einwirke auf Granulationsbildung und Vernarbung. Seit- dem der Chirurgie im Jodoform ein so mächtiges Desinficiens er- standen ist, kann man füglich jeder Irrigation entbehren; einige Löffel Jodoformemulsion besorgen die Desinfection auf geradezu erstaun- liche Weise. Ist die pleura nicht allzu schwartig verdickt, so wird es von Vortheil sein, nach genauer Ausräumung die durchschnittenen Pleuraränder in die Wunde vorzuziehen und sie mit den eingestülpten Hauträndern zu vernähen. Dadurch vermeidet man die nachträglich sich einstellende üppige Granulationsbildung, durch welche das künst- liche Offenhalten der Wunde sehr erschwert wird. Man bildet dem- nach eine Lippenfistel oder besser Lippenspalte, welche nicht gr anulirt und einen wahren künstlichen Pleuramund darstellt. Das Einlegen von Drainröhren ist nothwendig; es empfehlen sich möglichst stark cali- brirte Gummirohre mit starken Wandungen. Die Heilung eines thoracotomirten Empyems erfolgt durch gegen- seitige Verwachsung der beiden Pleurablätter; dafür ist ihre wechsel- seitige Annäherung bis zur Berührung conditio sine qua non. Die Annäherung der pleura pulmonalis an die costalis erfolgt durch Aus- dehnung der comprimirt gewesenen Lungen : Expansionsfähigkeit dieser ist daher ein Haupterforderniss zur Heilung. -Die Annäherung der beiden Pleurablätter wird ferner vermittelt: durch das Einsinken — 543 — der Intercostalräume in erster, und die Abflachung der Rippenbogen in zweiter Instanz. Das Zusammenrücken der Rippen und das Hinauf- rücken des Zwerchfelles tragen zur Verkleinerung des Pleuracavums auch bei. Je ausdehnungsfälliger die Lungen sind, desto rascher und vollständiger erfolgt ceteris paribus die Heilung; je weniger Aus- dehnungsfähigkeit sie besitzen, desto grössere Anforderungen werden an die Thoraxwandungen gestellt und desto ausgesprochener gestalten sich die dadurch bedingten bleibenden Verkrümmungen der Wirbel- säule, die einseitige Abflachung und Verkürzung des thorax und die Verschiebung des Brustbeines, ganz abgesehen von den Einziehungen der Zwischenrippenräume und der Schlüsselbeingruben. Oftmals ob- walten derartig ungünstige Verhältnisse, dass eine Heilung nicht ein- treten kann, weil die Pleurablätter sich absolut nicht bis zur Berüh- rung nähern oder dies nicht an allen Stellen zu Stande bringen können. In Folge davon bleibt eine Thoraxfistel zurück, welche zu einem mehr minder grossen Cavumrest führt, dessen Wandungen fort und fort Eiter secerniren. Diesem sonst unheilbaren Uebelstande ab- zuhelfen, gibt es nur ein Mittel: die Länge der Rippen zu reduciren, indem ja ihre Bogenlänge und Bogenkrümmung das Hinderniss für die Coaptation und Verwachsung der Pleurablätter abgibt. Entnimmt man durch Resection mehreren oder vielen Rippen entsprechend lange Stücke aus ihren Bögen, so wird dem besagten Hindernisse wirksam abgeholfen und auf Kosten des Zusammenrückens der Resections- enden eine adäquate Umfangsreduction zu Stande gebracht. Es muss mit einem Worte, wie schon Letievcmt hervorgehoben hat, „der Thorax chirurgisch mobilisirt werden". Heutzutage bedient man sich der intracostalen Thoraxeröffnung nur in jenen Fällen, wo grosse Eile noththut, und die Anwendung der Narcose nicht räthlich erscheint, sonst und selbst bei kleinen Kindern pflegt man retrocostal vorzugehen, id est vor der Eröffnung eine oder zwei Rippen subperiostal zu reseciren. Man gewinnt dadurch mehr Raum, der namentlich dann sehr nothwendig wird, wenn es sich um Pyothorax fibrinosus handelt, wobei die Ausräumung der mit Jauche durchsetzten Fibringerinnungen nothwendig wird. Auch hat die retrocostale Methode den Vorzug, dass das Zusammenrücken der Rippen in verticaler Richtung für das Offenbleiben der Abflussstelle ohne Bedeutung bleibt. In manchen Fällen ist es sehr empfehlens- werth, nach Eröffnung der Thoraxhöhle noch an der Rückenseite unterhalb des angulus scapulae, nach Resection eines Rippen- stückes eine Gegenöffnung zu machen^, welche entsprechend drainirt am besten den Secretabfluss sichert. Eine breite Eröffnung des Thorax ist unter allen Umständen vorzuziehen, schon aus dem Grunde, weil man dabei auch nach Wdgnar im Stande ist, die ganze Empyemhöhle mit locker gekrüllter Jodoformgaze auszufüllen, ein Verfahren, welches der localen Sepsis am raschesten Stillstand gebietet; nur vergesse man nicht neben der Gaze auch ein Drainrohr einzulegen. Dieses Auslegen der Höhle mit Jodoformgaze hat das Gute, dass der dar- über gemachte Occlusivverband länger am Platze bleiben kann. Delorme findet es für nothwendig, nicht nur den thorax zu mobilisiren, sondern auch die pyogene Membran, welche die Lunge einschliesst und deren Ausweitung hindert, zu entfernen. Mit dem - 544 — Momente der wiedergegebenen Expansionsfähigkeit der Lunge ist nicht nur eine raschere Heilung ohne Thoraxdifformität ermöglicht, sondern auch annäherungsweise eine restitutio ad integrum durch Entfaltung der Lunge. Er resecirt diesbehufs aus der ganzen Thorax- wand einen temporär aufklappbaren Deckel mit hinterer Charnier- verbindung, der drei Rippen einschliesst (3 bis G), dringt durch die weite Pforte in den Pleuraraum und schält die pyogene Membran möglichst vollständig von der comprimirten Lunge ab, worauf der Deckel reponirt und am Mutterboden angenäht wird, natürlich nach vorausgeschickter Drainage. Da im Deckel die Rippen an zwei Stellen durchsägt sind, ist eine Reduction des Thoraxumfanges immerhin möglich, im Falle die Expansion der Lunge nicht im gewünschten Masse stattfände. Um letztere zu begünstigen, ist dem Kranken die Ausführung von Lungengymnastik zu empfehlen, id est möglichst tiefe Einathmungen und verzögerte Exspirationen zu empfehlen. Esthiitdrr entnimmt dem thorax längere Stücke einer ganzen Reihenfolge von Rippen, wofür ein T-förmiger Schnitt sich empfiehlt. Der Querschnitt soll der untersten Rippe entsprechend angelegt werden, der Längsschnitt erlaubt die Abpräparirung der Thoraxweichtheile in Form zweier aufklappbarer dreieckiger Lappen, wodurch die Rippen blossgelegt werden. Anstatt von den Rippen längere Segmente zu reseciren, entnimmt Ssahottln jeder Rippe an zwei Stellen je ein kleineres Stück, wofür zwei Längs- schnitte erforderlich sind, einen in der seitlichen Mamillarlinie, den zweiten in der seitlichen Rückengegend. Die intermediären Rippen- abschnitte können nunmehr einsinken, wodurch auch eine Mobilisirung des thorax resultirt. Die Nachtheile des Eindringens atmosphärischer Luft in den Pleuraraum, die dadurch bedingte fortdauernde Eiterung, die behin- derte Entfaltung der comprimirten Lunge und andere Momente mehr, haben bei genuinen Empyemen, also solchen, welche bei vollends ge- schlossenem Brustkasten sich vorfinden, die Dauerpunction anter herme- tischem Luftabschluss wünschenswerther gemacht. Man hat zwei ver- schiedene Operationsmethoden erdacht, bei welchen das Eindringen von Luft in den Pleuraraum sowohl während der Operation als auch nach derselben verhindert wird: 1. die Function des thorax mit Ein- legung einer Dauercantile, welche ein Klappenventil trägt, das zwar der Flüssigkeit den Abfluss, nicht aber der Luft den Eintritt gestattet. 2. Die permanente Aspirationsdrainage. Bei beiden Methoden kann ent- weder der thorax einfach nur entleert werden, oder es kann bei sep- tischem Exsudat nebstbei auch eine beliebig oft zu erneuernde Aus- waschung der Pleurahöhle mit antiseptischen Lösungen besorgt werden, ganz nach Bedarf und Belieben. Zur erstgedachten Operations- methode gehören die Verfahren von Mader^ Rochelt und Krieger, zu letzterer jenes von Bülau und Immermann. Rochelt incidirt in einem Intercostalraum bis zur pleura, bei Kindern resecirt er subperiostal ein Rippenstück, um mehr Platz zu gewinnen. Die Eröffnung der Empyemhöhle erfolgt nicht cum cultro, sondern mit einem Troisquart, dessen Hartgummicanüle 1 Centimeter Lichtung besitzt. Ist der Stachel herausgezogen, so wird sofort ein der Lichtung der Canüle entsprechend calibrirtes Drainrohr, welches genau und luftdicht in die Canüle passt, hineingeschoben. Das freie — 545 — Rohrende trägt die früher geschilderte Aspirationsflasche, das Ex- sudat entleert sich sonach durch Heberwirkung. Ist der Abfluss beendet, so klemmt man das Gummirohr ab, entfernt die Flasche, wäscht sie aus und füllt sie mit einer lauen antiseptischen Flüssigkeit voll (Sublimat 1 : öouo). Verbindet man hierauf die Flasche, neuer- dings mit dem Gummirohr, unterbricht das Klemmen und hebt sie hoch, so fliesst das Antisepticum in das Pleuracavum hinein, und kann durch Senken der Flasche wieder ausgehebert werden. Der Wiederholung der Procedur steht nichts im Wege. Nach vollendeter Auswaschung wird das Drainrohr etwas vorgezogen und so weit vor der Klemme abgeschnitten, dass der Rest, in die Canüle zurück- geschoben, mit seinem doppeltgefensterten Ende bis zum tiefsten Punkte der Pleurahöhle reicht und das äussere Ende des Rohres der äusseren Mündung der Canüle entspricht. An letzterem wird jetzt ein Röhrenventil festgemacht, die dahinter angebrachte Klemme abge- nommen und das Drainrohr in die Canüle vollends hineingeschoben, bis die Ventilröhre der Troisquartcanüle anliegt Hierauf Naht der Weichtheilwunde und antiseptischer Deckverband. Das Ventilrohr hat nur eine Länge von 1 Centimeter und trägt in seinem Lumen eine runde, quergestellte, aus dünnem Gummi geschnittene Platte, welche derart gestellt ist, dass sie bei jeder Exspiration gehoben, bei jeder Inspiration gesenkt wird und dadurch die Röhrenmündung luftdicht verschliesst. Die Ventilröhre sitzt einem Ausschnitte der Canülen- platte auf. Das Drainrohr wird über das innere Ende der Ventilröhre gestülpt und in dieser Lage durch das Einschieben der letzteren in die Canülenöffnung befestigt erhalten; überdies befindet sich an der Canüle ein Einschnitt, an welchem das Drain mittelst Faden oder Draht noch sicherer befestigt werden kann. Die permanente Aspirationsdrainage nach ßälow und Immermann hat folgende Technik: mit einem gewöhnlichen, geraden Troisquart von der Dicke eines kleinen Fingers wird durch die früher eingeschnittene Haut intercostal eingestochen, wobei es gerathen erscheint, den Arm der kranken Seite möglichst zu eleviren, um den Intercostalraum breiter zu gestalten. Nach Entfernung des Stachels, während der Eiter herausfliesst, wird alsogleich ein dickwandiges, etwa 50 Centi- meter langes Gummirohr, dessen Dickendurchmesser der Lichtung der Canüle entsprechen muss, durch letztere in die Pleurahöhle ein- geschoben. Vorher wird am Rohre eine Marke angebracht, welche die Tiefe angibt, bis zu welcher es in den Brustraura eingeschoben werden soll. Das Drain, aus welchem jetzt der Eiter fliesst, wird nun mit der Hand fixirt und über dasselbe die Canüle aus der Wunde gezogen. Ist dies geschehen, so wird ein zweites meterlanges, gleich- dickes Rohr mit Einschaltung eines Glasrohres an ersterem befestigt und dessen freies Ende unter Wasser gestellt. Die Entleerung des Brustraumes erfolgt einestheils in Folge des intrathoracischen Druckes, anderentheils durch Heberwirkung. Lufteintritt ist während der Pro- cedur nicht möglich, da die Wunde das Drainrohr hermetisch umschliesst. Zur Sicherung des Drainrohres wird an der Marke eine Sicherheitsnadel wandständig durchgestochen und über eine Jodoform- gazecompresse mittelst schmaler Heftpflasterstreifen am thorax be- festigt. Ist der grösste Theil des Exsudates abgeflossen, so wird das V. Mose tis-Mo orhol: Handbuch d. .-hirnr^. Technik. 4. Aull. 35 — 546 — Brustdrain mit einem Quetschhahn abgesperrt und das Glasröhrchen sammt dem Verlängerungsstücke abgenommen. Ein Verband sichert das Ganze. Soll der Apparat in Gang gebracht werden, so wird das Glasröhrchen sammt Rohranhang wieder am Brustdrain angemacht und die Klammer abgenommen, nachdem das Ende des Abflussrohres unter Wasser gestellt worden war; zweckmässig ist es immerhin, das Abflussrohr plus Glasröhrchen vor dem Anlegen mit Flüssigkeit zu füllen. Sollte sich im weiteren Verlaufe das Brustrohrlumen ver- legen, so genügt es, unter nöthigen Cautelen etwas antiseptische Flüssigkeit centripetal einzutreiben, um die Wegsamkeit wieder her- zustellen. Der Heberapparat kann aber auch continuirlich in Wirksam- keit bleiben, ohne dass der Kranke deswegen gezwungen wäre stets das Bett zu hüten. Es wird dann einfach das Ende des Brust- drains in eine etwas Flüssigkeit bergende Flasche getaucht, welche irgendwie am Leibe des Kranken sicher befestigt wird. Selbstver- ständlich kann man auf leichte Art und Weise den Apparat auch zu Zwecken der Thoraxauswaschung beliebig benützen. Das Brustdrain bleibt bis zur Ausheilung ruhig in situ liegen; ein Wechsel ist nicht nur nicht nothwendig, sondern geradezu abräthlich. Wäre man den- noch, aus welchem Grunde immer hierzu genöthigt, so gehe man ja vorsichtig zu Werke, um dabei keinen Pneumothorax zu ermöglichen. Man halte knapp oberhalb der Punctionsöffnung einen Finger an die Thoraxwand angepresst, drücke, sobald das alte Drain heraus- gerutscht ist, den oberen Rand der Schnittwunde nach abwärts und lasse bei Einführung des neuen Drains jeweilig nur soviel mit dem Drucke nach, als eben nothwendig erscheint, um dem neuen Rohre Raum zum Durchschlüpfen zu gewähren. Liegt einmal das frische, vorher mit antiseptischer Flüssigkeit vollgefüllte Rohr im Wundcanale, dann wird durch den Granulationswall ein hin- länglicher Luftabschluss geschaffen. Gelingt die Wiedereinführung nicht aus freier Hand, so muss neuerdings der Troisquart in den Fistelgang eingestossen werden. Gegen Ende der Behandlung kann auch das Caliber des Drains gradatim verringert werden, ebenso mag es nach Thunlichkeit gekürzt werden. Eine Compression das Drains durch Aneinanderrücken der Rippen scheint bei entsprechender Wanddicke des Rohres nicht vorzukommen, wenigstens wird es von jenen geleugnet, welche die Methode wiederholt in Anwendung gebracht haben; des häufigsten wird aber, der Dicke des Troisquarts wegen, eine vorausgeschickte subperiostale Rippenresection sich als nothwendig erweisen. Perthes will nach ausgeführter Thoracotomie durch dauernde Aspiration einen constanten negativen Druck in der Pleurahöhle unterhalten, um die Entstehung eines offenen Pneumothorax zu ver- hüten und eine raschere Entfaltung der comprimirten Lunge zu er- zwingen, wodurch die Heilungsdauer abgekürzt, Thoraxdifformitäten verhindert und die volle Lungenfunction erhalten wird. Hiefür wendet er einen eigenen Verschlussapparat an und vermittelt die Dauer- aspiration durch eine Bimsen' ^che Wasserstrahlpumpe. Das Verfahren kann nach der Operation frischer Empyeme sowohl als auch für veraltete Fälle von Thoraxfisteln zur Anwendung arelangen. - 547 — h) Pneumotomie. Zu Operationen an der Lunge selbst geben Lungenabscesse, Cavernen, Lungengangrän, Entfernung von einge- drungenen Fremdkörpern, ja möglicherweise selbst kleine circum- scripte Neubildungen der Lunge Veranlassung. Diese Eingriffe mit Messer, Troisquarts oder Thermocauter direct vorzunehmen, erlauben nur Fälle mit verwachsenen Pleuraflächen. Bestehen zwischen pleura pulmonalis und parietalis keine Verwachsungen, so muss auf künst- liche Weise ein Verschluss der Pleurahöhle im Operationsgebiete geschaffen werden, ehe man es wagen kann, die Lunge selbst anzu- gehen. Um Zugänglichkeit zu schaffen, müssen zunächst entsprechend grosse Rippenstücke resecirt werden. Findet man nach Blosslegung des parietalen Brustfelles keine Verwachsungen vor, so dürfte es am gerathensten sein, durch einen Kranz von Nähten das Operations- gebiet sorgfältig abzugrenzen. Die Nähte mit Catgut ausgeführt durch- setzen die Lungensubstanz, bringen die Pleuraflächen in innigstem gegenseitigen Contact und festigen die Lunge an Ort und Stelle. — Pneumopexis. — Bei Abscessen und Cavernen punctirt man zunächst unter Aspiration, um sich von der Richtigkeit der Diagnose zu über- zeugen, dringt dann entlang der Punctionsnadel mit dem Thermo- cauter in die Lunge ein, eröffnet weit die Höhle und drainirt. cj Pericardiotomie. Diese seltene Operation ist wegen Pyoperi- cardium von Rosenstein und von West mit Erfolg ausgeführt worden, so dass über ihre praktische Berechtigung bei jener Erkrankung kein Zweifel mehr obwalten kann. Ob man berechtigt sei, bei trau- matischem Hämatopericardium den Herzbeutel in weitem Umfange offen zu legen, um nicht nur das angesammelte, die Erscheinungen der Herztamponade hervorrufende Extravasat zu entleeren, sondern auch um die Blutungsquelle zu suchen und sie durch Umstechung oder Vereinigungsnaht definitiv zu verlegen, war bis vor kurzem eine praktisch noch ungelöste Frage. Reim hat sie in bejahendem Sinne gelöst. Die Eröffnung des Herzbeutels mit dem Messer kann in der linken Parasternalregion, im vierten oder fünften Intercostal- raume ausgeführt werden. Man schneidet in der Mitte des gewählten spatium intercostale der Quere nach ein; der etwa 5 Centimeter lange Schnitt beginnt knapp am margo sternale sinistrum und trennt Haut, fascia superficialis und musculus pectoralis maior. Nach Ab- ziehung der Wundränder kommt in der Tiefe das ligamentum corus- cans in Sicht, jenes Band, welches das nach vorne fehlende Stück des musculus intercostalis externus ersetzt. Man trennt es mit dem an- grenzenden Theile des äusseren Zwischenrippenmuskels auf der Hohl- sonde, unter ihm auf gleiche Weise den bis zum Stern alrande reichen- den inneren Zwischenrippenmuskel und die fascia endothoracica. Auf dem subpleuralen Zellgewebe zieht parallel zum Sternalrande und von ihm 1 bis l^'g Centimeter entfernt ein Gefässbündel: die arteria und Vena mammaria interna; dieses muss doppelt unterbunden und in der Mitte durchschnitten werden, da es das planum operationis kreuzt und demnach nicht geschont werden kann. (Bis hierher ist das Operationsverfahren absolut und in allen Theilen jenem analog, welches zur Unterbindung der arteria mammaria interna in allen Fällen traumatischer Verletzung dieses Gefässes dient; würden sich dem Auffinden der blutenden Gefässlumina nach queren Durchtrennungen 35* — 548 - Schwierigkeiten entgegenstellen, oder der Intercostalrauni zu eng sich erweisen, su inüssten Ri})penkn()rpelst.ücke, eventuell bei stark me- dianem Verlaufe der Gelasse Kandstücke aus dem sternum entfernt werden, um die Ligatur zu erleichtern.) Sind die Gefässe derart versorgt und durchschnitten, so wird zunächst dem Sternalrande eine Aspirationshohlnadel eingestochen, um sich von dem effectiven Bestehen eines Pyopericardiums noch- mals zu überzeugen und um sicher zu sein, dass das ausgedehnte pericardium wirklich an dieser Stelle vorliege. Hierauf wird mit dem Spitzbistouri vorsichtig eingestochen und die Schnittwunde bis zur Durchgängigkeit für die Spitze des Zeigefingers erweitert, schliesslich wird mit dem Knopfmesser nachgeholfen und der angesammelte Eiter vollends entleert. Bei bestehender Nothwendigkeit das Pericard in weiterem Um- fange blosszulegen, wäre das Verfahren nach Dtlorme vorzuziehen: Verticaler Einschnitt 1 Centimeter nach aussen vom linken Sternal- rande, vom vierten bis unterhalb des siebenten Costalknorpels; an beiden Enden des verticalen je ein 2 Centimeter langer Querschnitt. Abpräpariren der beiden Lappen und Umschlagen derselben gleich zweien Flügelthüren. Verziehen der Lappen so, dass innen 1 Centi- meter Sternum frei wird. Die Insertion des fünften und sechsten Rippen- knorpels am Sternum wird durchschnitten und von beiden je ein 4 Centimeter langes Stück abgebrochen. Nun wird knapp am Sternal- rande die Insertion des musculus triangularis sterni mittelst Hohl- sonde stumpf abgelöst, mit dem Finger hinter das sternum einge- drungen und das Pericard etwas abgehoben, worauf es gelingt, das- selbe sammt der arteria et vena mammaria und der Pleurafalte nach aussen, also vom Operationsfelde weg, abzudrängen. Das blossgelegte Pericard wird nun der Länge nach eingeschnitten, und zwar am besten von unten nach oben. Resecirt man auch den vierten Rippen- knorpel, so kann der Einschnitt bis auf 7 Centimeter verlängert werden. Bei Ausführung der Pericardiotomie ist die Eröffnung der linken Pleurahöhle zu fürchten und daher zu meiden, namentlich bei bestehenden Pyopericardium. Rehn hat bei einer Verletzung des linken Ventrikels die Blutung durch Vernähen der Stichwunde stillen können, wobei er die Nähte während der Herzdiastole anlegte. Trotz Lädirung der pleura und folgeweiser Pleuritis purulenta genass der Verletzte. IV. Resectionen an den Brustwandknochen. Es werden Stücke aus dem sternum resecirt, wenn es gilt, sich Zugänglichkeit zum vorderen Brustfellraume zu schaffen, sei es, dass Eiterungen daselbst eingesetzt haben, sei es, dass im mediastinum liegende Gefässe (truncus anonymus) blosszulegen sind; es wird aber auch resecirt, wenn Neugebilde — namentlich Enchondrome — dem Brustbeine aufsitzen, beziehungs- weise von ihm ausgehen. Ob man sich zur Resection des Trepans oder des Meisseis bedienen solle, hängt wohl von. der Operations- anzeige ab und von der Grösse des zu entfernenden Knochenstückes. — 549 — Als Voractoperation wird die Resection stets siibperiostal, als Exstir- pationsoperation ohne Schonung- der Beinhaut ausgeführt. Häufiger als das Brustblatt werden wohl Rippen resecirt, ent- weder weil sie erkrankt sind (Caries) oder weil sie in Nengebilden mit einbegriffen wurden, endlich, wie schon erwähnt wurde, bei Empyem- operationen, um retrocostal eindringen zu können, oder behufs chirur- gischer Mobilisation der betreffenden Thoraxhälfte. Eine fernere relative Indication für eine Rippenresection geben Blutungen aus einer ver- letzten arteria intercostalis. Die Unterbindung einer blutenden inter- costalis macht die vorgängige Entfernung des betreffenden Rippenseg- mentes aus dem Grunde noth wendig, weil die Arterie in Begleitung der Vene und des gleichnamigen Nerven im sulcus costalis verläuft, durch den nach abwärts vorspringenden unteren Rippenrand vollends gedeckt. Es ist demnach unmöglich, der Arterie von aussen her bei- zukommen, ohne die Knochenwand früher entfernt zu haben. Dennoch ist die Indication zur Rippenresection bei Blutungen aus der arteria intercostalis keine absolute, da man in einer Umstechung der ganzen Rippe oder in einer Tamponade der Wunde, endlich in einer directen Instrumentalcompression der Arterie durch die bestehende Wunde Mittel an die Hand gegeben hat, welche zwar vielleicht umständlicher und unsicherer sind als die Ligatur, dennoch aber zum Ziele führen können. Bei der Umstechung der Rippe darf die pleura nie verletzt werden; die Umstechungsnadel muss daher nur knapp an der Innen- fläche der betreffenden Rippe geführt werden und soll stumpf sein, nie spitz. Hat der Faden die Rippe umschlungen, so wird ihm ein kleiner Tampon aus KrüUgaze eingeschaltet, dieser nachgezogen, bis er den sulcus costalis erreicht, und sodann der Faden über die Rippe festgeknotet. Der Umstechungsfaden drückt dann den Tampon an die verletzte Gefässwand. Zur directen Instrumentalcompression der arteria intercostalis wurde von Assdlini ein eigenes Compressorinm erdacht; ebenso gut verwendbar ist eine gewöhnliche Zungenspatel, die man hebelartig wirken lässt. Das eine stumpfe glatte Spatelende wird, mit etwas Gaze pelottenförmig umwunden, durch die Wunde unter den unteren Rippenrand eingeschoben, so dass die kleine Pelotte in den sulcus costalis zu liegen kommt; den Körper der Spatel legt man sodann in verticaler Richtung nach abwärts auf die Thoraxwand und bindet ihn mit Klebestreifen und Rollbinde fest am Stamme. Die der blutenden intercostalis nächste untere Rippe dient als Hypomochlion des zweiarmigen Hebels und wird durch eine adä- quate elastische Polsterung vor übermässigem Drucke geschützt. Als temporäres Blutstillungsmittel hat dieses leicht auszuführende Ver- fahren einen unleugbaren Werth. Die Technik einer Rippenresection ist leicht: man schneidet entlang der äusseren Rippenwand quer ein und trennt in einem Messerzuge sämmtliche Deckschichten inclusive Beinhaut durch. Wie lang der Schnitt sein soll, hängt von der Länge des zu excidirenden Stückes und von der Dicke der Deckschichten ab. Mit der Durch- schneidung der Beinhaut ist das Messer vorläufig ausser Verwendung- gesetzt; man greift zum Elevatorium und hebelt nach beiden Rich- tungen die Beinhaut ab, bis die beiden Ränder der Rippen entblösst sind. Vom oberen Rippenrande gelangt das Elevatorium zur hinteren — 550 — Rippenfläche und drängt daselbst das Periost ab, bis es hinter dem unteren Rippenrande wieder zum Vorschein kommt. Ist einmal das Elevatorium hinter die entblösste Rippe gebracht, dann ist die weitere Abhebung der Beinhaut in den zwei lateralen Richtungen ganz leicht und gelingt ohne Mühe durch einfaches Verschieben des Instrumentes entlang der Rippe. Die Abtrennung des längeren oder kürzeren Rippensegmentes erfolgt mit einer entsprechend starken, der Kante nach gekrümmten Knochenschere oder mit der Kettensäge. Sollen zwei Nachbarrippen resecirt werden, so verlegt man den Deckschichten- schnitt auf deli gemeinschaftlichen Intercostalraum und verschafft sich Zugänglichkeit zu jeder Rippe durch entsprechende Verziehung des einen und dann des anderen Wundrandes. Sind nach Estlander's Methode vier oder sechs Rippen zu reseciren, so genügen hiefür zwei Incisionen in Gestalt eines umgekehrten T. Bei der so gearteten chirurgischen Mobilisation des thorax bleiben die Weichtheile der Rippenrückwand inclusive dem Perioste vollends intact. Beabsichtigt man retrocostal zu thoracotomiren, so incidirt man in der Mitte des retrocostalen Raumes, um Durchschneidungen der Intercostalarterie zu meiden. Rippenresectionen wegen Neubildungen der Thoraxwand erleiden insofern eine modificirte Technik, als dabei die Hautdecken in Lappenform früher abgelöst werden, und weiters dadurch, dass das Periost an der Resectionsstelle durchschnitten werden muss, weil ja der dem Neugebilde zunächst liegende Antheil der Beinhaut mit- entfernt werden soll. Die Ablösung des Neugebildes nach bilateral durchtrennten Rippen kann auch die Mitentfernung eines Pleura- stückes nothwendig machen, wenn das Brustfell an das Neugebilde fixirt erscheint. Unter antiseptischen Cautelen hat die damit gegebene Eröffnung des gesunden Brustfellraumes keine nothwendig letalen Folgen, ja selbst partielle Excisionen von Lungensubstanz wären sicher gerechtfertigt, wenn das fragliche Neugebilde in die Lunge übergegriffen hätte. Bei diesen totalen Excisionen eines Brustwand- antheiles ist natürlich jede betroffene arteria intercostalis je doppelt zu unterbinden, bevor man sie trennt. Delmung der nervi intercostales. v. Nussbaum hat diese Operation wegen einer rebellischen Neuralgie im Gebiete der Zwischenrippen- nerven zuerst ausgeführt. Aus dem Vorhergehenden wissen wir bereits, dass die nervi intercostales in dem sulcus costalis zwischen dem äusseren und dem inneren Zwischenrippenmuskel in Begleitung der arteria und vena intercostalis verlaufen. Topographisch gestaltet sich das Verhältniss der Gefässe zum Nerven so, dass letzterer unter- halb des Gefässbündels liegt, wodurch die Zugänglichkeit von aussen erleichtert wird. v. Nusshauni empfiehlt, durch einen 6 Centimeter langen Schnitt einzudringen, welcher ebenso weit lateralwärts von der Wirbelsäule beginnt und knapp entlang dem unteren Rande der be- treffenden Rippe geführt wird. Nach Blosslegung des unteren Rippen- randes soll der äussere Zwischenrippenmuskel entsprechend seiner Anheftung von der Rippe abgelöst werden in einer Länge, welche — 551 — der Ausdehöimg der Wunde entspricht. Ist auf diese Weise der Rippenvorsprung des sulcus costalis blossgelegt, dann kann bei guter Beleuchtung der Nerv isolirt, vorgezogen und gedehnt werden. Dass jeder einzelne Intercostalnerv einer eigenen Wegbahnung bedarf, ist wohl selbstverständlich. II. Capitel. Operationen am Unterleibe. Paracentese des Unterleibes. Der Bauchstich verfolgt einen doppelten Zweck, entweder es will der Arzt bei zweifelhafter Diagnose sich darüber Klarheit verschaffen, ob eine fragliche Geschwulst überhaupt Flüssigkeit enthält und welcher Natur diese ist — Explorativpunction — oder er will den durch Flüssigkeitsansammlung stark ausgedehnten Unterleib entleeren und damit den Kranken von jenen Beschwerden befreien, welche durch jene hervorgerufen werden — curative Function. Selten kommt man in die angenehme Lage, durch die Entlastung des Unterleibes auch Heilung zu bieten, in der Regel stellt die Operation nur ein palliatives Verfahren dar, da die Ursache entweder nur durch andere gewaltigere Eingriffe behoben werden kann oder überhaupt nicht behebbar ist. In dieser Beziehung ist zunächst zu unterscheiden, ob die Flüssigkeit in der freien Bauchhöhle angesammelt ist (Hydrops ascites) oder ob sie in abgeschlossenen, cystischen Tumoren sich be- finde, welche in der Bauchhöhle weilen und von Unterleibsorganen ausgehen. Bei Hydrops in Folge von Circulationsstörungen allgemeinerer Natur, oder von dauernden, auf das Peritoneum einwirkenden Reiz- effecten wird die Function nur dann angezeigt sein, wenn die Flüssig- keitsansammlung so mächtig geworden, dass consecutiv die Respi- ration, die Circulation und die Assimilation ernstlich zu leiden be- ginnen. Man pflegt dabei zumeist nur so viel der serösen Flüssigkeit zu entleeren, bis den angedeuteten Beschwerden vollends Rechnung getragen ist. Die mehr oder minder rasche Wiederansammlung und die daraus entspringende Nothwendigkeit, die Function öfters er- neuern zu müssen, machen die gänzliche Entnahme der Flüssigkeit unnöthig, ja sie würde, wenn überhaupt möglich, den Kranken sogar schädigen, weil der stärkeren Entlastung der Gefässe auch eine raschere Transsudation nachfolgen müsste. Daher wird bei Ascites mit mittelstarken Troisquarts punctirt und die Flüssigkeit langsam entleert; auch darf nur so viel entnommen werden, als freiwillig aus- fliessen kann. Der letztgenannte Umstand verbietet jede Aspiration und jede ausgiebigere äussere Compression des Unterleibes zum Zwecke bethätigterer Entleerung; immerhin ist jedoch, in Rücksicht auf die jeden Ascites begleitende relative Erschlaffung der Bauch- decken, eine massige Unterstützung des Abflusses durch äusseren Druck nothwendig. Man pflegt hiefür mit flach aufgelegten Händen direct den Bauch zu belasten, oder indirect durch gurtenartig ange- legte Tücher langsam zu comprimiren. Der äussere Druck darf nie — 552 — aufhören, bevor die Canüle nicht abgesperrt wurde, wegen der Gefahr des Luftointrittes. Eine Ausnahme bildet der Hydrops tuberculosus, bei diesem sucht man die Flüssigkeit möglichst vollständig zu ent- leeren, da in der Trockenlegung der Bauchhöhle möglicherweise die Bedingung zur Heilung gelegen ist. Asepsis und verhinderter Lufteintritt sind absolute Bedingung jeder kunstgerecht ausgeführten Paracentese. Der Umstand, dass bei Ascites die Flüssigkeit die jeweilig tiefsten Stellen der Unterleibs- höhle einnimmt und die lufthaltigen Därme obenauf schwimmen, ver- hindert die Benützung der Mittelregion, wenigstens bei der horizon- talen Lage des Kranken, die doch als Normallage während des Punctirens eingehalten werden soll. Die Wahl der Punctionsstelle fällt demnach auf die seitlichen Unterleibsregionen, rechts oder links, je nachdem es die Verhältnisse eben leichter zulassen. Nur die etwaige Verlegung der einen Seite durch gleichzeitig dort vorhandene Tumoren ergibt die absolute Nothwendigkeit, sich der freigebliebenen Leibeshälfte zu bedienen. Auch der Verlauf der arteria epigastrica inferior gibt dem Operateur insoferne eine Directive, als sie ihm gebietet, ihre Verlaufsrichtung zu meiden. Der Aussenrand des mus- culus rectus abdominis und dessen nächste Umgebung darf niemals als Punctionsterrain gewählt werden. Eine alte Regel sagt, dass der Mittelpunkt, oder die äussere Hälfte einer vom vorderen oberen Darmbeinstachel zum Nabel gezogenen Linie den locus praeferentiae bezeichne. Der Kranke liegt horizontal oder halbsitzend nahe dem Bett- rande gerückt. Der Operateur legt auf den zum Einstiche bestimmten Punct die Spitze seines linken Zeigefingers und sticht den Troisquart rasch und mit einem Ruck senkrecht auf und durch sämmtliche Schichten des Unterleibes. Das Aufhören des Gewebswiderstandes bezeugt, dass die Troisquartspitze in das cavum peritonei einge- drungen sei; jetzt wird der Stachel zurückgezogen, der Sperrhahn geschlossen und der Ausflussöffnung der Canüle ein entsprechend langer Gummischlauch angepasst, dessen Ende in ein Gefäss taucht, welches etwas Flüssigkeit enthält. Die Regelung des Hahnes hängt ab vom Ausflusse, also beziehungsweise von der Stärke des Punctions- instrumentes und vom Verhalten des Kranken. Husten, Anwandlung zur Ohnmacht etc. indiciren eine sofortige Unterbrechung des Aus- fliessens. Stockt der Ausfluss spontan und ist das Aufhören nicht etwa durch eine Verlegung der Canüle bedingt, die gleich wie bei der Thoracocentese zu beheben wäre, so erklärt man die Operation für beendet und zieht die Canüle heraus. Die kleine Stichwunde wird provisorisch mit dem Finger verlegt, sodann mit einem Bäuschchen gekrüUter Gaze gedeckt, und mittelst Heftpflasterstreifen gesichert. Eine sorgfältig angelegte Roll- und sonstige Bauchbinde dient zur Ausübung einer leichten Totalcompression des Unterleibes, welche wieder den Zweck verfolgt, die Wiederansammlung der ascitischen Flüssigkeit zu erschweren. Anders gestalten sich die Verhältnisse, wenn Cystenräume vor- liegen; nehmen wir beispielsweise das häufige Cystovarinm an. Nicht selten wird bei bedeutender Spannung der Bauchdecken eine theil- weise Entleerung des Cysteninhaltes als Voract der Cystenexstir- — 553 — pation angezeigt sein, einerseits um dem Kranken ein kleine Erholung zu ermöglichen, andererseits um der Bauchmusculatur die nothige Zeit zu gönnen, der übergrossen Ausdehnung und Relaxation der Bauchdecken zu steuern. Eine Ovarialcyste steigt für gewöhnlich in der mesogastrischen Gegend empor und verdrängt die intestina nach rück- und aufwärts in das Epigastrium und in die Hypochondrien. Schon aus diesem Grunde wählt man die mesogastrische Linie — linea alba — mit Vorliebe zur Function; man hat aber auch andere Gründe zu solcher Wahl. Zunächst sind in der weissen Bauchlinie die Bauch- decken am dünnsten, da stets eine mehr oder minder prononcirte Diastase der musculi abdominis recti vorliegt, ferner sind dort keine anatomisch wichtigen Gebilde vorhanden, welche verletzt werden könnten, endlich und schliesslich hat eine, der Function etwa folgende Verklebung der Cystenwand mit dem parietalen Bauchfelle weniger Bedeutung als anderswo, weil bei einer folgenden Exstirpation der Cyste, der Bauchschnitt in die gleiche Ebene fällt und daher dort vorfindliche Adhärenzen leichter ablösbar sind. Bei Bestand einer Ovarialcyste soll auf eine möglichst vollständige Entleerung der im jeweilig punctirten Räume enthaltenen Flüssigkeit gesehen werden, wofür selbst Aspiration oder stärkerer äusserer Druck zulässig sind, indem mit der Belassung von Cysteninhalt, bei nicht vorhandenen Adhäsionen, die Möglichkeit eintritt, dass nach entnommener Canüle durch die frische Functionslücke der Cystenwand etwas vom Inhalte in die freie Bauchhöhle trete und zu entzündlichen Processen des Feritonealüberzuges Veranlassung gebe. Dieses Gebot der Vorsicht soll um so strenger eingehalten werden, je septischer der Cysteninhalt seinem Quäle nach sich erweist und je dicker die Canüle des Functionsinstrumentes war. Bei Cysten, deren Inhalt schon a priori bezüglich eines septischen Quäle verdächtig ist, darf unter keiner Bedingung punctirt werden, insolange nicht positive Belege dafür vorhanden sind, dass an der geplanten Punctionsstelle Adhäsionen sicher bestehen. Diagnostische Zwecke verfolgende Functionen dürfen nur mit Beihilfe der Aspiration und mit Benützung dünnster Hohlnadeln aus- geführt werden. Die Möglichkeit eines nachträglichen Durchsickerns punctirter und gefüllt bleibender Hohlräume in die Feritonealhöhle macht auch bei dieser Art von Functionen eine möglichste Ent- spannung der Cystenwandungen wünschenswerth. Nachfolgende abso- lute Körperruhe bis zum Verschlusse der Stichwunde ist selbstver- ständlich. Den Ort zur Function bestimmt der Sitz der auf ihren Inhalt zu prüfenden Geschwulst, dessen Verschiedenheit die Auf- stellung allgemein giltiger Regeln unmöglich macht; es hat die Wahl der Functionsstelle auch geringere Bedeutung, da man dafür sich nur dünner Hohlnadeln bedient. Immerhin soll zunächst durch exacte physikalische Früfung stets bestimmt werden, ob und wo Därme vor- liegen, damit diesen sicher ausgewichen werde. Ueber die Zulässigkeit einer absichtlichen Darmpunction bei hoch- gradigem Meteorismus, um die Darmgase zu entleeren und die ge- drückten Nachbardärme zu entlasten, sind die Acten noch nicht vollends geschlossen; einige Chirurgen haben derlei Functionen bei Ileus ohne üble Folgen ausgeführt: sie bedienten sich dabei aus- — 554 — schliesslich nur dünnster Dindafoif scher Hohlnadeln — Andere sprechen im Principe dagegen und ihre Einwendungen bestehen, wenigstens theoretisch, zu Recht. IL Laparotomie, Coeliotomie. Die Eröffnung des Unterleibes durch schichtenweise Durchschneidung der einzelnen, die Bauchdecken zu- sammensetzenden Strata bildet entweder nur den Voract zu ander- weitigen Eingriffen an den Organen der Unterleibshöhle, oder dient zu Untersuchungszwecken — Explorativlaparotomie. — Demzufolge wird im weiteren Verlaufe dieses Buches von Laparotomie noch vielfach die Sprache sein, im Folgenden soll vorläufig nur die Technik der Trennung und der Wiedervereinigung der Bauchdecken erörtert werden. Die Stelle, an welcher man laparotomiren soll, wird von der jeweilig bestehenden Anzeige bestimmt, ebenso die Richtung und die Länge des Schnittes. Häufig genug wird in der linea alba abdominis eingegangen, wobei nach oben der processus ensiformis sterni, nach unten die Symphysis ossium pubis die Endpuncte des möglichen Operationsterrains darstellen. Die Eröffnung des Unterleibes geschieht bei der medialen Laparotomie durch Längsschnitte, welche der Richtung der linea alba genau folgen; sollte die Incision gleichzeitig ober- und unterhalb des Nabels geführt werden müssen, so mag der Schnitt den Nabel nicht spalten, sondern soll ihn umkreisen, wo- durch der Längsschnitt einen bogenförmigen Ausbug eingeschaltet bekommt. Ob letzterer rechts oder links vom Nabel verlauft, ist vom anatomischen Standpuncte betrachtet ziemlich gleich, man pflegt den Nabel aber in der Regel links zu umkreisen, weil es besser zur Hand ist. Die anatomischen Verhältnisse der linea alba gelten nur dann, wenn man bei annähernd normalen Ausdehnungsverhältnissen laparo- tomirt; bei Geschwülsten des Unterleibes, welche langsam und all- mälig die Bauchdecken gedehnt und ausgeweitet haben, bestehen sie nicht mehr ganz zu Recht, denn die wichtigen Grenznachbarn der linea alba, die beiden geraden Bauchmuskeln, sind häufig so sehr diastasirt, dass sie beim Schnitte gar nicht zum Vorschein treten und man durch ein Aponeurosenlager allein den Weg in die Tiefe bahnen muss. Bei normalen Verhältnissen dringt man zwischen dem inneren Rande des einen geraden Bauchmuskels und der weissen Linie ein, wofür die vordere Wand der einen Muskelscheide eröffnet werden muss. Da keine wichtigen Gebilde unterhalb der vorderen Muskel- scheidewand gebettet sind, so ist es gestattet, mit der Spitze des Bistouri durch directen Einstich eine Lücke zu setzen, durch welche dann die Hohlsonde zuerst in einer und dann in der entgegen- gesetzten Längsrichtung eingeschoben wird, damit die Spaltung der Aponeurose in entsprechender Länge erfolge. Der Innenrand des jeweilig blossgelegten Muskels wird dann abgezogen und die hintere Wand der Muskelscheide kommt in Sicht. Es ist bekannt, dass die hinteren Blätter der zur Muskelscheide verschmelzenden Aponeurosen der schiefen und queren Bauchmuskeln nicht bis zur Symph3'se reichen, sondern einige Zoll unterhalb des Nabels, etwa in gleicher Höhe mit der vierten inscriptio tendinea musculi recti, unter Bildung eines — 555 — scharfen, nach unten concav gestalteten Randes — plica semilunaris Doiiglasii — enden. Aufwärts von dem bezeichneten Puncte muss demnach auch die hintere Wand der Muskelscheide durchschnitten werden, unterhalb nicht. Die nächstfolgende continuirliche Schicht bildet die fascia abdominis transversa, unterhalb welcher erst das Bauchfell liegt. Verwechslungen zwischen fascia transversa und Peritoneum dürften bei einiger Aufmerksamkeit kaum leicht vor- kommen, denn die erstere hat das Aussehen einer glatt gespannten Aponeurose, wogegen das Peritoneum seine subseröse Fläche vorkehrt und sich durch die relative Schlaffheit und das zellgewebige Aus- sehen charakterisirt. Wäre der Schnitt bis zur Symphysis pubis zu verlängern oder hätte er dortselbst zu beginnen, so kämen vor der Spaltung der äusseren Muskelscheide, die auf ihr gelegenen kleinen Spannungsmuskeln der Muskelscheide in Betracht : die beiden musculi pyramidales, deren Entwickelung jedoch so sehr variirt, dass sie oft zu fehlen scheinen. Bekommt man diese Muskeln zu Gesicht, so geben sie einen recht guten Anhaltspunct ab zur Erkenntniss, ob man rechts oder links von der Mittellinie sei. Der Verlauf der kurzen Muskelfasern ist nämlich ein schräger, von aussen nach der Mediane gerichteter. Bei stark entwickelten pyramidales könnte man sie auch mit den geraden Bauchmuskeln verwechseln, wenn nicht auf den Faserverlauf geachtet würde. Unnöthig zu erwähnen, dass die musculi recti längs gefasert sind. Nie soll das Bauchfell und mit ihm die Bauchhöhle eröffnet werden, bevor nicht jede Blutung aus den getrennten Deckschichten sorgsam gestillt ist. Erst wenn die Wunde trocken vorliegt, hebe man mit einer Pincette das subseröse Zell- gewebe und mit ihm das Peritoneum zu einer Falte auf, kappe sie ab oder schneide sie mit der Bistourispitze ein und führe in die ent- stehende Lücke sofort die Hohlsonde ein, auf der dann die Längs- trennung erfolgt. Ist diese so weit gediehen, dass der Zeigefinger ein- geführt werden kann, so pflegt der Operateur die Hohlsonde beiseite zu legen und die weitere Spaltung unter dem Schutze des Zeigefingers mit der Knieschere zu beenden, weil das lockere, id est nicht fest- gespannte Bauchfell damit correcter und schonender getrennt wird als mit dem Knopfmesser. Der Schnitt im Bauchfell hat zumeist die gleiche Länge mit dem äusseren; etwaige Blutung aus den Schnitt- rändern des Peritoneum ist sofort durch Catgutligaturen zu stillen. Mit der Trennung des Bauchfelles ist auch die Laparotomie zu Ende. Die Frage, ob nach erfüllter Anzeige die Bauchhöhle zu drainiren oder vollends zu verschliessen sei, kann im Allgemeinen so beant- wortet werden, dass drainirt werden soll, wenn man bei schon vor- handener intraperitonealer Sepsis operirte oder letztere mit grosser Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht; dass dagegen jede Drainirung unterbleiben kann, wenn sie unnöthig erscheint. Die Drainirung der Bauchhöhle wird von der Laparotomiewunde aus besorgt, am besten nach Mikulicz mittelst Jodoformgazebeuteln oder Streifen ; Drainrohre sind zu widerrathen, sie verlegen sich leicht und können Decubitus an Därmen hervorrufen. In vielen Fällen ist es von Werth, die Ränder des Bauchfelles vorzuziehen, sie über die Wundflächen zu schlagen und temporär mit der äusseren Haut zu vereinicen. Man hat dabei den Vortheil, — 556 — der Hand den Weg zur Bauchhöhle zu siehern und jedes unbeabsichtigte Losschälen des Bauchfelles von der fascia transversa zu verhüten. Sollen Darmstücke oder sonstige Eingeweide an die Bauchwand fixirt werden, so ist das Vernähen der Peritonealränder mit der äusseren Haut geradezu unentbeiirlich. Die Fixirung geschieht durch Knopf- nähte. Ebenso wie in der Mittellinie kann auch am äusseren Rande eines oder mitten durch den geraden Bauchmuskel eingegangen werden, oder noch weiter aussen, je nach Bedarf. Es ist nämlich stets wünschenswerth, die Stelle und Richtung des Schnittes nach der Lage des späteren intraabdominellen Operationsterrains zu bestimmen und dabei mehr den Vortheil der grösstmöglichen Zugänglichkeit gelten zu lassen, als die Schonung von Muskelschichten, deren Con- tinuitätserhaltung von relativ weit geringerer Bedeutung ist. Die Muskelstrata, welche früherer Zeit mit peinlicher Aengstlichkeit in ihrer Integrität erhalten wurden, wenn es auch Bequemlichkeitsopfer kostete, werden gegenwärtig weniger berücksichtigt, da in der nach- träglichen versenkten Muskelnaht ein Mittel geboten ist, ihre Con- tinuität Avieder herzustellen. Der Verschluss einer Laparotomiewunde oder einer penetriren- den Bauchwunde überhaupt erfolgt natürlich durch die Naht. Stets muss dafür gesorgt werden, dass die Ränder des Bauchfelles mit ihren serösen Flächen gegenseitig in Contact gebracht werden, denn seröse Flächen verkleben bekanntlich am raschesten, und ein baldiger orga- nischer Abschluss des cavum peritonei ist stets erwünscht und ge- boten. Früherer Zeit war, der Dicke der Bauchdecken entsprechend, ausschliesslich die Zapfennaht im Gebrauch oder die Plattennaht, je nachdem mit Seide oder mit Metallfaden vorgegangen wurde. Das Durchführen der Nadeln erfolgt stets von innen nach aussen: fasst man den Peritonealrand mit einer Pincette, sticht etwa 3 bis 4 Milli- meter von ihm entfernt die Nadel ein und etwa 3 Centimeter vom Hautrande aus, so werden beiderseits die Peritonealränder in die Naht einbezogen und der Grund der Wunde mit zwei serösen Flächen bedeckt, welche beim Nahtschluss aneinander kommen und gegen- seitig rasch verkleben. Heutzutage, wo die Etagennähte so rasche Aufnahme gefunden haben, pflegt man die Peritonealränder zumeist für sich zu ver- nähen, worauf dann successive die einzelnen Schichten inclusive Fascie und äussere Haut in aufsteigender Reihenfolge vereinigt werden. Bei etwas stärkerer Spannung der Bauchdecken ist es jedoch stets räthlicher, die Plattennaht oder tiefgreifende Knopfnähte zur Unterstützung der Etagennaht zu verwenden. Das Anlegen von Etagen- nähten oder das Vernähen der Peritonealränder vor Anlegung der Plattennaht bietet den Vortheil, dass das Peritoneum nicht rinnen- förmig in die Wunde einbezogen wird, was bei der peritonealen Plattennaht allerdings der Fall ist. Die resultirende rinnenförmige Vertiefung hat aber den Nachtheil, dass die Därme durch das prelum abdominale stets angedrängt werden, wodurch Herniae ventrales in der Operationsnarbe leichter zu Stande kommen sollen. Schede glaubt durch Vereinigung von Peritoneum und fascia mittelst versenkten Silberdrahtsuturen, der Narbe mehr Festigkeit seben zu können — 557 — Lennander empfiehlt den Unterleib stets hinter dem einen mus- cuius rectus zu eröffnen, nach temporärer Verschiebung seines medialen oder lateralen Randes, wodurch die Peritonealnarbe hinter dem intact bleibenden Muskel fällt und an diesem eine Stütze findet. Der jeweilige verschobene isolirte Muskelrand soll nachträglich wieder mit Catgutsuturen am Rande seiner Scheide befestigt werden. Bei Laparectomien, d. h. bei der Entfernung eines Bauchwand- segmentes in toto wegen tiefgreifenden, das Bauchfell in Mitleiden- schaft ziehenden Neugebilden ist nur in der Anwendung von Platten- nähten die Möglichkeit geboten, die Wundränder überhaupt in Con- tact zu bringen, denn die Spannung ist dabei zumeist eine grosse, selbst wenn nur kleine Segmente exstirpirt werden. III. Operationen an der Leber und Gallenblase. A. Operative Verfahren bei unilocularem Echinococcus hepatis und sonstigen Cysten. Die hier in Betracht kommenden Eingriffe charakteri- siren sieh durch das Bestreben, die Entleerung des Blasenwurmsackes zu ermöglichen, ohne dass etwas vom Inhalte in die freie Bauchhöhle gelange. Letzteres könnte von üblen Folgen begleitet sein: bei frischem Inhalte durch eine Aussaat in die freie Bauchhöhle, bei zersetztem durch septische Infection des Bauchfelles. Alle Operationsmethoden erstreben den hermetischen Nahtabschluss oder die Einleitung einer organischen Verwachsung zwischen der Organoberfläche und dem parietalen Bauchfelle an jener Stelle, wo die Eröffnung des Sackes stattfinden soll. Die verschiedenen Verfahren, welche das Vorkommen des Blasenwurmes in den vorderen Leberpartien voraussetzen, lassen sich zwanglos eintheilen in Functions- und in Schnittmethoden. Erstere gehören, wenn sie nicht rein explorative Ziele verfolgen, der vor- antiseptischen, letztere der antiseptischen Zeit an. Die explorative Function, welche nur mit dünner Hohlnadel bei Benützung der Aspiration zu erfolgen hat, verfolgt nicht immer rein diagnostische Zwecke, sondern wird auch benützt, um temporär die möglicherweise sehr bedeutende Spannung der Sackwandungen zu verringern, sei es, um ein drohendes Platzen des Sackes zu beschwören, sei es, um die Druckwirkungen auf die Nachbarschaft abzuschwächen. Dieuhfoy will mit seinem Aspirateur sogar radicale Heilung erzwingen; er behauptet, durch die kräftige Aspiration werden die in der Mutterblase schwim- menden Tochtercysten der Reihe nach gerade zur Spitze der Hohl- nadel gezogen, spiessen sich daselbst, verlieren ihren Inhalt und so könne ein Absterben der Colonie mit nachfolgender Atrophirung des Sackes eingeleitet werden. Bacce/i will kleine Mengen des Sackinhaltes durch Function entleeren und -25 bis 30 Centimeter 1 pro Mille Sublimatlösung einspritzen, worauf Schrumpfung des Sackes ein- treten soll. V. Vnlkmann gebührt das Verdienst, eine allen heutigen An- sprüchen Rechnung tragende Operationsmethode eingeführt zu haben: die Spaltung der Deckschichten als ersten, jene der Sackwandung nach erfolgter Peritonealverklebung als zweiten Act. Die Technik gestaltet — 558 — sich folgendermasseu : nach gründlicher Desinfection der Bauchdecken wird entsprechend der deutlichsten Vorwölbung des cystischen Tumor in der Regel parallel dem Rippenbogen ein s bis 10 Centimeter langer schräger Schnitt angelegt, welcher in stets gleicher Länge durch sämmtliche Schichten der Bauchdecken, inclusive fascia transversa, vertieft wird. Nach sorgsamer Stillung aller Blutung wird dann das in Sicht kommende subseröse Zellgewebe sammt dem parietalen Bauchfell mittelst Hakenpincetten in eine senkrechte Falte aufge- hoben, diese vorsichtig eingeschnitten, durch die Lücke eine Hohl- sonde eingeschoben und endlich das Bauchfell in entsprechender Länge durchschnitten. In der Tiefe der Wunde sieht man nun den Tumor, welcher bei jeder Athembewegung sich verschiebt. Damit ist vor- läufig der erste Act der Operation beendet, der zweite kann erst viele Tage später vorgenommen werden, da erst abzuwarten ist, bis die Ränder des durchschnittenen parietalen Bauchfelles und deren Umgebung organische Verklebung mit der Oberfläche des zu spalten- den Sackes oder der ihn bergenden Leber eingegangen sind. Zur Bethätigung der Verklebungen und gleichzeitig zur Verhinderung jeder septischen Infection wird nunmehr der ganze, mittelst scharfer Haken klaffend zu haltende Wundspalt mit gekrüllter antiseptischer Gaze ausgefüllt, ja man trachtet etwas Gaze sogar zwischen dem Bauchfelle und der Leber, respective Echinococcussackoberfläche im ganzen Umfange des Schnittes einzulegen; schliesslich wird ein Deck- verband circulär um die epigastrische Region angemacht. Bei der Ausführung des eben geschilderten ersten Operationsactes meide man die Narcose; das ihr gewöhnlich folgende, oft hartnäckige Er- brechen stört das Zustandekommen der Verwachsungen, oder kann bei sehr dünnwandigem Sacke und starker Spannung zur Ruptur der Cyste führen, ein Umstand, welcher ein Einfliessen des Inhaltes in die freie Bauchhöhle zur Folge hätte. Der zweite Act der Operation, die Spaltung des Sackes, kann erst nach fertiggewordener Verklebung, etwa am siebenten Tage vor- genommen werden. Man entfernt dann den Verband, überzeugt sich, dass die Bauchhöhle im ganzen Umkreise der Wunde abgeschlossen ist und spaltet sodann den Cystenbalg entsprechend der Ausdehnung der Wunde. Ob man die Trennung mit dem spitzen Bistouri vor- nehmen solle oder mit dem Thermocauter, wird von der Dicke der Cystendecke abhängen: dünne, nackt vorliegende Bälge erlauben das Bistouri; unter einer Schicht Lebersubstanz bergende machen den Thermocauter wünschenswerth, um der Blutung aus dem Parenchyme der Leber vorzubeugen. Aus dem weitgeöffneten Sacke stürzt nun der Inhalt hervor, Flüssigkeit und eventuell Tochterblasen. Man geht sodann mit dem Finger ein, untersucht die Wandungen, sieht nach, ob grössere Tochtercysten nicht irgendwo liegen, die man mit Haken oder Zangen entfernen soll, sucht sich zu überzeugen, dass nicht etwa Nachbarsäcke der Wandung anliegen, die man gleich von der Höhle aus spalten müsste, untersucht, ob der Mutterbalg nicht locker sei und gleich entfernt werden könnte, verschafft eventuell sogar mittelst Endoscopie dem Auge Zutritt, führt dann zwei fingerdicke Drainröhren bis zum Höhlengrunde ein, sichert sie in ihre Lage und verbindet nach antiseptischen Regeln. Der spätere Secretabfluss wird — 559 — durch Ausspülen der Höhle gefördert; nach Abstossung der Mutter- blase erfolgt auf Granulationswege die Heilung. Vermag man die Mutterblase zu entfernen, so kann der restirende Hohlraum durch etagenförmige Vernähung der Wände ganz verschlossen werden — Capitonnage. Nebst der geschilderten zweizeitigen Schnittmethode kennt man noch eine von Lindemann empfohlene und schon in mehreren Fällen mit Vortheil angewandte einzeitige Methode. Lindemann schneidet unter antiseptischen Cautelen möglichst nahe dem Rippenbogen bis zur Cystenwand ein und vernäht die Ränder des durchschnittenen parie- talen Bauchfelles mit der äusseren Haut. Hierauf werden zwei starke Seidenfäden, parallel mit den Schnittflächen und entsprechend der Länge des Wundgrundes, von einem Winkel der Wunde zum anderen durch die Cystenwand geführt, diese damit in die Wundlichtung vor- gezogen und an die Wundränder angedrückt. Hierdurch wird die Bauchhöhle hermetisch abgeschlossen und kann demnach der Sack in der Mitte zwischen beiden Haltefäden eröffnet werden. Nach Ent- leerung des Inhaltes befestigt man schliesslich mit dichten Nähten die Schnittränder der Cyste an die Bauchwand, deren Wundflächen früher mit Bauchfell umsäumt wurden. Landau hat das Lindemann' sehe Verfahren insofern modificirt, als er vor der Spaltung mittelst Aspiration einen Theil des Cysten- inhaltes entleert; erst die collabirte Wand wird dann eingeschnitten und deren Ränder mit der Bauchwand vernäht, nachdem, wenn thunlich, ein Theil der aus der Bauchwunde hervorgezogenen Cysten- wand abgetragen und hierdurch der Cystenraum möglichst verkleinert worden ist. Landau behauptet die Anwendungsmöglichkeit seiner Me- thode selbst für den Fall, dass die Cystenwand nicht rein vorläge, sondern von einer Schicht Lebersubstanz überzogen wäre: weder soll die capillare Blutung Störungen verursachen, noch auch die Sprödig- keit und Zerreisslichkeit der Lebersubstanz die Sicherheit der Naht beeinträchtigen. Puky vernäht durch dichte Nähte in Kranzform, welche nicht den Sack öffnen, sondern nur durch deren Wandung laufen, diesen mit dem parietalen Bauchfell, aspirirt dann und spaltet zuletzt. Ebenso wie für den Echinococcus der Leber, gelten auch für die operative Behandlung der Echinococcen der übrigen Bauchorgane die drei Cardinalpuncte: Verhütung des Ueberf Hessens vom Cysten- inhalte in das cavum abdominis, breite Eröffnung des Cystensackes und antiseptische Wundbehandlung im weiteren Sinne des Wortes. Nur wenn das Bauchorgan, welches die sedes morbi abgibt, anstands- los entfernt werden kann, ohne die vitale Integrität des Gesammt- organismus zu gefährden, kann zur Exstirpation der Blasenwurmcyste, beziehungsweise ihres Bodens geschritten werden. Bei subphrenischem Leberechinococcus, wo der Cystensaek nicht den vorderen, sondern den hinteren Partien der Leber innewohnt und demzufolge nicht den Bauchdecken, sondern der seitlichen Thoraxwand und der Concavität der Zwerchfellkuppel angrenzt, haben v. Volkmann und Israel eine zweckdienliche Operationsmethode angegeben, welche zwar nicht im Wesen, als vielmehr in der durch die Localität bedingten Modification der technischen Durchführung — 560 — differirt. Sie besteht in der Resection des hinteren Segmentes einer oder auch mehrerer unteren Rippen, da nur auf solche Art die seit- lichen und hinteren Leberregionen zugäniilich gemacht werden kcmnen. In einem Falle, wo der Cystensack mehr an der oberen Fläche der Leber vortrat und dem Zwerchfelle anlag, ging Israel so vor, dass er zunächst aus der sechsten Rippe in der Axillarlinie ein Stück resecirte und die Pleurahöhle eröffnete; die Oeffnung wurde mit Krüllgaze verlegt, worauf Verklebung der Pleurablätter eintrat mit Verschluss des Pleuracavum. Nach acht Tagen wurde der Verband abgenommen und nun das diaphragma inclusive seinem Peritoneal- überzuge gespalten, so dass nunmehr die grösste Vorwölbung des Cystensackes vorlag; neuerdings wurde in die Zwerchfellspalte Krüllgaze eingelegt und weiter nach v. Volkma,nn\s Weise verfahren, somit in drei Zeiten operirt. Anstatt den Weg durch die Thoraxhöhle zu nehmen, wie nach der eben geschilderten perpleuralen Methode, geht Laandongne so vor, dass er zunächst den unteren Thoraxrand resecirt und sich so genü- gende Zugänglichkeit schafft, um vom Bauehraume aus in die subphre- nische Region vorzudringen. Die Möglichkeit, dies ohne Verletzung des Thoraxraumes thun zu können, beruht auf dem anatomischen Um- stände, dass die vorderen Partien des achten bis elften Rippenknorpels an ihrer Innenfläche nicht mit parietalem Brustfelle überkleidet sind. Der Hautschnitt läuft zwei Centimeter oberhalb und parallel dem unteren Thoraxrande: er beginnt 3 Centimeter nach aussen vom rechten Sternalrande und endigt an der Vereinigung der zehnten Rippe mit ihrem Knorpel. Nach Entblössung der Rippenknorpel durch Vertiefung des Schnittes werden dieselben durch vorsichtige Abtrennung der Insertionen der Bauchmuskeln und des Zwerchfelles isolirt und dieRandtheile der achten bis elften Rippenknorpel sammt den Interchron- dralweichtheilen mit schneidenden Instrumenten abgetragen. Der siebente Rippenknorpel ist an seiner Innenfläche schon mit pleura überzogen, dessen eventueller Resection müsste also eine sorgfältige Ablösung der pleura vorausgeschickt werden. Im Nothfalle können auch Rippen- stücke der achten bis elften Rippe subperiostal abgemacht werden. Man kann nun durch die breite Spalte schon vor Eröffnung des Bauchfelles die obere Leberfläche abtasten, nach dem Nachweise der Cyste das Bauchfell eröffnen, dessen Ränder mit der Umgebung der Cyste an die Lebersubstanz annähen und ein- oder zweizeitig an die Spaltung und Ausräumung gehen. Bei gestielten Cysten und bei Echinococcen mit verkalkten Wandungen nimmt man wohl die Laparotomie in gewöhnlichem Sinne vor, man öffnet die Bauchhöhle weit und trachtet die Cyste als Ganzes zu exstirpiren, wenn auch dabei etwa ein Stück der Leber- substanz mit entfernt werden müsste. Auch der bei uns seltene Echino- coccus multilocularis mag auf gleiche Weise angegangen werden. Findet man bei uniloculären Cysten während der Operation besondere Schwierigkeiten, das Gebilde als Ganzes zu entfernen, so resecirt man nach Entleerung des Inhaltes so viel als thunlich von der Cysten- wand und vernäht den offenbleibenden Rest mit den Bauchwan- dungen. Billroth hat einen entleerten mannsfaustgrossen Cystensack mit Jodoi'ormemulsion ausgepinselt, vernäht und in die Bauchhöhle — 561 — versenkt, doch so, dass die vernähte Partie an das parietale Bauchfell geheftet blieb. B. Entleerung von Leberabscessen. Bei der operativen Behandlung von Leberabscessen ist zunächst wohl zu unterscheiden, ob Verklebungen, beziehungsweise Verwachsungen der Abscessdecke mit dem parietalen Bauchfelle bereits stattgefunden haben oder nicht. Im Bejahungsfalle kann sofort die Spaltung vorgenommen werden, da eine Gefahr für die Bauchhöhle nicht besteht. Bei bestehender phlegmonöser Entzün- dung der Bauchdecken ist der Eingriff gar leicht und gefahrlos. Ist eine Verklebung der Leberabscessdecke mit dem parietalen Bauchfelle nicht sicher, so sind vornehmlich drei Eröffnungsmethoden möglich, da von jener durch Aetzmittel nach Recaniier gegenwärtig keine Rede mehr ist. Die Schnittverfahren zerfallen ihrer Technik nach in; 1. zwei- zeitige Eröffnung mit vorgängiger Schaffung von organischer Ver- klebung; 2. einzeitige Eröftnung nach vorgängiger Annähung der Leber an die Bauchwand; 3. die Methode des rapiden Schnittes ohne Rücksichtsnahme auf die Abwesenheit von Adhäsionen, nach Little. Die zweizeitige Methode, nach Graves, ist in ihrer Technik identisch mit der zweizeitigen Eröffnung uniloculärer Echinococcen. Die ein- zeitige Methode betrifft die Befestigung der Leber an die Bauchwand durch eine Kranznaht vor der Spaltung, wobei die Nähte entweder bei voller Abscesshöhle, oder nachdem dieselbe durch Aspiration ent- leert wurde, angelegt werden können ; ebenso mag die Spaltung der Ab- scessdecke mit dem Messer oder mit dem Thermocauter erfolgen. Die rapide Schnittmethode entspricht am allerwenigsten den allgemein giltigen Regeln der Chirurgie; sie besteht darin, dass während der Assistent die Bauchdecken gegen die Leber presst, der Chirurg un- bekümmert, ob Adhäsionen bestehen oder nicht, mit einem langen Scalpelle sämmtliche Deckschichten von der Haut aus spaltet, etwa so wie man einen sonstigen Abscess an der Körperoberflftche öffnet. Bei fortdauernder Compression wird der Abscess vollends entleert, die Höhle ausgespült und drainirt. Zancarol verfährt gleich Little nur mit dem Unterschiede, dass er die Spaltung im rechten Leberlappen ge- legener Abscesse statt mit dem Messer mit dem Thermocauter ausführt und die entleerte und ausgewaschene Höhle mit Jodoformgazestreifen tamponirt. Jeder Leberabscess wird vorerst schon zur Sicherung seines Bestehens und Sitzes immer mit dünner Canüle explorativ punctirt und aspirirt, sei es durch die Bauchdecken, sei es nach Spaltung derselben bis zum oder durch das Peritoneum. Die einzeitige Entleerung nach durch sorgfältige Naht hergestellter Adhärenz mit den Bauchdecken dürfte wohl die beste Methode abgeben zur gefahr- losen Entleerung von Leberabscessen, welche von den Bauchdecken überhaupt zugänglich sind. Sitzt der Abscess in der subphrenischen Lebergegend, dann sind wie beim Echinococcus subphrenicus entweder die mehrzeitige perpleurale Methode anwendbar oder die vorgängige Resection des vorderen unteren Thoraxrandes nach Lannelongue. Bei der Anwendung letzterer Methode dürfte es sich empfehlen, das parietale Bauchfell abzulösen und es vorhangartig gegen die Leber zu schlagen und an der Abscessgrenze anzunähen. Auch für die sub- phrenischen Abscesse anderer Provenienz gelten die gedachten Methoden. V. Mosetig-M oo rhof: Handbuch d. chiruis. Technik. ■!. Aud. 36 — 562 — C. Leberresection und Lebernaht. Nachdem erwiesen worden ist, dass aus der Lebersubstanz Stücke ausgeschnitten werden können, ohne die Integrität des Organismus direct zu gefährden, sind schon öfters Excisionen von Lebersubstanz vorgenommen worden, um theils isolirte Neugebilde, theils abgeschnürte Leberlappen zu entfernen. Der technische Vorgang kann ein verschiedener sein, je nachdem die abzutrennende Partie mehr minder gestielt der Leber aufsitzt, oder dies nicht der Fall ist. Gestielt oder halsförmig aufsitzende Theile können durch elastische Ligatur unterbunden, durch Kranznähte vom cavum peritonei abgeschlossen, extraparietal fixirt, der Necrosirung imd spontanen Abstossung überlassen worden. In der Lebersubstanz eingebettete Neoplasmen müssen nach temporärer Compression der Umgebung keilförmig im Gesunden excidirt werden und die Wund- flächen durch Nähte behufs primärer Wiedervereinigung in genauesten Contact zu einander gebracht werden. Die Excision wird in der Regel cum cultro ausgeführt, der Thermocauter könnte die prima reunio hindern. Die Lebernaht, sie kommt auch bei traumatischen Verletzungen der Leber zur Anwendung, hat ihre Schwierigkeiten wegen der be- kannten Morschheit des Lebergewebes. Es muss mit relativ dickem resorbirbaren Materiale, also mit Catgut starken Calibers genäht werden, die Nadeln dürfen nicht viel dicker sein als der Faden und nur Spitzen, aber keine Schneiden besitzen, um nicht weite Stich- canäle zu bohren, endlich muss das Schnüren der Nähte langsam und nur so weit erfolgen, bis der Wundflächencontact hergestellt ist, ansonst ein Durchschneiden des Lebergewebes zu befürchten stünde. Die Nähte müssen tief in das Leberparenchym gelegt werden und den Peritonealüberzug des Organes mitfassen. Da die Nähte nebst der Ver- einigung auch die Blutstillung zu besorgen haben, dürfte es falls thunlich, zweckentsprechend sein, dieselben in Gestalt einer Ketten- naht anzulegen. Zur Unterstützung der Parenchymnaht und zur Stillung etwaigen Stillicidium sanguinis mögen dann zwischen den tiefen Nähten intercalirte, isolirte oder fortlaufende Capselnähte dienen. Bei Abtragungen mittelst Thermocauter muss die verschorfte Partie mit Jodoformgaze ausgelegt und der Tampon mit isoürten tiefgreifenden Nähten an Ort und Stelle fixirt werden. Die ganz ver- nähte, nicht mehr blutende Leber wird dann reponirt und die Lapa- rotomiewunde vernäht; die bloss tamponirte Leber wird an das parie- tale Bauchfell mittelst Kranznähten fixirt, so dass die Resections- fläche extraperitoneal liegt und das Ende des Tamponstreifens aus einer Lücke der nicht vollends geschlossenen Laparotomiewunde herausragt. Bedient man sich zur Fixirung des Tampons der Catgut- nähte, so mag deren Resorption behufs Entfernung des Tampons abgewartet werden; bei etwaiger Verwendung von Seidenfäden müssten am siebenten oder neunten Tage diese durchschnitten und entfernt werden. Bei Wanderleber kann die Hepatopexis nach Langenhuch am besten und sichersten so ausgeführt werden, dass man das reponirte Organ mittelst dicker, die Lebersubstanz am vorderen Leberrande tief- umgreifenden Seidenfäden an die entsprechenden. Rippenknorpeln förmlich aufhängt, und die sich berührenden Bauchfellflächen durch — 5G3 — Bepinseln mit Chloroform, oder durch strahlende Hitze zu rascher Verklebung anregt. D. Operationen an der Gallenblase. Die Chirurgie der Gallenwege hat in unserem Decennium eine früher kaum geahnte Ausbildung erfahren. Alle diesbezüglichen Eingriffe bezwecken entweder die Er- öffnung der Gallenwege zwecks Entfernung darin lagernder, Be- schwerden und Erkrankungen hervorrufender Concremente, theils die Entfernung der Gallenblase, endlich die Herstellung neuer Abfluss- wege für die stauende Galle, im Falle eine directe Behebung der Gangverlegung nicht ausführbar wäre. Die Eröffnung der Gallenblase kann entweder eine nur tempo- räre sein, für die Zeit, welche deren Entleerung eben erheischt, nicht mehr — Cholecystotomie — oder man legt eine kürzere oder längere Zeit verbleibende Oeffnung oder Fistel an — Cholecystostomie. Ersteres, auch als „ideale Methode" oder nach Coiirvoisier als Cholecystendysis bekannte Verfahren öffnet die Gallenblase, entleert deren Inhalt und vereinigt die gesetzte Schnittwunde sofort wieder durch exacte Naht ohne Mitnahnie der Schleimhaut. Damit ist die Integrität der Gallen- blase wieder hergestellt, sie kann in die Bauchhöhle reponirt und die Laparotomiewunde geschlossen werden. Diese ideale Methode er- fordert vollkommen gesunde Blasenwandungen und freie Durch- gängigkeit der Gallengänge als conditio sine qua non, auch muss der Operateur die Ueberzeugung haben, alle Concremente entfernt zu haben. Da diese Bedingungen aber selten vollzählig vorhanden sind und der Operateur nie sicher ist alle Concremente entfernt zu haben, auch die Durchgängigkeit des ductus cysticus nicht immer durch Sondiren constatirbar ist wegen der spiraligen //eis^er' sehen Klappe, welche die Sonde aufhalten kann, so wird es begreiflich, dass dieses ideale Verfahren äusserst selten zur Ausführung kommt. Ein Versagen der Verschlussnaht, eine Stauung der Galle, sei es auch nur bedingt durch vorübergehende entzündliche Schwellung der Cysticusschleim- haut, würde das Leben des Operirten in grösste Gefahr bringen, da sich der neu angesammelte Gallenblaseninhalt in die freie Bauchhöhle ergiessen müsste. Wohl hat Czerny dieser Gefahr damit ausweichen wollen, dass er die vernähte Gallenblasenkuppe mit dem parietalen Bauchfelle umsäumte, so dass die Nahtlinie selbst ausserhalb des cavum peritonei zu liegen kam; Kümviel rühmt sie als ideale extra- peritoneale Methode. Die Cholecystostomie ist die classische, gegenwärtig fast aus- schliesslich geübte Methode: sie kann ein- oder zweizeitig ausgeführt werden. Die Trennung der Bauchdecken zm- Blosslegung der Gallenblase wird auf verschiedene Weise vollzogen; am schonendsten dürfte ein entsprechend der äusseren Hälfte des rechten rectus ab- dominis oder an dessen äusserem Rande geführter Längsschnitt durch Haut und Muskelscheide sein. Der blossgelegte Rectus wird stumpf auseinander gedrängt, nur etwaige inscriptiones tendineae erfordern das Messer. Nach Abziehen der Muskelränder bekommt man die hintere Muskelscheide zu Gesicht, dann die fascia transversa, unter welcher sich das Bauchfell befindet. Es ist empfehlenswerth, von beiden letzteren durch Hakenpincetten gleichzeitig eine Falte abzu- heben, deren Kuppel zu löchern und so direct die Bauchhöhle zu 36* — 504 — öffnen, um diinn auf der Holilsonde die weitere Trennuno auszufüliren. Provisoriscli werden nun jederseits die Schnittränder der Fascia und des Bauchfelles an die Hautränder geheftet. Beständen Adhäsionen zwischen der Gallenblasenkuppel und dem parietalen Bauchfell, so wird direct die Blase eröffnet, denn die Bedingung des hermetischen Abschlusses der Bauchhöhle ist in solchem Falle ja a priori vorhan- den. Ergäbe sich aus dem localen Befunde die Xothwendigkeit, grössere Zugänglichkeit zum Bauchcavum zu schaffen, kann immerhin dem oberen Ende des Längs- ein Schrägschnitt entsprechend dem Leber- rande zugefügt und sonach ein T-Schnitt hergestellt werden. Nach Eröffnung der Bauchhöhle besichtigt und betastet man sorgfältig Leberrand, Gallenblase und beide Gallengänge, weiters duodenum und Pylorusgegend nebst Pankreaskopf. Hindern Adhäsionen die genaue Betastung, so müssen sie, so schwer, mühsam und selbst nicht ungefährlich dieser Act auch sein möge, sorgfältig gelöst werden. Die Gallenblase selbst kann, wenn viel Steine enthalten sind oder Hydrops, eventuell Empyem besteht, gross sein, und mit ihrer Kuppel den Leberrand Aveit überragen, sie kann auch, wie Riedel beschreibt, von einem zungenförmigen Fortsatz von Lebersubstanz bedeckt sein, mit dem sie innig verwachsen ist, aber sie kann auch ganz geschrumpft sein und weit hinter dem Leberrande verborgen liegen. Bei der zweizeitigen Cholecystostomie handelt es sich nun darum, jenen Theil der Gallenblase, an dem die Eröffnung stattfinden soll, durch Umsäumung mit parietalem Bauchfell extraperitoneal zu stellen. Zunächst legt man in die Wand der Gallenblasenkuppel, weil an dieser in der Regel die spätere Eröffnung erfolgt, einen Haltezügel, der zur Fixirung und Vorziehung der Gallenblase dient; sodann wird eine Kranznaht angelegt, welche den späteren Eröffnungsbezirk an das parietale Bauchfell heftet und hiermit die Bedingung des herme- tischen Abschlusses des cavum abdominis künstlich herbeiführt. Bei starker Spannung der Blasenwände ist eine Aspiration behufs Er- schlaffung zulässig. Die Nahtfäden dürfen nur durch die Wand der Gallenblase laufen, ja nicht die Schleimhaut verletzen. Nebst dem Bauchfelle wird auch die fascia transversa und hintere Muskelscheide, nachdem man die provisorischen Anheftungsnähte entfernt hat, in die Kranznaht einbezogen, der Rest des Laparotomieschnittes ober- und unterhalb der Kranznaht wird für sich verschlossen durch isolirte Knopfnähte, welche Fascie- und Peritonealränder gegenseitig ver- einigen. Nach geschlossener Bauchhöhle wird eine dem Umfangs- bezirke der Kranznaht entsprechend grosse Jodoformgazewicke ein- gelegt und diese durch Darüberknüpfen des geöffneten Haltezügels in ihrer Lage gesichert. Ober- und unterhalb der Gazewicke ver- einigt man Rectusränder, fascia externa und Haut. Mit einem ent- sprechenden Deckverbande versehen, kommt der Kranke ins Bett. Mit der Eröffnung der Gallenblase wartet man drei bis fünf Tage, damit zur Bildung von Adhäsionen Zeit lassend, welche die Sicherheit der Kranznaht completiren sollen. Das Anheften der Gallenblase an die Bauchwand gibt bei entsprechender Grösse der Blase keine Schwierig- keiten ab, wenn deren Wandungen nicht besonders verdünnt sind, ebenso mag der früher erwähnte zungenförmige Decklappen die — 505 — Technik nicht sehr compliciren, da man ja wegen Länge der Blase den Lappen verschieben und die untere Kuppehvand vorkehren kann; grosse Schwierigkeiten stellen sich der zweizeitigen Methode aber bei geschrumpfter, hoch über den Leberrand zurückgezogener Gallenblase entgegen. Der Abstand zwischen Blasenkuppel und Bauchdecken ist dabei ein grosser, eine Annäherung beider unmöglich. Da muss nun eine Brücke oder besser gesagt ein Canal zwischen beiden geschaffen werden, welcher den Abschluss der Bauchhöhle herstellt. Riedl erzwingt diesen Gang dadurch, dass er seitlich vom Längsschnitt der Bauch- decken das Bauchfell sammt Fascie mehrere Centimeter weit ablöst, die beiden Lappen sodann nach innen oben schlägt und deren Ränder theils an die Gallenblase heftet, theils untereinander vernäht. Der so geschaffene Tunnel, dessen obere Wand die hintere Leberwand bildet, und in dessem Grunde die angenähte Gallenblasenkuppel liegt, wird nun mit einer längeren Jodoformgazewicke ausgefüllt und mit dem Haltezügel gesichert. Dieser Verband bleibt zwölf Tage liegen, damit ein überall sicherer Abschluss sich bilden könne. Nach dieser Zeit wird die Jodoformgazewicke entfernt, der neugeschaffene Tunnel blossgelegt und nun in dessen Tiefe vom Haltezügel geleitet, die Blase eröffnet. Statt mit parietalem Bauchfell kann die Ueberbrückung auch mittelst eines Xetztheiles vorgenommen werden, Avelchen man theils an die Gallenblase, theils an das parietale Bauchfell annäht. Die Eröffnung der Gallenblase kann mit dem Messer oder mittelst Thermocauter erfolgen. Nach Abfluss des flüssigen Inhaltes geht man mit einer Kornzange ein und sucht die Steine zu entleeren. Kleine Steine werden leicht extrahirt, grössere Schwierigkeiten biethen die grossen Solitärsteine, welche auch härter sind als die multiplen kleinen, aber dennoch mit starken Zangen ohne besondere Kraft zerdrückt und dann ausgespült werden können. Grosse Mühe machen die im ductus cj-sticus eingekeilten Steine, zu deren Entfernung das Einführen des Zeigefingers absolut nothwendig ist. Man sucht den vorliegenden Stein mit dem Nagelrand zu lüften, um ihn dann, sei es mit der Zange, sei es mit einem Ohrlöffel oder einer gestielten, am Ende ein ovales Ohr tragenden Sonde, oder endlich durch Aus- spritzen zu entfernen. Die Gallenblasenfistel wird in der ersten Zeit drainirt, später überlässt man sie der Benarbung, welche nach kür- zerer oder längerer Zeit erfolgt, wenn die Normalität der Gallenwege hergestellt ist. Die einzeitige Cholecystostomie wird folgendermassen ausgeführt : Nach Blosslegung der Gallenblase wird diese mittelst eines durchge- führten Zügels vorgezogen und fixirt. Sterilisirte Compressen um- geben die Blasenkuppe und verlegen die Bauchhöhle. Man sticht nun die Nadel eines gut functionirenden Aspirators in die Blase und saugt sie vom Flüssigen möglichst leer. Entlang der eingestochenen Nadel spaltet man sodann die vorliegende Blasenkuppe'in hinreichenderXänge, um den Zeigefinger bequem einführen zu können. Mittelst Zange oder anderer zweckdienlicher Instrumente werden alle fühl- und erreich- baren Gallensteine entfernt, das Innere der Blase nach ihrer Ent- leerung mit Gazestreifen tamponirt und nach Entfernung der Schutz- compressen die Schnittränder der Blase an das parietale Bauchfell plus fascia transversa und hintere Muskelscheide genau angenäht. - 566 - Nach beendeter Naht wird der vesicale Tampon entfernt und die Blase drainirt. Der Verschluss der Bauchwunde erfolgt auf gleiche Weise wie bei der zweizeitigen Methode. Oder aber man verfährt wie bei der zweizeitigen Methode, eröffnet aber erst nach vollendeter Kranznaht die Blase. Kehr eröffnet nach der Aspiration selbst geschrumpfte Blasen einzeitig und verhindert die Infection der Bauchhöhle dadurch, dass er die Blase drainirt und das Drain mit dicken schmalen Compressen so einhüllt, dass der Zwischenraum zwischen Blasenkuppel und Bauch- decken förmlich tamponirt wird. Die Galle fliesst durch das Drain und was daneben aussickert wird von den dicken Compressen auf- gesaugt und fixirt. Man muss Vorsorge treffen, dass das Ende vom Drain ja nicht aus der Gallenblase herausrutsche. Nach einer Woche ist der organische Abschluss durch Verklebungen fertig, die Tampons können entfernt werden. Die Exstirpation der Gallenblase — Cholecystectomie — findet ihre An- zeige bei diffus erkrankter, verkalkter, fistulöser oder carcinomatös entarteter Gallenblase, ferner bei Obliteration des ductus cysticus mit Schleimfistelbildung nach vorausgegangener Cystostomie. Conditio sine qua non ist Durchgängigkeit des choledochus. Der Exstirpation der Gal- lenblase möge deren, selbstverständlich einzeitige Eröffnung vorausge- schickt werden zwecks Untersuchung. Nach der Entleerung ihres In- haltes tamponirt man sorgfältig und legt einen Haltezügel an oder eine Fasszange, dann beginnt man mit der Ablösung der Gallenblase von der Unterfläche der Leber. Kehr umschneidet den Peritonealüber- zug in Form eines Hufeisens und dringt zwischen Blase und Leber stumpf vor, ohne die eine noch die andere zu verletzen. Blutungen aus der Lebersubstanz stille man mit tiefen Catgutumstechungen. So wird die Blase allmälig abgelöst, bis sie gleich einer Birne nur mehr am ductus cysticus hängt. Man unterbindet diesen nun doppelt mit stärkerer Seide und trennt ihn in der Mitte zwischen beiden durch. Den Cysticusstumpf übernäht man und bedeckt ihn mit einem längeren dicken Jodoformgazestreifen, dessen Ende bei der Bauchwunde heraus- ragt, welche man so weit als thuulich verschliesst. Die Gazetampo- nade möge nie verabsäumt werden wegen der Möglichkeit einer Nachblutung aus der Lebersubstanz oder eines Aussickerns von Galle aus dem Cysticusstumpf. Entschliesst man sich zur Cystectomie wegen bestehender Schleimfistel, so muss diese zunächst so weit stumpf dilatirt werden (Laminariastäbchen), bis man genügende Zugänglich- keit zur Gallenblasenhöhle geschaffen hat, um diese mit Gazestreifen zu tamponiren. Dadurch verhindert man ein Entsickern von Blasen- inhalt während der Operation und gestaltet sich auch die Gallen- blase strotzend voll und leichter kenntlich. Nach beendeter Stopfung vernäht man den Eingang, beziehungsweise die Ausmündung der Schleimfistel. Dann umschneidet man den Hautbezirk, der die Fistel umfasst durch zwei halbelliptische Schnitte, deren Vereinigungspuncte man zu Längsschnitten verlängert. Grössere Zugänglichkeit mag durch Anfügung von Querschnitten geschaffen werden. Nach geöff- netem Bauchfelle trennt man die alten Anheftungen der Gallenblase an die Bauchwandungen mit vorsichtigen Messerschnitten und macht dadurch die Blase frei. — 51)7 Fis. 159. In Fällen dauernder und auf andere Weise nicht behebbarer Verlegungen des gemeinschaftlichen Ausführungsganges, des ductus choledochus, muss dem Abflüsse der Galle aus der Gallenblase ein Ausweg geschaffen werden, und geschieht dies, wenn andere Mittel versagen, durch künstliche Fistelbildung zwischen Gallenblase und dem tractus digestorius. Je nach dem Theile des Verdauungscanales, in welchem die Intercommunication hergestellt wird, in der Regel ein Dünndarmabschnitt — duodenum oder jejunmn — unterscheidet man Cholec3"sto-Duodenostomien und Cholecysto-Jejunostomien, oder Chole- cysto- Enterostomien schlechtweg. In zwei Fällen wurde auch eine Cholecysto-Gastrostomie mit gutem Erfolge ausgeführt. Die Cholecysto- Enterostomien haben den schweren Nachtheil, dass Infectionskeime aus dem Darme in die Gallenblase gelangen können, welche septische Ent- zündung — Cholecj'stitis — hervorrufen, die sich dann auf die Gallen- gänge der Lebersubstanz fortspinnen kann — Cholangitis, v. Wlni- warter hat als Erster eine Cholecysto-Enterostomie ausgeführt. Hiefür aspirirt man zunächst die strotzend gefüllte Gallenblase^ streicht dann das duodenum oder eine bewegliche, der Blase ohne Zer- rung und Spannung annäherbare Jejunum- schlinge leer und verhindert durch äussere Compression deren Wiederfüllung, näht die leere Darmschlinge an die Gallenblase nach der Technik, welche später für die Entero- anastomose im Allgemeinen angegeben wer- den wird, und stellt eine 2 bis ;> Centimeter lange Intercommunication her. Die Galle fliesst nun aus der Leber in die Blase und aus dieser durch die Fistel direct in den Darm, beziehungsweise Magen. Auch der Mio-jjhy-Knopi ist zur Herstellung der Inter- communication verwendet worden. E. Operationen an den Gallengängen. Ope- rative Eingriffe an dem ductus cysticus und choledochus. In diesen Gängen eingekeilte, deren Durch- lässigkeit aufhebende Gallensteine müssen, wenn sie nach Bloss- legung der Gallenwege durch Betastung der Gänge eruirt worden sind, entfernt werden. Drei Wege stehen hiefür dem Operateur zu Gebote, er versucht es zunächst, sie durch Verschiebung zu lockern, beziehungsweise als Ganzes zu verdrängen: Cysticussteine in die Gallenblase, Choledochussteine durch die natürliche Pforte in das duodenum. Gelingt dies nicht so können die Steine, weil weich und brüchig, an der Einklemmungsstätte durch die intact bleibenden Wan- dungen, zertrümmert werden — Cholelithothripsie — wie Lauson Tait es angab ; entweder durch Fingerdruck oder mit den Branchen einer mit Gummiröhrchen überzogenen Zange. Dieses Zerdrücken der Concre- mente kann die Gangwandungen schädigen, namentlich wenn deren Schleimhaut entzündlich geschwellt und gelockert ist, andererseits ist man aber nie sicher, alle Steinfragmente beseitigen zu können. Gründe, welche die Obsoletheit dieses Verfahrens erklären. Der dritte Weg ist die directe Entfernung des Steines durch Incision des betreffenden — 568 — Gallenganges. Man kennt eine Cysticotomie und eine Choledochotomie. Fig. 150 zeigt die anatomischen Verhältnisse dieser so sehr wichtigen chirurgischen Gegend. Die Leber ist nach oben gewälzt, ihre Unter- fläche hervorgekehrt. In der Tiefe zwischen den beiden Abschnitten des der Länge nach gespaltenen vorderen Blattes des ligamentum hepato-duodenale sieht man den ductus cysticus und dessen Verei- nigung mit dem hepaticus zum ductus choledochus, welcher zum duo- denum zieht und längs seiner hinteren Wand und von ihr einge- schlossen im Vereine mit dem ductus pancreaticus in den Zwölffinger- darm einmündet, allwo durch die valvula Vateri ein Klappenverschluss gebildet wird. Nach innen zu verläuft die sich dichotomisch theilende arteria hepatica, während die vena portae zwischen arteria und ductus choledochus etwas tiefer gelegen zieht. Die Cysticotomie, auch Cystico-Lithectomie, erfordert die Bloss- legung des in schwach spiraliger Windung verlaufenden Ganges und ein Betastenkönnen des darin eingeklemmten Steines. Zunächst muss die Gallenblase aspirirt und sodann einzeitig gespalten werden. Xach Abfluss des zumeist schleimigen Inhaltes mit wenig oder keiner Gallenbeimengung tamponirt man den Blasenraum und befestigt an den Schnitträndern temporär zwei Fadenzügel, um die Blase halten, spannen und vorziehen zu können. Man legt den Operationsbezirk nach sorgfältiger Durchtrennung etwaiger Adhäsionen mit kleinen Compressen frei und lässt durch den hakenförmig gekrümmten Zeigefinger eines Assistenten von hinten her den Gang emporheben. Man incidirt nun direct den Gang der Länge nach auf den Stein und hebt diesen heraus. Mittelst Sonde trachtet man sich zu über- zeugen, dass nicht etwa ein zweites Concrement eingeschlossen sei. Nun führt man durch jeden Schnittrand am cysticus temporär je eine Fadenschlinge, um damit den Gang noch mehr der Oberfläche zu nähern. Die Naht des Cj'sticusschnittes wird mit recht krummen Trois- quartnadeln und feiner Seide einreihig angelegt Dabei darf weder die Schleimhaut mitgenommen, noch auch zu breite Serosa- muscularisflächen umstochen w^erden, um keine Verengerung des Ganges zu bekommen. Einige Verstärkungsnähte können allenfalls zugegeben werden, die Zügelschlingen nehme man ab. Den idealen Verschluss der Gallenblase mit Versenkung derselben und vollstän- diger Verschliessung der Bauchwunde folgen zu lassen, wie Cour- voisier angibt, ist insofern gefährlich, als durch den Flüssigkeitsdruck der etwa in stärkerem Masse mit Galle sich anfüllenden Blase der Bestand der Naht gefährdet werden könnte. Sicherer ist es, die ein- zeitige Cystostomie anzureihen mit Drainirung der Blase und häufigerem Verbandwechsel behufs Controle des Gallenabflusses. Bei auffälliger Texturveränderung der Blase müsste die Unterbindung des cysticus mit Uebernähung des Stumpfes und die Cystectomie vorgenommen werden: ebenso wäre diese Operation angezeigt, falls bei der Incision des cysticus eine stärkere Blutung aus dem mit- durchschnittenen Gefässnetz eintreten würde, die sich durch Um- stechungen nicht beherrschen Hesse. Freilich könnte man letzteren- falls auch nach Zieleicicz den Cj^sticus zwischen zwei Ligaturen durch- schneiden und die Gallenblase belassen. — 569 — Choledochotomie. Bevor man sich zu diesem operativen Acte entschliesst kann in Fällen wo vorher die Cj'stostomie ausgeführt wurde immerhin ein Versuch gemacht werden, die obturierenden Steine durch eine verstärkte Vis a tergo durchzupressen. Es gelingt dies zuweilen, wenn das Steckenbleiben der Steine nicht so sehr durch ihre Grösse als vielmehr durch eine entzündliche Anschwellung der Gallengangsschleimhaut bedingt ist. Kehr nennt dieses Verfahren das Stöpselexperiment. Mittelst eines sterilisirten conischen Holzstiftes, welcher mit AVatte umwunden ist, verkorkt man sozusagen die be- stehende Gallenblasenfistel und sichert ihn mit Watte und Collodium nach Anbringung eines Fadens behufs späterer Extraction. Die nicht abfliessen könnende Galle sammelt sich in der verstopften Blase an und übt einen Druck auf das Goncrement in der Richtung gegen das duodenum. Während des Experimentes reiche man dem Kranken ausgiebige Kost, um die Gallenproduction zu fördern. Missglückt der Versuch, so lüftet man den Propf und lässt die Galle wieder durch die Blasenfistel abfliessen. Die ganze Länge des Ganges misst 8 bis 9 Centimeter. Xur 3 Centimeter davon liegen frei, der übrige Abschnitt ist vom duodenum bedeckt, und zwar 2 bis '2^ ^ Centimeter von der hinteren, 3 Centimeter von der unteren Wand des Zwölffingerdarmes; letztgedachter Abschnitt lagert eigentlich im Vereine mit dem ductus pancreaticus innerhalb der Duodenumwand, von der Darmlichtung nur durch die mucosa getrennt. Die Technik der äusserst schwierigen Choledochotomie ist im Wesen jener der Cysticotomie analog. Zur Incision eignet nur der freie Gangtheil. Die Naht ist eine schwierige; im Falle sie nicht ganz gelänge oder septische Cholangitis bestünde, müsste ein die Lichtung genau ausfüllendes Drain eingeschoben und sicher fixirt werden, damit die abfliessende Galle nach aussen ge- leitet werde; nebstdem muss eine lange dicke Gazecompresse unter- gelegt werden zum Schutze der Bauchhöhle. Da im choledochus ge- wöhnlich mehrere Steine eingeschlossen zu sein pflegen muss der geöffnete Gallengang nach beiden Richtungen central sowohl als peripher genau sondirt werden, um die Extraction complet zu machen. Befände sich der impactirte Gallenstein in dem unteren Abschnitte des choledochus und Hesse er sich nach aufwärts hin nicht verschiebep, so müsste die innere Choledoclio-Duodenostomie zur Aus- führung kommen; eine Operation, welche von Kocher und Kehr geübt worden ist. Man schneidet hiefür an der Stelle, wo man den Stein durchfühlt, zunächst die vordere Wand des duodenum quer durch, gelangt in das Darminnere und schneidet nun direct auf den Stein die mucosa der Hinterwand durch, extrahirt den Stein, vernäht sodann die Ränder der Gangöffnung mit den Schleimhauträndern des duodenum und die Querwunde der vorderen Duodenalwand durch die übliche Darmnaht. Ob man der primären Choledochotomie die Cholec3'stostomie oder die Cholecystectomie anzufügen habe, wird vom speciellen Falle abhängen, namentlich von der Ausdehnung oder Geschrumpftsein der Blase. Eröffnet muss die Blase in jedem Falle werden, schon um die darin enthaltenen Steine zu entfernen. Auch die Eröffnung des ductus hepaticus — die Hepaticotomie — ist behufs Entfernung darin steckender Steine vollzogen Avorden. Elliot gelang die Vernähung durch Hinzuziehung von Peritoneum, in — 570 — anderen Fällen, wo dies nicht gelang, musste drainirt und mit Gaze umhüllt werden. Wenn bei diesen Operationen an den Gallen- gängen, welche behufs Zugänglichmaciiung eine beträchtliche Ver- schiebung der Leber nach aufwärts erfordern, etwa das ligamentum teres durch seine Anspannung hinderlich wäre, müsste dieses Band entsprechend eingeschnitten werden. Thornton hat in einem Falle sogar die Lebersubstanz incidirt, um Steine, welche in den interglandularen Verzweigungen der Gallen wege enthalten waren, zu entfernen. Die Incisionsränder der Leber wurden an die Bauchwunde angenäht : Hepatostomie. IV. Operationen an der Milz. Echinococcus und Abscesse der Milz werden mutatis mutantis nach den gleichen Normen behandelt, die für die gleichen Erkrankungen der Leber Geltung haben und im vorigen Absätze dargestellt worden sind. Etwaige medicamentöse In- jectionen zur Reduction chronischer Milztumoren werden unter Ein- haltung strenger Antisepsis mit dünnsten Hohlnadeln ausgeführt. Nach beendeter Injection empfiehlt es sich, während des Ausziehens der Hohlnadel dem Stempel der Spritze eine kleine rückläufige Be- wegung ausführen zu lassen, damit nicht der eine oder andere Tropfen des Injectum, welcher in der Hohlnadel verblieb, im Momente des Ausziehens am inneren Ende des Bauchdeckenstichcanales abgestreift werde und derart auf das Bauchfell gelange. Die Exstirpation der Milz — Splenectomie, — Die Splenectomie findet ihre Anzeige sowohl bei nicht vergrösserter Milz, wenn diese verwundet oder prolabirt ist und bei Milztumoren nicht leukämischer Natur. Milzverwundungen und Prolapsus der Milz stellen aber keine absolute, sondern nur eine relative Indication zur Exstirpation : eine in Folge traumatischer Durchtrennung der Bauchdecken prolabirte Milz wird nur entfernt, wenn sie gleichzeitig stark verletzt erscheint oder schon zu gangrainesciren beginnt. Frisch prolabirt kann die Milz, wenn ihre Capsel intact ist, unter antiseptischen Cautelen nach Erweiterung der Wundpforte reponirt werden; sollte die Capsel nur eingeschnitten sein, so müsste vor der Reposition der Capselriss mit Catgutnähten, welche nur die Hülle fassen, verschlossen werden. Zeigt sich die vorgefallene Milz jedoch stark verletzt, so wird das vor- gefallene Organ am Stiele unterbunden und entweder vor der Ligatur abgeschnitten, oder die abgebundene Milz dem spontanen Abfall über- lassen. Bei partiellem Prolaps könnte, wenn die Reposition nicht zu- lässig wäre, der vorgefallene Theil mit einer Lanzennadel durch- stochen und dahinter eine elastische Ligatur angelegt werden. Ist in Folge eines Trauma eine Ruptur der Milz intra abdominem erfolgt, so müsste, falls die Diagnose positiv zu Recht bestünde, die Exstir- pation nach vorgängiger Laparotomie ausgeführt werden, um den Verletzten vor dem Verblutungstode zu retten. Nur wenn eine Ver- nähung der Capsel zur Blutstillung genügen würde, könnte von einer Splenectomie Umgang genommen werden. Die intraabdominelle Exstirpation der Milz bei Verletzungen und Tumoren wird folgendermassen ausgeführt. Zunächst laparotomirt — 571 — man entweder in der linea alba oder am Aussenrande des linken musculus rectus abdominis, je nachdem die eine oder die andere Schnittführung directere Zugänglichkeit bietet. Die Länge des Schnittes richtet sich nach der Grösse des Tumor selbst. Ist das Peritoneum durchschnitten, so stellt sich die Milz in den Wundspalt ein. Nunmehr trennt man die Aufhängebänder : ligamentum gastro- lienale und phrenico-lienale zwischen zwei sorgfältig angelegten Seidenligaturen durch, indem in ihnen bekanntlich Gefässe verlaufen; auf ähnliche Weise müssen bestehende Verwachsungen behandelt werden. Stramme und kurze Verwachsungen bieten oft grosse Schwie- rigkeiten; niemals gefährde man bei der Trennung die Integrität der Milzcapsel, um nicht Parenchymblutungen hervorzurufen; eher effec- tuire man die Trennung auf Kosten der serosa des anderen mitver- wachsenen Organes. Netzverwachsungen mögen extraabdominell nach doppelter Ligatur getrennt werden, d. h. nachdem man die Milz schon aus der Bauchhöhle entwickelt hat, da ja das Netz als beweg- liches Organ leicht mit der Milz hervorgeholt werden kann. Zur Durchtrennung von Flächenverwachsungen kann der Thermocauter anstandslos verwendet werden. Nach Trennung der benannten Bänder wälzt man die, in ihrem Capselüberzuge intact erhaltene Milz aus dem abdomen heraus und gelangt so zum hilus lienis, der Eintritts-, beziehungsweise Austritts- stelle für die arteria und vena lienalis. Die doppelte Sicherung dieser beiden Gefässe bildet den schwierigsten Act der Operation; man unterbindet entweder jedes Gefäss isolirt oder en masse und schneidet den Stiel zwischen beiden Ligaturen durch, sei es mit dem Messer, sei es mit dem Thermocauter. Sollte, wie es Bülroih bei der Excision einer sarcomatösen Milz vorkam, der Schweif des pancreas anhaften und mit entfernt werden müssen, so wäre dessen Durchschneidung nur mit dem Thermocauter auszuführen. Während der Abtrennung der Milz muss die Bauchhöhle mit Compressen wohl verwahrt und das Prolabiren von Eingeweiden verhindert werden. Der abgebundene Stiel kann entweder versenkt, oder wie Ptan es that, im Winkel der Bauchwunde fixirt werden: letzteres Verfahren hat den Vortheil für sich, dass eventuelle Nachblutungen in Folge Nachlass der Stiel- ligatur leichter bekämpft werden können. Die Reinigung der Bauch- höhle und der Nahtverschluss der Laparotomiewunde beschliessen die Operation. Bei sonst gesunder, wenn auch vergrösserter Wandermilz wird gegenwärtig, falls durch sie grosse Beschwerden erwachsen und diese durch Bandagen nicht gemildert werden können, die Splenectomie nicht mehr vorgenommen, sondern man fixirt die Milz an ihrer nor- malen Stelle durch operative Eingriffe, die als Splenopexis bekannt sind. Gleich der Wanderniere hat man auch die Wandermilz durch Nähte intraabdominal fixirt, so Giorrlano durch oberflächliche Capsel- nähte, Greifenhagen durch tiefe Farenchymnähte. Der Weichheit des Milzgewebes wegen und der durch die Naht hervorgerufenen Blutung, verfährt man besser in der Weise, dass man die Milz in eine künstlich hergestellte Peritonealtasche birgt, sie also zum Theile oder ganz extraperitoneal lagert. Rydijgier i3flanzte eine Wandermilz mit ihrer unteren Hälfte in eine durch stumpfe Ablösung des parietalen — 572 — Bauchfelles hergestellte entsprechend grosse Tasche in der Milzgegend und sicherte sie dortselbst durch Nähte zwischen dem Taschenrande und dem ligamentum gastro-lienale. Bardenheuer drang durch einen grossen Winkelschnitt von der linken Weiche bis zum Bauchfelle vor, löste sodann das nicht er- öffnete Peritoneum in weitem Umfange von der fascia transversa los, schnitt jetzt erst eine Oeffnung in das Bauchfell, durch welche nun die Wandermilz durchgezwängt und in toto extraperitoneal verlagert wurde. Nun wurde die Bauchfellspalte bis zum hilus lienis vernäht und die Ränder der reducirten Bauchfelllücke noch durch Nähte an den Stiel befestigt. Bardenhever hat in einem Falle wegen Cj'-ste eine Resection der Milz ausgeführt. Die Blutung wurde theils durch Druck, theils durch Umstechung gestillt und die Stumpffläche mit dem Thermocauter verschorft. III. Capitel. Operationen am Magen und am Darmcanale. I. Entleerung und Auswaschung- des Magens. Zu diesem häufig ge- übten operativen Verfahren muss zunächst durch Schlund und Speise- röhre ein biegsames, elastisches, unten offenes Rohr in den Magen eingebracht werden. Die Kraft, welche das jeweilige Magenconten- tum herausbefördern soll, kann entweder durch eine Pumpe oder durch Heberwirkung hergestellt werden. Der Magenpumpen bedient man sich heutzutage nicht mehr: einmal der Complicirtheit wegen, hauptsächlich aber der üblen Ereignisse halber, welche durch die allzu starke aspiratorische Kraft auf die Magenwandungen hervor- gerufen werden können. Von gleicher Wirksamkeit, aber einfacher und ohne jedwede directe Gefahr, ist die Heberkraft, deren diesbezüg- liche Verwendung durch Soynmerville und Kussmaul in die chirurgische Praxis eingeführt wurde. Man benützt das Heberverfahren zur Ent- leerung und Reinigung des Magens sowohl in der internen Medicin, namentlich bei gleichzeitiger Dilatatio ventriculi, bei Vergiftungen, um die noch im Magen vorhandenen Giftreste zu entleeren und zu neutralisiren etc., als auch in der Chirurgie bei Ileus, wie Kussmaid empfiehlt, und als Voract bei der Vornahme solcher blutiger Ein- griffe am Magen, welche mit einer Eröffnung der Magenhöhle einher- gehen, selbstverständlich nur dann, wenn die Einführung des Magen- rohres möglich und zulässig ist. Behn macht den Vorschlag, eine Ausheberung des Magens auch nach der wegen Darmocclusion vor- genommenen Laparotomie vorzunehmen, also bei geöffneter Bauch- höhle. Es sollen dadurch die vorgequollenen, stark ausgedehnten und deshalb nach behobenem Hindernisse schwer reponirbaren Darm- schlingenconvolute rasch entleert und erschlafft, ja es soll dadurch auch das Auffinden und Beseitigen der Occlusionsursache wesentlich erleichtert werden. Da die Reposition der aus der geöffneten Bauch- höhle hervorstürzenden und temporär aus ihr verlagert bleibenden. — 573 — geblähteil Darmconvolute eine wesentliche und sehr gefürchtete Schwierigkeit bei der Laparotomie wegen Ileus abgibt, so wäre die Behn'sche Methode, wenn sie sich bewährt, von grossem Vortheile. Rehn meint, dass bei breit geöffneter Bauchhöhle die Wirkung der Magenausspülung eine weit ausgiebigere sei als bei intacten Bauch- decken und diese Thatsache darin ihre Begründung finde, dass dabei der äussere Luftdruck besser zur Geltung komme. Das Reinigen des Magens erfolgt entweder mit lauem Wasser allein oder mit Wasser, dem etwas Kochsalz oder ein lösliches Adstringens, be- ziehungsweise ein Antidotum oder Antisepticum beigemengt wurde. Als Magenrohr werden etwa fingerdicke Gummischläuche verwendet, deren Länge mindestens zweieinhalbmal die Entfernung vom Munde zum Magen betragen muss. Die Anwendung ist eine einfache: zunächst wird das Rohr mit Wasser gefüllt und das Aussenende abgeklemmt; wohlbeölt führt man es nach den für den Catheterismus oesophagi giltigen Regeln in den Magen und biegt hierauf den ausserhalb des Mundes verbleibenden Theil des Schlauches Fig. ißo. nach abwärts um, so dass ein Heber resultirt. Wird jetzt die Sperre gelöst, so beginnt nach physikalischen Gesetzen der flüssige Mageninhalt herauszufliessen und der Abfluss dauert so lange, als das centrale Rohr- ende unter dem Flüssig- keitsniveau taucht und das Rohr durchgängig bleibt. Besteht die Ab- sicht den Magen zu rei- nigen, so hebt man nach beendigtem Abflüsse die äussere Rohrhälfe senkrecht in die Höhe, befestigt an ihrem Ab- flussende einen Trichter und giesst so lange die Spülflüssigkeit in den Magen, bis das Flüssigkeitsniveau im Trichter stabil bleibt, dann senkt man wieder, und sofort tritt die Heberwirkung in Action. So kann durch wiederholtes Eingiessen und Entleeren der Magen gründlich ausgespült werden. Nach erreichtem Ziele, id est wenn die Eingussflüssigkeit relativ rein wieder abfliesst, entleert man den Magen vollends und entfernt das Rohr. Fig. 1(30 zeigt das Faiicher'sche Magenrohr sammt gläsernem Trichter. II. Magendarmnaht. Betrachteu wir den Magen als Darmabschnitt, so werden wir die Gleichheit der Xahttechnik für alle Abschnitte des Magendarmtractes gerechtfertigt finden. In der That besitzt der Magen wie der Darm die gleiche Schichtung, wenigstens insofern sie für - 574 Fig. 161. die Technik massgebend sein kann: serosa, muscularis und mucosa Der Unterschied betrifft nur die Wanddicke und die Rohrlichtung. Bezüglich der Regeln, nach denen jede Darninaht angelegt werden muss, um günstige Erfolge zu ermöglichen, sind namentlich folgende hervorzuheben, welche nie ausser Acht gelassen werden dürfen. Sie lauten: 1. Nur die serösen Flächen allein dürfen in genauem gegen- seitigen Contact gebracht werden, da nur sie, wie Lembert und Jobert de Lamhalle es zuerst betont haben die Fähigkeit besitzen, rasch Ver- klebungen einzugehen, denen die Verwachsung auf dem Fusse folgt. •2. Damit die Verwachsung leichter erfolge und genügende Festigkeit besitze, müssen möglichst breite Flächen aneinandergenäht werden. ;>. Während der Nahtanlegung sowohl als auch während des späteren Verlaufes des Verwachsungsi3rocesses muss jede Infection vom Darm- canale her sorglichst verhütet werden, als conditio sine qua non des Erfolges. Man wird sonach Sorge tragen müssen, dass die Vereinigung einen hermetischen Abschluss herbeiführe. Jeden noch so geringen technischen Fehler bei der Anlegung einer Darmnaht büsst der Kranke in der Regel mit dem Leben. Das erste und älteste Paradigma einer rationellen Darmnaht gibt das Zew&er^sche in Fig. IGl schematisch dargestellte Ver- fahren. Da die serosa äusserst dünn ist, so könnte die Naht leicht ausreissen, wenn sie den Peritonealüberzug allein fassen würde, deshalb pflegt man sie tiefer zu führen und einen Theil der tunica muscularis mitzu- fassen, nie darf aber dabei die mucosa durch- stochen werden, falls man nur eine Naht- reihe anlegt, denn durch die Stichcanäle, welche in die Darmhöhle münden, könnten septische Stoffe ihren Weg in die Bauch- höhle finden. Wie aus der Zeichnung her- vorgeht, legte Lembert etwas entfernt von den Wundrändern seine isolirten Knopfnähte an, dadurch wurde der genauen Coaptation jener etwas weniger Rechnung getragen: sie können klaffen und Darmcontentum zwischen sich lassen, welches seinerseits theils die Adhäsionsbildung stören, theils eine Veran- lassung zu Diastasirungen in Folge von Innendruck abgeben kann. Diese Bedenken haben neuerer Zeit, wenigstens bei dickwandigen Rohren — Magen- und Dickdarm — eineModification der Lewifeer^' sehen Naht hervorgerufen, darin bestehend, dass die Nähte nicht entfernt vom Serosarande angelegt werden, sondern dass man den Fadenträger in der Wundfläche selbst einsticht, knapp an und ausserhalb der Schleim- haut, ihn dann submucös weiterführt und in bestimmter Entfernung durch die serosa aussticht oder in umgekehrter Richtung vorgeht. Dieses Verfahren bringt nicht nur Serosaflächen, sondern auch die Wundränder in genauem Contact. Sicherheitshalber pflegt man man über der eben geschilderten, noch eine zweite Nahtreihe nach Lem- ter^'scher Art anzulegen, womit dem Gesetze breiter Flächenvereini- gung am besten entsprochen wird. Man pflegt diese Art Naht, welche in Fig. 162 a schematisch dargestellt ist, Czerw?/'sche Darmnaht zu nennen. — 575 - ö^Mssenfeaue?' vereinigte beide Nähte in eine einzige Achtertour (Fig. lG-2?)). Bei dünnen Därmen ist die ursprünglich Lembert' sehe Naht in einer Reihe und in ringförmigen Doppelreihen noch immer üblich, wenn die Dünnheit der Wand die Czemy'sche Modification erschwert; nur legt man die Nähte möglichst nahe den Wundrändern an; bei zwei- reihiger Naht kann bei dünnen Darmwänden bei der inneren Reihe auch die ganze Darmwand durchstochen werden, wie Johert es empfahl. Alle bisher geschilderten Nahtweisen gehören ihrem Typus nach der Knopfnaht an, sie ist auch die beste und sicherste; schneller wird freilich eine fortlaufende Naht angelegt und soll sie auch die Ver- einigung gleichmässiger zu Stande bringen, wie v. Nussbatna und Andere betonen. Theoretisch mag es gelten, allein praktisch hat sie insofern ein nisi, als ein zu locker oder zu fest dabei leicht unter- laufen kann, indem nicht jede Schiingentour so genau controlirbar ist, wie das Einzelheft der Knopfnaht und endlich das Nachgeben einer Tour die Gesammtnaht lockert. Gely's Steppnaht findet keine Fig. 162. Verwendung mehr. So viel im Allgemeinen über die Darmnaht; specielle Details werden bei den verschiedenen Operationen, wo sie Verwendung findet, betont werden; nur bezüglich der Nadeln und des Nähmateriales wäre noch Einiges zu erwähnen. Alle zu Darmnähten verwendeten Nadeln müssen dünnen Calibers sein, entsprechend der Zartheit des Operationsterrains und dürfen die Nadeln nur Spitzen aber keine Schneiden haben — Troisquartnadeln. Entsprechend der Dünnheit der Nadeln muss auch das Näh- material beschaffen sein. Ganz dünnes Catgut ist unverlässlich, weil es viel zu rasch resorbirt wird oder sich wenigstens viel eher lockert, als gerade erwünscht ist, deshalb gibt man ziemlich allgemein feiner Seide den Vorzug. Wohl wird Seide nicht resorbirt, sondern entweder eingekapselt oder abgestossen, allein das Wichtigste und Wesentlichste bei jeder Darmnaht ist die Sicherung des Primärverschlusses. Cat- gutnähte werden daher seltener verwendet oder wenigstens nicht ausschliesslich und allein. Zur grösseren Sicherheit der Darmnaht will Senn über die vernähte Darmpartie einen Netzkeil transplantiren. In ähnlicher Weise wird auch die Anheftung der Magen- oder einer Darmoberfläche an das Peritoneum der Laparotomiewunde vorge- - 576 — nominell, nämlich durch Lemhcrt'sche Nähte, ebenso die Verkleinerung des Magens durch Faltenbildung (Gastroplicatio) und die Gastropexis bei Gastroptosis : diese Nähte müssen dann in einer, seltener in zwei übereinander liegenden Reihen so dicht angelegt werden, dass eine hermetische Vereinigung zu Stande kommt. Zu dicht aneinander liegende Nähte schaden wieder durch locale Circulationsstörung. Bei doppelreihiger Naht empfiehlt es sich, die Schlingen der oberen Reihe in den Zwischenräumen der unteren anzubringen; man kann aber auch die untere Nahtreihe mit isolirten Knopfnähten, die obere mit fortlaufender Naht ausführen. IIL Gastrotomie. Zur temporären Eröffnung des Magens geben zunächst Fremdkörper Veranlassung, welche, von aussen in den Magen gelangt, ihren natürlichen Abgang nicht finden können: Messer, Gabeln^ künstliche Gebisse, Bezoare etc. sind schon durch die Gastro- tomie entfernt worden. Bei sj^itzigen Fremdkörpern, welche längere Zeit im Magen verweilen, kann es vorkommen, dass sie durch locale Verletzung der Magenschleimhaut entzündliche Processe hervorrufen, welche zunächst zu Adhäsionen der vorderen Magenwand mit den Bauchdecken, später sogar zu phlegmonösen Processen in letzteren führen können. In solchen Fällen ist die Incision der Bauchdecken und der ihnen adhärenten Magenwand eine gewiss einfache und an sich gefahrlose Operation. Schwieriger gestaltet sich das operative Verfahren, wenn dies nicht der Fall ist, der Fremdkörper frei in der Magenhöhle verweilt und deren Vorderwand an den Bauchdecken nicht adhärirt, denn dabei liegt die Gefahr in dem Eindringen von Mageninhalt oder wenigstens von Blut in die freie Bauchhöhle, nach Durchschneidung der gefässreichen Magenwand. Im Folgenden soll nur von der Technik der Eröffnung der vorderen, freien, d. h. nicht adhärenten Magenwand nach vorgenommener Laparotomie die Rede sein. Zunächst sei aber noch erwähnt, dass die gleiche Operation nach Loreta auch bei narbigen Verengerungen des pylorus oder selbst der cardia vorgenommen werden kann, um die bestehenden Verengerungen rasch dilatiren zu können. Es dienen hierzu entweder der Zeigefinger, welcher von der gesetzten Wunde aus in das Magen- innere und sodann zur verengten Magenpforte eingeführt und in diese gewaltsam eingeschoben wird, oder eigene Instrumente — Dilatatoren. Loreta und andere italienische Chirurgen haben auf solche Weise wiederholt erfolgreich operirt; trotzdem hat das Verfahren keine allgemeinere Nachahmung gefunden, weil bei wahren Narbenstricturen die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit obwaltet, dass die Divulsion der Strictur nur vorübergehenden Erfolg haben und durch baldige Re- cidive der Effect der Operation vereitelt werden könne. Es mögen auch die dauernd gelungenen Divulsionen nicht echte Stricturen betroffen haben, sondern vielleicht nur Bänderconstrictionen, bei denen eine Zerreissung des Stranges allerdings radical abhelfen kann. Heineke räth zur Hebung narbiger Pylorusstenosen, diese der Länge nach durchzuschneiden, id est in gleicher Richtung mit ,der Magenachse, worauf die Ränder des jeweiligen klaffenden Spaltes im Pylorustheile - 577 — in darauf senkrechter Richtung verzogen und vernäht werden. Diese Operation soll einen Pförtner von mehr als normalen Dimensionen herstellen und alle Recidiven verhindern; Mihdicz will ihr den Namen Pyloroplastik zuerkannt wissen. Würde sich nach erfolgter Spaltung ein noch bestehendes, vielleicht selbst blutendes Geschwür vorfinden, so müsste der senkrechten Vernähung eine Excision, beziehungsweise Cauterisation des Ulcus vorangeschickt werden, letzteres namentlich dann, wenn dieses, der hinteren Pyloruswand aufsitzend, in die Substanz des pancreas übergegriffen hätte. Als Hauptbedingung für die Zulässigkeit der Pj^loroplastik muss eine freie Zugänglichkeit zur vorderen Magen- und Duodenumwand aufgestellt werden. Durante operirt in der Weise, dass er den Erweiterungsschnitt in Gestalt eines liegenden Y führt, wobei der einfache Schenkel den pj^lorus der Doppelschenkel den Magen trifft. Der hierdurch aus der vorderen Magenwand gewonnene dreieckige Lappen wird dann dem pylorus zu verzogen und den auseinander weichenden Rändern des einfachen queren Pylorusschnittes interponirt. Ob man sich der Gastrotomie, wie v. Hacker meint, auch zur Stillung von Magenblutungen aus einem Ulcus rotundum bedienen soll, um das arrodirte Gefäss zu umstechen, steht noch dahin. Rationell wäre das Verfahren zu letztgedachtem Zwecke immerhin, denn sollte es auch nicht gelingen, die Blutung direct zu stillen, so könnte die Gastrotomie gleich als Voract für eine Excision der ulcerirten Partie oder des ganzen pylorus gelten, wie auch Rydygier es betont. Bei der Gastrotomie wird stets in der Magengrube eingegangen; bei Fremdkörpern, die von aussen tastbar sind, wird direct einge- schnitten, sonst zumeist in einer schiefen Richtung, welche parallel dem einen oder dem anderen Rippenbogen und etwa fingerbreit davon entfernt zieht. Bei Verengerungen des p3'lorus schneidet Loreta ent- lang dem rechten Rippenbogen, um dem Pförtner näher zu sein; bei solchen an der cardia oder bei nicht promin irenden Fremdkörpern ist es gerathener, links vorzugehen, um durch den Leberlappen weniger gestört zu werden. Man laparotomirt in einer Länge von 5 bis 7 Centi- meter und beginnt den Schnitt etwa daumenbreit unterhalb des Schwertfortsatzes. Ist nach vollends gestillter Blutung das Bauchfell geöffnet, so kann die vordere Magenwand sofort in dem Wundspalt sichtbar werden, kenntlich an ihrer glatten, nackten, vom Netz nicht überzogenen Fläche und an der charakteristischen Verästelung der arteria gastroepiploica. Es kann sich im Wundgrunde aber auch die Leber präsentiren, wenn sie vergrössert oder der Magen so verkleinert und zusammengezogen ist, dass er hinter ihr liegt. In solchem Falle muss der Leberrand etwas nach oben verzogen werden, damit der Operateur mit dem Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand hinter dem Leberlappen eindringen, zur Magenwand gelangen, diese in Form einer Falte fassen und aus der Wunde vorziehen könne. Hat man sich überzeugt, wirklich den Magen und nicht etwa das Colon transversum vorgezogen zu haben, so führt man zunächst durch die Magenwand zwei Seidenfäden. Diese dürfen nur die serosa und die muscularis fassen und ja nicht die Schleimhaut durchdringen, weil sonst die Gefahr bestünde, dass etM'as Magensaft durch die Stich- canäle sickere und, in die Bauchhöhle eindringend, Peritonitis hervor- T. Mose tif: - M o o rh of : Handbuch rt. cliinir?. Technik. 4. Aufl. 37 — 578 — rufe. Man sticht die Nadel senkrecht zur Querachse ein und etwa 1 Centimeter weit wieder aus, so dass der Faden eine 1 Centimeter breite Brücke der serosa und muscuhiris fasst; entsprechend weit davon führt man auf gleiche Weise und parallel zum ersten, einen zweiten Seidenfaden durch. Diese stellen dann Haltbänder dar, mittelst welchen man die vordere Magenwand in dem Wundspalt fixiren und an die Wundränder anpressen kann, um auf diese Weise die Bauch- höhle hermetisch abzuschliessen. Nach aussen von den Haltefäden stopft man Krüllgaze und sichert dadurch den Abschluss noch mehr, so dass nur jene Partie der Magenwand frei bleibt und nackt zu Tage tritt, welche zwischen cten beiden Fixirfäden liegt; diese schneidet man ein, und zwar der Länge nach. Die Anspannung der Haltfäden bringt die Magenwunde zum Klaffen; blutet ein Wund- randgefäss, so legt man provisorisch eine Sperre an. Der Schnitt muss so lang sein, dass der resultirende Wundspalt das Einführen eines Fingers und nebstdem, bei Fremdkörpern das gleichzeitige Einbringen einer Extractionszange bequem gestatte. W^ie man den Fremdkörper am leichtesten entfernen könne, ist im Allgemeinen kaum näher an- zugeben, der specielle Fall muss es ergeben. Oftmals ist es recht schwer, den Fremdkörper überhaupt zu finden und muss lange nach dem Versteck gesucht werden. Grössere Fremdkörper könnten, falls sie spröde wären und deren Exairese Schwierigkeiten bereiten würde, erst durch geeignete Instrumente zerbrochen werden, worauf man dann die einzelnen Stücke mit einer Zange fasst und auszieht. Hat man der Indicatio operationis genügt, so wird die Magenwunde sofort durch eine doppelte Nahtreihe geschlossen, wobei auch die Halte- fäden mitbenützbar sind, sodann der Magen wohl gereinigt in die Bauch- höhle zurückgeschoben und die Laparotomiewunde gleichfalls ge- schlossen, am besten durch Etagennähte, welche die einzelnen durch- schnittenen Gewebsschichten gegenseitig genau vereinigen; namentlich gilt dies für die durchschnittenen Fascienränder. Nebstdem legt man noch einige Plattennähte an und entspannt die Bauchdecken durch passive Hüft-Kniebeuge bei horizontaler Rückenlage. Die Magennaht — Gastroraphie — wird nicht nur zum sofortigen Verschlusse der künstlich durch die Gastrotomie gesetzten Magen- wunde geübt, sondern soll auch bei traumatischen Verletzungen durch Stich, Schnitt oder Schuss, ferner bei Ruptur des Magens zur Anwen- dung kommen. Dass bei nicht glatten unebenen W^undrändern, wae sie bei Ruptur und namentlich bei Schussverletzungen sich vorfinden, jene erst entsprechend zugeschnitten werden sollen, bevor man zur Gastroraphie schreitet, ist wohl selbstverständlich, ebenso, dass man sich behufs Reinigung der Bauchhöhle von Blut und darin ergossenen Magencontentis hinlängliche Zugänglichkeit schaffen müsse durch ausgiebige Laparotomie. Freilich sind die durch traumatische Ver- letzungen oder durch Magenruptur indicirten Laparotomien ver- zweifelte Eingriffe; immerhin müssen sie ohne Zögern ex tempore ausgeführt werden, da jeder Zeitverlust die Chancen für den mög- lichen Erfolg verringert. Weiters findet die Magennaht ihre ludication — 579 — zur Heilung bestehender Magenfisteln. Der Verschluss der Fistelöffnung durch Decklappen, einerlei ob frisch oder granulirend, erweist sich in der Regel als zwecklos, indem die verdauende Wirkung des Magen- saftes den Hautlappen zerstört. Billroth hat gelehrt, Magenfisteln dadurch zur Heilung zu bringen, dass er die Magenwand in der Um- gebung der Fistel von den Bauchdecken lostrennte, sodann die Fistel- ränder des mobil gemachten Magens geeignet zuschnitt und durch die Naht verschloss, darüber wurde die Oeffnung der Bauchdecken occludirt. Gleichwie die Magennaht bei traumatischen Verletzungen des Magens, ist auch die Darranaht — Enteroraphie — bei solchen des Darmcanales indicirt. IV. Gastrostomie. Wenn die Durchgüngigkeit der Speiseröhre durch Stricturen oder durch Neug-ebilde so weit verlegt ist, dass jede Xahrungszufuhr selbst flüssiger Stoffe auf normalem Wege unmöglich wird, wenn weiters das Hinderniss nicht auf andere Weise behoben werden kann, dann muss, um den Kranken vom Hungertode zu retten eine Magenfistel, id est eine offen bleibende Oeffnung durch die Bauchdecken in die vordere Magenwand angelegt werden behufs Ermöglichung der Nahrungszufuhr. Auch ein angeborener Verschluss des Oesophagus könnte die Operation indiciren. Obgleich schon 1849 durch Sedillot die erste Gastrostomie am ]\Ienschen ausgeführt und später diese Operation durch ihn öfters noch wiederholt wurde, so gingen doch alle Operirten in Folge der mangelhaften Technik an Peritonitis zugrunde; erst Verneuil operirte 1876 mit Erfolg bei einem Falle von impermeabler Strictur nach Genuss von Laugen- essenz. Seit der Zeit wurde die künstliche Magenfistelbildung des Häufigsten ausgeführt und dauernd der Chirurgie eingebürgert. Ob die einmal angelegte Magenfistel vom Kranken zeitlebens getragen werden muss oder nicht, hängt von der jeweiligen Indication ab, denn bei Narbenstricturen steht zu erwarten, dass man das Hinderniss in einer späteren Zeit noch überwinde, und zwar durch allmälige Dilatation vom Munde oder vom Magen aus. Die Technik einer Gastrostomie unterscheidet sich von jener einer Gastrotomie nur dadurch, dass die vorgezogene Magenwand an die Bauchdecken durch einen Nahtkranz fixirt wird. Man trennt dem- nach zuvörderst die Bauchdecken schräge durch, entsprechend einer Linie, welche querfingerbreit unter dem Schwertfortsatze beginnt und 5 bis 7 Centimeter lang, parallel dem linken Rippenbogenrande und querfingerbreit davon entfernt geführt wird. Nach Eröffnung der Bauchhöhle zieht man das parietale Bauchfell über die Wundflächen der Bauchdecken vor, umsäumt sie und befestigt die Ränder des Bauchfelles an jene der äusseren Haut. Hierdurch werden einerseits breite Serosaflächen gebildet zur besseren Fixirung der Magenwand und werden andererseits die Wundflächen gedeckt, wodurch man Ei- terungen innerhalb der Muskelscheide des rectus abdominis verhüten kann. Ist die vordere Magenwand durch die Wundspalte vorgezogen, so muss sie in dieser vorgezogenen Stellung wenigstens insolange fixirt 37* 580 — bleiben, bis der ein- oder doppelreihige Nahtkranz angelegt ist, der einerseits die Fixation der Magenwand, andererseits den Abschluss der Bauchhöhle bewerkstelligen soll; die vom Nahtkranz umfasste, frei- bleibende und nackt in den Wundspalt ragende vordere Magenwand- partie ist zur Fistelbildung bestimmt. Die temporäre Fixation der vor- gezogenen Magenfalte, welche möglichst weit vom pylorus, näher dem fundus und der oberen curvatur gelegen sein soll, vor und während des Nahtanlegens kann auf mehrfache Art bewerkstelligt werden; zunächst durch die klemmenden Finger des Operateurs, beziehungs- weise seines Assistenten. Als Ersatz für die Finger kann nach Schönhorn auch eine Balkenzange Verwendung finden, obgleich man dabei Gefahr läuft, die Magenfalte zu quetschen; weiters kann die Fixation besorgt werden durch eine lange Stahlnadel, welche man quer durch die Falte sticht und brückenartig auf Fig. iß3. die Bauchdecken ruhen lässt, endlich durch Halteschlingen, ähnlich Avie bei der Ga- strotomie. Am sichersten dürfte es wohl sein, die temporäre Fixation durch Fingeraction besorgen zu lassen und die Naht der- art anzulegen, dass ein Aus- reissen und folgeweise ein Zurückgleiten des Magens in die freie Bauchhöhle, wie es Sedillot in einem Falle sah, nicht zu besorgen steht. Eine doppelte Reihe von sorgfältig und regelrecht angelegten Fixationsnähten wird genü- gende Garantie hiefür bieten. Es wäre noch ein Fixations- verfahren zu erwähnen, wel- ches jedoch nur dann an- wendbar ist, wenn die Gastro- stomie als einzeitige Operation ausgeführt wird; in solchem Falle gilt es als Norm. Das Verfahren besteht in Folgendem: man laparotomirt, zieht die Magenwand vor, fixirt sie mittelst zweier Finger, Balkenzange oder Haltefäden, legt einen Nahtkranz an, der hermetisch schliesst, öffnet dann sofort mit dem Spitzbistouri die Magenwand, und vernäht die Schleimhautränder mit der äusseren Haut. Bei der zweizeitigen Gastrostomie legt man eine Doppelreihe von Fixirnähten an, ver- bindet antiseptisch, wartet zwei bis drei Tage ab, bis Adhäsionen sicher gebildet sind und eröffnet erst dann die Magenwand. Bei der zweizeitigen Methode kann die Eröffnung des Magens mit dem Thermo- cauter ausgeführt werden, da man dadurch jede Blutung aus den Gefässen der Magenwand verhindert. Die Oeffnung in der Magenwand darf nur so gross gemacht werden, als es nothwendig ist, um ein höchstens ^ 4 Centimeter weites Gummirohr knapp einführen zu können. Jede weitere Spaltung der Magenwand ist aus dem Grunde verwerflich, — 581 — weil dabei die eingeflösste flüssige Nahrung nicht im Magen verbliebe, sondern neben dem Gummirohr wieder ausf Hessen würde. Das Rohr muss den Fistelgang absehliessen und dafür in die Wunde genau passen. Es empfiehlt sich das kurze Rohr über eine Metallsonde aus- zuziehen und ausgedehnt einzuführen. Beim Entfernen der Sonde verbreitert sich das Drain und schliesst dann besser ab. Das Gummirohr soll nie tiefer als wenige Centimeter in das Magenlumen eingeschoben werden. Eine in dieser Rohrhöhe quer durchgesteckte Sicherheitsnadel sichert dessen Lage, welche durch einen geeigneten äusseren Haltverband unterstützt wird, der circulär den Leib umfangen soll. Die Fortsetzung des Rohres wird durch den Ver- band nach aussen geleitet und das Ende mit einer Klemme abgesperrt, die man nur abnimmt, wenn flüssige Nahrung eingeführt werden soll, also alle zwei bis drei Stunden. Gestaltet sich im Verlaufe der Nach- behandlung die Magenfistel weiter und wird der Abschluss Fig. 164. durch das Rohr insufficient, so muss für einen anderwei- tigen passenden Verschluss gesorgt werden. Zweckmässig dürfte das von f. Langenheck in Anwendung gezogene Ver- fahren sein, darin bestehend, dass man das Gummirohr mit einem elastischen Mantel um- gibt, welcher nach Einlegung des Rohres aufgeblasen wird und die Form einer Sanduhr annimmt. Beide aufgeblähten Theile schliessen dann die Magenfistel zwischen sich hermetisch ab. Cripps bedient sich einer etwa guldenstück- grossen, an einem axialen Doppelfaden befestigten runden Gummi- platte, welche zusammengefaltet eingeführt, im Magen sich aufrollt und gleich einer inneren Verschlussplatte wirkt wenn der Faden angezogen wird. v. Hacker macht den Vorschlag, den Bauchdecken- schnitt parallel zur linea abdominis alba, 2* ^ bis 3 Centimeter nach links von ihr mitten durch den musculus rectus zu führen, so dass nach Anlegung der Fistel die Contraction der bogen- förmig diastasirten Muskelhälften, welche die Oeffnung beiderseits umfangen, in ihrer Tendenz, sich einander wieder zu nähern, den Verschluss jener bewerkstelligen. Girard geht noch weiter; er löst beiderseits des Spaltes im rectus je ein gut fingerbreites Muskelbündel brückenförmig ab und kreuzt durch seitliches Verschieben beide Bündel um den vorgezogenen und fixirten Magenkegel, so dass gewisser- massen ein Sphincter resultirt. Hahn will einen besseren Verschluss der Magenfistel dadurch er- zwingen, dass er die zu erciffnende Magenpartie durch den achten linken Zwischenrippenraum vorzieht in der Erwartung, dass die Rippen ähnlich einem Quetschhahn einwirken würden. In der That sind die - 582 — Uebelstände einer nicht sufficienten Magenfistel so grosse und fatale, dass jene Methoden, welche halbwegs deren Umgehung versprechen, sicher als die besseren angesehen werden müssen. Es ist das Verdienst Witzel's, zuerst bewiesen zu haben, dass das beste Mittel eine schluss- fähige Fistel zu erhalten darin liege, dieselbe länger zu gestalten und statt^ gerade anzulegen, in schiefer Richtung verlaufen zu lassen, wo- durch ein Anliegen der Fistelwandungen leichter zu Stande kommt. Witzel erhebt an der vorgezogenen Magenwand zwei parallel gestellte Falten behufs Bildung eines Canales, an dessen einem Ende der Magen behufs Einlegung eines ausgezogenen Drainrohres eröffnet wird (Fig. l(J3). Die Faltenränder werden dann über dem Röhrchen durch exacte Lemherf^che Nähte gegenseitig vereinigt, wodurch ein von der Anzahl der Nähte abhängiger, längerer oder kürzerer Gang construirt werden kann, welcher in schiefer Richtung das Rohr um- fasst und einerseits nach aussen, andererseits in den Magen mündet (Fig. 1G4). Da die Wandungen des Schiefcanales von serosa bekleidet und daher glatt sind, ist die jeweilige Einführung des Röhrchens an- standslos ausführbar. Entfernt man nach dem Nahrungeinflössen das Rohr, so legen sich die schiefen Canalwandungen aneinander und verlegen dessen Lichtung, so dass ein Herausfliessen von Mageninhalt verhindert wird. Wenn nun auch in der Praxis das Ideale der Theorie nicht immer erreicht wird, so muss diese Methode der Gastrostomie immerhin als eine vorzügliche empfohlen werden. Mariredel und Schnitzler bilden den Schiefcanal in den Schichten der Magenwand selbst; ersterer incidirt der Länge nach serosa und muscularis, durch- bohrt an dem einen Ende des Schnittes die mucosa behufs Einfüh- rung eines dünnen Gummirohres, über welches dann serosa und mus- cularis wieder vernäht werden; Letzterer bahnt den schiefen Drain- canal durch stumpfe Unterminirung der serosa und muscularis, nach- dem er das Drain in die Magenhöhle gebracht. Der einzige Vortheil dieser Methoden vor der TF/fre/' sehen wäre nur der, weniger Magenwand zu bedürfen, ein Umstand, der bei kleinem contracten, oft schwer vorziehbarem Magen, allerdings der Berücksich- — oS5 — tigung bedarf. Frank hatte den Einfall die Fistelöffnung höher als das Niveau des Magens anzulegen: er durchtrennt die Bauchdecken mittelst eines dem Rippenbogen parallel geführten Schnittes, zieht eine 3 bis 1 Centimeter hohe Kuppe der vorderen Magenwand heraus und heftet deren Basis sorgfältig mittelst Ringnaht an das parietale Bauchfell. Zur leichteren Manipulation empfiehlt es sich, an der Kuppen- spitze eine Fadenschlinge als Haltband anzulegen. Sodann wird am Rippenbogen selbst etwa 3 Centimeter oberhalb des Laparotomie- schnittes und parallel zu diesem eine kleine Incision durch die Haut geführt, die derartig umschnittene Hautbrücke stumpf unterminirt imd nun die Magenkuppe mittelst des Leitbandes durchzogen, worauf deren Spitze an die Haut vernäht und zur Fistelanlegung verwendet wird. Die Laparotomiewunde vrird vollends verschlossen. Man bildet sonach eine winkelig aufsteigende Fistel. Leider stellt sich die Durch- lässigkeit für den Mageninhalt in Bälde wieder ein. Kader legt nach Mteet'scher Art eine senkrechte Magenfistel an (Fig. 165 a 6 c). Fontan endlich legt die senkrechte Magenfistel in anderer Weise an; er zieht nach Spaltung der Bauchdecken die Magenwand mittelst einer Klemme zapfenförmig vor, vernäht die Basis circular sicher mit dem Bauchfell, während die Klemme hängen bleibt, durchlöchert dann die Magenwand entsprechend der geklemmt gewesenen Spitze, führt ein dicht passendes Rohr in den Magen und stülpt endlich den vorstehenden Zapfen sammt Rohr nach innen zu ein, worauf die serösen Wandungen des Trichters durch einige Nähte gegenseitig vereinigt werden, bis auf die Lichtung zur Passage des Drains. Es entsteht dadurch ein senkrechter, in den Magen vorspringender Gang wie bei der Methode von Kader. Pylorusresection. Die Ausschneidung des pylorus kann sowohl partiell als auch in toto vorgenommen werden; die partielle Excision wird ihre Anzeige nur bei Ulcus ventriculi rotundum finden, sei es wegen einer dadurch bedingten beschränkten Narbenstenose, sei es wegen sonst unstillbarer Blutung aus dem Geschwürsgrunde, sei es endlich, Avie Rydygier vorschlägt, nach erfolgter Perforation in die freie Bauchhöhle. Die totale Excision wird ausgeführt bei circulären Narbenstenosen und bei Carcinoma pylori, wenn das Neugebilde noch isolirt den Magen- pförtner einnimmt, nicht zu grosse Ausdehnung gewonnen und nicht bereits auf die Nebenorgane: pancreas, hepar und colon, übergegriffen hat; ferner wenn nicht schon die Lymphdrüsen der Omenta und der regio retroperitonealis miterkrankt sind. Das Uebergreifen des Pj'lo- ruskrebses auf das parietale Bauchfell gilt nach Wölßer nicht als ab- solute Contraindication. Dass in der Entscheidung, ob zu reseciren sei oder nicht, auch der Allgemeinzustand des Kranken eine grosse Rolle spielt, versteht sich wohl. Die Diagnose, ob ein Pyloruskrebs überhaupt noch excidirbar sei oder nicht, lässt sich bei intacten Bauchdecken selbst in tiefer Narcose nicht immer mit Sicherheit stellen und kann erst durch Laparotomie, directe Besichtigung und — 584 — Betastung entschieden werden. Ja es genügt beiweitem nicht immer die vordere Wand des pylorus allein zu betasten, denn die wichtigen Verwachsungen mit dem pancreas und das Vorhandensein von car- cinös geschwellten Retroperitonealdrüsen lässt sich nur durch Ein- dringen hinter das Omentum majus et minus sicher constatiren. c. Hacker räth hiefür, das Netz an der grossen und kleinen Curvatur in senkrechter Richtung stumpf zu trennen, an Stellen, welche nach ihrer Durchscheinbarkeit als gefässlos erkennbar sind und durch diese Lücken den Finger zur Hinterwand des Magens behufs sorg- samer Betastung einzuführen. Die erste totale Resection des pylorus wurde 187i» durch Ptan ausgeführt, die zweite 1880 durch Rijdrigier; beide gingen letal aus, die erste am fünften Tage, die zweite nach zwölf Stunden; erst Billroth hatte 1881 den ersten Erfolg. Die erste partielle Resection oder Excision eines Magengeschwüres gelang Czerny 1882. Die Technik der einfachen Excision eines Magengeschwüres kann sich verschieden gestalten, je nach dem Verhalten der äusseren Magenwand, beziehungsweise der Tiefe des Ulcus. Ist letzteres seicht und die betreffende Magenwand noch relativ erhaltbar, so schält man nach Ausführung der Gastrotomie einfach die erkrankte Schleimhaut- partie aus der verdickten Magenwand heraus und verschliesst nach gestillter Blutung die Wunde durch Gastroraphie. Wäre die einfache Ausschälung wegen nicht genügender Dicke der Wandung unaus- führbar, so müsste durch eine elliptische (Czerny) oder keilförmige (Billroth) Excision aus der ganzen Dicke der Magenwand abgeholfen werden, worauf die Defectränder gegenseitig vernäht werden; wo- möglich erhalte man dabei die Continuität der grossen Curvatur. Die Technik der totalen Pylorusresection lässt sich in drei Opera- tionsstadien trennen: die Isolirung des zu excidirenden pylorus, die Abtrennung des Krankhaften, und schliesslich die Wiedervereinigung des Magenrestes mit dem Zwölffingerdarm. Bevor die benannten Acte einzeln zur Sprache kommen, muss erwähnt werden, in welcher Weise die Laparotomie auszuführen sei. Diesbezüglich sind zwei Verfahren möglich: jenes von Pean und Rydygier, welche die Trennung der Bauchdecken in der linea alba, vom Schwertfortsatze bis zum Nabel empfehlen, und jenes von Billroth, welcher Quer- oder Schrägschnitte vorzieht, weil sie eine bessere Zugän glich keit gewähren sollen und man dabei den Vorfall der Därme viel leichter verhüten kann, ab- gesehen von der grösseren Leichtigkeit, womit man etwa bestehende Verwachsungen mit dem parietalen Bauchfelle zu durchtrennen ver- mag, wenn man direct auf den pylorus incidirt. Die Höhe und Rich- tung des Schnittes entsprechen dabei genau dem jeweiligen Stande des Pförtners und der dort tastbaren Geschwulst (bei Carcinomen). Ist die Bauchhöhle offen, so untersucht man zunächst genau, ob die Pylorusresection überhaupt ausführbar ist — also einen wie grossen Bezirk das Neugebilde einnimmt, ob Verwachsungen mit den Nachbar- organen vorliegen, und ob man diese anstandslos trennen könne. Liegt keine Möglichkeit vor, die Operation zu Ende zu führen, so betrachtet man den gemachten Eingriff entweder als Explorativlaparotomie und vereinigt die getrennten Bauchdecken, oder man stellt auf eine andere, später zu beschreibende Art die gestörte Canalisation wieder her. — 585 — Entschliesst sich der Operateur zur Pj^lorusresection, so schreitet er zunächst zur Isolirung des zu excidirenden Pförtners durch Ablösung des kleinen und des grossen Netzes. Zuerst trennt man nach Vor- ziehung des Magens in den Wundspalt, dessen Verbindung mit dem Colon transversum. Da im grossen Netze die Verästelung der arteria meseraica liegt, muss die quer durchzutrennende Strecke partienweise doppelt ligirt werden, bevor man die Continuitätstrennung zwischen je zwei Ligaturen vornimmt. Es wird das Netz nahe der Curvatur, an jenen Stellen wo keine Gefässe vorliegen, mit einer geschlossenen Pincette durchbohrt und durch je zwei Bohrlöcher Doppelfäden ge- zogen, die man in einiger Entfernung voneinander einzeln knüpft und derart als Massenligaturen benützt. Die Trennung zwischen den Liga- turen erfolgt mit einer Schere oder mit dem Thermocauter. Das grosse Netz darf nur in jener Ausdehnung abgetrennt werden, die dem zu resecirenden Abschnitte genau entspricht, ja nicht über diese Grenze hinaus ; denn wie Lauenstein, Kilster u. A. es unliebsam erfahren haben, Fig. 166. ist die Abtrennung des Netzes insofern nicht ohne Gefahr, als durch den Gefässabschluss im arteriellen Gebiete die Ernährung des colon transversum derart leiden kann, dass Inanitionsgangrain sich einstellt und das ganze Colonstück, welches dem durchtrennten Netze ent- spricht, abstirbt. Dass die Gefahr dieser Gangraina coli um so immi- nenter sich gestaltet, in je weiterem Umfange man das Netz durch- trennt und jenäher dem colon selbst man es zu thun gezwungen ist, dürfte wohl klar sein. In ganz gleicher Weise wird sodann das kleine Netz an der curvatura minor abgetrennt. Begegnet man während dem Ablösen des Netzes in diesem vergrösserten Lymphdrüsen, so müssen diese jedes- mal mitentfernt werden. Während der ganzen Operation haben warme aseptische Compressen den zu erhaltenden, später zu reponirenden Magentheil zu decken, um jede Abkühlung zu verhindern. Ist der zu resecirende Abschnitt freigelegt, so wird er vollends vorgezogen und darunter ein wohl desinficirter breiter Schwamm, eine zusammen- gelegte warme Leinwandcompresse, am besten ein entsprechend grosser, mehrfach zusammengelegter Streifen antiseptischer Gaze eingeschoben. — 586 — so dass der ganze Magenabschnitt, an welchem die Resection vor- genommen werden soll, ausserhalb der Bauchhöhle im Niveau der Bauchdecken auf der Schutzcompresse liegt und das cavum abdominis durch letztere vorläufig gedeckt und abgeschlossen wird. Die Schutz- compresse oder der Schwamm fixiren den pylorus und saugen auch das Blut oder den Mageninhalt auf. Selbstverständlich muss schon am Vortage und eine Stunde vor der Operation der Magen sorgfältig entleert, ausgewaschen und desinficirt werden, letzteres am besten mit einer lauen Lösung von Salicylsäure, 3 auf 1000 oder nach Kocher mit Emulsion von Bismuthum subnitricum 1 : 100. Nunmehr schreitet man nach erfolgter bilateraler Abklemmung zur Excision des erkrankten Theiles. Weil das Lumen duodeni ein viel kleineres ist als jenes des nach der Resection zurückbleibenden Magen- restes, so folgt die Nothwendigkeit: letzteren durch die Naht so weit zu verkleinern, bis der überbleibende Rest die Grösse des Lumen Fig. IGT. WM duodeni erreicht, so dass beide zur gegenseitigen Vereinigung passen. Man kann das duodenum entweder am oberen oder am unteren Ende des verkleinerten Magenlumen anheften, also entweder in der Verlän- gerung der grossen oder in jener der kleinen Curvatur. Ersteres Ver- fahren ist letzterem vorzuziehen, und zwar umsomehr, je dilatirter der Magen jeweilig ist, denn bei der Vereinigung am oberen Ende würde der- unten "vernähte Magen einen Blindsack bilden, welcher als todter Raum die Ingesta nicht fortschaffen könnte, wogegen die Vereinigung am unteren ^Ende in gleicher Flucht mit der curvatura maior, "eine ungestörte Ueberleitung der Nahrungsstoffe aus dem Magenreste in den Darmcanal sichert (Fig. IGG). Für gewöhnlich durchschneidet man den Magen in schiefer Richtung von links oben nach rechts unten; würde jedoch die Aus- dehnung des Neugebildes entlang der curvatura maior die an- gegebene Schnittrichtung nicht gestatten, ohne Gefahr den Längsdurch- messer des Magens allzu sehr zu reduciren und die Vereinigungs- möglichkeit mit dem duodenum zu beeinträchtigen, so könnte auch in senkrechter Richtung resecirt werden oder in der Weise wie es — 587 — Fig. 167 zeigt, wobei die Verkleinerung des Magenlumen an zwei Stellen oben und unten in verkehrt schräger Richtung erfolgt und die Insertion des duodenum in der Mitte vollzogen wird. Der Magen darf ebenso wenig als das duodenum in Einem Zuge abgetrennt werden; einerseits wäre dabei die Blutung zu stark, andererseits würden die resecirten Enden auseinander weichen und das nicht fixirte centrale möglicherweise in die Bauchhöhle zurückschlüpfen können. Man geht also derart vor, dass zunächst der zi^resecirende Abschnitt mit einer Klemmzange gefasst und durch einen Assistenten gespannt wird, worauf der Operateur in entsprechender Entfernung von der Grenze des Krankhaften, an der kleinen Curvatur mit der Schere eine Magenfalte durchtrennt, den Magen eröffnet und nun mit weiteren Scherenschlägen die Wan- dungdurchschneidet; nach Fig. 168. i^lppÄ^herenschlage wird ^usirt, um alle blutenden Wandgefässe sofort mit Sperrpincetten zu fassen und jene am zurückbleiben- den Magenlumen mit fein- ster antiseptischer Seide zu unterbinden. Vor der Eröffnung des Magens ist es nothwendig, central- wärts von der Schnittebene durch Zusammendrücken der Magen «'ände dessen Lichtung provisorisch zu schliessen, um das Aus- fliessen des Mageninhaltes — trotz Ausspülung, Des- infection und Heberwir- kung bleibt bei stärkerer Dilatation etwas vom In- halte zurück — möglichst zu verhindern. Der Ab- schluss kann bewirkt wer- den entweder durch die Hände eines verlässlichen Assistenten oder durch Compressorien, deren Verwendung zwar sicherer, aber insofern schädlicher sein kann, als eine Quetschung der gedrückten Theile immerhin möglich ist. Rydygier benützt platte Eisenstäbchen, welche mit einem Gummimantel überzogen sind; eines wird hinter, das andere vor den Magen in paralleler Richtung gestellt und beide correspondirenden Enden gegenseitig durch Gummifäden verbunden, so dass die Compression eine sehr elastische ist iFig. 1<>8 «). Heinekc empfiehlt schmale, etwas gekrümmte Stahlbügel, welche an beiden Enden geschlitzt sind (Fig. 168 h). Legt man diese mit der con- vexen Fläche hinter die zu comprimirenden Magen- oder Darm- theile und klemmt in den Spalten ein gespanntes Gummirohr ein, so wird eine gleichfalls elastische, sehr sichere Absperrung erzielt. Das Umbinden des Magens mit Gummi- oder mit Seidenfäden (Czerny, — 588 — Schede), mit antiseptischen Gazestreifen (Billroth) comprimirt circulär, was wohl weniger Vortheil bieten dürfte und auch weniger Sicher- heit, indem sich der Magen oder der Darm dabei in Falten legen muss und flüssiger Inhalt durch sie leichter durchsickern kann, als wenn plattgedrückt wird. Auch Gussenlmter und Kocher haben Com- pressorien angegeben. Billroth lässt durch Assistentenhände comprimiren und saugt den Mageninhalt mit eigens hierzu bestimmten Schwämmen auf, welche vom Magenlumen aus in die Magenhöhle eingeschoben werden, wofür der Assistent mit der Compression momentan so weit nachlässt, dass der Schwamm eben eingeschoben werden kann; ist der ganze Inhalt aufgesaugt und der Schwamm entfernt, so werden schliesslich die Magenwände noch mit einem zweiten desinficirten Schwämme abgewischt. Sofort nach der partiellen Abtrennung des pylorus wird von der kleinen Curvatur zur grossen der Magen- verschluss begonnen mittelst zweireihiger Gastroraphie: an der Vor- derwand des Magens führt man die Nadel von der serosa zur Wunde, knapp vor der Schleimhaut; an der Hinterwand umgekehrt von der Wunde, knapp hinter der Schleimhaut, zur Serosafläche, in der Ent- fernung von etwa 1 Centimeter vom Wundrande. Die einzelnen Nähte müssen dicht aneinander liegen — nicht mehr als 5 Millimeter Distanz. Dieser, direct die Wundränder und die Serosaflächen auf Centimeterbreite vereinigenden Nahtreihe, deren Fäden oberhalb der Knoten kurz abgeschnitten werden, legt man eine zweite Nahtreihe nach Leviherf Qchem Typus auf, mit der Vorsicht, dass die Faden- schlingen der oberen Reihe den Zwischenräumen der unteren Naht- reihe entsprechen. Die Fäden der oberen Nahtreihe werden nicht kurz abgeschnitten, sondern vorderhand lang belassen, da sie zur Fixirung des Magens dienen sollen, wenn die Abtrennung des pylorus vollendet wird. Nachdem die eben geschilderte Verschlussnaht des Magenlumen fertig angelegt und von letzterem nur so viel übriggeblieben ist, als zur Insertion des duodenum nothwendig däucht, beendet man mit der Schere die Abtrennung des erkrankten Pförtners vom Magen. Nach Stillung der Blutung an den Wundrändern des Magenlumenrestes wendet man sich nunmehr zum duodenum und schneidet von diesem nach vorgängigem manualen oder instrumentalen Verschlusse den pylorus ab, in einer, dem Abtrennungsschnitte im Magen parallelen Richtung, eventuell mit einem Theile des Zwölffingerdarmes, falls das Carcinom schon dahin übergegriffen hätte; nur die Insertionsstelle des ligamentum hepato-duodenale darf nie überschritten werden. Wäre die Besorgniss vorhanden, dass wegen zu grosser Spannung das duodenum entschlüpfen könnte, wenn es in Einem Tempo durch- schnitten würde, so kann man vor der gänzlichen Abtrennung der letzten Brücke, am freien Wundrande einige jener Fäden einführen, welche später zu seiner Anheftung an den Rest des Magenlumen dienen sollen; auch diese werden knapp an der Schleimhaut ein- und an der Serosafläche, 1 Centimeter vom Wundrande durchgeführt. Als letzter Operationsact folgt die Insertion des duodenum an das ver- kleinerte Magenlumen. Man beginnt die Ringnaht zunächst an der hinteren Wand des Magens und des duodenum und .führt dortselbst die Fäden am zweckmässigsten von innen aus ein: es wird mit der 58y — Fio;. ir.o. Nadel zunächst am Magen zwischen mucosa und muscularis ein- und an der serosa, 1 Centimeter vom Wundrande ausgestochen, worauf der Faden nachgezogen und die Nadel am duodenum an der serosa ein- und knapp am Rande der mucosa herausgeführt wird. Bei dieser Art zu nähen gelangen die Knoten an die Innenfläche, unmittelbar unter die Schleimhaut. Die Ringnaht an der Vorderwand wird von aussen her angelegt, natürlich mit gleicher Technik und nur mit dem Unter- schiede, dass die Knoten an der Aussenseite bleiben über der serosa. Ist die Ringnaht richtig angebracht, so legen sich die Ränder der mucosa von selbst aneinander, da sie in Folge Retraction der mus- cularis etwas vorgestellt bleiben, und bedecken die Vereinigungsnaht. Wö^fler empfiehlt zur grösseren Sicherheit auch die Mucosaränder durch Knopfnähte zu vereinigen, um die Occlusion noch vollständiger zu gestalten; dabei wird an der Rückwand die Naht der mucosa oberhalb der vorher angemachten hinteren Hälfte der Ringnaht an- gelegt, während an der Vorder- wand zunächst die Mucosaränder vereinigt werden müssen, bevor die Ringnaht fertiggestellt wird; natürlich liegen die Knoten der Mucosanaht an der Rückwand vor der mucosa, also innerhalb der Magendarmlichtung, jene an der Vorderwand hingegen submucös. Die Ringnaht muss einen ganz hermetischen Abschluss bewirken, weil sonst Magencontentum in die freie Bauchhöle sickern würde, mit folgender wohl letaler Peri- tonis ; es ist daher zur grösseren Sicherheit empfehlenswerth, nach beendeter Vereinigung wenigstens an allen jenen Stellen, wo die Ein- pflanzung grössere Schwierigkeiten bereitete, so namentlich am Zu- sammenflusse der Occlusionsnaht mit der Ringnaht und etwa an der Vorderwand, noch einige Lemhert'sche Supplementärnähte anzumachen. Sind alle Nähte correct angelegt und die Nahtverbindungen sorgsamst revidirt, so -wird das Operationsplanum gereinigt, die Schutzcompresse vorsichtig entfernt und die Bauchdecken theils mit Etagennähten, theils mit einigen Platten geschlossen. Das Drainiren der Bauch- wunde ist nicht nur überflüssig, sondern störend. Die Länge des resecirten Stückes kann bis zu 2u Centimeter betragen, ohne die Einpflanzung des duodenum an das verkleineVte Magenlumen unmög- lich zu machen. Kocher führt die Resectio pylori derartig aus, dass er die Ab- setzungsfläche des Magens vollständig vernäht und jene des duo- denum in eine frisch angelegte, entsprechend grosse Schnittöffnung an der hinteren Magenwand einnäht (Fig. 1<;9). Da hierbei nur circulär genäht und Winkelbildungen vermieden werden, ist die — 590 — Sicherheit des Nahtverschlusses eine grössere. Er benennt sein Ver- fahren Gastro-Duodenostomie. VI. Gastro-Enterostomie. Diese segensreiche Operation bezweckt die Herstellung einer neuen directen Verbindung zwischen Magen und Dünndarm mit Ausschaltung der regio pylorica und des duodenum. Im Allgemeinen ist diese Operation berufen, die Resectio pylori zu ersetzen, wenn diese nicht ausführbar ist, oder wenn ausgeführt eine nachträgliche Vereinigung des duodenum mit dem Magenreste wegen übergrosser Spannung nicht gelingt. Aber auch bei ulcus ventriculi und beiEctasien findet sie Anwendung. Es handelt sich darum, eine ge- nügend weite Intercommunication herzustellen zwischen dem Magen einer-, und einer thunlichst hohen Jejunumschlinge andererseits; letztere muss sich ohne jedwede Spannung oder Zerrung an den Magen bringen lassen; dieser Umstand bildet die alleinige Directive für den Operateur. Man geht so vor, dass man nach ausgeführter Laparotomie zunächst grosses Netz und colon transversum emporhebt und nach oben zu umschlägt, worauf in der Tiefe die plica duodeno jejunalis sichtbar wird: an ihr beginnt das jenunum. Von diesem Punkte aus verfolgt man die Jejunumschlingen, bis man zu einer gelangt, die dank des langen Mesenteriums sich leicht an die Magen- gegend führen lässt. Es gibt nun drei verschiedene Wege, welche man die Jejunumschlinge durchlaufen lassen kann, um den Magen zu erreichen ; zwei davon führen zur vorderen, einer zur hinteren Magen- wand. Wölßei- leitet die Schlinge von hinten nach vorne in einem Bogen, der Netz und Quercolon umfängt, Courvoisier durchlöchert das mesocolon und führt durch die künstlich gebahnte Lücke also auf einem viel kürzeren Wege die Jejunumschlinge zur vorderen Magenwand, v. Hacker endlich befestigt die Schlinge an die hintere Magenwand. Entsprechend diesen Methoden wird auch die jeweilige Länge der auszuschaltenden Dünndarmschlinge eine verschiedene sein, entsprechend der Länge des zu durchmessenden Weges. Die Schlinge muss am Magen derart inserirt werden, dass der abfüh- rende Schenkel die Richtung der Magenperistaltik habe, auf dass im Abgange des Mageninhaltes keine Schwierigkeiten erwachsen. Ferner ist es nothwendig, dass der Inhalt der zuführenden Jejunum- schlinge frei in die abführende Schlinge könne, und nicht zurück in den Magen gelange, da er die Excrete der grossen Bauchdrüsen^ Leber und Bauchspeicheldrüse enthält, welche zur Verdauung nothwendig sind. Alle diese Momente sind von allergrösster Be- deutung; wir wollen nun die ursprüngliche erstausgeführte Methode von Wölßer näher beschreiben. Die Fig. 170 versinnlicht eine Gastroenterostomia autecolica. Die herausgehohlte Jejunumschlinge wird zuvörderst mit den Zeigefingern und Daumen beider Hände leer gestrichen und an den Grenzen- proviso- risch abgebunden, um das Einfliessen frischen Darminhaltes zu verhin- dern. Wichtig ist, das centrale und periphere Ende der Schlinge genau kenntlich zu machen, am besten dadurch, dass man die Abbindungs- fäden an einem Ende einfach, am anderen doppelt nimmt. Zum — 591 — Fis. ITO. Abbinden dienen sterilisirte dicke Baumwollfäden und geht man so vor, dass am Mesenterialansatze an Stellen, wo keine Gefässe verlaufen, eine anatomische Pincette durch das Mesenterium gestossen wird, welche beim Zurückführen den erfassten Faden nachzieht. Ist die Schlinge derart leergestrichen und in weiter Entfernung doppelt abgebunden, so muss sie zunächst so nach rechts gedreht werden, dass der abführende Schenkel etwas schräge zur Verlängerung der Magenachse zu liegen komme. Die Anheftung an die Magenwand erfolgt am zweckmässigsten in etwas schräger Richtung von links oben nach rechts unten. Ist nun die Jejunumschlinge an Ort und Stelle gebracht, so reponirt man alle sonst vorgefallenen Därme und deckt alles mit sterilen warmen Compressen zu, so dass nur das Operationsplanum allein entblösst bleibt. Nun fixirt man durch zwei an den Endpunkten der Nahtebene durch Darm und Magen geführte, Serosa muscularis-Nähte die Darmschlinge an die vordere Magenwand und gewinnt an ihnen sichere Halte- und Span- nungszügel. Die anzulegen- de Intercommunicationsöff- nung muss, um gut zu functioniren, mindestens einen Längsdurchmesser von 4: Centimeter besitzen, die gedachten Fixirungs- nähte mögen daher immer- hin <5 Centimeter voneinan- der stehen. Nun schneidet man vorsichtig die serosa und einen Theil der mus- cularis am Magen sowohl als auch an der anliegenden freien Darmfläche vorsichtig ein, durch zwei parallel lau- fende, etwa 4 Centimeter lange Schnitte: die mucosa darf dabei nicht verletzt werden, isolirten Knopf- oder mittelst fortlaufender Naht werden die zwei entsprechenden Darmmagenwände in der Breite von etwa ^ 4 Centi- meter aneinander geheftet, wofür man die Nadel am Darme vom Schnittrande ein- und durch serosa und muscularis ^.j Centi- meter weit nach aussen aussticht, am Magen wieder umgekehrt vorgeht. So befestigt man durch sichere gleichmässig liegende Nähte den" Darm am Magen an der einen Seite — innere sero-muscularis — und kann nun zur Eröffnung der lumina beider schreiten. Um den Darm braucht man sich nicht weiter zu kümmern, er ist entleert und abgebunden, des Magens aber, obwohl leer und ausgewaschen, muss man sich doch versichern und lässt durch Gehilfenhände etwas weiter vom Operationsfelde ab, die Magenwandungen comprimiren. Die Eröffnung der Magendarmhöhle wird jederseits der erstangelegten Nahtlinie mit Messer und Schere vollzogen, mit Vorsicht jene ja nicht zu verletzen. Magen- und Darmostium werden sodann mit Tupfern getrocknet und gereinigt und nun eine fortlaufende Schleim- Mit — 592 — hautründernaht aiiuelegt, welche die Schleimhaut des Darmes mit jener des Majj:enö im Kreise vereinigt, entsprechend der herzustellen- den Intercommunication. Nun wird die äussere sero-musculäre Naht sorgfältig angelegt und nach Beendigung derselben revidirt und noch einige sero-musculäre Nähte nach Bedarf beigegeben. Der technische Vorgang bei der Gastro enterostemia posterior oder retrocolica ist der gleiche, nur mit dem Unterschiede, dass Netz, Colon und Magen vorgezogen und nach oben gelegt bleiben müssen, und man erst die hintere Magenwand durch Längstrennung des mesocolon transversum an der Stelle, wo dieses der hinteren Magenwand anliegt, freigelegt werden muss. v Backer befestigt die Ränder des Schlitzes mit einigen Nähten an die hintere Magenwand, und führt innerhalb des so gebildeten Rahmens die Operation aus. Wenn man einen Darm im Verlaufe seiner Continuität am Magen befestigt, so resultirt eine mehr minder prononcirte Winkel- stellung desselben, wodurch es innerhalb seiner Lichtung zu einer Art Sporenbildung kommt. Entspricht der Sporn der Magenöffnung, so kann dieser dem Abflüsse des Mageninhaltes sich störend in den Weg stellen und gleichzeitig die Entleerung des zuführenden Schenkels in den Magen fördern, Momente, welche im Stande sind, den Erfolg der Operation in Frage zu stellen. Zur Abwendung dieses Uebel- standes sind mehrere Verfahren empfohlen worden, unter denen die Combination der Gastroenterostomie mit einer Enteroanastomose zwischen beiden Schenkeln der Jejunumschlinge, wie sie Braun in Vorschlag brachte, das sicherste und beste sein dürfte. Ich pflege den Darmwinkel hoch nach oben zu verlegen, weit vom neuangelegten Magendarmmunde, einfach dadurch, dass ich die zuführende Schlinge in längerer Strecke oberhalb der Anastomosenstelle durch Nähte an die Magenwand befestige, ein Verfahren, welches einfach und leicht ist und mich bisher befriedigt hat. Von den übrigen technischen Varianten der Gastroenterostomie-Operation wird später die Rede sein. In jenen traurigsten Fällen, in denen nach eröffnetem Unterleibe die Ausbreitung des Neoplasma derart sich erweist, dass eine Gastro- enterostomie unthunlich erscheint, bleibt nichts anderes übrig als am Dünndarme eine Fistel anzulegen, um durch diese dem drohenden Hungertode vorzubeugen. Unnöthig zu betonen, dass nur das Jejunum, und zwar die höchst erreichbare ohne Spannung an die Bauchdecken zu bringende Schlinge hiefür gewählt werden muss. Man bezeichnet die Operation als Jejunostomie. Als beste Methode gilt die von Witzel hiefür angegebene, dieselbe, die er für die Gastrostomie empfohlen hat, also die Bildung einer schrägen durch Dupplicaturen der ganzen Darmwanddicke hergestellten Fistel. Diese erlaubt sowohl den Ein- guss von Nahrung als auch den Abfluss der vom centralen Theile abfliessenden Verdauungssecrete. Viel umständlicher und technisch schwieriger sind die Operationsverfahren von Maydl, der die hervor- gezogene Jejunumschlinge entzwei schneidet, das centrale Lumen durch laterale Apposition mit der Continutät des abführenden Darmes zur Anastomose bringt, während das periphere Lumen an die Bauchdecken vernäht wird, und jenes von Albert der die Schenkel der Ileumsschlinge durch Enteroanastomose verbindet und die Kujope der Schlinge unter einem Hautbrückenlappen durchzieht ähnlich der Gastrostomie nach — 593 — Frank. Neuester Zeit ist Schlauer die Lösung des Problems gelungen, den ganzen Magen zu exstirpiren. Das duodenum wurde quer ver- schlossen und sodann eine 30 Centimeter von der plica duodeno- jejunalis gelegene Jejunumschlinge mit dem untersten Ende des Oeso- phagus zur Anastomose gebracht, also eine Oesophagoenterostomie ausireführt mit ausnehmend günstigem Erfolge. VII. Enterotomie. Um die Analogie der bisher für die Operationen am Magen gewählten Terminologie auch für d^n Darmcanal auf- rechtzuerhalten, wollen wir unter Enterotomie vorderhand bloss die temporäre Eröffnung einer Darmschlinge behufs Entfernung eines dortselbst fixirten, auf andere Weise nicht extrahirbaren Fremd- körpers verstehen. Zumeist indiciren voluminöse Fremdkörper diese Operation, welche vom Mastdarme aus theils spontan, theils in Folge missglückter Extractionsversuche in das S romanum oder colon ge- langten und alldort stecken blieben, oder grosse Gallensteine, welche auf ulcerativem Wege in den Darmcanal gelangen. Die Operation besteht in der Spaltung der Bauchdecken an geeigneter Stelle, Auf- suchung des betreffenden Darmabschnittes, Hervorziehung desselben, Incision unter sorgsamer Verhinderung des Kothausflusses in die Bauchhöhle, Entfernung des Fremdkörpers, Naht verschluss, Reposition nach sorgsamer Reinigung, etwa Toilette des Bauchraumes und Bauch- naht. Wenn auch seltener, so finden sich auch Fremdkörper in Ente- rocelen, so Knochenstücke Gallensteine, Fruchtkerne etc. ; verhindern diese die Reduction der Darmschlinge, so bleibt nicht anderes übrig, als den vorgelagerten Darm zu spalten und nach Extraction des Fremdkörpers genau zu vernähen. Ja selbst Kothanhäufungen, welche bei gleichzeitigem Meteorismus die Rücklagerung der vor- gelagerten Darmschlinge nach gemachter Herniotomie oder Laparoto- mie vereiteln, würden, falls die Aspiration nicht zum Ziele führt, die Eröffnung einer Schlinge behufs Entleerung des Darminhaltes indi- ciren können. Die Enterotomie wird mit dem Messer vorgenommen und der Schnitt parallel zur Achse des Darmes möglichst klein ge- macht. Zur Incision wähle man stets die geeignetest scheinende Stelle der freien Darmwand, nie schneide man am Ansätze des Gekröses oder in dessen unmittelbarer Nähe ein. VIII. Enterostomie. Die dauernde Eröffnung des Darmes behufs künst- licher Herstellung einer Darmfistel findet ihre Anzeige bei sonst nicht behebbarer, acut oder chronisch zu Stande gekommener Occlusion im Darmtracte. Die künstliche Fistelbildung kann entweder eine Inter- cornmunication zweier voneinander entfernt liegender Darmschlingen betreffen, etwa analog der Gastroenterostomie, wobei die für die Fortleitung untaugliche Darmpartie ausgeschaltet wird und die Darm- rohre ober- und unterhalb des bestehenden Hindernisses in directe V. Mosetig-Moorhof: HandbucU d. chirurs. Technik. 4. Aufl. 38 — 594 - Verbindung gebracht werden, oder es wird dem oberhalb des Hinder- nisses gelegenen Darmtracte ein Ausweg durch die Bauchdecken nach aussen geschafft. Erstgedachte innere Enterostomie oder Enteroanasto- mose müsste mutatis mutandis ganz nach der Technik der Gastro- enterostomie ausgeführt werden. Die erste erfolgreiche Enteroanasto- mose wurde von Billroth ausgeführt; sie findet ihre Anzeige in allen jenen Fällen von Darmstenose, in denen man nach ausgeführter Laparo- tomie zur Ueberzeugung gelangt, dass wegen zu ausgedehnten Ver- wachsungen von Darmschlingen untereinander, wegen ausgebreiteten Neubildungen bei sehr herabgekommenen Individuen, endlich bei Narbenstricturen mit ausgebreiteter peritonischer Verwachsung eine Resection der betroffenen Darmabschnitte nicht ausführbar ist. Auch penetrirende, durch Geschosse veranlasste Verletzungen aneinander liegender, sich gegenseitig berührender Darmschlingen können als Anzeige dienen. Damit Fäcalmassen nicht weiter in die ausgeschaltete Schlinge hineingelangen, dürfte es in einzelnen Fällen angezeigt er- scheinen, die Einmündung des auszuschaltenden Darmrohres zu ver- engern, was etwa durch Vernähung von Längsfalten bewerkstelligt werden kann. Derartig durch Anastomosenbildung hergestellte Darmaus- schaltungen bezeichnet man als incomplete zum Unterschiede von com- pleten Darmausschaltungen, bei denen der jeweilig erkrankte Theil voll- ständig aus seinem Zusammenhange mit dem übrigen Darme getrennt wird aber im Organismus verbleibt; entfernt man den erkrankten Theil aus dem Organismus, so nimmt der operative Act den Namen einer Darmresection an. Bei der completen Darmansschaltung kann der an Ort und Stelle verbleibende erkrankte Darmabschnitt auf ver- schiedene Weise versorgt werden. Das ideale Verfahren besteht darin, dessen Enden zu verschliessen und das Ganze als nunmehriges Caput mortuum in die Bauchhöhle zu versenken. Es kann dann nach er- folgter Vereinigung des centralen und des peripheren Darmlumens untereinander, die Laparotomiewunde vollends geschlossen werden. So verführerisch dieses Verfahren auch sein möge, muss von ihm seiner grossen Gefahren wegen, welche ein vollständig abgeschlossener, septische Stoffe enthaltender und fort secernirender Darmabschnitt mit sich bringt, entschieden abgerathen werden. Es verbleiben demnach die weiteren zwei Methoden: ein ostium der ausgeschalteten Partie allein offen zu belassen und es an die Bauchdecken als Fistel anzunähen, quasi als Sicherheitsventil, während das andere ver- schlossen und versenkt wird; oder beide ostia offen zu lassen, also eine einfache oder eine Doppelfistel anzulegen. Die Wahl bleibt dem Ermessen des Operateurs überlassen; in der Regel dürfte das Ver- fahren der einfachen Fistelbildung nach Salzer den Vorzug ver- dienen. Da die Herstellung der Continuität der beiden Darmlumina der gesunden Darmabschnitte untereinander auch bei der Resection in gleicher Weise zur Ausführung gelangt, werden die dafür geeig- neten Operationsverfahren im nächsten Abschnitte zur Schilderung gelangen. Der Verschluss des einen Darmendes der ausgeschalteten Darmpartie erfolgt durch sorgfältige Naht. Vor der Lüftung der provisorisch angelegten circulären Ligatur wird das leere Darm- lumen zunächst gereinigt und sodann eine fortlaufende Naht --. 595 — der rnucosa und muscularis angelegt; sodann wird die vernähte Partie invaginirt, so dass die äusseren serösen Darmfläehen anein- ander kommen und werden diese durch isolirte oder fortlaufende sero-musculöse Nähte vereinigt; eine weitere Invagination bringt frische seröse Flächen zur Apposition, die gleichfalls vernäht werden, und so kann der Nahtverschluss in beliebig vielen Etagen ausgeführt werden, worauf der provisorische Unterbindungsfaden gelöst und die verschlossene Darmpartie in die Bauchhöhle versenkt wird. Das andere, offen zu bleibende Darmostium vernäht man einfach an die Bauchwand, und zwar so, dass Darmserosa mit parietalem Bauchfell vereinigt wird, während die mucosa an die äussere Bauchhaut ange- heftet wird. Zweckmässig ist es in vielen Fällen durch Faltenbildung die Weite des Darmlumen zu reduciren. Bei diesem Verfahren behält der Operirte eine offene Darmfistel, die aber nur einige Zeit hindurch kothigen, später nur kaum gefärbten inodoren Schleim in immer geringeren Mengen entleert, da ja der Darmabschnitt ausgeschaltet ist, und allmälig atrophirt. Die Technik der Enteroauastomosenbildung ist die gleiche wie jene der Gastroenterostomie und gelten dafür dieselben Regeln. Die beiden Därme werden mit ihren freien Flächen aneinander gebracht, sero-muscularis in entsprechender Länge vorsichtig eingeschnitten, die hintere Hälfte der sero-musculären Ringnaht angelegt, dann die Darmlumina durch Trennung der mucosa geöffnet, die mucosa cir- culär vernäht, endlich vorne die sero-musculäre Ringnaht vollendet. Zeit und Mühe braucht die Ausführung, aber wenn richtig genäht, ist der Erfolg auch sicher und daher wird diese Art zu operiren auch bleibend sein. Man hat aber auch andere Verfahren ersonnen, mit denen man schneller zum Ziele gelangt, ob auch mit der gleichen Sicherheit, ist eine andere Frage. 'Senn fixirt die geöffneten Darmrohre durch Klemmung zwischen zwei durchbohrten halbdecalcinirten Knochenplättchen, welche vermittelst vier in gleichen Abständen durchgeführten Fäden gegenseitig angepresst werden und zwischen sich die Darmwände fassen, deren seröse Flächen einander zugekehrt sind. Baracz verwendet in ähnlicher Weise Kohlrübenplatten, die leichter herstellbar sind und auch schneller durch Verdauung entfernt werden. Murphy endlich hat Metallknöpfe erdacht, deren zwei Hälften einzeln in je ein Darmlumen eingebunden, miteinander durch Feder- kraft vereinigt werden und die Lumenränder hermetisch einklemmen. Die eingeklemmten Partien verfallen der Necrose, der Knopf wird locker und fällt ins Darmlumen. Während dieser Zeit soll aber durch Adhäsionbildung organischer Verschluss beider Darmlumina einge- treten sein. Auch Modificationen des Knopfes sind schon angegeben worden von Chapiit, Frank u. A. Auf MurpJij/s orginelle und geniale Erfindung kommen wir im nächsten Abschnitte noch zurück. Die äussere Enterostomie variirt in etwas, je nach dem Darmtheile, welcher, und je nach der Localität, wo er eröffnet werden soll. Es ist selbstverständlich, dass die Ernährung des Kranken umsoweniger leiden wird, je peripherer man am tractus intestinalis den künst- lichen After anlegt, daher das Bestreben des Chirurgen stets dahin gerichtet sein soll, möglichst nahe dem Hindernisse zu operiren; immerhin ist er manchmal genöthigt, selbst am Dünndarm eine Fistel 38* 596 - anzuleiren, um die imminente Todesgefahr durch Ileus zu beschwören; er thut es dann mit der Reserve, vielleicht später günstigere Bedin- gungen zu gewinnen, um die Fistel wieder schliessen oder eine an- dere an geeigneterem Orte anlegen zu können. A. Enterostomie am Dünndarme. Im Wesentlichen besteht die Ope- ration in der Aufsuchung der durch Kothstauung am stärksten auf- geblähten, der Lage nach voraussichtlich peripherst gelegenen Darm- schlinge, in der Trennung der Bauchdecken, in der Befestigung der im Wundspalte sich vorlagernden Darmwand an die serosa der Bauch- decken und schliesslich in der Eröffnung der ovalförmig umnähten Darmwand. Die Operation ist wohl stets eine so sehr dringende, dass von einer zweizeitigen Ausführung derselben in der Regel keine Rede sein kann. Diese Nothwendigkeit, in Einem Acte vorgehen zu müssen, macht es zur Pflicht, die Befestigung der Darmwand an die Bauch- wandserosa mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen, und dies umsomehr, als das nach der Eröffnung ausströmende, das ganze Operationsfeld überrieselnde Darmcontentum besonders in- fectiöser Natur ist. Es wird sich sonach empfehlen, so vorzugehen wie bei der ein- zeitigen Gastrostomie, also nach Spaltung des Bauchfelles die Laparotomiewunde zu- nächst mit dem vorgezogenen Peritoneum parietale zu umsäumen und sodann die Darm- wand mittelst doppeltem, serosa und muscu- laris fassenden Nahtkranz daran zu befestigen. Ist dies besorgt, so reibt man die Nahtflächen mit Jodoformpulver ein, fettet die Nachbar- haut des abdomen tüchtig ein und macht in der Mitte der befestigten Darmwand mit dem Spitzbistouri oder dem Glühmesser eine kleine Incision, durch welche ein passendes, kielfederartig einige Zoll tief eingeschoben wird, damit nicht aller fliesse. Dass das Rohr richtig liege, erkennt man an dem freien Ab- flüsse des Darminhaltes durch dasselbe. Max Müller empfiehlt eine andere Befestigungsweise der Darmwand, welche darin besteht, dass man von den Nähten, welche das Peritoneum parietale an die äussere Haut befestigen, je ein Fadenende lang belässt, während das andere am Knoten abgeschnitten wird. Jedes zweite Fadenende wird sodann durch die Darmwand in paralleler Richtung zur Bauchwunde geführt und mit dem Zwischenfaden geknotet, wie es Fig. 171 darstellt. B. Enterostomie am Dickdarme. Diese durch nicht operable Neu- bildungen, Stricturen oder angeborene Defecte, beziehungsweise Atresien des Mastdarmes indicirte, auch Colostomie genannte Operation kann entweder am S romanum, am coecum oder am colon descendens vor- genommen werden, eventuell auch am colon transversum. a) Enterostomie am S romanum. Methode nach Littre. Man trennt linkerseits durch einen etwa 7 Centimeter langen, in gleicher Höhe mit der spina ilei anterior superior beginnenden Schnitt, der parallel zum und, am Erwachsenen daumenbreit über dem Pou'parf sehen Bande zugeschnittenes Gummirohr in das zuführende Darmrohr Koth über die Bauchdecken — 597 — verläuft, die Bauchdecken schichtenweise durch. Nach sorgsam ge- stillter Blutung spaltet man in gleicher Länge und Richtung das Bauchfell und fixirt dessen Ränder an die äussere Haut. Man sucht das S romanum, welches sich durch seine charakteristischen haustra und Striae longitudinales leicht kenntlich macht, auf, zieht es vor, befestigt dessen vordere Wand durch exacten ein- oder zweireihigen Nahtkranz an die Bauchdecken, beziehungsweise Peritoneum parietale, und eröffnet mit Spitzbistouri oder Glühmesser entweder sofort oder, falls die Möglichkeit des Zuwartens gegeben wäre, erst am nächsten oder zweitnächsten Tage, wenn organische Verklebung der anein- ander genähten Serosaflächen schon platzgegriffen hat. Diese Operationsmethode besitzt den Yortheil der Einfachheit, sie kann ausgeführt werden selbst bei vorhandenem Meteorismus, wo andere Methoden Schwierigkeiten begegnen würden und wird stets bevorzugt, wo es sich um einen nur temporären Bestand des künst- lichen Afters handelt, da ein späterer Verschluss nach der Her- stellung normaler Abfuhr möglich ist. Handelt es sich um die An- legung eines bleibenden widernatürlichen Afters bei nicht behebbarer Occlusion des rectum, tritt beim Littre^ sehen Verfahren der Uebelstand in Betracht, dass nicht alle Kothmassen durch den neugeschaffenen Weg abgehen, sondern ein Theil davon in das erkrankte rectum ge- langt, da ja die axiale Continuität des Darmes erhalten blieb, all- dort stagniren, sich zersetzen und Reizungen, Ulcerationen und ein rascheres Umsichgreifen des Neugebildes hervorrufen. Diesbezüglich ist es also mit Recht erwünscht, den künstlichen After derart anzu- legen, dass die gesammte Kothabfuhr durch ihn allein erfolge. Bisher kannte man zwei Methoden, eine Ausschaltung des rectum zu bewerk- stelligen : einmal durch die Colotomie und ferner durch Sporenbildung. Die Colotomie besteht in der queren Durchschneidung der Flexur. Sie wurde zuerst durch il/af?e?w«^ ausgeführt : Die herausbeförderte Schlinge wird zunächst durch Verstreichen ihres Inhaltes entleert, dann doppelt abgebunden und quer durchgeschnitten, das distale Ende wird durch Invagination und sorgfältige Naht verschlossen und in die Bauchhöhle versenkt, das proximale an die Bauchwandungen fixirt. Anstatt es direct nach aussen zu leiten, wollten einige Chirurgen dasselbe auf andere Weise versorgen, und so entstanden eine Reihe von Methoden, welche den Zweck verfolgten, die Incontinentia alvi zu bekämpfen und Ersatz zu bieten für den Mangel des Sfincterschlusses. Lauen- steia trennt ein circa -20 Centimeter langes Stück des proximalen Endes vom dazu gehörigen Mesocolon und lässt es, penis ad instar an den Bauchdecken herabhängen, damit ein Druckverband besser wirken könne. Wifzel leitet es unter die Glutealmusculatur in die Sacralregion, Gleich durch eine Trepanationslücke der hinteren Beckenwand. Satis meminisse. Das Verschliessen und Versenken des distalen Stückes hat den Nachtheil, dass im rectum Darmsecrete und Zerfallsproducte sich ansammeln, welche in Folge aufgehobener Peristaltik und fort- wirkenden Sphincterverschlusses dort verweilen und ähnliche Nach- theile hervorrufen wie etwaige Kothpartikeln. Mit Recht haben Soniienhurc] und König das Madelung^ sehe Verfahren insofern modificirt als sie die directe Anheftung des proximalen Endes an die Bauch- — 598 — decken beibehaltend, das distale nicht verschliessen und versenken, sondern, künstlich verengt, gleichfalls an den Bauchdecken ausmünden lassen, wodurch die Möglichkeit geboten wird, das rectum durch- spülen und rein halten zu können. Die Idee, mittelst Sporenbildung zu colostomiren, hat zuerst Verneuil verwirklicht. Seine Methode be- stand darin, eine Schlinge der Flexur so weit hervorzuziehen bis deren Mesenterium sichtbar wird. Durch das Mesocolon wurden zwei Acu- puncturnadeln geführt, welche auf den Bauchdecken reitend die Schlinge fixirten; nach Umsäumung der Schiingenbasis mit parietalem Bauchfell wurde sodann in der Regel in zwei Zeiten durch Excision eines fünf Francs grossen Stückes aus der vorliegenden Darmwand der künstliche After gebildet. Das fixirte Mesocolon bildete den Sporn, der die Schiingenachsen winkelig stellte und den Uebertritt von Fäcalmassen verhinderte. Der V arianten dieser Methode gibt es viele. Statt der Acupuncturnadeln nimmt MaydL Glas oder Hartgummistäbe, Albert Jodoformgazestreifen. Lanenstein vernäht die Bauchwundränder zwischen den Darmschenkeln mit Matrazennähten, welche durch das Mesocolon ziehen, Andry zieht durch das Mesocolon einen aus Haut und aponeurose bestehenden, einseitig abgetrennten Brückenlappen, den er dann wieder am Mutterboden annäht. Die Idee bleibt stets die gleiche. Frank hat seine Methode der Gastrostomie auch für die Colo- stomie vorgeschlagen nach gleicher Technik : die Flexurschlinge, wird an der Ausmündung geknickt und eine Strecke weit subcutan weiter- geführt, Wltzel zieht die Schlinge durch eine Lücke des musculus rectus und will dadurch eine Art sphincter erzwingen. Bayer schneidet in den Bauchdecken einen Schrägcanal, so dass das Peritoneum um 2 bis 3 Querfinger höher durchschnitten wird als die äussere Haut. Durch diesen längeren schiefen Weg zieht er die Schlinge vor, die sonach einen schrägen Verlauf nimmt von innen nach aussen und von oben nach unten. Natürlich, dass die Schlinge bei ihrem Verlassen der Bauchhöhle an das parietale Bauchfell durch Ringnähte befestigt wird, worauf im Verlaufe des durch Verziehen der Bauchschichten gebildeten Schrägcanales, die Musculatur an die Schlinge genäht wird und endlich die Hautränder. Bei allen Methoden der Sporenbildung muss beim Abschliessen der Bauchhöhle durch Ringnaht zwischen sero-muscularis des Darmes und peritoneum parietale stets Sorge getragen werden, dass der proximale Schlingen- theil eine weitere, der distale eine engere Umsäumung erfahre aus Gründen, die wohl keiner Erörterung bedürfen. Es ist nicht zu leugnen, dass insbesondere die letztgedachte Methode viele Vortheile für sich haben dürfte, indem die Schlingen- componenten in längerer Strecke beinahe parallel zu einander ziehen und zugleich beim Verlassen der Bauchhöhle eine Art Knickung er- leiden, insbesondere der distale Schenkel, der zugleich durch die Umsäumungsnaht verengt wird und dennoch behufs Durchspülung durchgängig bleibt, allein zu jeder Sporenbildung ist die conditio sine qua non, dass die Möglichkeit vorhanden sei, eine genügend lange Flexurschlinge entwickeln zu können. Es gibt nun aber Fälle in denen eine abnorme Kürze der Flexur mit abnormer Kürze des mesocolon besteht, welche ein Entwickeln der Flexur aus dem Ab- domen ohne Läsionsgefahr nicht zulassen. 599 Fia. 172. Man erkennt derlei gar nicht so seltene anatomische Abnormi- täten gleich nach dem Eröffnen der Bauchhöhle: während für ge- wöhnlich nach Ausführung des Litfreschen Bauchschnittes im Wund- grunde sofort die Flexur sichtbar ist, drängen sich hier Dünndarm- convolute vor, die man erst beiseite schieben muss, um hinter ihnen aus der Tiefe den Dickdarm hervorzuholen. Er gibt dem Zuge nicht leicht nach, manchmal muss man froh sein, ihn überhaupt nur etwas über das Hautniveau emporheben zu können; eine Sporenbildung ist unter solchen Verhältnissen unmöglich, eine Colotomie gewagt. Um nun in solchen Fällen auch eine Ausschaltung des rectum zu be- werkstelligen, habe ich eine Methode ersonnen, welche Colostomie mit querem Doppelwandverschluss genannt werden mag und die sich mir in bisher sechs Fällen vortrefflich bewährt hat, selbst wenn Meteorismus bestand. Die Technik ist folgende: Laparotomie an der classischen Stelle. Befestigung des Peritoneum parietale mittelst loser Knopfnaht an zwei Stellen entsprechend den Mitten der Wundränder. Vorziehen der Flexur und Abtastung dem rectum zu, behufs Constatirung des Sitzes und der Aus dehnung des Neoplasma. Unweit der Grenze, oder mindestens an der jeweilig tiefst erreichbaren Stelle der nach Thun- lichkeit vorgezogenen Flexur wird der Darm mittelst einem durch das mesocolon durchgezogenen Seidenfaden einfach ab- gebunden; der Faden doppelt geknotet und die Enden kurz abgeschnitten. Der immerhin fest geschnürte Darm wölbt seine Wandungen oberhalb der Furche auf, so dass sie sich wechselseitig berühren (Fig. 172). Man vernäht nun die Wan- dungen gegenseitig mit kreisförmig an- gelegten, in zwei Etagen supraponirten sero-muscularen Darmnähten und formirt damit im Darmlumen eine widerstandsfähige runde Doppelwand, einen Schirm, welcher nur an jener Stelle, wo der Schnürfaden die Mucosa- flächen in Gestalt von radiären Falten zusammendrängt, eine winzige, zumeist etwas excentrisch, in Folge der Mesocolonspannung, gelegene Lücke trägt. Die untere Ringnaht muss möglichst nahe dem Schnür- faden angelegt werden, damit später nicht etwa die Lücke weiter werde, auch ist Catgut zum Abbinden aus gleichem Grunde zu wider- rathen; die zweite Etage vereinigt die sich berührenden Ränder der Schnürfurche, der also verschlossene Darm wird versenkt, dann thun- lichst nahe der Verschlussstelle einfach colostomirt. Das für die Colostomie bestimmte Areal der Darmwand wird durch eine aus einzelnen quergestellten Knopfheften geformte Ringnaht an das Peritoneum parietale, dessen provisorische Anheftung an die äussere Haut gelöst wird, befestigt, wobei vom Darm die sero-mus- cularis und mit dem parietalem Bauchfell grösserer Festigkeit halber fascia transversa, ja etwas Muskelfleisch mitgefasst wird. Das Bauchfell möge etwas weiter vom Rande weg gefasst werden, so dass dieser — 600 — Fig. 173. frei bleibt und nach vollendeter Ringnaht wie eine Manschette den Darm circulär umsäumt. Dieser unteren queren Ringnaht folgt eine obere zweite, gleichfalls aus einzelnen Knopfheften zusammengesetzt, welche aber senkrecht gestellt sind. Man erfasst mit der Nadel sero- muscularis, freien Rand der Peritonealmanschette, dann freien Rand der fascia obliqui externi und bei mageren Individuen auch den Hautrand. Knüpft man die einzelnen Hefte, so wird der Hautrand eingestülpt und kommt mit der Darmwand knapp oberhalb der Peri- tonealmanschette in Berührung, so dass nach beendeter zweiter Naht- reihe und Nahtverschluss der überschüssigen Wundecken die zu er- öffnende Darmfläche wie ein Uhrglas im Rahmen nur von epidermis allein umrandet erscheint. Bei fetten Individuen mit starkentwickel- tem Hautpolster lässt die zweite Nahtreihe die Haut ausser Spiel, jedes Heft fasst dann nur Darm, Peritonealmanschette und Fascien- rand (Fig. 173). Die Eröffnung des Darmes wird sofort mit dem Thermocauter in der Achse und in der ganzen Länge des etwas schräg gestellten ovalen Areales vorgenommen; vorher mögen die Ränder des Naht- bezirkes mit Jodoformcollodium überzogen werden, welches natürlich ganz eingetrocknet haben muss, bevor man den Thermocauter in die Nähe bringt. Wird die Haut nicht in die Naht einbezogen, so verwende ich zum Decken der fetten Hautflächen kle- bende Gaze mit Collodiumüberstrich. Anstatt die Darmwand einfach zu spalten kann man aus ihr auch ein Stück ex- cidiren, wie VemPAiil es that, wenn be- sorgt würde, dass durch Granulation und Einziehung eine Verengung des künstlichen Afters erfolgen könnte. Zum Verschlusse des Afters hat sich mir eine einfache flache Pelotte mit Bruchbandfeder am besten bewährt. Wenn nun auch die hintere Wand des colon in der Regel retro- peritoneal liegt, so gibt es dennoch Ausnahmen, wobei der peritoneum- freie Längsstreifen äusserst schmal bleibt, oder das colon descendens gar eine Art mesenteriolum besitzt. Bei solchem Vorkommen wäre die extraperitoneale Methode nicht ausführbar; da man aber im vor- hinein nie bestimmen kann, welches Verhalten im speciellen Falle das Bauchfell zum colon descendens einhält, so wird es stets ge- rathener sein, die colostomia lumbaris nach der Methode von Fine auszuführen, bei welcher die vom Bauchfell überzogene seitliche Wand des Colon zur Anheftung und Fistelbildung benützt wird. Dabei führt man einen verticalen Schnitt, welcher an der Spitze der vorletzten falschen Rippe, also der elften beginnt und querfingerbreit oberhalb der crista ilei endet. Nach Eröffnung der Bauchhöhle heftet man das Bauchfell an den Rand der Haut, vernäht dann den Uebergang der seitlichen in die vordere Colonwand in die Wunde durch einen Naht- kranz und eröffnet in der Mitte. — 601 — "Wenn es sich um Ileus handelt, so entsteht die Frage: soll dagegen enterostomirt, oder soll laparotomirt werden? Hätten gegen jenes schreckliche Leiden beide Verfahren die gleiche therapeutische Bedeutung, so würde sicherlich kein Chirurg im Zweifel sein, welches von den beiden er in Ausführung zu bringen habe; jeder würde stets die Enterostomie vorziehen, da diese die Vorzüge relativ leichter und schneller Ausführbarkeit und geringer directer Gefähr- lichkeit für sich hat. Leider kommt den beiden Verfahren nicht die gleiche Bedeutung zu, und so wird man sich häufig genug genöthigt sehen der schwierigen und gefährlichen Laparotomie den absoluten Vorzug geben zu müssen. Es wird dies begreiflich, wenn man bedenkt, dass die Enterostomie nicht das vorhandene Hinderniss der Darm- passage zu beseitigen vermag, vielmehr nur den central vom Hinderniss angestauten Darmcontentis einen geeigneten Exitus verschaffen kann. Einen anus praeternaturalis anlegend, vermag sie nur den Folgen der Coprostase vorzubeugen und, falls der Ileus nur einzig und allein in einer Kothstauung begründet wäre, dadurch Heilung zu bringen, dass sie der Bildung von Drucknecrose vorbeugt. In diesem Sinne ist sie also bestimmt angezeigt in allen jenen Ileusfällen, welche einen sehr protrachirten chi'onischen Verlauf einhalten, mit starker Aufblähung des Unterleibes und ohne deutlich sichtbare peristaltische Bewegungen der ausgedehnten, an den gespannten Bauchdecken plastisch sich abhebenden Darmschlingen einhergehen. Bei stürmi- scherem, acuterem Verlaufe des Ileus handelt es sich um interne Incarcerationen; diese zu heben und dem Kranken Hilfe zu bringen ist wohl nur eine möglichst rasche Laparotomie im Stande, denn nur durch sie kann die Incarceration gesucht und, wenn gefunden, auch beseitigt werden. Immerhin muss dieser gefährliche und schwierige operative Eingriff möglichst rasch unternommen werden, und zwar um so rascher, je stürmischer die Erscheinungen des Ileus sich kundgeben, je kleiner der Puls, je ausgesprochener der Shock sich erweist, je stärkere und häufigere Peristaltik der Darmschlingen sich zeigt. Zur Laparotomie gehören aber viele Behelfe: Vorkehrungen zur Aufrechthaltung strenger Antisepsis, zur Vermeidung über- mässiger Abkühlung des Bauchfelles, gewiegte Assistenz und andere Momente mehr, die nicht immer zur Verfügung stehen; andererseits wieder können durch Zeitverlust die localen Symptome sowohl so drohend geworden und die Kräfte des Kranken so tief gesunken sein, dass die Vornahme einer Laparotomie mehr als bedenklich er- scheinen müsste. In solchen Ausnahmsfällen mag der Chirurg, um reines Gewissen zu behalten und den Kranken nicht ganz seinem traurigen Geschicke zu überlassen, getrost zur Enterostomie greifen, nicht etwa im Glauben damit alles gethan zu haben, sondern nur um Zeit zu gewinnen, um später, wenn der Kranke sich erholt hat oder seine Kräfte sich gebessert haben, nachträglich zur Laparo- tomie zu schreiten und durch Beseitigung des Hindernisses dauernde Abhilfe zu schaffen. In Fällen von acutem Ileus kann die Ente- rostomie somit nur als ein Remedium anceps aufgefasst werden. Gelingt die Laparotomie und damit die Hebung des Behinderungs- momentes, die Herstellung freier Darmpassage, dann wird als dritte — 602 — und letzte Operation die Schliessung des temporär angelegten anus praeternaturalis unternommen werden. Das gleichzeitige Bestehen einer consecutiven Peritonitis contraindicirt die Eröffnung der Bauch- höhle nicht, trotzdem die Prognose dabei viel ungünstiger wird. Die Technik der Enterostomie ist schon besprochen worden. Bei Ileus pflegt man, wie bereits Ndaton es angegeben, in der rechten regio iliaca einzudringen, wenn nicht eine andere Stelle des Unter- leibes als muthmasslicher Sitz des Hindernisses angesehen werden kann. Letzterer lässt sich manchmal durch einen gedämpften oder überhellen Percussionsschall zugleich mit dem Vorhandensein von Fluctuationsgefühl erkennen, weil eine Anhäufung von flüssigen Darmcontentis und Gasen in der Regel direct oberhalb der Verschluss- stelle stattfindet. Die Oeffnung in den Darm macht man möglichst klein, da die angelegte Fistel nur einen provisorischen Charakter hat, und kleine Oeffnungen eine eventuelle spätere Verschliessung erleichtern. In Bezug auf die Technik der Laparotomie stehen sich zwei Ver- fahren gegenüber. Nach dem einen soll man den Bauchschnitt nur so gross anlegen, als zum Eingehen mit der Hand und zur Vornahme der zur Lösung der Einklemmung unbedingt nothwendigen Mani- pulationen nothwendig ist. Es wird dann, wie Mikulicz räth, nachdem man sich durch Abtasten über den Sitz der Occlusionsstelle'orientirt hat, eine nächstbeste Darmschlinge hervorgeholt und nun von dieser Stelle aus der weitere Darm untersucht, Schlinge für Schlinge, während man die eben untersuchte Partie sofort wieder reponirt, um eine frische herauszuholen. Aus der helleren oder dunkleren Farbe der Schlingen soll man zu beurtheilen vermögen, ob man sich dem Hindernisse nähert oder diametral davon absucht. Treves und Hulke dagegen empfehlen, mit der eingeführten Hand die zusammen- gefallenen, also unterhalb des Hindernisses liegenden Schlingen auf- zusuchen und diesbehufs zunächst nach dem coecum zu greifen ; findet man letzteren stark ausgedehnt, so liegt dasHinderniss sicher im Dickdarm, gegentheiligenfalls im Dünndarme; wäre letzteres der Fall, so untersucht man centralwärts bis zur Auffindung des Hindernisses. Das zweite Verfahren, durch Kümmell angepriesen, bestellt darin, dass man einen langen Schnitt in der linea alba führt, den meteo- ristisch aufgetriebenen Darm aus der Bauchhöhle herauspackt, in warme aseptische Compressen einhüllt und nun in dem entleerten cavum abdominis das Hinderniss leichter findet und hebt. Die Schwierigkeit, die Abkühlung des Bauchfelles zu verhindern und die entleerten Därme nach behobenem Hindernisse wieder in die Bauch- höhle hineinzubringen, hat dem Verfahren viele Gegner geschaffen; doch ist KUnimeU bei seinem Verfahren der Eventration der Bauch- höhle, mit der Reposition der geblähten Schlingen dadurch schneller zum Ziele gelangt, dass er über die vorgezogenen Därme eine Ser- viette ausbreitete, deren Ränder unter die Bauchdecken möglichst weit hineingeschoben wurden. Ueber der Serviette, welche das Heraus- schlüpfen der Schlingen hindert, wird die Bauchwunde allmälig vernäht und in demselben Masse die Serviette herausgezogen. Gelingt die Reposition trotz Magenausspülung (Rehn) nicht, so bleibt nichts anderes übrig, als eine der prallgefüllten Schlingen weit vor die - 603 — Bauchwunde vorzuziehen und sie dann, bei gut versorgter Bauch- höhle, mit dem Messer anzuschneiden. Nach abgeflossenem Inhalte und Reduction der Schlingen wird, nach gehöriger Reinigung und temporärer Abklemmung, die gesetzte Darmwunde exact vernäht und die Reposition beendet. IX. Darmresection. Man bezeichnet als Resection die Excision eines Darmrohrstückes in seiner Totalität ; weniger geläufig ist dieser Aus- druck für Excisionen von Darmwandstückchen. Die Länge des zu ent- fernenden Darmrohrstückes kann eine sehr variable sein und von wenigen Zollen bis zu 2 Meter schwanken (Köherle). Als Indicationen zu dieser in der Neuzeit häufig geübten Operation gelten Neubildungen, Stricturen, untrennbare Verwachsungen einer Darmabtheilung zu einem die Rohrleitung behindernden Knäuel, Volvulus, oder Verwachsungen mit Bauchtumoren, die zu exstirpiren sind, Gangrain in Folge Ein- klemmung, Ablösung des mesenterium auf längerer Strecke, endlich wird die Resection auch zur Heilung des anus praeternaturalis und der Coloninvagination durch den Mastdarm vorgenommen. Wenn der zu resecirende Darmtheil nicht aus der Bauchhöhle prolabirt ist, wie bei der Coloninvagination durch den Mastdarm, oder in einem Bruch- sacke vorlagert, muss als Voract der Resection eine regelrechte Laparotomie vorangeschickt werden, wohl stets an jener Stelle des Unterleibes, welche am geeignetsten däucht, um bequem operiren zu können. Ist der Sitz der Canalisationsstörung unbekannt, so pflegt man stets in der Mediane einzudringen. Der zu resecirende Darmtheil soll stets entsprechend seiner Mobilität vorgezogen werden, auf dass die Operation möglichst ausserhalb der Bauchhöhle vorgenommen werden könne, da man auf solche Weise am leichtesten, bequemsten und sichersten operirt und die Besudelung des cavum abdominis wirksam verhindern kann. Die schon betonte Wichtigkeit des mesenterium für die Ernährung des zugehörigen Darmsegmentes macht es bei der Resection zur ersten Pflicht: das mesenterium genau nur an jener Stelle allein ab- zulösen, welche dem zu excidirenden Darmstücke entspricht; ein zu wenig würde bei der Anlegung der Darmnaht hinderlich sein, ein zu viel möchte die Ernährung der Darmenden in Frage stellen. Ob nun das mesenterium bloss vom Darme abzutrennen, oder ob das dem entfallenden Darmstücke entsprechende Mesenterialstück mit zu ent- fernen sei, hängt wesentlich von der Länge des zu resecirenden Rohr- stückes ab. Entnimmt man einem Darme mit langem mesenterium nur ein kleines Segment, so kann man sich darauf beschränken, das mesenterium an seiner Ansatzstelle nur abzulösen, nachdem es partien- weise zwischen Ligaturen gefasst oder die Gefässe isolirt unter- bunden wurden. Soll ein grösseres Stück vom Darme resecirt werden, so wäre die Erhaltung des ganzen Antheiles vom mesenterium bei der Anlegung der Darmnaht hinderlich, indem man es in Längsfalten legen müsste, was vielleicht nicht von Vortheil wäre; man pflegt daher in solchem Falle mit dem Darmstücke auch das ihm ent- sprechende Mesenteriumstück in Form eines Keiles zu excidiren und — 004 — dann die Keilränder durch eine sorgsam angelegte Knopf naht zu ver- einigen, welche zugleich die Blutstillung besorgt.' Sonach gestaltet sich die Technik einer Darmresection bei Schlingen mit langem mesenterium etwa folgendermassen : die Darm- schlinge, an der operirt werden soll, wird vorgezogen und extra cavum abdominis gelagert. Wäre eine grosse Laparotomiewunde gesetzt worden, so müsste sie nach dem Vorschlage von Madelung erst provi- sorisch durch Nähte verkleinert werden, bis zum Rücklasse einer Lücke, welche eben hinreicht, um die Darmschlinge bequem vortreten zu lassen. Dieser provisorische Abschluss verhindert den Vorfall von anderen Darmschlingen und zugleich die schädliche Abkühlung der übrigen Bauchcontenta. Nunmehr streicht man die Fäcalien aus dem Resectionsstücke bilateral weg, id est central und peripher, und klemmt jenseits der Resectionsgrenzen sowohl die zu- als auch die abführende Darmschlinge sicher ab, sei es durch Fingerdruck, sei es durch eine der früher geschilderten Compressionsmethoden. Lanenstein empfiehlt den provisorischen Verschluss durch einen dünnen Gummi- schlauch zu bewerkstelligen, den man fest anlegt und dann mit einer Pincette fixirt. Das Abklemmen soll den Operateur ganz sicherstellen, einerseits vor dem Zuströmen von Fäcalien in das Resectionsstück, andererseits vor dem Entgleiten eines Rohrendes; es dient also gleich- zeitig auch zur Fixation. Das Abklemmen darf nicht nahe an den Schnittgrenzen erfolgen, sondern weiter ab davon, denn es hat so lange zu währen, bis die Vereinigung der resecirten Darmenden vollends abgethan ist und darf den Operateur in der Anlegung der Darmnaht nicht im Geringsten stören. Nur in dem Falle, als eine stärkere Kothstauung im Darme nachweisbar wäre, müsste vor der Enteroraphie die Klemme des centralen Darmrohres temporär ge- lüftet werden, damit der Darminhalt möglichst ausfliesse, denn ein Unterlassen dieser Entleerung könnte recht böse Folgen haben, inso- fern als der post suturam sich selbst überlassene Darmtheii sich sofort mit Fäcalien füllen würde und in Folge des übergrossen inneren Druckes die Dichtigkeit des Verschlusses leiden könnte. Man umwallt hierauf das Operationsplanum mit Gazecompressen und verlegt damit vollends den Zugang zur Bauchhöhle. Die Gaze hat auch den Zweck, das Blut und den Rest der Fäcalien aufzunehmen und muss daher reichlich aufgetragen sein. Nun wird an den vorher- bestimmten Resectionsgrenzen zuerst einerseits und dann andererseits mittelst Schere der Darm entzweigeschnitten und der entsprechende Keil aus dem mesenterium entnommen, oder es wird das abgetrennte Darmsegment vom mesenterium stumpf abgelöst. Zur provisorischen Blutstillung legt man Schieberpincetten an, die definitive Blutstillung besorgt die Naht; stärkere Gefässe können jedoch immerhin auch 1 Korlier tritt für die quere Mesenterialablösung selbst bei Resection längerer Darmstücke ein; er verwirft die Keilexcision als unpraktisch und selbst, ausgebreiteterer Gefässobliterationen halber, als gefährlich. Kocher warnt vor jeder Massenligatur des mesenterium und zieht die isolirte Unterbindung der einzelnen blutenden Gefässe vor. Die Erhaltung des mesenterium soll die Bequemlichkeit der in Apposition zu bringen- den Darmlumina erhöhen und die Anlegung der Vereinigungsnaht erleichtern. Nach erfolgter Vernähung wird das mesenterium zu einer Längsfalte eingebogen und deren freie Ränder durch eine fortlaufende Catgutsutur geschlossen. — 605 — sofort unterbunden werden. Die Vereinigung der Resectionsenden kann auf zweifache Weise stattfinden, nämlich durch axiale, oder durch laterale Apposition. Bei ersterer Methode nähert man die Darm- lumina einander bis zur Berührung und beginnt die Knopfnaht mit feiner antiseptischer Seide zunächst am Keilwinkel des mesenterium, von dort sodann allmälig weiter dem Darme zu. Ist das mesenterium vereinigt, so wird, vom Mesenteriumansatze beginnend, eine doppelte Reihe von Ringnähten angelegt. Dabei muss sorgfältig geachtet werden, dass die Darmenden ihre richtige Stellung zu einander ein- halten und die zusammengehörigen Nahtstellen richtig gewählt werden, weil sonst der hermetische Abschluss leiden könnte. Die an den Darmrändern über die serosa stets prolabirende mucosa bis zum Niveau der ersteren in Form eines Circulärstreifens abzuschneiden, wie Manche mit Rücksicht auf die leichtere Nahtanlegung em- pfehlen, ist entschieden zu widerrathen. Wie Parkes durch Thier- experimente bewiesen hat, gibt die sich faltende Schleimhaut der Naht Unterstützung und besorgt eine bessere Ernährung der anein- ander gebrachten Darmenden, wodurch der Erfolg der Naht sehr ge- sichert wird. Bei der Anwendung der Knopfnaht geht man am besten derart vor, dass man zunächst am Gekrösrande drei Nähte anlegt, dann eine in der Mitte des freien gewölbten Darmrandes, hierauf eine fünfte und sechste seitlich in der Mitte der Abstände, und nun erst die folgenden in den gebliebenen Zwischenräumen. Derart vor- gehend näht man viel correcter und erspart sich Zeit und Mühe. Zur Sicherung der Darmnähte will Senn längliche, aus dem Netze ent- nommene Lappen um die vernähte Darmpartie circulär herumlegen und am mesenterium mit einigen Catgutnähten fixiren. Die trans- plantirten Netzlappen sollen sehr rasch mit der Darmserosa ver- kleben und dadurch der Darmnaht grossen Schutz gewähren. Rydygier zieht es vor, die untere Ringnaht nicht mit Knopfnähten auszuführen, sondern mittelst fortlaufender Naht; einerseits weil letztere zur An- legung weniger Zeit beansprucht, und andererseits, weil die Knoten der Knopfnaht die Serosaflächen auseinander halten und letztere durch die obere Ringnaht nicht so genau in Contact zu bringen sind, als zur raschen Yerklebung wünschenswerth wäre. Andere bevorzugen wieder die Knopfnaht. Zur zweiten Reihe sind nur Knopfnähte zu benutzen, weil diese viel mehr Sicherheit bieten als die fortlaufende Sutur, indem die Eventualität des Nachgebens eines oder des an- deren Heftes weniger Gefahr bietet als das etwaige Defectwerden der fortlaufenden Naht an einer Stelle, welches üble Ereigniss die ganze Wirkung der Naht in Frage stellt. Weiters empfiehlt Rydygier, den Mesenterialkeil vorerst zu excidiren und dann erst den Darm zu reseciren, angeblich aus dem Grunde, weil bei solcher Technik das resecü'te Darmstück sofort nach bilateraler Durchschneidung des Darmrohres aus dem Operationsfelde entfernt werden kann. Was die Naht selbst anbelangt, so ist die als Czerny^&ohe Darm- naht bezeichnete, oder die Variante von Rydygier sehr empfehlens- werth, und bei der Vernähung der hinteren Darmwände die von Wulfler angegebene Anlegungsart von innen aus von grossem Vortheil. Jnlliard will bei Anlegung der doppelten Ringnaht das Lumen des zuführen- den Darmendes in das gedoppelte Lumen des abführenden invaginiren. — 606 — Fig. 174. Er geht so vor, dass er nach Anlegung- der ersten Ringnaht die ver- nähte Partie im Sinne des abführenden Rohres einstülpt, eine kurze Strecke weit einschiebt und dann den serösen Rand des gedoppelten Darmes an die seröse Fläche des invaginirten durch Lemhert' sehe Nähte fixirt. Viel schneller und correcter lässt sich die axiale Vernähung der Darmostia bewerkstelligen, wenn man nach der Methode von Maunsell verfährt. Nach beendeter Resection werden durch jedes der Darm- enden je zwei, sämmtliche Schichten fassende provisorische Faden- schlino-en in der Richtung zweier Kreisdurchmesser gezogen und deren vier Enden zusammengeknotet. Nun wird im weiteren, also centralen Darmrohre 3 bis 4 Centimeter von seinem Querschnitte ent- fernt ein Längsschnitt entsprechend der freien Darmfläche, der alle Schichten trennt, geführt, durch den Schlitz in das Darmlumen eine Kornzange gebracht, damit die geknotete Fadenschlinge erfasst, ange- zogen und auf diese Weise das cen- trale Resectionsende in das Darm- lumen invaginirt und beim Schlitz herausgezogen ; das invaginirte Stück kehrt die Mucosafläche nach aussen, die seröse nach innen. In dieses invaginirte Ende wird nun abermals mit der Kornzange ein- gegangen, das geknotete Faden- bündel des peripheren Resections- stückes gefasst und dieses in das invaginirte centrale hereingezogen. Die beiden ineinander geschach- telten Darmendstücke kehren sich ihre serösen Flächen zu. Nach Ent- fernung der Fadenschlingen ver- näht man nun die aneinander liegenden, einen Doppelkreis dar- stellenden Darmränder durch fort- laufende JoherV&che, Nähte. Ist die Naht zu Ende geführt, zieht man das invaginirte" Darmrohrende her- aus, legt noch eine zweite Reihe Zem&er^'scher Ringnähte an und ver- schliesst den Längsschnitt. Ulimann hat das MaunselV sehe Verfahren derart vereinfacht, dass er die invaginirten Darmenden über einen zurechtgeschnittenen und durchlöcherten Kartoffel- oder Kohlrüben- cylinder, der in der Mitte seiner äusseren Fläche eine circuläre flache Rinne trägt, mittelst eines Fadens festbindet. Der Cylinder verbleibt nach der Reposition im Darme und wird resorbirt. Das Binden der Darmenden auf den Cylinder ersetzt also die Darmnaht. Am raschesten erfolgt die axiale Wiedervereinigung durch die Anwendung des Mmyhy' sehen Knopfes (Fig. 174). Jedes Darmende wird mittelst einer Tabaksbeutelnaht an die eine Knopfhälfte festgebunden und dann der Knopf geschlossen, der nun beide ihre serösen Flächen zukehrenden Darmflächen zusammenklemmt. Bei der Anlegung der Tabaksbeutelnaht muss derart vorgegangen werden, dass man das niesen terium nicht einfach, s'ondern mittelst — 607 — Doppelschlinge umsticht, ansonst ein Herausrutschen desselben aus der Klemme zu befürchten wäre. Behufs axialer Vereinigung nach Resection ist es immer er- wünscht, dass beide lumina nicht gar zu grosse Durchmesserdifferen- zen haben, ansonst die Apposition grosse Schwierigkeiten bieten kann. Wohl kann man sich durch Faltenbildung des, oder Keilexcisionen am weiteren Lumen helfen, unter allen Umständen sicherer, leichter und zweckmässiger bleibt, aber die laterale Apposition. Diese kann entweder unter rechtem Winkel erfolgen, so dass das Lumen des zuführenden Endes in eine Wandöffnung des abführenden vollends abgeschlossenen Theiles eingenäht wird, ein Verfahren, welches seltener Anwendung findet, als die seitliche Enteroanastomose bei parallel zu einander gestellten, vollends abgeschlossenen Resectionsenden. Die Parallel- stellung ist in dem Sinne zu nehmen, dass die Richtung beider Darm- Fig. 175. theile die gleiche sein müsse, jene der peristaltischen BeAvegung. Da das technische Verfahren der Enteroanastomose früher schon ge- schildert worden ist, erübrigt nur die geniale, den operativen Act vereinfachende Modification v. Frey zu erwähnen. Man sieht aus der Zeichnung, wie nach Anlegung der hinteren Ringnaht und Eröffnung beider Darmlumina durch diese beiden die entsprechenden Darmenden ähnlich dem il/ayf//.se/Z'schen Verfahren invagi- nirt und durch Abbindung verschlossen werden, worauf erst nach erfolgter Reposition die Ringnaht fertiggestellt wird (Fig. 175 a, b, c). Um rascher operiren und die Besudelung der Umgebung mit Darminhalt sicherer verhüten zu, können verfährt Doyen folgender- massen: die zu resecirende Darmpartie wird mit Klemmen ver- schlossen. Distal und mesial davon wird der Darm nicht durch- schnitten, also nicht geöffnet, sondern mit eigenen Hebelpinces derart eingequetscht, dass mucosa und muscularis Continuitätstrennungen erleide, die serosa dagegen erhalten bleibt. Nach Abnahme der 608 - Quetschzange wird der Darm in der Quetschfurche mit starker Seide fest abgebunden, vor der Ligatur über eine untergelegte sterile Com- presse getrennt und die Trennungsfläche mit dem Pacquelin ver- schorft. Den so abgebundenen Darmstumpf endlich invaginirt man und überzieht ihn mittelst doppelter Tabaksbeutelnaht mit serosa. Die beiden also behandelten Darmenden werden nun enteroanastomo- sirt. Auf gleiche Weiße wird nach Doyen auch die Gastroenterostomie mit Pylorusresection ausgeführt. Aeusserst schwierig gestalten sich Resectionen am auf- und ab- steigenden Grimmdarme, da diese sich nicht aus der Bauchhöhle vor- ziehen lassen. Man ist dann gezwungen in loco zu nähen, wenn die Resectionsenden aneinander gebracht werden können. Ist dies nicht der Fall, so bleibt nichts anderes übrig, als das periphere lumen zu occludiren und das centrale in die Laparotomiewunde zu fixiren, also einen anus contra naturam anzulegen, da die Möglichkeit einer Enteroplastik noch nicht erwiesen wurde, worunter man den Ersatz des Dickdarmdefectes durch eine Dünndarmschlinge versteht, welche aus der Continuität des Dünndarmes ausgeschaltet werden müsste. Resecirt man wegen bestehender Kothfistel, so möge man die Operation ja nicht an dieser beginnen, sondern zunächst entfernt davon laparotomiren und die zur Fistel ziehende Schlinge aufsuchen. Nach verstrichenem Inhalte unterbinde man central und trenne die Schlinge durch, sie sofort ausserhalb der Bauchhöhle lagernd. Die peripheren Theile werden durch die Fistelöffnung nach aussen in- vaginirt und erst nach beendeter Operation und geschlossener La- paratomiewunde sammt der narbigen Fistelumrandung en bloc ex- stirpirt. Eine eigenthümliche Technik erfordert die Resection des invagi- nirten und durch den Mastdarm prolabirten Dickdarms, welche angezeigt ist, wenn der Prolaps bei jeder Stuhlentleerung wiederkehrt, er nicht ganz reducirt werden kann, oder etwaiger Ernährungsstörungen zu- folge nicht reducirt werden darf. Mikulicz, welcher in die Lage kam, ein 75 Centimeter langes prolabirtes Dickdarmstück reseciren zu müssen, verfuhr folgendermassen: quere Durchschneidung des äusseren Darmrohres an seinem vorderen Umfange 2 Centimeter vor der After- öffnung, Vernähung des oberen Schnittrandes mit der correspon- direnden Partie des inneren, noch nicht angeschnittenen Rohres durch LemherVQGhe. Nähte; weiterhin successive Durchtrennung des äusseren Rohres in seiner ganzen Circumferenz mit sofortigem Vernähen des Randes an die serosa des Innenrohres, bis zur Erreichung des hin- teren Poles, wo das mesenterium des prolabirten Stückes als derber Wulst sich fühlbar macht. Nun folgt die Durchtrennung des inneren Rohres und des Restes vom äusseren sammt dem mesocolon und,, nach gänzlich gestillter Blutung, die Anlegung der letzten Lemhert- schen Nähte, wodurch die Ringnaht beendet und die Vereinigung der Serosaflächen des durch den Vorfall doublirten Dickdarmes vervoll- ständigt wird. Schliesslich werden nach einer Ringnaht der mucosa die Reste des prolabirten Darmes reponirt und anfänglich für län- gere Ruhe des Darmes, später für leichten breiigen Stuhl gesorgt. Auch Nicolaysen hat wegen eines durch den Mastdarm prolabirten Carcinom des S romanum nach gleicher Technik 'operirt. v. Volk- — 609 — mann operirte in zwei Fällen in viel einfacherer Weise. Nach vorsich- tiger Einführung des linken Zeigefingers durch das prolabirte Darm- rohr bis über den sphincter, wurde etwas unterhalb des letzteren, nachdem man sich vorher überzeugt hatte, dass in der Peritoneal- tasche des Prolaps keine Eingeweide vorgefallen waren, mittelst stark gekrümmter Nadeln und unter Controlle des Fingers eine sorgfältige, beide Darmwände fassende, circuläre Steppnaht angelegt. Vor dieser Naht wurde der Prolaps abgeschnitten, alle Blutung durch Unterbindung sorgfältig gestillt, eine genaue Vereinigungsnaht der Schleimhautränder vorgenommen und der Darmrest reponirt. In der ersten Woche innerlich Opium. Für Mastdarmvorfälle bei Kindern empfahl TJiiersch nach vor- genommener Reduction, einen Silberdraht rings um die Afteröffnung subcutan durchzuführen, bis er durch die Einstichstelle wieder heraus- kommt. Die Drahtenden werden hierauf zusammengedreht, abgekniffen und versenkt. Der Metallring wirkt zunächst mechanisch und dann verdichtend und schrumpfend auf das periproctale Zellgewebe. Die Entfernung des Ringes soll möglichst spät vorgenommen werden. Jaennel führt bei reponiblem Mastdarmvorfall die Colopexis aus mit folgender Technik: Incision der Bauchdecken wie zur Colostomie, Aufsuchen der Flexur und Vorziehen derselben bis zum Verschwinden des Vorfalles, worauf die Flexur in dieser hinaufgezogenen Stellung an das parietale Bauchfell angenäht wird, nachdem man die peri- tonealen Flächen mehrfach scarificirte. Nachfolgende Stärkung ^des sphincter durch Elektricität. Es wäre nicht statthaft, das Capitel über Darmresectionen ab- zuschliessen, ohne vorher noch der Resection, oder richtiger der Abtragung des entzündlich erkrankten processns vermiformis zu gedenken, welcher durch Erkrankung zu den bekannten Erscheinungen der Appendicitis Veranlassung gibt. Die Erkrankung pflegt, entweder durch Fremdkörper oder durch katarrhalische Geschwürsbildung bedingt, zu recidiviren und kann schliesslich durch geschwürige Perforation in die freie Bauchhöhle selbst zum Tode des Kranken Veranlassung geben. Es ist daher stets zweckmässiger schon bei- zeiten, wenn einmal die Diagnose feststeht, den erkrankten Darm- fortsatz auf laparotomischem Wege zu entfernen. Senn, der ins- besondere die Nothwendigkeit dieses Verfahrens hervorhebt und betont, führt hierzu einen senkrechten, 4 Zoll langen, dem Verlaufe- des Colon ascendens parallelen Schnitt, dessen unteres Ende zoll- breit oberhalb des Puopart'schen Bandes endet. Nach Blosslegung- des coecum sucht man nach dem, manchmal normal gelegenen, manch- mal entlang der seitlichen inneren Coecumwand oder zwischen den Blättern des mesocolon emporgeschlagenen Wurmfortsatz, isolirt denselben durch Lösung etwa bestehender Verwachsungen und durch Unterbinden und Abtrennen des kurzen, zumeist vorhandenen mesenteriolum und bindet ihn an seiner Basis zunächst dem coecum mittelst Ligatur ab. Die Trennung soll etwa 1 Centi- meter darunter erfolgen, worauf nach gehöriger Desinfection des V. Mo setig - M o o rh of: Ilandbuch d. cUirurg. Technik. 4. Aufl. 39 — C.lü — kleinen Canalrestes der Stumpf gegen das coecum eingestülpt und die entstehenden Falten gegenseitig darüber vernäht werden. Diese Abschliessung durch Bauchfell ist zur Verhinderung eines eventuellen Nachlassens oder eines zu frühen Durchschneidens der Ligatur absolut geboten. Auch SchüUer bedient sich eines senkrechten Schnittes, welcher fingerbreit einwärts von der Mitte einer die spina ilei anterior superior und die Symphysenmitte verbindenden Linie beginnt und gerade nach aufwärts, parallel mit der Medianlinie des Bauches, entsprechend dem Aussenrande des rectus abdominis ge- führt wird. Diese senkrechten Schnitte gewähren viel mehr Zugäng- lichkeit zum Krankheitsherde als die sonst üblichen schrägen In- cisionen parallel dem Puopart'schen Bande. Im Allgemeinen liegt die Abgangsstelle des processus vom coecum unter normalen Verhält- nissen in einem Puncte, der auf der Verbindungslinie spina ilei-Nabe 1 4 bis 5 Centimeter von letzterer entfernt ist: Mc. Burney's point. IV. Capitel. Operationen am Mastdarme und am After. I. Untersuchung per rectum. Man untersucht auf dem Wege des Mast- darmes, theils um die Beschaffenheit seiner Wandungen zu prüfen, theils um adnexe Gebilde, welche den Wandungen anliegen — uterus, prostata, Blasengrund etc. — zu exploriren, theils endlich um im Bauch- raume gelegene Organe oder Geschwülste zu palpiren. Je nach der vorhandenen Anzeige kann die Untersuchung vollzogen werden: mit einem oder mehreren Fingern, mit der halben Hand, mit der ganzen Hand, endlich mit Instrumenten, Mastdarmspecula genannt. An oder in der Aftermündung vorfindliche Erkrankungen, Hämorrhoidal- knoten oder Fissuren werden dadurch sichtbar und zugänglich ge- macht, dass man den Kranken in die Knieellbogenlage mit angezogenen Beinen versetzt und dann die Hinterbacken durch Händekraft ad maximum abzieht oder abziehen lässt, während der Kranke zum Pressen angewiesen wird; bei Frauen auch durch Vorstülpen der hinteren Vaginalwand. Die Untersuchung mit einem oder mit zwei Fingern lässt nur den unteren Abschnitt des Mastdarmes abtasten, entsprechend der Länge des jeweiligen Fingers. Bei dieser Untersuchungsmethode kann der Kranke eine verschiedene Haltung einnehmen, entweder liegen oder vornübergebeugt stehen, sich auf einen Stuhl stützend. Bei liegender Stellung sind möglich: die gestreckte Rückenlage mit gebeugten, auf- gestellten Beinen, die seitliche Lage nach links mit stark angezogenen Beinen, endlich die Knieellbogenlage. Für einfache Untersuchungen benützt man den rechten Zeigefinger; um Fluctuation zu ermitteln, beide Zeigefinger oder Zeige- und Mittelfinger derselben Hand. Der Zeigefinger wird wohlbefettet langsam eingeführt, um keinen schmerz- haften Krampf des sphincter hervorzurufen; sollen zwei Finger ein- geschoben werden, so bahnt man sich zunächst mit einem allein, dem längeren, den Weg, während der Nachbarfinger durch halbes Beugen — 611 — verkürzt gehalten wird; erst wenn die erste Phalanx des einen durch den Muskelring getreten, schiebt man den zweiten Finger durch lang- sames Strecken und Vorschieben allmälig nach und lässt schliesslich beide zugleich langsam tiefer hineingleiten. Das Einführen der halben Hand — vier Finger, exclusive Daumen, bis zur Hälfte der Mittel- hand — oder der ganzen Hand bis zum Handgelenk und darüber ist eine so schmerzhafte Procedur, dass hiefür volle Narcose unent- behrlich ist. Die Narcose hat dabei auch den Nebenzweck, mit der Gesammtmusculatur auch den sphincter ani zu erschlaffen, doch genügt die Erschlaffung allein in den seltensten Fällen; die Einführung der ganzen oder der halben Hand macht eine forcirte Dilatation des sphincter oder gar dessen Durchschneidung nothwendig, deren Technik später erörtert werden soll Die Untersuchung des abdomen mit der ganzen, in den Mastdarm eingeschobenen Hand wurde durch Simoii in die Chirurgie eingeführt: das Verfahren ist nicht ganz bedeutungs- los und darf man sich daher dieser Untersuchungsmethode nur dann bedienen, wenn sie geradezu unentbehrlich wird. Grosse Hände oder sehr enge männliche Becken können das „Simonisiren" geradezu un- möglich machen. Die Technik ist folgende: der tief narcotisirte Patient befindet sich in Steissrückenlage mit gebeugten, gegen den Unterleib zurückgeschlagenen Oberschenkeln. Der Untersuchende rundet seine Hand bei gestreckten Fingern und einwärts gedrehtem Daumen mög- lichst ab und misst deren grösste Circumferenz in der Höhe der arti- culatio metacarpo-phalangea pollicis. Uebersteigt der Umfang 25 Centi- meter, dann ist die Hand zur Simonisirung nicht geeignet und muss diese einem mit schmäleren Händen ausgestatteten Collegen über- tragen werden; weibliche Aerzte taugen wohl am besten hiefür. Wurde der sphincter früher ad maximum passiv dilatirt, so dringen die rund aneinander gestellten vier Fingerspitzen leicht ein und bahnen, keilförmig wirkend, der Mittelhand den Weg. Die Einführung geschehe langsam unter stetigem Drucke, ohne viel zu bohren. Ist die grösste Circumferenz der Hand über den Sphincterenring ein- gedrungen, so gleitet die gegen das Carpalgelenk schmäler werdende Hand unbehindert tiefer hinein. Droht bei der Einführung die über- mässig gespannte Schleimhaut der apertura ani zu reissen, so ist es besser, sie mit dem Knopfmesser an einigen Stellen einzukerben, als einen tieferen Einriss abzuwarten. Im oberen Dritttheile seiner Länge verengert sich der Mastdarm fast um die Hälfte der Weite der zwei unteren Abtheilungen und knickt ersterer gegen letztere leicht ab, so dass man das Gefühl bekommt, als ob ein abgeschlossener Hohlraum vorläge. Man muss jetzt mit den Fingerspitzen erst den Schlitz an der Hinterwand aufsuchen, um durch diesen tiefer eindringen und in den Anfang des S romanum gelangen zu können, denn letzteres ist das Ziel der Wanderung. Das S romanum besitzt nämlich in der Regel ein ziemlich langes mesenterium und ist daher leicht beweglich; es gestattet also durch Verschiebung der Hand eine relativ sehr freie Beweglichkeit und folgt ersterer bis über die Nabelgrenze hinauf, so dass Abdominaltumoren ganz genau gefühlt und abgetastet werden können, um ihren Sitz und ihre Abgrenzung zu bestimmen, wobei die andere freie Hand von den Bauchdecken her bei der Untersuchung mithilft. 39* — 612 — Der Specula bedient man sich, wenn das Auge den Mastdarm untersuchen, oder wenn durch Abhalten der Wandungen Instrumenten die nöthige Zugänglichkeit zum Mastdarm geschafft werden soll. Ein sehr bekannter und verbreiteter Mastdarmspiegel ist der von Weiss (Fig. 17ti). Er ist dreiblätterig, die Blätter werden durch Schrauben- wirkung axial voneinander gerückt; behufs Einführung ist ein hölzerner Conductor nöthig, dessen eicheiförmiges Ende die Blätter des ge- schlossenen Spiegels überragt und deren scharfe Vorderränder deckt. Dieses Speculum hat den Nachtheil, dass die Blätter sehr breit sind, sie daher einen grossen Theil der Mastdarmwandungen verdecken und sonach dem Auge und der Hand entziehen; ferner dass die Cylinder- Fig. 176. Fig. 1 form seines Lumen eine starke Erweiterung des sphincter ani herbei- führen muss, um dem Zwecke halbwegs zu genügen. Ich habe durch Reiner in Wien ein anderes Speculum anfertigen lassen, welches, wenn auch dem von Nlcaise erdachten (Fig. 177) ähnlich construirt, sich von diesem doch wesentlich dadurch unterscheidet, dass die Blätter diver- girend sich öffnen, wodurch deren Basisumfang einen vom Grade der Divergenz unabhängigen, relativ kleineren Durchmesser constant bei- behält (Fig. 178). Die Vortheile sind doppelt: einmal wird der sphincter weniger gedehnt, wodurch die Application sich für den Kranken schmerz- loser gestaltet, und ferner wird das eingeführte und geöffnete Speculum von selbst im Mastdarme bleiben, ohne gehalten werden zu müssen, da die divergirenden Blätter das Herausrutschen und Hinausgedrängt- werden nicht erlauben; hierdurch erspart man einen Assistenten. Die schmalen oberen Blätter lassen weiters einen grösseren Theil der Mastdarmwandungen unbedeckt, wodurch eine Totalansicht ihrer Be- — 613 — schaffenheit leichter zu erzielen ist. Zur Beleuchtung kann ebenso- wohl reflectirtes Licht verwendet werden, als auch kleine Glühlämp- chen; für tiefere Untersuchungen bedarf man längerer röhrenförmiger Specula. Zur Untersuchung höher gelegener Regionen des Mastdarmes bezüglich ihrer Durchgängigkeit benützt man Sonden, quasi als Ver- längerung des unzureichenden Fingers. Selbst bei geschickter Ein- führung mit oder ohne Leitung des Zeigefingers, verfangen sich Fig. ITs. biegsame Instrimiente leicht an den Falten des Mastdarmes oder in der Kuppel der oberen Abtheilung, so dass ein pathologisches Hinder- niss fälschlicherweise diagnosticirt werden kann, wo keines besteht, oder man mindestens über den Sitz des Hindernisses irrige Ansichten fasst. Man nehme daher röhrenförmige weiche Sonden, welche am Ende offen sind, etwa Magensonden, und spritze während des Ein- schiebens Wasser durch das Rohr ein; dieses glättet die Falten, öffnet den Weg an dem schlitzförmigen Uebergangswinkel zum S romanum und leitet die Sonde in den richtigen Weg, id est in das S romanum, — 614 — aber nicht weiter hinauf. Auch durch Einguss oder Einpumpen von Luft kann nach der Menge des eindringenden Wassers, beziehungs- weise Aufblähung des Darmes, wenigstens beiläufig der Sitz eines bestehenden Hindernisses bestimmt werden. An Frauen mit schlaffem introitus vaginae kann man den un- tersten Abschnitt der vorderen Rectalwand auch durch Vorstülpung von der Scheide aus sichtbar machen, eine Untersuchungsweise, wel- che altbekannt, namentlich zur Besichtigung vorhandener Fistulae vulvo- oder vagino-rectales superficiales gebräuchlich ist. Umgekehrt kann auch vom rectum aus der unterste Abschnitt der hinteren Va- ginalwand durch die Schamspalte vorgestülpt werden. Es genügt hie- für, den Zeigefinger in die vagina oder in das rectum so einzuführen, dass dessen Pulpafläche der jeweilig vorzustülpenden Wand zugekehrt ist, worauf man durch allmäliges Aufbiegen der Fingerspitze die be- treffende Wand nach aussen drängt. II- Künstliche Erweiterung der Apertura analis. Diese oft ausgeführte Operation findet als curative Massregel ihre Anzeige bei Fissura ani und wird als Voract allen jenen Manipulationen und sonstigen chi- rurgischen Eingriffen im Inneren des Mastdarmes vorausgeschickt, welche eine besondere Zugänglichkeit für Hände und Augen erforder- lich machen. Die rationelle Behandlung der so schmerzhaften Anus- fissur besteht in der temporären Ausschaltung der Sphincterwirkung, da in dieser die wesentliche Behinderung zur Spontanheilung gegeben ist. Die Contractionen des Schliessmuskels können auf doppelte Art und Weise paralysirt werden: durch forcirte Dehnung über das nor- male Mass und durch blutige Trennung. Die Dehnung, besonders von Recamier und Nelaton gegen Fissuren empfohlen, wird durch Finger- gewalt in der Narcose ausgeführt. Der Operateur führt zuerst den einen, dann den zweiten Zeigefinger in den Mastdarm, beugt die End- phalangen hakenförmig und zieht sie in divergirenden Richtungen auseinander. Ist der sphincter einmal so weit dilatirt, dass die Anal- öffnung klafft, so führt man noch die Mittelfinger jeder Hand zur Unterstützung in den Afterring ein und dilatirt weiter, nunmehr mit vier Fingern wie früher mit zweien; endlich führt man die beiden Ringfinger nach, krümmt auch diese gleich den früheren hakenförmig und dilatirt mit sechs Fingern, abwechselnd im lateralen und antero- posterioren Durchmesser arbeitend so weit, bis beim lateralen Zuge die Finger an die Innenflächen der Sitzbeine zu stehen kommen. Ganz zuletzt legt man alle fünf Finger der Hand im Kreise zusammen, formt dadurch einen Keil und dringt mit diesem ein bis etwa zur Höhe der articulationes interphalangeae secundae. Wenn diese Ein- führung anstandslos gelingt, dann ist auch die Dehnung perfect. Dieses Verfahren kann wohl kaum ein ganz unblutiges genannt wer- den, indem bei noch so schonender Vorgangsweise doch immer ein- — 615 — zelne Schleimhauteinrisse unterlaufen, die, wenn auch ganz ober- flächlich, immerhin eine geringe Blutung abgeben. Nach beendeter Dehnung ist es empfehlenswert!!, die Schleimhaut der Sphinctergegend mit etwas Jodoformpulver leicht zu bestauben. Die Parese des sphincter nach der Dehnung dauert mehrere Tage an, verliert sich aber später spurlos. Die Durchschneidung des sphincter — Sphincterotomie — kann submucös und permucös ausgeführt werden. Die submucöse Durch- schneidung ist wohl gegenwärtig nicht mehr in Gebrauch; sie galt für die vorantiseptische Zeit und wurde ohne Narcose vorgenommen, da eine Erschlaffung des Schliessmuskels die Durchschneidung nur erschwert hätte. Man führte den linken Zeigefinger in den Mastdarm so ein, dass die Pulpafläche dem Steissbeine zukehrte, stach sodann ein spitzes Tenotom am Rande der Analschleimhaut ein, führte die Klinge flach unterhalb der Schleimhaut bis über die obere Sphinc- tergrenze hinauf, stellte sodann die Klinge senkrecht auf, mit der Schneide nach rückwärts, und drückte mit dem Finger durch die in- tacte Schleimhaut auf den Rücken der Klinge, während man mit der rechten Hand das Tenotom kleine wiegende Bewegungen ausführen Hess, bis der Muskelwiderstand nachgab und endlich aufhörte. Nun wurde die Klinge wieder flachgelegt und herausgezogen. Die submucöse Sphincterotomie ist ein unsicheres Verfahren, indem es kaum gelingt, alle Muskelfasern auf die Klinge zu laden. Dies ist wohl der Haupt- grund, warum die permucöse Durchschneidung mit Recht vorgezogen wird. Diese Operation führt man auf ähnliche Weise aus, doch kann dabei die Narcose anstandslos angewendet werden: man führt den linken Zeigefinger ein und neben diesem ein geknöpftes Bistouri, mit dem man nun in der Richtung gegen das Steissbein, Schleimhaut und sphincter durchschneidet, bis aller Muskelwiderstand aufgehört hat. Soll die künstliche Erweiterung der apertura analis nur den Voract für weitere operative Eingriffe abgeben, so wird oftmals die Durch- schneidung der hinteren Commissur in der raphe bis zur Steissbein- spitze, ja sogar neben dem einen oder dem anderen Steissbeinrande bis zum Kreuzbeine fortgesetzt. Hiefür lässt man durch einen Assi- stenten mit den hakenförmig gebogenen Zeigefingern die Analöffnung im Sinne des lateralen Durchmessers anspannen und schneidet nun mit einem Messer die Commissur in toto durch. Ja man kann nach Vernenil's Angabe sogar noch das ganze Steissbein exstirpiren oder nach rückwärts luxiren und die Zugänglichkeit zum rectum dadurch auf das Maximum steigern. HL Künstliche Erweiterung des Mastdarmes. Narbige Stricturen des Mastdarmes in Folge ulceröser oder traumatischer Processe können auf langsame oder auf rasche Weise, oder endlich durch eine zweck- entsprechende Combination beider dilatirt werden, vorausgesetzt, dass die Durchgängigkeit für Instrumente nicht ganz aufgeholDen sei. Zur langsamen Dilatation benützt man im unteren Rectalabschnitte für ge- wöhnlich conisch oder cylindrisch gestaltete Bougies aus Hartgummi, — 610 von einer der Strictiir jeweilig entsprechenden Dicke (Fig. 17'.'«); für höher gelegene Partien hat Bodenhammer Oliven aus Hartgummi angegeben, welche in acht Grössen vorräthig, auf einen Fischbeinstab jeweilig geschraubt werden, ähnlich dem 7Vowssea?t'schen Oesophagus- dilatator (Fig. 171*6); sie haben den Vortheil, den sphincter weniger in Anspruch zu nehmen und daher von dem Kranken besser vertragen zu werden, aber auch den Nachtheil, nicht für längere Zeit in der Strictur sicher belassen werden zu können, da sie von der Strictur leicht abrutschen und nur während des Durchführens wirken. Sehr enge Stricturen sind im Beginne oft nur mit Harn- röhrenbougies zu entriren. Behufs rascherer Dilatation benützt man eigene Instrumente, unter denen der Dilatator von Collin, seiner, der Achse des rectum entsprechend geki-ümmten Form und der Paralleldivergenz der Blätter wegen, sich am meisten empfehlen dürfte (Fig. 180 a). Mastdarmstricturen können auch in ge- wissen Fällen durch Incision behandelt werden, natürlich mit nachträglicher Dilatation. Die Einkerbung des Narbenringes ist indicirt, wenn dessen Resistenz der Dilatation schwer über- windliche Hindernisse entgegen stellt. Die Durch schneidung kann unter dem Schutze des Zeigefingers mit einem geknöpften Messer vollzogen werden, wobei gross-e Vorsicht ge- boten ist. Man vergesse nie, dass die Narben- masse nicht durch-, sondern nur eingeschnitten werden darf, und dass es zweckmässig ist, das Einkerben auf mehrere Punkte der Circum- ferenz zu vertheilen, um das pararectale Zell- gewebe nicht blosszulegen. Tillaux hat ein eigenes Instrument erdacht, welches er Rectotom nennt (Fig. 180 6); durch Vor- oder Rückziehen des Ringes kann man die Klingen mehr oder weniger vortreten lassen und die Divergenz beider, welche der halben Tiefe der Schnitte entspricht, auf der Scala genau im vorhinein bestimmen. Die Wirkung der Klingen entfaltet sich erst beim Zurückziehen des Instrumentes, so dass die Strictur von innen nach aussen eingeschnitten wird. Wenn Stricturen, durch fleissiges Durchspülen mittelst ein- geführter und liegen bleibender Bougies unterstützt, der Dilatation hartnäckigen Widerstand leisten, muss auf andere Weise abgeholfen werden, und zwar gibt es der möglichen Eingriffe drei: a) die Colo- stomie, wenn Ileuserscheinungen sich manifestiren, h) die Resection der verengten Stelle, c) die durch Sonnenhnrg empfohlene Rectostomia externa. Es handelt sich darum, von aussen her oberhalb der intact — 617 — bleibenden Sphincterregion die verengte Mastdarmpartie in ihrer ganzen Länge zu durchsclmeiden, wofür entweder eine Resection des Kreuzbeines oder der parasaerale Schnitt mit Durchschneidung der Beckenbänder nothwendig wird. Der Schnitt geht durch die Narbenmasse bis in das Darmlumen hinein, in welchem etwa beste- hende Geschwüre ausgelöffelt werden. Tamponirung mit Jodoform- gaze. Die gesetzte tiefe Wunde wird der Granulation überlassen; sie soll manchmal ohne Rücklass einer Kothfistel heilen und dann auch die Stricturirung behoben bleiben dadurch, dass durch den Narbenzug gesunde Darmtheile nach abwärts rücken und die Wiederbildung der Verengerung verhindern. IV. Operative Behandlung von Hämorrhoidalknoten. Zur Beseitigung dieser pathogenen Geschwülste, welche ihrer Natur nach zu den venösen Angiomen zählen, sind mehrfache Verfahren ersonnen worden, die Fig. iSii. theils eine Gerinnung des Blutes mit folgender Atrophirung der Kno- ten, theils ihre directe Zerstörung, beziehungsweise Abtragung be- zwecken. Welches Verfahren immer zur Anwendung kommen möge, jedem müssen gewisse Vorkehrungen vorausgeschickt werden, welche überhaupt für "alle im Mastdarminneren vorzunehmenden chirurgi- schen Eingriffe Geltung haben. Sie betreffen einerseits die Entleerung des Darmcanales vor der Operation mittelst Abführmitteln und Ein- guss, andererseits die künstliche Sistirung der Stuhlentleerung für die ersten drei bis vier Tage nach der Operation mittelst Opiaten, endlich auch die Erzielung einer ausreichenden Antisepsis, wofür das Jodoform selbst von seinen sonstigen Gegnern als einzig ausreichen- des Mittel anerkannt wird. Soll an Hämorrhoidalknoten operirt werden, so ist es vor allem nothwendig. sich diese zugänglich zu machen, wenn sie es nicht schon sind, wie dies bei äusseren Knoten der Fall ist. Intermediäre Knoten können durch Pressen des Kranken vorgetrieben werden, oder fallen von selbst vor, wenn die Sphincterenwirkung durch künstliche Dilatation paralysirt wurde. Diese wird stets dann nothwendig, wenn man in 618 — Narcose operirt, denn die durch actives Pressen vom Kranken vor- getriebenen Knoten schlüpfen mit der Erschlaffung des Schliessmuskels schon während der Einleitung der Narcose meistens spontan in das Mastdarminnere zurück, wogegen sie nach der künstlichen Dilatation anstandslos vorfallen. Innere Knoten endlich erfordern nebst der künstlichen Erweiterung des Schliessmuskels auch die Einlage eines zweckentsprechenden Spiegels oder mindestens einer Spatel, wofür das von iSimt; eigentlich für die vagina angegebene löffeiförmige Speculum sich vortrefflich eignet (Fig. 181). Die gegenwärtig an Hämorrhoidalknoten gebräuchlichen operativen Verfahren sind: 1. Die Injection einer concentrirten Carbolsäiuremischung in das Innere des Knotens mittelst einer Pmms'schen Spritze. Die Mischung wird so bereitet, dass man krystallinische Carbolsäure durch Erhitzen im Wasserbade auflöst und sodann der Lösung zwei bis vier Gewichtstheile Walrathöl zusetzt. Bringt man die Mischung zum Sieden, so gestaltet sie sich zu einer innigen und gleichmässigen. Davon werden nun, je nach der Grösse des Knotens, 5 bis 15 Tropfen in dessen Mitte eingetrieben. Auf diese Weise wird stets nur ein Nodus behandelt und zwischen den ein- zelnen Einspritzungen eine Zwischenpause von ungefähr zwei Wochen eingehalten, damit die Reaction inzwischen vollends sistire. 2. Die Zerstörung der Knoten durch Caustica. Houston empfahl die Bepinselung der Knoten mit concentrirter Salpetersäure. Als Träger der Säure dient ein kleiner Asbestpinsel oder ein Glasstäbchen. Intermediäre und innere Knoten, welche nur von Schleimhaut umhüllt sind, werden damit ganz und wiederholt so lange bestrichen, bis letztere in toto ver- schorft ist, worauf die cauterisirten Knoten jenseits des Schliessmuskelringes in den Mast- darm zurückgeschoben werden. Ein Watte- tampon in die Afterspalte und eine darüber fixirte T-Binde verhindern während der ersten Tage ihr Wiedervortreten; später [bleiben sie von selbst reponirt und prolabiren selbst nicht nach dem ersten Stuhlgange post operationem, wenn man durch eine Gabe Ricinusöl für weiche Entleerung sorgt. Das Bepinseln mit Salpetersäure wird meist ohne Narcose vollzogen und die Schmerzen durch vorgängige Einpinselung oder submucöse Einspritzung von Cocain gemildert. Letzteres Verfahren mag überhaupt für geringere Eingriffe tdie Narcose annähernd ersetzen. Sollen äussere Hämorrhoidalknoten, welche an ihrer Aussenfläche mit Haut überkleidet sind und nur an ihrer Innenwand einen Schleimhautüberzug besitzen, mit Salpeter- säure geätzt werden, so darf letztere nur an der Schleimhautfläche allein Anwendung finden. Schmerzloser und unvergleichlich wirk- samer ist das Cauterium actuale. Gegenwärtig wird wohl nur der 619 Fig. 182. Thermocauter, seltener die Galvanoeaustik hierzu verwendet. Um sicher cauterisiren zu können, müssen die einzelnen Knoten fixirt werden, wozu Zangen noth wendig sind; da aber eine Erhitzung des Metalles durch das Cauterium verhindert werden soll, um unnöthige Brandschorfe der Umgebung zu verhüten, haben v. Langenheck und Jones Flügelzangen angegeben, deren innere Wände mit Hartgummi bedeckt sind (Fig. 182). Damit klemmt man den vorliegenden oder vorgezo- genen Knoten an seiner Basis so ein, dass der Knoten von den Flügeln umfasst wird, während der Gummiüberzug der Afterspalte zukehrt. Trotz dieser Vorsichtsmassregel kann es nie schaden, die Umgebung des Knotens noch mit einem feuchten Zeuge zu decken. Der vorgeklemmte Knoten wird nunmehr verschorft entweder rinnen- förmig bis zu seiner Basis (Schuh), oder ganz verkohlt, worauf die Zange abgenommen und ein frischer Knoten gefasst wird. Einfacher noch ist das Abtragen der einzelnen Knoten mit der galvanocaustischen Schlinge, nach Esmarch. Man legt die kalte Schlinge um den Hals des Knotens, schützt die Umgebung mittelst Holzspateln und trägt den Knoten bei Rothglühhitze ab; bei grossen Knoten und stark ectatischen Ableitungsvenen ist man indess dabei, selbst bei vorsichtigem Operiren, nicht vor Nachblutungen sicher. o. Die Abbindung der Knoten. Zum Abbinden kann elastisches oder nicht elastisches Material Verwendung finden; dass letzteres antiseptisch: mit Carbolsäure, Sublimat oder Jodoform be- handelt sein solle und genügende Resistenz- fähigkeit haben müsse, um wirksam abschnüren zu können, ist selbstverständlich. Beim Abbinden zieht man die Knoten mit gefensterten Balken- zangen genügend vor, trennt bei äusseren Knoten früher den Hautüberzug ab und schnürt dann den Stiel fest und sicher zu (AlUngham). Bei intermediären und inneren Knoten unter- bindet man direct oder trennt die Schleimhaut an der Aussenwand quer durch, damit der Stiel verjüngt werde und die Ligatur in der Schnittfurche fester eingreifen könne. Die circuläre Trennung der Schleimhaut rings um den Knotenstiel ist der Blutung wegen zu widerrathen, da die zu- und ableitenden Gefässe an der inneren Seite der Knoten laufen, jene daher intact bleiben muss. Ob man nach dem Abbinden die Knoten in situ belässt und deren Abstossung ganz der Necrose anheimgibt, oder ob man den Knoten ohne Gefährdung der Ligatur köpft, macht wenig Unterschied. Letzteres Verfahren dürfte wohl bei intermediären Knoten vorzuziehen sein, indem danach die Sphinctergegend frei bleibt und dadurch der pein- liche Tenesmus, der sich sonst geltend macht, verhindert wird. Damit aber durch das Abtragen die Ligatur nicht ihren Halt verliere und abgleite, darf der Schnitt nicht am Stiele, sondern nur quer durch den Körper des Knotens geführt werden. Die durch Dittel empfohlene elastische Ligatur erfordert eine ähnliche Technik. Nach der Operation — 620 1 So. schiebt man ein mit Jodoformgaze umhülltes Drainrohr in den Mast- darm behufs leichteren Abtranges der Winde. 4. Die circuläre Resection der die Knoten bergenden Schleimhaut- partie nach Whitehedd. Bei dem in Steinschnittlage gebrachten Patienten wird zuerst der Sphincter gedehnt, hierauf an der Uebergangsgrenze in das äussere Tegument die Rectalmucosa kreisförmig umschnitten und stumpf vom submucösen Zelllager losgetrennt. Der so frei- präparirte Schleimhautcylinder, welcher die Knoten birgt, wird herab- gezogen, die abführenden Venen sorgfältig unterbunden, dann der Cylinder abgeschnitten und dessen Wundränder ringförmig wieder an die Haut genäht. Cauterisationen der Schleimhaut werden auch im Inneren des Mast- darmes vorgenommen und hiezu bedarf es eigener Spiegel, sowohl um die Rectalhöhle während des Actes klaffend zu erhalten, als auch um die Nachbarschaft der cauterisirten Stellen vor der Einwirkung der strahlenden Wärme zu schützen. Am besten verwendbar sind wohl die gefensterten, aus Hartgummi hergestellten Mast- darmspiegel von FergvssoH (Fig. 1^3), deren man sich der- art bedient, dass die jeweilig zu cauterisirende Stelle gerade in das Fenster eingestellt wird. Will man wegen Prolapsus ani paquelinisiren, so verschorft man die Schleimhaut in Form von multiplen Längsstreifen, wobei die Sphincterregion ausser Spiel gelassen werden soll, um Tenesmus zu verhüten. Bei Männern ist es weiter gerathen, die vordere Mastdarm- wand zu verschonen wegen der Nähe der prostata. V. Operation der Mastdarmfistel. Im Wesentlichen besteht die operative Behandlung der Fistula ani in der Spaltung der den Fistelgang von der Mastdarmhöhle trennenden Wand und in der Abtragung der Spaltränder, behufs Her- stellung einer, der ungestörten Vernarbung entsprechenden Form. Nun ist die zur Secundaheilung geeignetste Wundform die einer längshalbirten Pyramide, da hierbei einestheils die Verhaltung von Kothpartikelchen und Wundsecreten verhindert, und andererseits die progressive Vernarbung von der Spitze zur Basis, also von innen nach aussen angebahnt und ermöglicht wird. Die einfache blutige Trennung der inneren Fistelwand ist demnach kein genügender Ein- griff, da schon die Einkrempung der Spaltränder gegen den Wund- canal in der Regel ungünstige Bedingungen zur anstandslosen Ver- narbung abgibt. Das Gleiche gilt im Allgemeinen von der unblutigen Trennung durch Abbinden mit elastischem und nicht elastischem Materiale; besser ist die Trennung mit der galvanocaustischen Schlinge, da hierbei durch die Glühhitze ein breiigerer Theil der Spaltränder ver- schorft und später abgestossen wird. Das Verfahren bei der unblutigen Trennung ist ein sehr einfaches: liegt eine complete Fistel vor, so schiebt man nach Abrasirung der Afterhaare eine Darmsaite durch die äussere Fistelöffnung in den durch Specula erweiterten Mast- darmcanal, fasst das sichtbar werdende Ende der Saite mit einer — 621 — Fig. 184. Kornzange und zieht es bei der Apertura analis wieder hervor. Damit ist um die Mastdarmfistelwand eine Schlinge gezogen, an welcher das zur Abbindimg oder Abtrennung nöthige Material: Gummirohr, Seidenschnur oder Platindraht nachgeführt wird. Besteht keine Fistel- mündung in dem Mastdarm — Fistula ani incompleta externa — so muss sie erst geschaffen werden, wozu ein Troisqiuirt am geeignetsten ist. Man schiebt die Troisquartcanüle ohne Stachel über eine früher eingelegte geknöpfte Sonde ein, bis der die betreffende Mastdarm- wand betastende Finger das Canülenende unter der Schleimhaut fühlt, worauf die Sonde durch die Canüle ausgezogen und dafür der Trois- quartstachel eingeführt wird, mit welchem nun die Schleimhaut durch- stossen und der Troisquart als Ganzes nachgeschoben wird, bis das Canülenende in den Mastdarm hineinragt. Jetzt wird der Stachel wieder entfernt und die Darmsaite durch die Canüle eingeschoben, worauf dann auch die Canüle ausgezogen wird. Die Darmsaite bleibt als Schlinge zurück. Wenn man eine complete Fistel vorliegen hat und die unblutige Tren- nung auf besagte Weise langsam oder rasch beendet ist, darf man nie vergessen nachträglich zu untersuchen, ob die Schleimhaut nicht noch oberhalb der inneren Fistelausmündung unter- minirt sei. Wäre dies der Fall, so müsste vom Mastdarm aus die unterwühlte Schleimhaut mittelst Schere der Länge nach gespalten werden, und zwar bis zur Kuppel hinauf. Gebräuchlicher ist heutzutage die blutige Trennung mit dem Messer. Sie ist rationeller und gestattet die Einhaltung aller oben angegebenen Postulate. Die Spaltung wird mit einem ge- knöpften oder spitzen Bistouri ausgeführt, letzterenfalls auf der Leitung einer Hohlsonde. Mit dem geknöpften Bistouri kann nur bei com- pleten Fisteln vorgegangen werden, einfach so, dass man das Knopfmesser in die Fistel ein- bringt, und das Vortreten des Knopfes mit dem im Mastdarme eingeführten Finger controlirt. Sodann fixirt der Operateur den Knopf mit der Fingerspitze, zieht Finger und Messer gleichzeitig heraus und spaltet dadurch die Zwischenwand. Die Spaltung mit dem Spitzbistouri kann je nach dem Quäle der Fistel auf dreifache Art vorgenommen wer- den. Vor Allem führt man die Leitsonde ein, gemeiniglich zunächst eine Knopfsonde, da ihr rundes Ende am leichtesten den Weg durch den Fistelgang findet, ohne in Falten und Vor Sprüngen desselben leicht stecken zu bleiben; hierauf erst wird neben der Knopf- eine Hohlsonde eingeschoben, und zwar so, dass man die Rinne der Hohl- sonde entlang der Knopfsonde gleiten lässt. Für complete Fisteln eignet sich sehr die Fistelsonde von Larrey (Fig. 184 a), da sie Knopf - und Hohlsonde in Einem vereinigt. Fühlt der im Mastdarm befind- liche Controlfinger den Sondenknopf, so drängt er ihn zur apertura analis heraus und schiebt den Rinnentheil nach, so dass schliesslich — 022 — die i>anze Darmfistehvand gleich einer Brücke über die zur Anal- öffnung quer gestellte Sonde reitet, worauf die Spaltung der Brücke leicht und anstandslos erfolgen kann. Die zweite Art der Spaltung besteht darin, dass man, nach Einführung einer gewöhnlichen Hohl- sonde, eine gekehlte Holzspatel, Gorgoret, genannt (Fig. 184 Z>), so in den Mastdarm einschiebt, dass deren Höhlung der Fistelwand zusieht, worauf die Spitze der Hohlsonde, sei es direct, sei es submucös — letzteres bei incompleter äusserer Fistel — gegen das Gorgoret stemmt. Leitet man nun in die Rinne der Hohlsonde ein Spitzbistouri, so erreicht dessen Spitze, mit oder ohne Durchstechung der Schleimhaut, das Gorgoret und wird in das Holz eingestochen; entfernt man endlich die Hohlsonde, fasst das Gorgoret mit der linken und das darin ein- gestochene Messer mit der rechten Hand und zieht beide gleichzeitig heraus, so muss die Gesammtwand durchschnitten werden. Die di'itte Art der Spaltung erfolgt unter Controle des Auges und ist die ge- bräuchlichste. Nach Einlage der Hohlsonde in den Fistelgang wird ein Specu- lum in den Mastdarm gebracht und nun die Wand auf der Hohl- sonde durchschnitten; hierauf erfasst der Operateur jeden Spaltrand einzeln mit einer Hakenpincette, spannt ihn an und schneidet schräge ab, so dass aussen mehr davon entfernt wird als innen und beide Schrägschnitte an der Aussenwand der Fistel zusammenstossen. Die Wunde bekommt dadurch die Gestalt einer längshalbirten Pyramide. Hierauf untersucht man, ob Schleimhautunterminirungen vorhanden sind, spaltet sie oder trägt aus der Wand der Hohlbucht ein drei- eckiges Läppchen ab, stillt etwaige arterielle Blutung durch Torsion oder Unterbindung, reinigt die Wunde, schabt etwaige Granulation der restirenden äusseren Fistelwand mit dem scharfen Löffel ab, reibt etwas Jodoformpulver ein und legt in die Wunde einen Streifen Jodoformgaze, bevor man das Speculum entfernt. Etwas Watte auf die Apertura analis und eine T-Binde beenden den operativen Act. Sind mehrfache äussere Fistelöffnungen vorhanden, so müssen sie selbstverständlich einzeln gespalten und das intercalirte Narbengewebe so abgetragen werden, dass eine einzige, ebene, wenn auch ausgebreitete Wundfläche resultirt. Amerikanische Chirurgen pflegen in geeigneten Fällen, nach ausgiebiger Excision, Etagennähte anzulegen, wodurch bei streng aseptischem Vorgange und genauer Vernähung der mucosa auch Primaheilung erreicht werden kann. Bei solchen Fisteln, welche in dem Zerfalle eines localtuberculösen Herdes ihr Causalmoment erkennen, wm^de empfohlen, auf ähnliche Art wie mit dem Messer, mit dem Thermocauter vorzugehen. Hiefür müsste man zum Schutze des Mastdarmes einen Fergussori' sehen Mast- darmspiegel benützen und die Fistelwand in das Fenster des Specu- lum einbringen. Eine besondere Erwähnung erfordern die sogenannten tiefen Mastdarmfisteln, d. h. jene, welche einem Vereiterungsprocesse des im cavum ischio-rectale gelegenen Zellgewebes ihren Ursprung verdanken. Sie kommen theils als Fistulae rectales incompletae internae, theils auch als completae zur Beobachtung. Die innere Ausmündung befindet sich in allen Fällen unterhalb der Ansatzstelle des musculus levator ani, also etwas oberhalb des sphincter. Die Sonde dringt von hier — 623 — aus stets in schiefer Richtung nach aussen vor, da sie entlang der unteren, beziehungsweise äusseren Fläche des schief vom Beckenrande — linea innominata — zum Mastdarm ziehenden musculus levator gleitet. Die Wand zwischen Fistelhöhle und Mastdarm ist demnach eine viel stärkere und nach oben zu an Dicke zunehmende, sie birgt auch stärkere arterielle Aeste der hämorrhoidalis media, weshalb es gerathener erscheint, die Trennung solcher Fistelwände mittelst der Galvanocaustik oder durch Abbinden zu vollziehen. Ein geeigneter gekrümmter Troisquarts wird vom cavum ischio-rectale aus in den Mastdarm gestochen und durch dessen Canüle die Trennungsschlinge eingeführt. Tiefe Mastdarmfisteln werden oft durch Eitergänge cariöser Beckenknochen vorgetäuscht. VI. Exstirpation des Mastdarmes. Diese höchst eingreifende und in ihrer Gefährlichkeit nur durch exacte Antisepsis gemilderte Operation findet hauptsächlich bei Carcinoma recti ihre Anzeige, seltener bei ausgebrei- teten Ulcerationen und Stricturen. Man unterscheidet eine partielle und eine totale Exstirpation: der Unterschied beider liegt weniger in der Ausdehnung des zu Entnehmenden, als vielmehr in der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, die Analregion mit dem sphincter zu erhalten. Partielle Exstirpationen oder Resectionen des Mastdarmes erkennen als conditio sine qua non die Erhaltung des Schliessmuskels; bei den totalen Exstirpationen fällt auch diese Region, weil erkrankt, hinweg. Die Frage, ob und wann ein Cancer recti noch einem operativen Eingriffe unterzogen werden kann, hängt, abgesehen vom Allgemein- befinden des Patienten, von zwei Momenten wesentlich ab : von der Ausbreitung des Neugebildes nach oben, und von dessen Uebergreifen in die Umgebung. An letztere fixirte, nicht mehr verschiebbare Tu- moren entziehen sich einer Exstirpation; Tumoren, deren oberes Ende mit der tief eingebrachten Zeigefingerspitze nicht mehr erreichbar ist, lassen sich ohne Eröffnung des cavum Douglasii nicht exstirpiren ; ist es aber möglich das obere Ende noch dadurch zu erreichen, dass man bei bimanueller Untersuchung einen starken Druck von oben her durch die Bauchdecken auf dfen Tumor ausübt und ihn quasi dem Finger zudrängt, dann kann an eine Exstirpation noch immer gedacht werden, vorausgesetzt, dass man nicht scheut, das Bauchfell des cavum Douglasii zu verletzen und dadurch die Bauchhöhle zu öffnen. In Folgendem wollen wir die Technik der partiellen und der totalen Exstirpation getrennt besprechen. Die Vorbereitungen zur Operation bestehen in einer gründlichen Entleerung des Darmcanales durch mehr- tägiges Fasten und wiederholtes Abführen und in einer noch gründ- licheren localen Desinfection des Mastdarmes, durch Ausspülungen mit löslichen Antisepticis. Die Möglichkeit, dass grössere Mengen des Spülwassers in das S romanum und in das colon eindringen, machen eine sorgfältige Wahl des Antisepticum zur Pflicht, behufs Verhütung von Intoxicationen. Carbol- und Sublimatlösungen sind jedenfalls mit Vorsicht anzuwenden, weniger schädlich sind Lösungen von Salicyl- säure oder von Thj'mol. Bei Carcinomen, welche oberflächlich zer- fallen sind und stärker jauchen, ist ein energisches Abwischen der — 024 — exulcerirten Partien, mit oder ohne vorgängige Abschabung, mittelst in 5 bis 7 Procent Chlorzinklösung imbibirter Gazebäuschchen sehr am Platze. Zur Abspülung des Operationsterrains während der Exstir- pation empfehlen sich Iprocentige Chlorzink- oder saturirte Thyiuol- lösungen. Die Analgegend muss sorgfältig rasirt sein. Der Kranke hält die Steinschnittlage ein, a) Partielle Mastdarmexstirpation. Zunächst soll genügende Zugäng- lichkeit für Auge und Hand geschaffen werden. Handelt es sich um Neugebilde, welche circumscript nur einem Theile der Wand auf- sitzen, so genügt eine forcirte Dilatation des Schliessmuskels und das Eingreifen flacher Spateln. Die Excision erfolgt durch zwei halbellip- tische Schnitte, welche in genügender Entfernung der Geschwulst- grenze bis in das pararectale Bindegewebe eindringen. Die Ablösung der erkrankten Mastdarmwand wird hierauf am besten stumpf aus- geführt durch Zerreissung des laxen Zellgewebes; strammere Ge- websbündel umsteche und schneide man mit einer stumpfblätterigen Schere durch. Ist das von den halbelliptischen Schnitten umgrenzte Darmstück abgelöst und mit ihm das Neugebilde entfernt, so muss nach gründlicher Stillung jeder Blutung die Wunde gereinigt und schliesslich mit Jodoformpulver gut eingerieben w^erden. Zur Ablei- tung der Wundsecrete sticht oder bohrt man sich, nach v. Volkmmin, einen Draincanal von aussen zur Wunde, d. h. ausserhalb und neben dem sphincter, durch die äussere Haut in der Umgebung des anus, und legt ein starrwandiges Drainrohr so ein, dass dessen kielfeder- artig zugeschnittenes Ende bis zur Wunde reicht, worauf die Wund- ränder durch Zug einander genähert und durch exacte Naht vollends geschlossen werden. Die Nahtlinie Avird wieder mit Jodoformpulver sorgfältig eingerieben. Auf solche Weise schliesst man die Wunde von der Darmhöhle hermetisch ab, verhindert das Eindringen von Fäcalien und sorgt dennoch für den freien Abfluss etwaiger Wund- secrete. Damit das Drainrohr nicht verrücke oder ganz entgleite, schneidet man dessen äusseres Ende im Niveau der Haut ab und näht dessen Ränder an letztere an. Umgreift das Neugebilde das Mastdarmrohr circulär, so genügt jene Zugänglichkeit, welche eine forcirte Sphincterdilatation bieten kann, nicht, es muss dafür der Afterring sammt der Sphincterregidn incidirt werden. Verneznl exstir- pirt, wie schon gesagt, das Steissbein, Andere luxiren es im Nothfalle nach rückwärts. Nebst dem hinteren kann auch ein vorderer Längs- schnitt auf Kosten des Mittelfleisches angelegt werden, wodurch der Afterring in zwei halbkreisförmige Hälften gespalten wird, welche man durch seitlich angelegte spitze Haken auseinander ziehen lässt. Eine sehr wichtige Frage nach durch Rapheschnitte geschaffener Zugänglichkeit ist die: ob der untere gesunde Antheil der Darmrohr- schleimhaut erhalten werden soll oder nicht. Will man sie erhalten, so muss entsprechend der unteren Exstirpationsgrenze die Darmwand durch einen circulär laufenden Schnitt bis zum pararectalen Zellgewebe durchschnitten werden, worauf die möglichst stumpfe Ablösung des erla'ankten Darmrohres beginnt. Ein Assistent hält das untere, durch Ligatur verschlossene Darmrohrende mit einer Hakenzange fest und spannt es an, während der Operateur allmälig von unten nach auf- wärts mit Finger und Schere die Ablösung besorgt, bis die obere — C25 — Grenze des Xeugebildes erreicht ist. Oberhalb dieser, und zwar in genügender Entfernung von ihr, soll das Darmrohr nach doppelter Abbindung quer abgeschnitten werden. Bevor dies geschieht, muss jedoch Vorsorge getroffen werden, dass der Darmrohrrest nicht nach oben zu entschlüpfe; dafür dienen Haltfäden, welche man an zwei entgegengesetzten Punkten mittelst einer Xadel durch die erhaltene Darmwand einführt. Am zweckmässigsten wird derart verfahren, dass man vor der oberen Abtrennung die losgeschälte Darmpartie mit Hakenzangen so weit vorzieht, als es gelingen mag, ohne übermässige Kraft anzuwenden. Das rectum hat eine grosse Verschiebbarkeit, so dass es meistens anstandslos gelingt, das Neugebilde durch die er- weiterte Apertura ani fast ganz vorzuziehen, wenn es noch so hoch reicht. Man macht dann an der einen Seite mit der Schere einen Einschnitt, der die Darmwand trennt, und legt sofort am oberen Wundrand eine starke Seidenschlinge an. Das Gleiche wiederholt man auf der zweiten Seite und hat nun zwei sichere Halt- und Zugbänder gewonnen, welche nachträglich auch gleich zur Fixationsnaht benützt werden können. Erst jetzt trennt man die restirenden Brücken und mit ihnen den kranken Darmtract vollends ab. Blutet nach abgemachter Ligatur die Abtrennungsfläche etwas stärker, so lässt man mit dem Zuge der Haltbänder etwas nach, lüftet die Wunde und stillt die Blutung. Nach erfolgter Abspülung und Einreibung der Wunde mit Jodoformpulver vereinigt man schliesslich mit sehr exacter Ringnaht das Ende des cen- tralen Darmrohrrestes mit dem am Analtheile erhaltenen, gesunden peripiieren Mastdarmringe und schliesst damit die Wunde vom Darm- canale vollständig ab, nachdem früher auf v. Volkmann' sehe Art an mehreren, die Analöffnung umkreisenden Stellen Drainrohre eingelegt und auf früher beschriebene Weise in situ gesichert wurden. Esmarch meint, dass die Resection eines Stückes Darmrohr in der ganzen Cir- cumferenz mit nachfolgendem Zusammennähen der beiden Darmenden nicht rathsam sei, weil das periphere Ende des Darmrohres brandig zu werden pflege. Besser ist es, seiner Ansicht nach, die gesunde Schleim- haut des unteren Endes mit Schonung des Schliessmuskels abzutragen und das untere Ende des amputirten Mastdarmes an den Hautwund- rand mit einigen Knopfheften zu befestigen, zwischen welchen dann drainirt wird; man erspart auf diese Art die Anlegung eigener Draincanäle nach r. Volkmann's Methode. Gersuny dreht vor der An- heftung das herabgezerrte Darmstück auf 180^ um die Axe, um für den verloren gegangenen Sphincter einen theilweisen Ersatz zu bieten,, Nicoladoni befestigt das centrale Ende nicht durch Knopfnähte an die Analregion, sondern an einen Drahtring. Wurde im Verlaufe der Exstirpation das Bauchfell verletzt und das cavum Douglasii er- öffnet, so kann, wenn letzteres nicht verunreinigt wurde und kein Blut eindrang, die klaffende Bauchfellspalte mit Catgut vernäht werden, stets so, dass dabei die Serosaflächen gegenseitig in Contact kommen. Ist der Abschluss nicht angezeigt oder nicht gut ausführbar, so belässt man die Spalte offen und drainirt bis zu ihr. Selbst wenn das Carcinom die Grenze der extraperitonealen Rectalabtheilung überschreitet, soll es noch immer möglich sein, die Exstirpation ohne Verletzung des Bauchfelles auszuführen, wenn es gelingt, das peri- V. Mose tig - M o o rh of : Ilandbiicli d. cliirui'j. Xccliiük. 4. Auü. 40 — (j2G — toneum von der Mastdarmwand stumpf abzuliisen und letztere sub- peritoneal zu reseciren. Was soll schliesslich mit den Rapheschnitten geschehen? Hat man bilateral, d. h. nach vorne sowohl als auch nach rückwärts inci- dirt, so muss der vordere Rapheschnitt unter allen Umständen durch die Naht geschlossen werden. Bezüglich des Verhaltens mit dem hinteren Rapheschnitt nach Velpeau sind die Meinungen getheilt. Ein- zelne Chirurgen plaidiren für eine genaue Vereinigung schon mit Rücksicht auf die Reintegrirung des sphincter ani, andere besorgen Secretverhaltungen und überlassen die Wundspalte der Granulation. Als Mittelweg bliebe die theilweise Vereinigung nach vorne, id est der Schleimhaut und des sphincter, während nach rückwärts, dem Steissbeine zu, die Wunde offen bliebe und drainirt werden könnte; freilich müsste dabei der Nahtverschluss im Mastdarmrohre ein voll- kommener sein. Recht unangenehm sind jene Fälle, wo nach der Ex- stirpation krebsig infiltrirte Lymphdrüsen im retrorectalen Zellgewebe der Kreuzbeinaushöhlung vorgefunden werden; nicht dass deren Ex- stirpation besondere Schwierigkeiten schaffen würde, allein die dabei sich einstellende Blutung ist schwer zu stillen, da wegen der Tiefe und der Lockerheit des Zellgewebes das richtige Fassen und Unter- binden der Gefässe kaum sicher gelingt. b) Totale Mastdarmexstirpation. Da hierbei die ganze Analöffnung sammt dem Schliessmuskel mitentfernt Averden muss, wird die Ope- ration nach Lwfranc mit einem Kreisschnitte begonnen, der in ent- sprechender Entfernung der Apertura analis diese umgrenzt. Vom Kreisschnitte aus in die Tiefe präparirend, gelangt man bald nach Durchschneidung des levator an das pararectale Zellgewebe, worauf die Technik den Gang der partiellen Exstirpation befolgt. Bei der Ablösung der vorderen Mastdarmwand sind die adnexen Gebilde: vagina oder Harnröhre und prostata zu schonen ; erstere wird am besten geschützt, wenn man den Assistenten einen Finger in die Scheide ein- führen und alldort der hinteren Vaginalwand angelegt halten lässt, als Orientirung für den Operateur. Bei Männern ist es gerathen, zu gleichem Zwecke eine dicke Metallsonde in die Harnröhre einzuführen bis zum Blasenhalse hinauf. Ist die obere Grenze der Neubildung erreicht, so verfährt man wie früher erwähnt, vernäht schliesslich den nach abwärts verzogenen Rectalrest mit dem Hautrande und drainirt zwischen den einzelnen Nähten. Wäre die Ablösung der erkrankter Rectal- wand trotz correcter Vorziehung und Anspannung durch Hakenzangen schwer, oder würde eine stärkere Blutung grössere Zugänglichkeit nothwendig machen, so unterläge es natürlich keinem Anstände, den hinteren Rapheschnitt von der Wunde aus auszuführen, eventuell mit Verlängerung desselben entlang dem Steissbeine mit Luxation oder Exstirpation des Knochens. Eine Längsspaltung des carcinösen Mastdarmrohres behufs leichterer Abschälung verbietet sich unter allen Umständen, schon wegen der Gefahr, dass während des Operirens septische Stoffe in die frische Höhlenwunde eindringen; das erkrankte Darmrohr muss vielmehr vollends geschlossen bleiben und als Ganzes entfernt werden. In jenen Fällen, wo die Exstirpatio recti nicht mehr ausführbar ist, oder von dem Kranken nicht zugegeben wird, muss auf andere — 627 — ^Yeise, wenigstens für die Möglichkeit unbehinderter Stuhlentleerung gesorgt werden. Man kann dieser Indicatio vitalis genügen: 1, Durch die mediane lineare Rectotomie nach Trelat und Vernenil. Die einzige Gegenanzeige hiefür gibt nur die Unmöglichkeit, die obere Grenze der neoplastisch verengten Mastdarmpartie mit der Spitze des Zeige- fingers überschreiten zu können. Die Trennung der Verengung, be- ziehungsweise die Längsspaltung des Neugebildes kann mit dem Ecraseur, mit der galvanocaustischen Schlinge oder mit dem Thermo - cauter vorgenommen werden. Die Technik ist folgende: der Mastdarm ist durch Ausspülungen gründlich gereinigt, der Operateur führt seinen linken Zeigefinger in den Mastdarm und drängt dessen Spitze durch die Strictur hindurch, bis sie deren obere Grenze überschritten; hierauf ergreift er das Glühmesser und dringt unmittelbar vor der Spitze des Steissbeines durch die Haut in einer Richtung vor, welche schräge zur Spitze des eingeführten Zeigefingers führt. Das Glühmesser dringt allmälig ein und nähert sich dem Zeigefinger, welcher sofort zurückgezogen wird, sobald die Hitze anzeigt, dass das Glühmetall schon recht nahegerückt sei. Mit dem Finger wird auch der Thermo- cauter entfernt und nun eine Hohlsonde durch den Brandcanal in den suprastricturalen Mastdarmtheil eingeschoben. Damit sind die gleichen Verhältnisse gegeben, wie sie für eine gewöhnliche Mast- darmfistel Geltung haben; es handelt sich nur mehr um die Spaltung der Brücke, da diese aber sehr blutreich ist, vermöge ihrer Mächtig- keit und Länge, so bediente sich Verneuü zu ihrer Trennung entweder der galvanocaustischen Schlinge oder der Ecraseurkette, oder ein- facher noch des thermocaustischen Messers. Nach vollführter blutloser Spaltung wird die Wunde sich selbst überlassen und kein Drainrohr oder sonstiger Fremdkörper eingelegt; der Spalt bleibt offen und macht die Kothentleerung auf relativ natürlichem Wege möglich. 2. Durch Anlegung eines künstlichen Afters auf dem Wege der Colostomie. So sehr hochgelegene Mastdarmkrebse, deren oberes Ende mit dem Finger nicht mehr erreichbar ist, galten früher für nicht operable, einerseits weil man sie trotz Spaltung der raphe und Excision des Steissbeines von unten her nicht auszuschälen vermochte, andererseits weil die schwer stillbare starke Blutung und die Verletzung des Bauchfelles nur zu sehr berechtigte Bedenken ergaben. Kraske hat ein Verfahren ersonnen, welches selbst zum oberen Dritttheile des Mastdarmes hinreichende Zugänglichkeit bietet, um bequem operiren und alle Blutung sicher bemeistern zu können. Es besteht in der Ab- tragung des linken Kreuzbeinflügels mittelst Meissel und Hammer. Man spaltet in der rechten Seitenlage des Kranken durch einen Längs- schnitt die Weichtheile in der Medianlinie der hinteren Kreuzbein- fläche, von der Mitte des sacrum bis zum After, exstirpirt, ohne das Mastdarmrohr zu durchschneiden, das Steissbein in seiner Totalität und löst die Insertion der Glutealmusculatur von dem unteren Theile des linken Kreuzbeinflügels ab. Nach entsprechender Abziehung des Hautmuskelrandes werden zunächst die ligamenta: tuberoso-sacrum und spinoso-sacrum durchschnitten und hierauf vom linken Kreuz- beinflügel ein halbmondfr)rmiges Randstück abgestemmt, dessen Grösse dem jeweiligen Zugänglichkeitsbedürfnisse entsprechen mag. Kraske 40* - G28 - will bis zum dritten liintoren Kreuzbeinluclie vordringen, ja erachtet es für denkbar, noch mehr vom sacriim excidiren zu können. Es mag aber besonders betont werden, dass man ja nicht höher als bis zum vierten Kreuzbeinloche vordringen könne, ohne dem Kranken bleiben- den Schaden zuzufügen. Vom vierten Sacralnerven geht nämlich ein motorischer Ast zur prostata und zum fundus vesicae ab, dessen Verletzung Störungen in der Blasenentleerung sub forma von Ischurie oder gar von Incontinenz zur Folge haben müsste. Von der Lücke aus kann der Mastdarm von der Umgebung abgelöst, nach eventuell durchschnittenem Bauchfelle (plica recto-sacralis) in das Bereich des S romanum eingedrungen und nach angelegter centraler Abbindung des Darmes die circulare Trennung in beliebiger Höhe vorgenommen werden. Die periphere Durchschneidung unterliegt keinen weiteren Schwierigkeiten, ebenso wenig das Herabziehen des unterbundenen centralen Darmendes. Es bleibt sich vom technischen Standpunkte gleich, was ferner geschehen soll. Man kann das obere Ende mit dem unteren Mastdarmreste vollends vereinigen (Wiederherstellung der Continuität), ersteres nach rückwärts vorziehen und dessen Ränder eventuell unter Achsendrehung an die äussere Haut annähen (Bildung eines widernatürlichen Afters), endlich auch bloss die Vorderwand des oberen Darmendes mit der entsprechenden Wand des Mastdarmrestes durch die Naht vereinigen und die Rückwände klaffend lassen (modi- ficirter anus praeternaturalis!, schliesslich auch nach gänzlicher Ex- stirpation des rectum, das S romanum bis zur Afterspalte herabziehen und ersteres durch letzteres ersetzen. Nach ausgeführter hoher Re- section will Hochenegg die Darmcontinuität auf die Weise herstellen, dass er das obere Ende durch den erhaltenen Mastdarmrest zieht, also quasi invaginirt. Hierauf wird die Invaginationsstelle ringsum suturirt, und zwar die Aussenwand des oberen Darmtheiles an den Innenrand des Mastdarmrestes, also serosa mit mucosa. Nun wird am oberen Darmtheile noch angezogen, wodurch der Mastdarmrest, da er an ersterem sutui'irt ist, eingestülpt wird. Hat er einen serösen Ueberzug, so kommt dann serosa an serosa zu liegen, und beide ver- kleben rasch. Kothinfection ist dadurch vorgebeugt; ob die Invagi- nationsstelle nicht später zu Verengerungen Anlass geben könnte, steht noch dahin. Erst nach Versorgung des oberen Darmendes auf die eine oder die andere Weise wird die Ligatur abgenommen, welche nur eine temporäre Absperrung des Darmes bezweckt, um jede fäcale Verunreinigung des Operationsfeldes mit Sicherheit zu vermeiden. Eine Occlussionsnaht der Bauchfellspalte ist unnöthig, weil das herab- gezerrte S romanum den Abschluss der Bauchhöhle hinlänglich be- sorgt. Die eben angedeutete, sogenannte sacrale Methode der Mastdarm- excision und Mastdarmresection hat in kurzer Zeit in der Chirurgie Aufnahme gefunden und sich bei Männern als Normalmethode ein- gebürgert. Nachdem es in praxi hinlänglich erwiesen wurde, dass die Eröffnung des Sacralcanales schadlos ertragen werde und die Durch- trennung der unteren Kreuzbeinnerven keine dauernden Lähmungen hinterlassen, unterliegt die sacrale Methode keinem physiologischen Anstände mehr. Und die Methode bietet wesentliche Vortheile; so die Möglichkeit, die Ausschälung mit Zuhilfenahme des Gesichtssinnes ausführen, die Blutung sicher stillen, und sich vor einer Besudelung — 629 — des Operationsplaniim durch Abbinduiig des erkrankten Rohrtheiles und Compression der zurückbleibenden Darnilumina schützen zu können, weiters infiltrirte Retroperitonealdrüsen leicht exstirpiren zu können; ja man kann sagen, dass eine Resection des carcinösen Darmes nur durch diese Methode relativ leicht und gefahrlos aus- führbar sei. Bardeuhener will das untere Kreuzbeinsegment, id est vom dritten Kreuzbeinloche abwärts der Quere nach ganz durchtrennen, Hochenegg empfiehlt, den Kranken auf die linke Seite zu lagern und den Schnitt statt gerade krummlinig zu führen: er soll entsprechend der Mitte der linken Symphj-sis sacre-iliaca beginnen, und in nach rechts convexem Bogen über die Mittellinie bis zum rechten lateralen Rande des Steissbeines geführt werden; bei der Nothwendigkeit gleich- zeitig auch die Analportion zu exstirpiren, umkreist der Schnitt auch diese. Die Resection betrifft ein Stück des rechten Kreuzbeinflügels. Für gar schwierige Fälle will Rose das Kreuzbein im Niveau des oberen Randes der apertura ischiadica major in toto quer abtragen, und zwar durch x\nwendung von starken Knochenkneipzangen. Es soll in Folge Einquetschung des Knochens dadurch der Sacralcanal verschlossen werden. Kocher meisselt nur das Mittelstück des os sacrum heraus zwischen den Sacrallöchern bis in die Höhe der dritten fora- mina posteriora, Avodurch sämmtliche aus diesen heraustretenden Sacralnerven vollends geschont werden. Man hat aber um den mehr- fache Xachtheile im Gefolge bringenden Knochendefect zu meiden, auch die temporäre Kreuzbeinresection in Vorschlag gebracht und zahlreiche verschiedene Operationsverfahren hiefür angegeben. Hegar bildet einen V-förmigen Weichtheilknochenlappen mit oberer Basis, den er temporär nach oben zu verlagert; Heiuecke durchtrennt das Kreuzbein in der Mitte und klappt es zu beiden Seiten auseinander, nachdem er noch einen oberen Querschnitt zugefügt. Rifdygier macht einen schrägen, dem Kreuzbeinrande entsprechenden Lateralschnitt, dem er einen queren oberen zufügt. Nach Abstemmung des sacrum in der Quere w^ird der "Weichtheilknochenlappen gegen die andere Seite zu aufgeklappt. Da hierdurch die Blutzufuhr gesicherter ist, hat man eine Xecrosirung des temporär resecirten Sacrumtheiles weniger zu besorgen. Leinj- Schlange bilden einen viereckigen "Weichtheil- knochenlappen mit unterer Basis und klappen ihn nach abwärts um. Für gar extreme Fälle haben Gautier und Boeckel die Combination des A''rrtsÄ;e'schen Verfahrens mit lumbaler Laparotomie empfohlen, um sicher Alles exstirpiren zu können. Der Operirte behält einen anus lumbalis. Quenu, in richtiger Erkenntniss der Schwere des Eingriffes, empfiehlt diesen in zwei Zeiten auszuführen. Man colotomirt zuerst in der linea alba mit Versenkung des distalen Darmendes. Nach eta- blirtem künstlichen After schreitet man erst zur Exstirpation der auf diese "Weise ausgeschalteten Darmpartie und hat den Vortheil sauberer operiren zu können. Bei Frauen kann man nach Rehn hochreichende Carcinome statt auf sacralem auf vaginalem Wege angehen. Nach Tamponade des Mast- darmes und Desinfection der vagina, Längsspaltung der hinteren Scheidewand und des Dammes bis zum sphincter, beziehungsweise Umschneidung der Aftermündung und Fortsetzung des Längsschnittes bis zum Steissbeine, falls die Apertura ani ergriffen. Durch stumpfes — r>30 — Präpariren mit Finger und Schere ringförmiges Loslösen des rectum von der Scheide aus, worauf unterhalb der peripheren Grenze der Neubildung der Mastdarm abgebunden und durchschnitten wird. Nun kann der unten abgelöste Mastdarm nach oben gegen die Scheide zu erhoben und unter sorgfältiger Blutstillung bis über die obere Grenze der Neubildung ausgelöst werden. Muss das Bauchfell eröffnet werden, so gelingt es leicht erkrankte Drüsen bis an das Promontorium zu entfernen und die Flexur nach eventueller Naht des Peritoneum her- unter zu ziehen. Entfernt man auch die Portio analis, so entfällt die untere Durchtrennung des Mastdarmes. Man umschneidet dann circulär mit oder ohne Schonung des Schliessmuskels, bindet unten ab und präparirt nach aufwärts. Bis zur Durchtrennung des levator schneide man nach angelegten Umstechungen; erst oberhalb der Levatorgrenze kann stumpf präparirt werden. VII. Verfahren bei angeborenem Mastdarmverschlusse. Die Formen der unter dem Collectivnamen Atresie bekannten, angeborenen Missbil- dungen des Afters und des Mastdarmes sind mannigfaltig. Zu ihrem Verständnisse müssen einige Daten aus der Entwickelungslehre vor- ausgeschickt werden. Bekanntlich finden sich bis zur fünften Woche beim Fötus keine getrennten Oeffnungen für Darm- und Urogenital- apparat vor, sondern beide Systeme münden in eine gemeinschaft- liche Cloake. Der spätere Mastdarm bildet sich aus zwei getrennten Canälen, welche später zu Einem verschmelzen; der obere Canal, Enddarm genannt, endet in jener Epoche blind und communicirt nur mit der aus ihm hervorwachsenden Allantois, welche ihrerseits an der Vorderfläche des Unterleibes ausmündet. Nun bildet sich von aussen her, am hinteren Leibesende der Frucht, eine Einstülpung, welche immer mehr an Tiefe gewinnt und somit nach oben zu blind- sackartig wächst, bis deren Grund mit dem gleichzeitig nach abwärts wachsenden Blindsacke des Enddarmes zusammentrifft und mit ihm verschmilzt: die Scheidewand verschwindet schliesslich und beide Rohre sind zu einem einzigen geworden, zum Mastdarm. Gleichzeitig mit dem Heruntersteigen des Enddarmes verengert sich allmälig dessen Communication mit der Allantois — die spätere Harnblase — und verschliesst sich endlich, womit auch die bleibende getrennte Ausmündung des uropoetischen vom chylopoetischen Systeme ge- geben ist. Alle Formen der Atresia congenita sind als Bildungshemmungen aufzufassen und beziehen sich theils auf Wachsthumshemmungen des Enddarmes und der Analeinstülpung, theils auf der offen bleibenden Communication des Enddarmes mit dem uropoetischen Systeme. Wir wollen nun die einzelnen Formen bezüglich der thera- peutischen Eingriffe, die sie erfordern, besprechen. Die dringendste Indication zur raschen Abhilfe geben jene Formen, bei denen der Enddarm complet abgeschlossen bleibt; jene, bei denen eine Verbin- dung mit dem uropoetischen Systeme besteht, sind insofern weniger dringlich als das angesammelte Meconium, wenn auch auf falscher Bahn, so denn doch sich wenigstens theil weise, mehr minder leicht — Gol — zu entleeren vermag. So wollen wir zunächst denn jene Missbildungs- formen besprechen, bei denen ein absoluter Verschluss besteht. Esmarch unterscheidet drei Tj'pen: 1. Atresia ani. Die Aftereinstülpung fehlt gänzlich, aber der Enddarm besteht in normaler Länge und ist als Blindsack durch eine häutige Wand von der Aussenwelt abgeschlossen. Bei dieser Form ist die Analgegend zumeist durch den mit meconium vollgefüllten Enddarm etwas vorgewölbt und baucht sich stärker vor, sobald das prelum abdominale beim Schreien des Neugeborenen wirksam wird. Die Abhilfe ist nicht scliAver: man spaltet die Vorwölbung ähnlich wie einen Abscess und lässt den Inhalt abfliessen; damit keine Ver- engerung oder Wiederverwachsung des Spaltes eintrete, ist es zweck- mässig, nach der Längsspaltung die häutige Verschlusswand noch bilateral quer zu incidiren und die aus dem Kreuzschnitte resultiren- den vier Läppchen abzutragen. Manchmal wird eine Atresia ani auch durch eine einfache Epithelialverklebung am Analende des sonst voll- kommen ausgebildeten Mastdarmes vorgetäuscht. Man versäume es daher bei angedeuteter Aftereinstülpung nie, durch starkes Abziehen der Hinterbacken sich zu überzeugen, dass wirklich ein häutiger Verschluss vorliege. Eine Epithelialverklebung müsste wohl dem Zuge weichen, 2. Atresia recti. Der Anus ist zwar bis oberhalb der Sphincteren ausgebildet, endet aber blind; ebenso ist der Enddarm bald höher, bald tiefer, nahe dem Analblindsacke abgeschlossen. Bei dünner Zwischenwand fühlt die in den Analblindsack eingezwängte Spitze des kleinen Fingers den Anprall des Meconium beim Schreien des Kindes. Das einfachste Verfahren ist dann, gleich neben der Finger- spitze einen Troisquart einzuführen und damit die Zwischenwand zu durchstossen. Nach Entfernung des Stachels lässt man das meconium durch die Canüle herausf Hessen und entleert nach Möglichkeit den Darmcanal durch Injectionen von lauem Wasser. Schliesslich schiebt man eine Knopfsonde durch die Canüle ein, zieht die Canüle aus und führt entlang der Knopfsonde eine Knopfbistouri ein, womit dann die Spaltung der Scheidewand vervollständigt wird. Damit der so gebahnte Weg sich später nicht narbig verengere, gibt Esmarch den Rath, ein Hartgummirohr durch den anus einzuschieben und dasselbe längere Zeit liegen zu lassen. Später wird ein Bougieren in regelmässigen Pausen wiederholt nothwendig. Diese Gefahr der Stricturirung wird um so grösser sein, je dicker die Trennungsschicht zwischen beiden Blindsäcken ist; sie ist nur dadurch gründlich zu beheben, dass man die Blindsäcke, beziehungsweise deren Spaltränder gegenseitig vernäht und dadurch eine Schleimhautcontinuität zu erzielen trachtet. Um diese schwierige Naht überhaupt möglich zu machen, und weil an- dererseits bei dicker Zwischenschicht das Eingehen mit dem Troisquart denn doch weniger Sicherheit bietet als das langsame Trennen mit dem Scalpelle unter steter Controle des Fingers, pflegt man als Voract die Analöffnung blutig zu erweitern, ähnlich wie bei der Ex- stirpatio recti, also durch den hinteren Rapheschnitt, eventuell mit Exstirpation oder Luxation des Steissbeines. 3. Atresia ani et recti. Diese ist wohl die schwerste Form, weil weder anus noch Enddarm ausgebildet sind, der Blindsack des letz- - 63-2 — teren hoch über der tilatten Aftergegend steht und zumeist auch das Beckenskelet enge und in der Entwickelung zurückgeblieben ist. Dieser Form abzuhelfen, stehen dem Chirurgen zwei Verfahren zu Gebote: die Proctoplastik und die Colostomie. Proctoplastik ist synonym mit Bildung eines Mastdarmes. Diese zumeist sehr schwierige, oft ganz unmögliche Operation besteht ihrem Wesen nach in einer Spal- tung der Beckenweichtheile, im Sinne einer Richtung, die dem fehlen- den Mastdarme entspricht, bis zur Auffindung des Enddarmblind- sackes, im Herabziehen desselben bis zum Hautniveau nach stumpfer Isolirung und Lostrennung von der Nachbarschaft, in der Eröffnung des Blindsackendes, und in dessen Vernähung mit der Haut. Diese Operation ist nur in solchen Fällen ausführbar, wo der Enddarm unterhalb des cavum Douglasii endet; wo er höher schon aufhört, wäre das Aufsuchen und Vorziehen nur unter der Voraussetzung einer Eröffnung der Bauchhöhle möglich; da aber diese nicht er- öffnet werden darf, so resultirt daraus die Unmöglichkeit einer Procto- tomie und die Nothwendigkeit, sich als Ersatz der Colostomie zu bedienen, und zwar am besten jener nach Littre, da durch sie das prall gefüllte S romanum am leichtesten gefunden, fixirt und eröffnet werden kann. Die Technik einer Proctoplastik gestaltet sich wie folgt: das Kind wird am Rande eines Tisches am Rücken liegend gelagert, die Füsse, in den Hüft- und Kniegelenken gebeugt, werden abgezogen festgehalten; bei Kindern männlichen Geschlechtes bringt man eine entsprechend calibrirte Metallsonde durch die Harnröhre in die Blase, bei Mädchen markirt man auf ähnliche Art die vagina. Nach voll- zogener Desinfection der Haut führt man einen Längsschnitt, welcher in der Mittelfleischgegend beginnt (Schonung des bulbus urethrae bei Knaben) und vor der Spitze des Steissbeines endet. Nun arbeitet man mit dem Scalpelle weiter in die Tiefe, schichtenweise vordringend, und sondirt fleissig mit der Kleinfingerspitze nach dem prall gefüllten Blindsacke des Enddarmes. Die Achse des Wundcanales, den man auf solche Weise schneidet und bohrt, soll eine gekrümmte, der Aus- höhlung des Kreuzbeines annähernd parallele Richtung einhalten ; vor einer Verletzung der Harnröhre oder vagina schützt das dort placirte durchfühlbare Instrument. Stosst man in grösserer oder geringerer Tiefe auf den Darmblindsack, so wird das Messer beiseite gelegt und der Operateur versucht auf zarte Weise den Enddarm vom um- gebenden Zellgewebe im ganzen Umfange loszulösen, um es beweglich zu machen und später in toto nach abwärts ziehen zu können. Es wird also ähnlich vorgegangen wie bei der Exstirpatio recti, nur viel zarter, damit das prallgefüllte Darmstück nicht platze und den frischen Wundcanal besudle. Ist die Ablösung gelungen, so dringt man von unten mit einem mittelstarken Troisquart in den Blindsack ein, entfernt den Stachel und lässt das Meconium ab, dessen Entleerung durch sanftes Streichen des Unterleibes und laue Eingüsse bethätigend. Wenn schliesslich der Enddarm schlaff geworden, setzt man neben der Troisquart- canüle zwei spitze Häkchen in den Blindsackgrund ein, oder legt mittelst Nadel zwei Seidenfäden als Zug- und Haltebänder ein, spült den Wundcanal mit einer antiseptischen Lösung nochmals rein ab — G38 — und zieht den Blindsack sammt der liegenbleibenden Canüie vor, womöglich bis zum äusseren Hautniveau. Hier angelangt, entfernt man die Canüie bei fortdauernder antiseptischer Irrigation und er- weitert den Stichcanal zu einer Längswunde, deren Ränder man sofort mit den Hauträndern vernäht, wozu auch die früher eingeführten Haltebänder mitverwendet werden können. Meistens werden vier bis sechs Knopfnähte in gleichmässigen Abständen zur Fixation be- nöthigt: vorsichtshalber kann man zwischen je zwei Nähten auch drainiren. Die Xahtlinie wird schliesslich mit Jodoformpulver einge- rieben, die Umgebung mit Salicylpaste bestrichen. Wäre der Enddarm so sehr kurz, dass dessen Vorziehen bis zum Hautniveau nicht ge- länge, so müsste die Haut durch Unterminirung, eventuell auch durch Zugabe zweckentsprechender Entspannungsschnitte so weit mobilisirt werden, dass man sie in den Wundcanal einstülpen und hierselbst mit dem Darmende vernähen kann. Der Wundcanal darf aus zwei Gründen nicht frei und unbedeckt als Mastdarmsurrogat benützt werden: erstens einmal wegen der Gefahr septischer Phlegmone, welche in das Beckenzellgewebe übergreifen kann, und ferner wegen der späteren Narbenverengerung, welche nur schwer zu bekämpfen wäre. Gibt die einfache Längsincision nicht genug Zugänglichkeit, so können auch die früher erwähnten Erweiterungsmethoden des Becken- ausganges: Exstirpation des Steissbeines, Verwendung finden mit Bildung eines anus sacralis. Es drängt sich noch die Frage auf, wie hoch man überhaupt von aussen her eindringen dürfe, ohne Gefahr zu laufen das Bauchfell zu verletzen. Im Allgemeinen gelten 4 Centi- meter als das Maximum. Ist in solcher Tiefe der Blindsack noch nicht zu entdecken, so unterbreche man die Operation und wende sich zur Colostomie. Scheut man bei einem Neugeborenen eine Laparotomie nicht, so kann auch das Verfahren von Macleod zur Anwendung kommen, darin bestehend, nach medianer Spaltung der Bauchdecken in die Bauchhöhle einzudringen, den Blindsack des Enddarmes aufzusuchen, ihn von seinen Verbindungen zu lösen, hierauf gegen den Becken- ausgang zu drängen und nach Spaltung des Douglasi'schen Raumes durch die früher gesetzte Mittelfleischwunde vorzuziehen, um schliess- lich, nach Entleerung des Meconiums mittelst Troisquarts, zur Procto- plastik zu schreiten. Es wurde früher erwähnt, dass der angeborene Afterverschluss sich mit einer Persistenz der fötalen Cloake combiniren könne, so dass der Enddarm sich in das uropoetische System öffnet und seinen Inhalt auf solch abnormem Wege nach aussen entleert, mehr minder frei, je nach Weite der Fistelcommunication und jener des gemein- schaftlichen Ausführungsganges. Bei Mädchen ist nur eine Ausmün- dung des Enddarmes in die Scheide möglich — anus vaginalis — bei Knaben entweder in die Harnblase — anus vesicalis — oder in die Harnröhre — anus urethralis; seltener kommt es vor, dass der Darm durch einen sehr engen Fistelcanal am hinteren Rande des scrotum ausmündet. Kinder mit anus vesicalis sterben bald nach der Geburt in Folge Verjauchung der Blase. Kommt es dennoch zur Operation dieser seltenen Abnormität, so darf nach JeanneJ ja nicht vom Mittel- fleische aus eingedrungen Averden, in der Hoffnung den Blindsack zu — 034 — finden. Dieser steht so sehr hoch, dass man ihn vom perineum aus gewiss nicht zu erreichen vermag. Statt der Proctoplastik soll also stets sogleich zur Colostomie geschritten werden. Bei anus urethralis bleibt die Operation die gleiche wie bei Atresia ani, weil der Enddarm dabei tief nach abwärts ragt. Nach Etablirung des Afters schliesst sich der enge Fistelgang zumeist spontan, oder kann vor seiner Einmündungssteile abgebunden oder endlich abgetrennt und verzogen werden. Beim anus vaginalis kann man mit der Operation temporisiren, mindestens bis die Mädchen die ersten drei Monate nach der Geburt überlebt und sich gekräftigt haben, da der Abfluss des Meconium per vaginam nicht wesentlich behindert zu sein pflegt. Die Operation des anus vaginalis besteht in der Wegbahnung von der Stelle aus, wo der After liegen sollte, bis zur Erreichung des Blindsackgrundes, dessen Auffindung durch Sondirung vom Fistelgange aus erleichtert werden kann. Hat man die hintere, beziehungsweise untere Fläche des Enddarmes erreicht, so kann weiter auf doppelte Art verfahren werden: entweder man bekümmert sich vorläufig um die Ausmündungsstelle in die vagina nicht, sondern zieht die vorliegende Darmwand vor, spaltet und befestigt sie am Haut- rande (Methode von ^^icq d'Azyr), oder man trennt die vordere Darm- wand von der vagina los, verzieht das dadurch gewonnene Darm- lumen in die Operationsspalte und näht es dortselbst entsprechend dem hinteren Wundwinkel an die Haut, nachdem man die Oeffnung der Vaginalwand von der Wunde aus vernäht hat. Die letztgedachte Methode nach RizzoU ist jedenfalls zweckdienlicher, weil sie die Defecte in einem Acte ausgleicht. Würde die Vicq crAzyr'sche Methode ein- geschlagen, so könnte man von der Wunde aus den wundgemachten Fistelgang knapp hinter seiner Einpflanzung in die vagina abbinden, auf dass Verwachsung eintrete, oder man müsste in späterer Zeit von der Fistel aus die Spaltung der hinteren Vaginal- und vorderen Rectal- wand nach abwärts vornehmen, die Schleimhaut der Fistelumrandung exstirpiren und sodann eine genaue Sutur anlegen, durch welche der Damm wiederhergestellt wird (König). Bei Perinealfistel pflegt man nach Herstellung des Afters den engen Gang einfach zu spalten, nachdem dessen Einmündung in den Darm getrennt und durch Vor- ziehung des Enddarmes gelegentlich seiner Anheftung an die äussere Haut verlegt worden ist. V. Capitel. Operative Eingriffe an Eingeweidebrüchen. Unblutige Reduction von Hernien. Taxis. Den Chirurgen interessirt wohl nur die Reposition eingeklemmter Eingeweidebrüche, denn bei freien Brüchen besorgt sie der Kranke selbst, durch einfaches Com- primiren der Bruchgeschwulst. Nicht eingeklemmte, aber im Bruch- sacke fixirte Hernien sind einer Taxis nicht zugänglich, sie weichen kaum einer lange fortgesetzten, mit Fasten, Purgiren, erhöhter Lage der BruchgescliAvulst und des Beckens nebst localen Bähungen unter- — G35 — stützten Massage. Nicht jeder eingeklemmte Bruch , darf einer Taxis unterzogen werden: man muss hiefür die Gewissheit haben, dass die vorgelagerten Eingeweide keine Ernährungsstörungen oder Ver- letzungen haben, welche zu sofortigem oder secundärem Kothergusse in die freie Bauchhöhle Anlass geben könnten. Nicht nur die Wahr- scheinlichkeit, sondern selbst nur die Möglichkeit eines derartigen Thatbestandes contraindicirt jede wie immer geartete Taxis. Der Eintritt tieferer, keinen Ausgleich mehr zulassender, durch das mechanische Moment der Einklemmung bedingter Ernährungsstörungen hängt vorzugsweise ab: einerseits von der Dauer und Schwere der Einklemmung, andererseits von der Grösse und dem Quäle der jeweiligen Bruchgeschwulst. Kleine, nur eine Darmschlinge oder gar nur eine Darmwand bergende Hernien sind oft schon nach wenigen Stunden nicht mehr zur unblutigen Reduction sicher geeignet, während grosse Brüche, welche nebst einer Darmschlinge vielleicht auch Netz ein- schliessen, selbst noch nach vielen Tagen reductionsfähig bleiben. Der Grund gipfelt in der jeweiligen Intensität der circulären Compression, welche der klemmende Bruchsackring und eventuell auch die Bruch- pforte auf den Bruchinhalt ausüben. Die Taxis kann durch Mittel unterstützt werden, welche bezwecken : a) Die Körpermusculatur zu entspannen. Hiefür dienen warme Vollbäder (28 Grad R.) längerer Dauer, subcutane Morphiumeinspritzungen, end- lich als Hauptmittel: tiefe Narcose. h) Die Thätigkeit der Darmmusculatur anzuregen, um durch die gesteigerte Peristaltik, also durch inneren Zug die manuelle Reduction zu erleichtern oder gar sie spontan herbeizu- führen. Als Erregungsmittel können dienen : die locale Kälte durch Eis- compressen, Eisbeutel, Douche, Aetherspray oder Uebergiessen mit Aether etc., Elektricität als Elektropunctur nach Leroy d'Etiolles oder als galvanischer Strom nach Velpeav, endlich erregende Klystiere, unter denen die aus Tabaksblättern bereiteten lange Zeit in grossem Ansehen gestanden sind. Für den modernen Chirurgen sind all die Mittel gleichbedeutend mit nicht bloss unnützem, sondern direct schädlichem Zeitverlust, cj Die Entspannung der eingeklemmten Darm- schlinge durch Function und Aspiration, um sowohl Gase als auch flüssigen Darminhalt auszupumpen und den gefüllten Darm zu er- schlaffen (Dolheau, Demarquay u. A.). Die Function eines Darmes mit feinster Hohlnadel ist kein gerade irrationelles, meistens sogar ein gefahrloses Verfahren; seitdem aber die Antisepsis die Schrecken, welche in vorantiseptischer Zeit dem Bruchschnitte anhafteten, für immer gebannt hat, ist sie auch noch anderer Gründe halber ganz und gar verlassen worden. Die manuelle Taxis bezweckt, die eingeklemmten Eingeweide ent- weder in die Bauchhöhle zurückzuziehen oder sie zurückzudrücken; letztgenanntes Verfahren ist das gewöhnliche, bei allen Brucharten anwendbare; nur in manchen Fällen kann es gleichzeitig auch durch ersteres unterstützt werden. Ob die Taxis am Operationstisch oder im warmen Wasserbade, mit oder ohne Narcose geübt wird, stets ist es Erforderniss, durch eine geeignete passive Stellung des Bruchkranken die Bauchmusculatur zu entspannen und die bestmögliche Zugäng- lichkeit zur Bruchgeschwulst zu schaffen. Erhöhte Lage des Beckens, vorgebeugte Haltung des Stammes und Beugung der unteren Extre- — (i3f) — mitäton in beiden Hüft- und Kniegelenken sind bei allen Bruchfirten gleich notliwendig-, mit Ausnahme der seltenen Hernia ischiadica, bei welcher gestreckte Beine besser taugen, wegen der dabei nothwendigen Entspannung- der Glutealmuskeln. Inguinal- und Femoralhernien, ferner die Hernia obturatoria machen nebst der Beugung auch eine Abduction des der Bruchseite entsprechenden Beines nothwendig. Der Patient liegt am Rücken, nur bei der Hernia ischiadica lateral auf der gesunden Seite oder vornüber am Bauche. Der Druck, welcher die Reduction des Bruchinhaltes bewirken soll, kann bei Scrotal- brüchen, hin und wieder auch bei stark prominirenden Nabelbrüchen, kurz bei Brüchen, welche man circulär vollends umfassen kann, durch elastischen Bindendruck ausgeübt werden (Mahonnenre), dadurch, dass man die ganze Bruchgeschwulst mit Gummibinden umwickelt. Weniger Sinn hat das Niederdrücken der Bruchgeschwulst durch elastische Binden oder deren Belastung durch Schrotbeutel von ;) Kilogramm Gewicht (Lannelongve). Besser und bei allen Bruchspecies anwendbar, ist die Compression durch Händegewalt. Bei kleinen Hernien übt man den Druck nur mit den Fingerspitzen der einen oder beider Hände, bei grösseren muss wohl die Druckkraft der ganzen Hand oder beider zugleich in Anwendung kommen. Beim Comprimiren ver- gesse man nie, dass das jeweilig Gedrückte nach jener Seite hin aus- weicht, wo es den geringsten Widerstand findet; bei einer Hernie gibt die einklemmende Stelle einen viel grösseren Widerstand ab als die seitlichen Wandungen der Bruchgeschwulst; es wird demnach der planlos gedrückte Bruchinhalt stets die Tendenz haben, seitlich aus- zuweichen. Aus diesem physikalischen Gesetze geht nun die Regel hervor: dass man diesem seitlichen Ausweichen, welches mit einer Stauung der Eingeweide vor der einklemmenden Pforte einhergeht, vorbeugen müsse. Es geschieht dies durch seitliches Anlegen zweier Finger der linken Hand am Bruch sacke in nächster Nähe der Pforte, welche wie starke Pfeiler wirken sollen, also nicht comprimiren, sondern nur der Aufbauschung, welche den Rücktritt durch die enge Pforte verhindert und erschwert, entgegen wirken müssen. Die frei- bleibende Hand soll dann, zumeist mit drei Fingern und dem gegen- gestellten Daumen oder mit vollem Griffe concentrisch drücken, und zwar bei grossen Brüchen erst jene Partie der Bruchgeschwulst comprimiren, welche der Pforte am nächsten liegt, da die dort be- findlichen Theile der Baucheingeweide auch zuerst zurückgebracht werden müssen. Gleichzeitig mit dem concentrischen, stetigen und langsam gesteigerten Drücken sucht man die Bruchgeschwulst hin und her zu verschieben, gleichsam als ob man deren Einpflanzung oder richtiger deren Ueb ergang in die Pforte lockern wollte. Diese lockernden, rasch auszuführenden Manipulationen sind sehr wirksam, indem sie den Klappenverschluss im eingeklemmten Darmtheile lüften und dadurch die Passage öffnen für den Rücktritt des Darm- inhaltes. Beginnt einmal dieser abzufliessen, was sich, da meist Darmgase vorhanden sind und diese zunächst abgehen, durch Gurren ankündet, dann ist auch der Erfolg gesichert. Bei bestehender Incar- catio stercoralis mangelt wohl das Gurren, ebenso bei reinen Epiplo- celen; hier tritt das Gefühl vor, dass der comprimirte Theil unter dem Drucke weicher wird und lanssam zurückweicht; dann wird eine — 637 — peripherer gelegene Xachbarpartie gefasst und gedrückt, und so geht man bei grossen Hernien schrittweise von oben nach abwärts vor, bis der Gesammtinhalt verschwunden ist und nur die entleerten Bruchhüllen übrig bleiben. Bei Enterocele schlüpft der letzte Theil der Schlinge förmlich unter den Fingern weg, bei Epiplocelen niuss auch der letzte Rest zurückgedrückt und zurückgeschoben werden. Ganz kleine Hernien erfordern insofern einen etwas verschiedenen Mechanismus, als ihre Kleinheit nur die Anlegung der Fingerspitzen einer oder beider Hände gestattet. Aber auch hier muss das seitliche Ausweichen verhindert werden, und zwar so, dass man die Pulpafläche aller benützten Finger zu einem Kreise versammelt so um die Bruch- geschwulst legt, dass die Fingerenden der Umgebung der Pforte genau anliegen und die Bruchgeschwulst umfassen: nun erst wird concentrisch gedrückt. Die Richtung, nach welcher man drückt, soll jener der Achse der Bruchpforte genau entsprechen. Will man den äusseren Druck dadmxh wirksamer machen, dass man gleichzeitig auf die central von der Einklemmungsstelle liegenden Partien der vorgetretenen Eingeweide einen Zug ausübt, so bedarf es hierzu der Mitwirkung eines Gehilfen, es sei denn, die Hernie wäre derart klein, dass der Operateur das Drücken nur mit einer Hand besorgen und die zweite frei behalten kann. Der Zug wird mittelbar geübt, und zwar zumeist durch kräftiges Streichen und Niederdrücken der Bauch- decken, in der Richtung voil der Bruchpforte ab. Das drückende Streichen spannt das eingeklemmte Eingeweide, und die Spannung bewirkt den Zug. Wird das Streichen vom Gehilfen ausgeführt, so muss dieser die eine flachgehaltene Hand auf die der Bruchpforte zunächst liegende Bauchfläche legen, die zweite Hand lastet ebenfalls flach auf die erste und beide zusammen drücken streichend, zumeist mit den Fingerspitzen zuerst senkrecht nach abwärts und dann in oben betonter Weise centralwärts. Da das Streichen in einer und derselben Richtung wiederholt werden muss, so resultirt, dass nach jedem einmaligen Streichen die Hände wieder frisch knapp oberhalb der Bruchpforte angelegt werden müssen, um die Procedur von vorne zu beginnen. Dieses Verfahren ist nur bei Leistenbrüchen üblich, seltener bei Schenkelhernien. Das sicherste Zeichen, dass die Taxis gelungen sei, ist das Auf- hören aller jener Symptome, welche durch die Einklemmung be- dingt waren. Das Verschwinden der Bruchgeschwulst und das Frei- werden des Bruchcanales, so dass durch Einstülpung der entleerten Bruchhüllen eine Fingerspitze in und durch die Bruchpforte einge- führt werden kann, sind wohl in der Regel auch massgebende Zeichen gelungener Taxis, namentlich wenn die Reduction unter Gurren erfolgte und man das Gefühl hatte, als ob der letzte Theil förmlich unter den Fingern entschlüpft sei; allein ausnahmsweise können, wie schon gesagt, einerseits diese Zeichen trotz gelungener Taxis fehlen, und kann es andererseits vorkommen, dass die Bruch- geschwulst als Ganzes, also Bruchinhalt und Bruchsack der Taxis weicht und dabei die Hernie, n^ch Abhebung des peritoneum parietale, sich in den hierdurch gebildeten properitonealen Raum lagert unter Fort- bestand der Einklemmung, die dann wohl ausschliesslich durch den Bruclisackhals allein abgegeben wird. Man nennt dieses Vorkommen — (ins — Massenreduction. Ist sie vollkummen, dann erscheint die Bruchpforte ganz leer und durchgängig für den Finger ; ist sie unvollkommen, dann verbleibt der Bruclisackgrund wohl in der Bruchpforte, verlegt sie und macht eine Täuschung weniger leicht. Eine zweite, von nicht minder üblen Folgen begleitete Täuschung kann sich dadurch er- eignen, dass der Operateur durch zu starke Gewalt bei Ausführung der Taxis, den abnorm dünnen und zarten Bruchsackkörper knapp unterhalb des einklemmenden Bruchsackhalses abreisst und nun den Bruchinhalt mit dem Einklemmungsringe in den properitonealen Raum schiebt. Streuhel führt sogar Fälle an, wo der Bruchsackring sowohl unten als auch oben, also vom Bruchsackkörper und vom parietalen Bauchfelle zugleich, abriss und nun die vorgelagerte Darmschlinge mit dem sie einschnürenden Ringe in die freie Bauchhöhle zurück- gedrängt wurde. Auch in diesen Fällen kann die Verlagerung eine totale sein und dann die Bruchpforte frei werden. Das Endresultat aller eben genannten üblen Ereignisse bleibt sich gleich, alle sind Scheinreductionen, indem die Einklemmung fortbesteht. Ausser den benannten Scheinreductionen gibt es noch ander- weitige üble Ereignisse, welche eine sonst gelungene Taxis im Ge- folge haben kann, so möglicherweise die Reduction einer Darmschlinge bei vorhandener und fortbestehender Achsendrehung, ferner die Re- duction einer durch übermässige Gewaltanwendung geborstenen oder durch Decubitus an der Einklemmungsstelle in ihrer Continuität lädirten Darmschlinge. Die Reposition eines defecten Darmes hätte den fast sicheren Tod des Patienten zur Folge, während den Schein- reductionen auf operativem Wege noch abgeholfen werden kann. Also Vorsicht bei der Taxis und kein rohes Gebaren ; Kraft, aber mit Mass und Ziel, endlich sorgfältige Auswahl der sich eignenden Fälle. NiJwlmis empfiehlt als Ersatz der Taxis eine neue Lage- rungsmethode des Bruchkranken, durch welche allein, ohne weiteres Zuthun, eine Spontanreduction erfolgen soll. Er beschreibt die Lage- rungsweise unter dem Titel Knieschulterlage wie folgt: „Der Kranke kniet zunächst auf das Lager und lässt sich dann mit dem Kopfe, respective Schultergürtel, auf das Lager herab. Die Schenkel erheben sich in rechtem Winkel, als Stützpunkte dienen Knie und beide Schultern, oder doch die der gesunden Seite entsprechende Schulter." Bei dieser Lagerungsart sind zwei Kräfte wirksam: a) das Eigen- gewicht der Gedärme, welche einen reponirenden Zug ausüben, und h) die Entstehung eines negativen intraabdominellen Druckes, wodurch der Inhalt der Bruchgeschwulst der Wirkung des Atmosphärendruckes unterliegt. Im Falle eine längere Zeit währende Einhaltung der Knie- schulterlage aus was immer für Gründen sich verbieten würde, könnte nach Nikolaus die >S'm6-'sche Seitenlage mit erhöhtem Becken als Surrogat dienen. Directe Repositionsversuche bleiben dabei ausge- schlossen, das vorgängige Entleeren von Magen, Blase und Mastdarm ist als Coadjuvans zu empfehlen. IL Blutige Reduction von Hernien. Herniotomie. Die Blosslegung des Bruchsackinhaltes behufs Hebung der Einklemmung und Ermöglichung — G39 — seiner Reduction in die Bauchhöhle wird stets dann angezeigt sein, wenn die Taxis fruchtlos versucht wurde oder sie a priori schon nicht zur Ausführung kommen durfte. Die Frage, wann operirt werden soll, ist leicht zu erledigen, nämlich sobald als möglich. Vom unnützen Abwarten kann dem Kranken kein Vortheil, wohl aber un- berechenbarer Nachtheil erwachsen, und da auch die Operation an und für sich, wenn aseptisch durchgeführt, von keiner Gefahr be- gleitet ist, letztere vielmehr nur von den, durch unkluges Zeitver- lieren bedingten Ernährungsstörungen in den eingeklemmten Einge- weiden herbeigeführt wird, so ist die rascheste Vornahme der Hernio- tomie absolute Pflicht jedes Chirurgen. Selbst in vorantiseptischer Zeit galt dieses Gebot, obzwar die Eröffnung der Unterleibshöhle ein gewagtes Unternehmen schien und de facto auch war. Man wird sich daher nicht wundern müssen, wenn die damaligen Operateure es für Gewissenspflicht hielten, Alles früher zu versuchen, was zur unblu- tigen Reduction geeignet schien, und sie die Herniotomie als ultima ratio betrachteten. Daher die vielen heutzutage verlassenen Mittel und Methoden, daher das Bestreben, selbst bei Anwendung des Messers den Bruchsack womöglich nicht zu öffnen, um der Gefahr der septischen Peritonitis zu steuern. Die vorantiseptische Zeit gebar die Methoden der Herniotomie ohne Eröffnung des Bruchsackes, von Petit und von M. Langenheck. Ersterer legte den Bruchsack mit dem Messer bloss, erweiterte extrasaccal die Bruchpforte und vollführte nunmehr die Taxis; Letzterer incidirte gar nur die Haut, und zwar so weit als eben erforderlich war, um mit dem Zeigefinger subcutan eindringen zu können, worauf er sich den Weg zur Bruchpforte bahnte, diese ausserhalb des Bruchsackhalses blutig erweiterte und die Taxis vollzog. Beide Methoden haben den grossen Nachtheil, dass die vorgelagerten, eingeklemmten Theile der Inspection entzogen bleiben, man also eventuell Eingeweide reponiren kann, welche nicht, oder wenigstens nicht ohne anderweitige Vorsichtsmassregeln reponirt werden dürfen; beide führen auch nicht immer zum Ziele, weil die häufigere Einklemmungsursache nicht in der Bruchpforte, als viel- mehr im Bruchsackhalse selbst, also intraperitoneal gelegen ist. Die Antisepsis hat beide Verfahren der extraperitonealen Herniotomie mit Recht über Bord geworfen; heutzutage operirt man nur intraperi- toneal, also mit Eröffnung des Bruchsackes. An jeder Herniotomie lassen sich vier getrennte Acte unter- scheiden, welche sind: a) Die blutige Trennung der den Bruchsack ein- hüllenden Deckschichten, h) Die Eröffnung des Bruchsackes, c) Die Erweite- rung des einklemmenden Bruchsackringes, d) Die Reposition der Eingeweide in die freie Bauchhöhle. Ad a. Nach Abrasirung der Haare in loco und sorgfältiger Desinfection des Operationsterrains durchtrennt man die Haut ent- weder direct mit dem Scalpelle, oder besser mit dem Bistouri nach Erhebung einer Hautfalte, in jener Richtung, welche dem grössten Durchmesser der Bruchgeschwulst entspricht und in einer Länge, welche sich nach der Grösse der Bruchgeschwulst richtet. Bei Längs- schnitten entspricht das obere' Ende der Incision dem höchst erreich- baren Punkte des Bruchsackhalses, legt also die Ausmündung der Bruchpforte frei. Die weitere Trennung der subcutanen Schichten bis — 040 — zum Bruchsacke erfolgt auf der Hühlsonde. Um nicht jede einzeln zu trennen und damit viel Zeit zu verlieren, wird meistens derart vorgeganiien, dass man die zunächst vorliegende subcutane Schicht mittelst Pincette in eine Falte fasst, abhebt und den ganzen Kegel an seiner Basis abträgt; hierdurch entsteht eine Oeffnung, durch welche man mit der darunter liegenden Schicht ebenso verfahren kann, wenn der gefasste Kegel durch die erstgesetzte Lücke vorgezogen wird. Durch Wiederholung dieses Verfahrens kann man mehrere unter- einander gelegene Schichten löchern: wird nun die Hohlsonde durch die letztgeschaffene Lücke eingeführt, so ladet man alle oberhalb ge- legenen Blätter auf und durchschneidet sie dann mit einem Messer- zuge. Es wird häufig die Frage aufgeworfen, wie viel Schichten man jeweilig zu durchtrennen habe und wie jede einzelne heisst; sie richtig zu beantworten, wird im einzelnen Falle nicht immer möglich, da die Schichtung der Bruchhüllen selbst bei gleichen Bruchspecies die mannigfachsten Varianten zeigt. Die beste Antwort auf die obige Frage ist daher: man trenne so viel und so lange, bis der Bruchsack nackt und unbedekt vorliegt. In manchen Fällen ist allerdings jene Hülle, welche unmittelbar dem Bruchsacke vorangeht, an ihrer Span- nung, Derbheit und ihrem gestreiften Ansehen kenntlich: man nennt sie fascia propria. Ihrer Spannung wegen erlaubt sie oftmals die Be- nützung einer Pincette und das Erheben eines Kegels nicht und macht es nothwendig, mit der Hohlsonde durch Schaben eine kleine Lücke zu setzen, durch welche dann die Sonde eingeschoben wird. Die Er- kenntniss der fascia propria hat ihres Verhaltens zum Bruchsacke wegen, dem sie unmittelbar aufliegt, eine gewisse Bedeutung ; nicht immer ist sie aber deutlich markirt und fehlt manchen Bruchspecies ganz. Die bestimmte Erkennung des Bruchsackes ist nicht immer leicht; die beste Orientirung ergibt die Untersuchung der Bruchpforte mit dem durch die Wunde dahin eingebrachten Zeigefinger. Ist der Bruchsack schon geöffnet worden, ohne dass der Operateur sich dessen bewusst wurde, oder fehlt er, wie beim Bruch der Blase oder des coecum, so wird es stets gelingen, den Fingernagel unterhalb und durch den Einklemmungsring vorzuschieben. Man hat dabei das Gefühl, als ob der Nagel circulär com- primirt würde, nie aber, als ob ein wandartiges, das Vordringen des Fingers hemmendes Hinderniss vorläge. Letzteres Gefühl prävalirt aber stets oder ist oft einzig vorhanden, wenn der untersuchende Finger wohl an der Bruchpforte, aber ausserhalb des Bruchsackes sich befindet. Untersucht man mit einer Knopfsonde, so gelingt es zumeist, sie mehr minder leicht neben dem Eingeweide in die freie Bauchhöhle zu leiten, wenn man intrasaccal ist; dies gelingt aber begreiflicher- weise niemals, wenn der Bruchsack noch nicht eröffnet wurde. Einen anderen, sehr wichtigen und in der Regel giltigen Anhaltspunkt gibt die Möglichkeit, eine kleine verschiebbare Falte aufzuheben, unter- halb welcher man eine zweite, gespannte Wand durchzufühlen vermag. Man vergesse aber nicht, dass Hernien vorkommen, bei denen zwischen Bruchsack und Contentum Adhäsionen bestehen. Aber auch Schichten, die unmittelbar vor dem Bruchsacke liegen, geben manchmal einen täuschend ähnlichen Befund. Ebenso wenig können der Glanz, die — (341 Fig. 185. Gefässvertheiliing und die Dicke der fraglichen Hülle als verlässliche Erkennungszeichen gelten. Das Ausfliessen des Bruchwassers ist aller- dings ein wichtiges Moment, allein es lässt den Bruchsack erkennen, erst wenn er schon eröffnet ist, nicht bevor, und um Letzteres handelt es sich ja zumeist. Ueberdies geschieht der Verwerthbarkeit dieses Zeichens dadurch Eintrag, dass bei kleinen Hernien hie und da das Bruchwasser vollends fehlt oder so minimal angesammelt ist, dass dessen Abgang unbemerkt sich vollzieht, dass etwa bestehende Adhä- sionen den Abfluss hindern, oder dass in der Bruchsackwand Cj'stenräume sich vorfinden, avo- durch zu groben Täuschungen Veranlassung ge- geben werden könnte. Ad b. Die Eröffnung des Bruchsackes muss ohne Läsion der eingeschlossenen Eingeweide erfolgen, daher bei diesem Acte die grösste Vorsicht nothwendig wird. Man hebt die vorlie- gende Bruchsackwand am besten mittelst der Fingernägel vom Daumen und Zeigefinger linker Hand zu einer Falte ab, trennt diese mit flach gehaltener oder schräge nach aufwärts gerich- teter Bistouriklinge und führt in die Lücke rasch eine Hohlsonde ein, auf welcher dann die Spaltung vervollständigt wird, die aber nicht allzu ausgiebig sein soll. Sofort müssen jetzt Klemmen an die Ränder des Brucksackes an- gelegt werden, sie dienen zur vorläufigen Fi- xation und späteren Anspannung des Bruch- sackes, die bei der Reposition der Eingeweide geradezu unentbehrlich ist. Ad c. Die Erweiterung des einklemmenden Ringes erfolgt mit dem Herniotom (Fig. 185a) oder in Ermangelung dessen mit einem ge- knöpften Bistouri, dessen Schneide man ent- sprechend deckt; verpönt sind die stumpf dilatirenden Verfahren durch gewaltsames Ein- bohren des Fingers oder durch Abziehhaken. Die Trennung des Bruchringes muss in ge- nügender Weise erfolgen, so dass die Reposition ohne Quetschung der Theile vor sich gehen könne; gemeiniglich pflegt man die Erweiterung dann als genügend anzusehen, wenn die Spitze des Zeigefingers neben dem Contentum ohne Gewalt durch die Bruchpforte einzudringen vermag: sollte die Erweiterung sich etwa später während des Reponirens als ungenügend erweisen, so muss stets nachgeholfen werden. Bevor man zum Acte der Erwei- terung schreitet, unterlasse man nie, den Bruchinhalt und den Bruchsack mit lauer antiseptischer Flüssigkeit gründlich abzuspülen, zu welchem Zwecke ersterer aus dem Sacke gehoben werden muss, um alle Fachen und Nischen rein zu machen. Ist dies besorgt, so dringt der Operateur mit dem Zeigefinger linker Hand in den Bruch- sackhals ein, wobei dessen Rückenfläche den Eingeweiden zukehrt, <7 7. M OS e t ig - M o o ili 0 f : Handbuch d. Chirurg. Technik. 4. AuÜ. •Jl — G42 — und sucht den Nagelrand unter dem vorspringenden Einklemmungs- ringe einzuzwängen. Wenn dies gelang und er sicher ist, dass zwischen Nagel und Ring nichts anderes dazwischenliege, führt er das Her- niotom mit flacher Klinge entlang der Volarfläche des Zeigefingers bis über die einklemmende Stelle vor, stellt sodann die Schneide gegen letztere auf und drückt mit dem Zeigefinger auf den Messerrücken. Ein Knirschen und ein allmäliges Nachgeben deuten auf Erfolg. Sofort wird nun die Klinge wieder flach dem Finger aufgelegt, eine zweite Stelle des Ringes aufgesucht und auf gleiche Weise gekerbt, endlich eine dritte u. s. f., bis man glaubt, genügend erweitert zu haben. Jetzt führt man das flachgelegte Herniotom entlang dem Finger heraus, und belässt letzteren an Ort und Stelle. Erst wenn es gelingt, dessen Spitze durch die Bruchpforte in das cavum abdo- minis einzubringen, zieht man auch den Finger heraus, nicht früher, denn es kann auch vorkommen, dass zwei hintereinander gelegene Einklemmungsringe bestehen. Statt des Fingernagels kann man als Leiter für das Herniotom auch eine Hohlsonde benützen, welche Flügelansätze hat, um die Eingeweide abzuhalten und zu schützen (Fig. 1856); der Finger ist jedoch immer besser und sicherer. Den Erweiterungsschnitt nur an einer Stelle anzulegen und dafür ausgiebiger zu machen, ist unzweckmässig; schon WaUinann warnte davor, weil sich dadurch im Bruchsackhalse ein knopflochähnlicher Spalt bildet, durch den hindurch die Eingeweide möglicherweise pro- peritoneal oder zwischen den Bauchdecken verlagert werden könnten und dieser error loci eine Scheinreduction mit ihren Folgen bedingen würde. Man hüte sich beim Einführen des Herniotom durch den Bruchsackring, statt innerhalb, ausserhalb desselben vorzudringen, wobei der Bruchsackhals durchstochen werden müsste, weil hierdurch ein noch fatalerer Spalt zu Stande käme und der eingeklemmte Ring undurchtrennt bliebe. Namentlich bei Anwendung der Scarjxi sehen Flügelsonde ist ein solcher technischer Fehler denkbar. Eine Unmög- lichkeit, das Debridement von der Bruchpforte aus vorzunehmen, würde nur bei jenem seltenen Vorkommen eintreten, wo eine circuläre, stramme Verwachsung zwischen dem Eingeweide und den Wandungen des Bruchsackhalses besteht. In einem solchen Falle würde wohl nichts übrig bleiben, als die Trennung des Ringes von aussen her vorzu- nehmen, durch sehr vorsichtiges, schichtenweises Präpariren. Die Er- weiterung muss auch ohne Läsion nachbarlicher Gefässe vorgenommen werden, daher die Einkerbungen nie nach jener Seite des Bruchsack- halses zu richten sind, wo Gefässe de norma verlaufen; damit aber auch etwa bestehende Anomalien im Gefässverlaufe keine Blutungen im Gefolge des Debridements haben, ist es von entschiedener Noth- wendigkeit, die Licisionen weniger durch Messerzug, als vielmehr dadurch auszuführen, dass man die Messerschneide auf den klemmen- den Ring drückt, denn dabei kann nur Gespanntes getrennt werden: Gefässe dagegen, welche an und für sich elastisch und durch lockeres Bindegewebe mit der Ringnachbarschaft verbunden sind, entziehen sich dem Drucke der Messerschneide und bleiben unverletzt. Eine weitere Vorsichtsmassregel besteht darin, dass man nicht an einer Stelle allein erweitert, sodann nacheinander den Ring an mehreren Punkten seiner Circumferenz einkerbt (Vidal). — 643 — Ad d. Unmittelbar vor der Reposition wird nochmals ab- gespült und hierauf das eingeklemmt gewesene Eingeweide zu- nächst hervorgezogen, damit die Einklemmungsrinne besichtigt werden könne. Lässt sich der Theil nicht vorziehen, so ist dies ein Beweis, dass entweder die Einklemmung nicht genügend be- hoben oder dass das Eingeweide irgendwo fixirt ist. Wird das vorge- zogene Bruchcontentum für reductionsfähig erachtet, so schreitet man zur Reposition, welche derart ausgeführt wird, dass der Operateur mittelst der abwechselnd angelegten Spitzen beider Zeigefinger die Contenta zurückschiebt; es wird begonnen mit einer der Bruchpforte zunächst gelegenen Partie und geendet mit der davon entferntesten. Das Reponiren soll derart erfolgen, dass zunächst die eine Finger- spitze das berührte Darmstück centralwärts vorschiebt und sobald dies geschehen, die zweite Fingerspitze gleich hinter der ersten ein- greift: so arbeiten beide Finger abwechselnd. Würde man den ersten Finger entfernen, bevor der zweite eingegriffen hat, so müsste er offenbar die ihm anklebende Darmpartie mechanisch wieder mit vor- ziehen, so aber wird durch den zweiten Finger der Darmtheil in seiner zurückgeschobenen Stellung temporär fixirt. Bei Enterocelen reponirt man stets jenes Ende zuerst, welches beim Vorziehen der Schlinge dem Zuge am leichtesten folgte. Ist Alles zurückgebracht, so schiebt man den Finger durch die leere Pforte vollends in die Bauchhöhle, überzeugt sich, dass man Avirklich in dem cavum abdo- minis sei, was sich durch die Möglichkeit kundgibt, eine Pendel- bewegung auszuführen, und umkreist dann, den Finger hakenförmig krümmend, die Innenfläche der Bruchpfortenumgebung in ihrer ganzen Circumferenz, um zu constatiren, dass sie vollständig frei sei. Kleine Darmschlingen drückt man mit den kreisförmig zusammengestellten Fingern der einen Hand einfach zusammen, entleert ihren Inhalt und schiebt den erschlafften Darm in die Bruchpforte hinein, worauf man mit dem Zeigefinger, wenn dies nöthig wäre, nachhilft; meistens gleitet der befreite und entleerte kleine Darmtheil von selbst zurück und verschwindet vom Schauplatze. Das bisher Gesagte betrifft die schulgerechte Herniotomie eines eingeklemmten reponiblen typischen Bruches. Es kommen aber bei den vielfachen Varianten selbst einer und derselben Bruchspecies, manche ganz atypische und anormale Vorkommnisse während der Operation zur Beobachtung, welche deren Verlauf wesentlich abändern können. Wir wollen im Folgenden diese Anomalien, so weit sie die Technik der Operation interessiren, kurz besprechen und sie der Uebersichtlichkeit halber in zwei Gruppen eintheilen, je nachdem sie den Bruchsack betreffen oder den Bruchinhalt. A. Anomalien des Bruchsackes. Sie können betreffen: 1. Die Textur. Der normalerweise dünne Bruchsack kann durch Massenzunahme des subserösen Bindegewebes abnorm verdickt, starr, hart oder mit einer Fettcapsel umhüllt sein, wodurch er das Aussehen eines Netzstückes erhält und leicht damit zu verwechseln wäre, wenn nicht die Sicher- heit bestünde, den Bruchsack noch nicht eröffnet zu haben und man etwa unterlassen würde, genau die Consistenz zu prüfen und sich an der Bruchpforte zu orientiren. Oftmals liegen der Vorderfläche oder dem Bruchsackgrunde geschwellte Lymphdrüsen oder kleine 41* - (344 — Lipome auf, welche ihn bei entsprechender Kleinheit vollends decken; oder die Bruchsackwand enthält mit Flüssigkeit erfüllte Hohlräume, also Cj'sten. Der Operateur lasse sich durch derlei Vorkommnisse nicht täuschen, sondern trenne Lymphdrüsen und Lipome äusserst vorsichtig durch, bis er zum Bruchsacke gelangt; hinter der ger)ffneten Wandcj'ste kann er aber noch eine elastische Geschwulst palpiren, welche ihn auffordern wird, die noch intacte hintere Cj^stenwand unter den angegebenen Cautelen zu spalten. 2. Mehrzahl von Bruchsäcken, welche entweder neben- oder übereinander lagern, gegenseitig com- municircn, oder einzelne davon zu Cystenräumen abgeschlossen sind. Nebeneinander lagernde Brüchsäcke kommen in der Regel nur als Zweizahl vor: es kann dabei der eine Bruchsack vor dem zweiten liegen oder sie kehren ihre seitlichen Wände einander zu; zumeist sind die einander zugekehrten Wandflächen gegenseitig'- verwachsen. Bei bestehender Intercommunication ist die gemeinschaftliche Oeffnung vertical gestellt und im Bruchsackhalse befindlich, knapp unterhalb des Bruchsackringes. Der Bruchinhalt kann sich auf beide Säcke ver- theilen oder nur in einem allein lagern, während der zweite leere Sack nur Bruchwasser enthält. Sind die Säcke hintereinander gestellt, und birgt der ersteröffnete Sack nur Bruchwasser, so könnte eine Täuschung unter Annahme eines leeren Bruchsackes nur insolange unterlaufen, als die Untersuchung der Bruchpforte unterbleibt. Bei intercommunicirenden Bruchsäcken muss stets die Scheidewand von der gemeinschaftlichen Oeffnung aus, ihrer ganzen Länge nach ge- spalten werden, wonach tj'pische Verhältnisse resultiren. Ueberein- ander werden die Bruchsäcke dann zu liegen kommen, wenn der erst- bestandene als Ganzes herabgedrängt wurde und hinter ihm durch Nachrücken des parietalen Bauchfelles ein zweiter entstand. Beide Bruchsäcke haben dann miteinander eine Sanduhrform — äusserer Zwerchsackbruch — hernie en bissac externe. Kommt es nach gleichem Tj'pus zur Bildung einer Reihenfolge von Bruchsäcken, so acquirirt der Bruch die Form eines Rosenkranzes — hernie ä cliapelet. --- Das Contentum verhält sich zu dieser Mehrzahl von Bruchsäcken (die Zweizahl ist das häufigere Vorkommen) verschieden : entweder es vertheilt sich gleichmässig in beiden, wo dann die Einklemmung auch eine doppelte sein kann, da zwei Bruchsackhälse vorhanden sind, oder die untere bleibt leer und dient nur als Receptaculum für Bruchwasser. Schliesslich kann auch die Intercommunicationsöffnung obliteriren und die untere Bruchsackabtheilung dann einer Cyste gleichen. Das Bruchcontentum kann aber auch von mehr als einer, dem Peritoneum entstammenden Hülle eingeschlossen werden. Dies erfolgt dann, wenn in den einen leeren, partiell verschlossenen, aber nicht obliterirten ursprünglichen Bruchsack ein frischer hineingestülpt wird, oder wenn bei nur oben verwachsener, sonst aber offen bleiben- der tunica vaginalis funiculi spermatici hinter ihr eine Hernie sich vorlagert. Nach Zeis soll auch der bindegewebige Verschluss des ursprünglichen Bruchsackes zu einem membranartigen, aber nicht serösen Involucrum ausgedehnt werden können. Das Zurechtfinden in solchen Fällen dürfte namentlich dann Schwierigkeiten bereiten, wenn zwischen den Hüllen Serum sich vorfände, welches als Bruch- wasser imponiren könnte. — 645 — 3. Divertikelbildungen oder Ausstülpungen der Bruchsackwan- dungen kommen sowohl am Bruchsackkörper als auch am Bruch- sackhalse vor, in der Einzahl oder in der Mehrzahl; sie können entweder Theile der vorgelagerten intestina oder nur Bruchwasser allein enthalten. Divertikel communiciren stets mit breiter Oeffnung mit dem Bruchsacke und geben daher seltener zu Einklemmungen Veranlassungen, wohl aber zu Knickungen der eventuell enthal- tenen Eingeweide. Sie kommen fast ausschliesslich nur an Leisten- und Schenkelbrücken vor und wird von ihnen später noch die Rede sein. 4. Continuitätstrennungen wurden sowohl am Bruchsackkörper als auch am Bruchsackhalse beobachtet. Erstere sind seltener Folgen einer spontanen Dehiscenz bei sehr dünnen Bruchsäcken und plötzlich übermässig gesteigerter Bauchpresse (Diqmytrenj; häufiger kommen sie durch von aussen einwirkende Traumen zu Stande — Stoss, Fall, rohe Taxisversuche. Die Trennung kann den Bruchsack nur an einer Stelle treffen, oder in seiner ganzen Circumferenz sich vollziehen. Partielle Trennungen ergeben nur einen Defect im Bruchsacke, bei totalen scheint der Bruchsack vollständig zu fehlen. Für den Opera- teur ist das Erkennen dieses letzteren Vorkommnisses von grösster Wichtigkeit; es kann dabei geschehen, dass bei Enterocelen die im Grunde des Bruchschnittes sich vorstellende Darmwand fälschlicher- weise als Bruchsack angesehen und danach behandelt wird, falls man sich nicht am Bruchsackhalse Rath geholt hätte. Wurde die Anomalie richtig erkannt, so empfiehlt es sich zunächst die Riss- ränder aufzusuchen und sie an Klemmen zu fixiren; hierauf ver- vollständigt man die Trennung und operirt regelrecht zu Ende. Auch die Zerreissungen am Bruchsackhalse können sowohl par- tielle als auch totale sein. Letztere ereignen sich nur der Quere nach, und zwar entweder doppelt, d. h. vor und hinter dem Bruchsack- ringe, oder nur vor der Einklemmungsstelle allein. Die Zerreissungen vor dem Bruchsackringe erfolgen stets nur auf traumatischem Wege, und zwar durch Kräfte, welche die Tendenz haben eine Massen- reduction zu bewerkstelligen, diese aber wegen Adhäsionen zwischen dem Bruchsackkörper und den Bruchhüllen nicht erfolgen kann. Eine Prädisposition zur Zerreissung wird durch abnorme Dünnheit des Bruchsackes unterhalb des Einklemmungsringes gegeben. Letzterer wird dabei stets gegen die Bauchhöhle getrieben, auf Kosten einer Ablösung des parietalen Bauchfelles in entsprechender Ausdehnung. Die Rücklagerung erfolgt einseitig oder gleichmässig, je nachdem Adhäsionen an die Umgebung, also mit den Wandungen der Bruch- pforte, stellenweise vorhanden sind oder ganz fehlen: ersterenfalls ist der Riss gewöhnlich ein einseitiger, letzterenfalls ein circulärer; beide- male der Quere nach. Der fortwirkende Druck wird dann die Ein- geweide aus dem vorgelagert bleibenden Bruchsackkörper hinaus und in die durch Ablösung des parietalen Bauchfelles gebildete properi- toneale Tasche hineintreiben. Ob nun sämmtliche Eingeweide zurück- gedrängt werden, oder nur ein Theil davon, wird theils von der Grösse und theils von der Dauer der einwirkenden Kraft abhängen. Die Diagnose dieses Vorkommens ist während der Herniotomie nicht gar schwer, bei intacten Deckweichtheilen aber kaum mit Gewissheit — 64(; — zu stellen. Ist der Operateur zur Erkenntniss dieser Auomalie gelangt, so wird er zunächst die Bruchpt'orte durch Spaltung ad maximum erweitern, die im })r()peritonealen abgeschlossenen Räume gelagerten Eingeweide mit grosser Zartheit hervorziehen und ihnen entlang den Einklemmungsring aufsuchen. Die Reposition muss besonders sorgfältig und unter constanter Anspannung des fixirten Bruchsackringes erfolgen, damit nicht etwa ein Theil des Contentum den Weg in die properitoneale Tasche wieder finde. Beim doppelten Abreissen des Einklemmungsringes vor und hinter dem Bruchsackhalse werden die vorgelagerten Eingeweide nicht in eine properitoneale Tasche, sondern direct in die Bauchhöhle zurückgedrängt mitsammt dem ihnen aufsitzenden Einklemmungsringe. Erkenntniss und Abhilfe kann nur auf dem Wege der Laparotomie geschaffen werden. Die explorirende Hand wird in der freien Bauch- höhle die durch den Einklemmungsring zu einem Tumor zusammen- gekoppelten Eingeweide finden, den Knäuel hervorholen und durch Entfernung des Ringes die Incarceration heben. B. Anomalien des BrucMnhaltes. Den Inhalt einer Hernie bildet für gewöhnlich: Darm allein — Enterocele — Netz allein — Epiplo- cele — oder endlich beides vereint — Entero-Epiplocele — seltener der Pylorustheil des Magens, Blase, uterus und Ovarien; Deipser fand in einem Leistenbruche sogar eine Niere in toto vorgelagert. Entero- celen bergen meistens Antheile vom ileum: entweder eine Darmwand, einen Darmdivertikel — Zto-e'scher Bruch — oder eine Darmschlinge; seltener ist Dickdarm enthalten: coecum, colon transversum, S roma- num. Das coecum interessirt den Operateur insbesondere dadur ch dass es, wie bekannt, keinen vollständigen Bauchfellüberzug besi tzt Geht nun bei der Vorlagerung eine axiale Drehung des coecum vor sich, so kommt sein sonst hinterer bauchfellloser Theil seitlich oder gar vor vorne zu stehen, so dass in solchem Falle der Bruch eines Bruchsackes entbehrt. Geht keine solche Drehung vor sich, oder besitzt das coecum ein, wenn auch noch so kurzes mesenterium, so wird zwar eine vordere Bauchfellduplicatur, die als Bruchsack imponiren könnte, zugegen sein, allein jene erscheint nach der Eröffnung leer, spalt- förmig, enthält scheinbar kein Contentum und ihrer hinteren Wand adhärirt der untrennbar angewachsene Darm. Solche Brüche zeichnen sich durch ihre Irreponibilität aus, die nur dann nicht besteht, wenn das mesenterium abnorm lang ist. Es kann aber die vom Darme mit- gezogene Bauchfellduplicatur auch Dünndärme enthalten (hernia in hernia), endlich können auch Dünndärme gleichzeitig mit dem coecum prolabiren, wobei sie es stets decken, id est vor ihm liegen. Die Vor- lagerung eines MeckeVQchen wahren Darmdivertikels, der als Rest des embryonalen ductus omphalo-meseraicus am ileum, '2 bis 3 Schuh weit von der Ileocöcalklappe entfernt, vorkommt und schon von einer Länge bis zu 6 Zoll und der Weite eines Dünndarmes vorgefunden wurde, hat Avegen completen Mangels eines mesenterium Aehnlichkeit mit einem Darmwandbruche. Von der Harnblase prolabirt entweder die seitliche bauchfelllose, oder eine höher gelegene, bauchfellumhüllte Wand; im ersten Falle wird die Hernie keinen, im zweiten dagegen einen Bruchsack besitzen; prolabirt endlich jene Partie der Blasen- wand, welche der Umschlagsstelle des Bauchfelles entspricht, so wird — 047 ~ mit der Blase das Bauchfell nachgezogen, es kommt dann zu einer Art Bauchfellduplicatur, ähnlich wie beim coecum. Im Folgenden wollen wir nun zunächst die Anomalien des Darmes, dann jene des Netzes besprechen. Erstere betreffen Texturerkran- kungen, Verletzungen, Anomalien der Lage und endlich solche des Inhaltes. 1. Die Texturerkrankungen können durch entzündliche Processe oder durch Circulationsstörungen bedingt sein; erstere führen zu einer abnormen Verdickung der vorgelagerten Darmschlinge und zu Verwachsungen, theils der Därme untereinander, wenn grosse Brüche vorliegen, theils der Darmschlinge mit der Innenfläche des Bruch- sackes. Ist die Darmwand nur verdickt, die Schlinge aber sonst mobil, so wird es einer ausgiebigeren Erweiterung der Bruchpforte bedürfen, um die Reposition ausführen zu können. Bei bestehenden Verwach- sungen ist stets zu unterscheiden, ob sie frisch oder veraltet, ausge- breitet oder circumscript sind. Verklebungen trennt man stumpf durch Zug oder mit dem Finger, Verwachsungen mit Messer oder Schere, selbstverständlich ohne Verletzung der betreffenden Darm- wand. Sind die Verwachsungen derart fest und ausgebreitet, dass der Darmtheil zu einem unentwirrbaren Knäuel zusammengebacken erscheint, so ist die Resection der so veränderten Darmpartie als ein- ziges rationelles Verfahren zu bezeichnen. Die durch Einklemmung bedingten Ernährungsstörungen der vorgelagerten Darmschlinge führen zur Gangrain. Sie kommt in zwei Formen vor: als Decubitus in der Einklemmungsrinne, der je nach seiner Tiefe als Geschwür oder als Durchbruch erscheint, und als Totalgangrain der Gesammt- schlinge. Letztere wird von Anfängern oft mit einer Blutsuffusion des Darmes in Folge stärkerer Quetschung gelegentlich der Taxis ver- wechselt. Bezüglich der Differentialdiagnose achte man auf drei Punkte: zunächst auf die Farbe des Darmes, welche bei Sugillation dunkelbraun bis tiefschwarz erscheint, bei Gangrain hingegen ins Gräuliche spielt; dann auf die Glätte und den Glanz der Darmober- fläche. Beide Eigenschaften kommen nur der lebenden Darmwand zu, eine abgestorbene ist glanzlos, trübe, matt, gerunzelt. Nicht selten ist die Glätte und der Glanz einer Darmschlinge durch eine aufge- lagerte Schichte von extravasirtem und geronnenem Blute verdeckt; man unterlasse daher nie die fragliche Darmwand stets genau abzu- wischen, bevor man über ihre Lebensfähigkeit ein Urtheil fällt. Nach Abhebung des Gerinnsels erscheint der lebende Darm wieder glatt und glänzend, wenn auch suffundirt. Eine dritte Eigenschaft der lebenden Darmwand ist ihre Elasticität und Resistenz, kraft welcher jeder Einkniff sich sofort ausgleicht; bei Gangrain erscheint die Darmwand mürbe, weich, der Einkniff bleibt bestehen, bis ihn der verschobene Darminhalt langsam wieder ausgleicht. Cooper hat wohl noch andere diagnostische Erkennungszeichen für Gangrain ange- geben, welche aber nicht ganz stichhältig sind: er meint, man solle in die fragliche Darmwand eine feine Nähnadel einstechen; blute die kleine Stichwunde, dann sei dies ein Beweis für die noch erhaltene Circulation; blute sie nicht, dann sei Gangrain anzunehmen. Im Be- jahungsfalle ist wohl über die Ernährungsintegrität der geprüften Stelle kein Zweifel, der Verneinungsfall muss jedoch noch nicht — 648 — Gaiifri'iiin beweisen, weil ja die feine Nadelspitze auch eine Capillar- masche durchwandern kann, (^)hne gerade ein Oefässchen zu treffen. An der Farbe, ain Glanz und an der Elasticität wird man immerhin noch Anhaltspunkte genug haben, um das Urtheil zu fällen, ob die fragliche Darmpartie noch lebe. Es fragt sich nur, ob sie auch am Leben bleiben wird, oder ob nicht etwa der Uebergang zum Absterben vorliege und der Darm nicht nachträglich erst der Gangrain anheimfällt. Es wurde in praxi schon so manche Schlinge reponirt, die scheinbar noch alle Zeichen des Lebens besass, und erst nachträglich trat innerhalb der BaTichhöhle brandiges Ab- sterben ein. Nur positiv lebensfähige Därme dürfen reponirt werden; nicht ganz sichere schiebe man nur so weit zurück, dass die verdächtige Stelle noch innerhalb der ausgiebig erweiterten Bruchpforte verweile oder höchstens knapp an ihrer abdominellen Einmündung fixirt bleibe, damit ein eventueller Durchbruch nicht innerhalb der Bauchhöhle erfolge, sondern der Fäcalausfluss nach aussen stattfinde. Hiefür dient eine durch das mesenterium geführte Fadenschlinge, deren Klang das Gekröse an jzwei Stellen in der Entfernung von mindestens 1 Centi- meter durchsetzt, während beide Fadenenden unterhalb der Darm- schlinge nach aussen geleitet und dortselbst sicher befestigt bleiben, bis organische Verklebung zwischen den lebenden Darmwänden und der parietalen Bauchfellauskleidung in der Umgebung der Bruchpforte platzgegriffen hat. Eine Mesenterialsehlinge muss so und darf nicht anders angelegt werden, damit sie den Darm nicht einschnüren. Man kann auch die zweifelhafte Darmschlinge nach Erweiterung der Bruch- pforte in Jodoformgaze gut eingehüllt, extra abdominem liegen lassen und erst am nächst- oder zweitfolgenden Tage reponiren. Helferich empfiehlt nach Hervorziehen der incarcerirten Darmschlinge den zu- und den abführenden Darmschenkel an gesunder Stelle, wenigstens Handbreit oberhalb der Einklemmung, zu enteroanastomosiren in der Länge von 4 Centimeter. Nach vollendeter Enteroanastomose wird die barmschlinge reponirt und nur die verdächtige Partie in anti- septischen Stoffen eingehüllt und wohlverwahrt extra abdominem belassen. Tritt Gangrain ein, so kann der resultirende incomplete anus praeternaturalis leichter zum Verschlusse gebracht werden von der bestehenden Wunde aus, ohne frisch laparotomiren zu müssen. Ist die Darmschlinge zweifellos gangrainös, so kann sie entweder schon perforirt sein oder nicht. Ersterenfalls müsste schon Phlegmone der Bruchhüllen eingelegt haben mit Röthung und Schwellung der Haut, mit Knistern und deutlicher Schwappung: die Herniotomie würde dann bezüglich der Technik einer Oncotomie gleichen; letzteren- falls findet man die Darmschlinge grau, matt, unelastisch vor. Die Verfahren sind in beiden Fällen gleich : es muss zur Herstellung eines künstlichen Afters geschritten oder die Darmresection vorgenommen werden. Erstrebt man Ersteres, so mögen nach querer Abtragung alles Brandigen knapp vor der Bruchpforte zunächst beide Darm- hmiina bei Vorlagerung einer Darmschlinge, beziehungsweise die Ränder des Darmlumens bei einem Darmwandbruche an die nächsten Hautränder durch etliche Seidennähte fixirt werden. Fliesst der Darminhalt ab, so betrachtet man die Operation als beendet; — 649 — entleert sich kein Koth, so versuche man einen mittelstarken elastischen Catheter in den Darm einzuführen. Meistens gelingt es, die Ein- klemmungsstelle mit Vorsicht zu passiren und es kommt zum Koth- abflusse, wenn das centrale Rohr getroffen wurde und kein weiteres Hinderniss besteht; das Einführen des Catheters in das periphere Ende bliebe natürlich ohne Erfolg. War eine ganze Schlinge vorge- lagert, so resultiren nach der Abtragung der gangränösen Partien zwei Lumina; erwies sich die Einführung des Catheters durch ein Lumen erfolglos, so versucht man es mit dem zweiten. Schwieriger sind manchmal die Verhältnisse bei Darmwandbrüchen, avo nur ein Lumen besteht und die intacte, in das Darmlumen vorgezogene Hinter- Avand mit ihrem Mesenterialantheile gewissermassen als Sporn oder Klappe fungirt, welche die Continuität der Lichtung nach einer oder der anderen Seite hin absperrt. Gelingt nach wiederholten Versuchen die Einbringung des Catheters in das centrale Ende nicht, so trennt man von aussen her die Bruchpforte, löst vorsichtig die angeklebte offene Darmpartie von der Umgebung los, zieht sie rasch nach aussen und fixirt sie an den Hautdecken in vorgezogener Stellung, oder nimmt eine Darmresection vor, dann aber stets weit ab ganz im Gesunden, da die Erfahrungen über primäre Darmresectionen bei brandigem Zer- falle nicht allzu günstig lauten. Die Chirurgen sind demzufolge nicht einig in der Meinung, dass es bei Darmgangrain stets zweckmässig sei, sofort zur Resection zu schreiten, sondern viele sind der Ansicht, dass dieser operative Eingriff auf eine spätere Zeit verlegt werden solle, wenn alle Ernährungsstörungen in der Umgebung des Brandigen vollends ausgeglichen sind, mit einem Worte, dass es besser sei, sich für die erste Zeit mit der Anlegung eines künstlichen Afters zu be- gnügen. Dieser ist aber mit der Befestigung der klaffenden Darm- iumina an die äussere Haut und mit der Einleitung des Kothabflusses vervollständigt. Dennoch sind neuerer Zeit eine ganze Reihenfolge gelungener Darmresectionen bei gangrainösen Hernien ausgeführt worden. Um die dabei obwaltenden Gefahren möglichst zu verringern, hat Hahn folgende, von den bisherigen abweichende Operationsmethode vorge- schlagen: der brandige Darm wird durch die erweiterte Bruchpforte vorgezogen, doppelt unterbunden und das Gangrainöse resecirt. In die desinficirten Darmlumina wird Jodoformgaze gestopft und fest- genäht. Sodann schneidet man in der linea abdominis alba so ein, dass der Schnitt etwas unterhalb des Nabels beginnt und dicht ober- halb einer, beide Spinae ilei verbindenden Linie endigt. In dieser etwa G bis 8 Centimeter betragenden Ausdehnung wird die Bauchhöhle eröffnet und dann die beiden Darmenden aus dem Bruchherde in die Bauchhöhle und durch die laparotomirte Wunde in der linea alba herausgeleitet; dies geschieht mittelst einer durch die letztere einge- führte Kornzange, mittelst welcher die Darmenden an den Unter- bindungsfäden gefasst werden. Die Wunde in der Bruchgegend wird gereinigt und mit Jodoformgaze ausgestopft, darauf folgt die genaue Prüfung des Darmes und die Darmnaht. Um nun die Gefahr einer Kothfistel zu beseitigen, wird die Nahtstelle durch Umgeben mit Jodo- formgaze geschützt und der Darm mittelst derselben in die Gegend der Bauchwunde befestigt. Mittelst Kornzange wird ein Jodoformgaze- — 050 — streifen unter die Nahtstelle oder bilateral bis zu dieser hindurch- geführt, beziehungsweise vorgeschoben, so dass der Darm gleichsam auf der Gaze reitet. Dann wird der Darm mit der Gaze in die Bauch- höhle versenkt, die Enden der Streifen aber durch die Bauclnvunde herausgeleitet, wodurch der Darm in der Nähe der letzteren liegen bleibt; zwischen den Streifen wird die Bauchwunde noch mit Jodo- formgaze ausgestopft und darüber die Bauchhaut durch drei ober- flächliche Näiite verkleinert. Die Vortheile dieses Verfahrens sind: 1. Die Möglichkeit einer genauen Controle des erkrankten Darmes und mesenterium, denn bei dem beschriebenen Schnitt in der linea alba kann das mesenterium bis zur Wurzel besichtigt und der Darm sehr weit hervorgezogen w^erden; 2. Resection und Darmnaht sind technisch erleichtert; 3. die Infection von Seite der Wunde des Bruch- schnittes lässt sich leichter vermeiden; 4. die Darmnaht geniesst des Schutzes der Umhüllung mit Jodoformgaze; 5. im Falle einer Insuffi- cienz der Darmnaht wird der austretende Koth sicher nach aussen geleitet. Hahn bedient sich auch zur Anlegung eines anus praeternaturalis der gleichen Methode, weil er derselben die Vortheile zuerkennt, allen Abknickungen und Circulationsstörungen vorzubeugen und die Möglichkeit zu bieten, in späterer Zeit den anus praeternaturalis durch Klammerbehandlung leichter beseitigen zn können, als dies an den Bruchpforten der Fall zu sein pflegt. Die Complication des opera- tiven Eingriffes durch die Anlegung einer zweiten Bauchwunde ist nicht hoch anzuschlagen, da dieselbe recht rasch gemacht werden kann und der Zeitaufwand durch die grössere Bequemlichkeit und Raschheit der Darmnaht, beziehungsweise gefahrloser Klammerbehand- lung des widernatürlichen Afters vollends aufgewogen wird. Poulsen verfährt bei gangrainösen Hernien folgendermassen: Nach Eröffnung des Bruchsackes und ausgiebiger Desinfection des Inhaltes wird die Bauch wand in einer Ausdehnung von 2 bis 3 Centi- meter nach aufwärts gespalten und die Wundflächen sogleich mit Bauchfell umsäumt. Dann wird der Darm aus der derart mächtig- erweiterten Pforte in einer Länge von 5 bis 15 Centimeter vorgezogen und beide Darmschenkel in vorgezogener Lage durch subseröse Suturen an die Bauchwand befestigt, ähnlich wie bei einer Enter- ostomie. Die in vorgezogener Lage befestigten Darmschenkel werden in Jodoformgaze gewickelt, der Bruchsack dagegen exstirpirt. Inner- lich Opium. Nach ein bis zwei Tagen Abtragung beider Darmschenkel mittelst Thermocauter, das mesenterium wird durch Pean'sche Zangen gesichert, welche 24 Stunden liegen bleiben. Der Kranke muss reich- lich genährt werden, eventuell sogar Gavage, id est zwangweise Fütterung unter Anwendung der Schlundsonde. Sobald der Brand- schorf an den Darmenden sich abgelöst, wird dann enterotomirt, ohne länger abzuwarten, damit der Verschluss des anus praeternaturalis möglichst bald gelinge. Decubitusgeschwüre an der Einklemmungsrinne bieten etwas andere Verhältnisse dar, als die eben besprochene totale Gangrain. Zunächst muss der Darm, um die geschwürige Stelle überhaupt in Sicht zu bringen, vorgezogen werden und hiefür ist eine Hebung der Ein- klemmung ausserhalb des Darmes nothwendig. Die Abschlussver- — 651 — klebungen werden also, falls sie bestehen, gelöst und hiermit die Bauchhöhle relativ zugänglich gemacht. Ist das Geschwür ganz ober- flächlich, d. h. nur die serosa betreffend, so betrachte man den Darm als verdächtig und fixire ihn durch eine Mesenterialschlinge; hätte das Decubitusgeschwür einen Substanzverlust in der ganzen Dicke der Darmwand abgesetzt, so bliebe nur die Wahl zwischen dem An- legen eines anus praeternaturalis, nachdem man vom Durchbruche aus die Darmwand in genügender Ausdehnung gespalten und deren Ränder an die Haut genäht hat, oder die sofortige Darmresection in genügender Entfernung. Hin und wieder findet man bei Enterocelen die Einklemmungsrinne tief markirt, ohne dass es noch zu wesent- lichen Ernährungsstörungen gekommen wäre. Man pflegt sie dann durch Streichen auszugleichen, was in der Regel gelingt; bleibt die Rinne trotz Streichens und Dehnens bestehen, so ist die Möglichkeit nicht zu leugnen, dass daraus eine bleibende Strictur erwachsen könnte, wenn man die Rinne unbeachtet Hesse. Palasciano empfahl daher, die Rinne durch Dehnung von innen her auszugleichen und verfuhr hierbei derart, dass er die nachbarliche Darmwand mit dem Finger invagi- nirte und die Fingerspitze durch die Einklemmungsrinne hindurch- schob, während er mit der anderen Hand die Rinne verstrich und die Invagination bethätigte. Nach erfolgtem Ausgleiche soll der invagi- nirende Finger entfernt, die Einstülpung ausgeglichen und die Schlinge massig gedehnt werden. Bei Enterocelen kommen aber auch Perforationen des vorgelagerten Darmes durch genuine Geschwüre vor : syphilitischer, tuberculöser oder catarrhalischer Natur, ja es wäre nicht undenkbar, dass selbst ein tj^phöses Geschwür in einer Hernie sässe. Diese Geschwüre haben nicht die Bedeutung der durch Decubitus bedingten, insofern als die Ernährungsstörungen ihrer nächsten Umgebung minder ausgesprochen sind. Derlei accidentelle Geschwüre machen es also wohl möglich, das Geschwür durch zwei halbelliptische Schnitte, welche in axialer oder in schräger Richtung geführt werden, zu excidiren und die Ränder des elliptischen Substanzverlustes durch eine Darmnaht zu verschliessen, worauf die Reduction der Schlinge erfolgen kann. Wäre ein reponirter Darm innerhalb der Bauchhöhle gangrainös geworden und hätte dort perforirt, so wäre die Möglichkeit, dass kein Koth- erguss in das cavum abdominis erfolge, nur unter der einzigen Vor- aussetzung gegeben, dass in der kurzen Zwischenzeit Verklebungen des lädirten Darmes, beziehungsweise seiner Umgebung mit dem parietalen Bauchfelle und den Nachbarschlingen erfolgt seien, welche den Perforationsherd von der übrigen Bauchhöhle abschliessen. Ist dieses nicht der Fall, dann ist allgemeine septische Peritonitis unaus- weichlich. Ob eine rasch ausgeführte Laparotomie mit sorgfältiger Reinigung des Bauchcavum nach vorgezogener und aussen fixirter Darmschlinge noch Nutzen bringen könne, steht noch in Frage, sollte aber versucht werden. •2. Verletzungen. Sie betreffen Quetschungen und Continuitätstren- nungen. Erstere sind bedingt durch Stoss oder rohe Taxisversuche. Gequetschte Därme sind reponible und sollen reponirt werden, da sie innerhalb der Bauchhöhle sich am besten und raschesten erholen können. Stark gequetschte Därme können aber auch der Gangrain — 652 — verfallen und sind deshalb wohl zu reduciren, aber doch so, dass sie mittelst Mesenterialschlinge in der Nähe der Pforte fixirt bleiben. Letztere lässt sich später anstandslos wieder entfernen, wenn das eine Fadenende knapp vor dem Ein<^ange in die Bruch- pforte durchschnitten und mit dem anderen die Schlinge ausgezogen wird. Trennungen der Continuität betreffen theils Darmrisse durch unvorsichtige, gewaltsame Taxis hervorgebracht, theils Schnittwunden bei ungeschicktem Operiren. Die Trennungen können oberflächlich sein, oder durchdringend. Beide erheischen eine gleich sorgsame Ver- einigung durch Le77ihert' sehe Nähte. Continuitätstrennungen mit gerissenen, unregelmässigen, ge- quetschten Rändern müssen vor der Nahtanlegung erst günstig ge- staltet werden. Eine recht schwere Verletzung stellt die Ablösung des Mesenteriumansatzes von der Darmwand dar, da hierbei eine Inanitions- necrose der ganzen, durch die Ablösung von ihrer Ernährungsquelle abgetrennten Darmpartie mit Sicherheit zu erwarten steht. Es bleibt da wohl nichts anderes übrig, als die ganze betroffene Partie zu reseciren und die Darmrohre untereinander durch Ringnähte wieder zu vereinigen, falls die temporäre Anlegung eines künstlichen Afters nicht gerathener erschiene. Eine so lädirte Darmpartie darf, wenn sie auch sonst in jeder Hinsicht intact erschiene, unter gar keiner Be- dingung reponirt werden. 3. Anomalien der Lage. Unter diesem Titel sind zunächst jene Achsendrehungen einer Darmschlinge zu registriren, welche sich während ihres Durchtrittes durch die Bruchpforte ereignen. Der Knickungs- winkel liegt dabei meistens im Bruchsackhalse, oder im Unterleibe nahe der Einmündung der Bruchpforte; seltener im Bruchsacke selbst. Diese, zumeist im höheren Alter sich ereignenden Achsendrehungen, werden durch abnorme Länge des mesenterium, Grösse der Hernie, Weite der Bruchpforte, Schlaffheit des Unterleibes veranlagt und durch Gas- oder Kothanhäufungen in der betreffenden Schlinge plötz- lich vervollständigt. Schon die Weite der Bruchpforte bei bestehendem Ileus wird den Operateur auf eine Abweichung von der Norm weisen, ein bestimmtes Symptom ist das Verhalten der Schlinge zu ihrem Lihalte. Trotzdem keine echte Einklemmung vorhanden, die Bruch- pforte hinreichend weit erscheint, trotz dem Fehlen einer stärkeren Auftreibung des Unterleibes, bleibt die Schlinge strotzend gefüllt und lässt sich weder durch Drücken noch durch Streichen entleeren. Ein derartiges abnormes Vorkommen wird den Operateur stets mahnen, die Lage der beiden Schlingencomponenten zu einander genau zu untersuchen und hiefür die Schlinge so weit aus der Bauchhöhle vor- zuziehen, bis der Knickungswinkel zum Vorscheine kommt. Ist die Stelle der Achsendrehung ermittelt, so hebt man sie durch Drehung nach der entgegengesetzten Richtung auf; wären die Därme durch Verklebungen fixirt, so trenne man sie, was stets leicht gelingt, indem sie ja des kurzen Bestandes der Achsendrehung wegen nur recent sein können und daher dem Zuge leicht folgen. Zu den Anomalien der Lage wären noch jene künstlichen Verlagerungen zu zählen, an denen der Operateur selbst die Schuld trägt und die sich ereignen: wenn die Reposition statt intraabdominell, properitoneal oder intraparietal erfolgt. Diese argen Reductionsfehler können sich ereignen: wenn — 653 — zwei hintereinander bestehende Einklemmungsringe bestehen und nur der vordere allein erweitert wurde, wenn der Operateur das sorgsame Anspannen der mit Klemmen gefassten Bruchsackränder versäumt, wenn er die Spaltung des Bruchsackes zu weit centralwärts verlängert und dadurch den oberen Wundwinkel über die Bruchpforte hinein ver- legt, endlich Avenn er den einklemmenden Ring zu wenig oder zu tief incidirt und letzterenfalls einen künstlichen Spalt, eine knopfloch- artige Oeffnung setzt, welche in das properitoneale Zellgewebslager mündet. Das Erkennen dieses Operationsfehlers ist bei einiger Auf- merksamkeit nicht gar schwer. Die Därme lassen sich auffallend schwer reponiren und nicht so tief hineinschieben wie bei normalem Ver- halten : sie bleiben gewöhnlich in der Tiefe der Bruchpforte sichtbar und die Digitaluntersuchung ermittelt einen überall abgeschlossenen, völlig vom Darme ausgefüllten Sack, der eine Pendelbewegung des Fingers nicht gestattet. Rasches Hervorziehen der Schlinge aus ihrer anormalen Lage und richtige Reposition wird den Kranken vor den Folgen dieses Kunstfehlers retten. Um dann richtig reponiren zu können und nicht stets wieder in den falschen Weg zu gerathen, ist starkes Vorziehen des Bruchsackhalses, Completirung der etwa mangel- haften Einkerbung bei einfacher Constriction, oder Debridement des übersehenen zweiten Einklemmungsringes dringend nothwendig. Beim Zurückschieben der Darmschlinge mittelst der beiden Zeigefinger- spitzen dringe der jeweilig central gestellte Finger mit dem geschobenen Darmtheile stets bis in die Bauchhöhle hinein. 4. Anomalien des Inhaltes. Sie beziehen sich auf die Qualität und auf die Quantität des Bruchcontentum. Zu den qualitativen Abnormi- täten zählt das Vorkommen von Fremdkörpern in der vorgelagerten Darmschlinge, so beispielsAveise: Enterolithen, Cholelithen, Frucht- kerne, Knochenstücke u. dgl. m. Hindern derlei Fremdkörper die Reposition nicht, so reducire man und warte ihren naturgemässen Abgang ab; hindern sie aber die Reposition, so sind zwei Verfahren möglich : entweder man spaltet die Bruchpforte so weit, als zur Re- duction eben nothwendig ist, oder man enterotomirt und vereinigt nach erfolgter Exairese die frische Schnittwunde durch Darmnaht. Die quantitativen Anomalien betreffen die übermässige Anhäufung von Darminhalt, zumeist von Gasen bei gleichzeitiger meteoristischer Auf- treibung des Unterleibes. In solchen Fällen bleibt wohl nichts übrig, als von der prolabirten Schlinge aus, eine Entleerung des übermässig vollen Darmcanales zu bewerkstelligen, um überhaupt eine Reposition möglich zu machen. Man kann hierzu nur die Aspiration mit dünnster Hohlnadel zur Anwendung bringen, oder falls diese nicht genügen sollte, den Darm, nachdem er weiter vorgezogen wurde, enterotomiren und nach möglichster Entleerung seines Inhaltes (wofür ein drücken- des Streichen des meteoristischen Abdomen als ein den Abfluss unter- stützendes Mittel nie verabsäumt werden soll), sowie genauer Des- infection der Schnittwunde unter temporärer Absperrung durch eine Darmnaht verschliessen. Man fixire dann das vernähte Stück nahe der Einmündung der Bruchpforte durch eine Mesenterialschlinge und lege ein kurzes Drainstück in die Bruchpforte ein. Das Gleiche hat umsomehr Giltigkeit für die Enterotomie wegen Fremdkörper, als der Schnitt liiefür zumeist ausgiebiger angelegt werden rauss. — 60-1 — Verhalten bei vorgelagertem Netze. Reine Epii)loceleii kommen sel- tener zur Operation, weil sie zu keinen Ileuserscheinungen Veran- lassung geben oder wenigstens nicht in dem Grade und in der Häufig- keit, wie Entero-Epiplocelen, Bei letzteren wird nach dem Debridement zunächst die Darmschlinge reponirt und das Netz vorderhand unbe- achtet gelassen; erst nach versorgtem Darme kommt an das Netz die Reihe. Ist es gesund, nicht verwachsen, weder entzündet noch knollig verdickt, so kann es gleich dem Darme in die Bauchhöhle zurückgeschoben werden; hat es diese Eigenschaften nicht, oder be- stehen gar über seine fernere Lebensfähigkeit gegründete oder selbst nur leise Zweifel, so muss es abgetragen werden. Hiefür muss das Netz entsprechend vorgezogen werden. Be- stehen Adhäsionen mit der Bruchpforte, so müssen diese mit dem Messer abgemacht werden, bis das Vorziehen frei gelingt. An vollends gesunder Stelle wird das Netz ausgebreitet und dann durch eine Kettensutur unterbunden, unterhalb welcher man mit dem Facqnelin- schen Thermocauter das Netz durchglüht oder es einfach mit der Schere abschneidet. Der mobil gewordene Stumpf wird dann re- ponirt. Zu den Anomalien des Netzes zählt dessen regelwidriges Ver- halten in Bezug auf die Lage zum gleichzeitig vorgelagerten Darme. De norma ist das Verhältniss des Netzes zum Darme in der Entero- Epiplocele das Gleiche wie intra abdominem, id est das Netz lagert vor dem Darme. Abnormerweise kann nun das Netz den Darm voll- ständig einhüllen, wodurch Verwechslungen mit Fettbruchsäcken hervorgehen können. Bedenklicher wäre eine Verkennung solcher Abnormität, wenn zwar das Netz als solches richtig erkannt worden wäre, hingegen der eingeschlossene Darm unbemerkt bliebe und man das Ganze für einen Netzklumpen ansehen würde. Man versäume in solchen Fällen nie, die Palpation und Percussion zu Hilfe zu nehmen; auch dürfen die vorhanden gewesenen Symptome einer Darmein- klemmung, welche sich mit der Annahme einer reinen Epiplocele nicht vollends decken, zu einer sorgfältigen Untersuchung und zur vorsichtigen Trennung des Netzes in longitudinaler Richtung anspornen. Häufiger kommen Spalten und Löcher im Netze zur Beobachtung, durch welche sich Darmschlingen zwängen können und dann theils abge- knickt, theils wirklich eingeklemmt werden. Die Diagnose solcher Vor- kommnisse ist leicht ausserhalb der Bauchhöhle, oft sehr schwer innerhalb derselben. Man begnüge sich nicht mit der einfachen Be- freiung der Darmschlinge aus dem Spalte, sondern sorge auch dafür, dass das Uebel sich nicht erneuere, wofür theils eine Vernähung der Spaltenränder dienen kann, theils eine Durchschneidung des Netzes vom Spalt gegen die Peripherie in longitudinaler Richtung, theils endlich eine Amputation des Netzes im Niveau der abnormen Oeffnung, Das Bruchwasser kann in seinem Quantum sehr verschieden sein : oft ist es massenhaft, oft wenig vorhanden, manchmal fehlt es ganz. Geht der Operateur bei der Eröffnung des Bruchsackes regelrecht und vorsichtig zu Werke, dann wird er den scheinbaren oder wirk- lichen Mangel an Bruchwasser kaum je zu beklagen haben. Massen- hafte Ansammlung seröser Flüssigkeit wird namentlich bei der Com- bination einer H3^drocele congenita aperta mit gleichzeitiger Vor- — G55 — lagerung von Eingeweiden angetroffen, Mangel an Briichwasser bei manchen Darmwandbrüchen. Nach beendigtem Bruchschnitt wird das weitere Verhalten gegen- über dem entleerten Bruchsacke und seinen Hüllen ein sehr ver- schiedenes sein können und vom Quäle des speciellen Falles jeweilig abhängen. Im Allgemeinen soll stets das Bestreben obwalten, den Bruchsackhals und damit die Bauchhöhle von der Aussenwelt ab- zuschliessen, falls keine Gegenanzeige hiefür besteht. Möglich sind folgende Verfahren: a) Bruchsack und Deckhüllen werden in toto ab- getragen und die Bruchpforte durch die Naht verschlossen, jedes für sich, id est die Bauchdecken über der vernähten und versenkten serosa. Zumeist bei Nabelhernien üblich, ß) Der Bruchsack allein wird an seinem Halse isolirt abgebunden, unterhalb der Ligatur durchgeschnitten und der centrale Rest hinter die Bruchpforte ge- schoben, worauf man letztere vernäht. Die Deckhüllen bleiben er- halten, sei es mit dem peripheren Theile des Bruchsackes, sei es ohne diesen. Diese sub a und ß geschilderten Verfahren beabsichtigen nicht nur einen Abschluss der Bauchhöhle von der Aussenwelt, sondern zugleich einen dauernden Verschluss der Bruchpforte, welcher das Wiedervortreten einer frischen Hernie behindern soll. Man benennt sie daher auch mit dem Namen Radicaloperation ; von deren Technik wird später ausführlicher die Rede sein, da sie als selbstständiger Eingriff auch bei freien Hernien vorgenommen wird. y) Der Bruchsack bleibt vorgelagert und wird in seiner Continuität nicht getrennt. Zum Abschlüsse der Bauchhöhle vernäht man nur die Innenflächen des ad maximum vorgezogenen Bruchsackhalses durch Schnür- oder Matratzennähte, damit Verklebung der aneinander gebrachten Serosaflächen eintrete, d) Der entleerte Bruchsack wird nirgends abgesperrt und dessen Verödung durch Granulation ein- geleitet. Bei den beiden Methoden y und d pflegt man die Bruch- sackränder mit den Hauträndern zu vernähen, um phlegmonösen Ent- zündungen im Zellgewebe zwischen den einzelnen Schichten der Deck- hüllen zu steuern, worauf die derart umsäumte Wunde entweder ganz offen gelassen, oder unter entsprechender Einlage von Drainrohren durch Knopfnähte partiell geschlossen wird. Würde die vorgängige Umsäumung unterlassen, so müssten die Hefte der Knopfnaht die Bruchsackränder miifassen. Nunmehr können wir die einzelnen Bruch- species näher ins Auge fassen: Hernia umbilicalis. Die eigentliche Nabelhernie tritt durch den Nabelring vor. Die Deckhüllen des Bruchsackes werden am Erwach- senen nur gebildet: von der Haut und von der zu einer Hülle ausgeweiteten, bindegewebigen Ausfüllungsmasse der Nabelöffnung als fascia propria. Der Eröffnungsschnitt wird in senkrechter Richtung geführt: bei kleinen Hernien im Halbkreise, bei grossen im oberen oder unteren Viertelkreise; der Bruchsack ist meistens mit der fascia propria verwachsen. Im Umkreise des Nabelringes verlaufen in der Regel keine wichtigen Gebilde, nur ausnahmsweise kann die vena umbilicalis offen persistiren. Man pflegt demnach die Erweiterung mit dem Herniotome nach links oben vorzunehmen, um auf alle Fälle gesichert zu sein. Bei der Operation von Nabelbrüchen darf nie ver- gessen werden, die vorgelagerten Theile, welche in der Regel Netz — ()50 — und Darm enthalten, auf etwa vorkommende Anomalien genau zu prüfen, da es sehr häufig der Fall ist, dass die Ursachen für die bestehenden Einklemmunüserscheinungen weniger im Bruchsackringe gelegen sind, als vielmehr in Knickvmgen, Achsendrehungen, in Netz- spalten, Strangbildungon, in Verklebungen oder Verwachsungen; auch die vollständige Umhüllung der Därme durch Netz kommt, wenn auch selten, so denn doch vor. An der Bauchwand kommen ausser der Nabelhernie noch vor: Herniae ventrales medianae in der linea alba, Herniae ventrales laterales entlang den Aussenrändern der musculi recti, oder selbst durch die obliqui. Lückr meint, dass Bauchwandhernien überall auftreten können, wo sich weitere Gefässlücken vorfinden, welche als Bruchpforten dienen und zu solchen dilatirt werden können. Selten wird die Hernia lumbalis angetroffen im Räume zwischen crista ilei und zwölfter Rippe. Hernia inguinalis. Sie tritt in der Regel durch die äussere Oeffnung, selten durch ein Loch der vorderen Wand des Leisten- canales vor; in den Leistencanal hinein kann sie aber vordringen: entweder durch die innere Oeffnung desselben — Hernia inguinalis externa, oder sie tritt in den Leistencanal durch jene grubige Ver- tiefung, welche zwischen ligamentum vesicae laterale und arteria epigastrica inferior gelegen ist — Hernia inguinalis interna. Beide Bruchvarietäten haben nothwendigerweise eine verschiedene Lage zur Arterie: die äussere Leistenhernie hat das Gefäss an ihrer inneren Seite, die innere Leistenhernie hingegen an ihrer äusseren. Es gilt daher als Regel, dementsprechend auch die Erweiterungsschnitte am Einklemmungsringe zu führen, um eine Verletzung der Arterie zu vermeiden. Bei äusseren Leistenhernien leitet man Finger und Her- niotom an die Aussen-, bei inneren an die Innenseite. Bestünde ein Zweifel, welche Bruchvarietät vorliege, da bei grossen langdauern- den Hernien auch der äussere Leistenbruch seinen schrägen Verlauf verlieren und eine mehr geradlinige Richtung annehmen kann, so erweitert man weder nach aussen, noch nach innen, sondern senkrecht nach oben (Cooper), Lagert sich eine Leistenhernie beim Manne in das scrotum, so nennt man sie auch Hernia scrotalis, beim Weibe Hernia labialis; verbleibt sie ihrer Kleinheit wegen im Leistencanale, ohne durch dessen Aussenöffnung vorzutreten, so wird sie interstitialis be- nannt. Weiters unterscheidet man beim Manne zwischen einer Hernia inguinalis acquisita und einer adnata. Letztere steigt in die offen ge- bliebene tunica vaginalis funiculi spermatici herab und entbehrt daher eines eigentlichen Bruchsackes, indem die tunica dessen Stelle vertritt. Die Lagerung des Hodens am Grunde der Hernie, macht die Diagnose einer Hernia adnata möglich. Zu den Anomalien, welche bisher speciell nur bei Leistenbrüchen beobachtet wurden, zählen die praktisch äusserst wächtigen, wenn auch seltenen Divertikelbildungen oder Ausstülpungen am Bruchsackhalse. Sie können so gross werden, dass sie Darm fassen und denselben einzuklemmen, oder richtiger gesagt zu fixiren vermögen. Ein Ueber- sehen dieser Complication müsste den Bruchschnitt unvollkommen gestalten und zur Fortdauer der Einklemmungserscheinungen Ver- anlassunof geben. — (357 — Die Richtung der Divertikel zum Muttersacke kann eine ver- schiedene sein: sie liegen in der Regel zwischen fascia transversa und musculus abdominis transversus, seltener zwischen der Bauch- wandmusculatur und gehen vom Bruchsacke winkelig ab, entweder nach aufwärts in die regio epigastrica, entsprechend der Hinter wand des queren Bauchmuskels, oder nach abwärts gegen das foramen pelvis obturatum entlang der Innenfläche des Schambeines, Ein voller, Darm enthaltender Divertikel ist natürlich nur während der Hernio- tomie, dann aber bei nur einigermassen correcter Digitaluntersuchung stets diagnosticirbar. Die Eingeweide lassen sich bei nicht bestehender oder behobener Einklemmung am Bruchsackhalse wohl zurückschieben, aber es gelingt nicht, dieselben vollends in die freie Bruehhöhle zurück- zubringen, vielmehr bleiben sie in der Bruchpforte sichtbar. Untersucht man nun mit dem Finger und lässt denselben, der Regel nach, eine Rota- tionsbewegung innerhalb der Bruchpforte, eine Umkreisung derselben, ausführen, so wird der Finger durch das fixirte Eingeweide daran ge- hemmt : verfolgt man nun letzteres bis zur Fixationsstelle, so lässt sich ein Ring, in der Form jenem am Bruchsackhalse ähnlich, wahrnehmen, in welchem das Eingeweide fixirt erscheint. Die Auffindung dieses Ringes lässt Verwachsungen der Eingeweide mit dem Bruchsaekhalse, die einzig in Betracht kommende Differentialdiagnose, ausschliessen. Ist man mit dem Befunde ins Klare gekommen, so ziehe man am fixirten Darm an und suche die im Divertikel gelagerte Partie herauszu- bringen. Gelänge dies nicht, so würde es den Beweis für eine be- stehende Einklemmung abgeben und dann müsste mit dem Herniotom abgeholfen werden; natürlich wäre hiefür eine vorgängige Spaltung der Bruchpforte nothwendig. Herniotomirt man eingeklemmte Leistenbrüche in Spitälern, wo alle nöthigen Behelfe zur Hand sind, so pflegt man der Hebung der Incarceration und Reposition der Eingeweide sogleich den ra- dicalen Verschluss der Bruchpforte und des Leistencanales folgen zu lassen. Zu diesem Zwecke wird die Operation von Anfang an anders, als bisher geschildert wurde, durchgeführt. Man spaltet nicht die Bruchgeschwulst, sondern trennt die Weichtheile oberhalb und parallel dem Leistenbande, wie wir es bei der Beschrei- bung der Radicaloperation freier Leistenhernien nach Bassini des Näheren angeben werden. Man kommt dabei in der Regel hinter dem einschnürenden Ringe und übersieht nach Spaltung des Bauchfelles die in die Bruchgeschwulst eindringenden Bruchcontenta central- wärts vom Incarcerationsringe. Dieser kann sonach, weil ganz blossgelegt. leicht durchschnitten werden mit einem Scherenschlage, und zwar in beliebiger Ausdehnung. Mit Einem ist damit die Einklemmung be- hoben, etwa vorhandene Anomalien sofort klargelegt und die Repo- sition einfach, anstandslos und sicher. Die Herniotomie ist nacii dieser Methode vorgenommen viel einfacher : nach Abbindung und Abtragung des Bruchsackes wird sodann der Verschluss nach Bas.-«ri'schen Bande einzugehen, um direct zur on bloc reducirten Bruchgeschwulst, beziehungsweise zur inneren Abtlieilung des Zwerclisackes zu gelangen. Hernia foraminis ovalis. Das foramen ovale oder obturatum liegt unterhalb des musculus pectineus und ist durch die membrana ob- turatoria verschlossen, welcher die musculi obturatorii externus und internus anliegen. Nur im oberen äusseren Winkel der Knochen- iimrandung bleibt eine kleine Lücke offen, welche de norma nur die Gefässe und den nervus obturatorius durchtreten lässt, aber so er- weiterbar ist, dass auch eine Hernie Durchtritt finden kann. Lorlmer hat zuerst eine Hernia obturatoria diagnosticirt und mit Erfolg operirt. Man schneidet nach einwärts der vena saphena longitudinal ein, dringt auf den musculus pectineus vor, den man je nach bestehen- der Xothwendigkeit entweder auch nur longitudinal trennt oder quer durchschneidet, worauf die Bruchgeschwulst zum Vorschein kommt, entsprechend dem oberen Rande des musculus obturatorius externus. Sollte die Hernie anormalerweise zwischen membrana obturatoria und musculus externus stecken, so müsste letzterer durchschnitten werden. Am Bruchsackhalse liegen Gefässe und Nerven nach aussen und haben eine Richtung nach unten, daher muss der Erweiterungsschnitt innen begonnen und nach unten verlängert werden, falls blosse Einkerbungen nicht hinreichen sollten. Hernia ischiadica. Diese seltene Bruchart tritt in der Regel durch das foramen ischiadicum malus, am oberen Rande des musculus pyri- formis aus der Beckenhöhle hervor. Den gleichen Weg nimmt die Arteria glutea superior, welche von der Bruchgeschwulst gedeckt wird, also hinter ihr liegt. Abnormerweise kann die Hernie aber auch am unteren Rande des pyriformis vortreten und hätte da die arteria und den nervus ischiadicus als Nachbarn. Nur ein Fall ist bekannt, wo der Austritt durch das foramen ischiadicum minus erfolgte. Die Hernie wird vom grossen Gesässmuskel bedeckt und sitzt in einer Ebene, welche den grossen Rollhügel mit der synchondrosis sacro- iliaca verbindet. Zur Blosslegung der Bruchgeschwulst muss parallel dem unteren Rande des gluteus maior eingegangen und dessen Rand so weit senkrecht zur Faserung durchschnitten werden, als jeweilig nothwendig däucht. Hernia perinealis. Sie tritt durch das cavum ischio-rectale herab und lagert sich einwärts vom Sitzknorren. Bei Frauen kann der Bruch mehr nach einwärts vortreten, der Schamlefze zu; bei Männern mehr nach rückwärts zwischen Sitzknorren und Steissbein. Hernia vaginalis. Die Bruchgeschwulst tritt in die Scheide vor und wird von einem Wandsegmente derselben umschlossen. Zumeist finden sich derlei Brüche an der Seite der vorderen Scheidenwand, selten an der hinteren. Endlich können Beckeneingeweide auch durch den Mastdarm vortreten durch Vorstülpung einer Seitenwand in der Form eines Prolapsus ani. Als Bruchhülle dient die Mastdarmschleim- haut, als Bruchpforte eine diastatische Stelle der Muskelwände: Hernia in recto oder Hedrocele. Ein Uebersehen dieser Bruchart könnte beim — 602 — Operiren des suppoiiirtcn einfachen Prolapsiis ani äusserst schlimme Folgen haben. Eiiiklemmungen der letzterwähnten drei Bruchspecies dürften wohl schwerlich vorkommen. III. Radicaloperationen freier Hernien. Wenn Hernien, ihrer Grösse oder anderer Ursachen wegen, durch Bandagen nicht sicher zurück- gehalten werden kchmen, tritt die Anzeige zur Ausführung von Heil- verfahren ein, deren Aufgabe eine dreifache sein kann. Sie bezwecken entweder eine Verengerung der Bruchpforte, einen directen Verschluss derselben nebst Abtragung des Bruchsackes, oder endlich drittens eine Ausfüllung der Bruchpforte mit lebendem Materiale. Letzt- genanntes trachtete man in früherer Zeit dadurch zu erreichen, dass man, nach gepflogener Taxis, die äusseren Integumente sammt dem entleerten Bruchsacke in die Bruchpforte handschuhfingerförmig ein- stülpte, alldort fixirte und durch ihre Einheilung in eingestülpter Lage einen organischen Pfropf herstellte, der die Bruchpforte ver- schliessen und den ferneren Austritt von Eingeweiden verhindern sollte. Die Verfahren von Gerdy, Signoronl, Wutzer^ liothmund, Schiüi. Wood und Anderen gehören einer vorantiseptischen Zeitepoche an, heutzutage finden sie keine Anwendung mehr, umsomehr als die seinerzeit damit gemachten Erfahrungen nicht sehr entsprochen haben. Eine Verengerung- der Bruchpforte durch Anregung entzündlicher Processe in der Umgebung des Bruchsackhalses suchen die peri- saccalen Einspritzungen von Alcohol nach Schwalbe, von Eiclien- rindenextract nach Heaton, von Chlorzinklösung nach Lannelongue und die Application des Thermocauter auf den blossgelegten Bruchsack nach V. Nusshaum. hervorzurufen. Die moderne, gegenwärtig giltige Radicaloperation zielt darauf hin, den Bruchsack zu exstirpiren und die Ausmündung der Bruch- pforte durch eine Naht zu verschliessen; weil nun aber hieiür eine vorgängige Spaltung des Bruchsackes in der Regel nothwendig wird, so resultirt daraus die Möglichkeit: nicht nur reponible Brüche, sondern auch irreductible, seien es eingeklemmte, seien es verwach- sene Eingeweidebrüche, dem Verfahren unterziehen zu können. Bei Brüchen, an denen eine Verschliessung der Bruchpforte durch die Naht anatomischer Gründe wegen nicht ausführbar wäre, begnügt man sich mit der Verödung-, beziehungsweise Exstirpation des Bruchsackes allein. Hiefür sind drei Verfahren nK'igHch: 1. Man legt zunächst den Bruchsack frei, eröffnet ihn, falls der Bruchinhalt nicht reponibel wäre, löst die Verbindungen zwischen Contentum und Continens, reponirt ersteres, schält sodann den leeren Bruchsack von seiner Umgebung los, zieht den isolirten Sack möglichst weit aus der Bruch- pforte vor, unterbindet an der centralst erreichbaren Stelle sicher mit Catgut, schneidet den Bruchsackkörper unterhalb der Ligatur ab und schiebt den unterbundenen Stumpf durch die Bruchpforte retroparietal zurück. Es ist stets besser, zwei Ligaturfäden mittelst einer Nadel mitten durch den Bruchsack zu führen und dann nach Kreuzung der inneren Fäden bilateral abzubinden, da eine einfache — 603 — Circulärligatur möglicherweise abgleiten könnte. Bei repouiblem In- halte kann man das Gleiche ausführen, ohne den Bruchsack früher zu öffnen. '2. Der Bruchsack wird durch einen Schnitt, den man möglichst nahe der Bruchpforte führt, blossgelegt und unter allen Umständen eröffnet, worauf man den Bruchsackhals vom Bruchsack- körper quer abschneidet, das centrale Lumen durch Knopf- oder Schnürnaht schliesst und den so verschlossenen Stumpf retroparietal verlagert. Der abgetrennte Bruchsackkörper wird entweder an seinem Platze belassen oder nachträglich exstirpirt. Ol Radicaloperationen von Leistenbrüchen. Vor dem queren Abtrennen niuss der Bruclisackhals genau isolirt werden, eine Aufgabe, die bei Leistenbrüchen zu den schweren gehört, wenn der Bruchsack seiner Umgebung fest adhärirt, oder wenn es sich um eine Hernia adnata handelt, bei welcher der Bruchsack bekanntlieh durch den offen ge- bliebenen Processus vaginalis funiculi spermatici dargestellt wird, da hierbei die Verletzung einiger Samenstrangcomponenten leicht unter- laufen kann, wodurch die Integrität des betreffenden Hodens gefährdet würde. Bei angeborenen Inguinalhernien verlaufen die Samenstrang- componenten zuweilen voneinander getrennt um die Peripherie der vagina funiculi und sind dann, mit Ausnahme des stets deutlich fühl- baren vas deferens, schwer zu erkennen und zu schonen. Die Ablösung des Bruch sackes von der Umgebung erfolgt auf stumpfe Weise, theils mit dem Finger, theils mit der Plohlsonde oder einer geschlossenen Hohlschere ; erst nach vollständig gelungener Isolirung darf zur queren Abtrennung geschritten werden. Den Rest des verbleibenden abgelösten Bruchsackstreifens trägt man, wie König empfiehlt, am besten bis zur Ablösungsgrenze circulär ab. 3. Um den Bruchsackhals noch sicherer organisch zu verschliessen, will Ball eine Drehung desselben vornehmen, indem er behauptet, dass die Falten des zu- sammengedrehten Bruchsackhalses untereinander verwachsen und dadurch ein viel festerer Verschluss zu Stande kommt. Ball geht so vor, dass er bei erAvorbenen Hernien, nach reponirtem Inhalte den Bruchsack von der Umgebung in toto losschält, ihn nahe dem Halse mit einer Balkenzange fasst und nun mit dieser drei vollständige Drehungen um die Achse vornimmt, worauf eine Massenligatur an dem gedrehten Stiele angelegt wird. Unterhalb der Ligatur trennt er den Bruchsack ab und befestigt den Stiel durch Einbeziehen des- selben in die Verschlussnaht des Bruchsackringes, damit die Wieder- aufrollung des gedrehten Bruchsackhalses verhindert werde; letzterer bleibt sonach in der Bruchpforte vorgelagert. Bei angeborenen Hernien schneidet er zunächst den Bruchsackhals vom Reste der tunica funi- culi spermatici ab, isolirt ersteren von der Umgebung und dreht dann mittelst Balkenzange, wie oben erwähnt. Der Umstand, dass nach jeder der bisher üblichen Verschlussmethoden, entsprechend dem inneren Bruchringe stets eine mehr minder ausgesprochene, trichterförmige Vorstülpung des Bauchfelles zurückbleibt, welche leicht zur Entstehung eines frischen Bruches Veranlassung geben kann, wenn nicht stetig ein Bruchband getragen wird, veranlasste Maceicen eine neue Verschlussmethode zu ersinnen, welche dem oben gedachten Uebelstande abhelfen soll, und zwar dadurch, dass der abgelöste leere Bruchsack, in Falten gelegt, properitoneal derart fixirt wird, dass — 604 — rmig-, nach innen zu convex gestaltet. Das Verfahren besteht in Folgendem: nach local wohldesinficirten Hautdecken wird zunächst durch Incision der äussere Leistenring blossgelegt, bei freier Hernie der Sackinhalt entleert, bei incarcerirter die regelrechte Ilcrniotomie ausgeführt. Hierauf isolirt man den Sack von der Umgebung und dann, unter entsprechender Anspannung, von den Wandungen des Leistencanales und von der Innenfläche der Bauchwand in einer Circumferenz von ungefähr ^U Zoll. Die Abschälung soll mit der Spitze des Zeigefingers ausgeführt werden, worauf mit eigener ge- stielter Nadel, welche ihrer Form nach Dechamp'schen Arterienhaken ähnlich ist, der abgeschälte möglichst vorgezogene, leere Bruchsack an höchsterreichbarer Stelle mittelst Durchstich und doppelter, nicht allzu fester Umwindung geschlossen wird. Den peripher bleibenden Bruchsackkörper legt man sodann in Querfalten und sticht durch sämmtliche die Nadel mit dem einen oder beiden Fadenenden so durch, dass alle Querfalten aneinander gereiht bleiben. Der Gesammt- wulst wird in den properitonealen Raum geschoben und die Faden- enden noch durch die Gesammtdicke der Bauchdecken gezogen und zunächst von einem Gehilfen fixirt. Erst nach beendeter Pfeilernaht zieht man die Fadenenden stramm an und befestigt sie entweder subcutan an einem Stücke entkalkten Knochendrain, oder einfacher noch durch einige Stiche in den oberflächlichen Muskelschichten der Bauchdecken. Die in situ verbleibende Bruchsackfaltung gibt den Polster ab, der die Verschlussstelle gegen das cavum abdominis convex ge- staltet. Die Pfeilernaht führt Maceicen mit Chromsriurecatgut aus und durchsticht die ganze Dicke der Pfeiler unter Leitung des Zeige- fingers mit einem Faden je doppelt durch, so dass eine Art zwei- oder mehrfacher Matratzensutur resultirt; die Klänge am oberen Pfeiler kehren nach innen, jene am unteren nach aussen, die Knoten bleiben subcutan, da während des Nahtanlegens die Haut entsprechend verzogen wird. Bei angeborenem Leistenbruche wird die tunica mit Schonung der Samenstrangcomponenten zunächst quer durchschnitten und mit der centralen Abtheilung dann wie oben verfahren. Die Pfeilernaht, durch 8teele zuerst eingeführt und von Czerny verbessert, besteht nach Letzterem darin, dass man einen starken Faden antiseptischer Seide an beiden Enden mit je einer Nadel ver- sieht und nun von innen nach aussen durch die Leistenpfeiler stechend, eine fortlaufende Rundnaht (Miedernaht) anlegt, welche die Ränder der Pfeiler in Contact bringt. Banks vernäht den Leistencanal mit Silberdraht, der liegen bleiben und später noch als Stütze gegen den andrängenden Darm dienen soll. Der Verschluss des Bruchsackhalses und die Zugabe der Pfeiler- naht konnte, auch wenn letztere von Erfolg gekrönt war, vor Reci- diven nicht schützen, da der offen bleibende Leistencanal das Wieder- vordrängen der Baucheingeweide mit neuerlicher Vorstülpung des parietalen Bauchfelles nicht verhindern konnte. Erst Bassini ersann ein Operationsverfahren, welches eine Verstärkung der hinteren Wand des Leistencanales auf Kosten der vorderen zum Zwecke hat, wodurch ein sicherer Damm gebildet wird, Avelcher Recidiven verhüten soll. — 665 Die Technik ist folgende: Schrägschnitt parallel und etwa l Centimeter oberhalb dem Pwo/^ar/;' sehen Bande, welcher etwas nach aussen von der Mitte des Bandes beginnt und bis zur Höhe des tuberculum pubicum reicht. Haut und subcutanes Zellgewebe bis zur Freilegung iler fascia obliqui externi wird durchtrennt und alle Blutung durch Ligaturen gestillt. Nun wird die fascia in gleicher Länge und Richtung zum Aussenschnitte durchtrennt, die Ränder mittelst Pincette und Hohlsonde von der Unterlage losgelöst und jeder Rand für sich pro- visorisch mit einem Haltefaden angeseilt. Die Enden jedes Haltefadens werden an einer Schieber- oder Klemmpincette befestigt. Nun wird am unteren Haltefaden angezogen und damit der untere Rand der aponeurose nach aussen umgestützt und stark gespannt, während der Operateur mit seinem linken Zeigefinger die Fgi. ist. Musculaturdes cremaster, des obliquus internus und transversus mit dem Sa- menstrange nach oben zu drängt. So gelangt man entlang der inneren Flä- che des umgestülpten unteren Randes der apo- neurose zum PuoiMvt- schen Bande, der in con- caver Krümmung nach innen zieht und mit einem scharfen Rande endet, an welchem sich nach der Mitte zu nur die fascia abdominis transversa in- serirt, während nach aussen hin auch die Bauch- muskeln sich anheften. Jedenfalls kann der scharfe Rand des Bandes bei starker Anspannung einerseits und Verdrän- gen der Muskelschichten und des darin eingebetteten Samenstranges andererseits deutlich gemacht und nun mit grosser Vorsicht theils stumpf, theils mit dem Messer die Freimachung des Randes bewerkstelligt werden, Ist dies geschehen, so übersieht man das properitoneale Fett, nach aussen zu auch die vasa epigastrica. Mittelst Hohlsonde isolirt man nun den freigemachten Rand des Bandes auf die Breite von etwa = 4 bis \''., Cenümeter und macht auf diese Weise die spätere Naht- anlegung leicht und gefahrlos, wogegen die Gefahr einer Gefäss- verletzung bestünde, wenn dies unterlassen würde. Nunmehr muss der Samenstrang blossgelegt werden und mit ihm der Bruchsack, denn beide sind vom cremaster umhüllt. Diese Muskelmasse muss entweder durchschnitten, oder besser ganz exstirpirt werden, was leicht ge- schieht, wenn man den Muskel bündelweise auf die Hohlsonde ladet, liGC) central und iioripher jedes einzelne Bündel mit feinem Catsrut unterbindet und das zwischen den Ligaturen je\veilii>' gefasste Stück ausschneidet (Fig. 187). Ist der creniaster beseitigt, erscheint der Samenstrang und vor demselben der Bruchsack. Man verfährt am sichersten, wenn man nunmehr den Bruchsack auf alle Fälle längs eröffnet und an jedem Rande eine Klemme anmacht. Nun folgt die Abschälung des Bruch- sackes von der Umgebung bei genauer Schonung aller Samenstrang- componenteii bis zum inneren Leistenringe hin, allwo er mit oder ohne Torsion abgebunden, darunter aljgeschnitten, und der Stumpf, falls die Abbindung unter stärkerer Anspannung des Bruchsackes geschah, von selbst zurückschlüpft in den properitonealen Raum. Wie man sich bei angeborenen Leistenbrüchen zu benehmen habe, wurde früher bereits erwähnt, nämlich nach er- folgter Isolirung, Abbindung und quere Durchschneidung, sodann Abpräparirung des peripheren Restes und Ab- tragung bis auf das Zurück- belassen jenes untersten An- theiles, welcher zur Deckung des Hodens gerade nothwen- dig ist. Nach Verschluss und Abtragung des Bruchsackes hebt man den Samenstrang aus seinem Lager heraus, wobei nachträgliche Durch- trennungen von bisher nicht entfernten Cremasterpartien oftmals nothw^endig werden. Ein Herausziehen des Hodens aus dem Hodensacke ist nicht nothwendig; es müsste ja da- für sein gubernaculum durch- schnitten werden. Der aus seinem Bette herausent- wickelte Samenstrang wird mit einem stumpfen Haken, eventuell mit einer Jodoformgazeschleife abgehalten und schreitet der Operateur nunmehr zur Naht; es gelangen dabei zur gegenseitigen Ver- einigung die drei Muskelschichten der Abdominalwand unterhalb der fascia obliqui externi und der hintere Randtheil des Fuoparf sehen Bandes. Fünf Knopfnähte sind zumeist hiefür erforderlich, eine Ueberzahl könnte schaden durch Gewebsnecrosen. Bassini und Andere nähen mit fester Seide, Andere bevorzugen stärkeres Catgut oder fil de florence, weil beobachtet wurde, dass die Seidenligaturen sich oftmals in späterer Zeit unter Eiterbildung abstossen, während das Catgut, wenn gut zubereitet, einfach resorbirt wird. Man umfasst mit der Nähnadel alle drei Muskelschichten in Einem, etwa 2 Centimeter vom Rande, dabei schiebt man den linken Zeio-efinsfer unterhalb des Muskellagers 667 Fig. ISO. J^^ zwischen diesem und dem properitonealen Zell^iewebe, um das Bauch- fell zu schützen, führt nach herausgezogener Nadel den Faden nach und sticht nun die Nadel durch die hintere Randpartie des Panpart- schen Bandes etwa ^ o Centimeter vom freien Rande. Es empfiehlt sich vor jedem Stiche das Band mit einer Pincette etwas abzuheben, um eventuellen Gefässverletzungen vorzubeugen. So legt man in gleichmässigen Abständen alle Fäden ein, ohne sie vorderhand zu knüpfen, fasst vielmehr die zwei jeweilig entsprechenden Fadenenden in kleine Klemmen, welche man liegen lässt (Fig. 188). Ob man die Nähte von innen nach aussen anlegt oder umgekehrt ist gleichgiltig; die äusserste Nahtschlinge darf den Samenstrang nicht stranguliren, die innerste muss durch die Substanz des musculus rectus geführt wei-den und andererseits den Randtheil des Punpcn-f sehen Bandes knapp am tuberculum pubis durchwandern. Das Knüpfen der einzelnen Nähte beginnt des Sa- menstranges wegen am besten von aussen her. Nach Abnahme der entsprechenden Klemme knüpft der Operateur einen chirurgischen Knoten, während der Samenstrang nach aussen verzogen wird und der Assistent den freien Rand der Muskel- strata nach innen zu drängt in den properitonealen Raum. So knotet man eine Fadenschlinge nach der anderen nicht allzu fest aber sicher, zuletzt die innerste. Jetzt ist die hintere "Wand des künftigen Leisten- canales fertig: man legt nun den Samenstrang zurecht durch Anziehen des Hodens mit dem Hodensacke und vereinigt dar- über die fascia obliqui externi mit isolirten feinen Catgutsutu- ren. Zuletzt folgt die Vernähung der äusseren Haut mit Seiden- suturen (Fig. 18iM. Drainage ist zu meiden, dafür aber sichere Asepsis und genaue Blutstillung erforderlich, um prima intentio Heilungen zu haben. An Frauen wird die Bassini'sche Radicaloperation in ganz ähn- licher Weise vollzogen, nur dass die Technik wegen Mangels des Samenstranges eine viel einfachere ist und das runde Band in die Naht einbezogen werden kann. Nach der Fräparation des Brucksackes und Abtragung desselben wird die Verschlussnaht die Aponeurose gleich mitfassen können; sie kann aber gleichwie beim Manne auch für sich vernäht werden. Bei bilateralem Operiren ist immer die eine Seite ganz fertig zu machen, bevor man die zweite angeht. Wie alle Operationsverfahren erfuhr auch das Bnsst'jn"sch.e vielfache Modificationen und angebliche 608 — Verbessoriingen, so verlebt Pos/empskij den Samenstrang- nicht hinter, sondern vor die fascie des obliquiis, also subcutan. Mugnal daliegen hinter dem dreifachen Muskelstratum also properitoneal und leitet ihn gerade nach vorne aussen, knapp neben dem tuberculum pubis. Auch" Wölfler, Frank, Jonnesco u. A. haben Varianten angegeben. Von grösserer' Bedeutung ist das Verfahren von Halsted, welcher eine Re- duction des Samenstranges in seiner Dicke empfiehlt durch Resection eines Antheiles vom plexus pampiniformis. Bei vorhandener Varicocele ist das jedenfalls bestens zu empfehlen, sonst dürfte es wohl über- flüssig sein. Das eben geschilderte ßassiui'sche Verfahren hat unzweifelhaft gute Resultate, wenn die Heilung der gesetzten Wunde prima intentione erfolgt; tritt aber primäre Wundsepsis oder auch späte Eliminations- eiterung ein, so sind die End- Fig. 190. erfolge bei einer Wundhei- D^ hing durch Narbenbildung ^: recht ungünstige und zählen Recidiven zur Regel. Reci- diven, welche oft schlimmer sind als die ursprüngliche Hernie, da die Nachgiebig- keit der Narbe dem Vor- gedrängtwerden der Einge- weide nicht Stand hält. Die- sen Umstand hat Kocher be- wogen, andere Methoden der Radicaloperation zu em- pfehlen, bei welchen die Continuität der Bauchwan- dungen, also der fascia ob- liqui externi und der drei darunter befindlichen Muskel- strata keine Durchtrennung erfährt, mithin auch eine ausbleibende Primaheilung geringere Consequenzen mit sich führt. Die Radicaloperationen nach Kocher werden als Verlagerungs- methoden folgenderweise ausgeführt: Hautschnitt, wie bei Bassini, nur etwas mehr nach aussen zu verlängert, entsprechend dem inneren Leistenringe, Blosslegung des Bruchsackes am äusseren Leistenringe und Freilegung in toto. Hierauf wird lateralwärts vom inneren Lei- stenringe ein kleines Loch in die Aponeurose des obliquus externus geschnitten und mit einer Kornzange die Muskelschichten in der Richtung des Leistencanales stumpf auseinander gedrängt, worauf eine schlanke, eigens construirte Kornzange nachgeführt und unter dem Schutze des durch den äusseren Leistenring in den Leisten- canal eingeführten Zeigefingers vollends durch und beim äusseren Leistenring vor dem Samenstrange herausgeführt wird. Die Korn- zange erfasst nun den Grund des Bruchsackes (Fig. 190) und zerrt den ganzen Bruchsack durch den Leistenring und durch den (;i;9 Schlitz in der Aponeurose, während der Samenstrang nach ab- wärts gespannt wird. Der stramm gespannte, aber nicht torquirto Bruchsack wird auf die äussere Fläche der Aponeurose in der Richtung zur Spina gelegt, durch drei die Bauchdecken mitiassende Knopfnähte befestigt und der Rest des Sackes abgeschnitten (Fig. im). Die erste der drei Nähte muss den durch den inneren Leistenring tretenden Theil des Bruchsackhalses umfassen und fest verschliessen. Der leere, nur den Samenstrang allein bergende Leistencanal wird durch tief- greifende Nähte verschlossen, wobei der controlirende Zeigefinger den Samenstrang nach unten zu drängt und schützt. Als Invaginationsverla'>:erung beschreibt Kocher eine Modification der eben skizzirten Yerlage- rungsmethode darin bestehend, Fig. \\m. dass der Bruch sack in sich selbst invaginirt wird, so dass die innere seröse Fläche nach aussen kehrt. Schnitt wie bei der früheren Methode, sodann Avird 1 Centimeter über dem Pwopari'schen Bande die fascia obliqui 1 bis 2 Centimeter lateralwärts vom inneren Lei- stenringe mit einem l\o Centi- meter langen queren Schnitt gespalten und der Schnitt bis zum Bauchfell vertieft. Das Peritoneum mittelst Häkchen oder Pincette aus der Wunde gezogen, wird durch einen kleinen Schnitt eröffnet und durch die Oeffnung die gebo- gene Zange in die Bauchhöhle und von ihr in den Bruchsack geleitet, bis zu seinem Grunde, der dann von innen her er- fasst und bei der Oeffnung hervorgezogen wird, gleich einem umgestülpten Hand- schuhfinger. Der vorgezogene Bruchsack wird sammt dem angezo- genen Parietalperitoneum durchstochen und mit diesem nach beiden Seiten umschnürt. Das weitere Verfahren ist dem oben geschilderten analog. Die Stelle, wo man das Bauchfell zu eröffnen hat, kann da- durch markirt werden, dass man vorher durch einen Schlitz im Bauchsackgrunde die Zange einführt und mit ihr die Eröffnungsstelle von innen her emporhebt. Duplai/ will die Nachtheile der Bassini' sehen Methode, welche in den versenkten Nähten ihren Grund finden können, dadurch beseitigen, dass er bei gleichem Operationsverfahren die Verschlussnähte ent- fernbar anlegt. Er bedient sich ausschliesslich nur der Metallsuturen. Die Vereinigung der Muskelstrata mit dem Pnopart'sclien Bandes ge- schieht durch drei Silberdrahtschiingen, welche mit ihren Klängen die — CTO — ]\[usculatiir fassen und mit ihren Enden nach Durchstechung dos Bandes frei an der Haut an zwei 1 Centinieter voneinander entfernten Stellen ausmünden, alhvo sie über einem Jodoformgazebauschen fest- gedreht werden. Nach Reposition des temporär verlagerten Samen- stranges wird fascia obliqui und Haut zusammen vernäht. Letzt- gedachte Nähte werden nach sieben bis neun Tagen entfernt, die tiefen Schlingen erst im Verlaufe der dritten Woche, der Bruchsack wird nicht abgetragen, sondern nach Mdcnrcn versorgt. h) Radicaloperationen von Schenkelbrüchen. Die Radicaloperation einer Schenkelhernie bezweckt einerseits den Verschluss des Bruch- sackhalses und Excision des Bruchsackes, andererseits die Verengerung, beziehungsweise Verschliessung der Bruchpforte durch die Naht. Der Bruchsack wird nach seiner Isolirung am Halse durch eine doppelte gekreuzte Durchstichnaht abgebunden und unterhalb derselben ab- getragen, wonach der bei der Unterbindung vorgezogene Hals sich in den properitonealen Raum zurückzieht. Nur Kocher will als Analogen zu seiner Leistenbruchmethode auch beim Schenkelbruch durch eine kleine Lücke im lateralen Schenkel des Leistenringes mit einer ge- krümmten Kornzange eindringend das Ptiopart^ sehe Band umkreisen, durch die Schenkelbruchpforte vortreten, hier den Grund des leeren Bruchsackes erfassen und ihn nachziehend durch die Lücke heraus- zerren, allwo er in die Verschlussnaht des nunmehr leeren Schenkel- ringes einbezogen und der Rest abgeschnitten wird. Ein Verschliessen der Bruchpforte selbst kann nur vermittelt werden durch ein gegen- seitiges Vernähen seiner Componenten, id est Puo j>a)-f 'sches Band und fascia pectinea mit oder ohne Mitfassen des musculus pectineus, der fascia Cooperi, ja des Periostes der entsprechenden Stelle des Scham- bjinastes. Salzer entnahm der fascia pectinea einen bogenförmigen Lappen durch einen Schnitt, der unterhalb der vena femoralis begann und im Halbkreise nach innen verlaufend am ligamentum Gimbernati endete. Der kurze, breite, resistente Fascialappen wurde nach oben umgeschlagen und dessen freier Rand mit dem Piio pari' sehen Bande vernäht, so dass ein fibröses septuni crurale entstand. Basslal vernäht ohne Lappenbildung das Pnopart' sehe Band mit der fascia pectinea und diese nach unten und innen, gegen die Vene zu, mit der plica falciformis bis zur Durchtrittsstelle der vena saphena. Fahricins ver- näht nur das Puoparf sehe Band mit der fascia pectinea und dem musculus pectineus unter eventueller Mitnahme der Beinhaut am horizontalen Schambeinaste. Die Operation gestaltet sich folgendermassen: Querschnitt über die Bruchgeschwulst unterhalb und parallel dem P a oparV sehen Bande. Versorgung des Bruchsackes, hierauf Blosslegung der Femoralvene ohne Eröffnung der Gefässscheide. Dieses Moment ist wichtig, um die erste, knapp am Gefässe vorbeiziehen sollende Naht ohne Verletzung desselben anlegen zu können. Mit einer Halbkreisförmig gekrümmten Nadel durchsticht man zuerst von aussen nach innen das Paopart- sche Band, und dann, wenn der Faden nachgezogen ist, von innen oben nach aussen unten die fascia und musculus pectineus knapp am Schambeinaste vorbei oder umgekehrt. Etwa ^/^ Centimeter nach innen kommt die zweite Naht, dann eine dritte, eventuell vierte am Gimhernat' sehen Bande. Erst wenn alle Nähte angelegt sind, beginnt — G71 — man zu knüpfen und nimmt die äusserste zuerst vor. Schlussnaht der Haut. Keine Drainage. Sollte die Straffheit des Puopaj-t' sehen Bandes einen festen Nahtverschluss hindern, kann durch Incision am tuber- culum pubicum ein Nachgeben des Bandes erzielt werden; in der Regel lässt sich der Nahtverschluss ohne künstliche Lockerung des Bandes bewerkstelligen, wohl zum Glücke, da eine Lösung der Band- insertion und ein Herunterzerren desselben eine Schwächung des äusseren Leistenringes zur Folge haben könnte. Fahricius gibt den Rath, für solche Fälle, in denen die Entstehung eines consecutiven Leistenbruches zu befürchten stünde, der Operation des Schenkel- bruches die Anlegung einer Pfeilernaht am äusseren Leistenringe beizufügen. Füderl will in entsprechenden Fällen die inguinale und crurale Bruchpforte in Einem dadurch verschliessen, dass er den Ä/6^s•//l! Aschen Schnitt beibehaltend die Muskelränder statt am Puopart- schen Bande direct an das ligamentum Cooperi und Periost des Schambeines anheftet. c) Radicaloperationen von Nabelbrüchen. Je nach der Grösse der Bruchgeschwulst muss sich auch das Operationsverfahren richten. Für kleine Nabelhernien und solche mittlerer Grösse ist als radicalste und vor Recidiven am sichersten schützende Operation die von Keen und Con- daiuin angegebene Omphalectomie. Schon der Name besagt, um was es sich dabei handelt, nämlich um die Um- und Ausschneidung des ganzen Nabelringes. Die Nabelgegend wird durch zwei halbelliptische Schnitte umgrenzt, welche ausserhalb des Bruchsackes bis zum Bruch- sackhals vordringen und die Bauchhöhle ausserhalb des Bruchringes eröffnen. Die so ausgeschaltete Nabelhernie wird jetzt erst durch Spaltung des Bruchsackes eröffnet, dessen Inhalt reponirt und schliess- lich die Bauchwand vernäht. Die seitlichen Ausbuchtungen der ellip- tischen Schnitte reichen bis zum Innenrande der geraden Bauch- muskeln, so dass nach beendigter Excision des Nabelringes beide Rectus- scheiden eröffnet sind und die inneren Ränder beider recti freigelegt erscheinen. Die Verschlussnaht betrifft zunächst den Abschluss der Bauch- höhle: die Peritonealränder werden vereinigt; dann legt man tiefe Nähte, welche sämmtliche Schichten der Bauchdecken mitfassen, vom properitonealen Zellgewebe bis zur Haut. Bevor man diese Nähte, welche von innen nach aussen zu führen sind, durcli Knüpfen schliesst, vereinige man das oberflächliche Blatt der Muskelscheide unter Mit- nahme beider Muskelränder mit einer fortlaufenden Catgutnaht. Das nunmehrige Knüpfen der tiefen Nähte behebt die sonst nachtheilig wirkende Spannung und seitliche Zerrung der Wundränder und sichert die Primaheilung. Es ist wohl einleuchtend, dass allzu weite Bruchpforten die Om- phalectomie aus dem Grunde verbieten, als durch sie zu viel von den Bauchdecken entfernt würde, und die resultirende Spannung eine Vereinigung ganz und gar unmöglich machen könnte. Für solche Fälle muss mit dem Ausschneiden sparsamer vorgegangen werden; man beschränkt sich auf die Ablösung des Bruchsackes bis zum pro- peritonealen Zelllager, Abtragung und Vernähung, worauf eine Art Miedernaht den Nabelring abschliesst. Die Ablösung des Bruchsackes bis zum Nabelringe gestaltet sich leicht, schwer jedoch ist die Ab- - 672 - pi'äpai'irunu' vom Nabelrint^e selbst, mit welchem der Briichsack innig verwachsen ist. Sehr empfehlenswert]! ist, bilateral die Muskelscheiden der recti zu spalten und die freigewordenen Muskelränder dann gegen die Mediane vorzuziehen und gegenseitig über dem Nabelringe zu vernähen. IV. Operativer Verschluss des Anus praeternaturalis. Ist wegen Gangrain einer eingeklemmten Darmpartie, durch Anheftung der Darmrohr- wandungen an die äussere Haut, ein widernatürlicher After angelegt worden, so soll nach einigen Wochen, wenn der Kranke sowohl als auch der Darm sich genügend erholt haben, ohne längeren Zeitver- lust zur Herstellung normaler Verhältnisse geschritten werden, denn es ist begreiflich, dass das abfülirende Darmrohr in Folge lange dauernder Unthätigkeit sich mehr und mehr verengert und die mus- culösen Elemente seiner Wandungen der Atrophie verfallen. Die Ur- sache, weshalb ein anus praeternaturalis ohne Kunsthilfe nicht zu heilen pflegt, ist der sogenannte Sporn, id est jene Scheidewand, welche zu- und abführendes Darmrohrende voneinander sondert, in Folge dessen die normale Ueberleitung des Darminhaltes verhindert und der Koth gezwungen wird, durch die Wunde direct nach aussen ab- zufliessen. Der Abschluss der beiden Darmrohre voneinander durch den Sporn kann ein vollständiger oder ein unvollständiger sein, je nachdem ein Darmwandbruch oder eine ganze Darmschlinge durch Gangrain den widernatürlichen After zu Stande gebracht haben. Hat der Defect bloss eine Darmwand betroffen, so wird der Sporn nur durch das winkelige Vorspringen der gegenüber liegenden Darmwand gebildet und hängt es von der Grösse des Defectes ab, ob der Rand des Spornes bis zum Defectniveau vorragt oder nicht. Liegt er unter dem Niveau, so wird der Abschluss kein ganz vollständiger sein und dann wenigstens ein Theil des Kothes einen natürlichen Abgang finden können. In solchem Falle mag ein Zurückdrängen des Spornes die Intercommunication erweitern und endlich so vervollständigen, dass die Passagestörung vollends behoben und schliesslich die Aper- tura praeternaturalis der Vernarbung zugeführt werden kann. Zum Zurückdrängen des Spornes hat schon Diqmytreji ein kleines krücken- förmiges Instrument empfohlen, welches mit der Concavität des Krückentheiles an den Spornrand angelegt und an Leibbinden oder Bruchbänder befestigt werden soll. Aequivalent dem damit jeweilig ausgeübten Drucke gestaltet sich die Kraft, welche den Sporn zurück- treibt. Maurer hat durch kleine elastische Tampons — aufblasbare Gummiballen — das Gleiche in viel wirksamerer und vom Kranken leichter zu ertragenden Weise erzielt; endlich könnte auch ein kurzes dickwandiges, stark calibrirtes Gummirohr, dessen Enden man in je eines von den Darmrohrabschnitten einschiebt, während der Ueber- gangstheil am Sporne lastet, ähnliches erzielen oder mindestens ein- leiten und namentlich dann von Wirkung sein, wenn der Rand der Darmwandklappe nicht bis zum Defectniveau reicht. War in der ursprünglichen Hernie eine ganze Darmschlinge vor- gelegen, welche der Necrose verfiel, so muss der künstliche After aus - 673 — einem Doppelrohre bestehen: der weiteren, Koth entleerenden Aus- mündung des zuführenden Darmtheiles und der engeren unthätigen des abführenden; alsdann wird der Sporn durch die aneinander liegenden, an ihren Anlagerungsflächen bald verklebenden und schliesslich verwachsenden Wänden beider Darmi'ohre, plus dem dazu gehörigen Mesenterialantheile zusammengesetzt sein. Das Zurück- drängen einer solchen Zwischenwand ist aus leicht begreiflichen Gründen nicht möglich. Soll im gleichen Sinne wie früher abgeholfen werden, so kann die Intercommunication nur durch Zerstörung der Zwischenwand in jenem Umfange hergestellt werden, welcher noth- wendig ist, um die unbehinderte Passage wieder zu ermöglichen; erst nach Erreichung dieses Zieles kann an einen Verschluss der künst- liciien Afterausmündung gedacht werden. Erfahrungsgemäss ist hiefür die Trennung der Zwischenwand in einer Länge von mehreren Centi- metern nothwendig. Der Sporn hat aber nicht immer diese Länge, Fig. 192. denn diese hängt von dem Winkel ab, unter welchem die beiden Schenkel der Darmschlinge jeweilig aneinander stossen: ist der Winkel gross, dann ist der Sporn nur kurz und es lagern andere Darm- con Volute in dem Winkel, welcher offen gegen die Bauchhöhle kehrt; ist der Winkel klein, dann ist die Länge des Spornes bedeutender, am meisten wird sie betragen, wenn die zum anus praeternaturalis zu- sammengelötheten Darmrohre eine längere Strecke parallel zu einander ziehen, bevor sie divergiren. Der Operateur wird daher zunächst bestrebt sein müssen, den Winkel zu eruiren, unter welchem die Därme aneinan- der stossen, und dafür dienen zwei starre Metallsonden, deren jede in eines der Darmlumina eine Strecke weit eingeführt wird. Aus ihren mehr oder minder divergirenden Richtungen kann ein approximativer Schluss auf die gegenseitige Lage der Darmschläuche gezogen werden. Die Trennung der Zwischenwand wird nur unter der Bedingung als zulässig betrachtet, wenn einerseits damit weder eine Eröffnung der Bauchhöhle abgesetzt, noch auch dabei, eventuell im Winkel lagernde Darmschlingen verletzt werden. Erstere Bedingung macht es uner- lässlich, dass man zunächst die etwa fehlende oder, richtiger gesagt unzureichende Verklebung der beiden Darmschenkel so weit verlän- T. Moselig -M o o rhof: Handbuch d. cliirur?. Technik. 4. Aufl. 43 - 674 — gert und vervollständigt, dass eine gefahrlose Trennung der Zwischen- wand in hinreichender Tiefe möglich wird. Hiefür dienen eigene klemmende Instrumente, mit denen man die Zwischenwand fasst. Wird die Klemme zunächst locker geschlossen, so bringt man die serösen Flächen beider Darmrohre in Contact und vermittelt deren Verklebung; klemmt man hierauf stärker, so tritt in der gefassten Strecke Circulationsstörung ein, welche zur Necrose führt. Mit dem Abfallen der Klemme ist auch die Intercommunication hergestellt. Dazu ist mindestens eine Woche und darüber nöthig; während dieser ganzen Zeit bleibt die Klemme am Platze liegen, wird allmälig fester und fester geschlossen und sicher am Körper befestigt, damit keine Zerrung des Darmes hervorgebracht werde. Dupuytren hat zuerst ein derartiges Instrument angegeben — Enterotom genannt — welches aber vermöge seines Gewichtes nicht allen Anforderungen entsprach, weshalb es vielfach modificirt wurde. Ein gleichwirkendes, aber unvergleichlich leichteres und daher zweckdienlicheres Instru- ment ist die Klemmzange von Collm (Fig. 192). Nach geöffnetem Schlosse und auseinander gebrachten Blättern führt man jedes einzelne in je ein Darmrohr ein, vereinigt beide dann wieder im Schlosse und sperrt langsam und allmälig, damit etwaige, im Winkel hinter der Scheidewand lagernde Darmschlingen herausschlüpfen können; den Grad der Sperrung und damit die Wirkungsintensität zu regeln, gestatten die gezähnten Stangen am Innenrande der Griffe. Die stumpfe Zahnung der Branchen vermittelt die sichere Haftung der Klemme an Ort und Stelle. Laugler will die Trennung der Scheidewand durch Mithilfe von Aetzmitteln beschleunigen und durch die Aetzwirkung auch die Verwachsungen in der Umgebung der Trennungsebene stärker und widerstandsfähiger machen. Er hat zu diesem Zwecke eine ähn- liche Zange angegeben, welche sich von der Co^^m'schen nur dadurch unterscheidet, dass die etwas breiteren Branchen in ihrer Mitte eine Längsfurche haben, um darin die Aetzpasta unterzubringen. Der Verschluss der äusseren Wunde wird, nach hergestellter Vereinigung beider Darmrohre, durch Anfrischen und Vernähen der Narbenränder zu Stande gebracht. Doch gehören alle bisher erwähnten und ihnen ähnliche Ver- fahren und Apparate der vorantiseptischen Zeit an; heutzutage wird unter dem Schutze der Antisepsis wohl anders vorgegangen: man resecirt. VI. Capitel. Operationen an den Harnorganen. I. Catheterismus. Die Einführung von Instrumenten durch die Harn- röhre in die Blase kann verschiedene Zwecke verfolgen: so die künstliche Entleerung oder Füllung der Harnblase, das Auswaschen und Reinigen des Blasenraumes, das Untersuchen der Harnwege u. a. m. Die Technik der Einführung bleibt stets die gleiche, nur das Instru- ment ist jeweilig verschieden. Zur Entleerung einer vollen Harnblase — G75 — sind gefensterte, am Ende abgeschlossene, glattwandige Röhren üblich, welche Catheter genannt werden. Sie können ganz starr sein, unver- änderlich in ihrer Form (Metall- und Hartgummicatheter) oder elastisch und beliebig formbar (englische Stoffcatheter mit Mandrin), endlich ganz weich und biegsam (Regenwurmcatheter nach Xelaton, französische Stoffcatheter und englische „Jacques Patent"). Ist der Catheter nicht hohl, sondern voll, stellt er keine Röhre, sondern einen Fio-. 193. Stab dar, so heisst er Harnröhrensonde, wenn er aus Metall, Bougie, wenn er aus elastischem oder weichem Materiale geformt ist, doch werden auch dünne weiche Catheter oft genug Bougies getauft. Die Einführung weicher Instrumente (Fig. litSc) ist sehr einfach: gut befettet, werden sie in die Mündung der Harnröhre eingeführt und dann in senkrechter Richtung zur Körperachse einfach fortgeschoben bis in die Blase hinein, höchstens dass man durch Anspannung des dabei senkrecht nach aufwärts gestellten Gliedes die Wandungen der 43* — 676 — Harnröhre ie von Mafliien (Fig. 194a), deren Blätter in jeder Tiefe der Harnröhre geöffnet werden k(»nnen. h stellt die ältere Curette von Leroj/ vor, welche neuester Zeit durch Coliln nach dem Muster seines stellbaren Oeso])hagushakens modificirt wurde (Fig. li»4c). Die Benützung dieser Instrumente macht es nothwendig, mobile Fremdkörper in der Harnröhre zu fixiren, um das Rücktauchen in die Blase zu verhindern, wofür eine Compression der Harnröhre hinter denselben erforderlich ist. Lagert der Körper in der pars pendula, so ist die Fixirung durch Druck auf die untere Fenisfläche, oder auf das Mittelfleisch zu effectuiren; ist er tiefer gestellt, so muss die Harn- röhre vom Mastdarme aus comprimirt werden; ragt der Fremdkörper zum Theile schon in die Harnblase hinein, so ist ein Absperren der Harnröhre nicht mehr denkbar und eine Fixirung nur noch dadurch möglich, dass man die Harnröhre auf den Fremdkörper selbst andrückt und dadurch seiner Verschieblichkeit in etwas steuert. Bei Benützung der Zange muss getrachtet werden, mit dem Fremdkörper nicht gleichzeitig auch eine Schleimhautfalte mitzufassen; um sich dessen zu vergewissern, nimmt man mit dem gefassten Körper kleine Rota- tionen vor; gelingen sie, dann ist rein gefasst worden. Vermag der Fig. 195. Chirurg nicht den Fremdkörper zu packen, so bleiben zwei Wege übrig: ihn vollends in die Blase zurückzudrängen mittelst eines dicken Metallcatheters, um vorerst der Harnverhaltung rasch abzuhelfen, oder ihn durch einen Einschnitt in die Harnröhre blosszulegen und auf dem Wege der Schnittwunde mit Zange oder Hebel zu entfernen. In Nischen bergende Urethralsteine erfordern in der Regel die Vornahme der äusseren Urethrotomie. Von der Blase herabgestiegene und in der Harnröhre stecken bleibende Steinchen oder Steinfragmente können, um die Exairese zu erleichtern, auch in situ zertrümmert werden, wodurch die Verwundung der Harnröhre entfällt, welche bei der Exairese in toto, wegen der Rauheit der Concremente, oft beträchtliche Grade erreichen kann. Hiefür dient das Instument von Ntlaton, ein Steinzertrümmerer en miniature, dessen weibliche Branche curettenförmig stellbar ist (Fig. i;i5). Man führt zuerst den gestreckten weiblichen Theil allein ein und stellt, hinter dem Steinchen gelangt, das Löffel chen auf; erst jetzt wird der männliche Theil eingeschoben, das Instrument vervollständigt und die Zertrümmerung vorgenommen. Bleiben die Steinchen in der fossa navicularis liegen, so ist es stets gerathen, das orificium urethrae externum blutig zu erweitern, so- bald die Exairese ohne Quetschung der Mündung nicht ausführbar er- scheint. 683 - III. Verfahren bei Harnröhrenstricturen. Die Art und Weise, bei be- stehender Strictur die Durchgängigkeit der Harnröhre herzustellen, hängt vom Sitze, hauptsächlich aber von dem Quäle und dem Grade der Verengerung ab. Bezüglich des Sitzes können Stricturen im ganzen cavernösen und membranösen Theile sich vorfinden: einzeln, mehrfach, ringförmig, wandständig, diffus, kürzere oder längere Strecken ein- nehmend. Dem Quäle nach sind sie callös oder resultiren aus Klappen, Strängen, Granulomen, welche dem Causalmomente des Leidens ihre Entstehung verdanken; dem Grade nach sind sie durchlässig, id est eine gewisse, wenn auch noch so geringe Lumenerhaltung ist vor- handen, oder sie sind undurchlässig, sei es bloss für Instrumente, sei es auch für den Abgang von Urin. Die Impermeabilität für Instrumente kann wieder eine relative oder eine absolute sein, letzterenfalls bloss temporär oder dauernd. Aus dem Angedeuteten dürfte schon zu ent- nehmen sein, wie mannigfach die Verfahren sein müssen, Avelche so sehr differenten localen Verhältnissen abzuhelfen berufen sind. Im Allgemeinen sind folgende möglich : die mechanische Erweiterung — Dilatation, die Aetzung-, die Darchtrennung- der Strictur von innen aus oder von aussen her — äussere und innere Urethrotomie, endlich der Blasenstich. Die gewaltsame Zerreissung der Strictur durch einen mit roher Gewalt und dicken Metallinstrumenten ausgeführten Cathe- terismus — catheterisme force — ist gegenwärtig mit Recht verpönt und verlassen worden. Bevor man sich zu einer oder der anderen Methode entschliesst, muss zuvörderst der Sitz und der Grad der Strictur constatirt werden, wozu die Untersuchung der Harnröhre mit stark calibrirten cylindrischen Metallsonden dient, denn nur diese können vor Täuschungen bewahren und auch geringgradige Ver- engerungen zur sicheren Erkenntniss bringen. An der Stelle, wo die Sonde aufgehalten wird, ist auch der Anfang der Strictur ; mehr ist durch diese Untersuchungsart nicht zu ergründen. Wenn der Bestand und der Sitz des Leidens constatirt sind, tritt die zweite Frage heran: wie gross ist die Reduction der Harnröhrenlichtung? Zu ihrer Beantwortung werden der Reihe nach immer dünnere conische Metallsonden oder Catheter versucht, bis zum dünnsten hinab, dann kommen elastische conische Bougies an die Reihe, weil Stricturen dem Reste der Harn- röhrenlichtung häufig eine unregelmässige, oft ganz schraubenförmige Gestalt geben, wodurch wohl starren, nicht aber auch elastischen Instrumenten der Weg versperrt wird. In der Scala der Bougies ab- steigend, kommt man endlich zu den dünnsten sogenannten „Bougies filiformes" oder in Ermangelung solcher, zu Darmsaiten. Können auch diese nicht eingebracht werden, dann ist die Strictur als tem- porär undurchlässig zu erklären, denn die absolute Impermeabilität ist oft weniger durch die Strictur als solche bedingt, als vielmehr durch plötzlich dazu getretene entzündliche Schwellungen der Um- gebung und stärkere Quellung des stricturalen Gewebes. Wird diese durch Ruhe, Bäder etc. beseitigt, so stellt sich die frühere, wenn auch geringe Durchlässigkeit wieder her. Man sei also sehr vorsichtig mit der Erklärung, eine Strictur sei absolut undurchgängig für Instrumente, und vergesse nie, das Wort ,, vorläufig" beizufügen, ehe eine längere — 684 — Beobachtinit>- des Kranken nicht die Bereclitit>un^- yibt, es weglassen zu können. Was ist aber zu thun, wenn eine Strictur plötzlich tem- porär undurchlässig geworden und die Blase strotzend gefüllt ist, kann man die Herstellung besserer Verhältnisse abwarten? Ganz bestimmt; man entleert die Harnblase mittelst Aspiration bei Be- nützung der dünnsten Hohlnadel, ein Verfahren, welches aseptisch durchgeführt, gefahrlos ist und beliebig wiederholt werden kann, und wartet dann ab, ob nach längerer Ruhe des Kranken und wiederholten Versuchen nicht vielleicht doch die Einführung einer filiformen Bougie gelingt. Erst wenn dies wiederholt misslingt, erklärt man die Strictur für absolut impermeabel. Die Technik der Einführung einer Darmsaite oder Bougie ist folgende: man erhebt das Glied und bringt in die Harnröhre das wohlbefettete Instrument (Darmsaiten pflegt man an der Spitze durch Eintauchen in heisses Wasser zu erweichen, um Verwundungen der Schleimhaut zu vermeiden; bei den filiformen Bougies entfällt diese Nothwendigkeit) ; seiner ausserordentlichen Dünnheit wegen bleibt das Instrument in den Falten der unteren Harnröhrenwand leicht stecken, wenn man nicht Sorge trägt, es entlang der oberen Wand fort- zuschieben. An die Strictur gelangt, sucht man durch Stochern den Eingang zu finden, d. h. durch leises, sanftes, aber rasches Rück- ziehen und Vorschieben der Bougie. Gelingt dies nicht, so führt man eine zweite und dritte Bougie oder Saite neben der ersten bis zur Strictur ein und versucht dann abwechselnd eine nach der anderen vorzuschieben. Oft genug gelingt es nach kürzerer oder längerer Zeit, plötzlich den Eingang zu finden in die enge Lücke, welche die Aus- mündung der Strictur bedeutet, oft auch nicht; ganz gewiss nicht, wenn zarte Hand, Geduld und Ruhe fehlen. Manchmal gelingt es, die Durchlässigkeit sehr enger Stricturen dadurch zu erzwingen, dass man mittelst einer Wundspritze unter entsprechend starkem Drucke Wasser in die Harnröhre treibt; es geht darauf das Einführen einer fili- formen Bougie oft mit relativer Raschheit und Leichtigkeit von Statten. Le Fort empfiehlt eine stark calibrirte, etwas conisch abgerundete Metallsonde (Nr. IG französischer Scala) bis zur Strictur einzuführen und bei gespanntem penis 10 Minuten lang angepresst zu halten. Durch dieses Verfahren soll die Mündung der Strictur in die Mitte der Harnröhrenlichtung gerückt, jene quasi zur Fortsetzung des durch den Druck der Sonde ante stricturam gebildeten Trichters gestaltet, und die nachträgliche Einführung einer filiformen Bougie ermöglicht werden. Oft unterläuft auch eine Täuschung: man glaubt die Strictur passirt zu haben, während das Instrument sich einfach vor der Strictur aufrollt und dadurch das Einschieben möglich macht; namentlich dünne Darmsaiten bereiten solche Irrungen, da sie bei etwas längerem Verweilen in der Harnröhre durch die Wärme und Feuchtigkeit quellen und so weich werden, dass sie local jede Widerstandsfähigkeit vollends einbüssen. Diesbezüglich gebührt den Bougies filiformes, weil sie nicht quellfähig sind und man damit beliebig lange manipuliren kann, der unbestreitbare Vorzug. Es soll nicht gesagt sein, dass diese sich nicht auch vor der Strictur aufrollen können statt einzudringen, allein die Täuschung unterläuft schwerer, indem eine halbwegs geübte und fühlige Hand sehr leicht den Unterschied zu ermitteln vermag — 085 — zwischen dem stets einen gewissen Druck erforderlichen, weil Wider- stand bietenden Aufrollen der elastisch bleibenden Bougie und dem leichten, widerstandslosen Fortgleiten durch die Strictur. Noch mar- kanter ist das Gefühl, wenn die vollends eingeführte Bougie eine ganz kurze Strecke zurückgeführt wird; war sie nur vor der Strictur aufgerollt, so geht das Vorziehen ohne jede weitere Gefühlswahr- nehmung ab, ist die Durchführung aber gelungen, so hat man deutlich das Gefühl, als ob man dabei den Widerstand einer leichten Klem- mung zu überwinden hätte. Seitdem die Endoscopie der Harnröhre fast Gemeingut der Aerzte geworden ist, kann man sie auch dazu benützen, um Stricturen direct dem Auge zugänglich zu machen und folgeweise auch sondenförmigen Instrumenten, ja sogar einem entsprechend construirten Messer chen. Am besten verwendbar ist zu solchen Zwecken das einfache Endoscop mit Conductor nach Grünfeld (Fig. 196). Führt man das Instrument bis zur Strictur ein, entfernt den Conductor und wirft mittelst eines Rcflectors ein genügend starkes Lichtbündel in die geschwärzte Lich- tung der Röhre, so bekommt man ein ziemlich deutliches Bild jener Wand, welche die Rohröffnung jeweilig deckt; man kann also auch die Eingangsöffnung in die Strictur möglicher- Fig. 196. weise sichtbar machen und dann direct dünne Bougies oder Darmsai- ten, ja selbst metallene Knopfsonden einführen. Mit der gelungenen Einführung einer fili- formen Bougie ist auch der erste Schritt zur Ueber Windung einer Strictur gethan; der Urin beginnt neben ihr tropfenweise abzufliessen, erst langsam, dann etwas rascher. Bei strotzend voller Blase ist damit die erste Abhilfe geschaffen, der active Druck der Blasenmusculatur treibt die Flüssigkeit als Keil neben der Bougie vor, bald folgt den einzelnen Tropfen ein dünner Harnstrahl und die Blase entleert sich, freilich erst nach langer Zeit und vieler Plage. Jetzt ist auch für das weitere Verfahren der Weg gebahnt. -4. Dilatation. Wenn einmal das richtige, vollständige Einführen einer dünnsten Bougie oder Darmsaite gelungen, kann die Erweiterung der Strictur vorläufig als möglich erklärt und diese allmälig auf langsame Weise oder rasch ausgeführt werden. Dem Wortlaute ent- sprechend besteht die langsame Dilatation in dem Einführen allmälig dickerer Instrumente bis zur endlichen Herstellung der normalen oder einer der Norm nahe kommenden Harnröhrenlichtung. Man verwendet hierzu in der Regel conisch gebaute Catheter (Fig. 197), metallene sowohl als auch elastische, von den dünnsten Nummern der Scala angefangen, gradatim zu höheren steigend. Besser, bezüglich der Integrität der Blasenschleimhaut, ist sicherlich die Be- nützung conischer Sonden, ähnlich geformt wie die Catheter, aber voll, nicht röhrenförmig. Es ist nämlich erwiesen, dass der Blasen- — (JSi) catarrh, welcher jede Stricturbeliaiidlung in der Rej^el begleitet, weniger die Folge einer mechanischen Reizung sei, als vielmehr einen directen Infectionsprocess darstelle, hervorgerufen durch jene phlogo- genen Keime, welche in der Lichtung, und namentlich im Blindsacke des Catheters zu lagern und beim Catheterismus in das Blaseninnere importirt zu werden pflegen. Am schwersten gelingt die Einführung des ersten oder dünnsten conischen Catheters, welchen man durch- zwängen muss, um den Weg zur Blase zu öffnen: da aber ein Durch- zwängen einerseits den Begriff einer relativen Fig. 197. Kraftanwendung, andererseits als conditio sine qua non eine entsprechende Widerstandsfähigkeit des Einzuzwängenden involvirt, so dürfte es klar sein, dass elastische und weiche Instrumente dazu II ungenügend, hingegen metallische am Platze seien; erstere kommen gelegentlich später, bei schon etwas dilatirter Strictur in Verwendung. Das Ein- führen metallischer conischer Instrumente ist nicht ohne Gefahr, denn die ausgesprochenen, wenn auch stumpfen Spitzen derselben können ebenso- gut die Strictur überwältigen, als auch das Ge- webe neben der Strictur durchbohren, da es ja weicher, widerstandsloser ist als das Narbengewebe der Strictur selbst. Letzteres ist ein sehr übles Ereigniss, bekannt als „Bildung falscher Wege", einerseits weil das Operationsziel nicht nur nicht erreicht, sondern auch die späteren Bestrebungen, die Strictur auf Dilatationswege zu überwinden, dadurch wesentlich erschwert und selbst ganz vereitelt werden können, andererseits weil derlei Verwundungen Harninfiltration und deren Folgen zu veranlassen vermögen. Um ein conisches Metall- instrument bei enger Strictur handhaben zu können, ohne den Kranken argen Gefahren aus- zusetzen, gehört eine wohlgeübte, die Technik des Catheterismus ganz beherrschende und dazu er- fahrene Meisterhand. Die Gefahr der Bildung fal- scher Wege ist durch die Möglichkeit einer De- viation des Instrumentes bedingt. Nun ist aber eine stricturirte Harnröhre des Häufigsten nicht mehr normal gestellt, denn das Narbengewebe der Strictur verzieht oftmals die Harnröhre nach einer und baucht sie nach einer anderen Richtung vor, gestaltet den Weg manchmal spiralig, korkzieherartig, daher die Gefahr eine doppelte wird, insofern als man neben der Verengerung noch eine Richtungsabweichung zu bekämpfen hat und letztere nie vorher mit Sicherheit ermittelt werden kann, selbst wenn man modellirbare Bougies (Wachsbougies) zu Hilfe nimmt. Der Operateur wäre aber wohl sicher, unter allen Umständen und selbst bei mangelhafter Uebung und Erfahrung den conischen Catheter richtig einführen zu können, wenn dessen Spitze durch eine filiforme Bougie geleitet würde, welche vorgängig durch die Strictur einge- m — 687 Fi"-, l^^ führt worden wäre, weil dabei jede Deviationsgefalir der Catheter- spitze umgangen und die Gefahr der Bildung falscher Wege und des Nichteindringens in die Blase zur Unmöglichkeit wird. Diesen Gedanken habe ich durch meinen Apparat ins Praktische übersetzt. Eine bougie filiforme hat an ihrem Rückende eine Hülse angemacht, welche im Inneren eine Schraubenmutter trägt. Sie wird für sich auf früher erwähnte Weise eingeführt und hierauf ein dünner conischer Silbercatheter, beziehungs- weise Metallsonde, welche an ihrer Spitze ein Schraubengewinde trägt, an die bougie filiforme sicher angeschraubt. Schiebt man nun das conische Instru- ment in die Harnröhre vor, so treibt es die angeschraubte Fadensonde vor sich her tiefer und tiefer hinein, end- lich durch die Harnröhre vollends in die Blase, allwo sie sich aufrollt und temporär verbleibt. Das conische In- strument rückt ihr nach, kann die Harnröhre nicht verlassen und daher auch nicht falsche Wege bohren, weil dessen Spitze nicht frei ist. Es geht daraus hervor, dass selbst ungeübtere Hände die gefürchtete Manipulation des ersten Einlegens eines metallenen Instrumentes besorgen können, mit Sicherheit des Erfolges und ohne Scha- den für den Kranken (Fig. 198). Eine filiforme Bougie, mit einer Schrauben- hülse versehen, an welcher andere In- strumente befestigt werden, dient letz- teren als Leiter oder Conductor und wird Leitbougie genannt. Ich verwende mein Instrument seit vielen Jahren mit Erfolg und habe damit mehrere Stric- turen bezwungen, an denen andere Fachmänner sich umsonst versucht hatten. Bei voller Blase wähle ich den Catheter; ist eine Entleerung der Blase nicht dringend, so gebe ich aus früher angeführten Gründen der conischen Metallsonde den Vorzug. Vor dem Gebrauche des gewiss ein- fachen Apparates muss man sich von der Integrität seiner Bestand- theile wohl überzeugen und namentlich die Festigkeit i der Hülse bezüglich ihrer Adhärenz an die Leitbougie genau prüfen. Nach erfülltem Zweck werden Catheter und Leitbougie vereint ent- fernt ; stünden mehrere Catheter verschiedener Stärke zur Verfügung, so könnte die Leitbougie eventuell nur bis über das orificium urethrae externum vorgezogen, der eben benützte Catheter ab-, der nächste an Stärke angeschraubt und auf gleiche Weise eingeführt werden, — 688 — wodurch eine raschere Dilatation zu Stande käme. Vor der definitiven Entfernung des Catheters sammt Leitbougie pflege ich meistens den Catheter einigemale in der Strictur zu verschieben, id est etwas vor- zuziehen und gleich wieder tiefer zu schieben, um die Geradrichtung der Harnröhre und die Schmelzung des stricturalen Gewebes wirk- samer zu beeinflussen. Eine Variante dieses Frottirens bildet das Massiren einer Strictur, d. h. das methodische Andrücken und gewissermassen Walken der verengten Partie auf das eingelegte starre Instrument, vom Mittelfleischo aus. ' Mit der Einführung des dünnsten conischen Metallcatheters, beziehungsweise Metallsonde, ist der erste wichtigste Abschnitt in der Dilatationsbehandlung einer Harnröhrenstrictur abgethan. Man beginnt nun damit, jeden zweiten oder dritten Tag eine Metallsonde stärkeren Calibers einzuführen und geht derart allmälig progressiv vor, bis die dickste Sonde leicht durchführbar ist. Oft genug wird der Operateur in dem graduellen Aufsteigen unterbrochen und muss in Folge Ein- tretens stärkerer Reaction entweder längere Zeit pausiren, beziehungs- weise auf einer und derselben Nummer des Calibers verbleiben, oder gar zeitweilig auf dünnere Nummern zurückgreifen. In solchen wider- spenstigen Fällen behilft man sich damit, dass man ein Metallinstrument entsprechenden Calibers einführt und es längere Zeit (1 2 bis 24: Stunden) in situ belässt; die Schmelzung der caliösen Strictur macht dann rapidere Fortschritte, freilich zumeist auf Kosten eines stärkeren Blasencatarrhs. Letzteren vermeidet man, wenn nur Sonden benützt, diese nur kurze Zeit {^U bis 1 Stunde) in situ belassen und nicht bis in die Blase eingeführt werden. Letzteres ist nicht nothwendig, es genügt vollkommen, die Sonde nur bis zum orificium vesicae, ja nur bis in den prostatischen Theil einzuführen, da Stricturen letzteren in der Regel verschonen. Ein entschieden rascheres Vorgehen in der Dilatation besteht darin, dass man in einer und derselben Sitzung mehrere progressiv aufsteigende Nummern von Metallsonden nach- einander einführt; es bildet diese Procedur gewissermassen den Ueber- gang zwischen der langsamen und der raschen Dilatation, greift aber den Kranken viel mehr an und soll daher mit Bedacht unternommen werden. Am schonendsten gestaltet sich wohl die Dilatation mit ela- stischen Instrumenten, aber auch am langwierigsten und häufig genug reicht sie zur Realisirung des bestimmten Endzweckes nicht aus; sie dient daher zumeist nur zum Temporisiren, um schon Erzieltes nicht zu verlieren. B. Divulsion. So benennen die Franzosen auf ebenso charakte- ristische als prägnante Weise die plötzliche, gewaltsame Dilatation. Solche kann nur durch Sprengung oder Zerreissung des die Strictur bedingenden Gewebes erzielt werden. Die hierzu dienenden Instru- mente heissen ,,Divulseur". Mannigfach ist deren Construction, viel- fältig sind die Modelle und ihre Varianten. Allen gerecht zu werden ist nicht die Aufgabe dieses summarisch gehaltenen Werkchens. 1 Lp Fort lässt die eingeführte filiforme Bougie 24 Stunden in der Strictur liegen, schraubt dann erst eine dicke Metallsonde an und schiebt letztere, ohne Gewalt anzuwenden, ein. Das Liegenbleiben der feinen Bougie bedingt eine Erweichung und Er%veiterung der Strictur, nicht durch mechanischen Druck, sondern durch den Einfluss ihres Verweilens auf das Narbengewebe, den auch Gvyon betont. — 689 — Rigaud, Thompson, Montain, BerMey Hill, Mallez, Dittel, Walshom und Andere haben sich mit der Erfindung mehr oder weniger zweckmässiger Divulsionsinstrumente verdient gemacht. Sie werden mit oder ohne Leitbougie eingeführt und theils durch Schrauben- Fig. 201. Fm. 200. Fig. 199. Wirkung, theils durch Einschieben von Stiften verschiedener Stärke in Action gebracht. Ihre Dickenzunahme wird theils durch Ausein- anderdränaen ihrer beiden Längscomponenten, theils durch Vortreiben isolirter fheile bewerkstelligt." Als Typen der benannten Varianten dienen die beigegebenen Zeichnungen: Fig. 199 stellt den Divulseur Mallez dar; denkt man sich den kleinen leiterartigen Vorsprung auf V. Mosetig-M o o rhof: Handbuch d. Chirurg. Technik. 4. Aufl. 44 — 690 — die ganze Instrumentenlänge übertragen, so resultirt der ältere Di- vulseur Riyaud. Fig. 2U0 stellt eine neue Variante des älteren liol.t- schen Instrumentes dar, dessen Durchmesserzunalime durch die Ein- treibung von Stiften zwischen den zwei Branchen des Apparates zu Stande gebracht wird: Divulseur Voülemier; endlich Fig. 201 das viel- leicht am meisten verwendete Instrument von Thompson. Die gewaltsame Dilatation hat ihre Vortheile und ihre Nach- tlieile: erstere beruhen darin, dass man rascher zum Ziele kommt, und deshalb wird sie hie und da angewendet, wenn die langsame Dilatation aus was immer für einem Grunde stockt und nicht recht vorwärts will; ihre Nachtheile gründen in der Gewebszerreissung, welche in erster Linie zu Blutungen und fieberhafter Reaction führt, in zweiter Linie gelegentlich auch zu Harninfiltrationen Veranlassung geben kann, insbesondere wenn der Urin alkalisch reagirt. Um die benannten Uebelstände nach Möglichkeit zu verhüten und auch um den erzielten Gewinn quoad dilatationem zu erhalten, pflegt man nach abgethaner Divulsion und antiseptischer Ausspritzung der Harnröhre, einen weichen Catheter ä demeure einzulegen. Recht empfehlenswertli ist es, den Catheter an seiner Aussenfläche mit einer Jodoformvaselin- salbe tüchtig zu bestreichen, oder vor dem Einlegen etwas Jodoform- emulsion in die Harnröhre einzuspritzen. C. Cauterisation. Zur Aetzung eignen sich nur solche Stricturen, deren Wesen in Granulationen der Harnröhrenschleimhaut oder in Carunkeln gelegen ist, und sich durch besondere Schmerzhaftigkeit, Blutung und febrile Reaction, selbst nach der schonendsten Sondirung kennzeichnen. Die älteren Aetzmittelträger von Dticanip, LaUernand, Leroy und Anderen sind mit Recht vergessen: eine Methode, welche im Dunklen arbeitete und nicht genau wusste, wo und was sie ätzte, war nicht lebensfähig und lange blieb die Cauterisation ganz verpönt; erst die Anwendung des Urethroscops erweckte sie zu neuem Leben. Heutzutage wird sie nur mehr in Verbindung mit der Urethro- scopie gepflogen: man stellt die Granulation in das Gesichtsfeld der Röhre ein und ätzt direct und isolirt. Bei Verwendung von Nitras argenti, welches in concentrirter Lösung aufgetragen wird, vergesse man nie, eine sofortige Neutralisirung des Ueberschusses mittelst Salz- wasser vorzunehmen, um eine Aetzung der Granulationsumgebung zu verhüten. Häufiger bedient man sich gegenwärtig der Electrolyse zur Hebung von Urethralstricturen. Hierzu dient ein galvanischer Strom von geringer Stärke, da es sich nicht darum handelt, eine Gewebs- mortification hervorzurufen, als vielmehr nur eine unmerkliche De- composition der de^ Electrode anruhenden Theile — wenige Milli- ampere genügen hiefür; die Kathode der Batterie wird mit der Stricturensonde in Verbindung gebracht, wogegen der positive Pol als Schwammelektrode mit einer beliebigen Körperstelle in Berührung gebracht wird, zumeist der regio suprapubica: es handelt sich also um eine unipolare Application. Die Stricturenelectroden sind in Fig. 202 dargestellt: es sind die von Lang angegebenen, eine kurze gerade für Stricturen in der pars pendula und eine längere gekrümmte für tiefer gelegene. Sie besitzen eine verschiebbare Leitbougie, welche zuerst eingeschoben wird durch die Strictur bis in die Blase und — (591 welcher entlang die Electrode fortgeschoben wird. Bei der Anord- nung der letzteren hat man darauf zu achten, dass die metallische Birne der Electrode stets in gleichmässiger Weise gegen die verengte Stelle, und zwar in der Richtung der Harnröhre angedrückt werde, so, als wollte man die Spitze der Birne mit sanfter Gewalt durch die Strictur drängen. Man merkt dabei ganz deutlich das Vorrücken des Instrumentes, welches nach Behebung der letzten Enge wie mit einem Ruck in den weiten Theil der Harnröhre und dann in die Blase gelangt. Die Leitbougie wird mittelst der kleinen Klammer fest- gehalten, damit die Electrode allein darüber weggleite. Nur Avenn die Verschieblichkeit besteht, darf der Strom eingeleitet werden, besteht diese nicht, so beweist es, dass die Electrode nicht richtig ge- Fig. 202. halten wird, sondern mit der Leitbougie einen Winkel bildet, der eben das Hinderniss ab- gibt. Das Verfahren ist in be- währter Hand ^^oUends unge- fährlich, für den Patienten nicht schmerzhaft, und der Er- folg in wenigen Minuten erzielt. D. Innere Urethrotomie. Die Durchschneidung der Strictur von der Harnröhre aus ist strenge genommen nur bei je- nen nicht sehr häufigen Fällen indicirt, wo Klappen-, Falten- oder Strangbildungen im Lumen der Urethra sich vorfinden und diese, ihrer Elasticität zufolge, jedem Dilatationsversuche Wi- derstand leisten. Wenn schon die Divulsion Gefahren bietet, so gilt dies in verstärktem Masse für die Urethrotomie, denn das eigentlich gefahr- bietende Moment: die Verwun- dung der Harnröhre, ist bei letzterer viel ausgiebiger als bei der erstgenannten Methode, obgleich die Quetschung entfällt. Man kann auf doppelte Art urethrotomiren : mit Beihilfe des Auges und ohne ihrer. Erstere Methode dürfte den absoluten Vorzug verdienen ; sie bedarf zur Ausführung eines Urethroscops und eines langgestielten, dünnen stumpfendenden Messerchens; letztere erfordert eigens construirte, mehr minder complicirte Apparate, welche äusserst correct erdacht und gehandhabt sein müssen, um richtig zu wirken. Die Zahl der bekannton Urethrotome ist sehr gross, denn Erfinder, Neuerer und Verbesserer haben sich in grosser Anzahl mit dieser Frage beschäftigt. Man wollte die Strictur in der Richtung von vorne nach hinten, oder umgekehrt durchschneiden, unilateral, bilateral, mehrfach, nach verschiedenen Richtungen etc. Bedenkt man, dass ein 44* G92 Fig. 2üa. Urethrotom, um halbwegs brauchbar zu sein, sicher eingeführt sein müsse, nur die Strictur allein durchtrennen und der Schnitt nicht ins Nachbargewebe dringen dürfe, so wären an das Instrument folgende Erfordernisse zu stellen, deren Aufzählung dazu dienen soll, die Un- zahl der bekannten Urethrotome beurtheilen zu kcninen : a) eine Leit- bougie; l>) Messerklingen, welche nur in dem Augenblicke wirksam werden, wenn die verengte Stelle sich einstellt; c) Vorkehrungen, um den jeweiligen Grad der Messerwir- kung im vorhinein sicher bestimmen zu können. Um die unnütze Anführung der vielen Erfindernamen zu erspa- ren, soll im Folgenden nur jenes Urethrotoms gedacht werden, welches gewiss unter allen die grösste Ver- breitung liefunden hat und dem mit Recht auch die grösste Anerkennung zutheil wurde, jenes von Maisonveuve (Fig. 203). Es besteht aus einer Leit- bougie und einer daran schraubbaren hohlgerinnten, catheterartig gekrümm- ten Stahlsonde. Die Messerchen, ver- schieden an Grösse, sind dreieckig, die Basis des Dreieckes läuft in der randgeschlossenen Rinne der Stahl- sonde, ist an einen flexiblen Stahl- draht befestigt, der innerhalb der Hohlrinne bewegt wird und mit einem knöpf artigen Griffe endet; der obere Winkel des gieichschenkeligen Messer - dreieckes ist stumpf, und an den Schenkeln sind nur die mittleren Drittel schneidend geschärft. Der stumpfe Winkel des Messerchens gleitet bei der Anwendung des Appa- rates entlang der oberen Wand der Harnröhre, hebt sie empor und ver- schafft der Klinge Raum zum Fort- gieiten, ohne die Schleimhaut im mindesten zu verletzen. Erst wenn die Strictur sich entgegenstellt, kommt der bindegewebige Ring mit der Schneide des vorderen Dreieckschen- kels in Contact und unterliegt ihrer Wirkung. Ist die Strictur passirt, so kann das Messerchen wieder fortgeführt werden, ohne weitere Verletzungen abzusetzen, es wäre denn, dass hinter der ersten eine zweite oder mehrere Verengerungen sässen; liegt eine Falte, Klappe oder ein Strang vor, so werden diese Gebilde ganz allein durchschnitten, die normal weite Harnröhre aber sonst vollends intact gelassen. Beim Rückziehen des Messerchens wird die gesetzte Trennung vervollständigt, falls sie unvollständig geblieben wäre. Die Gebrauchsweise des Apparates ergibt sich aus dem Gesagten von — 693 — selbst: Einführung der Leitboiigie und an ihr die der Stahlsonde^ Einlegen der Klinge in die Hohlrinne und Vorschieben derselben bi& zum Widerstände, zur Strictur; nach Durchschneidung dieser : Weiter- schieben bis zu einer Tiefe, welche dem prostatischen Theile ent- sprechen mag; schliesslich Zurückziehen und Abnehmen der Klinge. Nunmehr wird die Stahlsonde aus der Urethra gezogen, bis die Schraubenhülse der Leitbougie in Sicht kommt, die Stahlsonde wird ab- und ein ähnlich gebogener Metallstab angeschraubt, der nun wieder, von der Leitbougie geführt, bis in die Blase vorge- schoben wird. Mit dem Einführen eines vorne offenen, weichen Gummistoff- catheters über den Metallstab bis in die Blase und dem Ausziehen des Metallstabes sammt Leitbougie ist die Operation beendet. Die Incision der Strictur erfolgt entsprechend der oberen Wand der Harn- röhre, gewiss ein Vortheil, der einerseits die Blutung geringer macht und auch die Gefahr einer Urininfiltration angeblich verringert. Doch hat Maisonneuve seinem Apparate auch ein rhomboidförmiges Messerchen beigegeben, welches horizontal in der Stahlsonde läuft und bilaterale Trennungen absetzt; auch bei diesem sind die seitlich vorspringenden Winkel stumpf. Fiff. 204. Führt man den weichen Verweilcatheter sofort ein, so geschehe dies mit der Vorsicht, dessen Caliber nie dem neugeschaffenen Durch- messer entsprechend, oder gar letzteren übersteigend zu wählen, denn der Catheter darf unter keiner Bedingung dehnend und drückend auf die frische Schnittwunde wirken. Es ist daher geboten, ein etwas dünneres Rohr einzulegen, als eigentlich Platz hätte; da aber dieses Verhalten v/ieder den Nachtheil hat die Harnröhre nicht auszufüllen, wodurch dem Urin Gelegenheit geboten wird, auch neben dem Rohre vorbei zu sickern und sonach mit der Wunde in Contact zu gerathen; da ferner ein Verweilcatheter fast constant Blasencatarrh erregt, dieser aber den Urin alkalisch macht und letzterer wieder infectiöse Eigenschaften besitzt, so pflegt man lieber auf das sofortige Einlegen eines Verweilcatheters zu verzichten. Es ist empfehlenswerther, die verwundete Harnröhre vorläufig in Ruhe zu lassen und antiseptische Injectionen zu machen, welche theils die anfängliche Blutung stillen, theils eine spätere Infection behindern sollen; erst nach 48 bis 72 Stunden beginnt man temporär Instrumente einzuführen, um das Errungene zu erhalten und Weiteres zu erzielen. Sedillot, Gouley, Teeran und Andere haben das Maisonneuve' sehe Instrument modificirt, das Wesen des Verfahrens aber kaum geändert; es besteht noch gegenwärtig zu Recht. Stricturen an oder nahe der Harnröhren- mündung werden am einfachsten mit einem Knopfbistouri durchtrennt. — 694 — eigene Instrumente mit verborgener Klinge sind liiefür nicht nöthig oder mindestens entbehrlich. Auf was immer für eine Weise man eine Strictur überwunden und die Durchgängigkeit des betroffenen Harnröhrenabschnittes her- gestellt hat, soll dennoch nie vergessen werden, dass Narbengewebe zurückbleibt und dieses die stete Tendenz hat, zu schrumpfen und Recidiven zu erzeugen. Um solchen vorzubeugen, ist es nothwendig, von Zeit zu Zeit in grösseren oder kleineren Intervallen dickste Metallsonden einzuführen und dieselben • ;, bis 1 Stunde in situ zu belassen, um der constringirenden Neigung des Narbengewebes zu begegnen. Je dicker und je schwerer die Metallsonde ist, welche je- weilig eingeführt wird, desto besser und länger anhaltend ist auch der Effect. Sehr brauchbar sind hiefür die Zinnsonden von Benique, welchen eine eigene Biegung gegeben ist, die es dem Kranken möglich macht, das Instrument lange in der Harnröhre zu belassen, ohne davon wesentlich molestirt zu werden (Fig. 204). Am zweckmässigsten ist es, wenn der Kranke es lernt sich die Sonde selbst einzuführen, weil er sich dadurch vom Arzte unabhängig machen kann. Das Ein- legen geschieht anfänglich wöchentlich einmal, später alle Monate, schliesslich können wohl auch längere Zwischenpausen eingehalten werden. E. Aeussere TJrethrotomie. Sie findet ihre Anzeige: bei Ver- letzungen der Harnröhre in Folge von Traumen, um die Einführung eines Verweilcatheters zu ermöglichen oder zu erleichtern und der Urininfiltration vorzubeugen, ferner bei langen, undehnbaren, oder für Instumente aller Art undurchgängigen Stricturen, endlich bei solchen, die mit Abscess- oder Fistelbildung complicirt sind. Das Wesen der Operation besteht in der Eröffnung der Harnröhre vom Mittel- fleische aus durch einen Längschnitt in der raphe perinei, wodurch eine knopflochartige Wundöffnung resultirt, daher die Bezeichnung „Boutonniere". Den Gang des Verfahrens zu schildern ist insofern schwer, als es sich jeweilig nach dem speciellen Falle richtet; die Ausführung ist oft ganz leicht, oft genug rangirt sie zu den schwie- rigsten operativen Verfahren. Im Allgemeinen können wir zwei Normen unterscheiden: bei sonst durchgängiger und bei undurch- gängiger Harnröhre. Die äussere Urethrotomie bei durchgängiger Harnröhre wird auf der Leitung einer vorher als Wegweiser ein- gelegten glatten oder an der Convexität hohlsondenartig gerinnten Harnröhrensonde (Itinerarium) ausgeführt. Der Kranke wird in Stein- schnittlage gebracht, das perineum rasirt, gereinigt und sodann in der hinteren Hälfte der raphe ein Längsschnitt gemacht. Die vordere Hälfte des Mittelfleisches darf nicht alsOperationsplanumbenützt werden, weil daselbst der bulbus urethrae gelegen ist, dessen Schonung ab- solut geboten, falls er intact ist; wäre der bulbus durch die ver- letzende Gewalt in Mitleidenschaft gezogen oder wäre er bei bestehender Strictur in den narbigen Degenerationsprocess mit einbezogen und in eine Narbenmasse verwandelt worden, dann kann wohl auch die vordere Hälfte der raphe zur Schnittführung benützt werden. Mit dem Scalpelle schichtenweise in die Tiefe dringend, untersucht man fleissig mit der Spitze des linken Zeigefingers, ob die Rundung oder die Hinne des Wegweisers durchgefühlt werden kann. Sobald dies ge- — 695 — lungen, legt man den Zeigefinger so an das Itinerarium, dass der Nagelrand die Sonde berührt und die Nagelfläche der Mediane des Beckenausganges zusieht. Neben dem Nagel wird nunmehr ein Spitz- bistouri durch die untere Harnröhrenwand in die Rinne gestochen und entlang der Rinne fortgeschoben; oder es wird an der glatten Wand der Sonde eingeschnitten bis zum Beginne des prostatischen Theiles oder mindestens bis zum centralen Ende der Strictur, bezie- hungsweise zur inneren Mündung des etwa bestehenden Fistelganges. Es ist sehr zweckmässig, nunmehr die Wundränder miltelst ein- gelegter spitzer Doppelhäkchen nach Möglichkeit abziehen zu lassen und hierauf mit Hakenpincette und Messer den unteren Abschnitt der Narbenmasse zu excidiren, wobei auf Glattheit der Schnittflächen wohl zu achten ist. Das Einlegen eines entsprechend calibrirten elastischen Verweilcatheters beendet den Eingriff: die Wunde stopft man mit Jodoformgaze aus. Roser hat den Nachweis geliefert, dass bei der Heilung die Schleimhaut der Harnröhre gegen die äussere Haut vorgezogen wird, natürlich ohne sie zu erreichen; dadurch ergibt sich aber eine dauernde Erweiterung der Harnröhre und ein relativer Schutz vor Recidive. Die Wundspalte schliesst durch Granu- lation zumeist ganz, seltener bleiben Haarfisteln im Centrum zurück. Viel schwieriger gestaltet sich die äussere Urethrotomie, wenn die Harnröhre nicht durchgängig ist, weil dabei der Wegweiser nur bis zum Hinderniss geführt werden kann, nicht tiefer. Es handelt sich dann, nach gemachtem Einschnitte und Blosslegung der Harn- röhre vor dem Hindernisse, um das Auffinden des feinen Durchlasses durch die Strictur — oder bei Verletzungen, der Harnröhrenfortsetzung hinter der betreffenden Stelle, und darin liegt die Schwierigkeit. Man sucht also nach Abziehung der Spaltränder im stricturalen Verschlusse mittelst Knopf- oder Haarsonde sorgfältig nach der Mündung der Strictur, oder nach der durch die erlittene Verletzung abgetrennten centralen Harnröhrenfortsetzung und führt, wenn sie gefunden, sofort die Sonde tiefer ein, auf welcher dann entweder die Spaltung der Strictur oder, bei Verletzungen, die Einführung eines elastischen Catheters bewerkstelligt wird. Gelingt das Ermitteln der Mündung nicht, dann können nur strenges Einhalten der Mediane und genaue topographisch-anatomische Kenntnisse des Operationsterrains zum Erfolge führen. Man kann die centrale Fortsetzung auf doppelte Art finden: entweder dadurch, dass man bei Stricturen das ganze Narbengewebe, so weit es zugäng- lich ist, der Länge nach ausschneidet, sich dann vergegenwärtigt, wo, anatomischen Gesetzen zufolge, die Fortsetzung der Harnröhre sich befinden muss und nun mit einer Knopfsonde geduldig deren Mündung aufsucht. Ein Druck auf die Harnblase oder ein actives Pressen des Kranken kann das Auffinden des centralen Lumen wesent- lich erleichtern, wenn dabei etwas Urin abgeht, ein Vortheil, der namentlich bei traumatischen Durchtrennungen oder Zerquetschungen Anwendung findet. Der zweite Vorgang besteht darin, dass man mittelst Querschnitt zwischen Harnröhre und rectum einen Weg mit dem Messer bahnt, die normale Harnröhre im Verlaufe ihrer centralen Fortsetzung blosslegt und die untere Wand derselben aus freier Hand längsindicirt, worauf — 696 — von rückwärts her ihre Ausniündung in die Wundspalte mittelst Sonde kenntlich gemacht wird. Den Schluss der Operation bildet das Einlegen eines elastischen Verweilcatheters, welcher vom orificum nrethrae ex- ternum durch den peripheren Harnröhrentheil in die Wunde, von dieser in die centrale Fortsetzung und schliesslich in die Blase geführt wird. Da bei Stricturen wohl das ganze Narbengewebe, welches die Urethra substituirt, durchschnitten wird, so resultirt ein Längendefect, welcher durch Granulation um den Cathetermodel sich neubilden muss. Hier wird der Eoser'sche Vortheil demnach nicht zu erwarten und ein fortgesetztes periodisches Bougiren nothwendig sein, um Recidiven zu verhüten. Zur definitiven Ausheilung sehr hartnäckiger callöser, namentlich nach äusseren Traumen der Dammgegend resultirender Stricturen sind jüngst noch zwei Verfahren angegeben worden, und zwar: aj die von König zur Methode erhobene Resection des callös entarteten Urethral- segmentes sammt der umgebenden Narbenmasse vom Damme aus, worauf die oft viele Centimeter weit abstehenden Urethralreste durch sorgfältige Präparation, id est Ablösung von der Umgebung, so weit mobilisirt werden, dass sie, wenn auch unter Verkürzung der Harnröhre, einander bis zur Berührung genähert werden können. Durchgreifende aber dennoch die Schleimhaut schonende Catgut- oder Seidennähte halten die Resectionsränder in Contact; ein weicher Nelaton wird ä demeure während fünf bis sieben Tagen eingelegt, die äussere Dammwunde entweder verkleinert und drainirt oder ganz offen gelassen und mit Jodoformgaze tamponirt. Mehrmals im Tage und ein- bis zweimal bei Nacht wird der Urin entleert und die Blase gelegentlich mit Borsäurelösung ausgespült. Nach fünf bis sieben Tagen wird der Catheter entfernt und dem Patienten das freie Uri- niren gestattet. Durch progressiv dicker gewählte Steinsonden hält man die Urethra offen und erweitert dieselbe auf die normale Lichtung. In der Regel soll prima intentio in grösstem Umfange eintreten, kleine Fistelöffnungen schliessen sich von selbst, h) Wölfler hat in mehreren Fällen vom Damme aus die Strictur und deren narbige Umgebung einfach excidirt und vorläufig den daraus entstandenen Defect offen gelassen. Vier bis fünf Tage später, als letzterer zu granuliren begann, wurde die Schleimhaut von Menschen, von der vagina oder vom rectum (bei prolapsus uteri od recti) endlich auch vom inneren Blatte des praeputium nach Thiersch' scher Methode, id est in Lappen von 3 bis 4 Centimeter Länge und 1 bis 3 Centimeter Breite und nur die Schleimhaut allein betreffend, in den Defect transplantirt und der Lappen durch einen eingeschobenen ä demeure belassenen Nelaton- Catheter in situ fixirt. Auf letzteren bildete sich ein neues, innen mit Schleimhaut überzogenes Urethralsegment, welches ob seiner Schleimhautdecke vor Narbenretraction mehr gesichert war. Lauenstein hat eine recht praktische Methode angegeben einen weichen Nelaton- Catheter sicher in der vom Damme aus eröffneten Harnröhre zu fixiren. Sie besteht in Folgendem: um den in die Harnröhre und bis in die Harnblase geführten Catheter wird von der Dammwunde aus mittelst Aneurismennadel ein Seidenfaden befestigt, dessen beide Enden nach erfolgter Knotung um den Catheter, ihrerseits wieder über dem in die Dammwunde eingelegten Jodoformtampon geknüpft — 697 — werden, so dass der Faden die Gestalt eines Achters beschreibt; der kleinere Ring umfasst den Catheter, der grössere den Jodoformgaze- tampon. Bei dieser Art Befestigung liegt der Catheter unverrückt in der Harnröhre fest, ein Punkt, auf den man namentlich nach Aus- führung der Harnröhrennaht, aber auch nach einer Schleimhautplastik ein ganz besonderes Gewicht legen muss, der aber auch nach der einfachen Boutonniere erwünscht ist. Alle Schwankungen im Volumen der pars pendula gehen an dem derart befestigten Catheter wirkungs- los vorüber; andererseits befestigt aber die Fadenschlinge den Tampon, der sonst der Tendenz unterliegt, aus der trichterförmigen Wunde leicht herausgedrängt zu werden. Beim Verbandwechsel wird der untere Ring gelöst und mit dem gleichen Faden ein frischer Tampon fixirt; dieses Umstandes wegen wird der obere kleinere Ring nur einfach, der untere grössere, den Tampon fixirende dagegen mit Knoten und Schleife gesichert. Soll der Catheter erneuert werden, so wird von der Dammwunde aus nach Entfernung des Tampon der obere Ring mit einer Schere durchschnitten und um den frisch ein- gelegten Nelaton mit Hilfe einer Aneurismennadel ein frischer Faden herumgelegt. Bei Ausführung einer Resection wird der Faden vor der Anlegung der Naht eingelegt und an der unteren Wand eine feine Spalte offen gelassen zum Durchtritte der Fadenenden. F. Blasenstich. Unter dieser Bezeichnung wird gemeiniglich nicht die Aspiration der Blase, sondern nur die Anlegung eines Fistel- canales verstanden, der den Urin direct nach aussen leiten und die Harnröhre temporär oder dauernd ausschalten soll. Die häufigsten Anzeigen zur Punctio vesicae geben Stricturen und Prostatatumoren bei Männern, Cancer vnlva et vaginae beim Weibe, wenn die Harnröhre ins Bereich der Entartung miteinbezogen und dadurch verlegt er- scheint. Nachdem die Aspiration der Blase bekannt und anderweitige Verfahren ersonnen wurden, das durch die Prostata abgegebene Hinderniss zu beseitigen, beziehungsweise zu umgehen, ist der Blasen- stich eine relativ seltene Operation geworden. Es gibt wohl mehrere Wege, durch welche man mit Troisquarts in die Blase gelangen kann: vom Mastdarme, beziehungsweise vagina, vom Mittelfleische, von der vorderen Bauchwand ober- oder unterhalb der Schambeinfuge, endlich von der Harnröhre aus. Gegenwärtig punctirt man ausschliesslich nur oberhalb der Symphysis ossium pubis, oder von der Harnröhre aus. Letztgenanntes Verfahren ist nur bei Prostatatumoren üblich und wird daher später erwähnt, wenn diese zur Sprache gelangen. Die Punctio vesicae suprapubica, bei Männern und Frauen gleich ausführbar, wird in der Mitte des Unterleibes am unteren Ende der linea abdominis alba ausgeführt. In der Voraussetzung, dass die Harnblase gefüllt ist, befindet sich jener Theil der vorderen Blasen- wand, welcher oberhalb der Symphyse sich erhebt, extraperitoneal, indem die Bauchfellfalte, welche den Uebergang des peritoneum parietale zum vesicale markirt, durch die Füllung der Blase in die Höhe rückt und sich von der Schambeinfuge entfernt. Da indess das Verhältniss des Bauchfelles zur Blase Verschiedenheiten individueller Natur unterliegt, so wird es stets gerathen sein, unmittelbar über dem oberen Schamfugenrande einzudringen. In der Regel wird der Troisquart direct eingestochen, seltener dürfte man sich bei besonders — 61)8 — fettreichem Bauchpolster genöthigt sehen, vorher durch Incision die linea alba blosszulegen. Zur Function wird ein Troisquart mit Doppel- canüle verwendet nach Flevxint (Fig. 205). Die Technik der Operation ist folgende: nachdem durch Fer- cussion und Falpation der Füllungsgrad der Blase am horizontal liegenden Kranken bestimmt wurde, stellt sich der Operateur an die rechte Seite, dem Kranken zugewendet, legt den linken Zeigefinger auf die Mitte des oberen Sj'mphysenrandes und sticht den bogen- förmig gekrümmten, seine Concavität der Schamfuge zukehrenden Troisc^uart mit raschem Ruck zunächst in verticaler Richtung durch die Bauchdecken ein, erhebt sodann den Griff allmälig und treibt den Troisquart vollends ein. bis aller Widerstand aufhört, ein Beweis, dass der Blasenraum erreicht ist. Inzwischen wird vom Gehilfen die Innenröhre mit einem Gummirohre montirt; der Operateur entfernt den Stachel aus der äusseren Troisquartröhre, verlegt deren Aussen- mündung mit dem Finger, um die Durchnässung des Bettes zu ver- hindern und schiebt sodann rasch die Innenröhre ein. Das Doppel- rohr wird schliesslich ganz eingeschoben, bis die Platte des Aussen- rohres der Abdominalwand anliegt. Damit das Vesicalende der Doppel- canüle die hintere Blasenwand nicht verletze, ragt das catheterförmig abgerundete, seitlich gefensterte Innenrohr etwas weiter vor, als das quer abgesetzte, adäquat gefensterte Aussenrohr. Damit keine Urin- infiltration in den Stichcanal erfolge, darf die Aussenröhre nicht vor dem fünften bis siebenten Tage herausgezogen werden : während dieser Zeit tritt organische Verklebung der einzelnen Gewebsschichten ein und das laxe prävesicale Zellgewebe verdichtet sich zu einem fest- wandigen glatten Canal. Da jedoch durch das Verweilen der Doppel- canüle in der Blase dortselbst Catarrh einsetzt und dieser den Urin trübe und schleimig macht, wird es nothwendig, das Innenrohr zeit- weise auszuziehen, um es zu putzen und wieder durchlässig zu machen, daher das Erforderniss einer Doppelcanüle. Am siebenten Tage muss auch die Aussencanüle temporär entfernt werden, um sie zu reinigen da in der Zwischenzeit ihre Aussenwand mit Phosphaten incrustirt zu werden pflegt; hat man vor, sie wieder einzuführen, so empfiehlt es sich, früher einen Conductor einzuführen, über welchen die Canüle ausgezogen und sicher wieder eingelegt werden kann. Als solcher dient ein Metallstab in der doppelten Länge der Canüle und von gleichem Krümmungshalbmesser; er führt den Namen die „Docke"; dass er schon vor dem Ausziehen der Aussenröhre durch — 699 — deren Lichtung eingelegt und in der Blase so lange verweilen muss, bis das gereinigte Aussenrohr wieder auf den alten Platz kommt, dürfte selbstverständlich sein. Mitte der zweiten Woche nach ge- machter Function vertauscht man die Doppelcanüle mit einem weichen adäquat calibrirten Jacques-Patent-Catheter, den man ohne Conductor einschiebt, da der Fistelgang bis dahin schon vollends glatte Wan- dungen bekommen hat, längs welchen das biegsame Rohr anstands- los gleitet. Die Sicherung des Catheters geschieht, nach Dittel, am besten durch zwei Sicherheitsnadeln, welche man durch die Seiten- wandungen sticht und mit Heftpflasterstreifen an die Abdominalwand klebt. Die Aussenmündung des Catheters wird mit Stoppel oder Klemme geschlossen, damit kein continuirlicher Urinabgang statt- finde. Patient kann mit solcher Vorrichtung anstandslos das Bett verlassen. Um einen besseren Verschluss des Fistelganges zu erzielen, will Schopf denselben schief durch die Musculatur der untersten Bauchdeckenregion führen, wofür er den Troisquart von der Seite her schräg zur Mittellinie einsticht und dann erst in die Blase ein- senkt. Das Instrument durchbohrt auf seinem Wege den rectus ab- dominis und pyramidalis der betreffenden Seite. Die Docke kann noch zu einem anderen Zwecke verwendet werden: zum Sondiren der Harnröhre von der Blase aus nach Verduc, zum Catheterismus posterior. Hat man wegen Strictur punctirt, so kann auf diese Weise die Durchgängigkeit der Harnröhre hergestellt werden, denn die localen Verhältnisse machen es möglich, eine Ver- engerung, welche von vorne impermeable war, von rückwärts her mit Leichtigkeit überwinden zu können. Um nach Verduc vorzugehen, legt man den Kranken horizontal auf den Rücken, erhebt das Becken durch Unterstellen eines festen Kissens, entspannt die Bauchdecken durch Aufstellung der Beine, entfernt Canüle oder Catheter und führt durch den leeren Fistelgang die Docke oder ein sonst sich eignendes Instrument in die Blase ein. Den Stab mit drei Fingern haltend, legt man dessen Innenende zunächst an die Mitte der hinteren Symphysen- fläche, worauf man strenge in der Mediane allmälig nach abwärts gleitet, bis er sich in dem orificiuni urethrae internum verfängt. Jetzt müssen die Bauchdecken durch Handflächendruck möglichst abgeflacht vv'erden, damit man eine starke Senkung der Docke nach rückwärts vornehmen könne, denn nur dadurch wird es möglich, das schwach gebogene starre Rohr durch die, einem viel kleineren Kreis- abschnitte entsprechende curvatura urethrae subpubica zu schieben, r. Bergmann empfiehlt zur Erleichterung des Verfahrens, die hintere Blasenwand durch Tamponade des rectum mittelst Colpeurynter zu erheben und damit auch das orificium urethrae vesicale der Symphyse zu nähern. Ob nach gelungener Einführung der Docke ein directer Catheterismus auf normalem Wege möglich wird, hängt wesentlich davon ab, ob der Stab die Strictur zu überwinden vermag oder nicht. Ersterenfalls begegnen sich dann Dockenende und Catheterschnabel und die Einführung des Catheters unterliegt keinem weiteren Anstände. Nach definitiver Entfernung aller Instrumente schliesst der Fistelgang in der Regel in kurzer Zeit durch Narbe. Bleiben die natürlichen Harnwege dauernd verlegt, so ist nicht daran zu denken, den Fistel- gang zum Verschluss zu bringen, aber, wie r. Nusshaum angibt, auch — 700 - nicht nothwendig, dass der Kranke dauernd einen Catheter eingelegt trage. Es genügt, dass der Kranke jedesmal, wenn er seine Blase entleeren will, einen weiblichen Catheter durch den Fistelgang ein- führe, denn die musculi abdominis recti sollen die Rolle eines sphincter übernehmen, id est den Fistelgang comprimiren und dadurch den sonst unvermeidlichen continuirlichen Urinabgang verhindern, v. Nusshmim behauptet sogar, dass der Fistelgang förmlich einer neuen Harnröhre gleiche und die Kranken beliebig und willkürlich durch die Fistel zu uriniren vermögen, auch ohne Einführung eines Catheters. So wären denn die Schrecken einer auf Lebensdauer künstlich angelegten suprapubischen Urinfistel relativ gebannt. IV. Verfahren bei Prostatatumoren. Wenn ein mit Prostatatumor be- hafteter Mann an Harnverhaltung erkrankt, wird stets zunächst der Catheterismus versucht werden müssen. Die Harnröhre, an sich nicht verengt, sondern nur in Folge Grössenzunahme der sie in grösster Circumferenz umfassenden Vorsteherdrüse zusammengedrückt, ver- lagert und gleichzeitig in ihrem prostatischen Theile verlängert, kann verschiedene Gestaltveränderuugen erleiden, je nachdem bloss der mittlere Drüsenlappen hypertrophirt, ein seitlicher oder beide seitlichen Lappen vergrössert sind, oder endlich die Gesammtmasse der Drüse an Volumen zugenommen hat. Der Lage der Drüse entsprechend, leiden zunächst die untere und die seitlichen Wände der Harnröhre, die obere bleibt in der Regel von einer Deviation frei. Ob der bestehende, durch Palpation vom Mastdarme aus zu constatirende Prostatatumor die Harnröhre bilateral verengt und zu feiner verticalen Spalte umgestaltet, ob unilateraler Druck jene halbmondförmig comprimirt und seitlich verlagert, ob das caput gallinaginis einen Vorsprung bildet oder der introitus vesicale zu einem scharf aufsteigenden Hügel umgestaltet wurde, ist a priori nicht mit Sicherheit zu constatiren. Da aber bei Prostatahypertrophien eine Gestalt- und Lageveränderung der Harn- röhre und zum Theile auch des Blasengrundes mit Sicherheit anzu- nehmen ist, so wird daraus folgen, dass der Catheterismus mit starren Metallinstrumenten in den wenigsten Fällen gelingt. Man wird es daher vorziehen, ganz weiche Catheter zu wählen Nelatoa'sche oder Jacques- Patent, welch letztere in der Glätte ihrer Wandungen excelliren und allgemein vorgezogen werden. Vermöge ihrer Schmiegsamkeit und relativen Widerstandsfähigkeit sind sie wohl im Stande, den abnormen Verlagerungen der Harnröhre zu folgen und anstandslos in die Blase zu gelangen. Wählt man, falls die Compression der Harnröhre zu stark wäre, um dem weichen Instrumente den Durchlass zu gestatten, metallene Catheter, so muss ihre Form insofern anders gestaltet sein wie die zum gewöhnlichen Gebrauche bei normaler Harnröhre üblichen, als entweder der Schnabel einem viel grösseren Bogenabschnitte, entspricht, oder statt der Bogenkrümmung eine stumpfwinkelige, ein- fache oder Doppelknickung besitzt, denn der Erfolg hängt wesentlich- davon ab, dass das Schnabelende stets entlang der oberen Harnröhren- wand gleite und hiefür eine höheres Niveau zwischen jenem und der — 701 — Achse des Catheterkörpers nothwendig ist, Lero?/ und Mercler haben einfach und doppelt geknickte Catheter angegeben, weil in Folge der Knickung der Schnabel brüsker abhebt als bei der Bogenkrümmung; ersterer construirte den Catheter „ä bequille", letzterer den „bicoude" (Fig. 206 a und h). Letzterer Zeit sind von Benas auch elastische, weiche Stoffcatheter construirt worden, deren Schnabelenden durch locale Festigung der Wandungen eine fixe Lei-oy'sche Winkelkrüra- mung besitzen. Um aus weichem Benas' sehen Catheter ein festeres Instrument darzustellen und ihm eine zweite Winkelkrümmung in beliebiger Entfernung der ersten geben zu können, hat Guyon ein eigenes Stativ ersonnen, aus welchem ein, am vorderen Ende winkelig gekrümmter Mandrin verschiebbar vorragt. Das periphere Catheter- ende wird am Stativ befestigt und der Mandrin während der Ein- führung durch Vorziehen so gestellt, dass die Winkelknickung beliebig weit vom Schnabelende verlegt werden kann. Je mehr man den Mandrin vorzieht, desto mehr rückt dessen Winkelkrümmung vom Schnabelende weg und desto mehr wird letzteres gehoben, wie es Fig. 207 versinnlicht. Je höher der Prostatahügel abhebt und je Fig. 206. liefer sich dadurch die untere Harnröhrenwand zum orificium vesicae stellt, desto höher muss das Schnabelende gehoben werden, damit es die obere Wand der Harnröhre erreichen und ihr entlang in die Blase gleiten könne. Selbstverständlich kann auch der während des Einführens in den Mastdarm eingebrachte Zeigefinger durch Empor- heben der oberen Rectalwand bei gleichzeitiger starker Senkung des Pavillons zur Erhebung des Schnabelendes wesentlich beitragen. Gleiches bezweckt das Verfahren von Hey : er nimmt einen elastischen Stoffcatheter (englisches Fabricati und gibt dem dazu gehörigen Mandrin die Leroy'sche Winkelkrümmung, so dass der darüber gezo- gene Catheter sich daran modellirt; im prostatischen Theile der Harnröhre angelangt, zieht er den Mandrin etwas vor, wo durch ein grösserer Theil des Schnabelendes gekrümmt und zugleich nach auf- wärts gehoben wird. Thomson und Mercier führen einen Metallcatheter ein, durch dessen offene Schnabelmündung, oder besser noch durch ein vor dem Schnabelende angebrachtes oberes Fenster, ein elastischer Ca- theter durch die Lichtung des metallenen in steil schräger Richtung vorgeschoben wird. Die Verlängerung des prostatischen Theiles der Urethra, welche nach Socin selbst 5 (Zentimeter betragen kann, macht — 702 — es erforderlich, für Prostatatumoren längere Catheter, als die gewöhn- lichen es sind, zu verwenden. Prostatahypertrophien erfordern, wenn sie einmal das spontane Uriniren unmöglich machen, die jedesmalige Entleerung der Blase auf instrumentalem Wege, eine NothM-^endigkeit, welche dem Kranken zur unbeschreiblichen Qual wird. Man hat daher begreiflicherweise auf Mittel und Wege gesonnen, das bestehende Hinderniss direct zu beseitigen, oder mindestens dem Harne eine neue Bahn zu brechen. Zur Fig. 207. Beseitigung des Hindernisses in toto dient die Prostatectomie, d. h. die Ausschälung der Drüse aus ihrer Nische zwischen Harn- röhre und Mastdarm, ein Ver- fahren, welches technisch recht schwierig ist, dessen Gefähr- lichkeit durch exacte Blutstillung und Antisepsis zwar bedeutend verringert wird, aber nicht gänzlich beseitigbar ist, insofern als es sich um bejahrte und decrepide Individuen handelt. Auch Ditfel's Prostatectomia late- ralis dürfte nicht viel Zukunft haben. Als Prostatectomia supra- pubica bezeichnet man die Ent- fernung des in die Blase vor- springenden Mittellappens nach ausgeführten hohem Blasen- schnitte. Die Verfahren, dem Urin eine neue Bahn zu bilden, lassen sich eintheilen in solche, welche die Harnröhre ganz aus- schalten, und in solche, welche in den Prostatatumor selbst einen neuen Weg dauernd etabliren wollen. Nachdem v. Ntissbaum gezeigt hat, dass die Punctio ve- sicae suprapubica durchaus nicht den Kranken verurtheilt, eine Dauercanüle zu tragen, ja dass die Action der musculi recti so- gar eine Art activen Blasenver- verschluss vermitteln kann, dürfte deren Ausführung durchaus nicht zu verwerfen sein. Die Technik des Blasenstiches erleidet dabei nur dann eine Modification, wenn die Blase nicht sehr ausdehnungs- fähig ist, wegen Vorhandensein einer concentrischen Hypertrophie der Blasenwandungen. Für solche Fälle hat Thompson die Operation insofern modificirt, als er zunächst die leere oder halbleere Blase durch einen vorgängig eingeführten, am Schnabel fast halbkreis- förmig gekrümmten, an der Spitze offenen und mit Obturator ver- sehenen Catheter emporhebt, hierauf die Bauchdecken knapp ober- — 703 — halb der Symphyse in der linea alba in solcher Länge spaltet, als eben der Zeigefinger benöthigt, um in den prävesicalen Raum ein- geführt werden zu können; fühlt die Zeigefingerspitze das Catheter- ende, so wird letzteres fixirt und in die Blasenwand eine ganz kleine Lücke gestochen, eben hinreichend, damit der Catheter durch starkes Senken des Griffes durch- und aus der Wunde vorgetrieben werden könne. Man entfernt nunmehr den Obturator, schiebt in die Catheter- lichtung ein entsprechend starkes Gummirohr ein, zieht den Catheter aus der Wunde in die Blase zurück und das Gummirohr, welches von nun ab als Canüle dienen soll, nach. Dieses bleibt in der Blase und wird am Unterleibe auf schon erwähnte Art befestigt, der Ca- theter dagegen entfernt. Zweckmässiger dürfte für solche Fälle die Anlegung einer Blasenbauchfistel nach Witzel sein, ein Verfahren, welches seiner Gastrostomiemethode adäquat ist. Der Vorgang ist gleich jenem des hohen Blasenschnittes; ist der vom Peritoneum nicht bedeckte Theil der Blase blossgelegt, so wird am tiefsten Punkte der Blase eine kleine Oeffnung gemacht und in diese ein passendes Drainrohr eingeführt, welches dann schief nach oben laufend zwischen zwei parallel laufenden Blasenwandfalten eingenäht wird. Wäre der vom Peritoneum nicht überzogene Blasentheil nicht genügend gross, müsste, um Raum zu gewinnen, das Bauchfell von der Umschlagstelle nach aufwärts von der Blase abgelöst und verschoben werden. Durch die Prostata kann eine neue Bahn gelegt werden durch Tunnellirung und durch Spaltung des vorspringenden Drüsenlappens, beziehungsweise Abtrennung eines entsprechend tiefen Gewebsstreifens, wodurch eine tiefe Rinne zu Stande kommt. Ersteres Verfahren, die Tunnellirung, ist eine einfache Punctio vesicae auf dem Wege der Harn- röhre durch den Tumor, mit Liegenlassen der Canüle des hierzu benützten Troisquarts. Als Punctionsinstrument dient ein vorne offener Metallcatheter mit Conductor und Stachel; am Hindernisse angelangt, wird ersterer entfernt und dafür letzterer eingeführt, worauf man das Gesammtinstrument durch den Tumor in die Blase sticht, den Stachel entfernt und die Röhre ä demeure belässt. Am dritten bis fünften Tage kann dann das Rohr entfernt und der neue Weg durch anfänglich fleissige, aber nur temporäre Einführung von elastischen oder starren Instrumenten offen erhalten werden. Die Spaltung, richtiger Einschneidung des in den Blasenhals als Hügel vorspringenden Prostatatumor kann auf doppelte Art ausgeführt werden: entweder auf normalem Wege, id est durch die intact bleibende Urethra, oder nach vorgängiger Eröffnung der pars urethrae membranosa vom Mittel- fleische aus, also auf einem viel kürzerem und directerem Wege. Erstbenannte Operationsweise erfordert eigene, entsprechend lange, mit verborgener Klinge versehene Instrumente, Kiotome genannt: Civiale, JMercier. Mai.sonneuve und Andere haben derlei Apparate er- sonnen. Im Wesentlichen sind die Kiotome catheterähnlich mit Leroy'scher Winkelkrümmung; sie werden auf übliche Weise eingeführt und, in die Blase gelangt, so um die Achse gedreht, dass der ein- springende Winkel den Tumor umfasst, worauf ein Messerchen her- ausgedrückt wird, Avelches im Sinne einer dritten Seite oder Hypo- thenuse zum offenen Winkel wirkt und dadurch den, vom Instrumente umfassten Gewebshügel der Länge nach spaltet. Mercier hat unter 704 — Fio-. 208. den Namen „Exciseur" ein zweites Instrument erdacht, welches, einem Steinzertrümmerer ähnlich, den Frostatahügel zwischen seinen ge- öffneten Branchen fassen und aus ihm ein Längsstück herauszwicken soll. Die Einschneidung des Prostatahügels nach ausgeführter Urethro- tomie erfordert keine besonderen Instrumente; sie kann auf der Leitung des eingebrachten Zeigefingers mit jedem Knopf messer vorgenommen werden; Ilorrlson in- cidirt nach vollzogener Urethrotomie die Prostata nur so weit, bis er im Stande ist, seinen Zeigefinger in die Blase zu drängen, worauf ein entsprechend calibrirtes starres Rohr eingelegt wird. Die Spaltung sowohl als auch die Excision einer Längsscheibe aus dem Tumor, kann zwei verschiedene Nachtheile im Gefolge haben: a) eine starke, der Localität wegen schwer stillbare Blutung, und h) eine Urin- infiltration in die frische Wunde, welche um so eher sich einstellen vermag, als mit Prostatahypertrophie Behaftete infectiösen Urin in ihrer Blase zu beher- bergen pflegen. Radicale Abhilfe gegen die Blutung und die Urininfiltration hat Bottlni gebracht, durch Anwendung der Galvanocaustik als Trennungs- mittel. Sein Instrument ist in Fig. 208 dargestellt. Das Gehäuse der doppelwandigen catheterförmigen Röhre wird mittelst durchfliessendem Wasser nach LezWscher Art vor der Erhitzung bewahrt, so dass Blase und Harnröhre nicht weiter davon zu leiden haben. Der nur in Rothglühhitze versetzte Platin- streifen wird äusserst langsam und allmälig aus der Catheternische hervorgezogen und damit der, im Winkel des Instrumentes gefasste Tumor in Form einer breiten Rinne durchglüht. Am Aufhören des dem Platinblech sich entgegenstellenden Widerstan- des erkennt man, dass die Durchfurchung vollzogen ist, worauf die elektrische Leitung sofort unter- brochen und das Erkalten des Platin abgewartet wird. Nun schiebt man es in das Gehäuse zurück und entfernt das durch Wiegen gelockerte Gesammt- instrument aus der Blase, mit der Vorsicht, den Brandschorf nicht abzureissen. Würde das Instru- ment der Furche ankleben, so räth Bottini, das Platinblech neuerdings in Rothglühhitze zu brin- gen und es vor- und rückwärts zu bewegen bei gleichzeitigem allmäligen Erheben des Instrumen- tengriffes, um einen genaueren, dauernderen Con- tact des Glutträgers mit dem Gewebe und tiefere Verschorfung zu er- zielen. Die ganze Operation nach angelegtem Instrumente dauert ein bis zwei Minuten, Cocainisirung der Urethra genügt, die Spaltung soll nach verschiedenen Richtungen vollzogen werden. Eine Verbesserung des Bottinr^dhQn Instrumentes ersann Freudenherg, indem er die Klinge aus Platin-Iridium anfertigen Hess, statt aus weichem Platin. Ver- weilcatheter sind während der ersten Woche nothwendig wegen der — 705 — reactiven Gewebsschwellung. Die mit diesem Verfahren erzielten dauernden Erfolge sollen geradezu glänzende sein. Casper verwendet bei Prostatahypertrophien die Electrol3'se an: die negative Nadelelectrode wird in das Gewebe der Prostata ein- gestochen, die positive Plattenelectrode auf den Bauch gelegt. Strom- stärke 10 bis 25 M. A. Sitzungsdauer 5 Minuten. 15 bis 20 Sitzungen in geeigneten Intervallen sollen nothwendig sein. Neuerer Zeit wurden zur Verkleinerung der Vorsteherdrüse noch angegeben durch White die Castration, durch Helferich die Resection der vasa deferentia, endlich durch Bier die Unterbindung der arteriae iliacae internae. Prostataabscesse können auf dreifachem Wege eröffnet werden: durch die Urethra, indem man einen dicken Catheter einführt und damit die vordere Abscesswand sprengt; durch das rectum und end- lich vom Perineum aus. Erstgenannte Methode ist wohl kaum empfehlens- werth. Soll per rectum operirt werden, so wird zunächst der sphincter ani ausser Action gesetzt, sei es durch Dehnung, sei es durch Spaltung (König), hierauf ein ASms'sches Löffelspeculum eingelegt, damit die hintere Rectalwand abgedrängt und so der Abscess frei zugänglich gemacht, der dann mittelst Spitzbistouri seiner Länge nach aus- giebig gespalten wird, wobei vordere Rectalwand und hintere Abscess- wand in den Schnitt fallen. Die Eröffnung vom Mittelfleische wurde durch Lallemand angegeben: das Verfahren gründet in der Idee, die Verunreinigung der Abscesshöhle mit Koth oder Urin hintanzuhalten und Fistelbildungen zu verhüten. Man schneidet das Mittelfleisch in seiner hinteren Hälfte quer ein und dringt, parallel der vorderen Mastdarmwand, zwischen ihr und der Harnröhre in die Tiefe bis zum Abscesse vor, der dann an seiner unteren Fläche eröffnet und drainirt wird. Untersuchung der Harnblase. Das Blaseninnere kann auf dreifache WeisiB explorirt Averden : mittelst Instrumenten, durch Digitalpalpation und auf endoscopischem Wege. Zur instrumentellen Perlustrirung benützt man volle Instrumente : Metallsonden, da sie als gute Schallleiter den Nachweis vorhandener harter Fremdkörper leichter ermöglichen und auch mit Vorrichtungen zur Schallverstärkung versehen werden können. Da es aber bei leerer oder allzu voller Blase stets nothwendig wird, vorher einen Catheter zu benützen, so hat Thompson, um einen Wechsel des Instrumentes zu vermeiden, zu Untersuchungszwecken ein eigenes Instrument angegeben, welches Catheter und Sonde in Einem darstellt. Es ist eigentlich ein Catheter, der mit einem entfern- baren verstopfenden Mandrin versehen ist. Der Schaft des Catheters trägt eine Scala mit einem Schieber, bestimmt den Durchmesser des Fremdkörpers leichter und präciser bestimmen zu können. Der Griff des Instrumentes ist dem eines Lithotriptors ähnlich. Um auf die Einführungsvortheile elastischer Instrumente nicht zu verzichten und doch entsprechende Schallleitung zu erlangen, hat Biedert englische Stoffbougies mit olivenförmigen Metallansätzen montiren lassen. Um den erhaltenen Klang leichter zu percipiren wird dem Aussenende T. Mosetig-Moorhof: Handbuch d. chirurg. Technik. 4. Aufl. 45 — 706 — der Boiigie ein Gunimischlaueh angemacht, welcher mit einem Horn- ansatz versehen ist, bestimmt mit dem äusseren Gehörgange in directe Verbindung gebracht zu werden. Damit eine Blase mittelst Sonde genau untersucht werden kiinne, ist ein massiger Füllungsgrad derselben mit Urin oder einges])ritztem lauen Wasser nothwendig, auf dass der Schnabel des Instrumentes sich frei nach allen Rich- tungen bewegen könne ; eine leere Blase umfasst das Instrument und behindert die freie Bewegung, eine allzu volle verhindert wieder, dass das Instrument alle Theile des Blasenraumes erreiche. Ein Füllungs- grad von 100 bis 150 Gramm Flüssigkeit dürfte zur Untersuchung am besten eignen. Die Perlustrirung mit starren Sonden wird durch Vor- und Rückschieben, Heben und Senken, laterale Bewegungen und Achsendrehungen des Instrumentes vorgenommen, während die freie Hand des Operateurs gleichzeitig entweder die Bauchdecken gegen die Blase drückt, oder mit dem Zeigefinger durch den Mastdarm die untere Blasenwand abtastet, je nachdem das eine oder das andere Unterstützungsverfahren jeweilig angezeigter erscheint, oder abwech- selnd nothwendig wird. Eine fernere Untersuchungsmethode besteht darin, dass man die eingeführte Sonde stossweise, in der Mediane oder lateralwärts mehreremale nacheinander rasch schwenkt und dann plötzlich stille hält. Es wird hierdurch die Flüssigkeit innerhalb der Blase in Bewegung versetzt, aufgewirbelt und damit etwa vorhandene kleinere Fremdkörper mitgerissen und gegen die Sonde geschleudert. Der Anschlag klingt um so lieller und um so lauter, je härter der Stein ist, während bei weichen Steinen das Geräusch nur schwach gehört wird. Broke hat behufs Verstärkung des Tones einen eigenen, jeweilig der Sonde anschraubbaren Resonator ersonnen, bestehend aus einer 20 Centimeter im Durchmesser haltenden dünnen, kreisförmigen Holzscheibe. Behufs Digitalpalpation ist es conditio sine qua non, die Harn- röhre so zu gestalten, dass der Zeigefinger mit dem grössten Theile seiner Länge anstandslos in die Blase eindringen könne. Bei Frauen ist nur eine, dem Fingerumfange entsprechende Erweiterung der Harnröhre nöthig, bei Männern ist nebst der Erweiterung auch eine Längenreduction unerlässlich. Die Erweiterung der weiblichen Urethra ist zuerst durch Simon in die Praxis eingeführt worden. Er ging so vor, dass er die betreffende narcotisirte Frau in die Steinschnittlage brachte, das orificium urethrae externum bilateral mit dem Knopf- messer einkerbte und dann Hartgummirohre in allmälig steigender Dicke einführte, welche in sieben Grössen vorräthig waren, von 9 Millimeter bis zu 2 Centimeter Durchmesser. Die Hartgummispecula wurden, mit hölzernen Obturatoren versehen, in successiver Dicken- steigerung bis zur höchsten Nummer eingeschoben. Nach Entfernung des Conductors floss der Urin ab und man war im Stande, sowohl die gegenüber liegende Blasenwand, welche sich nach dem Ausfliessen des Urins an der Spiegelmundung einstellte, zu besichtigen, als auch, was das Wesentliche ist, nach Entfernung des Rohres den Zeigefinger einzuführen und die Blasenwandungen genau abzutasten. Um die zeit- raubende und durch Scheuerung der Harnröhrenschleimhaut relativ nachtheilige Procedur mit den sieben Harnröhrenspeculis zu verein- fachen, hat Carro einen Dilatator für die weibliche Urethra ausgedacht^ — 707 — dessen Anwendun2fstechnik aus Fig. 209 ersichtlich sein dürfte. Die Ein- führung des Zeigefingers in die erweiterte Urethra geschieht durch rotirende Bewegungen, die Betastung der Blase soll zart, aber genau ausgeführt werden, der Finger aseptisch sein. Soll eine männliche Blase der Digitalperhistration unterzogen werden, so ist zunächst eine Reduction der Harnröhrenlänge noth- wendig. Hierzu dient der, via perinei ausgeführte Medianschnitt, welcher in seiner technischen Ausführung einer, auf einem eingelegten Leit- instrumente auszuführenden äusseren Urethrotomie etwas gleicht. Der narcotisirte Kranke wird in Steinschnittlage gebracht und ein, an der convexen Seite gefurchtes Itinerarium in die Harnröhre geschoben ; den Griff der senkrecht gestellten Leitsonde hält ein Gehilfe; bei solcher Haltung lagert das Ende der Sonde im prostatischen Theile der Harnröhre, die Rinne hört nahe dem Sondenende abgeschlossen auf. Gleichzeitig mit dem Itinerarium hält der Gehilfe auch das scrotum in die Höhe, so dass das Mittelfleisch völlig frei vorliegt. Der Operateur legt den Zeigefinger seiner linken Hand auf die Mitte des Perineum, den Daumen am vorderen Afterrande und spannt durch Spreizen der beiden Finger die Haut des Dammes, Von der Mitte des Abstandes zwischen scrotum und After bis zu letzterem trennt man die raphe perinei durch einen Längsschnitt und arbeitet sich schich- Fig. 2n9. tenweise tiefer ein, bis hinter die fascia perinei media. Hier angelangt fühlt der zur Sondirung der je- weiligen Wundtiefe benützte linke Zeigefinger die Rinne des Itinera- rium und legt sich mit dem freien Nagelende an den vorspringenden Rand der Furche derart an, dass die Furche vollends frei bleibt und die Nagelfläche der Mediane zusieht. Jetzt durchsticht man mit einem mittelbreiten Scalpelle die, durch Herabdrücken der Sonde gespannte untere Harnröhrenwand im membranösen Antheile und gelangt mit der Spitze des Messers auf die blossgelegte Metallfläche der Furche, die es von hier ab nimmer verlassen darf bis zur Beendigung des Schnittes. Mit der linken Hand ergreift der Operateur nunmehr selbst den Griff der Leitsonde und hebt sie senkrecht in die Höhe, bis der concave Theil der Schnabel- krümmung dem unteren Sj'mphysenrande ansteht. Das bis jetzt schräge nach oben gerichtete Scalpell folgt der Erhebung der Sonde, um die Furche nicht zu verlassen, wird dann in eine etwas mehr horizontale Lage gebracht und entlang der Furche des Itinerarium auf etwa 3 Centimeter Länge vorgeschoben, worauf das Messer längs der Rinne zurückgeführt und aus der "Wunde gezogen wird. Es wäre ein grosser Fehler, Avenn der Operateur nach eingestochenem Scalpelle die senk- rechte Erhebung der Leitsonde unterlassen würde, Aveil diese Bewe- gung eine Entfernung der Urethra vom rectum bezweckt: würde das Messer bei herabgedrückter Leitsonde längs der Rinne fortgeführt werden, so könnte, wegen mechanisch gesteigerter Annäherung der Harnröhre an die vordere Rectalwand, letztere von der Messerschneide getroffen und verletzt werden. Um jede Mitverletzung des Mastdarmes ■4:'.* — 708 — zu umgehen, ist es ferner auch nothwendig, ihn vorher gründlich zu entleeren, da angesammelte Fäcalmassen die Rectalwände auseinander treiben und die vordere Wand der Harnröhre nähern. Es darf, wie oben erwähnt, durch den Medianschnitt einzig und allein nur die pars urethrao membranosa durchschnitten werden, diese aber in ihrer ganzen Länge bis zur prostata. Vom Beginne des prostatischen Theiles bis zum orificium vesicae, hat die männliche Harnröhre beiläufig die Länge der ganzen weiblichen; sie ist also entsprechend reducirt und es erübrigt nunmehr bloss die stumpfe Erweiterung des prostatischen Harnröhrenabschnittes, inclusive Dilatation des sphincter vesicae, um die gleichen Verhältnisse wie beim Weibe herzustellen und den Finger in das Innere der männlichen Blase einführen zu können. Zur Er- Fig. 210. Fig. 211. Weiterung des prostatischen Theiles dienen Dilatatoren, welche man nach Entfernung der Leitsonde frei, oder auf der Rinne jener ein- führt; letzterenfalls wird erst nach erfolgter Einlegung des Dilatator das Itinerarium entfernt. Ein sehr zweckmässiger, durch gleichmässige Wirkung ausgezeichneter Dilatator ist der nach Dolheau Fig. 210; der alte Poy'o^'sche ist einem Handschuhdehner analog construirt und wirkt jeweilig nur in zwei divergirenden Ebenen. Man kann endlich auch auf der Sondenrinne ein Gorgoret mit stumpfer Spitze ein- führen und nach entferntem Itinerarium die Dilatation mit dem Zeige- finger allein durchführen. Als dritte Untersuchungsart der Blase zählt das Inventum der Neuzeit, die Endoscopie. Obzwar auch mit der catheterförmigen, am Schnabel gefensterten und mit Glas abge- schlossenen Röhre von Grünfeld, bei guter äusserer Beleuchtung kleine Felder der Harnblasenschleimhaut zu Gesicht gebracht werden können, so ist doch eine sichere Ferlustration nur mit .dem elektro-endo- — 709 — scopischen Apparate von Leiter zu erreichen. Das Cystoscop von Leiter ist auf Brück- Nitze' sehen Ideen basirt und stellt (Fig. 211) eine catheterförmige, winklige gekrümmte Röhre dar. Die Beleuchtung wird durch kleine Glühlämpchen vermittelt; indem geraden Theile der Röhre ist ein optischer Apparat untergebracht, welcher eine Erweiterung und Vergrösserung des Gesichtsfeldes bewirkt. Das Fenster befindet sich entweder an der vorderen oder an der hinteren Fläche des Schnabels, je nach der Wandfläche der Blase, welche man jeweilig besichtigen will. Vor der Einführung des Cystoscop ist dafür Sorge zu tragen, dass ein klares Medium die Blase erfülle; es muss daher der Urin entfernt und an dessen Stelle klares Wasser oder besser noch Luft eingetrieben werden. VI. Fremdkörper in der Harnblase. Sie kommen entweder von aussen in die Blase, sei es durch die Urethra, sei es auf traumatischem oder Fig. 212. ulcerativem Wege durch die Blasenwand, oder sie stammen aus den Nierenkelchen und wandern durch die Uretheren in die Harnblase, allwo sie, falls kein Abgang durch die Harnröhre erfolgt, durch Apposition continuirlich am Volumen zunehmen. Letztgenannte pflegt man dann nicht mehr Fremdkörper, sondern Blasensteine zu nennen. Aber auch von aussen eingedrungene Fremdkörper können sich in- crustiren und bei längerem Verweilen den Anstoss zur Bildung von Blasensteinen abgeben, in deren Centren sie als Kern eingeschlossen bleiben. Dieses Verhalten der Fremdkörper erheischt apodictisch ihre Entfernung, ohne Zögern und Zuwarten. Durch die Harnröhre in die Blase gelangte Fremdkörper sind in der Regel länglich, stabförmig und lagern im Blasenraume der Quere nach, so dass ihre Enden lateralwärts gerichtet sind. Die Exairese kann auf doppelte Art vorgenommen werden: ent- weder auf normalem Wege, d. h. durch die Urethra, oder durch eine künstlich gesetzte Verwundung, welche eine directere Zugänglichkeit zum Blasenraume schaffen soll. Beim Weibe ist erstgedachte Art in — 710 — den meisten Fällen hinreichend, da man ja in der Dilatirung der weiblichen Urethra ein unschädliches Mittel besitzt, um mit Finger und Kornzange bequem hantiren zu können. Beim Manne erfordert die Exairese auf normalem Wege eigene Instrumente. Wäre der Fremdkörper weich, beispielsweise ein abgebrochenes Stück elastischen Catheters, oder starr, aber seiner Dünnheit wegen leicht knickbar, so könnte ein gefensterter Lithotriptor hinreichen, um den Körper fassen, biegen oder knicken und gedoppelt ausziehen zu können. Mercier, (^ovrfy und Andere haben hiefür eigene Instrumente ersonnen und sie Duplicatoren genannt. Fremdkörper, welche starr sind und daher ein Ein- knicken nicht zulassen, erfordern andere Instrumente, welche sie ent- sprechend ihrer Achse mechanisch zu drehen vermögen, um die Ex- traction zu ermöglichen. Die quere Lagerung stabförmiger Körper macht ein queres Erfassen derselben unausweichlich; in dieser Stellung würde aber die Exairese nie möglich sein, wenn es nicht gelänge, eine Drehung des Stabes im Sinne seiner Längsachse zu bewerk- stelligen. Instrumente, welche durch die Eigenthümlichkeit ihrer Con- struction diese Zurechtdrehung zu Stande bringen, nennt man Geraderichter, „Redresseur" (Fig. 212). Harrison empfiehlt die Anwen- dung eines lang- und weitgefensterten Evacuationscatheters mit Saug- flasche, wie nach der Litholapaxie, ein Verfahren, womit er wieder- holt kleinere Fremdkörper aus der Blase entfernte. Wäre ein an sich elastischer Fremdkörper nur durch Incrustation starr geworden, so bestünde die Möglichkeit, durch den Lithotriptor die Incrustations- masse zu sprengen und dann den freigewordenen Kern, wie früher erwähnt, gedoppelt zu extrahiren. Von der Exairese auf künstlich geschaffenem Wege wird später die Rede sein. VII. Verfahren zur Entfernung von Blasensteinen. Es gibt zwei ver- schiedene operative Verfahren, Harnconcremente zu beseitigen. Das eine bezweckt, den Stein in der Blase zu zertrümmern, das zweite, die Blase durch Schnitt zu eröffnen und das Concrement auf diesem neugeschaffenen Wege als Ganzes oder Stückweise zu extrahiren: Steinzertrümmerung — Lithotripsie, und Blasenschnitt — Cystotomie; weniger correct ist die Bezeichnung Steinschnitt — Lithotomie. A. Steinzertrümmerung. Damit ein Concrement innerhalb der Harn- blase zertrümmert werden könne, sind gewisse Bedingungen noth- wendig, welche zum Theile die Beschaffenheit des Steines, zum Theile das Verhalten der Harnwege betreffen. Das Concrement darf nicht allzu gross sein, die Blase nicht ganz ausfüllen, denn ein genügender intravesicaler Raum ist conditio sine qua non, um mit dem Stein- zertrümmerer frei und unbehindert hantiren zu können; es darf nicht zu hart sein, damit es sich zertrümmern lasse, ohne die Integrität des Instrumentes zu gefährden; endlich muss es frei in der Blase lagern, um erfasst werden zu können, ohne die Wandungen der Blase in directe Mitleidenschaft zu ziehen. Die Bedingungen von Seite der — 711 — Harnwege sind: freie Durchgängigkeit der Harnröhre, theils um die stark calibrirten Lithotriptoren und Evacuationscatheter leicht ein- führen zu können, theils um etwa zurückgelassenen Steintrümmern die Möglichkeit zu schaffen, mit dem Harne unbehindert ausgeschieden werden zu können. Dennoch bieten Stricturen und Prostatatumoren keine absolute, sondern nur eine relative Gegenanzeige. Man kann ja erstere beheben und die Normalität der Harnröhrenweite wenigstens temporär herstellen; also nur schwer zu beseitigende, oder mit Ab- scess- und Fistelbildung combinirte Stricturen, ferner physiologische Enge der Harnröhre (bei Kindern) machen die Zertrümmerung un- möglich oder mindestens schwer ausführbar. Ebenso werden nur jene Prostatatumoren eine Gegenanzeige bieten, welche das spontane Uriniren behindern und das jeweilige Einführen von Instrumenten in die Blase zu einem wahren Meisterstücke gestalten. In früherer Zeit, als die Zertrümmerung des Steines absatzweise geschah, in mehreren, durch vieltägige Intervalle voneinander getrennten Sitzungen, als die Trümmer der Spontanelimination überlassen wurden, galt eine vorfindliche hoch- gradigere Prostatavergrösserung als entschiedene Gegenanzeige, selbst wenn der Urin noch freiwillig entleert wurde und die Einführung von Instrumenten keinen sonderlichen Schwierigkeiten begegnete; denn man befürchtete, die Trümmer würden in dem, zufolge der Prostatavergrösserung relativ tiefer gestellten Blasengrunde verweilen und schwer ausgeschieden werden können. Seitdem aber durch Bigeloio die Vollendung der Lithotripsie in einer Sitzung, die Reduction der Trümmer in kleinste Fragmente und deren sofortige instrumenteile Entfernung aus der Blase gelehrt, und seine Lehre nicht nur befolgt, sondern zur Regel gemacht worden ist, entfallen die früheren Bedenken als grundlos. Die Litholapaxie, wie man die Bigelow'sche Methode zum Unterschiede der früher üblichen Lithotripsie nennt, hat den gewöhn- licheren Formen von Prostatahypertrophien nur nebensächliche Be- deutung gegeben. Bezüglich der Blase wird verlangt, dass dieselbe zur Zeit der Operationsvornahme nicht acut entzündet und die Schleimhaut nicht ulcerös erkrankt sei, ferner dass die Blase eine gewisse Expansions- fähigkeit besitze, d. h. dass sie etwa 150 bis 200 Gramm Flüssigkeit zu fassen und zu halten vermöge. Die Ausdehnungsfähigkeit der Blase kann nun entweder eine vorübergehend oder eine dauernd reducirte sein Nur letztere ergibt, weil durch concentrische Hypertrophie bedingt und daher nicht hebbar, eine Gegenanzeige; erstere ist die Folge einer temporären, wenn auch lange anhaltenden activen Contraction der Blasenmusculatur, ein Reflex des durch den Stein abgegebenen Reizes. Seitdem nun im Cocain ein Mittel gefunden wmrde, um eine rasch eintretende, wenn auch nur kurze Zeit dauernde locale Insensibilität mit consecutiver Muskelrelaxation zu Stande zu bringen, kann diesem zeitlichen Hindernisse der Steinzertrümmerung rascher und wirksamer begegnet werden, als es früher mit der Narcose allein möglich war. Kovacs hat als Erster Cocain zu solchem Zwecke verwendet und damit in einem Falle die Steinzertrümmerung ermöglicht, in welchem wegen Grösse des Steines und contracter Blase der Blasenschnitt hätte zur Ausführung kommen sollen. Man spült zunächst die Blase mit 2procentiger lauwarmer Kochsalzlösung wiederholt so lange aus, bis die eingetrie- — 712 — bene Flüssigkeit ganz rein wieder abfliesst. Hierauf wird eine Lösung von ü"5 Gramm Cocain in 25 Gramm 2procentiger lauwarmer Koch- salzlösung in die vollends gereinigte und entleerte Blase eingespritzt und nach 5 Minuten noch weitere 100 Gramm Kochsalzlösung nach- getrieben, worauf die Zertrümmerung des Steines begonnen werden kann. Wdoicikoicshj injicirt nach Ausspülung der Blase mit schwacher Sublimat- oder 4procentiger Borsäurelösung 50 Gramm einer l- bis 2procentigen Cocainlösung ein. Es gibt noch einen pathologischen Zustand der Blase, welcher die Steinzertrümmerung, wenn auch nicht vom technischen, so doch vom Standpunkte des Enderfolges contraindicirt, das ist die, von den Franzosen so bezeichnend genannte „Vessie l\. colonnes", d. h. jener Zustand musculöser Hypertrophie, bei welchem die Blasenschleimhaut zwischen den Trabekelmaschen sich vertieft und zahlreiche, wenn auch flache, so doch insofern bedeutungsvolle Nischen bildet, als darin Trümmerreste zurückbleiben und zu neuer Steinbildung Veranlassung geben können. Sollte sich Lithiasis mit Heteroplasie der Blase com- biniren, so wäre bei richtiggestellter Diagnose die Steinzertrümmerung' selbstverständlich absolut contraindicirt. Als piuni desiderium zum Erfolge wäre endlich noch eine gute Functionsfähigkeit der Nieren anzuführen, ohne welcher alle operativen Eingriffe überhaupt und jene an den Harnwegen insbesondere, von unliebsamen Folgen be- gleitet zu sein pflegen. Zum Zertrümmern von Blasensteinen werden eigene Instrumente verwendet, welche Steinzertrümmerer — Lithotriptoren genannt sind. Es gab deren seit dem Jahre 1824, wo Civiale die erste Lithotripsie am Lebenden mit glücklichem Erfolge ausführte, mehrere Modelle, unter denen sich jedoch nur Eines bleibende Verwendung verschafft hat: der Percuteur von Heurtelovp. Wohl hat er zweckentsprechende Modi- ficationen im Laufe der Zeit erfahren, allein die Grundform ist die- selbe geblieben. Er ist zweitheilig, die beiden Componenten sind ver- schiebbar, so dass die eine (männliche Branche) sich in einer Längs- rinne der zweiten (weibliche Branche) gleitend vor- und rückschieben lässt; das Ganze hat geschlossen die Form eines Catheters, dessen Schnabel den sich öffnenden, fassenden und zertrümmernden Abschnitt darstellt. Die Form der beiden Schnabelcomponenten ist bezüglich der weiblichen Hälfte verschieden, die männliche ist immer voll und an der Schlussseite gezähnt oder mindestens scharf gerippt. Erstere ist etwas hohl, da sie zur Aufnahme der männlichen Hälfte Platz bieten muss und entweder voll, zum Theile, oder ganz gefenstert. Lithotrip- toren mit ungefensterter weiblicher Schnabelhälfte heissen Ramasseur, sie dienen zur Beendigung der Operation, nachdem der Stein schon grösstentheils zertrümmert ist. um die Reste noch mehr zu verkleinern, oder für kleine Steine, denn diese könnten bei Benützung gefensterter Instrumente (gleich den Trümmerresten) durch das Fenster durch- rutschen und sich dadurch der Zermalmung entziehen. Ganz gefen- sterter Instrumente bedient man sich für grosse weiche Steine, bei denen ihrer Grösse wegen ein Durchrutschen nicht statthaben kann und wo das Fehlen des Fensters den Uebelstand hätte, dass die Höhlung der weiblichen Schnabelhälfte sich mit Schutt verlegen und damit den Platz zur Aufnahme des männlichen Blattes verlieren — 713 - könnte, woraus eine Unmöglichkeit resultiren würde, das Instrument vollends schliessen und nach beendeter Operation entfernen zu können. Blgeloio hat, um die Zertrümmerung des Steines und Zermalmung der Trümmer mit einem Instrumente allein ausführen und die nachträgliche Benützung eines Ramasseur ersparen zu können, den weiblichen Schnabel- theil nur am unteren Ende, also an der Schnabelkrümmung, gefen- stert (Fig. 213 c). Die zertrümmernde Kraft kann entweder durch Hammerwirkung geübt werden (Beiirtelovpj oder durch Schrauben- gewalt, sei es durch Triebschlüssel (Charriere), sei es durch Dreh- scheiben (Lver). Letztere sind gegenwärtig ausschliesslich in Gebrauch, obgleich sehr harte Steine manchmal die Anwendung des Hammers erfordern, weil dem kurzen Stosse mehr sprengende Wirkung zukommt Fig. 213. Fig. 214. als dem allmälig wirkenden Drucke. Immerhin ist die erschütternde Wirkung des Hammers der Blase weniger zuträglich als die ohne jede Erschütterung wirkende Schraube ; ersterer daher uur im Noth- falle zulässig, wenn die Schraube versagt. Die Nothwendigkeit, die beiden Branchen des Lithotriptors frei aufmachen und schliessen zu können, macht es erforderlich, die Schraube je nach Bedarf wirken zu lassen oder beliebig ausschalten zu können, wofür eine Verstellungs- fähigkeit der Schraube zum Gewinde unerlässlich ist. Die Verstellung wird entweder durch eine Stellscheibe {Ltier ecrou brise), oder durch einen Knopf (Thompson) oder endlich durch einen Hebel (ColUu) (Fig. 214) bewerkstelligt. Jeder Lithotriptor muss vor dem Gebrauche genau auf seine Integrität geprüft werden ; die Widerstandsfähigkeit seiner Branchen ermittelt man durch Proben mit hartgebrannten Ziegelsteinstücken. Die Rinne des weiblichen Theiles muss glatt und gut gefettet sein, damit die Verschiebung der männlichen Branche beim Oeffnen und Schliessen sehr leicht vor sich gehen könne, ein Haupterforderniss zum Gelingen der Operation, bei der alles zu ver- meiden ist, was die Fühligkeit der Hand auch nur im Geringsten beirren kcinnte. — 714 — Die Technik einer Steinzertrümmerung gestaltet sich folgender- massen: die Narcose, bei Lithotripsie zwar zulässig, aber der Kürze der Sitzung und deren mehrmaliger Wiederholung wegen nicht immer nothwendig und wünschenswerth, ist bei der Litholapaxie geradezu unentbehrlich; heutzutage mag sie wohl durch die intravesicale Ein- spritzung einer Cocainlösung wesentlich unterstützt, eventuell sogar ersetzt werden. Damit auch die Harnröhre an der Wohlthat der Local- anästhesie participire, dürfte es gerathen sein, die Lösung direct und nicht mittelst Catheter einzuspritzen. Vor Beginn der Operation ist eine Entleerung des Urins mit folgender Injection von 150 bis 200 Gramm lauen, mit etwas Thymol oder Borsäure versetzten Wassers empfehlenswerth. Der Kranke liegt horizontal, der Stein lagert bei dieser Stellung an der hinteren Blasenwand. Um ihn noch mehr gegen den fundus vesicae zu rollen, wo er mit dem Instrumente leichter zu erreichen und zu fassen ist, pflegt man das Becken des Kranken durch Unterstellung eines harten Polsters etwas zu heben: Fi". 21;") die Beine werden abducirt. Da der Stein während der Operation vom Instrumente oftmals verschoben wdrd und sich dabei mehr lateral- wärts stellt, so ist es wünschenswerth, das Becken des Patienten nach Bedarf jeweilig etwas gegen jene Seite zu neigen, wo der Stein augen- blicklich lagert. Man behilft sich durch Drehung des Beckens, mit oder ohne gleichzeitiger temporärer, unilateraler Erhöhung der Unter- lage. Um die Beckenstellung jederzeit leicht und präcis regeln zu können, hat Reliquet einen eigenen Beckensteller ersonnen (Fig. 215). Ist der, durch heisses Wasser erwärmte Lithotriptor eingeführt, so dreht man ihn sofort mit den Branchen nach abwärts, öffnet sie weit, sobald man den Stein fühlt, hebt den Griff des Instrumentes, um die Schnabeltheile zu senken, und schliesst sie wieder. Dass der Stein gefasst sei, erkennt man leicht am Gefühl und an dem Umstände, dass der Branchenschluss nicht vollends gelingt. Die jeweilige Diastase der Branchen ist selbstverständlich variable und vom Durchmesser der gefassten Steinpartie abhängig. Ist der Stein sicher eingeklemmt, so schliesst man die Schraube, damit er nicht entgleite, zieht gleich- — 715 — zeitig das Instrument vor, also vom Blasengrunde weg und senkt etwas den Griff, um es von den Blasenwänden zu entfernen; am zweck- entsprechendsten ist es, wenn der gefasste Stein den Mittelraum der Blase einnimmt. Um sich zu überzeugen, dass keine Schleimhautfalte mitgefasst worden sei, dreht man gleichzeitig das Instrument wieder nach aufwärts. Das Oeffnen und Schliessen des Lithotriptors erfolgt durch Vor- und Rückschieben des männlichen Theiles in der Rinne des weiblichen; letzterer bleibt an Ort und Stelle, wo man den Stein gefühlt, wird nicht vom Platze verrückt. Man braucht hiefür beide Hände; die linke fixirt die weibliche Branche, die rechte bewegt die männliche. Ist der Stein sicher gefasst, so übernimmt die linke Hand allein das Instrument, derart, dass Zeige- und Mittelfinger, von oben her reitend, den weiblichen Griff zwischen sich fassen und sich vor dem Gehäuse desselben anlegen, während der Daumen am Kopfe des männlichen Griffes hinter der Drehscheibe eingreift. Zieht man nun die drei Finger gegeneinander, so wird der Stein geklemmt und die rechte Hand frei, um die Schraube zu schliessen und später die Drehscheibe in Action zu setzen. Ist die Schraube geschlossen, dann wird das Gehäuse mit voller Hand umfasst und festgehalten. Der Widerstand im Bewegen der Drehscheibe wird immer grösser, endlich gibt er plötzlich nach und die weitere Drehung geht leicht vor sich: die erste Sprengung ist vorbei, grosse Trümmer senken sich wieder zu Boden, d. h. zur hinteren Blasenwand. Man öffnet nun wieder die Schraube, dreht das Instrument neuerdings nach abwäts, öffnet die Branchen, hebt den Griff, dreht nach aufwärts, schliesst und arbeitet so weiter, bis der ganze Stein zertrümmert ist. Eine zweite Methode, den Stein zu fassen, besteht darin, dass man den Lithotriptor in seiner ursprünglichen Lage (Convexität der Schnabelkrümmung nach rückwärts) erhält, dafür aber den Griff möglichst stark hebt, wodurch der Schnabel sich der hinteren Blasen- Avand anlegt und sie etwas ausbuchtet. Oeffnet man in diesem Augen- blicke die Branchen, so wird der Stein, dem Gesetze der Schwere folgend, gerade zwischen ihnen hineinfallen, weil ihr Zwischenraum momentan der tiefsten Stelle der Blase entspricht. Bei dieser Variante ist ein Mitfassen von Blasenschleimhaut weniger leicht möglich, da die Schnabelhälften ihre Endtheile nach oben kehren. Auch die Drehungen mit dem Instrumente entfallen und der gefasste Stein wird nur in den Mittelraum der Blase gestellt, bevor die Zertrümmerung angeht. Wollte man sich statt der Schraube des Hammers als Sprengkraft bedienen, so müsste erstere offen gelassen und das Instrument durch die beiden Hände eines verlässlichen Gehilfen in vorgezogener Stellung fest- gehalten werden, um die Stosswirkung auf die Blasenwände möglichst zu paralj'siren und jede directe Verletzung der Blase a priori un- möglich zu machen. Bei grossen Steinen kann die Litholapaxie mehrere Stunden dauern, bis alle Trümmer vollends zermalmt sind. Diese ist die gegenwärtig fast ausschliesslich geübte Methode, Steine zu zer- trümmern, die frühere Lithotripsie wurde ganz verlassen, nachdem man durch BigeJmv zur Erkenntniss gelangt ist, dass nicht die pro- longirte Dauer der Operation dem Kranken wesentliche Gefahr biete, letztere vielmehr in dem Verbleib der vielen rauhen und spitzen Fragmente liege, welche die Harnblasenwandungen reizen, verletzen, — 716 — ja selbst durchbohren können. Auch das frühere oftmalif^e Stecken- bleiben grösserer Fragmente in der Urethra während ihres Durch- ganges ist seit Einführung der Litholapaxie aus der Reihe der üblen Ereignisse gestrichen worden. Wenn der Blasenstein nicht nur zerstückelt, sondern auch die einzelnen noch fassbaren Fragmente zermalmt sind, entfernt man den Lithotriptor und sehreitet sofort zur Evacuation des Schuttes. Seit dem. Bigelow^ sehen und demTZ/ompsow'schen Evacuator sind mehrere Varianten des gleichen Apparates angegeben worden. Vielleicht die beste ist der Evacuator nach Gtnjon (Fig. 210); er setzt sich, kurz ge- sagt zusammen: aus einem starkcalibrirten, doppelt gefensterten Ca- theter, einer Kautschukbirne und einem gläsernen Sammelgefässe für den Schutt. Birne und Gefäss werden mit lauem Wasser gefüllt und Fig. 2\e,. jene nun mit Intervallen abwechselnd zusammengedrückt und wieder losgelassen. Ersteres treibt das Wasser in die Blase und wirbelt deren Inhalt, Flüssigkeit und Steintrümmer auf, letzteres pumpt den Blaseninhalt sammt dem aufgewirbelten und mitgerissenen Schutte in die Birne, doch nur die Flüssigkeit allein steigt in diese auf, der Schutt fällt in den Glasrecipienten und bleibt dort liegen. Ein neuer Druck der Birne wiederholt die Procedur und so wird fortgearbeitet und dasselbe Wasser hin und her getrieben, bis man aus der Menge der aufgefangenen Trümmer, durch Vergleich mit der früher approximativ bestimmten Grösse des Steines zur Ansicht kommt, dass die Blase keinen Schutt mehr fasse. Ein letztes Ausspülen mit lauer Borlösung beendet die Operation. Der Kranke verlässt geheilt den Operationstisch, falls die Litholapaxie in idealer Vollendung gelang. Der Evacuationscatheter muss während der ganzen Zeit schräge zur Körperachse gestellt gehalten werden, damit der Schnabel der hinteren Blasenwand, wo die Steintrümmer lagern, zu- — 717 — nächst liege und diese am ersten vom Wasserstrome aufgewirbelt und aufgesaugt werden. Verlegt sich der Catheter während des Auspumpens, so erkennt man dies an der Scliwierigkeit, die Birne in Action zu erhalten. Tritt nach beendeter Operation aus diesem oder jenem Grunde Blutung aus der Harnblase auf, so muss ein möglichst dicker Gummicatheter eingebunden und stündlich mit kaltem J^procentigen Borwasser ausgespült werden, bis jede Spur von Blutgehalt im Spülwasser verschwunden ist. Nitze hat den Eva- cuationscatheter mit einem optischen Apparat combinirt, der dem Auge die Controle erlaubt. B. Blasenschnitt. Wenn man entsprechend der Etymologie des Wortes verlangen würde, dass beim Blasenschnitte stets und immer eine Durchtrennung der Blasenwände stattfinde, so wäre dessen Be- deutung im chirurgischen Sinne nicht vollends gedeckt, denn in der Chirurgie pflegt man auch solche Verfahren Blasenschnitte zu nennen, bei welchen nur die Harnröhre allein durch den Schnitt eröffnet wird, die Blasenwände hingegen unverletzt bleiben und bei der Operation nur das ostiuni vesicale durch stumpfe Dilatation in Mitleidenschaft gezogen wird. Es gibt zwei Methoden, die Blasenwände direct zu in- cidiren : der hohe Blasenschnitt, id est die Einschneidung der vorderen bauchfelllosen Blasenwand oberhalb der Symphyse durch den prä- vesicalen Raum, und der Mastdarmblasenschnitt, bei dem nebst der Harnröhre auch der Blasengrund zwischen prostata und plica Dou- glasii in die Schnittlinie fällt. Man kennt weiter zwei Methoden, bei denen der Schnitt die Harnröhre allein trifft und der Zugang zum Blasenraume nur durch Erweiterung der prostata und des ostium vesicale geschaffen wird: eines dieser Verfahren wurde als Median- schnitt schon beschrieben, das zweite nennt sich Lateralschnitt oder seitlicher Blasenschnitt und unterscheidet sich vom erstgenannten nur dadurch, dass die Harnröhre nicht entsprechend der Mitte ihrer unteren Wand, sondern lateralwärts davon in schräger Richtung durchschnitten wird und dabei auch die vordere Hälfte oder der ganze prostatische Theil in den Schnitt fällt, ja selbst das ostium vesicale eingekerbt wird. Handelt es sich um Lithiasis, so findet im Allgemeinen der Blasenschnitt dann seine Anzeige, wenn die Zertrümmerung des Con- crementes nicht möglich ist, weil die eine oder die andere der zu ihrer Ausführung nothwendigen Bedingungen fehlt, oder, wenn es feststeht, dass ein starrer, von aussen eingedrungener Fremdkörper den Kern des vorhandenen Steines bildet und ersterer, vermöge seiner Festigkeit oder Zähigkeit, sich der Möglichkeit einer Exairese oder intravesicalen Zertrümmerung entzieht. Diesen relativen Anzeigen bei Lithiasis Erwachsener gegenüber müssen absolute Anzeigen für die Ausführung eines Blasenschnittes aufgestellt werden ; sie sind : Lithiasis bei Kindern, Neugebilde im Innen- raume der Blase, und Fremdkörper, welche, von aussen eingedrungen, auf normalem Wege nicht entfernt werden können. L Hoher Blasenschnitt — Epicystotomia. Da bei dieser, in der Neuzeit sehr beliebten und mit vollstem Rechte cultivirten Methode die Blase zu eröffnen, eine Verletzung des Bauchfelles strenge ge- mieden und die Operation extraperitoneal ausgeführt werden soll, ist - 718 — das Operationsterrain ein gegebenes. Die vordere Blasenwand darf nur im jenem Abschnitte eingeschnitten werden, welcher zwischen der Umschlagsfalte des Bauchfelles und dem orificium vesicale gelegen ist, und selbst letzterem darf nicht allzu nahe gekommen werden, weil die Gefahr besteht, durch Verletzung dortselbst verlaufender Gefässe zu Blutungen Veranlassung zu geben. Der Stand des Peritoneum zur Blase, worunter man die jeweilige Höhe der Umschlagsfalte versteht, ist ein verschiedener, vom Alter des Individuum und hauptsächlich vom Füllungsgrade der Blase abhängig. Bei leerer Blase ist der Stand des Bauchfelles ein tiefer, er reicht weit unterhalb und hinter die Schambeinfuge; je voller die Blase wird, je mehr ihr Scheitel sich aus dem Beckenniveau erhebt, desto höher rückt die Umschlagsfalte nach aufwärts und desto mehr entfernt sie sich dabei vom oberen Rande der Symphyse. Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Aus- führung des hohen Blasenschnittes nur unter der Bedingung zulässig und möglich sei, dass die Blase einen gewissen Grad von Völle be- sitzt oder dass sie auf instrumentellem Wege (mittelst Leitsonden) mechanisch emporgehoben und der untere, hinter der Symphyse lagernde bauchfelllose Abschnitt über die Schambeinfuge emporgezerrt werde. Fig. 217. Man befolgt ausschliesslich den erstbezeichneten Weg und erreicht das Emporrücken der Bauchfellfalte theils durch künstliches Anfüllen der Blase, theils durch Elevirung des Blasengrundes, oder richtiger gesagt, der hinteren Blasenwand. Letzteres Verfahren, von Garson und Petersen zuerst als zweckdienlich erwiesen, wird durch Ausfüllung des durch Purgantia und Clysmata vorgängig gründlich entleerten Mast- darmes mittelst eines Colpeurynters (Fig. 217) mittlerer Grösse zu Stande gebracht, den man leer einschiebt und dann angeblich mit 300 bis 500 Cubikcentimeter lauen Wassers füllt. Fehlelsen will eine gleichmässigere Erhebung der vorderen Mastdarmwand mittelst eines an eine Magensonde, 8 bis 10 Centimeter von ihrem Ende befestigten Condom erzielen, den er mit 460 bis 500 Cubikcentimeter Wasser aufbauscht. Diese so ausgeführte Tamponade des Mastdarmes soll nicht nur die hintere Blasenwand in die Höhe rücken, sondern auch das ostium vesicale der Symphyse nähern, was nur von wesentlichem Vortheile sein kann. Die leere oder künstlich entleerte Blase wird ausgewaschen und sodann mit einer lauen antiseptischen Lösung an- gefüllt. Petersen empfiehlt ein Quantum von 400 bis 500 Cubik- centimeter, Fehleisen räth nur 250 bis 300 einzuspritzen; Ersterer injicirt früher und tamponirt dann, Fehleisen macht es umgekehrt. Die Menge der zu injicirenden Flüssigkeit lässt sich natürlich — 719 — nicht genau bestimmen, sie variirt vielmehr je nach der Capacität der Blase und je nach der Grösse des Steines, denn es gibt wohl Steine, welche die ganze Blase ausfüllen und über die Symph3'se vorragen, Fälle, die, wenn auch selten, dennoch vorkommen und eine künstliche Füllung der Blase nicht nur unmöglich, sondern auch unnöthig machen. Fehleisen behauptet, dass seine Methode die Bauch- fellfalte bis auf 5 ja bis 8 Centimeter Höhe über die Symphj^se empor- zuheben vermöge, eine Leistung, welche das Petersen' sehe Verfahren, trotz der grösseren Menge der, in den Colpeurynter sowohl als in die Blase injicirten Flüssigkeit, nicht erreichen soll. Die Ursache des so auffälligen Unterschiedes beruht nach Fehleisen darin, dass, wenn man, wie Petersen angibt, die Blase früher füllt und dann den Mast- darm tamponirt, die Ausfüllung des Mastdarmes nicht in dem ge- hörigen Grade erfolgen könne, um die Blase wirksam zu heben, wo- gegen dieses ja gelingt, wenn man das rectum früher tamponirt und dann erst die schon gehobene Blase füllt. Die Injection muss natür- lich mittelst Metallcatheter ausgeführt werden. Marc See gibt den beherzigenden Rath, den Colpeurynter unmittelbar vor der Eröffnung der temporär fixirten Blase aus dem Mastdarme zu entfernen, damit die Blase sich zunächst richtig lagern und man sie genau in der Mitte eröffnen könne; es sei dies von grosser Wichtigkeit, weil der Colpeurynter manchmal die gefüllte Blase auch seitlich zu verschieben im Stande sei. Guyon und Dittel warnen vor forcirten Injectionen in die Harnblase, wegen der Gefahr einer Zerreissung der Blasenwan- dungen. Heinecke füllt die Blase mittelst eines Irrigators, wobei man die Druckhöhe beliebig wählen kann, ohne sie übermässig zu ge- stalten; er entbehrt der Rectumtamponade, lässt aber den Irrigator in Verbindung mit dem Catheter, natürlich unter Hahnabschluss, so dass selbst nach Freilegung des prävesicalen Raumes die Füllung der Blase im Bedarfsfalle gesteigert werden kann. Die Technik des hohen Blasenschnittes gestaltet sich folg^nder- massen : der narcotisirte Kranke hat das Becken hochgestellt, die Schamhaare des mons veneris sind abrasirt, die Haut desinficirt. Der Hautschnitt, dessen Länge je nach der Dicke des Fettpolsters zwischen 5 und 8 Centimeter variirt, wird genau in der Mittellinie geführt und reicht nach unten etwas tiefer als der obere Rand der Schamfuge. ^ Man dringt zwischen den Pyramidenmuskeln auf die linea alba ein und spaltet sie, sowie auch die fascia abdominis trans- versa knapp an der Symphyse in einer Länge, welche vorläufig das Eindringen des Zeigefingers in den prävesicalen Raum zulässt. An dem Umstände, dass der Finger anstandslos entlang der hinteren Symphysenfläche fortgleiten kann, erkennt man, dass die fascia trans- versa durchschnitten ist; es sei davor gewarnt, dabei das Zellgewebe zu zerreissen und zu quetschen; der Finger soll nur dazu dienen, die vordere Blasenwand sachte emporzuziehen, zu welchem Zwecke der Nagel der Symphyse, die Beere der Blase zugekehrt sein muss. Wohl sollen Bromßeld und v. Pitha Fälle beobachtet haben, bei denen 1 Bei sehr fetten, mit grossem Hängebauch ausgestatteten Patienten empfiehlt Trendelenburff, quer über die Symphj'se einzuschneiden und Musculatur nebst Fascien knapp am Knochen durchzuschneiden. Wenn möglich, erhält man die äusseren Rand- fasez'n der geraden Bauchmuskeln. — 720 — das Bauchfell unmittelbar an der Sj'mphyse haftete und das Ein- dringen des Fingers hinter die Schanifuge nicht gestattete; allein selbst in solchen Fällen dürfte eine genauere Besichtigung und Be- fühlung der vorliegenden Absperrmembran Aufschluss über ihre Beschaffenheit geben können, insofern als die fascia transversa glatt, eben und gespannt ist, während das Bauchfell sein subseröses Zell- gewebe vorkehrt und sich schlaffer anfüllt. An die Symphyse fixirtes Bauchfell müsste vorsichtig abgelöst und zurückpräparirt werden. Ist der prävesicale Raum geöffnet, dann verlängert man die Wunde nach oben und lässt die Spaltränder mittelst Spatelhaken ab- ziehen, erblickt nun die vordere Blasenwand und vermag in der Regel an der gespannten Blase jene halbmondförmige Linie deut- lich zu sehen, welche die Uebergangsfalte darstellt. Bevor man zur Eröffnung der Blase schreitet, muss die Umgebung der Schnittebene fixirt und etwas gespannt werden, was am besten durch bilaterales Anlegen kleiner spitzer Doppelhaken geschieht, die man in die Blasen- wandungen einsticht, ohne jedoch durchzudringen, id est ohne die Schleimhaut zu verletzten. Als Ersatz können auch mit gleicher Vorsicht angelegte Fadenschlingen oder Hakenpincetten dienen. Die Eröffnung der vorderen, bauchfelllosen Blasenwand kann schichten- weise oder rasch erfolgen, mittelst Scalpell oder Spitzbistouri, direct oder auf Leitinstrumenten. Schichtenweises Präpariren ist der Blutung wegen vorzuziehen ; es spritzen dabei manchmal recht beträchtliche Arterien, die man gleich fassen und mit Catgut unterbinden muss. Ist die muscularis vollends durch, dann wölbt sich die bläulich-graue Schleimhaut vor und diese wird direct incidirt, sei es, dass das Spitz- bistouri wie bei einer Abscesseröffnung gehandhabt und direct in die Blase eingesenkt, sei es, dass es in die Rinne des in die Blase ein- geführten und gegen die Schnittwunde der vorderen Blasenwand vor- gedrängten Leitinstrumentes eingestochen wird. Bevor man aber die Blase vollends eröffnet, muss der Assistent, mit zwei stumpfen Haken armirt, bereit sein, sie neben der Bistouriklinge sofort einzulegen und die Blasenwände in ihrer hinaufgerückten Stellung zu fixiren, denn mit dem Augenblicke der Eröffnung stürzt der Blaseninhalt mit Macht heraus, die Blase entleert sich und würde, wenn nicht sicher fixirt, hinter die Symphyse zurücksinken, es sei denn, dass ein übergrosser Stein sie daran hindern möchte. Erst wenn die Haken den Blasenspalt sicher gefasst haben, entfernt man das Bi- stouri, führt die Spitze des Zeigefingers ein und erweitert den Schnitt nach abwärts, der Symphyse zu, denn dass der Schnitt, welcher die Blase öffnet, am obersten Funkte, knapp unterhalb der Bauchfellfalte begonnen und nach abwärts zu führen sei, dürfte wohl keine beson- dere Betonung erfordern. Die Leitinstrumente, welche unmittelbar vor der Eröffnung eventuell eingelegt werden, heissen Itinerarien; es sind Sonden, an der concaven Seite des Schnabels gefurcht. Auf die Frage, ob die Blasenwand auch der Quere nach durchschnitten werden könnte, muss erwidert werden, dass dies allerdings zulässig wäre, wenn die Bauchfellfalte gar tief reichen, die Blase einen absonder- lich grossen Stein fassen oder es sich um ein Neoplasma handeln würde, weil man dadurch eine grössere Oeffnung absetzen kann, ohne das Peritoneum zu gefährden; nur müssten dabei, um Platz zu — 721 — schaffen, auch die Bauchdecken seitlich eingeschnitten und die geraden Bauchmuskeln zum Theile abgelöst werden; man könnte aber auch das Bauchfell von der Blase stumpf nach oben abziehen und auf diese Weise Platz schaffen; ja es wurden sogar partielle Resectionen an der Symphyse ausgeführt, um genügenden Raum zu schaffen. Ist die Blase eröffnet und die Spaltwunde sicher in situ fixirt, so kann der Opera- tionsanzeige genügt werden. Wenn ein Xeugebilde vorhanden, wird dasselbe mit Messer und Schere excidirt, und die Basis verschorft, oder es wird die Blasen- wand, an welcher das Neugebilde haftet, extraperitoneal resecirt. Stärkere Blutung kann die Tamponade fordern unter gleichzeitiger Einlegung eines Drain. Wurde wegen Stein operirt, so kann dieser um so leichter ausgezogen werden, je ovaler seine Gestalt und je kleiner seine Durchmesser sind. Es genügt hierzu manchmal der als Haken oder richtiger als Hebel benützte Zeigefinger, eine gerade Steinzange oder selbst eine Kornzange. Grössere Steine werden mittelst Steinlöffel ausgehebelt oder innerhalb der Blase mit spater anzuführenden Instrumenten zerbrochen und stückweise entfernt. Sollte der Stein nicht frei in der Blase lagern, sondern dortselbst fixirt sein, so kann die Exairese manche Schwierigkeiten bieten. Der Stein erscheint fixirt, entweder weil er zum Theile in einem Blasen- divertikel steckt und von der Divertikelmündung halsförmig um- klammert wird, oder weil er eine Pfeifenkopfform hat, mit dem kürzeren Fortsatze in dem prostatischen Theile der Harnröhre steckt und vom ostium vesicale gehalten wird; endlich kann der Stein auch intramural incystirt sein, d. h. zwischen der muscularis und mucosa liegen. Harnröhrenblasensteine contraindiciren den hohen Blasen- schnitt und indiciren den Medianschnitt. Intramural gelegene Steine erfordern die Spaltung der Schleimhaut und Blosslegung des Steines; Concremente endlich, welche in Divertikeln der Blase stecken, werden heraus gehebelt, eventuell der umschnürende Divertikelring früher multiple eingekerbt, bis genügend Platz für Hebel oder Kornzange geschaffen ist. Die Zugänglichkeit zum Blasenraume ist nach dem hohen Blasenschnitte die grösstmögliche ; man kann die Wandungen genau besichtigen, Blutungen nach der Entfernung von Neugebilden genau stillen etc. Das weitere Verhalten des Operateurs nach erfüllter Indication kann ein doppeltes sein: er kann die Blasenv/unde offen lassen oder sie durch eine Naht hermetisch verschliessen; beide Verfahren haben ihre Anhänger und ihre Widersacher. Das Offenlassen der Blasen- wunde hat manche Nachtheile im Gefolge; sobald die Fixirhaken die Wundränder verlassen, sinkt die leere Blase tief hinter die Symphyse zurück und aller Urin, falls nicht anderweitige Ab fluss Vorrichtungen in Action treten, oder wenigstens ein Theil davon muss hinter der Symphyse heraufsteigen, um durch die Bauchdeckenwunde abfliessen zu können. Besitzt der Harn infectiöse Eigenschaften, ist er alkalischer Natur, so kann leicht Urinfiltration in das prävesicale Zellgewebe und von hier aus in das Beckenzellgewebe eintreten. Man hat zwar Mittel und Wege angegeben, um den Harn direct abzuleiten (Ver- weilcatheter, Drainage durch die Wunde mit Heberaction, Median- V. M OS e ti g: - M 0 o rh o f : Handbuch d. Chirurg. Technik. 4. ÄuÜ. 46 — 722 — schnitt mit Drainage etc.), allein sie ^eben keine absolute Sicherheit, weil die Bedeutung der Ilarninfiltration nicht von der Menge des durch die frische Wunde abf liessenden Urins, als vielmehr von dem Umstände abhängt, dass überhaupt Urin mit den wunden Geweben in Contact kommt, und sei die Menge auch eine noch so geringe. Freilich behaupten die Gegner der Blasennaht, dass diese nicht halte und es nachträglich durch Nachgeben der Hefte doch zu einer Communi- cation zwischen Blase und Wunde komme, allein es lässt sich erwidern, dass dieses Klaffen bei exacter Naht jedenfalls erst später erfolgt, nicht unmittelbar nach der Operation oder in den ersten Tagen danach, und dass inzwischen eine wohlthätige, die Urininfiltration vielleicht behindernde Gewebsverdichtung platzgegriffen haben kann. Und wenn auch die Naht vorzeitig nachgibt, was aber nicht als Regel, sondern nur als Ausnahme zugestanden werden kann, so sind die Verhältnisse danach jedenfalls nicht schlimmer, als wenn die Wunde a priori offen geblieben wäre; hält aber die Naht, so erwächst dem Kranken ein sehr bedeutender Gewinn. Bei der Anlegung der Blasennaht dürfen die einzelnen Fäden nicht durch die Schleimhaut ziehen, sie würden sonst zum Theile in das Blaseninnere hineinragen, durch die Stichcanäle würde Urin sickern und der Faden sich partiell incrustiren; die Fäden müssen nur knapp bis an die Schleimhaut geführt werden, ähnlich wie bei der Magen- oder Darmnaht. Da jedoch der zu vernähende Blasen- theil kein Bauchfell besitzt und die bindegewebige Aussenhülle sich zur primären Verklebung und Verwachsung weniger eignet, so resultirt die Nothwendigkeit: nur die Wundflächen allein durch die Naht in gegenseitigen innigen Contact bringen zu müssen. Weil nun die Ver- wachsung um so eher eintritt und um so sicheren Halt verspricht, je breiter die Wundflächen sind, welche gegenseitig vernäht werden, hat Antal den Vorschlag gemacht, die Wundflächen nicht senkrecht, sondern schräge zu gestalten ; also statt die Blasenwand durch einen senkrechten Schnitt zu öffnen, aus der bindegewebigen Aussenhülle und aus der muscularis einen elliptischen, trichterförmig der Schleim- haut zusteuernden Streifen zu excidiren und nur letztere geradlinig zu spalten oder, falls senkrecht geschnitten worden wäre, nachträg- lich aus den steilen Wundflächen den prämucösen Schichten je einen schrägen Streifen zu entnehmen und dadurch zum gleichen Resultate zu gelangen. Die Blasennaht wird derartig ausgeführt, dass man dichte Knopfnähte der Reihe nach anlegt, am linken Wundrand von aussen zur Schleimhaut, am rechten vor der Schleimhaut zur Aussen- fläche; es genügt, ^/^ Centimeter vom Wundrande ein- und auszu- stechen. Die oberste Fadenschlinge dient gleichzeitig zur Fixirung der Blase, aus welcher die Haken begreiflicherweise entfernt werden. Da indess die untersten Nähte auch während der Hakenaction an- gelegt werden können, wird man gut thun, mit dem unteren Wund- winkel zu beginnen und nach oben zu nähen, bis auf eine gegebene Höhe; erst jetzt unterbricht man die Reihenfolge, legt die Nahtschlinge am oberen Wundwinkel an, nimmt die Haken ab, fixirt mit jener die Blase und vervollständigt den Verschluss. Sind alle Nähte (Chrom- säurecatgut, sicherer noch Seide) geschlossen, so injicirt man Wasser in die Blase und sieht nach, ob die Naht hermetisch schliesst: würde — 723 — irgendwo ein Diirchlass übrig geblieben sein, so müsste nachträglich abgeholfen werden, was indess bei einigermassen exactem dichtem Nähen kaum je nothwendig sein dürfte. Die Fadenenden werden am Knoten, recte etwas oberhalb davon abgeschnitten und die Blase sich selbst überlassen. Um die Nahtlinie zu immobilisiren, sie vor jeder Spannung zu sichern und das eventuelle Nachgeben des einen oder anderen Heftes zu verhindern, will Tiling oberhalb der Knopfnaht- reihe noch eine fortlaufende Naht anlegen, welche beiläufig die halbe Dicke der Blasenwand fasst und das Gebiet der ersteren nach unten sowohl als nach oben etwas überschreitet. Rasumoicsky, welcher die grosse Beweglichkeit der Blase als den Hauptgrund für das Aufgehen der angelegten Nähte ansieht, empfiehlt die vernähte Blase mit ihrem oberen Pole an die hintere Fläche der geraden Bauchmuskeln mit einigen Nähten zu heften — Cystopexis — ; das Einlegen eines Ver- bleibcatheters, der sonst allgemein üblich, soll dann als nicht noth- wendig entfallen. Nach sorgfältiger Reinigung des prävesicalen Raumes und der Bauchdeckenwunde kann letztere durch die Naht verkleinert und am unteren Winkel drainirt werden; sie ganz zu schliessen ist nicht anzurathen, wegen der Eventualität, dass die Naht an einer oder der anderen Stelle nachgeben könne; ja selbst die Verkleinerung der Bauchdeckenwunde kann auch ganz unterlassen und die Wund- spalte vorläufig mit gekrüllter Jodoformgaze ausgefüllt werden. Unter- lässt man die Blasennaht, so kann von einer Verkleinerung der Bauchdeckenwunde selbstverständlich keine Rede sein. Wenn nach dem hohen Blasenschnitte die Blasenwunde nicht durch Naht verschlossen wird, können zur Verhütung einer Harn- infiltration folgende Verfahren eingeschlagen werden : a) Ununter- brochene Einhaltung der Seitenbauchlage mit angezogenen Schenkeln während der ersten 8 bis 12 Tage nach der Operation. Der abfliessende Urin wird von carbolisirten, fleissig zu wechselnden Schwämmen auf- genommen (Irendelenbnrgj. hj Vernähung der Blase mit den Haut- rändern (Rousset), ein Verfahren, welches bei eiterigem Blaseninhalte wohl die grösste Gewähr zu bieten vermag, insbesondere wenn die Vernähung der Eröffnung der Blase vorausgeschickt wird. In jenen Fällen, wo die Bauchdecken sehr dick sind und es nicht gelingen mag, die Blasenwand bis zum Hautniveau vorzuziehen, verfährt Böckel so, dass er nur den oberen Theil der Blase an die Haut heftet und nach der Operation dem Kranken die Bauchlage mit erhöhtem Becken einhalten lässt, damit der Urin entlang der angehefteten oberen Wundfläche abfliesse. Die Annähung der Blase soll den Wundver- schluss wohl verzögern, aber nicht verhindern, c) Das Verweilen des Operirten im Constanten Wasserbade — die ersten zwei bis cü'ei Wochen fSoiinenUnrg). d ) Verweilcatheter erfüllen ihren Zweck nur unvollkommen und sind daher weniger empfehlenswerth, ja manch- mal wegien Reizung der Harnröhre direct schädlich, e) Dtttel umsäumt die Wundränder mit Jodoformgaze, so dass die Ränder der letzteren in den Blasenraum hineinragen and drainirt dann mit stark calibrirten Gummiröhren, denen ein knieförmig gebogenes Glasrohr eingeschaltet ist; das kürzere Drainstück taucht tief in die Blase, das längere in ein zwischen den Beinen des Kranken gestelltes Gefäss. Eine Jodo- formgazecompresse stützt das Glasrohr polsterartig und fixirt den 46* — 724 - Heberapparat. Burckhardt vornäht die IMasenwunde und drainirt vom Damme aus, nach ausgeführter Boutonniere. Das Drain niuss dick- wandig sein (1 Centimeter Gesammtdurchmesser bei 2 bis 3 Milli- meter Wandstärke) und so lang, dass das Vesicalende bis zur Hinterwand der Blase reicht. Natürlicli wird der intravesicale Theil möglichst weit und viel durchlöchert. Die Befestigung des Aussenendes besorgt ein durch Damm und Drain gestochener Draht, f) Bedecken der Wund- flächen mit antiseptischen Pulvern (Jodoform oder Bismuthum sub- nitricum), Verdichtung der Wundgewebe mit starken Carbollösungen, b Procent (Gvyon), oder Verschorfung mit dem Thermocauter (Anger). Wäre bei der Eröffnung der Blase das Bauchfell verletzt worden, so müsste zunächst das Eindringen des ausstrchnenden Blaseninhaltes in die freie Bauchhöhle durch Hakenwirkung und äusseren Druck ver- hindert und der Einschnitt sodann mit thunlicher Beschleunigung mittelst Catgut vernäht werden. Eine Modification würde die Blasen- naht erfordern, wenn das Bauchfell absichtlich verletzt oder wenn ein traumatischer Riss im bauchfellumhüllten Blasentheile zur Behand- lung käme, oder die Blase bei Gelegenheit der Exstirpation von Unterleibstumoren verletzt worden wäre. Blasenrupturen am Scheitel oder an der Hinterwand machen die Laparotomie mit nachfolgender sorg- fältiger Peritonealtoilette nothwendig. Bezüglich der Blasennaht würde diese insofern eine Modification erleiden müssen, als man dann nebst der tj^Dischen, eben erörterten Blasennaht noch eine zweite Etage von serosa und muscularis fassender Nähte anlegt, am besten nach dem Typus einer fortlaufenden Naht; also ähnlich einer Gastroraphie ohne Schleimhautsutur. Es ist dringend geboten, die Nahtreihen über die Wundwinkel hinausreichen zu lassen, um den Verschluss sicherer zu gestalten. Rydygier's Vorschlag, die Sectio alta statt extra-, intra- peritoneal auszuführen, um den Vortheil peritonealbekleideter Wund- ränder zur Blasennaht zu gewinnen hat bisher keinen Anklang ge- funden. Wenn ein vorhandenes Neugebilde die extraperitoneale Eesec- tion der ergriffenen Harnblasenpartie nicht mehr möglich macht, weil es schon das Peritoneum mitergriffen hat, so muss die intra- peritoneale Resection ausgeführt werden. Dabei muss ja verhindert werden, dass etwas vom Blaseninhalt in die freie Bauchhöhle gelange. Man verfährt dann so, dass man zunächst die entleerte Blase — in der Regel kommt man ja erst nach ausgeführtem hohen Blasenschnitte zur richtigen Erkenntniss — sorgfältig austamponirt und die Schnitt- öffnung provisorisch zunäht, hierauf erst eröffnet man die Bauch- höhle, umschneidet bei Beckenhochlagerung die zu resecirende Partie bis zur muscularis, vernäht dann die losgelösten und herbeigezogenen Peritonealränder sorgfältig, verschliesst damit die Bauchhöhle, öffnet dann wieder die Blase, entfernt den Tampon und beendet die Resec- tion durch Excision des ergriffenen Segmentes. Bei der Totalexstirpation der Blase, welche extraperitoneal aus- zuführen ist, id est durch Ausschälung der Blase aus ihrem Bauch- fellüberzuge handelt es sich oftmals um eine Verlagerung der Uretheren, falls deren Einmündungsstellen vom Neugebilde ergriffen sind, ent- weder in das Restchen des Blasenhalses oder in das Rectum. n. Perinealblasenschnitte. Es wurde schon früher betont, dass bei diesen Methoden nur die Harnröhre allein in den eigentlichen Schnitt- — 725 - bereich fällt, während die Integrität der Blase vollends erhalten bleibt. Man kann die Harnröhre entweder in der Mitte ihrer unteren Wand trennen oder seitlich, ein- oder beiderseitig, woraus die verschiedenen Methoden des Median-, Lateral- und Bilateralschnittes hervorgehen. Gegen- wärtig ist unter diesen fast nur der Modianschnitt allein in Gebrauch, da er den geradesten und kürzesten Weg zur Blase bietet und keinerlei wichtige Gebilde in Gefahr bringt; der Lateralschnitt kommt nur mehr selten zur Anwendung, der Bilateralschnitt hat bloss historisches Interesse. Die Ausführung der Perinealblasenschnitte erfordert eine eigene Lagerung und Fixirung des Kranken. Erstere bestellt darin, dass der Kranke mit dem Becken an den Rand eines schmalen Tisches gelagert wird, der Stamm liegt horizontal, die Beine werden in den Hüft- und Kniegelenken gebeugt und abducirt, so dass die ganze Mittelfleisch-Aftergegend dem gegenübersitzenden Operateure frei zugänglich wird. Die Fixirung beider, in der Luft schwebenden Beine besorgen zwei Gehilfen mit der Weisung, die Beine gleichmässig abzuziehen, um jede Verstellung des Beckens zu meiden. Jeder Gehilfe stellt sich lateral vom Becken, kehrt dem Kranken den Rücken zu, umgreift mit dem einen Arm das gebeugte Knie, erfasst die Knöchel- gegend und hält mit dem anderen die Fusssohle. Ein Assistent be- sorgt die Haltung des zur Ausführung aller Perinealmethoden unent- behrlichen Itinerarium, einer an der convexen Fläche gefurchten Metallsonde, und hebt gleichzeitig das scrotum in die Höhe. Die Vor- bereitungen, denen man die Kranken vorgängig unterzieht, bestehen in der sorgfältigen Entleerung des Darmcanales und in der Desinfection der Haut der Mittelfleischgegend. (t) Medianschnitt — Sectio mediana. Es gibt zwei Varianten der Ausführung, welche durch die Länge des Schnittes voneinander ver- schieden sind. Bei beiden beginnt der Schnitt am Anfange der pars urethrae membranosa, knapp hinter der fascia perinei media: bei der einen Variante hört er am Anfange der pars prostatica auf, bei der zweiten wird er bis zum orificium vesicae fortgeführt, ja letzteres auch eingeschnitten, richtiger gekerbt. Da die erstgenannte schon bei Besprechung der Untersuchung der Blase technisch erörtert worden ist, bleiben nur über die zweite einige Worte zu erwähnen. Wenn der Schnitt tiefer geführt wird als bis zum Anfange der pars prostatica, so muss auch das Intinerarium etwas tiefer gestellt sein, indem dann das Ende der Leitsonde bis hinter das orificium reichen muss. Das Leitinstrument wird demnach nicht ganz senkrecht, sondern etwas schräge zur Körperachse gehalten, so dass der Griff dem Operateur ein klein Avenig zugeneigt bleibt. Der Assistent kann es wohl anfangs senkrecht halten und nach abwärts drücken, sobald aber der Opera- teur nach eingestochener Messerspitze den Griff selbst erfasst und das Instrument hebt, muss er es zugleich etwas zu sich neigen, wo- durch der Schnabel tiefer gleitet und das orificum vesicale über- schreitet. Früherer Zeit hatte man eigene Messer für die Perineal- blasenschnitte, ja man ersann Instrumente, an denen Intinerarium und Messer zusammen verbunden waren; gegenwärtig benützt man ein gewöhnliches, bauchiges, mittelbreites Scalpell. Das einmal durch die untere Harnröhrenwand in die Rinne der Leitsonde eingestochene Scalpell darf letztere nicht wieder verlassen, ehe der Schnitt beendet — 726 — ist, weil sonst die Harnröhre undurchtrennt bliebe und das Messer Theile durchsclineiden würde, welche unverletzt bleiben sollen. Wäre ein Pfoit'enstein vorhanden, dessen urethraler Theil die üänzliche Einführung der Leitsonde nicht gestattet, so müsste man anders verfahren, nämlich den freien Antheil der Harnröhre auf der Sonden- rinne spalten, hierauf die Sonde entfernen und nun ein geknöpftes Messer zwischen Stein und Harnröhrenwand einschieben, mit dem dann die Spaltung fortgesetzt und vollendet wird. Die eben angedeuteten beiden Varianten des Medianschnittes unterscheiden sich, wie gesagt, im Wesentlichen nur durch die Länge des Schnittes und die Grösse der davon abhängigen Zugänglichkeit zur Blase. Der längere Schnitt bedeutet also auch eine grössere Verletzung, insofern als dabei die prostata eingeschnitten wird, ja selbst das periprostatische Zellgewebs- lager eröffnet werden kann; er hat demnach in erster Linie eine stärkere Blutung im Gefolge, in zweiter auch die Möglichkeit einer Harninfiltration in das Gewebe der prostata oder im adnexen Zell- Fig. 218, gewebslager. Diese beiden Momente geben dem kürzeren Schnitte, der an der prostata endet, den unbedingten Vorzug, umsomehr, als die etwas geringere Zugänglichkeit durch stärkere stumpfe Erweite- rung mit dem Payola'schen oder Dolheau' sehen Dilatator ausgeglichen werden kann. Würde die stumpfe Erweiterung des orificum vesicale nicht genügen und deshalb eine Dilatation mit dem Messer nöthig werden, so führt man am Zeigefinger ein Knopfmesser ein und er- weitert den unteren Halbring in der Mediane nach unten, dem Mast- darme zu, mit der Vorsicht, diesen nicht zu verletzen. Damit die eben angedeuteten Uebelstände der blutigen Dilatation nicht, oder weniger leicht eintreten, hat Fourneaux Jordan den Rath gegeben, den oberen Halbring des ostium vesicale zu spalten, wofür die Messerschneide gegen die Symphyse zu kehren ist;' es soll bei dieser Methode die Ürininfiltration weniger zu befürchten sein, als bei dem gewöhnlicheren Verfahren der Erweiterung nach unten. Die Exairese des Steines wird mittelst Steinzangen vollzogen; bei seichter Blase mit geraden, bei tieferem Blasengrunde mit gekrümmten Zangen (Fig, 218), Die Stein- zangen haben schwach S-förmig gekreuzte Branchen, damit ihre Diastase beim Oeffnen der gehöhlten und leicht gerifften Blätter — 727 — geringer ausfalle, die Wunde weniger gedehnt und gequetscht werde. Das Einführen der Zange in die Blase geschieht auf der Leitung des Fingers oder mittelst eines Gorgoret, wenn für Finger und Zange zugleich nicht genügend Platz wäre. Die Steinzange wird schreib- federförmig gehalten und geschlossen eingeführt; in die Blase gelangt, fasst man ^ede Branche mit einer Hand, fühlt nach dem Stein, öffnet sodann die Zange, erhebt den Griff, damit die Blätter sich senken Fig. 219. h und den Stein umfassen, und schliesst rasch. Dass der Stein gefasst sei, erkennt man am Hindernisse, die Zange zu schliessen, und kann aus dem jeweiligen Abstände ihrer Branchen erkennen, in welchem Durch- messer das Concrement jeweilig gefasst worden sei. Ist der Durch- messer ein günstiger, rücksichtlich der Grösse der Wunde, so rotirt man zunächst die Zange mit dem Steine, um zu ermitteln, ob keine Falte der Schleimhaut mitgefasst worden sei ; gelingt die Rotation anstandslos, so erfasst man die Zange mit einer Hand, gleich einer — 728 — Kornzange und beginnt zu ziehen. Ist die Exairese schwieriger, so müssen dem Ziehen wiegende Bewegungen beigegeben werden, wobei die linke Hand, vor der rechten angelegt, die Zange oberhalb der Ringe fasst und mitziehen hilft. Hätte man den Stein in einem sehr ungünstigen, weil zu grossen Durchmesser erfasst, so müsste der Stein wieder losgelassen und mit der Zange , verschoben oder besser noch, wenn thunlich, mit dem Finger richtiger gestellt und dann neuerdings gepackt werden. Erweist sich das Congrement als zu gross, um in toto extrahirt werden zu können, so muss man es in der Blase zerbrechen, wofür eigene Instrumente dienen, welche zum Unterschiede der Steinzer- trümmerer, Steinbrecher — Lithoclasten genannt werden, denen eine grobe Verkleinerung des Steines obliegt. Da die Lithoclasten durch den geradlinigen Weg der Wunde eingebracht werden, ist auch ihre Bauart verschieden von jener der Lithotriptoren. Fig. 219 a stellt die tenette ä pression von Nelaton dar, deren Hälften isolirt eingeführt, der Stein gefasst, die Zange geschlossen und hierauf durch Schrauben- wirkung die SjDrengung vollzogen wird; b den casse pierre von Maisonneuve, welcher durch Keilwirkung sprengt, indem der Stein mit dem Stachel zuerst angebohrt und dann die dickere Stachelhülse nachgeschraubt wird. Weiche Phosphatconcremente werden oft schon durch den Druck der Extractionszange, ihrer geringen Widerstands- fähigkeit und grösseren Sprödigkeit wegen zerdrückt, zerbröckelt. Den Schutt auszuräumen, dient der Steinlöffel (Fig. 218). Der Form nach stellt er die Hälfte einer Steinzange dar, woraus hervorgeht, dass man ihn damit substituiren könne, wenn man Steinzangen mit trennbarer Schlüssverbindung zur Verfügung hat und nur die eine Hälfte benützt. Den Steinlöffel führt man stets gleichzeitig mit dem linken Zeigefinger ein, der in die Löffelhöhlung placirt wird. Das Schöpfen oder Löffeln des Schuttes erfolgt durch Achsendrehung des Löffels im Schutt; damit die jeweilige Ladung beim Ausführen nicht abgestreift werde, replacirt man den Finger auf den Inhalt und führt Löffel und Finger gleichzeitig heraus. Wurde auf solche Weise der grösste Theil der Fragmente entfernt, so spült man die Pteste mit lauem Wasser aus. Nach beendeter Exairese wird die Wunde am Mittel- fleische mit Jodoformpulver eingerieben; die meisten Chirurgen pflegen per urethram einen weichen Verweilcatheter einzulegen, andere legen durch die Wunde ein dickes Drainrohr in die Blase. Jeder Naht- versuch bleibt ausgeschlossen, die Wunde heilt rasch durch Granu- lation, möglicherweise auch zum Theile durch Verklebung. Etwaige stärkere Blutung würde eine Tamponade der Wunde mit Jodoform- gaze über einen starren Catheter erfordern. h) Seitlicher Blasenschnitt — Sectio lateralis. Lagerung des Kranken wie beim Medianschnitt, das Itinerarium wird etwas um die Achse gedreht gehalten, so dass dessen Rinne dem linken Sitzknorren zu gerichtet ist. Der Schnitt wird am Mittelfleische schräge geführt — von der Mitte der raphe bis zum linken Sitzknorren, beziehungs- weise dessen Innenrande oder ein klein wenig nach einwärts da- von. Schichtenweise, in gleich schräger Richtung präparirend, durch- schneidet man die musculi transversi perinei und trennt die Arterien: perinei superficialis und transversa, welche, falls sie stärker bluten, — 729 — sofort gefasst und unterbunden werden sollen. Hat man die fascia perinei media durchtrennt, so ist der Bereich der pars membranosa urethrae erreicht und der Finger kann die Furche der, vom Assi- stenten schräge gehaltenen und nach abwärts gedrückten Leitsonde durchfühlen. Der Operateur sticht das bauchige Scalpell, dem linken leitenden Zeigefingernagel entlang in die Furche, übernimmt nun selbst mit der linken Hand die Haltung und Führung der Leitsonde, erhebt dieselbe, ohne an ihrer schrägen Richtung zu ändern, gegen die Symph3"se, bis die Concavität der Schnabelkrümmung dem arcus inferior ansteht und senkt hierauf etwas den Griff, so dass das Schnabelende durch das ostium vesicale in die Blase gleitet, während er die Spitze des schreibfederartig gehaltenen Scalpells mit der rechten Hand längs der Rinne fortgleiten lässt bis zum Ende. Solchermassen durchschneidet er die pars membranosa und die prostatica, ja kerbt sogar das ostium vesicale in schräger Richtung von oben nach links unten. Das Messer wird sofort längs der Furche gleitend aus der Wunde gezogen und sogleich mit der Spitze des linken Zeigefingers durch die Wunde in die Blase eingedrungen, während gleichzeitig die Leitsonde entfernt wird. Der Finger erkennt die Richtigkeit der Schnittführung an dem rundlichen, Widerstand bietenden Ringe des ostium vesicale. Die Erweiterung des letzteren kann nun auf stumpfe Weise vorgenommen werden, durch Dilatatoren, oder mit dem Knopf- messer. Letzterenfalls führt man das Messer am Finger durch den Ring und schneidet in schräger Richtung weiter ein, auf Kosten des Blasengrundes. Damit bei der blutigen Dilatation der Mastdarm nicht verletzt werde, ist es zweckmässig, den Zeigefinger rechter Hand oder jenen eines Assistenten in den Mastdarm zu bringen und nun durch Betastung die jeweilige Entfernung des ostium vesicale vom Mast- darme, welche vom höheren oder tieferen Stande des Blasengrundes abhängt, abzuschätzen. Den Massstab ergibt die Dicke der, beide Zeigefingerspitzen voneinander scheidenden Gewebsschichte. Wäre der Abstand sehr klein und demzufolge eine entsprechende Dila- tation nicht möglich, so könnte auch die früher erwähnte Methode von Fournemix Jordan zur Ausführung kommen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Sectio lateralis eine viel weitere Zugangspforte zur Blase abgibt als die mediana, und dies ist wohl der Grund, warum erstere lange Zeit den Vorzug vor letzterer hatte. Bedenkt man, dass Blasenhals und obere Wand des Mastdarmes sich topographisch zu einander verhalten wie zwei ungleich grosse einander zugekehrte convexe Bogen, so wird man begreifen, dass deren gegenseitiger Abstand bei gegebener Lage um so grösser sich gestaltet, je mehr von der Mediane abgegangen und je schräger die Richtung wird; daher auch die Erweiterung ausgiebiger möglich ist. Neuerer Zeit wird der seitliche Blasenschnitt seltener ausgeführt, denn ausser den Nachtheilen der stärkeren Blutung, der möglichen Urininfiltration in das periprostatische und retrovesicale Zellgewebe, ausser der Durchschneidung der Perinealmusculatur, der Perineal- gefässe, ausser der Verletzung der Vorsteherdrüse, endlich auch einer möglichen Incontinentia urinae in Folge Durchschneidung des ostium vesicale, hat der seitliche Blasenschnitt noch den, in seinen dauernden Folgen unberechenbaren und unverantAvortlichen Nachtheil einer — 7:50 — Durchsclineidunn- des linken ductus ejaculatorius, möjLtlioherweise auch des entsprechenden Sanienbläschens. Will man die zwei, gej,^enwärtig mit Vorliebe geübten Methoden : den hohen Blasenschnitt und den Medianschnitt, miteinander ver- gleichen, so muss dabei von zwei Gesichtspunkten aus vorgegangen werden. Bei Berücksichtigung der technischen Schwierigkeiten und der Bedeutung des Eingriffes für den Kranken, muss dem Median- schnitte mit stumpfer Dilatation des prostatischen Harnröhren- abschnittes und dos ostium vesicale unbedingt der Vorzug eingeräumt werden; es wird daher wohl Niemandem einfallen, eingedrungene Fremdkörper und Steine mittlerer Grösse, falls sie frei im Blasen- raume liegen, auf andere Weise entfernen zu wollen, obzwar man auch grosse Steine und selbst Neugebilde auf diesem Wege zu be- zwingen vermag. Nimmt man dagegen den Standpunkt der grösseren Zugänglichkeit und der Controle durch das Auge als Massstab für die Beurtheilung, so gebührt dem hohen Blasenschnitte die Palme. Die Gefahren der Epicystotomie sind bei Beherrschung der Antisepsis und der Nahttechnik nicht mehr so gross, als sie in vorantiseptischer Zeit waren, wo das Verfahren, mit Recht gefürchtet, äusserst seltene Anwendung fand. Namentlich für intravesicale Neugebilde ist der hohe Blasenschnitt weitaus vorzuziehen, wenn die Diagnose ohne Digitaluntersuchung des Blasenraumes zu stellen ist. Wird dagegen letztere gepflogen, wozu bei Männern die Ausführung des Median- schnittes conditio sine qua non ist, so bleibt es fraglich : ob man die durch letzteren gegebene Zugangspforte auch zur Exstirpation des Neoplasma benützen oder davon abstrahirend, ob nachträglich die Epicystotomie zur Ausführung kommen soll. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Technik des hohen Blasenschnittes nach ausgeführtem Medianschnitte sich insofern viel schwieriger gestaltet, als die Füllung der Blase entfällt und daher die Erhebung der Ueber- gangsfalte über die Symphyse nicht spontan zu erwirken ist, sondern nur auf instrumentellem Wege mittelst Leitsonden bewerkstelligt werden kann, es sei denn, man würde, wie Kraske angibt, die leere Blase durch einen durch die Wunde in die Blase eingeführten und dortselbst aufgetriebenen Gummiballon erheben wollen. Das technische Verfahren besteht dann darin, dass man nach Eröffnung des präve- sicalen Raumes mit dem Finger hinter der Symphyse eindringt, wobei die Pulpafläche der Hinterwand der Fuge zukehrt, worauf der Finger so um die Achse gedreht wird, dass dessen Beere sich der vorderen Blasenwand anlegt. Ohne an der Blasenwand zu streifen, sondern an der einmal berührten Stelle bleibend, schiebt man die Blase über die Symphyse empor, während gleichzeitig versucht wird, das Itinera- rium unterhalb der vom Finger fixirten Stelle A^orzudrängen. Gelingt es nicht, die Blasenwand emporzuschieben, so muss sie emporgezerrt werden, wofür das Erfassen einer Wandfalte mittelst Daumen und Zeigefinger nothwendig wird. Wenn die Erhebung der leeren Blase über den Rand der Symphyse auf diese oder jene Art gelang, muss weiter die Stelle der Umschlagfalte bestimmt werden, was manchmal Schwierigkeiten bereiten dürfte. Die Eröffnung der Blase endlich kann nur auf der Leitsonde, nie ohne solche erfolgen. All die eben gedachten Proceduren haben eine Zerreissung und Zerquetschung - 731 — des prävesicalen Zellgewebes in weiterem Umfange zur Folge, Momente, welche keinesfalls gleichgiltig sind und nur durch exacte und erfolg- reiche Blasennaht paralysirt werden können. Bei Neugebilden dürfte stets die Ausbreitung sowie die Art und Weise ihrer Einpflanzung den Entscheid geben. Kleinere, gestielt oder halsartig aufsitzende Neoplasmen entfernt man vom Medianschnitte aus, gi'össere breit aufsitzende, sehr blutreiche Tumoren würden die nachträgliche, wenn auch schwierigere Ausführung des hohen Blasenschnittes erfordern. Die Unterlassung der Digitalexploration und deren Ersatz durch Elektro-Endoscopie würde wohl die gedachten Schwierigkeiten nicht aufkommen lassen. Auch allzugrosse Steine, deren Entfernung man durch den Medianschnitt versucht, aber trotz Lifhoclase nicht hätte ausführen können, würden die nachträgliche Epicystotomie erfordern, deren Ausführung aber dann geringeren technischen Schwierigkeiten begegnen dürfte, weil die Blase durch das enthaltene Concrement verhindert wird, sich vollends zu contrahiren und weil eine gewisse Völle, ein Emporragen des Blasenscheitels sich vorfinden müsste. Blasenschnitte am Weibe werden bei vorhandenem Steinleiden seltener ausgeführt als am Manne. Hat doch schon die unblutige Erweiterung der weiblichen Urethra die Bedeutung eines Median- schnittes am Manne! Durch die erweiterte Urethra feminina können Fremdkörper und kleinere Steine direct extrahirt werden, grössere gestatten die Anwendung eines Lithotriptors oder eines Lithoclasten. Ganz grosse, einer Verkleinerung intra vesicam unzugängliche Blasen- steine oder Neugebilde machen den hohen Blasenschnitt erforderlich, dessen Technik von jener am Manne üblichen in keinerlei Weise ab- weicht. Die dem Weibe eigenen Methoden: Vestibularschnitte und der Blasenscheidenschnitt sind kaum mehr üblich, es sei denn, dass gleich- zeitig eine Blasenscheidenfistel bestünde, der Fremdkörper zu einer Perforation der Blasenscheidenwand Veranlassung gegeben hätte, oder endlich der seltenere Fall einer Cystocele vaginalis vorläge. Die Vesti- bularschnitte gehören jener Zeit an, wo die staunenswerthe Erweite- rungsfähigkeit der weiblichen Harnröhre nicht so bekannt war wie heutzutage. Nachdem Simon die stumpfe Dilatation gelehrt, wird man höchstens eine oder mehrere Einkerbungen des orificium urethrae externum an Stelle der früheren verschiedenartigen Vestibularschnitte setzen. Der Blasenscheidenschnitt besteht bei vorhandener Cystocele vaginalis in der directen Spaltung des Vorfallsackes auf den dort- selbst eingelagerten Stein; bei gleichzeitiger Blasenscheidenfistel, in der Spaltung der Scheidewand von der Fistelöffnung nach vorne oder nach rückwärts, je nach ihrer Tiefe im Scheidenrohre; bei intacter Vagina endlich in der Einlegung einer gefurchten Hohlsonde in Harn- röhre und Harnblase und Spaltung von der vagina aus. Der Schnitt soll die Vulva verschonen; die Wunde wird nach gemachter Extraction durch exacte Naht verschlossen. vin. Operative Verfahren bei Harnröhrendefecten. Defecte der männlichen Harnröhre können angeboren sein oder auf traumatischem Wege erworben werden. Angeborene Defecte werden als Epispadiasis und — 732 — Hypospadiasis bezeichnet, je nachdem die offene Halbrinne, welche die Harnröhre andeutet, am dorsum penis sich vorfindet oder entlang der unteren Fläche des Gliedes zieht. Der Grad des Defectes kann ein verschiedener sein, theils partiell, theils die ganze Länge des Gliedes einnehmen, ja darüber hinausreichen. Beim höchsten Grade der Epis- padiasis ragt der Defect bis in die Harnblase oder nahe daran und combinirt sich ersterenfalls mit Symphysenspalte und Blasenectopie. Bei Hypospadiasis endet die Harnröhre an der Scrotumwurzel oder, bei gleichzeitiger Spaltung des Hodensackes und selbst eines Theiles vom Perineum, dortselbst; nie setzt sich die Spalte bis in die Blase fort, nie paart sich diese Missbildung sonach mit Harnincontinenz, weil der prostatische Theil und ein orificium vesicale mit functions- fähigem ganzen sphincter stets vorhanden sind. Gegentheilig ist bei den höchsten Graden von Epispadie stets Harnträufeln zugegen, weil der sphincter unvollständig ist, selbst wenn keine Blasenectopie gleich- zeitig besteht; demzufolge mangelt das orificium vesicae und statt seiner ist ein trichterförmiger Uebergang der Penisrinne in die Blase vorhanden, aus welcher der Urin continuirlich träufelt. Die operativen Verfahren bezwecken eine Deckung der Hohlrinne durch entlehnte Fig. 220. Hautlappen und die Umgestaltung jener zu einem geschlossenen, an der Eichelspitze ausmündenden Canale. Behufs organischer Verschliessung einer, die ganze Gliedlänge einnehmenden Epispadie sind zwei Verfahren bekannt. Nelaton und Dolheau schnitten aus der Mitte der epigastrischen Gegend einen, der Gliedlänge entsprechenden Hautstreifen mit unterer Basis, klappten ihn derart um, dass die Hautfläche der Rinne zusah, während die Wundfläche nach aussen kehrte und nähten die Ränder des frischen oder granulirenden Lappens an die angefrischten Randzonen der Halbrinne; damit ferner die umgeklappte Basis des J^appens an der Transplantationsstelle besser angelegt bleibe, excidirte Dolheau aus der Haut der vorderen Scrotalbasis einen schmalen Brückenlappen, unter welchem der Penis durchgezogen wurde, so dass die Wundfläche des transplantirten mit jener des Brückenlappens in Contact kamen und gegenseitig verwuchsen. Die Last des Hodensackes sollte durch den Brückenlappen drückend auf die Peniswurzel wirken und so einen temporären künstlichen Verschluss der neugeformten Harn- röhre herbeiführen, kurz den Mangel eines Schliessmuskels annähernd ersetzen, die Beschwerden des Harnträufeins mildern. Diese Methode ist nicht die beste; die Haut des mons veneris ist haarig und wenn auch die Schamhaare ausgerissen werden, so wachsen sie dennoch wieder nach. Klappt man einen Hautstreifen der regio epigastrica so — 733 — um, dass die Hautfläche der Harnröhrenspalte zugekehrt bleibt, so geben die nachwachsenden Haare zu Incrustationen und allerlei damit zusammenhängenden Uebelständen Veranlassung. Die gegenwärtig meist übliche Verschlussmethode ist die von Thiersch angegebene, welche drei zeitlich voneinander geschiedene plastische Eingriffe erfordert. Thiersch beginnt an der Peripherie und bildet zunächst ein Harnröhrensegment im Bereiche der glans penis, später nach Wochen oder Monaten, wenn Alles gründlich vernarbt ist, wird als selbst- ständiger zweiter Act die Deckung der Halbrinne am dorsum penis besorgt, als dritter Act die Vervollständigung der beiden, bisher getrennten Rohrabschnitte hinter der Eichel zu Stande gebracht, endlich als vierter Act die Vervollständigung des Abschlusses an der Peniswurzel ausgeführt. Indem wir in Folgendem die einzelnen Opera- Fig. 221. tionsacte näher besprechen, nehmen wir als Paradigma eine totale Epispadiasis an, ohne Complication mit Ectopie der Blase. Erster Act. Die Umwandlung der Eichelrinne in einen Canal erfolgt derart, dass man durch zwei schräg convergirende Schnitte die Rinne von der Eichel abgrenzt, jene mittelst Hohlsonde vertieft und darüber die streifenförmig angefrischten Eichelränder mit um- schlungener Naht bogenförmig vereinigt (Fig. 220). Zweiter Act. Seit- lich von der Dorsumrinne werden aus der Nachbarhaut zwei thür- flügelförmige Lappen geschnitten; der eine Lappen kehrt seine Basis der Rinne zu und wird umgeklappt, der andere kehrt die Basis nach aussen und wird über den ersten durch Verziehung gelagert. Beide Lappen kehren ihre Wundflächen einander zu; sie werden durch Knopfnähte gegenseitig an die Schnittränder befestigt (Fig. 221). Dritter Act. Bedeckung der offen gebliebenen Oeffnung zwischen Eichelcanal und Penisröhre. Hiefür wird die bei Epispadiasis unten vollständig gebildete, oben fehlende Vorhaut unterhalb der Eichel iu Flg. 222. quer durchgeschnitten und durch den gewonnenen Spalt die Eichel gezogen. Dadurch wird die Vorhaut brückenförmig nach oben ver- zogen und die periphere Wundfläche des Querschnittes kann mit den angefrischten Enden des Eichelcanales und der Penisröhre vernäht werden (Fig. 222). Sind alle drei Operationen gelungen, so bleibt noch ein Rest der ursprünglichen Rinne an der Peniswurzel übrig, der noch gedeckt werden muss, um den Canal der Harnröhre zu vervoll- ständigen. Hiefür können zwei Methoden eingeschlagen werden: ent- weder man nimmt einen Scrotalbrückenlappen nach Dolheau, oder einen gestielten Verschieblappen. Letzteren schneidet man aus der epigastrischen Region und verpflanzt ihn als Granulationslappen durch Verschiebung, so dass die Hautfläche nach aussen gekehrt bleibt und die vernarbende Wundfläche den Rest der Rinnendecke abgibt. Die Ränder des Lappens werden an die angefrischten Ränder der Penisdecke und an die Haut der trichterförmigen Ausmündung der Blase angeheftet. Der Vorschlag von Thiersch, den obersten Ab- schluss durch zwei supraponirte Lappen zu decken, welche beide der epigastrischen Region entnommen werden und wovon der untere seine Hautfläche dem Defect- reste zukehrt, ist aus Gründen der Scham- haare und der Incrustationsgefahr minder enipfehlenswerth. Hypospadien erfordern nur dann Ab- hilfe, wenn sie die Gesammtlänge der un- teren Penisfläche betreffen; mindere Gra- de, wobei der Defect nur die Eichel allein einnimmt oder etwas weiter nach oben ragt, geben keine absolute Indication ab. Ausmündungen der Urethra an der Scro- tumwurzel oder in der Tiefe der Peri- neumspalte haben wohl grössere Bedeu- tung, einestheils weil der Besitzer nur more feminarum zu uriniren vermag, anderntheils weil diese Bildungs- hemmung zwar nicht das Begattungs-, wohl aber das Zeugungsver- mögen vernichtet. Der plastische Verschluss dürfte am Penis sich ähnlich gestalten wie bei der Epispadiasis, höher oben wird er durch directe Anfrischung der Spaltflächen mit folgender Sutur zu er- zwingen sein. Erworbene Harnröhrendefecte kommen selbstverständlich nur an der unteren Gliedfläche vor, da ja die Urethra normal gebildet und gelagert ist, und sind Folgen directer Traumen. Ulceröse Processe haben in der Regel nur Harnröhrenfisteln im Gefolge, combiniren sich zumeist mit Stricturen und vernarben nach Hebung dieser ent- weder spontan oder erfordern gelegentliche Aetzungen nebst Verweil- catheter. Erworbene Harnröhrendefecte sind nur partiell und charakterisiren sich durch die narbige Umgebung. Der plastische Verschluss wird vorgenommen durch zwei Verschiebungslappen: seitliche, oder oberer und unterer, welche über die Defectlücke ver- schoben und in der Mittellinie vereinigt werden. Um die Verschiebung der Lappen zu erleichtern, sind beiderseitige Entspannungsschnitte — 735 - nothwendig. Dem plastischen Verschlusse ist stets eine sorgfältige Abtragung des Xarbengewebes vorauszuschicken; ferner empfiehlt sich das Anlegen einer temporären Urethrafistel durch Incision, hinter dem vorgenommenen künstlichen Verschlusse, um den Urin abzuleiten. Das Thiersch' sehe Verfahren mag, des Narbenringes wegen, weniger gut ausführbar sein, ebenso lässt die Urethroraphie (An- frischung der Defectränder mit folgender Metallsutur) meistens in Stich, weil dadurch häufig eine wesentliche locale Verengerung des Harnröhrencanales zu Stande kommt, es sei denn, dass man der Quere nach anfrischen und suturiren kann. Einlegecatheter möge man vermeiden. IX. Operative Verfahren bei Harnblasendefecten. Zu den angeborenen, einer Hemmungsbildung entstammenden Defecten zählt die, bei beiden Geschlechtern vorkommende Blasenspalte (Ectopia val Extrophia seu Inversio vesicae; zu den erworbenen die Blasenfisteln. Bei der Ectopie fehlt die vordere Blasen- und mit ihr die ent- sprechende Bauchdeckenwand, die Schamfuge klafft, die Schambeine lassen eine Spalte zwischen sich, die Nabelgrube mangelt. Die hintere Blasenwand wird durch die Eingeweide vorgedrängt, so dass sie eine convexe, mit Schleimhaut überzogene Fläche darstellt, in deren unterem Dritttheile die Uretheren offen ausmünden. Bei männlichen Subjecten ist gleichzeitig totale Epispadie vorhanden, bei weiblichen die clitoris gespalten. Gegen diese arge, das Leben zwar nicht direct bedrohende, doch dessen Genuss vernichtende Missbildung sind mehrere operative Verfahren empfohlen und ausgeführt worden, welche verschiedene Zwecke verfolgen, und zwar : 1. Die Harnblase zu exstirpiren und die Uretheren, durch Los- präparirung und Verziehung, in den obersten Abschnitt der Penis- rinne zu verlagern, wodurch der Gebrauch von Harnrecipienten er- leichtert und die Scheuerung der Schleimhautfläche beseitigt wird. Die Namen Sonnenhurg und Langenbuch knüpfen sich an diese Methode. Ersterer exstirpirte die ganze Harnblasenwand (mucosa, muscularis und adventitia) vom Peritoneum, ohne es zu verletzen, worauf der Wunddefect durch seitliche Verschiebungslappen gedeckt wurde. Die Uretheren wurden von ihrer normalen Stätte lospräparirt, nach ab- wärts verzogen und nebeneinander unter dem Rande des Decklappen in die dorsale Penisrinne fixirt. Segond hat die abpräparirte Blase nicht exstirpirt, sondern erhalten und so umgeschlagen, dass sie die Penisrinne zu überdecken kam. In dieser Lage wurde sie durch sorg- sam angelegte Nähte fixirt. Die nach aussen kehrende wunde Fläche wurde durch einen Hautlappen aus dem praeputium gedeckt. So wurde unter genauer Schonung der Uretherenmündungen eine neue, allüberall von Schleimhaut bedeckte Blase hergestellt und allen nach- träglichen Incrustationen und Concrementbildungen vorgebeugt. Der Wunddefect am Abdomen ist durch Entlehnung seitlicher Hautlappen leicht zu decken. MaycU exstirpirt die Blasenschleimhaut aus der Bauchwand und schneidet das trigonum Lieutodii mit den beiden Uretherenmündungen — 730 — in Gestalt einer Ellipse heraus, wobei das die Harnleiter umhüllende Bindegewebe mit den zugehörigen Gefässen nach Möglichkeit geschont wird. Hierauf wird die l]auchhöhle eröffnet, die Flexur vorgezogen, durch einen Längsschnitt gespalten, das exstirpirte Blasenstück im- plantirt und mit zwei Etagennähten befestigt. Die Mitnahme der die Uretherenmündungen umgebenden Blasenwandpartie hat den Vortheil, den natürlichen Uretherenverschluss intact zu erhalten und dadurch eine Infection der Niere vom Darmci aus zu erschweren. 2. Den Blasendefect durch Hautlappen zu decken und auf diese Weise einen organischen Urinrecipienten zu bilden, dessen hintere convexe Fläche die vorhandene Harnblasenwand bildet, dessen flache Decke durch Haut neugeschaffen wird. Thiersch gebührt das Verdienst, diese Methode ersonnen und mehrfach mit vollendeter Technik und entsprechenden Erfolgen ausgeführt zu haben. Anfänglich nahm Thiersch drei Hautlappen. Ein oberer, der mesogastrischen Bauch- gegend entnommen und gross genug, um den Defect vollends zu decken, wurde invertirt und mit der Hautfläche gegen den Defect gestellt, an dessen vorher angefrischten Rändern angenäht. Gleich- zeitig wurden zwei seitliche doppeltgestielte Hautlappen geschnitten und diese vorläufig in situ belassen, bis deren Unterflächen über eingeschobene Stanniolplatten granulirten. War die nach aussen gekehrte Wundfläche des invertirten meso- gastrischen Decklappens in voller Granulation, so wurde der obere Stiel der seitlichen Lappen durchschnitten und beide dergestalt mesialwärts gedreht, dass deren freie Ränder sich gegenseitig be- rührten und in der Mediane vereinigt werden konnten, worauf Ver- wachsung der gegenseitig zugekehrten Granulationsflächen der drei Lappen eintrat und die Decke aus Doppellappen bestand. Jeder der oberen Lappen war halb so breit als der untere und so geformt, dass die Deckung möglichst vollständig gelang. Der granulirende Mutterboden wurde dann durch Nähte verkleinert. Billroth deckte, um Steinbildung zu verhindern, nur mit seitlichen Verschiebungslappen, welche, mit der Granulationsfläche nach unten über den Defect gezogen, an den gegenständigen Rand genäht werden. Zumeist wird ein unterer und ein oberer Lappen geschnitten und damit der Verschluss in zwei Hälften und in verschiedenen Zeiträumen aus- geführt. Dem organischen Deckverschlusse der Ectopie geht die früher geschilderte absatzweise Verschliessung der Harnröhrenspalte in an- gegebener Reihenfolge voraus, so dass schliesslich der oberste Deck- lappenrand der epispadiatischen Harnröhre mit dem unteren Lappen- rande der Blasendefectdecke vernäht wird. Gelingen alle diese vielen, absatzweise auszuführenden plastischen Operationen, so ist die Ectopie vollends gedeckt und die Epispadiasis zu einem Canale umgewandelt Es fehlt nur noch der Sphincterenschluss, um leidliche Verhältnisse zu schaffen, obschon der Zustand des Kranken insoferne wesentlich gebessert erscheint, als das Tragen eines Harnrecipienten erleichtert wird, indem das Abträufeln des Urins nur durch den penis, am künstlich geschaffenen orificium der Eichel erfolgt und die con- tinuirliche Durchnässung der Schamgegend und deren Nachbarschaft entfällt. Der missbildete Kranke ist social wieder möglich gemacht, — i6i — wenn er den Recipienten constant am Oberschenkel geschnallt mit sich trägt. Man hat aber auch versucht, das constante Harnträufeln zu unterdrücken, und zwar durch äusseren Druck auf den Uebergang des Blasenraumes in den Peniscanal, mittelst einer kleinen Pelotte. Diese Abhilfe ist nur bei männlichen Individuen möglich, bei weiblichen nicht, weil an solchen die Harnröhrenbildung nicht gelingt. Die Pelotte soll durch ihren Druck den Harn in dem neugeschaffenen Blasenraume zurückhalten. Da nun ectopische Männer gleichzeitig an bilateralen angeborenen Leistenhernien zu leiden pflegen, so ist die Anbringung der Schliesspelotte an ein Bracherium denkbar. Die Pelotte muss natürlich stellbar sein, damit der Druck zeitweise auf- gehoben und der ürinabgang vermittelt werden könne. Thiersck hat in einem Falle, um den sonst unentbehrlichen Recipienten ent- behrlich zu machen, eine künstliche Fistelbildung zwischen dem neu- geschaffenen Blasenraume und dem Mastdarm etablirt, durch wieder- holte Anlegung einer eigens hierzu angefertigten Klemme mit Platten von 1 Centimeter Durchmesser, welche durch Druck Decubitus der geklemmten Blasenmastdarmwandungen zu Stande brachte. Nach ge- lungener Fistelbildung konnte der organische Verschluss vervoll- ständigt werden, indem der Urin den Abgang via recti fand. Besser als diese, durch Eindringen von Harn in den Mastdarm und von Koth in den Harnraum nicht gleichgiltige Fistelbildung, wäre der Vorschlag von Billroth: den Harnraum vollends zu schliessen und im Decklappen eine Punctionslücke zu bilden, welche die Verhältnisse nach einem Blasenstiche imitiren sollte. Freilich fehlt dabei die Action der musculi abdominis recti, ein Mangel, welcher den her- metischen Verschluss der Fistel im Sinne Nussbanins vielleicht be- einträchtigen könnte. 3. Ein dritter Weg besteht in der Vereinigung der ectopischen Blase zu einem Hohlräume, welcher, wenn auch recht klein, so denn doch überall von Schleimhaut ausgekleidet ist und daher die Xach- theile der Concrementbildungen nicht trägt, welche allen jenen Harn- räumen zukommen soll, die zur Hälfte aus Haut- oder Narbenwänden bestehen. Die Versuche, welche Billroth und Vogt anstellten : die Rand- partien des Defectes von der Unterlage abzupräpariren, die abgelösten Wände mesialwärts umzulegen und gegenseitig durch die Naht zu vereinigen, misslangen. Schlange hat besseren Erfolg gehabt, indem er die musculi recti beiderseits mobilisirte und sie gegen die Mitte zu verschob. Er schnitt bilateral entsprechend den Aussenrändern der Muskeln bis zur fascia abdominis transversa ein und trennte die Muskelbäuche stumpf von ihr ab. Die Ansatzstellen der recti am Schambeine wurden mit dem Meissel unter Mitnahme je eines Stück Knochens abgemacht. Nach Anfrischung der Defectränder konnte nunmehr ohne jene Spannung die Blase zu einem cavum vernäht werden. Die Nähte hielten, da jede Spannung beseitigt war. Trendelen- hurg ist nach anderem Plane vorgegangen. Er trennte an jüngeren Kindern mit einem starken Scalpelle beide synchondroses sacroiliacae von rückwärts so weit, bis die ossa ilei beweglich wurden, worauf durch bilateralen starken Druck eine Annäherung der diastatischen Schambeine bis zur wechselseitigen Berührung zu Stande gebracht wurde. Da indess eine Tendenz zum Federn zurückbleibt, welche die T. Mosetig- Moorhof: Ilandburli d. Chirurg. Technik. 4. Aufl. 47 — 738 - ursi)rüngliche Symphysenlücke wieder herzustellen trachtet, so miiss durch mehrere Wochen ein Apparat anij;elegt und dauernd wirken gelassen werden, welcher die gewonnene Annäherung auch zu erhalten im Stande ist. Er besteht aus einem breiten, gut gepolsterten, das Becken hinten und seitlich umfassenden Gurt, dessen vor dem Bauche gekreuzte Enden durch Gewichtsextension stark angespannt werden. Während dieser ganzen Zeit müssen die Kinder unbeweglich die hori- zontale Lage einhalten. Nach 6 bis 8 Wochen repouirt man den Defect, drückt ihn nach rückwärts und hält ihn mittelst eines Schwämmchens in concaver Reductionslage, frischt sodann die seit- lichen Spaltränder im Bereiche der äusseren Haut breit an und ver- einigt sie durch Silberdrahtsuturen, welche die Schleimhaut nicht mitfassen. In den neugeschaffenen Blasenraum wird ein weicher Catheter gelegt und später zum Verschlusse des Blasenhalses und dessen Fortsetzung in die Rinne der Epispadie geschritten. Trendelen- hurg meint, dass an Neugeborenen die Durchschneidung der synchon- droses sacro-iliacae auch unterlassen und der Weichheit und Beweg- lichkeit der Knochenverbindungen halber versucht werden könnte, die Verkleinerung der Symphysenspalte nur durch den Apparat allein zu Stande zu bringen. Diese Methode hätte nebst anderen noch den Vor- theil, dass die vorhandenen, aber getrennten Sphincteren zu einem ge- schlossenen Ringe vereinigt und daher f unctionstüchtig gemacht würden. Passavant verwirft die gewaltsame Ablösung der Darmbeine in den sacro-iliacal-Gelenken und will die Annäherung der diastatischen Schambeinflächen auf allmälige und absolut gefahrlose Weise zu Stande bringen. Auf die Nachgiebigkeit des synchondroses sacro-iliacae bauend, will er theils durch Umspannung des Beckenumfanges mit vulcanisirten Gummiringen, theils bei horizontaler Rückenlage durch Einzwängen des Beckens in keilförmig eingeschnittene, gepolsterte Holzböcke, die Darmbeine einander nähern und dadurch die Scham- fugenlücke allmälig verkleinern. Gummiringe und Holzbock sollen abwechselnd zur Anwendung kommen, einerseits um Decubitus der gedrückten Hautpartien zu vermeiden, andererseits um den Kindern das Aufstehen zu ermöglichen und ihnen die Nachtruhe zu sichern, die im Holzbock wohl schwer möglich wäre. Die Wirkung des Gummi- ringes ist eine gleichmässige circuläre Compression, jene des Holz- bockes gleicht der Action eines Schraubstockes. Erst nach gelungener Beseitigung der Symphysenlücke wird die Blase durch luftgefüllte kleine Gummiballons und darüber angepasste Kauschukplatten in die Unterleibshöhle zurückgedrängt, mit der Vorsicht dabei nicht auch die Uretherenmündungen zu verlegen, und endlich die einander genäherten Defectränder mittelst Naht verschlossen. Koch hat in Narcose durch Brisement force auf unblutige Weise die Verkleinerung der Symphysenspalte bewerkstelligt. X. Operationen an den Harnleitern und Nieren. Ä. Operationen an den Harnleitern. Die Sondirung eines Ureter bezweckt zumeist die Eruirung, wie bei constatirter Erkrankung der — 739 — einen Niere der Zustand der anderen sei. Als fernerliegende Aufgaben gelten die Erweiterung eines verlegten oder verengerten Ureter, das Erkennen darin steckender Concretionen und das Sichtbar- oder, besser gesagt, Tastbarmachen der Harnleiter bei gewissen Opera- tionen, bei denen eine unbeabsichtigte Verletzung derselben leicht unterlaufen könnte (beispielsweise bei der Exstirpation des uterus oder anderer Unterleibstumoren), indem man sie durch Einlegung einer Sonde kenntlich macht. Schon Simon hat die Uretheren am Weibe sondirt; er erweiterte hiefür die Harnröhre, tastete die be- treffende Uretherenmündung und leitete die Sonde am Zeigefinger ein. Pmolik ersann eine Methode, die Sondirung ohne anderweitige prä- paratorische Eingriffe möglich zu machen: sie beruht auf der ana- tomischen Thatsache, dass das trigonum sich nach individueller Ver- schiedenheit mehr minder deutlich an den Falten der vorderen Vaginalwand abzeichnet. Er benützt zur Sondirung ein entsprechend langes, an seinem Ende etwas abgebogenes, leicht geknöpftes Instru- ment, welches hohl und seitlich gefenstert, also catheterförmig con- struirt ist (Fig. 223). Die zu untersuchende Frau wird in Knie- ellbogenlage gebracht und die hintere Scheidenwand wird durch ein Löffelspeculum abgezogen, wonach die vagina in Folge Eindringens der äusseren Luft ballonartig ausgeweitet wird. Die vordere Scheiden- Fiff. 223. wand erscheint nun gespannt und kann die Spannung durch Heben oder Senken des Oberkörpers nach Bedarf geregelt werden. Bei ge- nauer Inspection sieht man an der vorderen Vaginalwand zwei deutlich markirte Längsfurchen divergirend nach oben laufen, welche der portio vaginalis zu durch quer vei'laufende Furchen gekreuzt werden : das umfasste Dreieck entspricht dem trigonum Lieutaudii. PawUk führt seine Sonde durch die Harnröhre so ein, dass ihr ab- gebogenes geknöpftes Ende nach abwärts kehrt und schiebt sie, ent- lang der einen oder der anderen Längsfurchenzeichnung, in ent- sprechend schräger Richtung vor, den Weg des Knöpfchens von der vagina controlirend. Die Einführung in das orificum uretheris gelingt meistens nicht sofort, sondern erst nach längerem Suchen. Dass man eingedrungen sei, ergibt zunächst das Gefühl der gehemmten seitlichen Beweglichkeit, welches sich nie einstellt, so lange das Sondenende frei im Blasenraume weilt. Nebst dieser Fixirung des Sondenendes gilt das stossweise erfolgende, intermittirende Auströpfeln des Urins durch den Sondencanal, welches jedoch nicht sofort, sondern erst nach einiger Zeit sich einstellt, als Zeichen des Erfolges. Zur grösseren Sicherheit kann endlich noch Milch in die Blase eingespritzt werden : kommt trotzdem reiner Urin durch die Sonde, so ist jeder Zweifel behoben. Das Vorschieben der Sonde im Ureter gelingt nur eine gewisse Strecke weit anstandslos und leicht; erst am Beckeneingang wird das Instrument aufgehalten durch den Winkel, den die verän- 47* — 740 - derte Richtung' des ureter an dieser Stelle absetzt; will man weiter dringen, so niuss in diesem Momente der Griff des Instrumentes gegen das Perineum gehoben werden. Viel tiefer können wohl nur elastische Bougies eindringen, welche man durch die Lichtung einer vorne offenen Sonde einschieben müsste. Paiclik hat später die Einführungstechnik insofern modificirt, ais er die Blase vorher mit 200 Kubikcentimeter Flüssigkeit anfüllt und die Patientin in die Rückenlage mit angezogenen und abducirten Beinen bringt. Die Zugänglichkeit zur vagina wird durch ein Spatelspeculum geschaffen, welches jeweilig so breit sein muss, dass die obere Vaginal- wand nach dem Einlegen ganz quer gestellt erscheint, indem jede Vorwölbung jener in den Vaginalraum die Ausführung des Cathe- terismus stört. /Sänger, welcher die Möglichkeit bewiesen hat, am Weibe von der Scheide aus die Uretheren abtasten zu können, schlägt vor, einen temporären Verschluss des fraglichen Harnleiters durch Um- stechung mit einem Faden zu bewerkstelligen, um aus dem Quäle des, dann nur aus dem anderen Harnleiter allein abfliessenden Harnes einen diagnostischen Schluss auf die Beschaffenheit der entsprechenden Niere stellen zu können. Zum Zwecke der Auffindung der Harnleiter verfolgt man mit dem Finger die Harnröhre bis zum Blasenhalse und dringt dann bis zur Kuppe des vorderen Vaginalgewölbes vor. Innerhalb dieser Strecke tastet man dann die vordere und die seit- lichen Scheidenwände in der Richtung gegen das parametrium ab und fühlt da die Uretheren als Stränge, die nach innen und abwärts gegen das trigonum streichen und sich bis in die Basis der breiten Mutterbänder verfolgen lassen. Behufs temporärer Unterbindung muss die Stelle, an der man den Ureter fühlt, mit Höllenstein markirt werden, worauf man mittelst eines Löffelspiegels die Stelle freilegt und aus freier Hand umsticht. Versuche, welche nach diesem Schema an weiblichen Leichen angestellt wurden, lehrten, dass die Unterbin- dungen unter dreizehnmal zehnmal gelangen, wobei zweimal die Naht durch die Blase ging. In den übrigen Fällen lief der Faden im lockeren Zellgewebe zwischen Harnleiter und Blase und wurden grössere Gefässe nicht verletzt. Am Lebenden hat die Sä'Hger'sch.e Methode noch keine Anwendung gefunden. Brenner hat den Cystoskop nach Leiter auch für die Sondirung der Uretheren dienstbar gemacht, indem er demselben eine separate, mit einem Mandrin verschlossene Röhre beigab, durch welche man nach entferntem Mandrin einen Catheter einführen und unter Controle des Auges in den ureter einschieben kann. Nitze und Cas;per haben ähnliche verbesserte Endoskope auch zum Gebrauche für Männer ersonnen. Die Sondirung eines ureter von oben her erfordert zunächst die Ausführung der Nephrotomie wo dann vom Nierenbecken aus die Einführung von Instrumenten gelingt. Man ist hierzu gezwungen bei vorhandener Nephrolithiasis, um die Durchgängigkeit des ureter zu constatiren. Bei Steinbildung im Ureter wird man stets zunächst versuchen das Concrement in das Nierenbecken zurückzuschieben, oder in loco zu zertrümmern, wenn dasselbe zerdrückbar ist. Nur im Falle weder das eine noch das andere gelänge, müsste der Stein durch directe Incision extrahirt und sodann die gesetzte Längswunde sorgfältig vernäht werden. — 741 — Zwecks der Incision und nachfolg-ender Sutur muss der Harnleiter in seinem retroperitonealen Bette blossgelegt werden, wofür dem zur Nierenblosslegung erforderlichen additioneile Incisionen zugegeben werden müssen. Von der Lendengegend aus kann der Harnleiter nur bis zu seinem Eintritte in die Beckenregion, etwa bis zu seiner Kreuzung mit den Iliacalgefässen blossgelegt werden, tiefer nicht. Der Beckenabschnitt des Ureter kann beim Weibe von der Scheide aus zugänglich gemacht werden, beim Manne müsste auf pararectalem Wege eingedrungen werden. Immerhin kann auch durch Ablösung des Bauchfelles von der Seite her ein Weg gebahnt werden, ein Ein- griff, der jenem zur Unterbindung der arteria iliaca erforderlichen annähernd gleicht. Viel schwieriger als die Längsnaht incidirter Uretheren gestaltet sich die Wiedervereinigung quer durchtrennter Harnleiter, Verletzungen, wie sie bei der Ausführung intraabdomineller Geschwulst- und Organ- exstirpationen unterlaufen können. Behufs Wiedervereinigung durch die Naht müssen die beiden Trennungsenden in wechselseitigen ge- nauen Contact gebracht werden können: die Vereinigung geschieht am einfachsten durch genau angelegte Wandnähte ohne Mitbetheili- gung der Canallichtung. PawUk vereinigte über ein temporär ein- geführtes dünnes Catheterstück und zwar so, dass das eine Catheter- ende durch das periphere lumen in das absteigende Ureterstück bis in die Blase und aus dieser per urethram nach aussen geschoben wurde, während das andere Catheterende in das centrale Harnleiter- segment eingeführt wurde. Nach beendeter Naht Entfernung des Catheters. Van Hook will die Vereinigung durch Invagination des centralen in das periphere Ureterstück zu Stande bringen, wofür das letztere seitlich eingeschnitten werden muss, das centrale Ende wird an eine Fadenschlinge angeseilt und die Nadel durch die Wand des peripheren Ende geführt; mit dem Faden folgt das centrale Ende in die Lichtung des erweiterten peripheren. Dann nach Occlusionsnaht. Gelingt die Incontactbringung der durchtrennten Ureterabschnitte nicht, weil etwa ein längeres Stück abgetrennt oder durchgequetscht wurde, so muss das centrale, Urin absondernde Ende entweder nach aussen geleitet oder in anderes Hohlorgan implantirt werden, denn die Frage der Möglichkeit einer Implantation in den anderen unver- letzten Ureter, eine Art Ureteroanastomose, wie sie durch Monaro auf experimentellem Wege angeregt wurde, ist noch nicht erledigt. Das periphere Ureterstück muss durch Abbindung verschlossen werden um ein retrogrades Abfliessen von Urin aus der Blase zu verhindern. Das Hohlorgan nun, in welches das proximale Ureterende implantirt werden soll, ist der Dickdarm, freilich ein schlimmer Ausweg wegen der Infectionsgefahr der Niere. Die Einpflanzung des Ureter in den Darm geschieht am besten mittelst eines Schrägcanales, der in die seitliche Wand des S. Romanum oder des Rectum entweder geschnitten oder durch Einnähung der Wand gewonnen wird. Letztere Methode geht von Wltzel aus und wird analog seiner Gastrostomie ausgeführt, was dort das Drain, ist hier der ureter. Krynski präparirt aus der Darmwand durch zwei im rechten Winkelsich treffende Schnitte einen Dreiecklappen, welcher serosa und muscularis enthält, perforirt im Winkel die mucosa und vereinigt diese mit vier Knopfnähten mit der mucosa des Ureter;, — 742 — dann wird der Lappen darüber geklappt und vernäht, so dass ein Stück des Harnleiters im Darme intraparietal verlauft. Vignoni sehneidet den Darm V-förmii^- an, implantirt und vernäht darüber zwei seitliehe Darmwandfalten. Bei jeder Implantation des Ureter vergesse man nicht dessen Ende durch Einkerbung zu erweitern um einer eventuellen späteren Stricturirung, wenn möglich, vorzubeugen. Boari hat auch einen Knopf nach Marphif sehen Princip construirt, um eine rasche Vereinigung zwischen Ureter und Darm zu erzwingen. Wenn der Ureter an einer tiefen Stelle durchschnitten wurde so gelingt es manchmal durch vorsichtiges Mobilisiren das centrale Ende in die Nähe der Blase zu bringen. In solchen Fällen ist eine Reimplantation in die Harnblase das zweckmässigste, weil eine Resti- tutio ad integrum ermöglichende Verfahren. Pozzi nennt die Operation Uretero - neocystotomie ; sie wurde schon wiederholt ausgeführt sowohl intra-, als auch extra-, beziehungsweise retroperitoneal. Das frei- gemachte, am Rande etwas eingekerbte Ende des Ureter wird angeseilt, bei Frauen mit einer gekrümmten Kornzange in die Blase eingegangen die gewählte Implantationsstelle vorgebraucht, in der Blasenwand ein kleines Loch geschnitten, durch dieses die Kornzange geschoben, die Fadenenden ergriffen und an der nachfolgenden Schlinge der Ureter durch die Wandlücke in das Innere der Harnblase gezogen. Sorgsame Occlusionnath oder nach Witzel Schrägcanalbildung über dem ureter. Eine Vereinigung der mucosa vesicae mit der mucosa ureteris ist dringend anzurathen um Stricturen vorzubeugen. Bei Hydronephrose, wobei der Ureter ausser Function stand, wurde auch schon eine Resection des Harnleiters ausgeführt und das periphere Ende an den Grund des Cystensackes wieder angemacht, während man das centrale Ende durch Naht verschloss. Bei Knickungen oder Verengerungen des Ureter kann durch Längsincision mit nach- folgender querer Vereinigung Abhilfe geschafft werden. B. Nephrotomie. Die Einschneidung einer Niere kann vorgenommen werden: wegen Nephrolithiasis, um das mit Steinen erfüllte ausgedehnte Nierenbecken behufs Extraction der Concremente zu eröffnen, bei Pyonephrose und bei Hydronephrose. Das Vorhandensein von Steinen muss vor der Spaltung durch Akidopeirastik sichergestellt werden. Thornton verwirft die Akidopeirastik als unsicher und nicht unge- fährlich, ferner aus dem Grunde, weil sie über den Zustand der zweiten, vielleicht gerade kranken Niere keinen Aufschluss gibt. Es kommt nämlich vor, dass Kranke die Schmerzen verkehrt angeben, id est an der gesunden statt an der kranken Seite. Er will sich ante operationem durch directe Palpation der Nieren von ihrer Beschaffen- heit Kunde verschaffen, und zwar auf laparotomischem Wege. Das Verfahren soll sich praktisch bewährt haben und führt den Namen: combinirte Methode. Bardeuhener will das Gleiche auf retroperitonealem Wege erzielen, wofür nach Trennung der praeperitonealen Bauch- decken das Peritoneum parietale auf grosser Strecke abgelöst wird. Neuere Erfahrungen haben die Thatsache erbracht, dass Ver- wundungen des Nierenbeckens geringere Tendenz zur Verheilung zeigen und häufiger Fisteln zurücklassen als solche der Nieren- substanz. Israel hat demzufolge bei Lithiasis pelvis nicht das Nieren- becken aufgeschnitten, sondern sich durch die Nierensubstanz den - 743 — Weg dahin gebahnt. Diese Erkenntniss macht auch partielle Nieren- exstirpationen denkbar und sind schon einige diesbezügliche Resectionen mit Erfolg ausgeführt worden. Es dürften demnach ausgedehnte Nierenabscesse, geeignete Fälle von Verletzungen und circumscripte Geschwülste künftighin statt der Xephrectomie Nierenresectionen in- diciren. Blutungen aus der Nierensubstanz lassen sich mittelst Jodo- formgazetamponade unschwer stillen. Pyonephrosen eröffnet man entweder auch durch den ßlmo titschen Schnitt oder, weil in der hinteren Lumbairegion die Dicke der Deck- weichtheile eine bedeutende ist, lieber in der seitlichen Lumbairegion, etwa entsprechend der verlängerten Axillarlinie, wo dünnere Deck- schichten vorhanden sind; wenn der Sack gross ist, besteht auch keine Gefahr dabei, das Bauchfell zu verletzen und das cavum ab- domis zu eröffnen, indem der Eitersack das parietale Bauchfell ab- hebt und dessen Uebergangsstelle von der Bauchwand und Lenden- region weiter nach vorne verlegt. Immerhin ist Vorsicht geboten, um bei Zeiten eine andere Incisionsstelle wählen zu können, wenn im Grunde der ersten das Bauchfell sichtbar würde. Küster empfiehlt einen Schnitt der Mitte zwischen zwölfter Rippe und Darmbeinkamm beginnt und letzterem parallel lo bis 12 Centimeter lang horizontal nach vorne zieht. Vorgängige Explorativpunctionen sind besser ent- sprechend dem Vorderrande des musculus sacro-lumbalis auszuführen. H5''dronephrosen können von drei Seiten eröffnet werden: man wählt entweder die regio retro-lumbaris oder die latero-lumbalis, endlich ist auch die Eröffnung von vorne durch das cavum abdominis möglich, wenn man das den Tumor bedeckende Bauchfell seitlich vom colon, welcher entlang der Vorder- oder Innenfläche des Tumor verläuft, spaltet und nach Entleerung des flüssigen Inhaltes mittelst eines Troisquart, den entleerten Sack vorsichtig der Länge nach trennt und die Ränder der Spaltöffnung an die Schnittränder der Bauchwunde anheftet, damit nichts vom Inhalte in das cavum abdominis fliesse. Anlegung einer Nieren- bauchfistel. Behufs leichteren Secretabflusses im Gefolge der Nach- behandlung empfiehlt König, vom Hydronephosensacke aus nach rück- wärts, also in der Retrolumbarregion eine Gegenöffnung anzulegen und durch sie zu drainiren. Der Sack müsste dann mit Jodoformgaze ausgefüllt und die Eiterung wohl überwacht werden. Diese transpe- ritoneale Methode wird wohl selten gewählt, man könnte aber dazu veranlasst werden, wenn etwa eine irrige Diagnose gestellt, die H3'"dro- nephrose mit Ovariencyste verwechselt und die Laparotomie schon ausgeführt worden wäre. Auf gleiche Art sind auch andere retro- peritoneale Cystengeschwülste zu behandeln, welche eine Exstirpation nicht zulassen, endlich auch Cysten der pancreas, wie Gnssetihaver, TJiiersch und Andere gethan. C. Nephrectomie. Die Exstirpation einer Niere wurde erst 1871 durch SliiKin mit Erfolg ausgeführt. Anzeigen zur Vornahme dieser Operation sind: a) Verletzungen einer Niere durch äussere Traumen, mit Zerreissung des Parench3'ms und heftigen Blutungen oder mit Organprolaps; eventuell Continuitätstrennungen eines Ureter gelegentlich anderer operativer Eingriffe, hj Erkrankungen einer Niere, als Lithiasis renalis, Pyo- und Hj^dronephrose, endlich auch Nierentuberculose. c) Neubildungen. — 744 — Absolute Anzeige zur Nephrectomie geben eigentlich nur Ver- letzungen der oben erwähnten Bedeutung, und Neubildungen. Bei den Erkrankungen ist, mit Ausnahme der Nierentuberculose, auch in der Nephrotomie ein Mittel gegeben, um Abhilfe zu schaffen; die Anzeige zur Nephrectomie ist mithin eine relative, eine bedingte. Gegenanzeige gibt eigentlich nur eine gleichzeitige ernste Erkrankung der anderen Niere. Bevor man sich also zur Vornahme der Nephrectomie, welche selbstverständlicherweise nur eine Niere allein betreffen kann, ent- scheidet, muss früher constatirt werden, ob die andere Niere gesund und functionstüchtig sei, und ob nicht jene anormale Verschmelzung beider Nieren vorliege, die man als Hufeisenniere bezeichnet. Die Excision einer Niere wird bei Intactheit der anderen sehr gut ver- tragen indem die gesunde durch Volumszunahme und Steigerung ihrer Thätigkeit den Entfall compensirt. Die Hufeisenniere kann nur durch Simonisirung via recti, also durch Palpation ermittelt werden. Socin hat die Hälfte einer Hufeisenniere mit Erfolg resecirt. Die Abtren- nung der kranken von der gesunden Hälfte erfolgte mittelst Thermocauter im Verbindungsstücke, welches 4 Centimeter hoch und 2 Centimeter dick sich erwies. Einige spritzende Nierengefässe in der Durchtren- nungsschichte mussten separat unterbunden werden. Es gibt zwei Methoden eine Niere zu exstirpiren : durch das cavum abdominis — transperitoneal — und ohne Verletzung des Bauch- felles — retroperitoneal ; erstere ist nur bei beweglichen Nieren mög- lich, gleichgiltig ob einfache Wanderniere oder beweglicher Nieren- tumor, letztere bei fixirten, id est normal gelagerten Nieren angezeigt. Zur transperitonealen Nephrectomie wird zuerst laparotomirt, wozu eine Stelle der Bauchwand dienen soll, welche dem Tumor entspricht und gute Zugänglichkeit abzugeben verspricht. Nach Blosslegung der Niere wird zunächst das peritoneale Deckblatt entlang dem äusseren Colonrande durchschnitten, die Niere sodann aus ihrer längsgespaltenen Fettcapsel geschält und nach Unterbindung ihres Stieles : arteria und Vena renalis, vom ureter abgetragen. Die leer zurückbleibende, in ihrer Weite der Grösse der Niere entsprechende Wundhöhle, muss nach sorgfältiger Stillung jeder Blutung, nach hinten etwa fingerbreit unterhalb der letzten falschen Rippe contraincidirt und drainirt werden, worauf eine Vernähung der Peritonealspaltränder den her- metischen Abschluss der Wundhöhle vom cavum abdominis besorgt. Terrier heftet die Peritonealspaltränder in die zum Theile offen bleibende Laparotomiewunde. Dadurch wird die Wundhöhle sackförmig mit der Aussenwelt in Verbindung gebracht, die Bauchhöhle bleibt vollends abgeschlossen und kann man auch das Drainiren durch die Lende eventuell ersparen, indem die Gummirohre von vorne her durch die Lücke der Bauchdecken eingelegt werden. Die retroperitoneale Nephrectomie hat mehrere Schnittmethoden: eine Gruppe wählt die regio retrolumbaris als Operationsfeld; eine zweite dringt durch die regio latero-lumbalis ein und bahnt sich durch Ablösung des Bauchfelles den Weg zur Niere, trifft sie also ent- fernter vom hilus; eine dritte Gruppe endlich benützt beide Regionen zugleich. Die reinen retrolumbaren Methoden zählen geradlinige, krummlinige, quere und Lappenschnitte. Als Typus der geradlinigen retrolumbaren Verfahren gilt die Methode von Simon, nach welcher — 745 — die erste Nephrectomie am Menschen ausgeführt wurde. Ihre Technik besteht in Folgendem: der tiefchloroformirte Kranke wird in halbe Bauchlage gebracht, sein Kopf so gewendet, dass das Gesicht am Rande des Kopfpolsters freiliegt. Der Operateur sucht den äusseren Rand des musculus sacro-lumbalis auf und führt entlang demselben einen Schnitt, welcher am oberen Rande der elften Rippe beginnt und senkrecht bis zur Mitte des Raumes zwischen crista ilei und unterem Rande der zwölften Rippe reicht. Die Bestimmung der Rippenzahl muss mit grosser Genauigkeit vorgenommen und nicht vergessen werden, dass die zwölfte Rippe auch nur rudimentär vorhanden sein oder ganz fehlen kann. Nach Durchschneidung der Haut, des panni- culus und der Fasern des latissimus dorsi wird das hintere Blatt der Sacrolumbalfascie sichtbar: man spaltet es, macht den äusseren Rand des musculus sacro-lumbalis sichtbar, lüftet ihn und lässt ihn etwas abziehen, der Wirbelsäule zu. Nun kommt das hintere Blatt der Fascie zum Vorschein, welches ebenso wie das vordere in der ganzen Wund- länge, von der letzten Rippe ab durchschnitten wird, worauf nach Abziehung der beiden Spaltränder der musculus quadratus lumborum zu Tage tritt. Dieser und die darunter liegende fascia abdominis transversa bilden die zwei letzten Deckschichten: bevor man beide durchschneidet, müssen die zwei, das Operationsfeld kreuzenden Arterien: intercostalis infima und lumbalis prima, durch doppelte Unterbindung gesichert werden. Mit der Durchschneidung der fascia transversa ist das cavum retroperitoneale geöffnet, die Niere liegt zu Tage, kehrt ihre Hinterfläche dem Operateur zu, nicht aber ihrer ganzen Länge nach, denn das obere Dritttheil ragt höher hinauf und birgt hinter den drei letzten Rippen. Der erste Act der Operation ist damit beendet; der zweite, bestehend in der Aus- schälung und Vorziehung der Niere aus ihrer Nische, beginnt. Die Isolirung der Niere besteht, wie gesagt, in der Auslösung der Niere aus ihrer Fettcapsel und geschieht auf stumpfe Weise mit Benützung des Fingers. Obwohl de norma die Niere ihre Gefässe nur im hilus hat, so können doch auch vasa aberrantia vorkommen, welche an nicht früher bestimmbaren Stellen, wohl meistens am oberen Pole, aber auch anderswo directe zur Niere ziehen. Begegnet der Finger während des Abschälens resistenteren Strängen, so wird die Vorsicht gebieten, diese, weil möglicherweise gefässhältig, zunächst doppelt abzubinden, bevor man sie durchschneidet. Zur Einführung der Liga- turfäden dienen Arteriennadeln. Die Ausschälung ist nicht immer leicht: bei Steinnieren, namentlich aber bei Pyonephrose, kommt es durch perirenale Entzündungen zu starken Adhärenzen, ja oftmals erscheint die Niere statt in einer Fett- in einer Narbencapsel einge- hüllt. Bei solchen Vorkommnissen ist insbesondere die Herausbeförde- rung der Niere aus ihrer retrocostalen Nische eine schwere Aufgabe und es tritt dann an den Operateur die Nothwendigkeit heran, mehr Platz zu schaffen, die im Wege liegenden Rippenpartien zu reseciren. Die Entnahme von Stücken aus der elften und zwölften Rippe, oder selbst aus letzterer allein, ist aber kein ungefährliches Beginnen, weil hierbei die pleura verletzt und die Pleurahöhle eröffnet werden kann. Pleuraverletzungen ereignen sich namentlich leicht beim Fehlen oder bei bloss rudimentärer Entwickelung der zwölften Rippe, wobei - 746 — die elfte fälschlicherweise als zwölfte angesehen wird. Die pleura parietalis reicht nämlich in schräg abfallender Richtung so sehr tief, dass sie in der regio retrolumbalis selbst noch einen Tlieil der Innen- fläche der zwölften Rippe überzieht. Auch eine subperiostale Rippen- resection gibt keine sichere Gewähr vor einer Verletzung der pleura, indem letztere, sowie auch das Periost äusserst dünn sind und dem Drucke des Elevatoriums nicht genügenden Widerstand leisten. Nur bei Bestand entzündlicher Processe mögen Periost und pleura ver- dickt sein. Die schräge Abfallsrichtung der pleura parietalis verhält sich jedoch zur Länge der zwei letzten Rippen derart, dass deren vorderes Viertheil unter allen Verhältnissen frei bleibt; man muss sich also bei der Rippenresection stets darauf beschränken, ja nicht mehr als das vordere Viertheil abzutragen, dann wird, nach Le Dentn, auch der Möglichkeit einer Pleuraverletzung aus dem Wege geblieben. Tlriar sah nach beendeter, ohne Rippenresection vorgenommener Nephrectomie die blossliegende dünne pleura spontan einreissen, im Augenblicke als Patient heftig erbrach. Rasche Sutur des Risses rettete den Kranken. Bei strammer Adhäsion der Capsula propria mit der schwartig veränderten Capsula renis ist jedoch auch das Losmachen der Vorderwand insofern gefährlich, als bei rohem Vorgehen dabei die Colonwand oder das peritoneum parietale verletzt werden können. Wären derart innige Verwachsungen vorhanden, dass die stumpfe Ausschälung aus der Nierencapsel nicht gelänge, so müsste, um colon und Peritoneum ausser Spiel zu lassen, die Capsula propria renis durchschnitten und die Niere aus ihr herausgeschält werden. Die Capsula propria verbleibt dann in der Wundhöhle, diese zum Theile austapezirend. Weil aber bei dieser Art Ausschälung eine parenchy- matöse Blutung aus der Niere nicht zu umgehen ist, so empfiehlt es sich dabei, früher dem hilus zuzusteuern, ihn blosszulegen und zuerst die Stielunterbindung auszuführen, bevor man die Auslösung zu Ende führt. Der de norma dritte Act der Operation besteht in der sicheren Unterbindung des Stieles und sodann in der Abtrennung der Niere oberhalb der Ligatur. Das topographische Verhältniss der drei Stielcomponenten von rückwärts her gezählt ist folgendes: zunächst der ureter, dann die arteria, endlich am tiefsten die vena renalis. Die Sicherung wird mit starker Seide vorgenommen und kann dabei auf mehrfache Weise vorgegangen werden. Thornion will den ureter nicht unterbinden; er durchschneidet ihn isolirt und fixirt das periphere Ende in den unteren Wundwinkel, damit etwa darin stagnirender Urin oder Eiter abfliessen können. Dieses Vorgehen ist nicht immer ausführbar, daher die meisten Chirurgen eine Abbindung des ureter (offen darf er in der Wund- höhle nie gelassen werden) vorziehen. Ob nun die Unterbindung der drei Componenten en masse zu erfolgen habe, ob ureter für sich und die Gefässe wieder separat zu unterbinden seien, oder ob gar jedes einzelne gesichert werden sollte, richtet sich wohl nach dem Gutdünken des Operateurs, oft genug nach gegebener Nothwendig- keit. Läge beispielsweise der Fall vor, dass die Ligatur früher angelegt werden müsste, bevor die Ausschälung beendet ist, würde das Vorziehen der isolirten Niere besondere Schwierigkeiten bereiten, — 747 — oder würde dabei eine stärkere Blutung auftreten, so unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass nur eine Massenunterbindung möglich sei. Bei stärkerer Blutung ist man sogar gezwungen, provisorisch Klemmen am Stiele anzulegen und die Ligatur auf später zu belassen, wenn die Niere abgetragen; ja man kann in die Lage kommen, sogar die Klemmen in der Wunde zurücklassen zu müssen, bis sie abfallen, wenn die Anlegung nachträglicher Ligaturen unausführbar erschiene. Sind günstigere Verhältnisse vorhanden, lässt sich die aus- geschälte Niere anstandslos aus ihrem Lager herausziehen, wird der Stiel deutlich sichtbar und zugänglich, so kann auch in dem einen oder in dem anderen Sinne isolirt unterbunden werden, even- tuell zunächst isolirt und dann noch dahinter en masse. Die Scheidung der Arterie von der Vene ist nur durch stumpfe, zugleich als Faden- leiter dienende Instrumente möglich, aber wohl kaum besonders zu empfehlen, da hierbei eine Verletzung der vena renalis als dünn- wandigeres Gebilde möglicherweise vorkommen kann. Billroth macht aufmerksam, dass bei rechtsseitiger Nephrectomie, beim Vorziehen der Niere aus ihrer Nische, auch die vena cava von der Wirbelsäule weg nach aussen mitverzogen werden könne und dieser Umstand eine Eröffnung dieser Vene bei der Isolirung des hilus bedingen kann; insbesondere bei vorhandener Schwartenbildung vergesse man dieser Möglichkeit nicht. Bei einer Massenunterbindung wird die Ligatur- schlinge auf der Leitung der Fingerspitzen, welche die Niere um- greifen und vorziehen, eingeführt. Um in besonders schwierigen Fällen, wo die Fingerspitzen keinen genügenden Raum finden um bis zum hilus vorzudringen, dennoch auszukommen, hat Torres eine eigene S-förmig gekrümmte Zange empfohlen, deren Branchen mit vulcani- sirtem Kautschuk überzogen sind. Da die schlanker gebaute Zange weniger Raum einnimmt als die Finger, so kann das Erfassen des Stieles damit wesentlich erleichtert werden. Stünde nach Anlegung und Knüpfung der Ligatur eine Lockerung der Schlinge zu befürchten, so könnte auch eine elastische Ligatur Anwendung finden. Beim Ab- schneiden der Niere ist die Excision im Nierengewebe selbst aus- zuführen, so dass ein Theil des pelvis renis zurückbleibt, damit die Ligatur nicht abgleiten könne. Die Wunde wird mit Jodoformgaze ausgefüllt und am besten ganz offen gelassen. Die Shnon'sche Schnittführung hat den Vortheil, das man direct zum hilus kommt, sie hat aber auch einige Nachtheile; so namentlich die Dicke der Deckschichten in der Retrolumbargegend, welche eine bedeutende Tiefe der Wunde involviren, ferner bietet sie auch geringe Zugänglichkeit, ein Umstand, der bei Nierentumoren äusserst störend ist und leicht zu einer Pleuraverletzung Anlass geben kann. Die gleichen Nachtheile, wenn auch etwas grössere Zugänglichkeit, gibt die Schnittführung von Bn/ns und Linser^ eine Variante, welche sich von der Simoii&chQn Methode dadurch unterscheidet, dass der Vertical- schnitt tiefer beginnt, nämlich am oberen Rande der zwölften Rippe und bis zur crista geführt wird, ferner dass man den Schnitt weiter nach vorne rückt, so dass er nicht entlang dem Aussenrande des musculus sacro-lumbalis zieht, welcher einer Distanz von 6V9 Centi- meter von den Dornfortsätzen der Lendenwirbel entspricht, sondern 8 Centimeter davon entfernt bleibt. Dabei kann der vorderste Theil — 748 — der zwölften Rippe resecirt werden oder auch nicht, je nach bestehen- der Nothwendiiikeit. Bei dieser Schnitti'ühruni; muss nach gespaltener fascia transversa genau auf den Stand des Peritoneum geachtet werden, damit es nicht in den Schnitt falle, sondern bei Zeiten abgelöst werden könne. Auch das colon ist mehr in Gefahr als beim Simon sehen Schnitt, und der hilus scheint weiter nach innen gerückt. Tori-e.s- gestaltet den xbV//(on'sclien Schnitt concav nach vorne und verlängert ihn entlang dem äusseren Rande des musculus quadratus lumborum. Lucas und Morris benützen den Yerticalschnitt nach Bruns-Liaser und lassen von ihm einen Querschnitt ausgehen, welcher der letzten Rippe parallel nach rückwärts läuft, \ 2 Zoll von ihr entfernt. Lucas macht zuerst den verticalen und dann den horizontalen Schnitt, Morris umgekehrt. Cowper endlich will bloss einen Querschnitt anlegen, ähnlich wie bei der Colotomia lumbalis. Wenn man die regio latero-lumbalis als Operationsplanum wählt, so kommt man, nach getrennter fascia transversa, stets auf das Peritoneum und muss es zunächst von der Bauchwand losschälen, ehe man zur Niere selbst und in den retroperitonealen Raum gelangt. Sollte das Bauchfell beim Abheben einreissen, so müsste zunächst die Lücke mit Catgut genau suturirt werden, ehe man weiter operirt. Alle latero-lumbalen Methoden haben den Vorzug grösserer Zugäng- lichkeit und leichterer Ausschälbarkeit der Niere, dagegen den Nach- theil weiterer Entfernung vom Stiele, der die Unterbindung desselben in etwas erschwert. Man benützt diese Methoden daher namentlich bei Nierentumoren oder Hydronephrosen, welche durch Retrolumbal- schnitte wohl kaum angegangen werden können. Nach gemachter Exstirpation macht die Tiefe der Wundhöhle, eine Contraincision und Drainage am Vorderrande des musculus sacro-lumbalis nöthig, damit keine Secretstauung eintrete. Latero-lumbalschnitte sind angegeben worden: von i: Bergmann: von der Spitze der elften Rippe schräge nach vorne zum äusseren Dritttheile des Poupart'schen Bandes; von Czerny: Schrägschnitt von der Spitze der zwölften Rippe über die grösste Convexität des Tumor, mit oder ohne gleichzeitiger Resection des Rippenendes; von Kosinski: Schrägschnitt vom elften Intercostal- raum entlang der Faserung des obliquus externus, endlich von Thornton, der parallel der concaven Tinea semicircularis einschneidet, und von Trelat, welcher mehr vorne und vertical incidirt, entsprechend der Sehne der Bogenlinie. Bei Benützung latero-lumbaler Schnittmethoden ist es meistens von Vortheil, nach Abschälung des Bauchfelles sofort entlang der Vorderfläche der Niere zum hilus vorzudringen, gleich die Ligaturen anzubringen und dann erst zur Ausschälung des Tumor zu schreiten. Zum Zwecke einer ausgiebigeren Blosslegung von Nierengeschwülsten, zumal entzündlichen Ursprungs, empfiehlt König beide Lumbairegionen zur Schnittführung zu benützen, die hintere sowohl als auch die seitliche. Der Schnitt soll an der letzten Rippe beginnen, sodann zunächst senkrecht nach abwärts ziehen, entlang dem äusseren Rande des betreffenden Rückenstreckers, bis einige Centimeter oberhalb des Darmbeines, und von da im Bogen dem Nabel zu sich wenden, um am äusseren Rande des rectus abdominis zu enden, oder im Nothfalle sogar bis zum Nabel zu reichen. Oefter mag es auch zweckmässig sein, den Lendenschnitt nicht senkrecht, sondern gleich — 749 — etwas schief zu richten, so dass er in flachem Bogen in den queren, dem Nabel zusteuernden Schnitt übergeht. In der Richtung der ge- dachten Schnitte werden sämmtliche Muskeln durchtrennt; im senk- rechten Theile nach Simon'soher Art, im queren der latissimus dorsi, sowie die schiefen und queren Bauchmuskeln; unter Umständen auch Theile des geraden Bauchmuskels nebst der fascia transversa; das Peritoneum bleibt vorderhand unverletzt und wird je nach Bedarf mit der Hand abgelöst und vorgeschoben. König bezeichnet diese Methode als retroperitonealen Lendenbauchschnitt. Erweist sich während der Operation die absolute Xothwendigkeit, der vorhandenen Geschwulst auch von der Bauchhöhle beizukommen, so wird unter entsprechenden Cautelen nun- mehr auch das Bauchfell von seiner Umschlagstelle nach vorne gespalten. König benennt diese Variante den retro-intraperitonealen Lendenbauch- schnitt. Damit nach der Durchschneidung so vieler Muskeln keine Bauchbrüche zurückbleiben, vernäht man die Muskelränder wechsel- seitig mit starkem Catgut oder Seide auf das genaueste, und legt die Nahtfäden schon gleich nach der Durchschneidung der Muskeln an, um die sich entsprechenden Muskelwundränder zu markiren und das spätere Vernähen zu erleichtern. Die Patienten sollen weiters vier Wochen lang die Bettlage einhalten und dann dauernd eine passende Bauch- binde tragen. Endlich wäre noch der Thürflügelschnitt von Bardenheuer an- zuführen: Längsschnitt von der elften Rippe zum Darmbeinkamm, dann an den Endpuncten quere Erweiterungsschnitte nach beiden Richtungen. D. Nephropexis (Nephrorrhaphie). Wenn die Wanderniere grosse Beschwerden verursacht und durch Bandagen nicht zurückgehalten werden kann, dann bei Complication mit intermittirender Hydro- nephrose tritt die Fixirung der Niere an ihrer normalen Stätte auf operativem Wege zur Anzeige. Da die Niere retroperitoneal gelegen ist, muss auch der Weg zu ihr von der Lumbaigegend extraperi- toneal genommen werden. Wie die Niere blossgelegt wird, wurde schon erörtert, es bleiben sonach nur die verschiedenen Fixirungs- methoden zu besprechen. Hahn, der die erste Nephropexie ausführte, vernähte die Capsula adiposa, später adiposa und propria an die Lumbalmusculatur. Recidiven der Ptose traten ein; die Verfahren wurden verlassen. Bassini führte die Fixationsfäden durch das Nieren- parenchym, ein Verfahren, welches nicht nur die Niere schädigt, weil in der Umgebung der versenkten Nahtfäden Sclerosirungen ent- stehen, sondern auch keinen wesentlichen Vortheil bietet, weil dabei ja keine strammeren Verklebungen als bei der Hahn'schen Methode entstehen, indem die miteinander verwachsen sollenden Gewebs- schichten die gleichen bleiben. Guyon dachte bessere Verwachsung zu erreichen, wenn er die Capsula propria mit der Lumbalmusculatur vernäht und exstirpirt daher vor Anlegung der Naht die Capsula adiposa. Auch diese Methode entsprach nicht den Erwartungen. Da bei der Ausführung der eben gedachten Operationsmethoden nach Fixirung der Niere mit versenkten Nähten auch die äussere Wunde verschlossen und prima intentio angestrebt wurde, glaubten Brian und Jahoulaii bessere Erfolge damit erzwingen zu können, dass sie die äussere Wunde tamponirten und Vernarbung durch Granulations- — 750 — bildun.ir anstrebten. Die Narbe sollte eben die Niere sicherer an Ort und Stelle fixiren. Einen wesentlichen Umschwung in der Frage der Nephropexis brachte Lloyd, indem er durch Thierexperimente nachwies, dass die Niere dann sichere Verwachsungen mit der Umgebung eingehe, wenn die anzuwachsende Fläche vorher von der tunica propria be- freit werde; er erfand die Decorticationsmethode, welche bald von Tufßer mit günstigem Erfolge am Menschen zur Anwendung gebracht wurde. Ohaliiisky empfiehlt die corticalis durch einen Thürflügelschnitt zu trennen, die beiden Lappen loszulösen und sie an die Innenfläche der Lumbalmusculatur anzunähen, wodurch die entblösste Nieren- rindenpartie an letztere angepresst wird und dort mit ihr feste Ver- wachsungen eingeht. Bädinger spaltet die Nierencapsel nach Abtragung ihrer Fettumhüllung durch einen H-förmigen Schnitt, präparirt beide Lappen gegen die Nierenpole hin ab, zieht jeden Lappen durch je eine Muskellücke mittelst Kornzange durch und vernäht nach ent- sprechender Anspannung der Lappen, wodurch die Anpressung der entblössten Nierenpartie zu Stande kommt, dieselben mit der ober- flächlichen Rückenfascie. Nebst der Befestigung der Niere an die Musculatur der Lende sind auch Skelettheile hiefür in Verwendung genommen worden, so von Hoidtz der processus transversus eines Lum- balwirbels, und von Jonnesco die zwölfte, eventuell auf die elfte Rippe, und zwar an das Periost derselben. Nebstdem werden durch die Haut, Musculatur und Nierensubstanz Bäuschchennähte zur Fixation ver- wendet, welche am zwölften Tage wieder entfernt werden, die den Vorzug vor den versenkten Parenchymnähten haben sollen, dass sie weniger zu Sclerosirungen in der Nierensubstanz Veranlassung geben. Nach welcher Methode immer die Niere befestigt werden möge, stets muss Rücksicht genommen werden, dass dabei der Urether keine Knickung erfahre. VII. Capitel. Operationen an den männlichen Geschlechtsorganen. I. Operationen an der Vorhaut. Die Verengerung der Vorhaut kann angeboren oder erworben sein. Phimosis adnata kommt in zwei Formen vor, als atrophica, wobei die Vorhaut äusserst dünn ist und gespannt die Eichel umfasst; ihre Ausmündung oder Endöffnung pflegt haarfein zu sein, oft kaum für einen Sondenknopf wegsam. Bei der angeborenen Phimosis hypertropMca ist die Vorhaut lang und überragt rüsselartig die Eichel. Die atrophische Phimose combinirt sich nicht selten mit Verwachsung der Innenfläche der Vorhaut mit der Aussenfläche der Eichel, die hypertrophische öfters mit Verklebungen. Der Grad der Verengerung kann sehr variiren; der enge Theil der Vorhaut ent- spricht in der Regel dem Uebergange der äusseren Haut in das innere Schleimhautblatt. Erworben wird eine Phimose durch Narben, acut entwickelt sie sich in Folge entzündlicher, beziehungsweise ulceröser Processe. Die operativen Verfahren bei bestehender Phimose — 751 — können in der unblutigen, raschen oder langsamen Erweiterung und in der Spaltung der Vorhaut bestehen. Zur unblutigen Dilatation eignen nur mindergradige angeborene Phimosen. Als Dilatatoren benützt man theils quellende Stoffe: Pressschwammkegel, Laminaria etc., die man zwischen praeputium und glans so einschiebt, dass sie zum Theile durch den Vorhautring vorragen, oder eigene Instrumente, welche nach Art der Handschuhdehner durch Diastasirung ihrer Blätter wirken. Sie werden geschlossen eingeführt und dann gradatim wirken gelassen. Carver und Bickmond haben letzter Zeit derlei Apparate angegeben, welche theils durch Feder-, theils durch Schraubenwirkung in Action zu setzen sind. Gewaltsam kann bei massigen Phimosen auch dadurch gedehnt werden, dass man eine plötzliche forcirte Reiraction vornimmt und in einem Ruck die Eichel entblösst; es setzt wohl dabei am Innenrande Einrisse ab. Damit keine Paraphimose entstehe, muss die Vorhaut sofort reducirt und damit die Risse nicht wieder verwachsen, das Verfahren öfters wiederholt werden. Dieses Vorgehen ist wohl nur bei bestehenden Epithelialverklebungen empfeh- lenswerth, welche dadurch getrennt werden. Die blutige Abhilfe einer Vorhautverengerung besteht in einer Längsspaltung des praeputium, welche auf verschiedene Art bewerk- stelligt werden kann. Zunächst kann man sich darauf beschränken, nur den Uebergangsring und das Schleimhautblatt allein zu durchschneiden, wozu eine gerade Schere nothwendig ist. Es wird damit nach Ein- führung des stumpfen Blattes in den Präputialring dieser durchschnitten, während man durch passive starke Retraction des Hautblattes die nöthige Anspannung besorgt; hierauf schiebt man das spitze Blatt der Schere zwischen Haut und Schleimhautblatt, also subcutan ein, während das stumpfe Scherenblatt an der glans penis, zwischen ihr und dem Schleimhautblatte der Vorhaut gleitet, bis zur Corona glandis. Ein Scherenschluss trennt das Schleimhautblatt in der Längsrichtung, während das Hautblatt unversehrt bleibt. Die Heilung erfolgt durch Granulation; regelmässige Entblössung der Eichel ist nothwendig, um dem Narbenzuge entgegenzuwirken und auch um dem Gebote der Rein- lichkeit zu genügen. Eine zweite Methode besteht in der Trennung beider Vorhautblätter vom Ringe aus; auch diese kann mit der Schere besorgt, oder auf der Hohlsonde mit dem Messer ausgeführt werden. Bedingung bei beiden Methoden ist Nichtverwachsung des inneren Blattes mit der glans; Verkleb ungen können leicht getrennt werden. Operirt man mit dem Messer, so schiebt man zuvörderst eine Hohl- sonde durch den Vorhautring zwischen Schleimhautblatt und Eichel bis zur Corona, lässt durch einen Gehilfen das Hautblatt stark retrahiren, erfasst selbst die Sonde und drückt ihren Griff nach abwärts, wodurch das eingelegte Ende die Vorhaut empordrängt und dadurch die An- spannung vervollkommnet. Dieses Sichtbarmachen der Sonde gibt auch den Beweis, dass letztere richtig eingelegt und nicht fälschlicherweise etwa in die Harnröhre eingeschoben worden sei. Ein Spitzbistouri, in der Rinne vorgeschoben, durchsticht am Sondenende beide Vorhaut- blätter und schneidet sie beim Rückführen der ganzen Länge nach durch. Lässt der Gehilfe das operirte Glied aus, so rückt das Haut- blatt vor und bedingt dadurch eine Verschiebung der hinteren Wund- winkel. Man untersucht nun, ob die Trennung hinreiche, um die — 752 — Eichel anstandslos entblössen zu können; wäre sie unzureichend, so spaltet man weiter, aber nur das Schleinihautblatt allein, und zwar entweder in der Verlängerung des Längsschnittes, oder nach Roser durch Beigabe von zwei divergirenden, schräge nach rückwärts ziehenden Schnitten, welche aus dem Schleimhautblatte ein kleines dreieckiges, die Basis nach rückwärts kehrendes Läppchen formen. Dieses Läpp- chen wird nach rückwärts zu umgeschlagen und dessen Spitze in den Schnittwinkel des Ilautblattes durch Catgutnähte befestigt. Die Ränder des Längsschnittes werden ebenfalls durch Catgutnähte geschlossen, und zwar derart, dass jederseits der Wundrand des Schleimblattes mit jenem des Hautblattes in Nahtvorbindung gebracht wird. Bedient man sich nur eines Längsschnittes, so wird auf gleiche Art genäht. Trelat ersetzt die Naht durch Serres fines, die er nach 24 Stunden abnimmt. Ist alles besorgt, so hüllt man die Eichel in Jodoformgaze, zieht darüber die gespaltene Vorhaut und wickelt neuerdings Gaze aussen herum mit der Vorsicht, dass die Harnröhrenmündung frei bleibe. Jene Formen von angeborenen, möglicherweise auch erworbenen Phimo- sen, bei denen eine innige Verwachsung des inneren Präputialblattes mit der glans penis besteht, machen die Operation in der bisher be- schriebenen Weise unmöglich; bei diesen seltenen Vorkommnissen kann nur eine circuläre Abtragung des Vorhautringes, soweit die Verwachsung es gestattet, die Blosslegung der Harnröhrenmündung be- werkstelligen. Bei Individuen, welche aus Bluterfamilien stammen, oder bei zufällig erlittenen früheren Verletzungen Neigung zu prolongirten, schwer stillenden Blutungen kundgegeben haben, wäre die Spaltung der verengten Vorhaut besser mittelst Galvanocaustik auszuführen. Die Naht entfällt. Paraphimosis nennt man die Einklemmung der glans penis durch den engen Vorhautring; sie entsteht, wenn das phimotische präputium gewaltsam bis hinter die Corona glandis verschoben wird. Da jede Einklemmung Circulationsstörungen im Gefolge hat, so wird auch bei der Paraphimose alles leiden, was vor der Einklemmung liegt; also glans penis und inneres Vorhautblatt, insofern als die Einklemmung vom Uebergangsringe beider Präputialblätter abgegeben wird. In Folge behinderten Rückflusses des venösen Blutes schwillt die Eichel an, vermehrt durch Contrastwirkung die Schwierigkeiten der Reduc- tion und gestaltet die Einklemmung intensiver, so zwar, dass das Schleimhautblatt, welches zarte Gefässe besitzt und der Klemmwirkung am stärksten unterliegt, der Inanition verfallen, brandig absterben kann. Die Reduction der verschobenen Vorhaut geschieht entweder durch manuelle Taxis, oder auf operativem Wege durch Incision des Vorhautringes. Erstere muss auf doppelte Art wirken: einmal durch erzwungene Abschwellung der Eichel, sodann durch directen Zug des Schleimhautringes über die glans nach vorne. Die Abschwellung Avird auf recht zweckmässige Weise durch Anlegung einer elastischen Binde erzwungen, mit der man die glans bis hinter der Einklemmung um- wickelt. Nach etwa 10 Minuten nimmt man die Binde ab und reponirt ziemlich leicht. Man umfasst die glans mit beiden Daumen und hakt die Spitzen beider Zeige- und Mittelfinger hinter dem Vorhautringe — / Oo — ein. Nähert man nun die Finger den Daumen, so wird der Ring gewaltsam vorgezogen und die gians durch den Ring nach rückwärts gedrückt; oder man umfasst das Glied mit der ganzen Hand und drängt die Vorhaut vor, während Daumen, Zeige- und Mittelfinger der anderen Hand, concentrisch zu einander gestellt, die glans zusammendrücken und durch den Ring treiben. Wäre schon Gangrain im Schleimhautblatte vorhanden, so dürfte natürlich von der ela- stischen Binde kein Gebrauch gemacht werden und wäre die Taxis überhaupt gegenangezeigt. Die operative Abhilfe tritt dann in ihre Rechte, wenn Gangrain vorhanden ist oder die Taxis nicht gelingen will; sie besteht in der Durchschneidung des Vorhautringes, welcher hinter dem wulstig ge- schwellten, in Querfalten gelegten Schleimhautblatte zu suchen ist. Das Einschneiden besorgt ein Scalpell, eventuell eine Schere, deren spitzes Blatt man unter den Ring schiebt. Circumcision. Die Abtragung der Vorhaut ist angezeigt: bei zu langer, mit angeborener Phimosis complicirter, rtisselartig die Eichel überragender Vorhaut und bei Erkrankungen derselben : Ulcera, aus- gebreitete Condj'lome, Papillome, Epitheliome. Bei Erkrankungen wird die Circumcision stets mit einer Längsspaltung der Vorhaut eingeleitet, schon behufs Präcisirung der Diagnose. Man fasst hierauf jeden Lappen einzeln mit einer Hakenzange, spannt die Vorhaut und schneidet, ent- sprechend der Ausdehnung des die Circumcision indicirenden Leidens, in schrägerem oder steilerem Ovalairschnitte beide Vorhautblätter gleichzeitig durch, wofür am besten eine krumme Schere dient. Nach gepflogener Blutstillung durch Catgutligaturen vernäht man die Wund- ränder des Schleim- und des Hautblattes miteinander. Etwas different gestaltet sich die Operation, wenn es sich bei übermässiger Länge und Enge der Vorhaut um eine Kürzung dieser handelt. Eine vorgängige Längsspaltung ist dabei unnöthig und selbst unzweckmässig; man amputirt besser einfach den Ueberschuss, id est jenes Stück, welches die Eichel überragt. Hiefür werden zwei kleine spitze Doppelhaken durch die Präputialöffnung so eingesenkt, dass jeder den Ring vom Schleimhautblatte aus fasst, die Hakenspitzen somit nach aussen kehren. Die zwei an entgegengesetzten Stellen des Präputialringes angelegten Haken werden einem Gehilfen übergeben, welcher durch Zug das innere Blatt des präputium spannt und den Uebergangsring möglichst weit vorzieht; ein zweiter Gehilfe fasst die Penishaut hinter der Eichel und retrahirt sie nach rückwärts. Nunmehr sind beide Blätter der Vorhaut gespannt: das Innenblatt durch Zug, das Aussenblatt durch Retraction, Der Operateur bestimmt die Lage der Eichelspitze, klemmt vor dieser die Vorhaut mit einer Zange ab, und trägt knapp an und hinter ihr die plattgedrückte Vorhaut quer ab, mit der Vorsicht, die Messerschneide entlang der Zange gleiten zu lassen, um die Spitze der Eichel nicht zu verletzen. Schneidet man vor der Zange ab, so behält man gequetschte Wundränder. Der Penis, dessen Eichelspitze sichtbar geworden, zeigt nun zwei concentrische Wundringe : der engere innere gehört dem Schleimhaut- V. >f ose tig - M 0 o rh of : Handbuch d. chirurjf. Technik. 4. Aufl. 48 — 754 — blatte an, der weitere äussere der Haut. Das äussere Blatt ist so weit, dass die Retraction über die Eichel anstandslos gelingt. Das innere ist enger und erlaubt dies nicht; es muss erst längs incidirt werden, um über die Eichel nach rückwärts geschlagen und daselbst mit dem äusseren Vorhautblatte vereinigt werden zu können. Das Schleimhaut- blatt kann dabei gespalten werden: entweder entsprechend der Mitte der obereu Eichelhälfte, oder bilateral, entlang dem frenulum. Letzt- gedachte Methode gibt den schönsten Enderfolg, indem nur an der Unterfläche des Gliedes, in der Verlängerung des frenulum ein schmaler Längsstreifen unbedeckt bleibt, welcher anstandslos vernarbt. Durch die Bilateralschnitte gestaltet sich das Schleimhautblatt zu einem viereckigen Lappen, welcher umgelegt und mit dem Hautringe vernäht wird. Schneidet man das Schleimhautblatt oben entzwei, so resultirt nach dem Umlegen ein dreieckiger Defect, der seine Spitze der Corona, seine Basis der Vereinigungslinie beider Blätter zukehrt. H. Amputatio penis. Die Abtragung des männlichen Gliedes wird wegen Neubildungen (ausgebreitete Papillome und Epitheliome) vor- genommen; das Glied kann an einem beliebigen Theile seiner pars pendula abgetragen werden bis zur Wurzel hinauf. Je peripherer ausgeführt, desto leichter gestaltet sich die Operation, welche ent- weder mittelst galvanocaustischer Schlinge, oder mit dem Messer vorgenommen wird. Erster e macht die Operation zu einer blutlosen, wenn mit rothglühendem Drahte und langsam vorgegangen wird; die zurückbleibende leichte Verklebung der Urethra trennt man nach- träglich mit einer Hohlsonde. Als einziger Nachtheil dieser Methode wäre eine, aus der Vernarbung resultirende Verengerung der Urethral- mündung im Stumpfe anzuführen, welche zu nachträglichen Dehnungen oder Spaltungen Veranlassung geben kann. Operirt man mit dem Messer, so schnürt man zunächst das Glied hinter der Operations- grenze mit einem Gummiröhrchen ab, entweder vor dem scrotum oder hinter der Scrotumwurzel, je nach der Stelle, wo amputirt wird. Die Abschneidung kann directe in einem oder in zwei Zügen des Messers erfolgen, oder man durchtrennt vorerst kreisförmig die Haut und dann erst, nach etwas zurückgestreifter Hautgrenze, den penis in obiger Weise durch. Den abfallenden Penistheil erfasst der Opera- teur mit den gebeugten Zeige- und Mittelfingern linker Hand und spannt ihn an. legt sodann ein mittleres Amputationsmesser mit der Spitze an die Unterfläche des penis, senkrecht auf dessen Achse und schneidet, das Messer einmal von der Spitze zum Heft und dann zurück vom Heft zur Spitze führend, das Glied ab. Der Stumpf birgt vier Hauptgefässe, welche isolirt unterbunden werden müssen : zwei arteriae penis dorsales, welche in der Dorsumfurche liegen und zwischen sich die unpaare vena penis dorsalis fassen, zwei arteriae corporis cavernosi rechts und links vom septum und etwas davon entfernt; endlich können auch die beiden kleinen bulbo-urethrales stärker bluten und Unterbindung erfordern. Nach versorgten Arterien wird der Constrictionsschlauch abgenommen, die venöse Nachblutung — 755 — durch Compression gestillt, hierauf die kleine Hautmanschette über die Amputationsfläche geschlagen und deren Ränder mittelst vier, in Kreuzform angelegten Knopf heften mit jenen der Urethraschleim- haut vereinigt. Dadurch wird letztere vorgezogen, etwas nach aussen gestülpt und damit jeder späteren Xarbenverengerung vorgebeugt. Die aneinander gerückten Hautränder können noch gegenseitig ver- näht werden, so weit die Sorge für den unbehinderten Secretabfluss es überhaupt gestattet. Bei der Abtragung des Gliedes muss darauf gesehen werden, dass weder zu viel noch auch zu wenig Haut er- halten bleibe. Die grosse Verschiebbarkeit der Penishaut macht das Einhalten goldener Mitte oft schwerer als man glauben sollte. Assakij empfiehlt folgende Operationsmethode: nach Einführung eines Hart- gummicatheters in die Harnröhre und Anlegung einer elastischen Ligatur um die Wurzel des Gliedes wird zunächst Haut und Fascie bis zur albuginea circulär umschnitten und die Dorsalgefässe unter- bunden. Hierauf werden mit zwei seitlichen Längsschnitten von i bis 2 Centimeter Länge die corpora cavernosa penis von dem corpus cavernosum urethrae vorsichtig unter sorgfältiger Blutstillung ab- getrennt und erstere im Niveau des Hautrandes von innen nach aussen durchschnitten. Nach Unterbindung der profundae penis. ringförmige Absetzung der Urethra 1 Centimeter tiefer, id est peripherer und Entfernung der Constriction, endlich wird mittelst Catgut die tunica albuginea in querer Richtung vernäht, so dass ein feiner Querspalt resultirt indem die spongiöse Substanz der corpora cavernosa hauben- förmig abgeschlossen wird. Der Vortheil dieser Ueberdeckung der Schwellkörper durch die albuginea soll eine schnellere Wundheilung sein ; nebstbei erschwert sie Nachblutungen und septische Processe. Für den durch die Quernaht etwas spitz gewordenen Penisstumpf ist die Haut immer etwas zu weit, weshalb es nothwendig wird dieselbe durch zwei seitliche Keilexcisionen anzupassen, um sie mit der um- gestülpten Schleimhaut der Harnröhre mittelst Naht zu vereinigen. Schliesslich antiseptischer Occlusivverband über einen Verweilcatheter. Amputirt man nahe der Gliedwurzel, so muss dafür gesorgt sein, dass der Stumpf nicht aus dem Constrictionsschlauch entschlüpfend weit nach rückwärts sich verlagere, ein Umstand, der den Blutverlust um ein Beträchtliches steigert und die Schwierigkeiten der Operation mehrt. König gibt den Rath, in solchen Fällen die Amputation von der Seite her zu beginnen und zunächst nur zwei Dritttheile des Gliedes durch- zuschneiden; bevor das Glied ganz abgetrennt wird, soll man durch das septum zwischen beiden Schwellkörpern einen Fadenzügel einziehen, an dem der Penisstumpf gehalten und womit dessen Verschlüpfen ver- hindert werden soll. Thif^rsch will bei hoher amputatio penis den Harn- röhrenstumpf isoliren und ihn durch einen Hautschlitz am perineum herausführen, also nach rückwärts verpflanzen, damit dem Operirten die sonst unvermeidliche stete Durchnässung des scrotum mit Urin erspart bleibe, welche Eczeme hervorzurufen pflegt. HL Verfahren bei Hydrocele. Innerlialb der Scheidenhaut des Samen- stranges kommt es gemeiniglich nur zur Ansammlung seröser Flüssig- 48* — 75G — keit — Hj'drocele fimiculi spermatici — ; die Scheidenhaut des Hodens kann an Hj'drocele, Pj^ocele oder Hämatocele erkranken. Die opera- tiven Einjjfriffe bei diesen Formen von Scheidenhautausdehnungen bestehen entweder in der Function, oder in der Eröffnung der Höhle dui'ch den Schnitt, Erstere wird mit einem Troisquart vorgenommen oder mittelst Hohlnadel mit Benützung der Aspiration; benützt man einen gewöhnlichen Troisquart, so möge er kleineren Calibers sein und dessen Canüle einen Sperrhahn besitzen, falls nicht eine blosse Entleerung des angesammelten Fluidum in Absicht wäre. Vor dem Einstechen muss bei Hydrocele testis stets die Lage des Hodens be- stimmt werden, um dessen mögliche Verletzung durch den Troisquart- stachel zu meiden. In der Regel liegt der Hode der Hinterwand des Hodensackes an, vor ihm dehnt sich der Hydrocelenraum; möglicher- weise könnte aber der Hode auch an einer anderen Stelle fixirt sein und ist demnach dessen Lagebestimmung stets nothwendig; Betastung und Durchleuchtung des rosig durchschimmerten Hydrocelensackes verhelfen dazu. Der Einstich muss stets an einer Stelle gemacht werden, wo der Hode nicht liegt und wo keine grösseren Hautgefässe ver- laufen. Der Ort der Wahl ist die vordere Scrotalwand oder der untere Pol, erstere wird zur Function am häufigsten benützt. Der Operateur fast den Hodensack in seine linke Hohlhand und com- primirt zwischen den Fingerspitzen und dem Daumenballen den Sack, so dass er flach gestaltet und durch Mehrung des anteroposterioren Durchmessers ein grösserer Abstand der vorderen Scrotalwand vom Hoden vermittelt wird ; die quergestellte, die Scrotumwurzel kreuzende Daumenphalanx verhindert das Entgleiten des sehr beweglichen Hydro- celensackes in der Richtung nach aufwärts. Durch diesen Handgriff wird die vordere Scrotalwand stramm gespannt und sicher fixirt; die rechte Hand kann nunmehr, bei Vermeidung von Hautgefässen, den Troisquart senkrecht einstechen. Sitzt der Troisquart, so verlässt die linke Hand den Hodensack, den ein Gehilfe übernimmt und einfach stützt, und wird benützt, um den Troisquart zu erfassen und mit drei Fingern zu fixiren: die rechte, jetzt frei werdende Hand entfernt den Stachel und der Abfluss beginnt. Wäre der Troisquart nicht tief genug eingestochen worden, so müsste der Stachel wieder eingeführt, das Versäumte nachgeholt und schliesslich noch die Canüle tiefer einge- schoben werden. Ist alle Flüssigkeit heraus und der Sack leer, so zieht man die Canüle aus der Stichwunde und verlegt letztere mit einem Deckpflaster; wäre eine Radicaloperation der Hydrocele durch Einspritzung reizender Medicamente beabsichtigt, so müssten diese durch die Canüle in den Sack gebracht und je nach ihrer Wirkung kürzere oder längere Zeit darinnen belassen werden, ehe man sie wieder ab- fliessen macht. Die Canüle darf natürlich nicht früher entfernt werden und benöthigt eines Sperrhahnes. Zur Einspritzung werden zumeist Jodlösungen benützt: nach Velpeau die L^tgol'sche Lösung: Jod 1*5, Jodkali 3*0, Wasser .SO; nach Kö7iig irisch bereitete Jodtinctur, welche nicht mehr abgelassen wird, sondern in der tunica vaginalis verbleibt, nach Mazzoni 2 Gramm, einer Jodollösung nach der Formel: Jodoll, Alcohol 16, Glycerin 34; nach v. Langeiibeck Chloroform; nach Guerin Alcohol; nach Leids reine mit Glycerin verflüssigte Carbolsäure (2 bis G Gr.); nach Sarazin. Sublimatlösung 1 : 1000 u. a. m. Bei Hydro- — iiM — cele fimiculi muss man sich, falls Einspritzungen reizender Flüssig- keiten beabsichtigt sind, stets vorerst klar werden, ob Communication des Sackes mit dei^ freien Bauchhöhle bestehe oder nicht. Im Be- jahungsfalle ist der Injection ein sicheres Abschliesen des Verbindungs- canales an der äusseren Leistenpforte mittelst Fingerdruck vorauszu- schicken. Um den Schmerz, welcher der Injection reizender Medicamente überhaupt und der Jodpräparate insbesondere zu folgen pflegt, zu ver- meiden, injicirt Harhordt nach dem Ablassen der Hydrocelenflüssig- keit etwa 2 bis 2"5 Gramm einer iprocentigen Cocainlösung in die entleerte Höhle, knetet sodann, um die Flüssigkeit möglichst gut zu vertheilen, lässt nach einigen Minuten die Cocainlösung abfliessen und nimmt sofort die Einspritzung reiner Jodtinctur vor. Letztere soll nunmehr überraschend gut vertragen werden. Der Radicalschnitt, bei Hydro-, Pyo- und Hämatocele in Gebrauch, besteht in der schichtenweisen Durchtrennung des Hodensackes und endlicher Spaltung der Scheidenhaut. Bevor der A^ollgefüllte Sack eröffnet wird, stille man jegliche Blutung aus den Deckschichten durch Catgutligaturen. Was nach Spaltung der Scheidenhaut weiter zu geschehen habe, entscheidet das Quäle der Anzeige. Bei Pyocele, wo die Deckschichten wechselseitig und mit der Scheidenwand ent- zündlich verklebt sind, begnügt man sich mit einer ausgiebigen Spaltung; bei Hydrocele werden entweder die Scheidenhaut- mit den Hauträndern vereinigt, die Wundspalte also umsäumt, oder es wird die Scheidenhaut {Jtdliard, Reverdin u. A.) in toto excidirt bis auf das Residuum zweier Streifen, die eben genügend gross sind, um den Hoden zu decken; bei Hydrocele funiculi wird nur ein Streifchen zurückgelassen. Letzteres Verfahren soll die Recidiven verhüten, welche bei ersterem, wenn streng nach Lister'^chen Principien vor- gegangen wird, häufig ui jugenehm überraschen; bei Hämatocele müssen die der Innenwand der Scheidenhaut aufsitzenden Vegetationen (Vaginalitis proliferans) oder Schwarten (Vaginalitis chronica) ab- gelöst und abgetragen werden. IV. Operationen bei Varicocele. Die Eingriffe gegen Ectasien des plexus pampiniformis bezwecken eine Ausschaltung der erweiterten Venenbahnen, sei es auf dem Wege der Obliteration, sei es auf jenem der Excision. Der zu unternehmende Schritt sei stets wohldurchdacht und wohlerwogen, denn er zählt nicht zu den gleichgiltigen oder ge- fahrlosen. Abgesehen von den septischen Processen, denen nur durch strengste Antisepsis wirksam begegnet werden kann, folgt dem Ver- schlusse zahlreicher Venenbahnen häufig Atrophie des betreffenden Hodens, endlich bietet auch die sonst gelungene Operation keine sichere Garantie für Dauerheilung, indem nach Ausschaltung der ectatischen Venen die verbleibenden ectasiren. In früherer voranti- septischer Zeit suchte man den Gefahren der Sepsis durch subcutanes Operiren zu begegnen; heutzutage, wo sie nicht so sehr in Rechnung fällt, liebt man es genau zu sehen und genau zu controliren, damit — 7Ö8 — nicht mit den Venen auch andere Gebilde zum Opfer fallen, deren Integrität von wesentlichster Bedeutung für das Leben und die Function des Hodens sind; man operirt also percutan. Die sub- cutane Unterbindung (Bicordj, subcutane Compression (Breschet), die Aufrollung des Venenbündels auf zwei Silberdrähten (Vidal de (Jassi.n) etc. sind nicht mehr gebrauchte Verfahren, nur Bnrvell ver- theidigt noch gegenwärtig die subcutane Methode. Er will nach Isoliriuig des vas deferens und der arteria spermatica das ectatische Venenbündel subcutan mit einem Silberdraht umschnüren. Die Draht- enden kommen bei einer und derselben Stichöffnung der Haut hervor, während der Fadenklang die Venen umfasst. Barwell dreht den Klang allraälig fester und trennt in s bis 14 Tagen das ganze Bündel durch. Die percutanen Methoden bestehen in der Blosslegung der Venen, ihrer Isolirung, doppelter Unterbindung mit Catgut und Excision des Mittelstückes. Köhler vernäht nach der Exstirpation die abgebundenen Venenstümpfe miteinander und vereinigt die Längsincision des scro- tum der Quere nach, wodurch eine Verkürzung resultirt. Exstirpation eines Hodens: Verletzungen, Neugebilde, chronische Vaginalitiden mit Verkalkung des Sackes oder Atrophie des Hodens und Tuberculose indiciren diese Operation. Der operative Eingriff wird mit der Blosslegung des betreffenden Hodens eingeleitet; ist die Haut intact, so bedient man sich eines etwas lateral gestellten Läng- schnittes, ist sie fistulös oder mit dem Tumor fixirt, wird die zu entfernende Partie durch zwei halbelliptische Schnitte umgrenzt. Bei der Führung der Schnitte hält der Operateur den Hodensack auf ähnliche Art wie bei der Function einer Hydrocele, nur wird das scrotum derart gedreht, dass die betreffende seitliche Wand frei vorliege. Die Blosslegung besteht in der Durchschneidung sämmt- licher Deckschichten bis zur tunica vaginalis testis ; wäre die Dia- gnose des vorfindlichen Tumor nicht ganz sichergestellt, so müsste noch tiefer gespalten und jedenfalls die Scheidenhaut eröffnet werden, um zur richtigen Erkenntniss des Leidens zu gelangen. Die Isolirung des Hodens erfolgt durch Ausschälung aus den Deckhüllen, wofür nebst dem Finger einfacher Zug genügt; nach Beendigung dieser Excortication hängt der Hodentumor am Samen- strange, wie eine Birne am Stiele. Es handelt sich nur mehr um die Unterbindung der Gefässe des Samenstranges und um die Ab- schneidung der Geschwulst. Die Unterbindung kann en masse, oder isolirt vorgenommen werden, sicherer ist die Massenunterbindung in mehreren Partien, exclusive dem vas deferens. Nachdem man am Samenstrange die bindegewebigen Hüllen theils stumpf abgelöst, theils mit der Schere circular durchtrennt hat, wird an der Trennungs- grenze zunächst das vas deferens sorgfältig isolirt, und hierauf das Gefässbündel in mehreren Partien mit starkem Catgut fest unter- bunden und durchgeschnitten. Nunmehr hängt der Hode bloss mehr am vas deferens. Bei Tuber- kulose, wo letzteres in der Regel mitergriffen ist, muss man es mög- — 759 — liehst kräftig vorziehen, am höchst erreichbaren Puncte mit Catgut abbinden und mit dem Thermocauter langsam abtrennen behufs Ver- schorfung. Die isolirte Gefässunterbindung bietet keine ganz sichere Ge- währ, und Nachblutungen können sehr unangenehm werden, da bei hohem Abschneiden des Samenstranges der Rest durch den Leisten- canal in das retroperitoneale Zellgewebe zurückschlüpft, das Hervor- holen des Stumpfes behufs Blutstillung aber eine Spaltung des Leisten- canales nothwendig macht. Grössere Schwierigkeiten als die gewöhn- liche, dürfte gewiss die Exstirpation eines Hodens abgeben, welcher wegen behindertem Descensus innerhalb des Leistencanales verblieben und alldort erkrankt ist. Barilenheuer will bei Tuberculose des Nebenhodens, solange die Erkrankung noch localisirt ist, also nicht auf den Hoden übergegriffen hat, die Therapie auf die blosse Resection des Nebenhodens beschränkt wissen. Die Vortheile seines neuen, von ihm angeblich wiederholt er- propten Verfahrens sind folgende : Erhaltung des Hodens, Behinderung der Ausbreitung der Tuberculose, Erhaltung der Facultas coeundi und des Geschlechtsgenusses, endlich leichterer Entschluss des Patienten zur Operation und daher die Möglichkeit bei Zeiten eingreifen zu können. Von geradezu bestimmender Wichtigkeit ist die Erhaltung der Blutzufuhr zum restirenden Hoden, ohne welche an dessen Er- haltung wohl nicht gedacht werden kann. Das wichtigste Gefäss ist die arferia spermatica interna, in zweiter Reihe kommt die arteria deferentialis. Die Stelle, wo die Hauptäste der spermatica durch die albuginea in den Hoden treten, ist eine genau gegebene: nämlich an der Innenfläche, zwischen dem Nebenhoden und dem Samenleiter; diese Stelle ist beim Reseciren demnach besonders wichtig. Technisch soll man folgendermassen vorgehen: an der Aussenseite des Hoden- sackes, zunächst der Grenze zwischen dem verdickten Nebenhoden und dem Hoden, die sich durch eine tiefe Furche kennzeichnet, legt man einen mehrere Centimeter langen, der Furche parallel verlaufen- den Bogenschnitt an, durchtrennt Haut, tunica dartos und dringt praeparando bis auf die Nebenhodeninfiltration vor. Nahe der Hodengrenze durchtrennt man die tunica albuginea epidydimis, lässt die Schnittränder mit Sperren fixiren und vollendet die Spaltung bis zur höchsten Kuppe des Nebenhodenkopfes. Der Schnitt in der albuginea liegt demnach knapp am hinteren Hodenrande. Man präparirt nun, so weit die albuginea nicht von tuberculösen Knoten durchwachsen ist, erstere vom Nebenhoden vorsichtig ab, hütet sich wohl, die Albuginea an der Innenfläche des hinteren Hodenrandes zu verletzen, da hier die spermatica zieht, und hat man endlich den Nebenhoden aus seiner Hülle vollends herausgeschält und letztere mehr minder in toto erhalten, so schneidet man den Nebenhoden glatt vom Hoden- rande ab, mit der Vorsicht dabei nicht unnöthigerweise die tunica vaginalis testis zu eröffnen. Nach der Abtrennung des enthülsten Nebenhodens löst man das vas deferens dm^ch Fingerdruck aus seiner gefässhaltigen Scheide, zieht es stark vor und schneidet es möglichst hoch ab. Die zurückbleibende entleerte albuginea des Nebenhodens wird mit Jodoformgaze ausgestopft. Meritorisch spricht sich Kocher entschieden gegen alle partiellen Resectionen bei Tuberculosis epi- — 7GÜ — dydiiiiis, da leicht Kecidiveu im Hoden, oder besser gesagt weitere Ausbildung der schon darin vorhandenen aber noch nicht erkennbaren Keime zu folgen pflegen. Nimmt man die Castration wegen i)rostata hypertrophie vor, so kann das vas deferens in beliebiger Höhe, am besten im Bereiche seines extrainguinalen Verlaufes, ohne Abbindung, mit der Schere vollzogen werden. Die Vasectomie, wie man die bei Prostatahypertrophie durch Helftrich empfohlene Resection eines Stückes vom vas deferens be- nennt, ist eine einfache Operation. Eine kleine Incision im Hoden- sacke genügt, um den leicht zu palpirenden Strang vorzudrängen, zu isoliren und nach bilateraler Abbindung durchzuschneiden oder ein Stück davon zu excidiren. Da der Effect dieser Operation nicht so- wohl auf die Durchtrennung des Samenleiters als vielmehr auf die Mitdurchtrennung von Nervenelementen beruhen dürfte, empfiehlt LeiDiander bei der Resection möglichst viel von dem den Samenleiter umgebenden Bindegewebe, worin zahlreiche Nervenfädchen eingebettet sind, mitzuentfernen. VIII. Capitel. Gefässunterbindungen am Stamme. I. Unterbindung der aorta abdominalis. Die Unterbindung der aorta ist nur an ihrem untersten Abschnitte denkbar, zwischen der Abgabs- stelle beider arteriae renales und ihrer Theilung in die iliacae com- munes, also entsprechend der Höhe des dritten bis vierten Lenden- wirbels. Man kann auf doppeltem Wege zur aorta : transperitoneal und retroperitoneal. Bekanntlich liegt die aorta hinter dem Bauchfelle, dicht vor der Wirbelsäule und hat rechts neben sich die vena cava inferior. Alle Methoden, welche eine Ligatur der aorta ohne Verletzung des Bauchfelles beabsichtigen, schaffen von der linken Hälfte des Unter- leibes Zugang zum retroperitonealen Räume, wodurch die aorta direct erreicht und die vena cava ganz ausser Spiel gelassen wird. Die Schnitt- methoden ähneln in etwas jenen bei der Nierenexstirpation gebräuch- lichen. Wir finden einen retro-lumbaren Verticalschnitt entlang dem Vorderrande des musculus quadratus lumborum, vom unteren Rande der zwölften Rippe zur crista ilei (Maas)^ wir begegnen einem latero- lumbaren Bogenschnitte in der verlängerten Axillarlinie, der seine Concavität dem Nabel zuwendet (Marray). Nach durchtrennten Deck- schichten inclusive fascia abdominis transversa muss zunächst das Peritoneum von der Innenfläche der Bauchwand stumpf abgelösst werden, um unterhalb der linken Niere zur aorta gelangen zu können. Auf dem Wege dahin begegnet man dem linken urether und der arteria spermatica interna sinistra. Die Isolirung der aorta geschehe mit Vorsicht, ebenso die Anlegung der Ligatur, welche ganz allmälig zugeschnürt werden soll, nie plötzlich und hastig. — 761 — Die transperitonealen Methoden bahnen sich den Weg direct durch die Bauchhöhle; das Bauchfell muss dabei doppelt getrennt, das cavum abdominis stets eröffnet werden. Zur Laparotomie bedient man sich eines Längschnittes in der linea abdominis alba, der die mesogastrische Gegend in der Länge von 15 bis 20 Centimeter spaltet und den Nabel links umkreist {v. Nusshaum u. A.). Nach Eröffnung der Bauchhöhle lässt man das Convolut der dünnen Därme nach rechts verlagern, erreicht die hintere Bauchwand und durchschneidet auf der aorta in besagter Höhe nochmals das Peritoneum, worauf die Isolirung und Anlegung der Ligatur folgt. Nach beendeter Unterbindung vernäht man den Schnitt im Bauchfelle, legt die Därme zurecht und verschliesst die Bauchdeckenwunde. IL Unterbindung der arteria iliaca communis. Am unteren Rande des vierten Lendenwirbels theilt sich die aorta in die beiden iliacae com- munes, welche schräge nach unten aussen zur synchondrosis sacro- iliaca jeder Seite ziehen, um alldort sich zu theilen: in die iliacae internae vel arteriae hj'-pogastricae und in die iliacae externae. Jede iliaca communis lagert am Innenrande des musculus psoas und ist von der gleichnamigen Vene begleitet, welche an der rechten Seite jeder Arterie zieht, so dass demzufolge rechterseits die Vene aussen, linkerseits innen vor der Arterie gelegen ist. Die astlosen arteriae iliacae communes haben am Erwachsenen die beiläufige Länge von 5^/3 bis 6 Centimeter. Der Weg zum retroperitonealen Räume wird nie transperitoneal genommen, sondern stets durch Ablösung des Bauchfelles von der Bauchwand gebahnt. Die Spaltung dieser kann erfolgen: entweder in einer schrägen Richtung, welche jener des Arterienverlaufes beiläufig entspricht, oder durch einen Bogenschnitt, der seine Convexität dem Darmbeinstachel zukehrt. Alle Schnitte müssen, um genügenden Raum zu schaffen, eine Länge von 10 bis 15 Centimeter einhalten. Deren Richtung kann sein: von der Mitte des Poupart'schen Bandes zum Aussenrande des musculus rectus abdominis im Niveau des Nabels, oder zum Nabel (Salomon, Dittrich)^ oder bogenförmig von der spina ilei, 1 ' ., Centimeter oberhalb des Poupart'schen Bandes bis gegen den äusseren Leistenring (Mott, Uhde). Die Bauchwandschichten, welche durchtrennt werden müssen, sind: Aponeurose des musculus obliquus abdominis externus, musculus obliquus internus und transversus, hinter welchem die fascia trans- versa folgt. Nach Spaltung der Fascie erblickt man das subseröse Zellgewebslager, welches die Andeutung abgibt, mit der stumpfen Ablösung des Bauchfelles zu beginnen. Das Ablösen des Peritoneum wird mit den Tastfiächen von Zeige- und Mittelfinger ausgeführt, welche man abwechselnd durch massigen Zug und Druck wirken lässt. Der abgelöste Bauchfellsack wird gegen die Mittellinie und nach aufwärts verdrängt und mittelst Spateln abgehalten, bis die Isolirung des Gefässes gelungen; die Anlegung der Ligatur erfolgt stets A'on der Venenseite. Kommt während der Ablösung des Bauchfelles ein Harnleiter in Sicht, verziehe man ihn medianwärts. - 7(12 III. Unterbindung der arteria iliaca interna. Leicht j^ekrümmt steigt dieses, etwa 4 Ceiitimeter lange Gefäss von der Synchondrosis sacro- iliaca ins kleine Becken hinab. Zur Unterbindung sind die gleichen Sehnittniethoden giltig wie für die iliaca communis und muss zunächst die Theilungsstelle dieser blossgelegt werden, um sich orientiren und tiefer vordringen zu können. Die gleichnamigen Venen liegen rechts an der Aussenseite der Arterie, links mehr nach hinten. Von den Zweigen der arteria iliaca interna gibt es zwei, w^elche eventuell unterbunden werden könnten : die arteria glutaea superior, welche am oberen Rande des foramen ischiadicum majus, zwischen diesem und dem musculus pyriformis hervortritt und sich gleich in zwei Aeste spaltet, ferner die arteria glutaea inferior vel ischiadica, welche am unteren Rande des pyriformis das Becken verlässt, in der Mitte zwischen arteria pudenda communis und nervus ischiadicus. Zur Aufsuchung dieser Gefässe sind ganz kolossale Wunden nothwendig, weil die Gesässmusculatur sie deckt. Nach Zang soll man schräge Schnitte führen, entlang und parallel der Faserung des musculus glutaeus maximus, von der spina ilei posterior inferior zum trochanter: die Muskelfasern werden stumpf auseinander gedrängt. IV. Unterbindung der arteria iliaca externa. Die äussere Becken- schlagader zieht entlang dem Innenrande des psoas, beide Arterien haben die gleichnamigen Venen an ihren Innenseiten. Dieser Umstand bedingt es, dass die vena circumflexa ilei vor ihrer Einmündung in die vena iliaca externa quer über die Vorderfläche der Arterie streicht und sie rechtwinkelig kreuzt. Bei der Isolirung der Arterie sei man ja bedacht, den kurzen Querstamm der vena circumflexa nicht zu verletzen, weil dabei durch Regurgigation aus der vena iliaca eine starke, das ganze Operationsfeld überfluthende Blutung hervorgehen würde. Die Kreuzungsstelle liegt zumeist centimeterhoch über dem Poupart'schen Bande; die Freimachung der Arterie erfolgt besser höher oben. Auch die Arteria spermatica und das vas deferens sind nicht weit von der iliaca externa. Letztere ist etwa 8 Centi- meter lang, astlos bis auf die arteria epigastrica, welche jedoch erst unterhalb des Poupart'schen Bandes der Vorderfläche des Gefässes entspringt. Der einfachste und beste Schnitt zur Aufsuchung des Gefässes ist ein, zum Poupart'schen Bande paralleler und gut Quer- finger darüber geführter Schrägschnitt, dessen Mitte jener des Bandes entspricht. Er beginnt daumenbreit vor dem vorderen oberen Darm- beinstachel und hört daumenbreit vor dem tuberculum pubis auf. Nach Durchtrennung der Haut, fascia superficialis, musculus obliquus abdominis externus, internus, transversus und der fascia transversa, löst man das Bauchfell stumpf ab, verlagert es nach aufwärts und innen, lässt Spateln einlegen und beleuchtet sich die tief gelegene Wundhühle, in derem Grunde die Arterie nicht schwer zu ermitteln ist. Ligaturfaden stets von der Venenseite anzulegen, also von innen nach aussen. — 7G3 — IX. Capitel. Operationen an der Wirbelsäule. Subarachnoideale Function. Diese 1891 durch Quincke erdachte Operation verfolgt theils diagnostische theils therapeutische Zwecke und besteht in der Entleerung einer jeweilig entsprechenden Menge von liquor cerebro-spinalis. Die Function wird in der Lumbairegion vorgenommen, und zwar durch den Intervertebralraum zwischen drittem und viertem oder viertem und fünftem Lendenwirbel, weil genügend weit und weil in dieser Höhe das Rückenmark schon aufgehört hat, eine Verletzung desselben durch die Punctionsnadel dem- nach ausgeschlossen ist, höchstens nur die cauda equina betroffen werden könnte. Chipault gibt dem spatium zwischen fünftem Lenden- wirbel und Kreuzbein den Vorzug weil die Componenten der cauda weiter auseinander weichen, je mehr man sich dem sacrum nähert. Der Patient liegt auf der linken Seite mit angezogenen Beinen und gekrümmtem Rücken oder sitzt vornübergeneigt, man sticht die Nadel etwas schief von unten oder nach aufwärts ,und von der Seite gegen die Mitte zu. Marfan empfiehlt bei Kindern sich am oberen Rande des nächst unteren Dornfortsatzes zu halten. Die Tiefe, in welche man die Nadel einsticht, soll nach Quincke bei kleinen Kindern 2 Centi- meter betragen, beim Erwachsenen dürften 4 bis 6 Centimeter notli- Avendig werden. Bedient man sich einer feinen Troisquartcanüle, so entfernt man den Stachel und lässt die klare Flüssigkeit in ein Gefäss abtropfen. Aspiration wird widerrathen. Empfehlenswerther ist es sich einer Functionscanüle zu bedienen, welche das Eingedrungensein durch das sofortige Abträufeln sicherer erkennen lässt. II. Operation der Spina bifida. Die herniöse Vorstülpung der Rücken- markshäute durch einen angeborenen Defect der Wirbelbogen kann verschiedenen Inhalt besitzen. Man unterscheidet Meningocelen, Myelomeningocelen und Myelocj-^stocelen. Nur die ersteren Formen eignen sich zur Operation nicht die letztere. Des häufigsten sitzt die Spina bifida in der Lendenregion, selten in der cervicalen oder im Gebiete der Brustwirbel. Die Geschwulst selbst, verschieden an Grösse, wird nur von der Haut und dem subcutanen Zellgewebe gedeckt, unmittelbar darunter ist der Meningensack. Oftmals finden sich Lipome darüberlagernd, manchmal Fibrome, selbst ja Cavernome. Nach Recklingshausen sollen sich an der Kuppel des Sackes Defecte der dura vorfinden. Die Operation der Spina bifida besteht in der Excision des Sackes und in dem nachträglichen Verschlusse des Wirbelsäulen- defectes. Zunächst wird die mittlere, oftmals verdünnte Hautpartie mittelst zweier halbelliptischer Schnitte umgrenzt und durch vorsieh- — 7(;4 — tiofes Abpräpariren jederseits der Meniiii^ensack blossgelegt bis zu seiiiein Eintritte in den Wirbelbogendefect. Bei tiefer Kopfstellung des Kindes wird nun der Sack punctirt und entleert, hierauf seiner ganzen Länge nach gespalten und die Innenwand besichtigt. Sind die Wandungen glatt, handelt es sich um Meningocele, so lässt man die Spalt- ränder senkrecht emporhalten bis die Innenflächen des Sackes sich berühren, legt im Niveau des Wirbelbogendefectes mit feinem Catgut eine hermetisch schliessende Steppnaht an, trägt darüber die über- flüssigen Sackwandungen rein ab und vernäht eventuell die frisch- geschnittenen Ränder mit einer fortlaufenden Naht. Liegt die zweite Form vor, eine Myelomeningocele, so findet man nach der Spaltung des Sackes deren InneuAvände nicht glatt, sondern mit Nervenfilamenten durchwachsen, einzelnen Componenten der cauda equina, manchmal erblickt man selbst in der Tiefe der conus meduUaris. Man versucht in solchen Fällen jene Filamente, welche in dem abzutragenden Sack- theile verlaufen, mit der arachnoidea von der dura abzustreifen und in den Wirbelcanal zu versenken. Gelänge dieses Verfahren nicht, so begnügt man sich mit einer partiellen Excision des Sackes, also mit einer Verkleinerung des Tumor, worauf die Sackränder sehr genau zu vernähen sind. Nach versorgtem Sacke bleibt die Rückenspalte übrig, bedingt durch das Fehlen der Dornfortsätze und mangelhafter Entwickelung der Bogentheile. Diese angeborene Knochenlücke kann nun ver- schlossen werden durch Herbeiziehung und Uebernähung der nach- barlichen Musculatur, oder durch Knochenplatten die man von der Umgebung in Verbindung mit den umgebenden Weichtheilen, zum mindesten mit Periost in Lappenform in den Defect bringen und dort anheilen lässt. Dass ein knöcherner Verschluss vorzuziehen sei unter- liegt wohl keiner Frage. Der osteoplastischen Verfahren gibt es mehrere Varianten : Dollinger kneipt mit starker Schere die rudimentären Wirbel- bogen an ihren Ansatzstellen jederseits ab, verschiebt sie gegen die Mittellinie und vereinigt sie über der Lücke durch Knochennaht. Bobrof hat ein der Lücke entsprechend grosses Knochenstück aus dem Becken in der Gegend der spina posterior mit dem Periost- überzuge flach abgestemmt und dasselbe mit einem Theile der Musculatur als Stiel durch Drehung in den Defect gezogen. Diese Methode passt natürlich nur für Spinae bifidae sacrales und sacro- lumbales. Für höher gelegene, im Bereiche der Brustwirbel befind- liche Spinae bifidae könnten Weichtheilknochenlappen aus den nahe- liegenden Rippen entnommen werden, die man unterhalb der Rücken- strecker durchziehen musste. Nach Verschluss des Defectes wird eine exacte Hautnaht angelegt und die Nahtstelle durch Jodoformcollodium genau abgeschlossen, um jede Infection von aussen zu verhindern. HL Operationen an der Wirbelsäule. Die blutigen Eingriffe, die man an der Wirbelsäule vornimmt, bezwecken theils die Eröffnung der Rückenmarkshöhle behufs Entfernung die medulla comprimirender — 765 — Knocheiifragmente oder Projectile nach Verletzungen, oder im Marke lagernder Neoplasmen, tlieils die Wegbahnung zu osteomyelitischen Knochenherden behufs Evidement Da die Blosslegung der Rücken- markshülle nur durch Entfernung der Wirbelbogen bewerkstelligt werden kann, benennt man den Eingriff Lamnectomie; weiters können die Bogen entweder definitiv entfernt werden unter Zurücklassung eines bleibenden Knochendefectes, oder es können auch die abgetrennten Bogensegmente mit Erhaltung der sie deckenden Weichtheile nur tem- porär verlagert werden, um dann wieder zurückgelagert und eventuell vernäht, mit dem Mutterboden neuerdings zu verwachsen — osteo- plastische Resection. Statt des Ausdruckes Resection wird oftmals Trepanation für die Wirbelsäule gebraucht, in Analogie zu den Knochen- operationen am Schädel. Die Resection mit Entnahme von Knochen- theilen aus dem Wirbelbogen wird durch einen medianen Längsschnitt eingeleitet, welcher eine hinreichende Länge haben und die Grenzen des Operationsgebietes nach beiden Seiten weit überragen muss, um genü- gende Zugängiichkeit zu schaffen, da bekanntlich dicke Muskelmassen die Bogen decken. Der Längsschnitt tangirt die Mitte der Dornfort- sätze und legt dieselben bloss. Nach Ollißr werden nun sämmtliche Weichtheile sammt der Beinhaut der zu resecirenden Dornfortsätze und Bogen nach den Seiten zu abgelöst, abgezogen und die also ent- blössten Bogen beiderseits vor den processus articulares abgetrennt. Die ligamenta interspinosa können mit der Beinhaut erhalten oder abgetrennt werden. Die Trennung der Bogen, falls nicht abgebrochen, kann mit dem Meissel oder Kneipzangen vollführt werden; zweck- mässiger dürfte der Gebrauch einer Rundsäge sein in Gestalt von Circularsägen mit Transmissionbetrieb, oder wie Wagner es vorschlägt, mittelst Trepankronen, deren Durchmesser dem Wirbelsäulencanal ent- spricht. Allein auch bei Verwendung von Sägen dürften Knochen- meissel zur Vollendung der Abtrennung nothwendig sein. Resecirt man wegen Fractur mit Eindruck, so nimmt man mit Hohlkneip- zangen so viel von der Umgebung des Bruchherdes weg, als eben zur Elevirung und Entfernung des Fragmentes nöthig. Bei der osteo- plastischen Resection müssen mit den Bogen alle Deckweichtheile in Verbindung erhalten werden. Der Weichtheilsclmitt muss demnach die Gestalt eines H (Dawharn) oder eines U nach Urhan haben, um Weichtheile und Knochen in Form eines oder zweier aufklappbaren Lappen zu trennen. Ist die dura verletzt oder hat man sie der Länge nach gespalten, so vernähe man sie wieder, gleich der dura bei Schädel- operationen. Durch die Lamnectomie kann man auch einen Weg zu den Wirbelkörpern bahnen. Das Rückenmark mit seinen Hüllen kann nämlich in der jeweiligen Strecke zwischen zwei Wurzeln bei Ueberstreckung des Rückens durch untergelegte Polster nach einer und der anderen Seite so weit verschoben werden, dass man jeweilig die eine Hälfte der Vorderwand des Wirbelsäulecanales zu übersehen und zu betasten vermag, man also nach Spaltung des ligamentum columnae posterius Zugang zum entsprechenden Wirbelkörper erhält, genügend zum Evidement. Zu den Wirbelkörpern lässt sich aber auch ohne Lamnectomie und Verschiebung der meduUa Zugang schaffen, nämlich durch Um- gehung der Wirbel von rückwärts seitlich herum. Für die Lenden- — 706 — Wirbel incidirt Trevcs den Aussenrand des saero-lumbalis in einer Linie, die man sich von der letzten Rippe vAxm. Becken ü;ezooen denkt. Nach Spaltung beider Blätter der fascia liimbo dorsalis gelangt man zu den Wirbelquerfortsätzen und seitlich davon zum quadratus lum- borum. Nach longitudinaler Spaltung dieses Muskels gelangt man zum Innenrande des psoas, dessen Anheftungen an die Querfortsätze abgelöst werden müssen. Mit dem Finger bahnt man sich, stets knapp am Knochen sich haltend, und mit einem Elevatorium nachhelfend, den Weg zum Wirbelkörper. Man halte sich stets an die Querfortsätze, um die Lendengefässe, welche auf den Wirbelkörpern ziehen, zu schonen, und löse den psoas von oben nach unten, entsprechend dem Nerven- verlaufe. Schwieriger ist der Eingriff an den Brustwirbeln, da Rippen und Brustfell im Wege sind. Schoejfer beginnt mit einem Längsschnitt, Vincent mit einem liegenden T- Schnitt, dessen horizontaler Theil in dem entsprechenden Intercostalraum zu führen ist. Die Schnitte werden gewöhnlich auf beiden Seiten des Rückens symmetrisch an- gelegt, nach Durchtrennung und Abziehung der Weichtheile sub- periostal eine oder bei Bedarf zwei Rippen resecirt und deren mesiales Ende exarticulirt, worauf mit Finger und Hohlsonde die blossgelegte Pleura abgedrängt wird und man so zum Knochenherde gelangt, ent- sprechend dem Winkel des vorhandenen gibbus. Nach beendetem Evi- dement wird drainirt; bei bilateralem Eingehen durch Durchziehen eines mehrfach durchlöcherten Drain, also quer. Der Zugang zu den Cervicalwirbeln ist wieder leichter; man dringt entweder am Vorderrande des Kopfnickers ein (Burcldianlt) oder am Hinterrande (Chiene). Ersterer nimmt den Weg zwischen Gefässen und Kehlkopf, letzterer hinter den grossen Gefässen. IV. Verbände bei Rückgratsverkrümmungen. Alle diesbezüglichen Ver- bände sollen den doppelten Zweck erfüllen, die erkrankte verkrümmte Wirbelsäule zu extendiren und zu immobilisiren: entsprechen sie diesen Bedingungen nicht, so sind sie nutzlos. Früherer Zeit war die Anfertigung von Stützapparaten beinahe ausschliesslich Sache der Bandagisten, erst Sayre hat bewiesen, dass auch der Chirurg allein Ver- bände anzulegen vermöge, welche ihren Zweck erfüllen. Damit brach die Aera der modellirten Mieder an; Sayre legte genau passende Gips- verbände bei extendirter Wirbelsäule an, welche thorax und Becken um- fassten, vom Niveau der Achselhöhlenf alten bis zudenTrochanteren hinab. DieStreckung der Wirbelsäule wird derart vorgenommen, wie Fig. 224 es zeigt. Patient hängt mittelst einer Halsschwinge und Achselbändern der- art, dass er den Fussboden nur mit den Fussspitzen berührt. Bei Mangel des Aufhängeapparates kann ein einfaches Reck, welches Patient mit seinen Händen erfasst, das Gleiche leisten, wenn es so hoch postirt wird, dass dieser den Boden nur mit den Zehen zu berühren vermag (Fig. 225). Ist auch kein Reck vorhanden, oder ist die verticale Suspension bei stark erkrankter Wirbelsäule nicht räthlich und ge- fährlich, so behilft man sich auf andere Weise, nämlich durch re? horizontale Streckung. Der Kranke wird auf drei Sesseln derart ge- lagert, dass nur der Kopf, das Becken und die Beine unterstützt sind der thorax hingegen ganz frei bleibt. Liegt eine Kj-phose vor, so nimmt der Kranke die Rückenlage ein, bei Scoliose dagegen die Fig. 224. Fig. fe.^ Seitenlage. Nun wird an der stärksten Prominenz der Rück- oder Seitenfläche ein breiter Bandzügel angelegt und dessen Enden stramm gespannt an einen Galgen festgemacht. Durch diesen, die stärkste Wölbung treffenden Zug wird die Wirbelsäule gestreckt. Auch bei senkrecht suspendirtem Stamme kann bei Scoliose der Aus- — 768 — iileich der Krümmungen durch entsprechend angeleimte, entgegen- gesetzt wirkende, laterale Bandzügel nach 1 1 Hier &c\\qv Art vervoll- ständiiit werden. Man pflegt die horizontale Streckung ßarweWsche Lage zu nennen. Vor der Anlegung eines Gipsmieders ist es zweckmässig, dem Kranken ein genau passendes Tricotleibchen anzuziehen und darüber eine dünne Wattepolsterung zu legen; nur die Magengrube muss provisorisch dick ausgepolstert werden, um eine Behinderung der Respiration zu meiden, da bei angelegtem Gipspanzer mehr die ab- dominelle Athmung in Frage kommt, indem (üne genau passende Panzerung des thorax dessen Excursionsfähigkeit verringert. Bei Gibbus ist auch der kyphotische Vorsprung durch Watte auszugleichen, ebenso sind bei mageren Individuen die Darmbeinränder etwas aus- giebiger zu wattiren. Die Wattepolsterung wird mit genau geführten, überall gleich- massig drückenden Bindentouren gesichert, wobei es sich empfiehlt, die dazu dienenden Binden vorher mit Wasserglas zu imprägniren. Ueber dieser einschichtigen Wasserglasdecke kommt der eigentliche Gipsverband. Man benützt am zweckmässigsten mit Gipspulver wohlimprägnirte Organtinbinden und hält sich an jene tech- nischen Regeln, welche im allgemeinen Theile Erörterung fanden. Eine Verstärkung des Verbandes durch Pappestreifen oder Tapeten- holz ist zu meiden, da sie die genaue, an alle Unebenheiten sich modellirende Anlegung der Gipsbinden zu stören vermögen und durch den localen Druck den Kranken belästigen. Der Verband wird nur mit Binden allein angelegt und durch Bestreichen mit Gips- brei verstärkt. Der Patient muss in der einmal angenommenen, die Streckung der Wirbelsäule erzielenden, suspendirten oder horizon- talen Lage (dabei ist die ßariveW sc\ie Schlinge mit einzugipsen) so lange verharren, bis der Gipspanzer vollends trocken und hart ge- worden ist. Der Verband muss den thorax, die Weichen und das Becken ganz genau umfassen und sich daran modelliren. Entsprechend den Achsel- falten schneidet man, falls der Verband die Apposition der Arme am Stamme behindern würde, entsprechende halbmondförmige Streifen aus. Ist die Halswirbelsäule erkrankt und eine Kopfstütze nöthig, so muss der „jurj^ mast" erst auf den fertigen Verband angemacht, nie diesem intercalirt werden. Die Wattepolsterung überrage allüberall die Ränder des Gipspanzers, aus dessen Innerem man nach Er- starrung des Gipses den in die Magengrube provisorisch gestellten Wattepolster herauszieht. Der Gipspanzer bildet zwar eine sehr passende, aber immerhin etwas schwere und, was das allerschlimmste ist, eine inamovible Stütze. Er muss Tag und Nacht am Körper bleiben. Patient kann nicht baden, nicht Leibwäsche tragen, das Leibchen nicht wechseln, kurz, er ist eingemauert und soll es für lange bleiben. Nach Monats- frist ist freilich etwas erreicht, denn die Krümmung der Wirbelsäule hat sich in Folge dauernder Extensionsstellung verringert. Nimmt man nun den Gipspanzer ab, suspendirt den Kranken, nachdem er gebadet hat, neuerdings und legt sofort einen frischen Gipspanzer an, so kann nach und nach, wenn die Verkrümmung keine fixirte — 769 — war „.., eine allmahge Geraderichtung erzielt werden. Die früher ange- führten Unannehmlichkeiten des inamoviblen Gipspanzers hat man dadurch zu mindern getrachtet, dass man den festgewordenen Gips- curass entzweischnitt und dadurch in zwei Plälften theilte, welche beliebig angelegt und wieder abgenommen werden konnten; man hat die Schnittrander eingesäumt und dadurch das Abbröckeln des Gipses verhüten wollen, man hat Schnallen und Gurten an die Aussenfläche befestist. V. Mosetig-Moorhof: Handbuch d. chirurp. Technik. 4. 49 NEUNTER ABSCHNITT. Operationen an den Gliedmassen. Allgemeines über Amputationen. Amputation ist gleichbedeutend mit Absetzung, mit Verstüm- melung und bildet den Gegenpart zur Conservirung, zur Erhaltung. Es erhellt daraus, dass die jeweilige Indicationsstellung grosse Ueber- legung verlangt und dass diese Art Operationen eben nur dann vor- zunehmen seien, wenn das bestehende Leiden auf keine mildere Art behoben werden kann. Die Hauptanzeigen lassen sich im Allgemeinen in drei Gruppen sondern: Verletzungen, Texturerkrankungen, Neu- gebilde. Die Nothwendigkeit, bei Verletzungen amputiren zu müssen, hat sich seit Einführung der Antisepsis gar sehr eingeschränkt, da durch sie die Conservirung so arg verletzter Gliedmassen noch gelingt, an die in vorantiseptischer Zeit gar nicht zu denken gewesen wäre. Wegen Verletzungen kann entweder primär amputirt werden, wenn der Versuch einer Conservation schon a priori unmöglich erscheint: so beispielsweise bei Zermalmungen, bei Zerreissungen der grossen Gefäss- und Nervenstämme oder ganz ausgedehnter Muskelpartien, endlich bei grossem Hautverluste; oder man amputirt secundär, und zwar freiwillig, wenn der Versuch einer Conservation misslang, oder gezwungen, wenn man zu spät zum Verletzten kommt, um primär interveniren zu können. Ob wegen eingetretenem Tetanus rasch amputirt werden solle, ist noch streitig, insofern in der Regel alle von Wundstarrkrampf Befallenen mit dem Tode abgehen, gleichviel ob man sie amputirt oder nicht; anders verhält es sich bei einfachen Reflexkrämpfen, deren Causalmoment im verletzten Gliedtheile ge- legen ist; hier hat die Absetzung besten Erfolg. Der Unterschied zwischen primär und secundär ist ein zeit- licher; zumeist pflegt man nur jene Absetzungen und Operationen überhaupt dann primäre zu nennen, wenn sie innerhalb der ersten 24 Stunden nach erfolgter Verletzung vorgenommen werden; sie sind — ni. — bei gegebener Localindication stets vorzuziehen, wenn nicht tiefer Shock ein Veto einlegt. Wird man zum Abwarten gezwungen, so des- inficire man die verletzte Gliedmasse auf das genaueste, stille sorg- sam jede Blutung und verbinde nach allen Regeln der Antisepsis, kurz, man verfahre gerade so, als ob noch conservirt werden könnte; denn nicht selten erweist sich eine Gliedmasse im Verlaufe noch erhaltungsfähig, die man a priori schon zur Absetzung verurtheilt hatte. Wenn dies aber auch nicht der Fall, so wird damit dem stricten Gebote genügt : das Einlegen von Sepsis zu hindern. Durch das Ver- hüten der Sepsis hat der frühere Unterschied von primär, intermediär und secundär viel von seiner Bedeutung verloren. Man nannte früher intermediär jene Zeitperiode heftigen Fiebers und starker localer Gewebsentzündung, welche der Eiterung voranzugehen pflegt, und scheute in dieser Zeit mit Recht die Vornahme operativer Eingriffe, weil man die Mittel nicht kannte, der beginnenden localen Sepsis zu steuern. Heutzutage ist es auch damit besser geworden, da gerade im Abtrennen des Erkrankten und in der radicalen Desinfection des Stumpfes ein Mittel gegeben ist, den früher gefürchteten Folgen gründlich zu steuern. Zu den eine Absetzung indicirenden Texturerkrankungen zählen: diffuse phlegmonöse Vereiterungen und Verjauchungen, welche ihrer Aus- breitung wegen durch die antiseptischen Verfahren nicht controlirbar sind und das Leben des Kranken direct bedrohen; weite Strecken einnehmende osteopathische Beingeschw üre, welche der Plastik wider- stehen und den Träger zu steter Bettruhe zwingen; Localtuberculose der Knochen und Gelenke, welche für anderweitige operative Eingriffe nicht geeignet erscheinen, die eine Conservation der Gliedmasse be- zwecken; multiple fistulöse Necrosen mit Eburneation und massiger Verdickung des Knochens; acute eiterige Markhautentzündung mit Zer- störung der Epiphysenknorpel und Gelenksvereiterung; endlich totale Gangrain eines Gliedmassenabschnittes, wenn die Demarcationsgrenze deutlich zu werden beginnt. Sollte sich der Operateur bewogen finden, wegen drohender Sepsis vor der Begrenzung des Brandes zum Messer zu greifen, so möge er sich weit weg vom Herde halten und an mög- lichst centraler Stelle absetzen. Der Amputationsanzeige bei Aneuris- men und Phlebarteriectasien, ferner bei Elephantiasis wurde seinerzeit schon gedacht. Neubildungen erfordern die Amputation, wenn ihre isolirte Exstirpation nicht mehr möglich erscheint. Schliesslich wird auch wegen Ueberzahl von Zehen oder Fingergliedern, cos- metischer Zwecke halber amputirt, beziehungsweise das Ueberzählige entfernt. Die Frage, wo man jeweilig amputiren solle, ist im Allgemeinen schwer zu beantworten. Es gilt wohl als Regel, es an möglichst peripherer Stelle zu thun, indem dabei dem Kranken ein längerer Stumpf erhalten bleibt und auch die Bedeutung des Eingriffes für den Organismus ceteris paribus um so geringer sich gestaltet, je mehr man sich vom Centrum entfernt. Wie alle Regeln, hat auch diese ihre Ausnahmen; so bewegt manchmal das Quäle der künftigen Prothese den Operateur, am Unterschenkel etwas höher zu amputiren als gerade nothwendig wäre, um eine Kniestelze anpassen zu können, 49* - 772 — falls diese für den Betreffenden zweckdienlicher erschiene: beispiels- weise bei bestehender Kniecontractur. Auch bei schweren Zermal- mungen ist es oft gerathener, sich centraler zu halten, ebenso bei Neubildungen, wogegen bei chronischen begrenzten Knochenerkran- kungen die Absetzung zumeist knapp oberhalb der afficirten Partien vorgenommen wird, selbst wenn die Weichtheile schwielig entartet und von Fistelgängen durchsetzt wären. Nachdem von den antiseptischen Vorbereitungen und der Blut- sparung schon in den ersten Abschnitten dieses Handbuches die Rede gewesen, können wir sofort zur Amputationsteclinik übergehen. Der Kranke wird narcotisirt und liegt horizontal am Kücken: die zu operirende Gliedmasse wird von zwei Gehilfen im Räume ausgestreckt gehalten, wovon der eine central, der andere peripher von der Ab- setzungsstelle anfassen soll, aber stets oberhalb des nächst unteren Gelenkes. Der Operateur stellt sich zumeist seitlich, und zwar stets so, dass seine operirende Hand dem peripheren Extremitätsende zu- kehrt. Bei Amputationen an den Händen und an den Füssen wird die betreffende Extremität bis zur Mitte des Vorderarmes, beziehungs- weise Unterschenkels, auf eine passende Unterlage gestellt und vom Gehilfen nur gestützt; der Operateur stellt sich dem Extremitätsende gegenüber. Die gleiche vis-ä-vis-Stellung hält er auch bei allen Ab- trennungen aus den Gelenken (Exarticulationen) ein. Amputationen im engeren Sinne, id est Absetzungen von Gliedmassen in der Con- tinuität, setzen sich bezüglich des Abtrennungsverfahrens aus zwei Acten zusammen: Durchschneidung der Weichtheile und Absägung des oder der Knochen. Exarticulationen, id est Absetzungen von Gliedmassen in der Contiguität, differiren in der Ausführung des zweiten Actes, insofern als dabei nicht abgesägt, sondern nur die Gelenksbänder inclusive Capsel durchschnitten werden. Die Durchschneidung der Weichtheile muss stets derart ausgeführt werden, dass genug davon zurückbleibe, um die Stumpffläche vollends zu decken. Werden die Weichtheile aus dem ganzen Umfange der Gliedmasse in C3''linderform zugeschnitten, so kann wieder entweder die Haut allein erhalten werden: zweizeitiger Cirkelschnitt, oder Haut und Musculatur, letztere in steiler Abdachung, trichterförmig: Kegel- trichterschnitt. Denkt man sich aus dem trichterförmigen Hautmuskel- cy linder der einen Wandfläche ein schmales dreieckiges Segment mit peripherer Basis und convexen Seiten ausgeschnitten, so resultirte eine Ovalairform und die Methode nennt sich Ovalairschnitt. Erhält man die Weichtheile nicht im ganzen oder grössten Umfange, wie bei den ausgeführten Methoden, sondern schneidet dieselben in Lappen- form geeignet zu, so pflegt man die Methode „Lappenschnitt" zu be- titeln und spricht von Hautlappen, wenn nur die äussere Decke allein zur Stumpfbedeckung genommen wird, von Hautmuskel- oder gemischten Lappen, wenn nebst der Haut auch ein Theil der unterliegenden Muskelmasse miterhalten wird. 1. Der zweizeitige Cirkelschnitt. Denken wir uns beispielsweise, es wäre der rechte Oberschenkel nach dieser Methode zu amputiren, so würde der eine Assistent die Gliedmasse unterhalb der Schenkel- beuge mit beiden Händen umfassen, und der zweite sie knapp ober- halb des Kniegelenkes sicher halten, während er den gestreckten Unterschenkel zwischen Ellbogen und seitlicher Stammfläche klemmt, falls nicht etwa ein dritter Gehilfe zum Halten des Fusses am Sprung- gelenke verfügbar ist. Der Operateur stellt sich an die Aussenseite des Oberschenkels, legt seine linke Hand auf die obere Fläche des- selben und bezeichnet mit der Spitze des ausgestreckten Daumens die Ebene zum Cirkelschnitte. Dieser soll ohne Absetzung in Einer Flucht die ganze Extremität umkreisen ; hiefür muss der Schnitt an ei nem Punkte begonnen werden, welcher möglichst tief gelegen ist und jener Extremitätsfläche angehört, welche dem Operateur zugewendet ist, in unserem speciellen Falle also an der tiefst erreichbaren Stelle der Aussenfläche des Oberschenkels. Der Operateur erfasst ein gut- schneidendes Scalpell mit voller Hand, umgreift von unten her den Oberschenkel, geht an der inneren und oberen Fläche vorbei zur äusseren, bis das Messer an dem früher gedachten Punkte anliegt; er selbst muss sich hiefür stark bücken und das linke Knie einbiegen, als ob er niederknien wollte: der ganze Oberkörper stellt sich tief, der Kopf überragt um weniges das Niveau der Gliedmasse. Das Scalpell muss die Haut in senkrechter Richtung und ganz durch- schneiden, d. h. bis zur Fascie. Während das Messer den Schenkel umkreist, erhebt sich der Operateur allmälig aus seiner halbknieenden Stellung und erreicht, wenn die Streckung beendet ist, mit dem Messer den Anfangspunkt seines Schnittes. Da dieses Niederhocken, Umgreifen und sich Wiederaufrichten ermüden könnte, ist es gestattet, die Cirkel- tour auch in zwei Tempo zu vollenden, id est zunächst den oberen Halbkreis zu schneiden und dann, bei halber Umgreifung der Glied- masse, den unteren. Wäre bei der Umkreisung in einem oder zwei Tempo die Durchschneidung der Haut nicht allüberall perfect ge- worden, so müsste nachträglich abgeholfen werden, bis zum Sichtbar- werden der Fascie. Nunmehr folgt die Ablösung des Hautcjdinders in centraler Richtung. Ob im Cy linder nur die Haut allein mit ihrem subcutanen fetthaltigen Zellstoffe erhalten oder ob auch der dazugehörige Antheil der Fascie mit abpräparirt werden solle, ist Ansichtssache. Einige Chirurgen lassen die Fascie zurück, andere nehmen sie im Cylinder, welcher den speciellen Namen Manschette führt, mit: letzteres ist unbedingt richtiger, insbesondere bei fetten Individuen, einerseits wegen der Gefässvertheilung, andererseits des Umstandes wegen^ dass Fettgewebe zur Primavereinigung, welche stets zu erstreben ist, weniger taugt. Die Präparation der Manschette mit oder ohne fascia superficialis muss in continuo ausgeführt werden; man beginnt an einer Stelle, umkreist die Gliedmasse und kommt zu ihr zurück, um eine zweite, dritte Umkreisung auszuführen, bis die nöthige Manschettenlänge gewonnen ist. Der Operateur beginnt die Präpara- tion stets am tiefsten Punkte der von ihm abgekehrten Fläche, also in unserem speciellen Falle am tiefsten Punkte der inneren Ober- schenkelfläche. Er erfasst mit drei Fingern seiner linken Hand, während er sich über den Schenkel stark vorneigt, den Hautrand derart, dass die Daumenspitze am Hautrande weilt, während Zeige- und Mittelfingerspitzen in die Wundfläche eingreifen und die Haut emporzustülpen suchen. Dabei spannt sich der subcutane, beziehungs- weise subfasciale Zellstoff und kann mit der schräg orehalten,en. — 774 — Scalpellklinge durchschnitten werden, wofür das Messer schreibfeder- t'örmiii' mit der rechten Hand zu führen ist. Hat das Messer gewirkt, so belässt man es in der Wunde, erfasst die nächste Partie des Haut- randes, löst diese ab und fährt so fort, bis die erst in Angriff ge- nommene Stelle wieder erreicht, die Extremität einmal umkreist ist. Wenn die Haut auf etwa Zolllänge losgemacht ist. soll man die Manschette umstülpen, wodurch die fernere centralere Abpräparirung wesentlich erleichtert wird. Wäre die Haut zu dick, oder würde die physiolo- gische Dickenzunahme der Extremität das Umlegen der Manschette wesentlich erschweren, so müsste die Continuität des Hautcylinders an einer Stelle getrennt, mit anderen Worten die Manschette einge- schnitten werden. Dies geschieht stets in der Längsrichtung und an einer Stelle, welche bei der späteren linearen Vereinigung der Manschetten- ränder einem der Wundwinkel entspricht; wird eine senkrechte Ver- einigung geplant, oben oder unten; wenn quer, an einer Seite; wenn schräg, entsprechendenorts. Erweist sich das Einschneidender Manschette an einer Stelle allein als ungenügend, so kann man die Incision an der diametral entgegengesetzten Seite wiederholen und gewinnt da- durch eine Halbirung des Cylinders, eine Reduction desselben zu zwei viereckigen Lappen, welche man Eavaton' sehe Lappen zu nennen pflegt. Auf die Frage, wie lang die Manschette jeweilig zu gestalten ist, muss erwidert werden: so lang, dass sie genüge, um ohne Zerrung über die Stumpffläche linear vereinigt werden zu können. Eine mathematische Berechnung der Manschettenlänge ist aus dem Grunde unmöglich, weil der jeweilige Retractionscoefficient der Haut keine absolute Grösse ist; eine stricte Berechnung wäre aber auch unnöthig und ganz überflüssig, weil eine zu kurze Manschette allerdings Ver- legenheiten bereiten und eine nachträgliche Verkürzung des Stumpfes erheischen würde, eine etwas zu lange dagegen keinen Schaden bringt. Im Allgemeinen pflegt man den Halbmesser des Stumpfes als Manschettenlänge zu nehmen, jedoch nicht im vorhinein, sondern erst dann, wenn die Manschette fertigpräparirt und die Retraction der abgelösten Haut vollends zu Ende ist. Bedenkt man, dass die Man- scliettenränder im Sinne eines der Stumpfdurchmesser linear ver- einigt werden müssen, so wird die Richtigkeit dieser leichten Längen- bestimmung sofort klar; natürlich entscheidet nur jener Durchmesser, der die Vereinigungsebene kreuzt. Ist die Manschette in genügender Länge abpräparirt und umgeschlagen, so sorgt man zunächst dafür, dass die Umschlagsebene vollendet senkrecht zur Gliedmassenachse stehe, d. h. dass sie nirgends vorrage und keine Ungleichheiten besitze. Manche Operateure pflegen dabei die Manschette von jenem Gehilfen, welcher die Extremität centralwärts hält, zurückziehen zu lassen und trennen mit einer seicht geführten Cirkeltour die dabei an der Umschlagsgrenze gespannt vorspringenden Zellgewebsbündel: Zellgewebskeg-elschnitt. Zur Durchschneidung der Musculatur bedient man sich eigener langer Messer, welche ihres speciellen Zweckes wegen Amputations- niesser genannt werden (Fig. 226 a), Ihre Grösse und die kräftige Führung, deren sie benöthigen, machen es nothwendig, sie in die volle Faust zu fassen. An einknochigen Extremitätsabschnitten : Oberschenkel und Oberarm, durchschneidet man die Musculatur in vier aneinander — 775 Fio. 226. gereihten Messerzügen, entsprechend den vier Extremitätsflächen. Bleiben wir bei unserem Paradigma und denken uns die Manschette besorgt, so umgreift der Operateur, mit dem Amputationsmesser be- waffnet, die Gliedmasse gleichwie beim Cirkelschnitt der Haut, setzt die Spitze des Messers am äusseren Rande der oberen Fläche an und führt es schräge zu sich bis zum Hefte; da- durch schneidet er die Musculatur der äusseren Hälfte der oberen Fläche und jene der oberen Hälfte der äusseren Fläche bis zum Knochen durch; hierauf wendet er das Messer mit der Spitze schräge nach aufwärts und zieht es vom Heft zur Spitze, wobei die Musculatur der inneren Hälfte der oberen Fläche und der oberen Hälfte der Innenfläche durchtrennt wird. Ist das Messer in der schrägen Richtung bis zur Spitze herabgeführt, so wendet man wieder um 90 Grad und schneidet von der Spitze zum Heft, endlich neuerdings um 90 Grad gedreht vom Heft zur Spitze, wobei man sich auf die Fussspitzen erhebt, um die noch undurchtrennte untere Abtheilung der Aussenfläche vollends zu treffen und damit die Gesammtmasse der Musculatur durchzu- schneiden. Der Gehilfe rotirt im letzten Tempo die Extremität dem Operateur zu. Man beschreibt also durch vier ineinander laufende tangirende Messerzüge ein schief gestelltes Viereck, da jede neue" Messerstellung zur vo- rigen und folgenden einen Winkel von je 90 Grad einschliesst. Beim ersten Schnitte ist es dringend empfehlenswerth, die Messerspitze gegen sich zu senken, weil man sonst beim vierten Messerschnitte sehr behindert und ge- zwungen wäre, die Muskeltrennung mit der linken Hand zu vollenden, also ein Hände- wechsel unerlässlich wäre {Graefe's Messer- wurf). Nach durchgeschnittener Musculatur greift man wieder zur Scalpelle, umkreist damit, während der obere Gehilfe mit seinen beiden Händen die Muskelmassen stark retra- hirt, den parostalen Muskelkegel und die Beinhaut, legt das Scalpell beiseite und greift zur Bogensäge. Wie gesägt werden solle, wurde schon im allgemeinen Theile gesagt, wichtig ist dabei, dass der Gehilfe, welcher die Extremität peripher hält, in der Verlängerung der Knochenachse anziehe. Versäumt er dies und hebt die Extremität, so klemmt er das Sägeblatt ein; senkt er, so bricht der Knochen vor dem völligen Durchsägen ab. Beim Ab- brechen resultiren in der Regel vorspringende Knochenzacken, welche nachträglich mittelst Kneipzange abgezwickt werden müssen. Anstatt den parostalen Muskelkegel mit der Beinhaut im Niveau der Säge- — 776 — ebene durchzuschneiden, kann beides erhalten, als Muskel-Periost- manschette vom Knochen abgelöst und zurückgeschlagen werden bis zur Höhe, wo die Säge eingreifen muss. Diese Muskel-Periostmanschette hat die Aufgabe, die Sägeebene zu decken und den eröffneten Mark- raum zu verschliessen, wofür sie allerdings die genügende Länge besitzen muss. Man nennt dies subperiostales Amputiren; es hat den Vortheil, dass Sägerandnecrosen seltener auftreten, dass der Mark- raum von der Stumpffläche abgeschlossen bleibt, dass der Stumpf- knochen abgerundet wird, da er in Folge Knochenproduction der Beinhautmanschette eine Art Knochendeckel aufgesetzt bekommt, endlich dass die Muskelretraction entfällt und der späteren, sogenannten conischen Stumpfform wirksam vorgebeugt wird. Das Periost soll nie allein conservirt worden, sondern stets dessen Verbindung mit der parostalen Musculatur, oder, wo diese fehlt, mit der Deckhaut erhalten bleiben. Diese Nothwendigkeit ergibt sich aus dem Umstände, dass die Deckschichten die Ernährung der Beinhaut, wenn nicht aus- schliesslich, so doch vorzugsweise unterhalten, und dass sie leicht abstirbt, wenn ihre Gefässverbindungen bilateral unterbrochen werden, was doch der Fall ist, wenn man die Beinhaut gleichzeitig vom Knochen und von ihrer Aussenumgebung trennt. Am Oberschenkel soll also die parostale Muskelschichte mit der Beinhaut erhalten werden; Muskeln und Beinhaut hängen aber an der linea femoris aspera so fest am Knochen, dass deren stumpfe Ablösung an dieser Stelle nicht gelingt. Man begnügt sich daher mit der Erhaltung der Beinhaut in der grössten Peripherie des Knochens, mit Ausschluss jenes Streifens, welcher an der linea aspera hängt; demnach schneidet man mit einem Scapelle entlang der rauhen Linie, welche die Mitte der hinteren Knochenfläche einnimmt, an beiden Seiten die Beinhaut in der Längsrichtung ein und gewinnt damit einen breiten viereckigen Lappen, der nun auf stumpfe Weise zurückgedrängt wird, mittelst Elevatorium oder mit dem Scalpellhefte, falls dessen Ende kantig ausliefe. Schonender ist das Abziehen des Beinhautmuskellappens, wofür man den Endrand nur ein klein wenig auf früher bezeichnete Art ablöst, worauf man den freigewordenen Rand mit den Finger- nägeln erfasst, umbiegt und vom Knochen abzieht oder abstreift. Wenn die Beinhaut an den Lappenrändern vollends durchschnitten ist, gelingt das Abziehen anstandslos und um so leichter, wenn ent- zündliche Knochenprocesse theils eine Verdickung der Beinhaut zu Stande gebracht, theils ihre Verbindungen mit dem Knochen gelockert haben. Die viereckige Muskel-Periostmanschette wird nach Absägung des Knochens wie eine Schürze über die Sägefläche ausgebreitet und an die parostalen Muskelschichten durch zwei versenkte Catgutnähte an jeder Ecke befestigt. Nach Unterbindung der Stumpfgefässe: arteria et Vena femoralis (unterhalb des musculus sartorius) und profunda nebst den sichtbar werdenden Muskelgefässen legt man die bisher umgestülpt gehaltene Hautmanschette zurecht, deckt die Stumpf fläche vollends und vereinigt die Manschettenränder mit Metall- oder Seiden- suturen der Länge oder der Quere nach; die Wundwinkel bleiben offen zum Einlegen von kurzen Drainstücken, falls nicht vorgezogen wird, letztere durch eigens geschnittene oder gestochene Löcher der Manschette durchzuführen. Der völligen Verschliessung des Ampu- — 777 — tationsstumpfes durch versenkte Muskel- und Hautmuskelnähte wurde im zweiten Abschnitte dieses Buches Erwähnung gethan. Ein Occlusiv- verband beendet die Operation. Beim Anlegen desselben verhüte man jede Compression oder Einknickung der Drainrohre, falls solche zur Benützung gekommen wären, was als Regel gelten kann. Man erzielt eine freie Drainpassage einmal durch Wahl dickwandiger, stärker calibrirter kurzer Gummirohre, ferner durch Anlegung von Gaze- kränzchen um die äussere Rohrmündung, wodurch letztere dem directen Bindendrucke entzogen bleibt. Hochlagerung des Stumpfes ist für die ersten 24 Stunden geboten, ebenso Fixirung durch breite Tücher, welche das Bett der Quere nach umfassen und den Stumpf an die Unterlage gedrückt erhalten. 2. Der Kegeltrichterschnitt besteht in einer Aufeinanderfolge von Cirkelschnitten, durch welche Haut und Muskelstrata in central auf- steigenden Ebenen durchschnitten und der Knochen zu höchst abge- sägt wird. Diese, in verschiedenen Ebenen auszuführenden Cirkeltouren machen es nothwendig, die jeweilig durchschnittenen Schichten stark retrahiren zu lassen, damit an der Retractionsgrenze der einen, die nächst tiefere ans Messer komme. Diese progressive Retraction besorgt ein Gehilfe dadurch, dass er die Haut mit beiden Händen umfasst und stark zurückzieht; später, wenn wiederholte Cirkeltouren jene und die oberflächlicheren Muskelschichten schon durchschnitten haben, verlassen die Hände die Haut und werden die Finger als Haken benützt, um an der Wundfläche direct einzugreifen. Nehmen wir beispielsweise an, es wäre ein linker Oberarm nach dieser Methode abzusetzen, so würde die Extremität rechtwinkelig vom Stamme ab- gehalten und der Operateur an die Innenseite sich stellen, so dass seine linke Stammesseite dem Stamme des Operirten zugewendet bleibt. Zur Absetzung ist kein Amputationsmesser nothwendig, nur ein etwas längeres Scalpell. Der Gehilfe retrahirt die Haut, der Operateur führt nach der früher angegebenen Regel zunächst einen Cirkelschnitt durch die Haut, bis sie vollends getrennt ist. Theils durch eigene Elasticität, theils durch directe Retraction verbreitert sich der Wundspalt; an der Retractionsgrenze der Haut wieder ein Cirkelschnitt, der eine Muskellage durchschneidet; an der Retractions- grenze dieser ein zweiter Cirkelschnitt, dann ein dritter, endlich am höchsten Punkte ein xter, der die Beinhaut mit durchschneidet. Hat man den Knochen abgesägt und lässt der Gehilfe die bisher scharf zurückgehaltenen Weichtheile des Stumpfes los, so schieben sie sich nach vorne und es resultirt ein Weichtheilcylinder, dessen Ränder nur aus Haut allein, dessen Innenfläche, trichterförmig sich vertiefend, von den in verschiedener Höhe durchschnittenen Muskellagen aus- tapezirt ist, während im Grunde die Sägefläche sichtbar bleibt. Die Vereinigung erfolgt wie beim Cirkelschnitte. Die Länge des Trichters wird an dem wegfallenden peripheren Gliedmassentheile während des Operirens controlirt; die conisch zulaufende periphere Wundfläche ist ja der Model des Trichters. Am Oberarm gelingt es schwer, die Beinhaut zu erhalten, weil der Knochen mehrkantig ist und die Ver- bindungen des Periostes an den Kanten so sehr innige sind, dass eine stumpfe Ablösung in Manschettenform schwer möglich erscheint; höchstens dass man von den Knochenflächen die Beinhaut in Streifen- - 778 - form ablösen kann. In der Regel operirt man deshalb am Oberarme nicht subperiostal, sondern schneidet parostale Muskelschichte und lieinhaut im Niveau der Sägefläche durch. Die arteria brachialis ist im sulcus bicipitalis internus zu suchen, nebst ihr sind zu unter- binden: die profunda und die collaterales. 3. Lappenschnitte. Lappen sollen die Manschette ersetzen, haben also die Aufgabe, die Stumpffläche vollständig zu decken. Ihre Grösse und Form muss sich nach jener des Stumpfes genau richten; nebst- bei ist sie abhängig von der jeweiligen Dicke des Lappens und von dem Umstände, wie viele Lappen die Deckung zu besorgen haben. Es kann ein einziger Lappen benützt werden oder deren zwei; mehr als zwei dürften selten zur Verwendung kommen. Die Länge wird einfach nach dem Durchmesser der Stumpffläche berechnet, unter Berücksichtigung der Lappendicke (Haut- oder Hautmuskellappen) und der Gewebsretraction. Bedient man sich eines Lappens allein, so muss dieser so lang sein als der ganze Durchmesser der Stumpffläche bezüglich ihrer Höhe oder Breite, je nachdem ein oberer, beziehungs- weise unterer oder ein seitlicher Lappen gewählt wird; bedient man sich zweier Lappen, so muss jeder an Länge dem betreffenden Halb- messer entsprechen. Die Breite jedes Lappens entspreche, wenigstens an der Basis, dem halben Umfange der Gliedmasse, die Form variirt nach jener der Stumpffläche; am besten eignen sich zur Deckung halbovale oder gleichbreite Lappen mit abgerundeten Ecken und schwach convexem freien Rande. Bei Benützung von Hautlappen können diese, gleichwie bei der Manschettenbildung hervorgehoben wurde, entweder bloss die Haut und den subcutanen Zellgewebs- polster enthalten, oder auch das entsprechende Stück Fascie in sich fassen; Hautmuskellappen enthalten nebstbei noch eine mehr minder dicke Schichte Muskelfleisch. Letzteres sollte nur in dünner Lage ausgeschnitten werden und dieses mit seinen Rändern nie die Haut- grenze überschreiten, sondern ein wenig hinter ihr zurückstehen, weil sonst die vorquellende Muskelsubstanz die Vereinigung der Hautränder stören würde. Es sind drei verschiedene Methoden bekannt, gemischte Lappen auszuscheiden: a) Man schneidet jeden Lappen von innen nach aussen so, dass man entsprechend der Lappenbasis ein doppel- schneidiges Amputationsmesser (Fig. 226 h) durch die eventuell vom Knochen abgezogene Weichtheilmasse sticht und dann zunächst parallel der Gliedmassenachse fortschneidet, bis die nöthige Lappen- länge gewonnen ist, um schliesslich das Messer mit der Schneide nach aussen zu kehren und die Lappenbildung zu vollenden. Diese Methode ist gegenwärtig verlassen worden, weil der Lappen dabei in der Regel zu dick resultirt, id est zu viel Muskelfleisch enthält, die Lappenränder nicht immer glatt ausfallen und die schöne Abrundung des freien Randes darunter leidet, endlich weil dabei das Muskel- fleisch über die Hautränder vorquillt. Letztgenannter Uebelstand beruht in der physiologischen Retractionsverschiedenheit zwischen Muskelfleisch und Haut. Letztere ist elastischer und retrahirt sich nach der Trennung unbedingt mehr als ersteres; da aber beide Lagen in Einem geschnitten werden, so kommt die Contrastwirkung um so markanter zu Tage, b) Man schneidet den Lappen von aussen nach innen. Haut und Musculatur zuoieich. Auch diese Methode beseitigt den eben — 779 — betonten Uebelstand nicht ganz, es sei denn, dass man vor dem Zuschneiden die Haut durch Zusammenschieben in Länosfalten legt und dadurch bei gleicher Schnittlinie dennoch mehr Haut als Muscu- latur entnimmt; denn die sich glättende Haut hat, der Faltenlegung Avegen, nach dem Ausschneiden einen breiteren Durchmesser, als die nicht in Falten gelegte Musculatur. Dennoch leidet dabei die Form des Lappens, insofern als die Seitenränder, namentlich aber der freie Rand in Folge der Faltung unregelmässig ausfallen und der Glätte und Rundung entbehren, c) Man umschneidet zuerst die Haut bis zur Fascie, dann erst die Musculatur entsprechend den retrahirten Haut- rändern, ja es ist dabei sogar empfehlenswerth, die spontane Haut- retraction durch longitudinale Faltenbildung noch etwas zu steigern. Dieses Verfahren ist das beste und wird am häufigsten angewendet. Die Ausschneidung des Muskellappens wird mit einem Lappenmesser besorgt (Fig. 226 c) oder mit etwas längerem Scalpelle. Der Operateur erfasst die Hautfläche des vorgezeichneten, richtiger vorgeschnittenen Hautlappens mit den Fingerspitzen linker Hand, legt jene durch Zu- sammenrücken der Daumen- und der übrigen Fingerspitzen in Längs- falten und schneidet nun mit dem Listoii?,c\\e\\ Lappenmesser, das in die volle Hand genommen wird, vom freien Rande des Hautlappens aus in aufsteigend schräger Richtung die Musculatur durch mehr- faches Hin- und Herziehen des Messers von der Spitze zum Heft und zurück. Ist die Lappenbasis erreicht, so resultirt ein Hautlappen, der einen giattrandigen zungenförmigen Muskellappen umrahmt und ein- schliesst, denn die Ausgleichung der F'alten schiebt die Hautränder über den Muskel hinaus. Durch dieses Vorschneiden des Hautlappens ist auch eine grössere Genauigkeit in der Bildung der Form und Grösse, sowie auch in der Regelmässigkeit der Contourirung gegeben. Ausnahmsweise wird nach der Vorschneidung des Hautlappens das Muskelfleisch von innen herausgeschnitten. Diese Variante hat von der sub « beschriebenen den Vortheil, dass das Vorquellen des Muskelfleisches umgangen wird, da die Faltenlegung der schon durchschnittenen Haut es hindert; dagegen geht oft ein etwas dicker, zu viel Musculatur enthaltender, gemischter Lappen hervor. Man verwendet daher diese Variante nur für Extremitätsabschnitte, wo mehr Sehnen als Muskeln, also weniger Weichtheile vorhanden sind. Wir wollen nun die zwei Varianten der sub c geschilderten Lappenausschneidung an speciellen Beispielen erläutern und zunächst annehmen, es sollte eine Unterschenkelamputation mit einzigem ge- mischten Wadenlappen ausgeführt werden. Wäre der linke Unterschenkel zu amputiren, so müsste der Operateur zwischen den Beinen des Kranken Posto fassen, damit aber das rechte Bein nicht hindere, wird es im Knie- und Hüftgelenke ad maximum gebeugt, dem Stamme zugekehrt und in dieser Stellung durch einen Gehilfen fixirt. Man erfasst den Unterschenkel an der Amputationsgrenze von oben her und legt die Spitzen des Daumens und Zeigefingers an die Mitte der inneren und äusseren Wadenflächen, so dass -sie die Endpunkte der Lappenbasis bezeichnen, und ihre Entfernung voneinander die halbe Circumferenz des Gliedes markirt. Das Bein wird schräge erhoben, der Operateur kniet mit dem linken Fusse nieder und neigt seinen Stamm etwas dem Kranken zu. Mit — 780 — dem Scalpelle umkreist er dann den Lappen bis zur Fascie; dessen Länije muss dem Ilöhendurchmesser des Unterschenkels an der Am- putationsstelle entsprechen und dem Retractionscoefficienten Reclinunfi' tra^ien, jenen also um etwa Querfingerbreite übertreffen. Der künftige Lappen sei gleichbreit, mit abgerundeten Winkeln und convexer freier Randfläche. Das convexe Umschneiden des freien Lappenrandes ist unter allen Verhältnissen geboten, weil nach einfach querer Durch- schneidung sich der Rand concav gestalten müsste, indem der Mittel- theil des Ilauptlappens sich stärker retrahirt als die Randtheile; will man also einen queren Rand, so muss etwas convex umschnitten werden ; will man einen bleibend convexen freien Rand, so umschneide man in halb ovaler Form. Das Vorschneiden des Lappens geschieht am besten so, dass man das Messer am bezeichneten Punkte der, dem Operateur zugekehrten Seitenfläche des Gliedes ansetzt, zunächst parallel der Gliedmassenachse nach unten zu schneidet, bis die noth- wendige Länge gewonnen ist, sodann die Wadenfläche in convexer Rundung umkreist bis zur Mittellinie der absehenden seitlichen Fläche und schliesslich das Messer jener entsprechend centralwärts fortführt, bis der zweite Endpunkt der Lappenbasis erreicht ist. Ungeübtere mögen sich die Lappen mit Farbe oder Kohle skizziren, bevor sie zum Messer greifen. Ist der Lappen umschnitten, dann fasst der Operateur die Hautfläche und legt sie in Längsfalten, mit der rechten Hand ergreift er das Lappenmesser und schneidet, immer vor und unterhalb der schräg emporgehaltenen Gliedmasse knieend, die Musculatur in schiefer Richtung allmälig durch. Der oben stehende Gehilfe ergreift den herabhängenden Lappen, klappt ihn nach auf- wärts um und fixirt ihn; das Bein wird nun horizontal gestellt, der Operateur erhebt sich aus seiner knieend-hockenden Stellung, schneidet die Haut entsprechend dem oberen Peripheriehalbkreise in convexer Richtung durch und verbindet damit die Basispunkte des Lappens. Der convex umschnittene, die Ebene des Lappenumschlages einhal- tende Hautrand retrahirt sich und wird quer; nun umschneidet man den Rest der Musculatur in der Amputationsebene bis zu den Knochen mit einer Cirkeltour oder mittelst eines regelrechten dreizeitigen Muskelschnittes durch. Am Oberschenkel und Oberarm, wo die Mus- culatur ziemlich gleichmässig um den Extremitätsknochen vertheilt ist, sagten wir, dass sie in vier aneinander gereihten und ineinander übergehenden Tempo durchschnitten werde; am Unterschenkel ist die vordere Fläche muskelfrei, es entfällt somit der erste Messerzug und man beginnt gleich mit dem zweiten, stellt demnach das Messer senkrecht auf die absehende Seitenfläche an und führt es vom Heft zur Spitze, dann um 90 Grad gedreht, schräg von der Spitze zum Heft, endlich an der dem Operateur zukehrenden Seitenfläche vom Heft zur Spitze, wobei der unten stehende Gehilfe gleichzeitig die Extre- mität etwas nach innen rotirt und dadurch die Musculatur quasi dem Messer entgegenführt. Nach Durchschneidung der peripheren Muscu- latur bleibt bei zweiknochigen Extremitätstheilen noch die Zwischen- knochenmusculatur übrig, welche separat durchschnitten werden muss. Oefters wird hiefür ein eigenes Instrument verwendet, Zwischen- knochenmesser oder Catline genannt (Fig. 226 d), ein schmales, spitzes doppelschneidiges Messer. Mit der Catline operirend, sticht man sie — 781 — mitten durch den Zwischenknochenraum durch und schneidet zuerst mit der oberen, dann mit der unteren Schneide die ganze interosseale Muskelwand durch. Bei Benützung der Catline gebe man sorgfältig Acht, nicht wiederholt durchzustechen, weil dabei die nahe dem ligamentum interosseum verlaufenden Gefässstämme mehrfach verletzt werden und bei der Ligatur Schwierigkeiten abgeben könnten. In Ermangelung eines doppelschneidigen Messers nimmt man ein schmales Scalpell oder ein Bistouri, führt es mit flacher Klinge knapp am Tibiaknochen ein, kehrt sodann die Schneide gegen den Zwischen- knochenräum und schneidet alles darin Enthaltene gegen die fibula durch. Xunmehr folgt der Periostschnitt und zugleich die Nachlese jener Muskelfasern, welche sich bisher der Messerwirkung entzogen. Da zwei Knochen zu umkreisen sind, so stellenbeide supraponirte Kreistouren graphisch annähernd die Figur eines Achters dar, weshalb auch die zur doppelten Umkreisung noihwendige Messerführung die Achtertour heisst. Man führt die Umkreisungen nicht als abgeschlossene Cirkel- touren aus, wie an einknochigen Extremitätsabschnitten; es würde dies allzu umständlich sein, da der zweite Knochen die freie Umkreisung des ersten, und dieser wieder jene des zweiten Knochen hindern müsste, sondern lässt die eineHalbtour in die zweite übergehen und vervollstän- digt beide in umgekehrter Reihenfolge zu ganzen Kreistouren. In unserem speciellen Falle führt der Operateur die Achtertour folgendermassen aus: er nimmt ein schmales Scalpell, umgreift den Unterschenkel, setzt die Klinge senkrecht auf die freie Tibiafläche und schneidet hierselbst die Beinhaut in einer queren Ebene genau und scharf durch; von der oberen Tibiafläche kommt das Messer zur äusseren Tibiakante und fällt dann in den Zwischenknochenraum. Hierselbst angelangt, führt man das Messer, die gleiche Ebene einhaltend, zur fibula, umkreist sie vollständig und kommt wieder in den Zwischen- knochenraum zurück, nur von der anderen Seite her und mit dem Unterschiede, dass das Scalpell nunmehr seine Schneide nach oben kehrt, gerade recht, um die bisher unberührte untere Hälfte der tibia umfahren und damit die doppelte Kreistour vervollständigen zu können. Am Unterschenkel kann man die beiden Knochen entweder gleich- zeitig durchsägen oder jeden einzeln für sich, einen nach dem anderen. Ersterenfalls pflegt man zunächst die, im Vergleiche zur fibula über doppelt dicke tibia bei horizontaler Sägeführung bis zur Hälfte einzuschneiden, sodann die Säge schräge zu stellen und die zweite Hälfte gleichzeitig mit der fibula durchzutrennen. Der unten stehende Gehilfe zieht am wegfallenden Gliedtheile in genauer Achsen- richtung gleichmässig an, um das sonst unvermeidliche Einklemmen des Sägeblattes zu verhüten. Sägt man die Knochen einzeln durch, so wird mit der tibia begonnen und nachdem sie ganz durchtrennt, erst an die fibula gegangen. Dieses getrennte Sägen hat den Vortheil, dass das Wadenbein statt senkrecht, schräge abgesetzt werden kann, im Sinne der Richtung innen aussen, wodurch ein besseres, gleich- massigeres Anliegen des Lappens oder der Manschette (bei Benützung des zweizeitigen Cirkelschnittes) ermöglicht wird. Auch die obere, bei senkrechtem Sägen steil vorspringende Tibiakante ist oft im Wege und bedingt Decubitus der darauf lastenden Deckweichtheile, weshalb viele Operateure die Kante schräge absägen, sei es nachträglich, — 782 — sei es schon während des Ampiitirens ; letzterenfalls wird die Säge zu- nächst schräge angesetzt und der Knochen in gleichem Sinne bis zur Tiefe von etwa 1 Centimeter eingesägt, worauf das Sägeblatt aus der schrägen Sägefurche herausgezogen und peripherwärts in senkrechter Richtung frisch angesetzt wird. Nach vollendeter Absägung fällt der ab- getrennte Keil ab und die vordere Tibiakante ist zu einer schräge ab- fallenden Fläche umgewandelt, welche unter stumpfem Winkel in die senk- rechte Sägeebene übergeht. Benützt man ganz schmale Sägeblätter, so kann nach B ut eher anch rund abgesägt werden. Das Abhalten der Weich- theile beim Acte des Sägens besorgt ein Assistent mit seinen beiden Händen, höchstens dass hie und da eine Holzspatel oder ein Eleva- torium mithilft; die Benützung der, früherer Zeit üblichen, einfach oder doppelt eingeschnittenen Leinwandcompressen ist nicht mehr in Gebrauch, seit die Antisepsis schwer controlirbare Zeugstoffe zu meiden gelehrt hat. Die nach beendeter Unterschenkelamputation zu unterbindenden arteriellen Stämme sind drei an Zahl: tibialis antica, oberhalb des Zwischenknochenbandes zwischen musculus tibialis an- ticus und extensor hallucis, oder zwischen letzterem und dem exten- sor communis, je nach der Höhe, in der man amputirt; tibialis postica, unterhalb des Bandes zwischen musculus tibialis posticus und flexor hallucis longus, endlich die peronea, nahe der hinteren Kante des Wadenbeines. Sind noch accessorische Muskeläste unterbunden, hat die Blutung vollends sistirt, ist die Amputationswunde antiseptisch versorgt, so klappt man den gemischten Wadenlappen nach aufwärts und vernäht dessen Ränder mit jenem des Hautschnittes an der oberen Halbperipherie. Die subperiostale Amputation des Unterschenkels erfordert einige Verschiedenheit in der technischen Ausführung; es kann zur Deckung der Sägefläche der tibia (jene der fibula wird nicht berücksichtigt) nur ein Periostlappen aus der vorderen Tibiafläche entnommen werden. Die Beinhaut muss, aus früher betonten Gründen, mit der deckenden äusseren Haut in Verbindung gelassen werden, ein Grund, der als entsprechendste Amputationsmethode den doppelten schrägen Lappen- schnitt nach Ulrich gelten macht. Die seitlichen Begrenzungsschnitte beider Lappen ziehen entlang der inneren Tibiakante und querfinger- breit hinter der fibula; diese zwei Linien sind Antipoden; deren Verbindungsebene halbirt den Unterschenkel in zwei Hälften von ziemlich gleicher Circumferenz, nur dass die Musculatur ungleich- förmig vertheilt ist, denn, während die innere untere Hälfte die ganze Wadenmusculatur birgt, ist die äussere obere kärglich und ungleich- massig gepolstert. Wenn nun auch darauf Rücksicht genommen und im inneren unteren Lappen nur eine dünne Muskelschichte einbezogen wird, so resultirt dennoch eine ungleiche Dicke beider Lappen, was übrigens ohne Bedeutung bleibt. Nehmen wir zur Illustration des Verfahrens den rechten Unterschenkel an, so stellt sich der Operateur an die Aussenseite des Beines, markirt mit Daumen und Zeigefinger- spitze seiner linken Hand die erwähnten Punkte und führt zunächst zwei Längsschnitte entlang der inneren Tibiakante und beiläufig \'2 Zoll weit hinter der fibula. Nach berechneter Länge der Lappen (jeder gut fingerbreit länger als der quere Halbmesser des Unter- schenkels) werden die Längsschnitte durch zwei convexe Bogen ver- — 783 — bunden und dadurch zwei Lappen von gleicher Länge und Breite vorgeschnitten. Man wendet sich nun zum oberen äusseren Lappen und schneidet entsprechend dem Hautschnitte das Periost durch, welches, nach bilateraler Längsincision des Periostlappens entsprechend den Tibiakanten sofort mit der Haut abgehebelt wird. Die Incision entlang der äusseren Tibiakante muss mehr minder subcutan geführt werden, da diese vorläufig noch von der Haut bedeckt ist. Hat man den Periostlappen losgemacht und die Tibiafläche entblösst, so schneidet man den Rest des Lappens sammt einem Antheile der Musculatur, welche zwischen tibia und fibula liegt und letztere um- gibt, bis zur Basis ab, schlägt den gemischten Lappen um und wendet sich nun zum inneren unteren Lappen, der nach früher angegebenen Regeln ausgeschnitten wird. Die weitere Amputation ist der nicht subperiostalen ganz anlog. Die Lappen w^erden mit ihren Rändern in schräger Richtung vereinigt und dabei die Sägefläche der tibia mit dem erhaltenen Perioststücke gedeckt. Mit dem Perioste kann auch eine Scheibe aus der Corticalis der vorderen Fläche der tibia zur Deckung des Markraumes erhalten werden, wodurch die Amputation zu einer osteoplastischen sich ge- staltet. Um Zugängiichkeit für die Säge zu gewinnen, muss dabei vorher ein vorderer nur aus Haut bestehender Lappen abpräparirt werden, der an Länge jene des Beinhautknochendeckes etwas über- ragt; die Länge des hinteren Lappens richtet sich nach jener des vorderen, da beide vereint den Stumpf zu decken haben. Die schönsten und günstigsten Unterschenkelstümpfe erhält man unstreitig durch die Amputationsmethode von r. Brmts, bei Avelcher sämmtliche Deckweichtheile erhalten und zur Deckung der Knochen verwendet werden. Man amputirt mittelst zweizeitigem Cirkelschnitte, an der unteren Hälfte des Unterschenkels ohne Bildung einer Manschette, für die obere ist eine querfingerbreite Hautmanschette zweckmässig. Nach Durchschneidung sämmtlicher Weichtheile inclusive Zwischen- knochenmusculatur werden zwei Längsincisionen entsprechend der inneren Tibiakante und fibula bis zu den Knochen geführt mit Durchtrennung der Beinhaut und nunmehr unter Anwendung eines Elevatoriums beide Knochen aus der Beinhaut geschält bis zur Höhe, wo deren Durchsägung erfolgen soll. Die Weichtheilmasse, welche durch die Längenschnitte zu zwei viereckigen Doppellappen geformt wurde, wird lappenartig nach oben umgeklappt und die Knochen dann abgesägt. Nach beendigter Gefässunterbindung und Abtragung der stark vorgezerrten Nervenstümpfe werden die Doppellappen zu- rechtgelegt und da sie gleich gross sind und vollkommen zu einander passen, ist die Nahtvereinigung eine leichte. Am Oberschenkel pflegt man sich bei der Wahl des Lappen- schnittes zweier ungleich grosser Lappen zu bedienen, eines längeren oberen, welcher in seiner oberen Hälfte mit dem Periost zurück- präparirt wird, und eines kürzeren unteren. Man schneidet den oberen Lappen in seiner unteren Hälfte gleich jedem gemischten Lappen, nur mit dem Unterschiede, dass man sich steiler hält, um rascher zum Knochen zu langen, worauf man die zwei Schnitte rechts und links von der linea aspera macht, und von jetzt ab in den Haut- muskellappen auch das Periost mitnimmt, also nur die Seitentheile — 784 — mit dem Lappenmesser weiter schneidet, den Mitteltlieil dagegen mit der Beinliaut stumpf abhebt. Eine Variante in der Technik der Lappenbildung bildet deren Vorzeichnung, beziehungsweise Vorschneidung in der Haut mit nach- träglicher Ausschneidung von innen nach aussen, also mittelst Durch- stich. Wie schon betont, wird diese Variante bloss an solchen Ex- tremitätsabsclmitten ausgeführt, an denen wenig Weichtheile vorhanden sind, falls man die Absicht hegt, die wenigen subfascialen Gebilde im Lappen zu erhalten. Wir wollen die Technik an zwei Beispielen illustriren und zunächst eine Amputation des Vorderarmes im unteren Dritttheile mit doppeltem Lappenschnitte beschreiben: dem Patienten wird die zu amputirende Gliedmasse rechtwinkelig vom Stamme ab- gezogen gehalten, der Operateur stellt sich jeweilig so, dass seine operirende Hand vom Stamme des Kranken abgewendet ist. Da die Vorderarmknochen den Seitenflächen des Vorderarmes entsprechen, so werden zur Deckung des Amputationsstumpfes nur der Innen- oder der Aussenfläche, oder beiden zugleich Lappen entnommen. Nehmen wir letzteres an. Mittelst Daumen und Zeigefinger wird durch Umfassen des Vorderarmes von oben die Amputationsgrenze markirt, und nun mit dem Scalpelle zunächst zwei, den Knochen- achsen parallele Längsschnitte gezogen, welche in bestimmter Ent- fernung durch zwei, Innen- und Aussenfläche des Vorderarmes kreu- zende Bogenschnitte gegenseitig verbunden werden. Hierdurch sind die beiden Lappen vorgezeichnet. Der Operateur erfasst nun die Haut an der Basis des einen Lappens, zieht sie der Breite nach etwas zusammen und sticht ein spitzes Lappenmesser mit flacher Klinge durch, knapp an den Knochen vorbei. Das Messer hat damit alle subfascialen Weichtheile (Sehnen) aufgeladen und trennt sie beim Ausschneiden ab. Ist beiderseits so verfahren worden (eine Mittellage der Hand zwischen Pro- und Supination taugt hiefür am besten, da sie die Knochen zu einander in Parallelstellung bringt), sind die Lappen nach oben umgeschlagen, so bleibt nur die Durchschneidung der Interossealschi eilten und der Periostschnitt durch Achtertour übrig, um absägen zu können. Die Beinhauterhaltung ist, der dünnen und kantigen Form der Knochen wegen, schwer möglich und daher kaum üblich. Beide Knochen können gleichzeitig durchsägt werden, wofür der Bequemlichkeit wegen eine Pronationsstellung des Vorderarmes er- wünscht ist; dabei resultiren quere Sägeflächen und kantige Ränder. Manche Operateure ziehen schräge Sägeflächen vor, in dem Sinne, dass die beiden Ebenen sich im Zwischenknochenraume kreuzen, d. h. dass die stumpfen Winkel nach aussen, die spitzen nach innen kehren; hiefür muss jeder Knochen für sich abgesägt werden. Diese Absäge- methode hat den Vortheil, dass die Lappenvereinigung an der Basis leichter möglich wird, da jederseits eine keilförmige Knochenscheibe mehr abgetragen wird. Drei Hauptstämme müssen am Vorderarm unterbunden werden: radialis, ulnaris und interossea interna; alle verlaufen bekanntlich an der Beugefläche; nur die kleine interossea externa liegt an der Streckseite des ligamentum interosseum. Die arteria radialis liegt in der Furche zwischen den Sehnen des mus- culus radialis internus und supinator longus, die ulnaris unterhalb — 785 — der Sehne des musculus ulnaris internus; die gleichnamigen Nerven sind an den Aussenseiten der Gefässe gelegen. Als zweites Paradigma gelte die Amputation sämmtlicher Mittel- fussknochen. Auch hier wollen wir der Technik zuliebe annehmen, dass Doppellappen gewählt werden müssten, und zwar ein dorsaler und ein plantarer, Patient wird so gelagert, dass der Fuss über die Tischkannte frei vorliegt, der Operateur stellt sich der planta pedis gegenüber, umfasst mit seiner linken Hand den Fuss von der Sohle aus und bezeichnet mit Daumen und Zeigefinger die Grenzpunkte der Amputationsebene. Zunächst zwei Längsschnitte entlang den Fuss- rändern, hierauf Abgrenzung der künftigen Lappen durch quere Bogenschnitte. Das Abpräpariren des oberen Lappens kann nicht wie am Vorderarm mittelst Durchstich an der Lappenbasis erfolgen, indem die subfascialen Sehnencomplexe sich wenig emporheben lassen und das Knochengerüste eine Bogenlinie bildet, wogegen die Messer- klinge eben ist. Es bedarf daher einer partienweisen Abschälung der sehnigen Gebilde. Der Operateur hebt den Hauptlappenrand an jenem Seitenrande des Fusses mit zwei Fingern seiner linken Hand etwas in die Höhe, welcher seiner rechten, das Messer führenden Hand zugewendet ist, sticht die flachgehaltene Klinge am Knochen ein, führt sie knapp daran weiter vor und schneidet immer entlang den Knochen nach vorne, endlich an der vorderen Lappengrenze vollends aus. Nun wird wieder flach eingestochen und ausgeschnitten und so schrittweise die Ablösung von einem zum anderen Fussrande vorgenommen, bis der gemischte Dorsallappen ganz ausgeschnitten ist; nach der Präparation liegen die fünf Metatarsalknochen an ihren oberen Flächen entblösst vor. Die Ausschneidung des Plantarlappens kann recht wohl durch Durchstich entsprechend der Basis ausge- führt werden, da das Weichtheillager der planta viel dicker ist. Sind beide Lappen ausgeschnitten und umgeschlagen, dann muss die Musculatur in den Zwischenräumen quer durchschnitten werden, wofür ein spitzes Bistouri mit recht schmaler Klinge dient, das man direct an der Absetzungsgrenze in jedes spatium interosseum einsticht und nach beiden Seiten hin durch Umdrehung der Klinge schneidet. Die Musculatur innen vom ersten und aussen vom letzten metatarsus wird separat durchschnitten. Zuletzt kommt der Periostschnitt, am besten durch zwei halbovale Züge des Messers, womit man jeden einzelnen Mittelfussknochen für sich umkreist. Das Absägen wird in Einem ausgeführt oder jeder Knochen für sich durchtrennt. Auf gleiche Weise wird die Absetzung des Mittelhand vorgenommen. Amputirt man letztere wegen Verletzungen, so gelingt es kaum typisch vorzugehen, sondern man wird zu den absonderlichsten Schnitten gezwungen, um jene Weichtheile zur Stumpfbedeckung zu erhalten, welche der verletzenden Gewalt entronnen sind. Da jeder Centimeter Mittelhand einen hohen Werth hat, falls der Daumen unverletzt ge- blieben oder erhaltbar ist, so muss Alles daran gesetzt werden, um dem Verletzten einen halbwegs benutzbaren Handstumpf zu erhalten, selbst wenn nicht genug Weichtheile vorhanden wären, um die ganze Stumpffläche vollends zudecken; man überlässt dann den unbedeckt bleibenden Theil der Granulation und nimmt in der Vernarbungs- periode zur greffe oder zu plastischen Operationen seine Zuflucht. V. Mose tig-M oo rhof: Hamllincli .1 rhirurp. Technik. 4. Aufl. 50 — im - Der Ovalairschniti; ist häufiger bei Exarticulationen üblich als bei Amputationen in der Continuität und wird bei ersteren, die wir der Varietät der einzelnen Gelenke wegen nicht summarisch besprechen können, eingehender zur Sprache kommen. Er nimmt beiläufig gesagt die Mitte ein zwischen Kegeltrichter- und Hautmuskellappenschnitt, nähert sich aber, vom Standpunkte der Technik betrachtet, mehr der letzteren Methode und stellt eigentlich zwei, an einer Seite in Verbindung bleibende und in Ovalairform ineinander übergehende Lappen dar. Fig. 227. Die Wahl der jeweiligen Amputationsmethode wird bestimmt durch die bestehende Causalanzeige; kann durch Exarticuliren dem Kranken mehr erhalten werden, oder bietet die Auslösung im Gelenke günstigere Chancen, so wird diese unbedingt vorgezogen. Ob Knorpel vorliegt, ob spongiosa oder Markhöhle, bleibt sich bei Einhaltung strenger Antisepsis gleich; in allen Fällen kann Primaheilung erfolgen. Ob Cirkel-, Kegeltrichter- oder Lappenschnitte auszuführen seien, ist auch nicht immer freigestellt. Liegt beispielsweise ein Ulcus cruris vor, welches die Vorderseite des Unterschenkels einnimmt und die Wade intact lässt, reicht es bis zur spina tibiae hinajif, so wird wohl — 787 — Niemand an einen Cirkelschnitt denken, da nur ein Wadenlappen im Stande ist, die Absetzung an der Grenze des Ulcus zu ermöglichen. Kegeltrichterschnitte sind nur an Extremitätsabschnitten möglich, wo die Musculatur den Stützknochen ziemlich gleichmässig umgibt, am Unterschenkel und Vorderarm also nicht; wohl sind aber Cirkel- schnitte an letzteren möglich, unstatthaft dagegen an der Hand oder am Fusse. Im Allgemeinen geben gemischte Lappen, richtig geschnitten, die allerschönsten Stümpfe: sie erfordern aber eine geübte Hand und ein gutes Augenmass. Noch ein Wort über die Behandlung der Nerven- enden im Stumpfe. Die Nerven werden im Niveau der Absetzungs- fläche durch das Amputations- oder Lappenmesser durchgeschnitten und ihre Enden bleiben, weil sie wenig retractil sind, nackt vor- ragend. Im Verlaufe der Vernarbung kommt es manchmal zur Bildung falscher Neurome, oder das Nervenende wird in die Narbe einbezogen. In beiden Fällen resultiren mehr minder heftige Neuralgien, welche nicht selten, lange nach Vernarbung des Stumpfes, zu anderen opera- tiven Eingriffen zwingen, um den Kranken von den Schmerzen zu befreien : so zu Excisionen der Neurome oder gar zu Reamputationen. Um diesen höchst fatalen Eventualitäten zu begegnen, pflege ich schon seit vielen Jahren jeden einzelnen durchschnittenen Nervenstamm im frischen Stumpfe aufzusuchen, fasse das freiliegende Ende mit einer starken Kornzange, ziehe den Nerven so weit vor, als es ohne An- wendung übermässigen Zuges gelingen mag und schneide an centralst erreichbarer Stelle den Nerven mit einem raschen Scherenschlage durch. Das gedehnte Ende schlüpft nach dieser nachträglichen Excision eines etwa zolllangen Stückes zurück, verbirgt sich im Muskelzwischen- räume und bleibt ferne von der eigentlichen Vernarbungsstätte. Handelt es sich darum, dem Bandagisten die richtigen Masse einzusenden, damit er ohne Autopsie eine passende Prothese anfertigen könne, so kommt der Arzt nicht selten in Verlegenheit und weiss nicht, welche Masse hiefür nothwendig sind. Obenstehende schematische Zeichnung Fig. 227 hat den Zweck, dem Praktiker die nöthigen Massrichtungen anzugeben, welche conditio sine qua non sind zur Anfertigung jedweder Prothese für eine amputirte untere Extremität, gleichviel ob Hülsenstelze, ob Kniestelze, oder künstliches Bein. Prothesen für obere Extremitäten sind weniger wichtig, da sie zumeist nur cosmetische Zwecke verfolgen. Der Haken von Beavfort aber bedarf nur der Angabe der Stumpf- und der gesunden Armlänge nebst dem Umfange des ersteren, behufs Formung der Hülse. 60* L Abtheiliing. Operationen an den oberen Extremitäten. I. Capitel Schultergürtel. I. Verbände bei Schlüsselbeinbrüchen. Fracturen der claviciüa kommen zumeist auf indirecte Weise zu Stande, seltener durch direct ein- wirkende Traumen: Schlag oder Schuss. In der Regel sind Schlüssel- beinfracturen einfach und subcutan; an Kindern beobachtet man häufig subperiostale Brüche, d. h. Clavicularfracturen ohne Continuitätstren- nung der Beinhaut: diese zeigen keine Verschiebung der Bruchenden und erfordern nur solche Verbände, welche eine Ruhigstellung des gleichseitigen Armes vermitteln. Schlüsselbeinbrüche mit gleichzeitiger Durchreissung der Beinhaut sind selbstverständlich stets mit Ver- lagerung der Bruchenden combinirt, wenn nicht eine besonders zackige Beschaffenheit der letzteren, oder eine ganz schräge Bruchlinie (von oben innen nach unten aussen) die Dislocation verhindert. Letztere findet ihre Begründung in zwei Momenten: einerseits in der Ein- wirkung der portio clavicularis des Kopfnickers auf das innere Bruch- stück, welches nach oben verzogen wird, andererseits in dem Gewichte der Extremität, welches das äussere Fragment nach abwärts zieht und zugleich nach innen drängt, weil in Folge der Continuitätstrennung des Strebepfeilers, die ihres Haltes beraubte Schulter nach vorne sinkt. Dieser typischen Dislocation der Bruchenden entgegenzuwirken und die Fragmente coaptirt zu erhalten, ist die Aufgabe der Verbände. Wie schwer in manchen Fällen ihre Erfüllung sei, beweist die Unzahl von Verbandmethoden und Varianten, welche dafür ersonnen wurden. Gurlt erwähnt deren etwa 70. Das Einrichten eines Clavicularbruches ist^ leicht: ein einfaches Hinaufrücken und Rückstellen der Schulter bei gleichzeitiger Neigung des Kopfes gegen die Brustseite genügt hiefür; viel schwieriger ist die Retention der Fragmente in Coaptions- stellung. Auch diese ist leicht, so lange der Patient die horizontale — 789 — Rückenlage einhält und man ihn so bettet, dass der Kopf nach vorne und etwas seitlich geneigt zu liegen kommt, weiters durch geeignete Rückenpolsterung die Schulter hohllegt, damit sie nach rückwärts sinken könne, den Ellbogen möglichst hoch lagert, damit die Schulter nach aufwärts rücke, endlich den Vorderarm schräge über die Brust stellt, so dass die Hand die gesunde Schulter umfasst oder ihr nahe kommt. Bardenhever will bei liegender Lage sogar Extensionsverbände wirken lassen in Gestalt von Gewichten, deren Zugschnüre über Rollen laufen. Alles gestaltet sich ganz herrlich, so lange der Kranke liegt j sowie er die senkrechte Körperstellung einnimmt, stellt sich die Ver- schiebung der Bruchenden sofort wieder ein. Da aber die sonst gesunden Verletzten kaum auf längere Zeit verhalten werden können, das Bett zu hüten, so resultirt die Nothwendigkeit, schon nach wenigen Tagen für Contentivverbände zu sorgen. Was diese erstreben sollen, wurde schon oben angedeutet. Alle diesbezüglichen Verbände erfordern mehr minder die sogenannte F«7/>(?aw'sche Stellung der betreffenden oberen Extremität, nämlich die spitzwinkelige Beugung im Ellbogengelenke und das Aufruhen der Hand auf die gesunde Schulter, schräge über die Brust. Velpeau hat seinen Kranken diese Armhaltung einfach mit Binden fixirt, darin bestand die ganze Therapie. Diese Stellung drängt, wie begreiflich, die Schulter nach rückwärts und erfüllt den einen Zweck, der bei leichteren Fällen oftmals vollends genügt; hebt man den Ellbogen etwa noch durch Verbände, so wird die Schulter mechanisch emporgedrängt, ja man kann durch Hebelwirkung des Armes auf ein untergestelltes Hypomochlion sogar einen directen Zug auf das äussere Bruchstück ausüben und dadurch seiner Verschiebung nach einwärts entgegenwirken. Alle diese Postulate erfüllt vollends der Verband von Desanlt; wenn er nicht immer genügt, so liegt die Hauptschuld an dem leichten Verschieben der benützten Rollbinden und an der unstäten Lage der Körpertheile, welche den Stütz- und Druck- verbänden als Unterlage dienen. Trotz aller Bemühungen gelingt eine- tadellose Heilung nicht immer; in der Regel bleiben kleine Deviationen zurück, zum Glück ohne wesentliche Bedeutung für die Functions- fähigkeit der Gliedmasse. Bevor ein Verband angemacht wird, vergesse man nie die Ellbogenbeuge mit Salbe oder Pasta zu bestreichen, damit in der Länge der Zeit (mindestens vier Wochen) keine Maceration der Hautflächen erfolge, welche bei der Flexion des Vorderarms gegen- seitig in Contact gerathen; ebenso pudere man die Achselhöhle tüchtig mit Amylum und lege einen Bauschen entfetteter Baumwolle ein, um die Wirkungen des Schweisses auf die Haut zu paralysiren. Desanlt lege ein kleines, bis zur Mitte der Innenfläche des Oberarmes reichendes, mit Rosshaar stramm gepolstertes Keilkissen in die Achselhöhle mit der Keilbasis nach oben, mit dem Keilrande nach unten. Die Basis stützt sich auf die Achselfalten und lässt die eigentliche Achselhöhle frei. Das Kissen wird mit circulären Bindentouren an den thorax befestigt; da dieser aber nicht ruhig bleibt und man andererseits die' Binden nicht allzu fest anziehen darf, ohne die Respiration zu behindern, so empfiehlt es sich, an den Schmalseiten der Keilbasis zwei Bänder an- zunähen und sie über der kranken Schulter auf eine untergelegte Com- presse zu knüpfen, um ein Abrutschen des Polsters möglichst zu ver- hindern. Dieser so befestigte Polster bildet das Hypomochlion: drängt — 7110 - man nun den Eilboi^en dem Stamme zu, so tritt sofort die Wirkung des zweiarmigen Hebels zu Tage, die Schulter und mit ihr das äussere Bruchstück rücken nach aussen. Eine zweite Circulärbinde hält den Ellbogen dem Stamme angedrückt. Eine dritte Binde hebt den Ell- bogen, uml'asst mit gekreuzten Touren die kranke Schulter, wird von hier zur gesunden Achsel geführt, neuerdings gekreuzt, wieder zum Ellbogen geführt etc. Bei diesem Verbände kann der Vorderarm nicht steil zur gesunden Schulter geführt werden, bis die Hand die Schulter umfasst; das Keilkissen macht dies unmöglich und gestattet in der Regel nur eine solche Erhebung der Hand, bis die Fingerspitzen die gesunde clavicula oder die regio subclavicularis berühren. Einen Nachtheil dieses theoretisch äusserst correct gedachten Verbandes bildet die Benützung der vielen Rollbinden, deren Gänge sich leicht verschieben, ferner der Druck des Keilpolsters, den viele Kranke schlecht vertragen, wenn letzterer wirksam eingelegt ist. Die Ver- schiebung der Bindengänge hat man dadurch zu paralysiren getrachtet, dass man den Verband durch eine Art Jacke ersetzte (Linhart), welche den Keilpolster angenäht trägt und an welcher Gurten und Schnallen den Bindenzug ersetzen. Andere sichern den typisch angelegten Verband mittelst Gyps- oder Wasserglasbinden; am besten ist es, den fertigen Verband mit nassen Organtinbinden zu überziehen. Moore ersann einen Verband, welcher durch Zusammendrücken der Schultern wirken sollte, wofür ein längeres Tuch genügt, das . in Gestalt einer Achter tour die Schultern umfasst, gleichzeitig den Ell- bogen der kranken Seite nach rückwärts drängt, und für die Hand eine Stütze abgibt. Wattmann drängte beide Ellbogen nach rückwärts und umwand beide Oberarme mit Tüchern, welche quer über den Rücken liefen. Einen sehr praktischen Verband hat neuerer Zeit Sayre angegeben. Er benützt keine Binden, sondern Heftpflaster- streifen, welche durch ihr Ankleben jedes Abrutschen vereiteln. Man benöthigt zu diesem Verbände zwei Heftpiasterstreifen von 6 bis 8 Centimeter Breite und von 2 Meter Länge; der erstere zieht von der unteren Spitze der scapula über die Hinterfläche des Oberarmes nach vorne, dann spiralig über denselben wieder nach rückwärts über den Rücken zur gesunden Achsel, dann wieder unter die gesunde Achsel nach vorne und kreisförmig um Brust und Arm zur Wirbel- säule; der zweite Streifen geht von der gesunden Schulter schräge über den Rücken, um den Ellbogen der kranken Seite durch einen Schlitz im ersten Streifen herum und vorne wieder zur gesunden Schulter hinauf (Fig. 22.s). Für Schlüsselbein- und Acromialfracturen mit stark dislocirten Bruchenden empfiehlt Göschel folgenden, angeblich sehr wirksamen Verband: es wird der Arm der verletzten Seite recht- winkelig im Ellbogengelenke gebeugt und in dieser Stellung durch eine Winkelschiene aus Blech oder mittelst Gypsverband fixirt, der Oberarm, nach Einschieben eines Wattekissens in die Achselhöhle, •durch Bindentouren an den thorax befestigt. Sodann wird ein daumen- dicker Gummischlauch mit dem einen, zu einer Schlinge geknüpften Ende um den Vorderarm in der Nähe des Ellbogengelenkes gelegt und die Schlinge dort durch Binden befestigt. Weiters wird der Gummi- schlauch über die Bruchstelle — dort ein Wattebausch untergelegt — und über die Schulter hinweg schräge über den Rücken zum Ober- — 791 Fig. 228. schenke! der gesunden Seite geführt, und nach genügender Anspannung um Hüfte und perineum geschlungen, der Knoten aussen und hinten. Der elastische Zua- hebt dauernd und kräftig die Schulter und der Druck des GummTschlauches hält die emporstehenden Bruchenden sehr sicher in die richtige Lage. Eine besondere Bindenführung zum Rückwärtsdrängen der S^chulter ist unnöthig; doch wäre auch dies leicht ausführbar. Der Verband ist bequem und in allen Körper- stellungen wirksam. Sehi' einfach erscheint auch der Verband nach Moore, '^denn er erfordert nur ein einziges Bettlacken. Dieses, etwa 3 Meter lang, wird der Länge nach zu einer Breite von 20 Centimeter zusammengeleot und von dem hinter dem Patienten stehenden Arzte, wie folgt, "angelegt: Zunächst umgreift es den Ellbogen der kranken Seite von unten, sodann wird das dem Rumpfe zu liegende längere Ende zwi- schen Oberarm und Brust- wand aufwärts zur Vorder- fläche der kranken Schulter. dann in einer Spiraltour über den äusseren Theil der Schulterhöhe und schräge über den Rücken durch die gesunde Achsel zur Vorder- fläche der gesunden Schulter geführt, um auf deren Höhe dem anderen Betttuchende zu begegnen. Das kürzere Ende wird an der Vorder- fläche des Ellbogens herum, zwischen Oberarm und Brustwand durchgeführt, über den Rücken aufwärts nach der gesunden Schulter, wo es mit dem längeren Ende durchZusammennähen vereinigt wird. Der Verband hebt Oberarm und Schulter der verletzten Seite und zieht letztlere nach hinten. Harvey Bird empfiehlt einen Apparat, welcher direct auf die Bruchstücke wirkt: er besteht aus zwei Metallplatten von der Grösse der Schulterblätter, welche bestimmt sind, auf diesen zu ruhen; sie werden gegenseitig durch einen queren Metallstab verbunden und mittelst Achselgurten am Rücken festgemacht. Vom Metallstab geht eine starke bogenförmig ge- krüminte Feder ab, welche über die kranke Schulter nach vorne sich wölbt und mittelst Schraube an eine hohle Metallschiene befestigt wird, welche auf die gebrochene clavicula gelegt wird und dieselbe umfasst. Zur Unterstützung des Armes dient eine einfache Mitella. Bei starker Dislocation haben Davson und Langenhnch die Fragmente unter antiseptischen Cautelen durch Incision der Haut blossgelegt und durch beid^ Bruchstücke, mittelst Drillbohrer, eine Silbersutur — 792 — angelegt. Bei directen offenen Clavicularfracturen wäre die Knochen- naht selbstverständlich das geeignetste Verfahren, welches, durch Ver- bände unterstützt, die beste Vereinigung versprechen dürfte. Aehnliche Verbände, wie die genannten, sind auch bei Luxationen des Schlüsselbeines;, sei es am Sternal-, sei es am Acromialende, er- forderlich, nur mit viel üblerer Prognose bezüglich des Erfolges. Delens hat einen, nach DesaulVsahQn Principien ausgeführten Verband, wozu Gummibinden in Anwendung kommen, namentlich für die über- wiegend häufigere Luxatio acromialis empfohlen, weil es sich dabei vorwiegend um ein Niederhalten des äusseren Clavicularendes handelt. Bei der Luxatio praesternalis kann ein Bracherium, welches mit seinem Bogen unter der Achsel läuft, die Retention wenigstens tem- porär besorgen, bei gleichzeitiger Fixirung des Armes in Fe7pea?i' scher Stellung. IL Resection des Schlüsselbeines wird durch Necrosen und Neoplasmen indicirt, seltener behufs leichterer Unterbindung der arteria subclavia, oder der arteria anonyma nach Bardenheuer. Lässt sich die Resection subperiostal ausführen, so ist der operative Act technisch sehr leicht: man spaltet Haut und Periost entsprechend der Längsachse des Knochens, hebt die Beinhaut circulär ab und durchsägt bilateral oder löst eventuell das eine oder andere Gelenksende aus. Schwerer ge- staltet sich die Operation, wenn die Beinhaut nicht erhalten werden kann und ein Tumor dem Schlüsselbeine aufsitzt. In solchem Falle muss zunächst an den Grenzen abgesägt, beziehungsweise exarticulirt werden, um das zu entfernende Stück zu mobilisiren, worauf erst mit grösster Vorsicht an die Exstirpation geschritten wird, um ja die, dem Schlüsselbeine zunächst gelegene vena subclavia nicht zu verletzen. III. Resection des Schulterblattes. Die wichtigsten, für die Function der oberen Extremität geradezu massgebenden Theile der scapula sind: der Gelenksfortsatz, das acromion und der processus coracoideus. Bei allen Resectionen, welche hauptsächlich wegen Tumoren, seltener wegen Caries oder Necrosen vorgenommen werden, soll getrachtet werden, jene womöglich zu schonen. Je nachdem dies gelingt oder nicht, oder eines oder das andere der Trias allein zu entfernen ist, unterscheidet man totale und partielle Scapularesectionen. Ob das Periost der scapula erhalten werden soll oder nicht, entscheidet die Anzeige; bei Neoplasmen ist diese wesentliche Erleichterung der Operation nicht gegeben, bei Caries und Necrose ist die Beinhaut verdickt und leicht ablösbar, kann und soll daher unter allen Ver- hältnissen erhalten werden. A. Totale Resection des Schulterblattes. Die Schnittführung zur Bloss- legung des Schulterblattes kann eine verschiedene sein : man kann durch Winkelschnitte, T-Schnitte oder ovale Schnitte Lappen begrenzen, durch deren Abpräparirung und Umlegung das zu Exstirpirende in entspre- chendem Umfange freigelegt wird. Als typische Methoden gelten: 1. Der Winkelschnitt nach v. Langenheck: der senkrechte, oder richtiger etwas — 793 — schräge Schenkel zieht entlang dem medialen, der quere Schenkel ent- lang dem oberen Rande der scapula; beide gehen winkelig ineinander über, entsprechend dem inneren oberen Winkel des Schulterblattes. Der so umschnittene dreieckige Lappen hat seine Basis nach aussen unten schräg gestellt und wird in gleicher Richtung umgelegt. 2. Einen ähnlichen Schnitt empfiehlt OUier: der mediale Schenkel verläuft auch am inneren Scapularande, der quere jedoch entlang der Spina scapulae, so dass dieser den ersteren nicht an seinem oberen Ende trifft, sondern etwas unterhalb davon, wodurch die Form einem schräg gestellten ~]~ mit ungleich langen Schenkeln nahe kommt. Beiden Methoden können im Nothfalle noch Querschnitte hinzugefügt werden, welche den unteren Schulterblattwinkel tangiren. 3. >Sy7ne führt einen~p-Schnitt, dessen senkrechter Schenkel die scapula längs halbirt, wogegen der quere entlang der spina zieht. 4. Sedillot und Chassaignac bildeten halbmondförmige oder ovale Lappen mit oberer Basis, endlich sind auch | — [-förmige Schnitte angegeben worden. Welche Methode jeweilig den Vorzug verdiene, entscheidet die Grösse und die Localisation des Tumor; das Trachten des Ope- rateurs richtet sich danach, möglichst grosse Zugängiichkeit zu gewinnen. Operirt man wegen Neoplasmen, so kann im Lappen nur die Haut allein erhalten werden. Ist der Tumor blossgelegt, so beginnt man mit der Ablösung der Musculatur, welche an dem Schulterblatte sich inserirt; jene Muskeln, welche vom Knochen entspringen, oder richtiger gesagt dessen Flächen tapeziren: also supraspinatus, infra- spinatus und subscapularis, werden mit dem Schulterblatte exstirpirt, weil sie in den Bereich der Neubildung einbezogen zu sein pflegen. Man beginnt mit der Isolirung des Medialrandes der scapula und trennt hierselbst die Insertionen der musculi: levator anguli, rhom- boideus major et minor, endlich serratus anticus maior. Alle Gefässe, welche dabei dem Messer verfallen. Zweige der arteria dorsalis sca- pulae, müssen sofort mit Sperren gesichert werden. Nach Abstreifung des oberen Randes des musculus latissimus dorsi entwickelt man den unteren Winkel der scapula und geht an die Isolirung ihres Aussen- randes, d. h. man durchschneidet die Insertionen der musculi teres maior und minor, die Sehne des subscapularis und gelangt dann zum Collum scapulae, an dessen unterem Rande sich der lange Kopf des triceps brachii ansetzt, unterhalb welchem der Stamm der arteria circumflexa scapulae liegt. Von der spina scapulae und dem acromion müssen die Ansätze der musculi cucullaris und deltoides abgelöst werden, worauf man zum oberen Rande des Schulterblattes gelangt. Durch die incisura scapulae zieht die arteria transversa scapulae, welche vor der Durchtrennung zu unterbinden ist, worauf einwärts vom Rande der musculus omohyoideus abgeschnitten wird. Bei der Isoli- rung des oberen Randes kommt der Stamm der arteria dorsalis unter das Messer. Wenn alles Abtrennen und Unterbinden so weit gediehen ist, eröffnet man durch einen hufeisenförmigen Schnitt die Schultergelenkscapsel und durchschneidet gleichzeitig mit der Capsel auch die Sehne vom langen Kopfe des biceps brachii nebst den Sehnen des supra- et infraspinatus auf ihrem Wege zum tuberculum malus, ergreift sodann den untern Scapulawinkel mit der linken Hand und luxirt das Schulterblatt, nachdem früher noch das Clavi- — 794 — culo-acromial Gelenk durchschnitten und das laxe Zellgewebe zwischen subscapularis und serratus getrennt wurde, nach aussen oljon: es hängt nur noch an jenen Muskeln, welche am procesus coracoideus sich ansetzen, also : caput breve bicipitis, pectoralis minor und coracobrachialis. Mit deren Abtrennung ist auch die Operation beendet; es bleibt nur mehr übrig, die grosse Wundhöhle zu rei- nigen, etwaige Blutung zu stillen und die Lappen, mit Bedacht auf richtige Secretableitung, durch Nähte zu vereinigen. Sollte das Acro- mialende der clavicula durch sein Vorragen störend erscheinen, so sägt man es nachträglich ab. Bei der subperiostaleii Tot^lresection empfiehlt sich die typische Schnittführung nach Ollier. Sie unterscheidet sich von der eben be- schriebenen dadurch, dass man die Deckmuskel: supra- et infra- spinatus und subscapularis, mit der Beinhaut abhebt und erhält, weiters auch die übrigen Muskelansätze womöglich stumpf ablöst, sich nur dann des Messers bedienend, wenn das Elevatorium versagt; der Processus coracoideus wird am zweckmässigsten abgesägt und in der Wunde belassen. Da man diese Operation nur bei Totalnecrosen ausführen kann, gestaltet sich die stumpfe Ablösung ziemlich leicht, da ja durch den Krankheitsprocess die Verbindungen der Beinhaut mit dem Knochen gelöst und erstere sehr verdickt zu sein pflegt. B. Partielle Resectionen des Schulterblattes können je nach der Anzeige entweder auch subperiostal oder mit der Deckmusculatur vor- genommen werden. Die Schnittführung bleibt sich bei Exstirpationen des Schulterblattkörpers den beschriebenen Methoden gleich; man wählt unter den angeführten Methoden die passendste. Die Abtrennung des Knochens wird mit der Bogensäge, dem Meissel, Stich- oder Kettensägen vorgenommen, je nach Bedarf; sehr empfehlenswerth ist auch die Rotationssäge von OlUer. Sollte die cavitas gienoidea allein resecirt werden müssen, so empfiehlt sich hiefür ein Bogenschnitt, welcher von der spina scapulae zur hinteren Fläche des Oberarmkopfes geführt wird, der Bogen kehrt seine Concavität nach aufwärts. Esmarch empfiehlt einen Bogenschnitt, welcher quer verläuft, finger- breit vor der Acromionspitze beginnt und längs dem unteren Acro- mialrande nach hinten zieht. Entsprechend dem Schnitte wird der betreffende Deltaabschnitt quer durchtrennt und die hintere Capsel- wand von oben her freigelegt. Die Bicepssehne soll mit dem Perioste abgelöst, ihre Ansatzstellen also erhalten bleiben. Zur Resection des angulus scapulae ist ein Bogenschnitt mit unterer Wölbung am besten geeignet; nach Ablösung der Haut muss der Rand des latissimus dorsi eingekerbt werden. Die Abtragung der Spina scapulae erfordert einen ihr parallelen Querschnitt und die Verwendung des Hohl- meissels. II. Capitel. Schultergelenk. L Einrichtungsmethoden bei Schultergelenksverrenkungen. Bei jeder traumatischen Verrenkung wird ein Capselriss hervorgerufen, durch — 795 — welchen der Gelenkskopf den Gelenksraum verlässt und sich in dessen Nachbarschaft dauernd verlagert. Der Riss in der Gelenkscapsel ent- steht am leichtesten an jener Stelle, wo sie am schwächsten ist, id est wo Verstärkungsbänder, Muskeln oder Sehnen fehlen. Beim Schulter- gelenke ist dies zwischen dem musculus triceps und subscapularis der Fall, daher der Einriss an dieser Stelle in der überwiegenden Häufigkeit erfolgt, ohne dass jedoch Zerreissungen an anderen Stellen und nach anderen Richtungen ausgeschlossen wären. Der Ort, wohin der luxirte Gelenkskopf sich verlagert und wo er verlagert bleibt, hängt wohl ab von der Stärke und Dauer der verrenkenden Gewalt und" den dadurch bedingten Gewebszerreissungen, nebstdem von ihrer Richtung. Beim Zustandekommen einer Luxation entsteht der Capsel- riss durch Hebelwirkung, das Trauma wirkt also indirect ein; seltener ist directe Stossgewalt die veranlassende Ursache. Wirkt eine^, den Arm übermässig elevirende Kraft ehi und hört sie nach erfolgtem Capsel- riss auf, so fällt der emporgerissene Arm wieder kerab ; dauert die ele- virende Kraft noch fort, so bleibt der Arm senkrecht elevirt, und der Gelenkskopf berührt mit seiner, zur inneren gewordenen Aussenfläche den thorax — Luxatio erecta nach Äliddeldorijf — (diese Form, sowie die supracoracoidea sind äusserst seltene Befunde). Ersterenfalls kann der Gelenkskopf entweder unterhalb der cavitas glenoidea verlagert bleiben — Luxatio subglenoidalis — oder er rutscht von dort weg und verlagert sich vor der Gelenkspfanne — Luxatio praeglenoidalis vel subcoracoide . — seltener hinter ihr — Luxatio retroglenoidalis. Das häufigste Vorkommen ist die praeglenoidale Form, wohl darum, weil das nicht durchrissene ligamentum coracohumerale den Gelenkskopf nach vorne zieht und die Sehne des subscapularis das Abrutschen nach hinten hindert. Reisst das Ligament und nebst ihm auch die Sehne des subscapularis ab, so kann der Gelenkskopf auch weiter wandern und die seltenen Luxationes praecoracoideae, subacromiales und infraspinales zu Stande bringen. Als typische Form wird die Ver- renkung unterhalb des Rabenschnabelfortsatzes angesehen, seltener ist die ^-eine Luxatio subgienoidea. Alle sonstigen Varianten müssen zunächst durch Zug zu einem oder dem anderen der benannten Tj^pen zurückgeführt werden, bevor die eigentliche Einrenkung er- folgen kann. Die Einrichtung einer Humeruslaxation ist nicht immer leicht. Bei frischen Verrenkungen geben Muskelwiderstände und die Spannung des ligamentum coraco-humerale, wie Kocher betont, die grössten Hindernisse ab; bei veralteten sind Verwachsungen des Capselrisses, Muskelverkürzungen, entzündliche Adhäsionen etc. etc. so sehr im Wege, dass die Einrichtung nur unter grossen Schwierigkeiten, oder auch gar nicht gelingt, selbst wenn man vor den Repositionsversuchen ausgiebige Mobilisirungen ausführt. Castex empfiehlt in ganz schwierigen Fälien letztere wiederholt vorzunehmen und zwischen Mobilisirung und Reposition einige Tage verstreichen zu lassen, damit die hervorgerufenen entzündlichen Processe die geschrumpften Weich- theile noch nachgiebiger gestalten. Wir wollen zunächst die frischen Verrenkungen ins Auge fassen. Sind bei kräftig gebauten Individuen die Muskelwiderstände so sehr bedeutend, dass die Einrichtungs- versuche an der Stärke der Muskelcontractionen scheitern, so ist in — 7'J6 — der Narcose das sicherste Mittel gegeben, sie zw paralysiren ; seltener uelingt es, -durch eine plötzliche Diversion der Aufmerksamkeit des kranken im entscheidenden Momente, eine Muskelrelaxation zu effec- tuiren. Es gibt sehr viele Einrichtungsmethoden, welche wir in ihren Hauptzügon anführen wollen. a) birecter Druck auf den Gelenkskopf (Eichet, Pitha). Der Kranke sitzt auf einem Stuhl, die gesunde Seite gegen die Lehne, die kranke dem gegenüberstehenden Operateur zugewandt. Letzterer sucht mit den Spitzen der vier aneinanderliegenden Finger rechter Hand, von der Achselhöhle aus den Gelenkskopf zu umgreifen, während er mit der linken Hand den Arm etwas vom Stamme abhebt. Je vollständiger das Umgreifen gelingt, desto leichter kommt man zum Ziele. Während man die Aufmerksamkeit des Kranken von den Vorgängen abzulenken sucht: durch plötzliches Fragen, Anschreien etc., drückt man mit den Fingerspitzen den Gelenkskopf nach aussen, id est zu sich, worauf ein "fühl- und hörbares Einschnappen sich einstellt, falls die Ein- richtung gelingt. h) Tractionsmethoden. Soll die Zuggewalt auf den Oberarm allein wirken, ist eine genaue Fixirung des Schulterblattes conditio sine qua non; fehlt sie, so bleibt die Zugwirkung quoad distractionem capitis humeri imaginär oder mindestens ungenügend. Wie man die Schulter fixiren soll und wie die Zugschlingen am Oberarme zu befestigen seien, wurde früher erörtert und in> Fig. 82 illustrirt. Der Kranke sitzt auf einem festen Stuhl in der dort erwähnten Weise und umklammert mit der gesunden Extremität die Lehne des Stuhles; der um die Brust laufende, die untere Hälfte des Schulterblattes um- kreisende Gurt wird in horizontaler Richtung von einem kräftigen Gehilfen gehalten; statt des Gurtes kann ein cravattenförmig zusammen- gelegtes Leintuch dienen. Ein zweiter Gehilfe kreuzt seine beiden Hände über die Schulterhöhe und drückt sie nach abwärts. Die Richtung, in welcher die Distraction erfolgt, kann eine dreifache sein : a) man zieht im Sinne der pathognomonischen Armstellung, also nach abwärts und auswärts; h) der Arm wird in horizontaler Richtung ausgezogen; c) in elevirter, also perpendiculär nach aufwärts. Die erstbenannte Zugrichtung entspricht nicht vollends den Erfordernissen der Muskelentspannung, denn der deltoides bleibt gespannt; weiters wird dabei der Kopf von der Pfanne mehr entfernt; besser sind die von Cooper und La Mothe empfohlenen Zugrichtungen nach aussen und nach oben. Selten gelingt die Reduction durch Zug allein; gewöhnlich wird es nothwendig, während des Ziehens noch kleine Rotations- bewegungen mit dem Arme vorzunehmen, und zwar zunächst Rotation nach aussen, zuletzt Rotation nach innen; ferner wird es nothwendig, durch directen Druck auf den mobilisirten Kopf einzuwirken, theils um sein Entweichen nach den Seiten zu hindern, hauptsächlich aber um das Einschnappen in die Pfanne direct zu bethätigen. Hierzu dient: entweder das Anstemmen beider übereinandergekreuzten Daumen auf den in der Achselhöhle tastbaren Gelenkskopf, oder an ihrer Stelle ein gepolsterter Holzprügel, den man seiner Quere nach in die Achsel- höhle einlegt und von oben her fest einstemmt. Neil Macleod lagert den Kranken horizontal und abducirt den luxirten Arm rechtwinkelig. Ein Gehilfe stemmt den Haken seines Fusses in die Achselhöhle und — 797 — der Operateur zieht am Arme an. Die Reposition soll dabei leicht und schmerzlos gelingen. Die Zuggewalt kann ausgeübt werden: durch Menschenkraft, durch Flaschenzug; endlich durch Zahnstangen. Erstere, und zwar die eines einzigen kräftigen Gehilfen, genügt für frische Verrenkungen, der Flaschenzug ist namentlich bei veralteten Luxationen gebräuchlich; Zahnstange und Triebhebel sind von Collin in einem Apparat combinirt worden, der allerdings recht wirksam ist, indem dessen eigenartige Construction die gleichzeitige Ausführung von Rotation gestattet, ohne dass der Zug aufhöre (Fig. 229). Wird der Zug durch Gehilfenhände ausgeübt, so ist dafür Sorge zu tragen, dass er gleichmässig wirke, nie ruckweise, weil jede plötzliche, saccadirt erfolgende Zugsteigerung Muskelcontractionen auslöst, welche die Ein- Fig. 229. renkung behindern. Auch der Uebergang aus einer Armstellung in die andere, sowie die Rotationsbewegungen müssen allmälig und während stetig fortwirkenden Zuges ausgeführt werden. Herstellung der normalen Schulterwölbung und freie passive Beweglichkeit sind sichere Zeichen des Erfolges. Eine Mitella sichert den Arm in seiner Lage; die Extremität muss so lange fixirt bleiben, bis man glauben kann, dass der Capselriss vernarbt sei, etwa 10 Tage. Nach der Repo- sition veralteter Luxationen genügt ein Tragtuch nicht; es muss sicherer vorgegangen werden, wofür starre Verbände etwa in der Art des DesawZfschen sich am besten eignen. c) Rotationsmethoden. Die gebräuchlichsten sind: das Verfahren von Schinzi.iujer und jenes von Kocher. Ersterer geht folgendermassen vor: der Patient sitzt auf einem Stuhl, ein Assistent fixirt von oben — 798 — das Schulterblatt durch Kreuzung beider Hände über die Schulter- liöhe. Der gegenübersitzende Operateur umfasst mit einer Hand den Oberarm knapp oberhalb des rechtwinkelig gebeugten Ellbogen- gelenkes, mit der anderen den Vorderarm über dem Handgelenke, nähert sodann den Ellbogen dem Stamme und rotirt so weit nach aussen, bis die Innenfläche des Oberarmes zur äusseren geworden ist. Wenn die Rotation so weit gediehen, stemmt ein Gehilfe seine beiden übereinandergekreuzten Daumen von unten her auf den, in der Achsel- höhle fühlbaren Gelenkskopf, gleichsam als möchte er ihn nach aussen drücken; der Operateur entfernt gleichzeitig den Ellbogen vom Stamme, ohne in dem Rotiren nach aussen einzuhalten oder nachzugeben, und rotirt dann rascli nach einwärts, wobei der Kopf einschnappt. Bei dieser Methode wende man niemals zu viel Kraft an; man bedenke, welchen langen Hebelarm der Oberarm darstellt, wie sehr die Kraft an den Einrenkungswiderständen sich potenzirt. Es hält gar nicht schwer, das ligamentum coraco-humerale und die Sehne des infra- spinatus entzwei zu reissen oder den Knochen selbst abzudrehen, falls dessen Resistenzfähigkeit geringer wäre als jene des Bandes und der Sehne. Selbst bei veralteten Luxationen führt die ^chinzmger' sehe Methode oft zum Ziele, da sie mächtig genug ist, um alle Adhäsionen und Bänderverkürzungen zu überwältigen; aber Vorsicht ist sehr geboten. Kocher beschreibt seine „Rotations-Elevationsverfahren" benannte Methode wie folgt: der abducirte Ellbogen wird langsam aber kräftig an den Leib angedrückt, um den Humeruskopf fest an den vorderen Pfannenrand anzupressen. Um einen noch sichereren Halt für die Ro- tation zu gewinnen, ist es angezeigt, den Ellbogen etwas nach rück- wärts zu bringen und ihn, so weit möglich, hinter dem Stamme der Medianlinie zu nähern. Nun erfolgt bei rechtwinkelig im Ellbogen flectirtem Arme die Aussenrotation des Oberarmes. Auch diese Be- wegung wird ganz langsam unter allmäliger Ueberwindung der Widerstände ausgeführt, bis der Vorderarm ganz lateralwärts gerichtet ist. Zeigt sich bei diesem Manöver, dass der deltoides durch den Oberarmkopf nicht deutlich emporgehoben wird, so ist es zweck- mässig, durch einen Zug mittelst einer Cravatte lateralwärts das Heraustreten des Kopfes zu fördern. Bei älteren Luxationen empfiehlt es sich, einige Zeit in dieser Stellung zu verweilen, es ist auch manch- mal gerathen, gleichzeitig am Arme einen Zug nach abwärts hinzu- zufügen, weil dadurch die Spannung der oberen Capselwand gesteigert und folgeweise die Rotation um den Drehpunkt am vorderen Pfannen- rande gesichert wird. Nun folgt das dritte Tempo. Während man die Auswärtsrotation des Armes unverändert festhält, führt man den Ellbogen in der Sagittalebene des Körpers direct nach vorne, ganz langsam aber mit Kraft so hoch empor als es geht, und lässt all- mälig mit der Aussenrotation nach, um zuletzt die Hand nach der Brustfläche der anderen Seiten zu führen, d. h. den Oberarm ein- wärts zu rotiren. Während der ganzen Zeit wird keine einzige plötzliche oder ruckförmige Bewegung gemacht, aber jede einzelne mit einer gewissen Kraft vollends durchgeführt. d) Pendelmethode nach Simon und White. Der Patient, dessen gesunde Extremität durch einige Bindentouren vorher am Stamme befestigt wurde, kommt mit der gesunden Körperseite horizontal am — 799 — Boden zu liegen. Ein Assistent besteigt einen Stuhl, erfasst den luxirten Arm und hebt durch ihn den Körper derart vom Boden auf, dass nur die Beine darauf liegen bleiben, Stamm und Becken dagegen schräge in der Luft schweben. Der luxirte Arm wird demnach in einer zum Stamme horizontalen Richtung extendirt, und zwar durch das Gewicht der Körperlast. Statt des Assistenten kann auch ein Zugseil verwendet werden, welches am Handgelenke angreift und über eine Rolle an der Zimmerdecke läuft. Will man den Zug ver- stärken, beziehungsweise die Körperlast mehren, so kann dies auf doppelte Weise bewerkstelligt werden: entweder man hebt auch die Beine des Kranken vom Boden ab, oder ein Assistent stemmt sich auf dessen Stamm. Während der Kranke so hängt und schwebt, nimmt man mit dem Körper Pendelbewegungen vor, und der Operateur drückt mit seinen Daumen den Kopf in der Richtung zur Pfanne. Die Verfahren bei veralteten Luxationen wurden schon im allgemeinen Theile erörtert. IL Resection des Oberarmkopfes. Bei der Resection des caput humeri wird die hiefür nöthige Zugänglichkeit an der Aussenfläche des Ge- lenkes geschaffen. Hierselbst wh-d das Gelenk durch den Deltamuskel vollends gedeckt, welcher durch lockerzelliges Bindegewebe an der Capsula articuli fibrosa haftet; die Capsel überschreitet brückenartig den sulcus intertubercularis, durch welchen die tendo bicipitis, über den Kopf des Oberarmes herabsteigend, hervortritt. An den Rollhügeln befestigen sich die Sehnen verschiedener Muskeln, welche theils vom Schulterblatte, theils vom thorax kommen; so am aussen vom sulcus gelegenen grossen Rollhügel die musculi: supra- et infraspinatus und teres minor, an der spina tuberculi majoris der pectoralis maior; am innen gelegenen kleinen Rollhügel die musculi : teres maior, latissimus dorsi und subscapularis. Nach den im allgemeinen Theile aufgestellten, für alle Resectionen giltigen Regeln, sollen alle zur Functionirung der resecirten Extremität wichtigen Organe nebst der Beinhaut ge- schont werden; als typische Operationsmethode können wir daher nur jene schildern, welche diesen Postulaten volle Rechnung trägt. Der Kranke liegt auf dem Operationstisch in halbsitzender Lage mit der zu resecirenden Schulter so weit dem Tischrande zugeschoben, dass der Arm frei herabhängt ; der Operateur stellt sich der Schulter gegenüber. Die Erhaltung "des deltoides verbietet alle wie immer gearteten Lappenschnitte, man bedient sich nur solcher Schnitte, welche die Faserung des deltoides nicht kreuzen: also Längschnitte, wenn in der Mitte der Aussenfläche eingegangen wird, Schrägschnitte bei seitlichem Eindringen, entsprechend der Muskelfaserung. Ein Längs- schnitt ist von V. LangenhecJc, ein innerer Schrägschnitt von Ollier empfohlen worden. Ersterer wird wohl des Häufigsten in Anwendung gezogen, kann daher als Typus gelten. Während der Ellbogen dem Stamme genähert wird, damit die Deltoidesgegend sich vorwölbe und die darüber ziehenden Weichtheile in Spannung gerathen, führt man in der Halbirungsebene der äusseren Schulter wölbung oder etwas eiuAvärts davon einen Längsschnitt, welcher entweder am Mesialrande — 800 — des acromion, oder zwischen acromion und processus coracoideus seinen Anfang nimmt und etwas unterhalb des colhim chirurgicum brachii endet. Der Schnitt spaltet Haut und Deltamuskel. Nach Unter- bindung der zwei arteriae circumflexae werden sofort breite Spatel- haken eingelegt und die Wundränder abgezogen; man lässt den Arm etwas nach aussen rollen und bekommt dadurch den sulcus intertuber- cularis in die Mitte der Wunde. Mit einem Spitzbistouri eröffnet man die über den sulcus ziehende strammgespannte Decke der Capsula fibrosa, ohne die darunter liegende Bicepssehne zu verletzen, und führt durch die gesetzte Lücke ein Knoi)fmesser ein, womit die Decke des sulcus, also die Gelenkscapsel, in ihrer ganzen Länge gespalten wird bis hinauf zum oberen Rande der cavitas glenoidalis. Die Sehne wird dadurch in ihrem ganzen intracapsularen Verlaufe freigelegt; kehrt man dann das Knopfmesser um, führt es nach abwärts und spaltet den unteren Capselrest, so wird die Sehne in ihrer Totalität entblösst. Nunmehr sollte die Beinhaut von den tuberculis abgehoben werden, damit die dortselbst sich inserirenden Sehnenenden geschont und erhalten bleiben; allein selbst bei Resectionen wegen entzündlichen Knochenprocessen hält es schwer, die Ablösung mit dem Elevatorium allein auszuführen, wie es eigentlich sein sollte; meistens muss das Scalpell herbei, um die Abschälung knapp vom Knochen zu ermög- lichen, dabei leidet aber mehr minder die Continuität der Beinhaut. Deshalb ist das Verfahren von Vogt sehr praktisch und empfehlens- werth, welches darin besteht, dass man die tubercula mit Meissel und Hammer flach absprengt. Mit einem Haken wird die Sehne im sulcus etwas nach einwärts verschoben, ein breiter Meissel am Grunde des sulcus schief eingesetzt und das tuberculum malus sammt einem Stückchen Nachbarcorticalis mit einem Hammerschlage abgesprengt; es bleibt mit der Beinhaut, der Capsel und den Sehneninsertionen in Verbindung. Klappt man das abgesprengte tuberculum auf, so gewinnt man hinreichend Platz, um ein Elevatorium anzusetzen und die stumpfe Abhebelung der Beinhaut im grössten Theile des äusseren Halbringes der Collumcircumferenz auszuführen; entsprechend der Knorpelgrenze muss die Beinhaut, um nicht abzureissen, abgeschnitten werden. Während der Abhebung der Beinhaut lässt man den humerus nach innen rotiren. Jetzt wird der Arm wieder nach aussen gerollt; der sulcus mit der Bicepssehne stellt sich in die Mitte der Wunde; man lässt erstere etwas nach aussen verschieben, ohne sie jedoch aus dem sulcus herauszuheben, setzt den Meissel am Grunde des sulcus schräge ein, stemmt das tuberculum minus ab und beginnt mit der Beinhautablösung am inneren, beziehungsweise vorderen Halbringe. Der Operateur greift nun wieder zum Knopfmesser, führt das- selbe vom Längsschnitte der Capsel aus zuerst aussen zwischen Gelenkskopf und Capsel quer ein und spaltet letztere bei gleich- zeitiger Rotation nach einwärts, etwa in Form eines Viertelbogens, entsprechend der senkrechten Halbirungsebene des Humeruskopfes. Das Gleiche wird wieder vom Längsschnitte der Capsel aus, mit der vorderen Peripherie der Capselausbreitung gethan, während man den humerus möglichst nach aussen rotirt. Erst jetzt streift man die Bicepssehne über den Gelenkskopf nach innen ab, lässt sie — 801 — in den Spatelhaken, der den inneren Wundrand abzieht, mitfassen und mit letzterem nach innen abhalten. Ein Druck auf den gebeugten Ellbogen drängt den humerus in verticaler Richtung über das acromion empor, man umschneidet nun an der Knorpelgrenze die innerste Peripherie der Beinhaut vollends, beendet deren circuläre Ablösung und hat auf diese Art das Collum humeri chirurgicum skelettirt; es entbehrt beider tubercula, welche mit den Sehnen, den Capselresten und der Beinhaut in Verbindung bleiben. Nach Einlage einer Schutzspatel an der Hinter-, beziehungsweise Innenfläche wird der Kopf in jener Höhe abgesägt, wo es die causa operationis eben erheischt. Würde man den OlUer'schen Schnitt ausgeführt haben, so müsste zunächst mit dem Absprengen des tuberculum minus begonnen, die Periostablösung also in umgekehrter Reihenfolge vollzogen werden. Wenn die Resection tiefer ausgeführt werden soll, etwa ^'., Zoll unter dem Niveau der tubercula, kann auch das von HiUcr angegebene Verfahren Anwendung finden. Nach Spaltung der Haut und des Delta- muskels im 0^//er'schen Sinne wird, nach Eröffnung des sulcus. Her- aushebung und Abziehung der Bicepssehne, zunächst unterhalb des sulcus das Periost vom Humerusschafte durch einen kurzen Längs- Fig. 230. schnitt gespalten und nun sofort die Beinhaut circulär abgehoben, worauf der Knochen abgesägt wird: mit der Stichsäge oder noch besser mit einer Kettensäge; letzterenfalls bedient man sich des geöhrten 0^/^Vr'schen Elevatoriums, welches gleichzeitig zum Einziehen der Kettensäge dient (Fig. 230). Das abgesägte Gelenksende wird sodann mit einer Resectionszange erfasst und emporgezogen, die Ab- lösung der Beinhaut bis zum Ansätze der Capsel fortgeführt, letztere am innersten untersten Umfange durchgeschnitten, der Gelenks- kopf dm^ch Druck von oben hervorgedrängt und zum Schlüsse die tubercula abgesprengt. Findet man Caries auch in dem acetabulum oder an der Basis des processus coracoideus vor, so muss nach- träglich am Collum scapulae resecirt und der processus abgetragen werden. Die nicht subperiostale Resection ist wohl viel einfacher, aber um desto unzweckmässiger, weil alle sehnigen Gebilde, welche zu den Rbllhügeln ziehen, abgeschnitten werden. Nach Spaltung der Haut und des Deltamuskels durch Längsincision wird die Sulcusdecke durchgeschnitten, die Sehne herausgehoben und in den inneren Ab- ziehhaken genommen. Man fasst dann den Arm oberhalb des Ellbogens, rotirt nach aussen oder nach innen, je nachdem rechts oder links operirt wird, stets der operirenden Hand zu, setzt ein starkes Re- sectionsmesser am tiefsten Punkte der senkrechten Halbirungsebene V. Mosetig-Sl oorhof : llandbuch <1. cliivui-ff. Teclinik. 4. Aufl. 51 — 802 — des Gelenkskopfes an und schneidet, deren Richtung schräge ein- haltend, die Capsel mit einem Bogenschnitt durch, wobei der Gelenks- knorpel dem Messer als Unterlage dient, während man entgegengesetzt rotirt, bis der gegenüber liegende tiefste Punkt der gedachten Ebene erreicht ist. Ein Druck nach aufwärts treibt den Kopf in verticaler Rich- tung aus dem Gelenke, worauf der Hals durch zwei Halbzirkel- schnitte quer umkreist und damit alles, was noch daran hängt, sammt der Beinhaut durchtrennt wird. Während der Nachbehandlung ist dafür zu sorgen, dass der Arm wohlunterstützt gehalten werde: einerseits damit die Bindemasse nicht zu lang ausfalle und kein Schlottergelenk resultire, andererseits damit die Zugwirkung des pectoralis maior und latissimus dorsi, welche das Resectionsende der seitlichen Brustwand zu nähern streben, nicht zu sehr zur Geltung golange. Man pflegt hiefür in die Achsel- höhle einen Polster einzulegen, ähnlich wie beim DesanW sehen Ver- bände, nur muss jener aus aseptischem Materiale gefertigt sein, da er im Deckverbande eingeschlossen wird. Sehr empfehlenswerth sind Wundverbandpölster aus Gazestoff, mit Holzwolle gefüllt. Wenn es sich um veraltete Luxationen oder um Anchylosen im Schultergelenke handelt geht Severeanu, anstatt den Gelenkskopf zu reseciren folgendermassen zu Werke. Behufs Schonung des del- toi'des und der vena cephalica wird oberhalb des Acromialrandes ein 10 Centimeter langer Querschnitt geführt und dem einen oder auch beiden Endpunkten desselben je ein senkrechter Schnitt von gleicher Länge beigegeben, der Ursprung des Acromion wird durchgesägt und mit dem Hautmuskellappen nach abwärts geklappt. Das Gelenk ist nun freigelegt, es kann nach Trennung der Capsel und der Bandmassen die Beweglichkeit hergestellt, es kann der luxirte Kopf wieder zur Pfanne gebracht werden, es könnte auch bei knö- cherner Anchylose durch Abmeisselung abgeholfen werden. Nach beendigtem Eingriffe wird der Hautmuskellappen reponirt und das provisorisch verlagerte Acromionende mit dem Mutterboden durch Knochennaht vereinigt. IIL Exarticulation im Schulter^elenke. Die Auslösung der ganzen oberen Extremität wird wegen Verletzungen oder Neubildungen, seltener bei osteomyelitischen Processen vorgenommen, da letztere durch Resection mit nachträglichem Evidement des vereiterten Markcj'linders auf wirksame Weise bekämpft werden können, ohne den Armverlust in allen Fällen nothwendig zu machen. Auch septische Processe und Gangrain können als Indicationen gelten. Die Exarticulation besteht in der halbkreisförmigen Durchschneidung der Gelenkscapsel im Sinne einer verticalenDurchschnittsebene des Kopfes und in der nachträglichen Auslösung der Extremität aus den benachbarten Weichtheilen. Der Unterschied in den Methoden betrifft nur die Form, welche man den Deckweichtheilen jeweilig gibt, um die zurückbleibende Wundfläche zu decken. — 803 - Die Form aber hängt wesentlich ab von der bestehenden Ver- letzung oder vom Xeugebilde, insofern nm' vollends intacte und gesunde Weichtheile als Wunddecke verwendet werden können; man ist also fast immer gezwungen, die Decklappen dort zu nehmen, wo sich eben gesunde AVeichtheile vorfinden, seltener kann typisch vor- gegangen werden. Immerhin ist es unerlässlich, die typischen Me- thoden zu kennen, um eine Directive zu besitzen für die häufigeren atypisehen Varianten. Da bei jeder Exarticulation die grossen Gefäss- stämme der oberen Extremität: arteria et vena axillaris, durch- schnitten werden, so fragt es sich, wie man sich vor grossem Blut- verluste schützen und die Ligaturen mit Müsse anlegen könne. Es sind drei Möglichkeiten geboten: a) Die Anlegung eines Compressionsschlauches. Man drückt in die abrasirte und desinficirte Achselhöhle zunächst einen festen Watteballen, führt darüber den ausgezogenen Gummischlauch, leitet dessen Enden über die Schulter, kreuzt sie und knotet sie über Brust und Rücken führend, am seitlichen Thoraxrande der gesunden Seite unterhalb der Achselhöhle. Besser ist es, die Enden nach der Schulterkreuzung von einem Gehilfen gespannt halten zu lassen, weil dabei die Excursionen des thorax nicht behindert werden. Der Compressionsschlauch ist nur wirksam, so lange der Gelenkskopf noch in der Gelenkshöhle weilt; er rutscht sofort ab, sowie diese Stütze abhanden kommt. Daraus geht hervor, dass die Sicherung der Gefässe vor der Auslösung im Gelenke erfolgen muss, wenn man es nicht vorziehen sollte, früher hoch zu amputiren, die Gefässe zu sichern und dann erst die Auslösung des Kopfes nachfolgen zu lassen. h) Man präparirt die Gefässe, als ob es sich um eine Conti- nuitätsunterbindung handeln würde, unterbindet und schneidet peri- pher durch. Die Ligatur ist dabei ein Voract der Exarticulation. cj Die Exarticulation wird regelrecht ausgeführt und bis auf die Erhaltung jener Weichtheilbrücke zu Ende geführt, inweicher die Gefässe liegen. Vor der Durchschneidung dieser letzten Brücke lässt man sie von einem Assistenten zwischen Daumen und Zeige- finger klemmen, schneidet sie jetzt erst durch, fasst die klaffenden, central comprimirten Gefässe mit Pincetten und legt Ligaturen an, sowohl an der Arterie als auch an der Vene. Die Exarticulatio brachii wird entweder mittelst der Ovalair- methode oder mit Lappenschnitten ausgeführt. Was ein Ovalairschnitt seinem Wesen nach sei, wurde schon früher hervorgehoben, technisch wird er am Oberarm folgenderweise geübt: der Operateur drängt mit seiner linken Hand den Ellbogen dem Stamme zu und beginnt in der Mitte zwischen acromion und processus coracoideus einen Längsschnitt, Avelcher über die grösste Schulterwölbung bis zur Höhe des chirurgischen Halses reicht; von hier aus lässt er den Schnitt in zwei Halbbogen auslaufen, welche ihre Convexitäten einander zukehren und in schräger Piichtung zur Oberarmachse, daumenbreit unter dem Niveau der vorderen Achselhöhlenwand ineinander über- gehen. Der Deltamuskel wird entsprechend dem Längsschnitte durch- trennt (wobei die circumflexae bluten); sowie man aber in das Bereich 51* — S()4 — des schrä<2:gestellten Ovalair kommt, trennt man die Miisciilatur gleichfalls in schräger Richtung durch, damit sie später nicht über den Hautrand vorquelle. Gewöhnlich wird zunächst die Aussenhälfte des Ovalair berücksichtigt, dann die Lappen wie zwei Thort'lügel auseinander gehalten, die Capsel sammt der Bicepssehne durchtrennt, der (jelenkskojif herausgedrängt und dann die Innen-, beziehungs- weise Hinterhälfte des Ovalair von innen her ausgeschnitten, wobei das Messer schief gestellt werden muss, um ja nicht zu viel Muscu- latur zu erhalten. Besondere Vorsicht erheischt der innere Ausläufer des Längs- zum Ovalairschnitte, da er die Gefässe schräge kreuzt; überhaupt empfiehlt es sich, nur den longitudinalen Schnitt kräftig zu führen, im Ovalair ckirf man vorerst nur die Haut allein durch- trennen; es wird also vorgezeichnet. Bei der Trennung der Muscu- latur legt man das Messer ganz schief an, hebt den Lappen von der Unterlage ab und schneidet in langen Zügen, nachdem der Gehilfe die Gefässe an entsprechender Stelle im Lappen comprimirt hat. Zum Ausschneiden nach besorgter Exarticulation nimmt man ein Lappen- messer zur Hand, legt es hinter dem herausgedrängten Oberarm- kopfe in querer Richtung ein und schneidet in sägenden Zügen und mit Rücksicht auf den vorgezeichneten Hautschnitt aus. Lappen zur Deckung der Exarticulationsfläche können genommen werden: von der Aussenfläche der Schulter, von der Vorder-, von der Rückfläche, endlich, wenn keine dieser Flächen hiefür sich eignen würde, aus der Innenfläche des Oberarmes, wobei ein Umschlagen des LapjDens nach aufwärts nothwendig würde; weiters können Haut- lappen allein genommen werden, Avenn die Nothwendigkeit es geböte; zweckmässiger sind jedenfalls Hautmuskellappen, da sie die rück- bleibende Aushöhlung besser polstern. Diesbezüglich ist die v. Langen- 6ec7c'sche Methode recht vortheilhaft: sie besteht in der Ausschneidung eines ovalen — richtiger gleichbreiten Lappens mit convex abgerun- deten Ecken und Rande; die Weichtheile der Achsel müssen ent- sprechend zugeschnitten werden, damit die Ränder congruent seien und bei der Vereinigung gut aneinanderpassen, also auch bogen- förmig. Bei der Berechnung der Lappenlänge vergesse man nicht, dass die Verwölbung des äusseren Lappens nach Entnahme des Ober- armkopfes entfällt, er dann schlaff herunterhängt und daher an re- lativer Länge gewinnt. Die Umgrenzung des Lappens nach unten muss daher ein höheres Niveau einhalten, als der Achselhöhlenschnitt. Berechnet man letzteren querfingerbreit unter dem Pectoralisrande, dann muss die Lappenabgrenzung in gleicher Höhe mit letzterem erfolgen. Der umschnittene Lappen wird von aussen nach innen präparirt, vorne bis zur Höhe des Rabenschnabelfortsatzes, hinten bis zur Spina scapulae und dann nach oben umgeschlagen, dem Halse zu. Die seitlichen Grenzen des Lappens entsprechen der verticalen Halbirungsebene des oberen Humerusendes, der Achselhöhlenschnitt beginnt querfingerbreit unterhalb dem Niveau der unteren Lappengrenze. Wenn der Lappen nach aufwärts geschlagen, wird exarticulirt, der Hume- ruskopf vorgedrängt und mit einem Lappenmesser die Ausschnei- dung besorgt, nachdem die grossen Gefässe gesichert und auch die circumflexae nicht verg-essen wurden. Nach vollendeter Ex- — 805 — articulation bleibt ein Restchen Bicepssehne übrig, welches vom oberen Rande der cavitas glenoidalis nachträglich mit der Schere abge- schnitten werden soll. Muss mit dem Arme auch das Schulterblatt entfernt werden, so sind beide Operationen miteinander zu combiniren, zumeist beginnt man mit der Auslösung der scapula, resecirt das Schlüsselbein und setzt den queren Schnitt entlang der spina gleich in den Lappen- schnitt, oder in den Ovalairschnitt fort; gleich nach der Resection der clavicula unterbindet man die Schlüsselbeingefässe: vena und arteria subclavia. Das Nervenbündel durchschneide man rasch und glatt mit dem Messer, ja nicht mit der Schere, wegen des sonst grösseren Shock. IIL Capitel. O b e r a r m. I. Verbände bei Oberarmbrüchen. Bei der manuellen Einrichtung ver- schobener Fracturen muss für eine correcte Stellung der Bruchstücke zu einander gesorgt werden, und diese wird bestimmt durch eine gerade Linie, welche den condylus externus mit dem acromion ver- bindet. Bei der Anlegung von Verbänden wird zunächst der Vorder- arm unter rechtem Winkel gestellt: ob man Contentiv- oder Exten- sionsverbände anzulegen habe, entscheidet die vorhandene oder nicht vorhandene Tendenz der Bruchstücke, sich nach erfolgter Einrichtung gegenseitig wieder zu verschieben. Schiefbrüche neigen zur Ver- schiebung der Länge nach, aber auch Querbrüche zeigen oft Tendenz zu lateraler Deviation, wenn sie im oberen Drittheile des humerus sich ereignen. Es wird dabei das obere kleinere Bruchstück durch die Action des latissimus dorsi und des pectoralis maior nach innen verzogen, dem Stamme zu. Dieser activen lateralen Deviation muss Rechnung getragen werden und sind hiefür zwei Möglichkeiten gegeben : entweder eine Adduction des unteren längeren Bruchendes, oder eine Abduction des oberen, nach Ueberwindung des Muskel- widerstandes. Ersteres Verfahren würde gleichbedeutend sein mit einer Anpressung des Armes an die seitliche Thoraxwand, welche vielfache Uebelstände mit sich brächte, daher der zweite Weg als der entschieden bessere gilt. Den Muskelwiderstand kann man nur mittelst Einlagen zwischen oberem Bruchstücke und Thoraxwand überwinden, wodurch es etwas schräge nach aussen gestellt Avird. Da nun das untere Bruchstück in die Verlängerungslinie des oberen postirt werden muss, so resultirt eine Abductionsstellung des ganzen Oberarmes bis zur erfolgten Consolidation. Die hierzu geeigneten Verbände bestehen zunächst in Unterlagen, welche, zwischen thorax und Oberarm geschoben, am Stamme befestigt werden und auf denen dann die Extremität gesichert wird. Middeldorpf's Triangel (Fig. '231) empfiehlt sich besonders, weil er aus Holzlatten gezimmert, überall extemporirt werden kann, während die plana inclinata in Form von Rosshaarpölstern nicht überall und nicht immer in entsprechender Grösse zu haben sind. Tendenz zur Länijsverschiebung erfordert — bOG -■ eine permanente Extension. Lonsdale hat eine Metallschiene angegeben, welche am unteren Ende aufgebogen ist, um für den gebeugten EU- i)ogen als Stütze zu dienen, während das obere Ende eine, in ver- ticaler Richtung verschiebbare und beliebig stellbare Krücke trägt, bestimmt, in die Achselhöhle einzugreifen. Besser als diese, die Cir- culation etwas hemmenden Apparate ist die continuirliche Gewichts- extension mittelst Heftpflasteransa, welche den Oberarm umfasst (Fig. 2;>2). Diese einfache Extension ist nur wirksam, wenn der Kranke steht. Liegt er zu Bette, so muss auch ein Gegenzug stattfinden und Fig. 232. Fig. 2;]]. die Gewichtsschnur über Rollen laufen. Einfache Contention wird durch Schienen oder mit erstarrenden Verbänden erzielt: Gips, Tripolith oder noch besser nasse Organtinbinden mit Zwischenlagen von Tapetenholzspänen. IL Gefässunterbindungen am Oberarme. 1. Die art'ria axillaris hält sich an die Aussenwand der Achsel- höhle, jener, welche vom Oberarmkopfe abgegeben wird. Das topo- graphische Yerhältniss der Gefässe zu den Nerven des Armgeflechtes ist folgendes: die Nerven liegen nebeneinander und nehmen den Raum ein, zwischen den musculus coraco-brachialis und dem langen — 807 — Kopfe des triceps braehii: der erste in der Reihe wird vom coraco- brachialis bedeckt, es ist der nervus cutaneus externus, welcher durch eine Lücke des Muskels tritt, um diesen, sowie auch den biceps und brachialis internus mit motorischen Zweigen zu versorgen und dann die vena cephalica zu begleiten. Neben den nervus cutaneus externus liegt der medianus, an diesem der viel dünnere cutaneus medius, dann folgen der ulnaris und ganz nach hinten, zunächst dem Tricepskopfe, der nervus radialis. Auf dieser Nervenpalissade liegt die vena axillaris, unter jener die arteria axillaris. Sucht man die Arterie am tiefsten, beziehungsweise höchsten Punkte der Achsel- höhle auf, so findet man den nervus medianus noch in zwei Aeste gespalten, zwischen und unterhalb welchen die Arterie liegt ; will man peripherer unterbinden, etwa in der Höhe der Sehne des pectoralis maior, so muss man zwischen dem medianus und dem cutaneus medius eingehen, um das Gefäss zu finden. Zur Aufsuchung der axillaris verlängert man sich den sulcus bicipitalis internus in die Achselhöhle, schneidet am horizontal ausgestreckten, etwas nach aussen gerollten Arm in der Richtung der gedachten Linie ein, trennt Haut und Aponeurose, lässt die "Wundränder abziehen und sucht zunächst den schmalen Bauch des musculus coraco-brachialis auf. Diesem zunächst erblickt man den nervus medianus und ihm an- liegend den dünnen cutaneus medius. Mittelst Hohlsonde trennt man das zarte Bindegewebslager zwischen beiden, lässt den medianus nach vorne, den cutaneus nach hinten abhalten und erblickt in dem so geschaffenen Nervenspatium die Arterie. Die Vene liegt zumeist mehr nach rückwärts und bleibt ausser Spiel. 2. Die arteria brachialis zieht in sulcus bicipitalis internus der Ellbogenbeuge zu, begleitet von zwei venae brachiales, von denen die nach innen von der Arterie gelegene stärker calibrirt ist, als die nach aussen, dem biceps zunächst verlaufende. Arterie und Venen haben während ihres ganzen Verlaufes am Oberarm den nervus medianus als steten Begleiter; der ulnaris liegt mehr nach innen. Das Verhältniss des Nerven zur Arterie ist ein derartiges, dass der Nerve in der oberen Hälfte des humerus über den Gefässen liegt und sie deckt; in der unteren Hälfte lenkt der Nerve nach innen ab und entfernt sich mehr und mehr von ihnen, bis er in der plica cubiti am weitesten abweicht und sich dem condylus humeri internus nähert, während die Gefässe constant am biceps sich halten. Medianus und Gefässe liegen subfascial: präfascial verlaufen in der unteren Humerushälfte entlang dem sulcus bicipitalis internus: die vena basilica und der zweigespaltene nervus cutaneus medius. Zur Unter- bindung der brachialis schneidet man longitudinal im sulcus bicipitalis internus ein, hat nur Haut und fascia zu trennen, um zu den Gefässen zu gelangen. Zu berücksichtigen sind, je nach der Höhe, nebst den präfascialen Gebilden nur der nervus medianus und die Begleitvenen. 3. Die arteria cubitalis hält sich knapp am Innenrande der Bi- cepssehne, der medianus liegt weiter einwärts. Gefässe und Nerve werden bedeckt zunächst, von der Aponeurose und unterhalb dieser vom lacertus fibrosus bicipitis; beide müssen auf der Hohlsonde durchtrennt werden. Präfascial verläuft die vena mediano-basilica, gekreuzt von den zwei Aesten des nervus cutaneus medius. — 808 - IIL Nervendehnungen am Oberarme. 1. Der nervus medianus wird belmi's Dehnung zumeist in der Mitte des Oberarmes freigelegt. Die Technik seiner Blosslegung dürfte aus dessen oben angedeutetem Verhältnisse zur arteria brachialis klar sein und weiterer Beschreibung nicht benöthigen. 2. Der nervus ulnaris zieht an der Innenseite der Gefässe, im sulcus bicipitalis internus; etwa vier Querfinger oberhalb des epicon- dyhis humerus internus weicht der Nerve in Begleitung der arteria collateralis ulnaris superior durch eine Lücke im ligamentum inter- musculare internum nach rückwärts ab, um weiter entlang der Knochenfurche an der Rückfläche des epicondylus internus zum Vorderarme hinabzusteigen. Man pflegt den Nerven nach seinem Durchtritte durch das ligamentum interuiusculare blosszulegen, zu welchem Behufe bei stark gebeugtem Vorderarme ein Längsschnitt benützt wird, welcher etwa 3 Centimeter oberhalb des epicondylus internus enden muss, um das Gelenk nicht zu eröffnen. Das Auffinden gelingt leicht; bei der Isolirung muss die arteria collateralis ulnaris geschont werden. 3. Der nervus radialis schlingt sich spiralig um den humerus, um von der Achselh()hle an die Aussenseite des Ellbogens zu gelangen. Zur Freilegung des nervus radialis zieht man sich eine Linie vom Ansatzpunkte des Deltamuskels am humerus zum epicondylus externus, halbirt sie und schneidet der Länge nach so ein, dass die Mitte des Schnittes der Mitte der gedachten Linie entspricht. Nach Durch- schneidung der Haut und der Aponeurose dringt man stumpf zwi- schen den einander zugekehrten Ftändern des biceps und triceps brachii, erreicht den Knochen und findet hierselbst den Nerven in Begleitung der arteria collateralis radialis, welche bei der Isolirung sorgfältig zu schonen ist. IV. Capitel. Eilbog enge lenk. I. Einrichtungsmethoden bei Verrenkungen im Ellbogengelenke. Die Arten der Luxationen in diesem aus drei Knochen zusammengesetzten Doppelgelenke sind sehr zahlreich. Man kennt circa zwölf verschie- dene Formen, je nachdem beide Vorderarmknochen oder nur einer luxirt, und je nach der Richtung, in welcher die Verrenkung erfolgt. Unstreitig die häufigste ist die Verrenkung beider Vorderarmknochen nach hinten, wobei die trochlea humeri vor und unterhalb des Pro- cessus coronoideus ulnae sich verstellt, und das olecranon mit der Tricepssehne weit nach hinten rückt. Es gibt zwei Methoden, diese kaum verkennbare Luxation einzurichten: Die Distractions- und die Hyperextensionsmethode nach Roser. Bei der Distractionsmethode wird der, die pathognomonische Beugestellung im Winkel von etwa 1200 einhaltende Vorderarm zu- — 809 - nächst rechtwinkelig gebeugt und in dieser Stellung von einem Ge- hilfen fixirt. Durch das Beugen bis zum rechten Winkel gleitet der Processus coronoideus ulnae aus der fovea supratrochlearis humeri posterior und rückt der trochlea näher. Die nun eingreifende Zug- gewalt soll den Kronenfortsatz noch tiefer herunterbringen und dem Niveau der trochlea nähern, damit bei einer hierauf rasch aus- geführten halben Streckung und Wiederbeugung, das Einschnappen der fovea semilunaris olecrani erfolge. Der Zug muss bei rechtwinke- liger Vorderarmbeugung angebracht werden, möglichst nahe der Ellbogenbeuge; es dient hiefür ein cravattenförmig zusammengelegtes Tuch, das man ganz locker am oberen Dritttheile des Vorderarmes knotet, so dass es als Schlinge zum Angriffspunkte der Kraft — Hände eines Gehilfen — dienen kann. Dieser zieht an der Schlinge in ver- ticaler Richtung, also nach aussen, weil die Extremität horizontal Fig' 233. vom Stamme abstehend gehalten wird, während ein dritter Gehilfe durch Umfassen des humerus den Gegenzug ausübt. Der Operateur stellt sich, hinter den Ellbogen, umfasst die Beuge, kreuzt seine Daumen am olecranon und drückt ihn nach unten und nach vorne, wobei er gleichzeitig das Herabrücken des olecranon in Folge der distrahirenden Zugkraft beobachtet. Oft genug schnappt bei kräfti- gem Zuge und muskelschwachen Individuen das luxirte Gelenksende schnell ein ; ist dies nicht der Fall, so muss bei fortdauerndem Zuge der Vorderarm leicht gestreckt und schnell wieder gebeugt werden ; damit aber beim Strecken die Zugschlinge am Vorderarme nicht der Hand zu abgleite, ist es noth wendig, dass jener Gehilfe, welcher den Vorderarm in rechtwinkeliger Beugung erhält, letzteren knapp vor der Schlinge umfasse und seine Hand als barriere verwende. Collin hat einen Apparat ersonnen, an dem eine durch Hebelkraft bewegte Zahnstange den Zug ausübt und alle Gehilfen entbehrlich macht — 810 — (Fiii'. 2SS); namentlich bei veralteten, schwer einriclitbaren Ver- renkungen dürfte der Apparat gute Dienste leisten. Die Möglichkeit, den Ellbogen spitzwinkelig beugen zu können und die Herstellung normaler Formverhältnisse, geben Zeugiiiss für die gelungene Re- duction. KeUi/ gibt folgende Reduetionsmethode an, bei deren An- wendung man aller Assistenz entbehren kann: der Operateur setzt sieh a-uf den Rand eines festen Tisches, der Verletzte auf einen Stuhl zu seiner Rechten. Er gibt nun den Oberarm des letzteren unter seinen rechten Oberschenkel, klemmt ihn dadurch gegen die Tisch- platte fest und fixirt ihn durch festes Aufstemmen des Fusses auf einen Schemel. Der Vorderarm wird rechtwinkelig gebeugt und das vorspringende luxirte olecranon auf die Vorderfläche des linken Oberschenkels gestützt, wobei der linke Unterschenkel den rechten Jo'euzt und der Fuss an letzterem sich feststemmt. Der Operateur beliält dabei beide Hände frei, womit er, am Vorderarme des Ver- letzten ziehend, die Extension in senkrechter Richtung nach aufwärts bewerkstelligen kann, unterstützt durch den Druck den linken Ober- schenkels auf das olecranon. Die nothwendigen Streck- und Beuge- bewegungen lassen sich dabei anstandslos ausführen. Die Hyperextensionsmethode entwickelt viel mehr Kraft, weil sie auf Hebelwirkung beruht; sie besteht in H3'perextension des luxirten Vorderarmes, wobei die Olecranonspitze als Hypomochlion dient, und in darauf folgender rascher Beugung. Bei der Ueberstreckung wird zunächst die Verhackung des Kronenfortsatzes in die fovea supra- trochlearis posterior gehoben und ersterer der trochlea näher ge- rückt. Die Ueberstreckung muss dafür so weit gasteigert werden, dass Ober- und Vorderarm miteinander einen hinten offenen Winkel bilden. Wird dann, wenn die Olecranonspitze tiefer gerückt ist, rasch gebeugt, so gleitet der Kronenfortsatz über die trochlea und die Ein- renkung ist besorgt. Auch bei dieser Methode braucht der Operateur keine weitere Assistenz: er stellt sein rechtwinkelig gebeugtes Bein auf einen Sessel, erfasst den Oberarm der horizontal vom Stamme abstehenden Extremität knapp über der Ellbogenbeuge mit der linken Hand, postirt die Rückfläche des untersten Humerusabschnittes auf seinen Oberschenkel, packt mit der rechten den Vorderarm nahe dem Handgelenke, um den Hebelarm zu verlängern und dadurch mehr Kraft zu sparen, drängt den Vorderarm nach abwärts bis zur win- keligen Knickung und beugt sodann rasch. Wäre ein Gehilfe zur Hand, so könnte dieser seine Daumen über die Olecranonspitze kreuzen und sie nach abwärts drücken, damit im Momente der Beugung ein etwaiges Hinaufrutschen des olecranon verhindert werde. Befürch- tungen von Muskelrissen oder Abbrechen des olecranon sind unbe- gründet; die Methode empfiehlt sich bei veralteten Luxationen. Bei der Verrenkucg beider Vorderarmknochen nach vorne stemmt sich die Olecranonspitze an die vordere Fläche der trochlea und die fovea sigmoidea kehrt der Ellbogenbeuge zu. Der Vorderarm steht in pathognomonischer Beugung. Die Einrichtung dieser seltenen Ver- renkungsform dürfte durch einfache Distraction in der Beugestellung unter nachfolgender gesteigerter Beugung gelingen. Die seitlichen incompleten Verrenkungen beider Vorderarmknochen können nach aussen sowohl als nach innen erfolgen. Bei ersteren — 811 — verlässt das Radin sköpfchen den coiidj'lus externus und ragt mit seiner eminentia capitata seitlich hervor, bei letzteren bildet der condylus externus eine stufenförmige Vertiefung, während die ulna sich in dem Niveau des epicond3'lus internus stellt. Das olecranon vez'lässt in beiden Fällen die fovea supratrochlearis und ist dem einen oder dem anderen epicond3'lus genähert. Zur Einrenkung ist starke Distraction bei rechtwinkeliger Beugung, nebst lateralem Druck in verkehrter Richtimg- nothwendig. Die seitlichen Verrenkungen sind selten, jene nach aussen relativ noch häufiger, als jene nach innen. Ebenso selten kommen divergirende Verrenkungen beider Vorderarm- knochen zur Beobachtung; dabei luxirt die ulna stets nach hinten, wälirend der radius entweder nach vorne oder nach aussen ab- rutscht. Die Vorderarmknochen können aber auch isol irt luxiren, so die ulna allein nach hinten, mit oder ohne Bruch des Kronenfortsatzes. Die isolirte Verrenkung des Radiusköpfchens erfolgt: nach vorne, nach aussen oder nach hinten vom cond3'lus externus. Die Verrenkung des Radius nach vorne ist wohl die häufigere; sein Köpfchen bildet einen Vorsprung und steht vor dem hunierus, der cond}dus externus begrenzt einen stufenförmigen Abfall, der Vorderarm steht in halber Pronation, die Beugung ist wesentlich behindert. Die Reduction ge- lingt durch Extension am gestreckten Vorderarme mit nachfolgender Supination. Bei der Verrenkung des radius nach aussen erfolgt in der Regel gleichzeitig eine Fractur der ulna. Extension und Druck auf das Köpfchen vermitteln die Reduction. Man erfasst mit der rechten Hand den Vorderarm des Verletzten und übt einen kräftigen Zug am gestreckten Arm aus; mit der linken umfasst man derart den Ellbogen, dass der Daumen auf das capitulum radii zu liegen kommt. Bei Hindernissen im Reponiren durch Interposition der Capsel muss die Extension so weit gesteigert werden, dass eine Diastase zwischen Köpfchen und condylus externus entsteht und das capitulum förmlich von unten durch den Capselriss in den Gelenks- raum einschnappt. Bei der Verrenkung des radius nach hinten ist der Vorderarm schwach gebeugt und halb pronirt. Die Einrichtung erfolgt durch Extension bei rechtwinkeliger Beugung und directem Druck auf das hinten stark prominirende Köpfchen bei gleichzeitiger Supination. Die Fixation des Gelenkes nach gelungener Reposition wird in spitzwinkeliger Beugung und halber Supinationsstellung des Vorderarmes vorgenommen. Weiters kommen auch als grosse Seltenheiten vor: complete seitliche Luxationen nach aussen oder nach innen, und Umdrehungs- luxationen. Bei diesen Formen sind derartige Zerreissungen der Gelenksbänder, Abreissungen von Sehnen und Knochenfortsätzen vor- handen, dass die Reposition wohl keinen besonderen Schwierigkeiten unterliegen dürfte. Ofifene Verrenkungen, id est solche mit gleichzeitigem Durchriss der Hautdecke, erfordern wohl zumeist die Vornahme par- tieller Resectionen, schon der sicheren Ableitung der Wundsecrete zuliebe, wenn auch die Reduction ohna Resection möglich wäre. Ebenso erheischen auch veraltete irreponible Verrenkungen in der Regel die Vornahme einer Resection. Die Sicherung des Gelenkes in rechtwinkeliger Beugung ist nach gelungener Reduction stets geboten, um die Heilung des Capsel- — 812 — risses zu ermöolichen. Ein nasser Organtinverband ist hiefür am sichersten, eventuell genügt auch wohl eine Mitella. IL Resection des Ellbogengelenkes. Offene Gelenksbrüche und Ver- renkungen, veraltete irreponible Luxationen, Schussverletzungen, local- tubercul()se Erkrankungen, metastatische und osteom3'elitische Gelenks- vereiterungen und knr)cherne Gelenksanchylosen geben die häufigsten Indicationen für diese Operation ab. Zumeist werden bei Erkran- kungen beide Gelenksenden abgetragen — complete Resection — hin- gegen bei Verletzungen häufig genug nur ein Gelenksende allein, oder gar nur ein Theil davon ausgeschnitten — incomplete Resection, kurz es wird immer nur dasjenige excidirt, was eben nothwendig ist;, nicht mehr. In vorantiseptischer Zeit wurden mehr complete als incomplete Resectionen des Ellbogengelenkes ausgeführt, da die Heilung stets nur durch Eiterung erfolgte und man bei zu grosser Conservation Gefahr lief, knöcherne Verbindung der drei, das Gelenk constituirenden Knochen als Endresultat zu bekommen, also Anchy- lose mit starker Beschränkung der Functionstüchtigkeit. Heutzutage bietet das antiseptische Verfahren bessere Chancen; man weiss aus Erfahrung, dass bei aseptischem Heilverlaufe, selbst bei Belass sämmt- licher Articulationsflächen, active Beweglichkeit resultiren kann; deshalb wird mit dem Knochen thunlich gespart und, wo mehr zu excidiren ist, der betreffende Periostüberzug sorgsam geschont, um dem weit schlimmeren Endresultate in Schlottergelenkbildung vor- zubeugen. Zur Wahrung künftiger Functionstüchtigkeit sind nebst dem Perioste auch die Muskelinsertionen intact zu belassen, sei es, dass man die Insertionen mit den betreffenden Knochenvorsprüngen erhält, sei es, dass man sich bemüht, sie nur mit dem betreffenden Perioststücke in Verbindung zu lassen. Diesbezüglich soll besondere Rücksicht genommen werden : auf das olecranon als Anheftungsstätte der Tricepssehne, auf den Kronenfortsatz wegen des brachialis internus, auf den Hals des radius wegen der Bicepssehne, endlich auf die beiden Epicondylen, weil an ihnen die Gruppen der Beuger und der Strecker sich inseriren. Nebstdem muss der nervus ulnaris, welcher um die Rückfurche des epicondylus internus sich windet, erhalten bleiben; wäre dieser Nerve durch das Trauma in seiner Continuität beschädigt worden, so müssten die Nervenenden nach vollzogener Resection durch die Naht vereinigt werden. Die Zugäng- lichkeit zum Gelenke wird theils von der Rückfläche, theils von den Seitenflächen geschaffen, nie darf durch die Ellbogenbeuge ein- gedrungen werden, weil hier bekanntlich die grossen Gefässe, der nervus medianus und der radialis ihren Lauf zum Vorderarm nehmen. Bei der Resection wird der Arm horizontal vom Stamme abgezogen, durch Assistentenhände fixirt und gelegentlich auch zeit- weilig auf eine harte Unterlage gelagert, jedoch so, dass die Rück- fläche stets frei dem Operateur zugekehrt bleibe. Eine vorgängige Anämisirung der Extremität erleichtert, wo sie anwendbar, den operativen Eingriff; sie ist aber nicht gerade nothwendig, da grössere Gefässe nicht unter das Messer gerathen. Es gibt mehrere Operations- — 813 — methoden, welche sich voneinander tlieils durch die Schnittführung unterscheiden, theils durch das Verhalten gegenüber der Beinhaut und den Sehnen. Wir wollen im Folgenden die gebräuchlichsten typischen Verfahren erörtern; kennt man diese, so werden die Specialisirungen und die jeweilig nothwendigen Variationen niemals Schwierigkeiten bereiten. a) Methode nach r. Langeiihecl: Die Resection wird mit einem Längsschnitte begonnen, welcher entlang der Grenze des inneren Dritttheiles des olecranon zieht; seine Länge variirt zwischen U) und 12 Centimeter, je nach Bedarf, die Mitte des Schnittes trifft das olecranon zwischen Spitze und Basis. Das Messer wird kräftig geführt; es soll Haut und Beinhaut in einem Zuge durch- und die Sehne des triceps wenigstens einschneiden; ein zweiter Messerzug vollendet deren Trennung und spaltet die darunter liegende Kapsel- wand. Da die sichere Schnittführung eine Spannung der Tricepssehne erfordert, so ist bei diesem Acte eine stumpfwinkelige Beugung des Vorderarmes unerlässlich. Vom Längsschnitte aus dringt man, bei nunmehr gestrecktem Arme zwischen Rückfläche des olecranon und Beinhaut, zunächst nach innen, dem epicondylus internus zu, mit dem Elevatorium ein und hebelt das Periost des inneren Dritttheiles bis gegen die Spitze des olecranon ab. An letzterer inseriren sich die tiefen Fasern des musculus triceps, wogegen die oberflächlichen Faser- bündel in die Beinhaut übergehen. Erstere können nicht stumpf abgehebelt werden, da sie dem Knochen allzu fest adhäriren: sie müssen knapp an diesem mit dem Messer durchschnitten werden, zu welchem Behufe der innere Sehnenrand mit einem stumpfen Haken stark nach rückwärts und aussen abgezogen werden muss, um die Spannung ad maximum zu steigern. Das Messer soll seine Schneide dem Knochen zukehren ; man führt damit kurze Schnitte in der Richtung vom Gelenke nach aussen hinten, umkreist damit die Olecranonspitze, immer weiter dem epicondylus internus zu rückend, bis der ganze Sehnenabschnitt vom Knochen abgetrennt ist, jedoch mit seinen oberflächlichen Faserbündeln mit der abgehobenen Bein- haut vollends in Zusammenhang verbleibt. Zieht der Haken das Abgelöste nach innen ab, so überblickt man das vollends skelettirte innere Längsdrittel des olecranon. Zwischen dem Innenrande des olecranon und dem epicondylus internus lagert in der Rückfurche des letzteren der nervus ulnaris; dieser muss sammt seiner binde- gewebigen Umhüllung aus der Furche herausgelöst und über den epicondylus nach innen abgestreift werden. Bei vollends gestrecktem Arm umfasst der Operateur von unten her die Ellbogenbeuge, setzt seinen gekrümmten Daumen als Haken in die Furche und drängt den Nerven, ihn zugleich schützend aus der Furche nach innen ab; der Kagel des Daumens bleibt dem olecranon zugekehrt, sein freier Rand stemmt sich am Knochen und verlässt ihn nie. Durch das Ver- drängen des Nerven und seiner Hülle spannen sich jene Theile der letzteren, welche mit der Beinhaut verwachsen sind, stark an und werden mit dem Messer knapp vom Knochen in der Längsrichtung abgetrennt. Ein stumpfes Abheben der Beinhaut aus der Condylen- furche gelingt wohl kaum, kann aber immerhin angestrebt werden, schon aus dem Grunde, weil man dabei sich knapp am Knochen zu — 814 — halten gezwungen wird. Die Messerschnitte sind ganz kurz, die Schneide kehrt stets dem Knochen zu. Je mehr Bindegewebsbündel man nach und nach durchschneidet, desto mehr gelingt es, den ulnaris mit dem Daumennagel aus der Furche zu drängen, bis endlich diese frei und nackt vorliegt und der Nerv, den man wohl fühlt, aber nicht sehen soll, über den Innenrand des epicond3^1us, der Vorder- fläche zu abgestreift ist. Nunmehr lässt man den Nerven mit seiner Hülle, den lospräparirten Theil der Tricepssehne sammt der Beinhaut und dem Hautrande in einen Haken fassen und nach vorne abziehen. Der Operateur schreitet jetzt zur Skelettirung des Innenrandes und der Vorderfläche des epicondylus internus, trennt theils mit Eleva- torium, theils mit kurzen, am Knochen geführten Messerzügen die Insertionen der Vorderarmbeuger sorgfältig ab, umkreist hierauf den Innenrand des epicondylus und dringt mit der Messerschneide in die Gelenksspalte, wobei die Gelenkscapsel und das ligamentum laterale internum quer durchschnitten werden. Wenn dies abgethan, lässt der Haken los und alle bisher nach innen verdrängten Weichtheile sammt den Nerven rutschen auf ihren alten Platz zurück. Wie bisher nach innen, so beginnt man jetzt nach aussen zu Skelettiren, greift wieder zum Elevatorium, hebelt die Beinhaut von den äusseren zwei Dritttheilen des olecranon ab und trennt, wie früher, die entsprechenden Abschnitte der Tricepssehne so ab, dass deren Verbindung mit der Beinhaut vollends erhalten bleibt. Am Aussenrande des olecranon und an seiner Fortsetzung in den Ulnar - Schaft inseriren sich die Muskelbündel des anconeus quartus, welche thunlich stumpf mit der Beinhaut abgehebelt, oder knapp am Knochen abgeschnitten werden müssen. Der Haken zieht die abgelösten Weich- theile in toto nach aussen ab; man erreicht den epicondylus externus. skelettirt ihn, umkreist hierauf seinen Aussenrand und dringt in die Gelenksspalte ein, Capsel und ligamentum laterale externum quer durchschneidend. Der Assistent setzt zwei stumpfe Haken ein und zieht in divergenten Richtungen alle Weichtheile der Rückfläche bilateral ab, so dass die ganze nackte Knochenfläche vollends zu Tage tritt. Man beugt nun den Vorderarm gewaltsam und luxirt das untere Ende des humerus aus der Wundspalte, legt eine Schutzspatel ein, lässt die trochlea mit einer Resectionszange erfassen und sägt so viel ab, als nothwendig erscheint. Nun ist vollends Platz gemacht: die Gelenksenden der Vorderarmknochen lassen sich anstandslos vor- drängen und gleich der trochlea absägen. Wäre die Nothwendigkeit gegeben, tiefer abzusägen als bis zum Niveau des Kronenfortsatzes, so müsste die Sehne des brachialis internus mit dem Perioste früher abgelöst, eventuell der Kronenfortsatz mit dem Meissel abgesprengt werden, jedoch so, dass diese mit der Beinhaut in Verbindung bleibt. Mit der Absägung der Gelenksenden beider Vorderarmknochen ist die Resection beendet. Es folgen die partielle Vereinigung der Wund- ränder des Längsschnittes durch tiefgreifende Nähte, die Drainirung und der Verband. Statt dem einfachen Längenschnitte führt OlUer einen Z^-för- migen Schnitt (Bajonettschnitt). Dieser geht am Aussenrande des musculus triceps etwa 5 Centimeter lang, von dort dem oberen Rande des olecranon entsprechend nach innen und am Innenrande des letz- — 815 - teren wieder 5 Centimeter nach abwärts. Bei halber rechtwinkeliger Beuguno- (450) dringt er an den Längssegmenten des Schnittes sofort in die Tiefe, während am Quersegmente die Tricepssehne geschont wird. Der musculus anconeus quartus fallt am besten der Quertren- nung anheim. Die Tricepssehne wird in toto vom olecranon abgehebelt in Verbindung mit der Beinhaut. h) Methode nach Hüter. Statt des einfachen Längsschnittes an der Rückfläche des Gelenkes will Hüter zwei ungleich lange Lateral- schnitte ausführen, um die Sehne des triceps in ihrer ganzen Breite unverletzt zu erhalten. Man beginnt mit dem Innenrande des Gelenkes und macht daselbst einen nur 2 bis o Centimeter langen Schnitt parallel zur Achse der Extremität. Der Schnitt halbirt den Innenrand des epicondylus internus im Sinne seiner Längsrichtung; die Mitte des Schnittes entspricht der Gelenksspalte, der Arm ist gestreckt. Man dringt gleich bis zum Knochen ein; mittelst Elevatorium wird nun zur Skelettirung des epicondylus geschritten und diese an beiden Flächen ausgeführt, hinten natürlich mit Berücksichtigung des ulnaris. Mit dem Periost Avird auch die Capselinsertion abgelöst, Capsel und inneres Seitenband also nicht quer durchschnitten. Bei dieser Resec- tionsmethode ist ein Aufstützen der Extremität auf eine harte Unter- lage unerlässlich und ein Platzwechsel des Operateurs erforderlich. Während er den eben besprochenen Operationsact, an der Rückseite der Extremität stehend ausführt, muss er zum folgenden sich an die Vorderseite stellen und den Arm auf der Unterlage so umdrehen lassen, dass die Aussenfläche nach oben kehrt. Der zweite Lateral- schnitt halbirt die Radialfläche des Gelenkes in der Länge von etwa 10 Centimeter und dringt bis auf die Knochen: in der oberen Hälfte bis auf den epicondylus externus, in der unteren bis auf die Lateral- fläche des Radiusköpfchens, dessen Halteband, das ligamentum annu- lare, in der Verlängerung der Längsspaltung des ligamentum laterale externum durchschnitten wird. Der epicondylus externus wird nun skelettirt sowohl an der Vorder- als auch an der Rückfläche und hierauf bei starkem Abziehen der Weichtheile und Einlegen von Schutzspateln das nackt vorragende Köpfchen des radius mittelst Stichsäge in situ abgetrennt und gleich entfernt. Jetzt wird der Vorderarm gebeugt : man dringt mit dem Zeigefinger durch die Wundspalte des äusseren Längsschnittes in das Gelenk ein, spannt sich die Vorderwand der Capsel durch Abheben derselben nach vorne, dringt mit dem Messer in das Gelenkscavum, zerschneidet knapp am Knochen die vordere obere Gelenkstasche am humerus oberhalb der trochlea, entfernt das Messer, setzt ein Elevatorium ein und hebelt das Periost von der Vorderfläche des humerus so weit ab, als man jeweilig absägen will; die abgelöste Beinhaut bleibt mit der vorderen Capselwand in Verbindung. Das Gleiche führt man an der Rückseite aus : stl'eckt den Vorderarm, dringt mit dem Zeigefinger in das Gelenk, hebt die Capsel nach rückwärts ab, durchtrennt die hintere obere Gelenkstasche und hebelt weiter nach aufwärts die Beinhaut ab. Ist das Gelenksende des humerus ganz skelettirt, drängt man es durch den äusseren Lateralschnitt heraus und sägt ab; drängt dann durch starke Abduction des Vorderarmes das olecranon heraus, hebt die Beinhaut von dessen Rückfläche ab, nebst den Ansatzfasern des — 816 — musculus anconeus quartus, zerschneidet knapp am Knochen die tiefen Faserbündel des triceps und sägt zum Sclilusse ab. c) Methode nach Vofit. Zwei gleichlange Bilateralschnitte (jeder etwa 10 Centimeter) entlang der Längsmitten der inneren und der äusseren Gelenksfläche dringen bis auf die Knochen ein. Die Re- section beginnt mit dem äusseren Längsschnitt; statt aber den epicondylus externus zu skelettiren, wird dieser mitsammt der Inser- tion des ligamentum laterale und der Streckmuskelgruppe mit einem breiten Meissel an seiner Basis abgesprengt. Man dringt jetzt, während der Vorderarm gebeugt wird, mit dem Zeigefinger in das Gelenk, hebt die vordere Gelenkscapselwand ab, trennt ihre obere Tasche und hebelt weiter die Beinhaut von der Vorderfläche des humerus ab, lässt dann den Arm strecken und macht das Gleiche an der Rück- fläche, so weit es geht. Nun wird der Arm gedreht, der innere Lateralschnitt ausgeführt, der epicondylus internus sammt den In- sertionen des ligamentum internum und der Gruppe der Beuger an seiner Basis abgestemmt, die Ablösung der Capsel und der Beinhaut an beiden Humerusflächen zu Ende geführt und das skelettirte Humerusende in situ abgesägt. Hiefür lässt man an der Rückfläche des Oberarmes durch beide Längsschnitte eine Schutzspatel quer ein- legen und führt entlang der Vorderfläche des Knochens eine Stichsäge ein. Viel bequemer ist es, statt der Stichsäge das Sägeblatt einer Bogensäge durchzuleiten, es dann am Bogen zu befestigen, nach been- detem Sägen wieder den Bogen abzumachen und das schmale Sägeblatt auszuziehen. Schliesslich wird die corticalis der Rückfläche des olecranon mit dem Meissel von der Seite abgestemmt und die fovea sigmoidea maior sammt der Gelenksfläche der ulna abgesägt. Die hintere Knochenspange des olecranon bleibt in ihrer Continuität mit der ulna erhalten, behält ihren Periostüberzug und die Tricepssehne bleibt vollends intact. d) Methode nach V. v. Bruns. An der Rückfläche des stumpf- winkelig gebeugten Gelenkes wird zunächst ein querlaufender Schnitt geführt, vom untersten innersten Punkte des condylus humeri externus über die Basis des olecranon bis zu dessem Innenrande. Am End- punkte dieses Querschnittes wird das Messer wieder angesetzt und dasselbe parallel und etwas einwärts vom Innenrande des olecranon, doch ohne Gefahr für den nervus ulnaris, senkrecht nach aufwärts geführt, bis etwa fingerbreit oberhalb seiner Spitze. Diese zwei Schnitte bilden einen rechten Winkel und verhalten sich wie die beiden Catheten eines rechtwinkeligen Dreieckes. Das Messer soll scharf geführt werden, so dass man im queren Schnitt gleich das Radio- humeralgelenk eröffnet, den anconeus und die Beinhaut der Olecranon- basis durchschneidet, während der senkrechte Schnitt bis ins Gelenk reicht. Nun wird der ulnaris sammt seiner Hülle aus der Epicondylus- rinne herauspräparirt und in den Abziehhaken genommen, worauf man mittelst einer, mit sehr feinem Sägeblatte montirten Bogensäge das olecranon an seiner Basis entsprechend dem Querschnitte durchsägt. Um nicht die Condylen einzusägen, wird der letzte gegen die trochlea etwas vorspringende Rest der Olecranonbasis mit einem Meissel durchgedrückt. Das abgetrennte, mit seiner Gesammtdecke — Haut und Periost — versehene olecranon wird nach aufwärts — 817 — umgeklappt, wobei die Tricepssehne quasi als Charnier dient, und man erblickt das ganze Gelenk von der Rückseite aus, Knochen so- wohl als Capsehvand. Jetzt schneidet man noch die Seitenbänder quer durch und drängt zuvörderst die Vorderarmknochen minus olecranon aus dem Gelenksraume; von beiden wird so viel als eben nöthig, oder auch gar nichts abgesägt. Nach Besorgung der Yorderarmknochen kommt am humerus die Reihe. Sollte eine noch ausgiebigere Bloss- legung und Entfaltung der Humerusepiphyse nothwendig erscheinen, so könnte man zum Aussenende des Querschnittes noch einen kurzen Längenschnitt hinzufügen und diesen in der Richtung nach aufwärts, etwa bis zum oberen Ende des epicondylus externus, verlängern. In der Regel ist diese Zugabe unnöthig. Sind die Epicondylen gesund und können sie erhalten werden, so kann man sich darauf beschränken, nach Bigeloic nur die trochlea allein sammt der dünnwandigen fovea supratrochlearis durch einen Rund- oder Spitzbogenschnitt mit Säge, Meissel und Kneipzange zu entfernen und dann jene in toto erhalten. Sind die Epicondj'len nicht zu erhalten, so kann doch ihre corti- calis oder mindestens deren Beinhaut erhalten werden. Zuletzt trägt man so viel von der Gelenksfläche des an der intacten Tri- cepssehne aufgeklappten olecranon ab, als gerade erkrankt erscheint, oder lässt sie vollends intact. Da man bei dieser Resectionsmethode die gesammte Capsehvand zu überblicken vermag, ist auch die Möglichkeit gegeben, dieselbe, falls sie erkrankt wäre, in toto mit Leichtigkeit zu exstirpiren. Nach sorgfältiger Desinfection klappt man das olecranon wieder zurecht, bringt dessen Basis mit der Sägefläche der ulna in Contact und fixirt es durch eine tiefgreifende Knochensutur ; vernäht darüber die Hautränder des Querschnittes und drainirt. Das olecranon verwächst anstandslos mit dem Mutter- boden, selbst wenn es nicht ganz, sondern nur dessen corticalis allein erhalten worden wäre. Diese Resection besteht somit in einer tempo- rären Verlagerung des olecranon und wird daher auch die osteoplastische genannt. Betrachten wir die eben geschilderten Operationsmethoden, so finden wir sie alle geeignet, den Anforderungen möglichster Conser- vation vollends zu genügen und damit auch die besten Chancen künftiger Functionstüchtigkeit zu bieten. Die beste Uebersicht des erkrankten Gelenkes gewährt zweifellos die osteoplastische Methode. Handelt es sich um Texturerkrankungen, namentlich um localtuber- culöse Processe, so dürfte ihr der Vorzug gebühren, weil man in Folge der grossen Zugänglichkeit im Stande ist, die erkrankta Gelenkscapsel in toto exstirpiren und disseminirte Knochenherde in den Sägeflächen genauer evidiren zu können. Auch bei veralteten Verrenkungen dürfte diese Methode ganz wesentliche Vortheile bieten, dagegen wäre sie nicht angezeigt, wenn das olecranon in Folge eines Trauma wesentlich gelitten hat, oder selbst die primäre Stätte der Caries ist. Auch hinsichtlich des Endresultates bietet die osteoplastische Resection insofern einen Vortheil, als dabei das gefürchtete Schlotter- gelenk kaum möglich wird. Die Ursachen für ein Schlottergelenk geben ab: 1. Eine zu weite Entfernung der Resectionsenden vonein- ander, wenn zu viel Knochen entnommen werden musste. 2, Die unzweckmässige Gegenstellung der Knochenenden zu einander, nament- V. M ose tis-M 0 o rhof: Handbuch d. chinng. Technik. 4. Aull. 52 — 818 — lieh wie Roser annimmt, das Nachvornerutschen der Vorderarm- knochen. Beide Momente sind bei der osteoplastischen Methode vollends paralysirt, denn einmal werden durch das Annähen des mit der in- tacten Iricepssehne verbundenen olecranon an die ulna die Knochen- enden einander viel näher gerückt als bei dem einfach subperiostalen Verfahren, ferner verhindert das anwachsende olecranon jedes Nach- vornerutschen der Vorderarmknochen. Viel eher steht bei dieser Methode der Endausgang in Anchylose zu besorgen, wenn allzu wenig Knochen abgesagt wurde, oder mit der Vornahme passiver Beweo-uno-en allzu lange gezögert würde. Bei Anchylosen hat Wolff in einzelnen i^ allen anstatt zu recesiren eine arthrolysis vorgenommen, darin be- — 819 — stehend alle Weichtheilhindernisse in Form von Strängen an Streck- und Beugeseite einfach durchzuschneiden, beziehungsweise bei knö- cherner Anchj^lose die verbindenden Knochenspangen oder die ver- wachsenen Gelenksenden in der ursprünglichen Gelenkslinie durch- zumeisseln und die Knochenflächen möglichst zu glätten. Da Wolff eine Modification der Langenheck.^ sehen Methode ausführt und die Tricepssehne vom olecranon ablöst, verbindet er den operirten Arm in gestreckter Stellung. Nach vollendeter Heilung Ende der zweiten Woche wird mit der Ausführung passiver Bewegungen begonnen und damit längere Zeit hindurch unentwegt fortgesetzt. Post resectionem muss der Arm fixirt werden, am besten in stumpfwinkeliger Beugung. Man kann bei Anlegung eines Dauer- verbandes die zur Fixation dienliche Schiene im Verbände einschliessen, wenn das Schienenmaterial aseptischer Natur ist und aseptisch er- halten werden kann, so beispielsweise Plattenkautschuk, aus dem man ex tempore eine Winkelschiene von Armlänge schneidet, oder Tapeten- holz, welches in starken antiseptischen Lösungen etliche Zeit gelegen Fig. 235. hatte. Da die aseptischen, beziehungsweise antiseptischen Polster, mit denen der Dauerverband angelegt wird, schon an und für sich zur Fixation des darin eingeschlossenen Armes beitragen, so braucht die Schienenverstärkung nicht allzu mächtig zu sein und genügen die erwähnten Materialien. Man umgibt beispielsweise die Resectionswunde mit gekrüllter Jodoformgaze, breitet darüber Gummipapier, umwickelt den Arm mit Bruns' schev Watte, legt die Guttaperchaschiene an und macht darüber den Polsterverband, oder man legt letzteren fertig an und festigt ihn aussen mit Tapetenholz. Esmarch benützt modellirte Glasschienen. Verzichtet man auf Dauerverbände, so empfehlen sich die mit Gipsbinden zu fixirenden eigens geformten Winkelschienen, wie sie Esmarch angibt. Der Gipsverband bleibt getheilt und lässt die Ellbogengegend behufs Verbandwechsels frei. Um den Kranken etwas Beweglichkeit im Bette zu gewähren, schaltet man dem Gips- verbande einen entsprechend geformten hinlänglich starken Eisen- drahtbügel ein, an welchem die Extremität suspendirt werden kann (Fig. 234). Bei Mangel an eigenen Schienen kann auch ein mit bila- teral angelegten Bügeln von Bandeisen vervollständigter Brücken- - 820 — gipsverband ange]o<>t Averden. v. Volkmann lagert die resecirte Ex- tremität offen in eine aus Draht gefertigte Scliwebe (Fig. 235). III. Exarticulation im Ellbogengelenke. Diese seltener geübte Operation hat vor der tiefen Aniputatio hiimeri die Vortheile: zunächst dem Operirten den ganzen Oberarm zu erhalten, ferner dem Stumpfe eine säulenknaufartige Gestalt zu verleihen, welche ihn zur Fixirung von Armprothesen geeigneter macht. Das Verfahren, durch Uluh lebhaft empfohlen, erfordert einen entsprechend grossen gemischten Lappen aus der Volarfläche des Vorderarmes, damit alle Vorsprünge und Vertiefungen der unteren Humerusepiphyse ausgefüllt und gedeckt werden können. Die Operation wird durch zwei, knapp unterhalb beider Epi- condylen begonnene Lateralschnitte eingeleitet, welche längs der Mitte der Radial- und Ulnarflächen des Vorderarmes nach abwärts geführt werden. Gut handbreit unterhalb der Ellbogenbeuge be- grenzt man durch einen nach abwärts convexen Verhindungsschnitt den Lappen und präparirt ihn mitsammt der Musculatur von aussen nach innen, bis zur Beuge. Hierselbst wird er nach aufwärts umge- schlagen und gleich die Spitze des Kronenfortsatzes aufgesucht, knapp an welcher man die Sehnen des biceps und des brachialis internus durchschneidet, das Gelenk von vorne her eröffnet und nacheinander beide ligamenta lateralia durchtrennt. Sodann verbindet man an der Rückfläche die Anfangspunkte beider Lateralschnitte durch einen nach unten convexen Querschnitt, luxirt das Gelenk durch Rück- stauchung des Vorderarmes und exarticulirt das olecranon, indem man durch einen Steigbügelschnitt knapp an seinen Rändern den anconeus quartus und die Sehne des triceps abtrennt. Damit ist die Exarticulation beendet: im Lappen klaffen die arteria und vena cubitalis, die man isolirt unterbindet, ebenso die collaterales in- feriores; die Stümpfe des medianus, ulnaris und radialis werden nacheinander gefasst, durch Dehnung vorgezogen und rasch abge- schnitten, der Lappen über den Stumpf geklappt und nach besorgter Drainage die Wundränder durch Knopfnähte geschlossen. Einen we- niger gefälligen Stumpf ergibt der Cirkelschnitt, weil die Haut allein die knöcheriien Unebenheiten nicht ausfüllt. Wichtig bei dieser Ope- ration sind die beiderseitigen Capselnischen, entsprechend den Supra- trochleargruben. Selbst wenn man die Capsel vollends exstirpirt, können daselbst Secretverhaltungen resultiren, wenn die Drainage nicht zweckentsprechend durchgeführt wird. Beim Lappenschnitt sind zwei Drainrohre nöthig, deren Ausmündungen in den beiden Lateral- winkeln befestigt werden. Das eine muss bis in die vordere obere Capselnische reichen, das andere bis in die liintere obere. Wären nicht genügend Weichtheile vorhanden, um das knorrige Knochen- ende vollends zu decken, so müsste letzteres nachträglich abge- tragen und sonach die Exarticulation in eine Amputation umgestaltet werden. — 821 - V. Capitel. V o r d e r a r m. I. Verbände bei Vorderarmbrüchen. Mit Ausnahme der queren Olecranonfractur, welche eine Fixa- tion des Armes in vollends gestreckter Stellung erfordert, werden alle am Vorderarm nöthigen Verbände bei rechtwinkeliger Beuge- stellung im Ellbogengelenke angelegt. Bei einfachem oder doppeltem Bruche des Vorderarmschaftes besteht eine Tendenz der Bruchstücke, sich nach innen (spatium interosseum) zu verschieben, wodurch eine "Winkelstellung beider zu einander resultirt, mit inneren stumpfen und äusseren offenen Winkeln. Denkt man sich beide Vorderarm- knochen in gleicher Höhe gebrochen, so würde dadurch eine Con- vergenz aller vier Bruchstücke gegen das spatium interosseum bis zur gegenseitigen Wechselberührung hervorgehen können. Diese Ten- denz zur Winkelstellung ist wohl zunächst abhängig von der Bruch- richtung und von der Höhe, in welcher die Fractur erfolgt; bei tiefem Bruche des Vorderarmes mag wohl auch die Zugkraft des musculus Pronator quadratus die Winkelstellung beeinflussen. Es gibt wohl viele Vorderarmbrüche, bei denen absolut keine Ver- schiebungstendenz vorwaltet, aber auch bei diesen könnten unge- schickte Verbände eine Verschiebung der Bruchstücke in gedachtem Sinne geradezu hervorrufen. Man denke sich, es würde am Vorder- arm bei bestehender Fractur, eine Rollbinde in Cirkeltouren angelegt, so müsste sie, durch ihr Bestreben, den Vorderarm abzurunden, die Knochenfragmente nach innen verlagern. Alle drückenden, in Kreis- touren um eine gemeinschaftliche, central gelegene Achse laufenden Verbände sind daher bei Schaftfracturen eines oder beider Vorder- armknochen als schädlich zu betrachten und sorgsamst zu meiden. Von wesentlicher Bedeutung für das Verhalten der Bruchstücke ist weiters die Stellung, in welcher die Hand durch den Verband fixirt wird. Bekanntlich sind radius und ulna nur bei voller Supination der Hand in Parallelstellung zu einander; bei voller Pronation kreuzt der radius die ulna in schräger Richtung und nähert sich ihr im Kreuzungspunkte bis zur Berührung. Kommt die Callusbildung bei letztgedachter Stellung zu Stande, so ist eine Fixirung des radius in jener gegeben und die Drehfähigkeit der Hand vernichtet. Alle Contentivverbände bei Schaftbrüchen des Vorderarmes sind demnach am besten bei voller Supinationsstellung der Hand anzulegen, und ist dieses Gesetz um so gründlicher zu beachten, je grössere Tendenz der Bruchstücke zur früher gedachten Winkelstellung jeweilig be- steht; liegt diese nicht vor, so mag bequemlichkeitshalber die Stellung der Hand in der Mittellage zwischen Pro- und Supination vorgezogen werden; eine volle Pronationsstellung müsste als grober technischer Fehler gelten. Ist der Knochenbruch eingerichtet, wobei Extension nebst Contra- extension bei rechtwinkelig gebeugtem Arme und voller Supinations- - 822 — oder Mittelstellung der Hand die Coai)tati()n der Bruclienden er- möglicht, so -wird der Contentivverband am besten durch Schienen vermittelt. Da es dem Kranken eine grosse Erleichterung verschafft, wenn er die Finger in halber Beugung halten kann, wird man die Volarschiene nur so lang gestalten, dass sie die metacarpo-phalangeal- Gelenke nicht überrage. Zum Verbände sind zwei Schienen nöthig: eine dorsale und eine volare; erstere reicht von den capitulis ossium metacarpi bis zum cai)itulum radii, letztere von der Metacarpalbeuge bis fingerbreit unterhalb der Ellenbeuge, nicht höher, um die recht- winkelige Haltung des Vorderarmes nicht zu beeinträchtigen. Das Schienenmaterial kann sein: Pappe, Holz, Kautschuk etc. Die Breite der Schienen muss die jeweilige Breite des Vorderarmes um etwas überragen, auf dass der damit ausgeübte Druck eine rein bilaterale, richtiger dorso-volare Wirkung entfalte und dadurch die Knochen in Parallelstellung zu einander erhalte. Auch die Fütterung der Schienen ist wichtig, insofern eine convexe Polsterung besser geeignet er- scheint als eine plane; erstere drängt nämlich die Weichtheile der vola und des dorsum antibrachii etwas gegen das ligamentum inter- osseum, und die sich dort stauchende Musculatur hält die Knochen di- stanzirt. Einige Chirurgen pflegen eine noch stärkere gleichsinnige Wirkung durch Einschaltung graduirter Longuetten zu entwickeln, welche entlang dem spatium interosseum angepasst und durch Heft- pflaster in situ fixirt werden. Legt man über den Longuetten die flach gepolsterten Schienen an, so werden jene gegen das spatium interosseum gepresst und halten die Knochen noch viel sicherer aus- einander. König warnt vor den Longuetten, weil sie die Gefässe com- primiren und selbst Lianitionsgangrain der peripheren Theile hervor- rufen können: besser sei es, bei ganz ausgesprochener Neigung der Bruchstücke zur Winkelstellung den Verband bei voller Supinations- stellung der Hand anzulegen. Die Befestigung der Schienen wird be- werkstelligt: durch Bändchen, Leinwand- oder Calicotbinden. oder mit erstarrendem Materiale, am besten nassen Organtinbinden. Wird der Kranke ambulatorisch behandelt, oder findet man keine Gelegen- heit, ihn öfters zu besuchen, so kann man auch die Schienen an drei gleichweit voneinander entfcrhten Stellen mit je einem Gummirohre circulär befestigen, da elastisches Material eine Lockerung des Ver- bandes mit folgeweiser Verschiebung der Bruchenden sicher verhütet und gleichzeitig dem übermässigen schädlichen Drucke steuert. Der Kranke muss, sobald er das Bett verlässt, die geschiente Extremität in einer Mitella tragen. Fracturen am unteren Radiusende kommen ausnehmend häufig zur Beobachtung; sie zählen zu den indirecten Knochenbrüchen und ent- stehen durch Fall auf die ausgestreckte, volar-, seltener dorsalflectirte Hand. Nelaton hat zuerst nachgewiesen, dass der Bruch durch eine übermässige Anspannung des starken ligamentum carpi volare ent- steht, wodurch das untere Radiusende, an welchem das Band seine Insertion findet, abgerissen wird. Diese Rissfracturen des radius zeigen in Folge zumeist dorsaler Verschiebung des unteren Bruch- endes eine ganz eigenthümliche, charakteristische Formveränderung des Handgelenkes, welche oft genug zu einer Verwechslung mit den so seltenen Verrenkungen im Handgelenke Veranlassung gibt. Da — 823 — der radius den Hauptantheil an der Bildung des Handgelenkes nimmt, so wird eine Verschiebung der betreffenden Gelenksfläche eine Ver- lagerung des carpus zur Folge haben, und zwar so, dass die ganze Hand radialwärts gleitet und sich zugleich in Ulnarflexion stellt ; sie entfernt sich dabei etwas vom capitulum ulnae und dieses springt dadurch mehr vor. Unterhalb des genannten Knochenvorsprunges bildet sich eine tiefe Furche aus, in Folge der Stellung der Hand in Ulnarflexion. An der Dorsalfläche des untersten Vorderarmendes ragt das dorsalwärts verschobene untere Bruchstück vor, wogegen an der Volarfläche wieder das Ende des oberen Schaftbruchstückes einen zweiten Vorsprung bildet, weniger in Folge einer directen Ver- lagerung, als vielmehr als Contrastwirkung. Die Einrichtung des Knochenbruches erfolgt durch Zug an der Hand zunächst in gerader Richtung nach vorne, hierauf durch Verstärkung der Ulnarflexion. Der Vorderarm wird im Ellbogen gebeugt und an ihm auch die Contraextension durch Assistentenhände geübt. Während die Hand extendirt wird, legt der Chirurg seine beiden Daumen auf die zwei Fig. 2.36. Knochenvorsprünge am dorsum und an der vola antibrachii und drückt sie nach entgegengesetzten Richtungen, wodurch die Coapta- tion zu Stande kommt. Der Verband wird am besten bei voller Ulnar- flexion der Hand angelegt, denn bei dieser Stellung übt das liga- mentum laterale radiale eine extendirende Wirkung auf das untere Bruchstück des radius und erhält es in coaptirter Stellung. Abgesehen von den modellirten Schienen : Blech nach Guillery, Kautschuk oder Filz, abgesehen von den erstarrenden Verbänden (Gips oder Tripo- lith). empfehlen sich bilaterale (dorsale und volare) Winkelschienen aus Holz, wie sie von Nelaton unter den Namen „Pistolenschienen" empfohlen worden sind (Fig. 236). Zweckmässig gefüttert und mit Binden gesichert, halten sie die Bruchstücke sicher in coaptirter Stellung und gestatten die Beugung der Finger. Eoser empfiehlt eine einzige dorsale Lagerungsschiene, welche im Bereiche der Hand keilförmig gepolstert wird, so dass die darauf gelagerte Hand in Volarflexion gestellt und darin erhalten wird. Der Keil soll fest sein, wird daher aus Leinencompressen geformt und derart auf die Schiene befestigt, dass das dorsum manus auf der steil aufsteigenden schiefen — 824 — Ebene ruht, während der Keilwinkel das untere Bruchende etwas überra^it und seiner Tendenz, sich dorsalwärts zu verschieben, ent- gegentritt. Bindet man mit Flanellbinden die Hand und den Vorder- arm auf diese, bis zum condylus oxternus humerus reichende, flache, in ihrer ganzen Länge bis zum Keile gut gepolsterte Holzschiene, so wird das obere Bruchende durch den Bindendruck dorsalwärts gedrückt und das untere Bruchende durch den Keilwinkel gestützt. Finger und Daumen bleiben frei, so dass der Kranke erstere in hal- ber Beugung zu halten vermag (Fig. 237). Bardenheuer benützt eine, von ihm Federextensionsapparat benannte Schiene. Extensionsverbände am Vorderarme erfordern die Anlegung doppelter Zugschlinge nach Croshif schem. Muster; die obere soll contraextendiren, die untere ziehen. Den Zug bewirken am besten ausgezogene Gummiringe. Man legt die Hand, nachdem die Züge mit Heftpflasterstreifen in divergirenden Richtungen angelegt wurden, auf eine etwas längere, genügend breite, gepolsterte Holzschiene, lässt die Zugschnüre über beide Schmalseiten laufen und bindet erstere auf der Rückseite der Schiene an einen Gummiring. Die Ela- Fig. 237. sticität des ausgezogenen Ringes ersetzt den Gewichtszug und ge- stattet dem Kranken das Bett zu verlassen. IL Gefässunterbindungen am Vorderarme. Man pflegt die Gefässe im unteren Dritttheile des Vorderarmes aufzusuchen : 1. Die arteria radialis hält sich in Begleitung der Venen und des nervus radialis, der radialwärts von den Gefässen verläuft, in dem Räume zwischen den Sehnen des supinator longus und des musculus radialis internus, nur von der Haut und der aponeurosis antibrachii bedeckt. Führt man entlang der Mitte zwischen beiden Sehnen einen Längsschnitt durch die Haut, spaltet die Fascie auf der Hohlsonde und lässt die Sehnen bilateral abziehen, so erblickt man die Arterie von zwei Venen begleitet und kann leicht die Isolirung und Unter- bindung ausführen. 2. Zur Aufsuchung der arteria ulnaris schneidet man am Innen- rande der Sehne des musculus ulnaris internus, spaltet die Fascie und lässt die Sehne etwas ulnarwärts, jene des Nachbarmuskels: - 825 — flexor digitorum sublimis, radialwärts abziehen. Zwischen beiden, auf dem flexor profundus, zieht die Arterie von zwei Venen begleitet; ulnarwärts davon verläuft der nervus uluaris. Fig. 238. VI. Capitel. Handgelenk. I. Resection des Handgelenkes. Je nachdem man beide, das Hand- gelenk constituirenden Knochencomplexe entfernt, nur einen oder selbst nur Theile des einen excidirt, werden die Verfahren als partielle und totale Resectionen benannt. Keines der wichtigen Gebilde, welche vom Vorderarm zur Hand herunter- steigen: Gefässe, Nerven und Sehnen, darf beim Operationsacte verletzt wer- den. Den Weg zum Gelenke muss man sich zwischen zahlreichen Sehnen bah- nen, die Schnitte so führen, dass die Gefässe ausser Spiel bleiben, und vom carpus zwei Knochen schonen: das os pisiforme als Ansatzstelle des musculus ulnaris internus, ferner das os mul- tangulum malus, weil dessen Gelenks facette mit dem metacarpus pollicis einen für sich abgeschlossenen Raum darstellt, welcher mit den übrigen car- pal- und carpo-metacarpal-Gelenken nicht communicirt. (I) Totalresection des Handgelenkes mittelst Dorsoradialschnitt nach v. Lan- genheclz. Man beginnt die Operation mit einem 9 bis 10 Centimeter langen Schnitt, welcher nur die Haut- allein durchtrennt, etwa in der Mitte des ulnaren Randes des metacarpus in- dicis seinen Anfang nimmt und geradlinig verlaufend an der Rückfläche des unteren Radiusendes aufhört, etwas oberhalb der Epiphyse. Nach Einlegung von Abziehhaken wird zwischen der Strecksehne des Zeige- fingers und jener des grossen Daumenstreckers, unter Schonung des extensor carpi radialis brevis, in die Tiefe gedrungen, die Gelenkscapsel der Länge nach durchschnitten, deren Verbindungen mit dem carjjus getrennt und gleichzeitig auch die Beinhaut am unteren Radiusende gespalten. In den Periostspalt setzt man das Elevatorium ein und hebelt die Beinhaut nach beiden Richtungen ab, zugleich mit den darüber ziehenden Sehnen. Viel rascher und bequemer als die Periost- ablösung gestaltet sich die durch Vogt empfohlene Abstemmung der betreffenden Corticalschichte des radius mittelst eines breiten Meisseis. Spatelhaken werden eingelegt und alle Weichtheile bilateral scharf abgezogen; mit Elevatorium und starkem Resectionsmesser, welches die einzelnen ligamenta intercarpea trennt, entfernt man einzeln die — 826 — drei Knochen der ersten Reihe: os naviculare, lunatum und trique- trum; der vierte Knochen dieser Reihe, das os pisiforme, bleibt er- halten (Fig. 238j. Das Gleiche wird mit der zweiton Reihe gethan und mit Schonung des multangulum malus, das minus, capitatum und hamatum ausgelöst, wofür nebst Messer und Elevatorium auch eine kleinere Resectionszange nothwendig wird; bei Caries genügt oft ein scharfer Löffel. Ist dies besorgt, so wendet man sich wieder zum radius, löst mit der Beinhaut, beziehungsweise einer Corticallamelle, das ligamentum laterale internum (carpo radiale) ab, wiederholt das Gleiche an dem unteren Ulnarrande, beugt die Hand volarwärts und drängt aus der Wundspalte beide skelettirten Knochenabschnitte hervor, welche man nach Entblössung ihrer Volarflächen absägt. Damit ist die Operation beendet, falls die Metacarpalknochen ganz erhalten bleiben können. Nach Anlegung zweier Draincanäle: eines oberhalb des erhaltenen os multangulum maius, das zweite volarwärts vom os pisiforme, können die Wundränder des Dorsoradialschnittes durch die Naht geschlossen werden. Lister hat zur Totalresection eine viel complicirtere und daher seltener ausgeführte Operationsmethode angegeben. Erführt zwei Schnitte aus: dereine verläuft longitudinal vom freien Rande der ulna über den processus styloideus zur Basis des metacarpus quintus, der zweite setzt sich aus zwei Abtheilungen zusammen, welche unter einem stumpfen Winkel zusammenstossen. Der longitudinale Schenkel beginnt in der Mitte der Dorsal- fläche des radius und zieht zwischen den Sehnen des extensor indicis und des extensor pollicis longus zum Ulnarrande der Basis des meta- carpug digiti medii; der schräge, in stumpfem Winkel abweichende kleine Schenkel reicht bis zur Mitte des Radialrandes des genannten Mittelhandknochens. Durch diesen Schnitt wird zwar die Abtragung der Basen der Mittelhandknochen erleichtert, aber auch der Dorsalast der arteria radialis der Verletzungsgefahr mehr ausgesetzt. Gritti bedient sich zvv'eier Längsschnitte: eines radialen 2 Centi- meter über dem processus styloideus beginnend und 2 Centimeter vor der Daumenseite der Basis metacarpi indicis endigend. Die ulnare Incision wird in gleicher Länge am Ulnarrand des Handrückens geführt. Beide Längsschnitte werden durch einen der Mitte der Hand- wurzel entsprechenden Querschnitt verbunden, dabei werden die Strecksehnen durchtrennt, nur die des langen Daumenstreckers wird geschont: die Extensores carpi radialis et ulnaris von ihren Ansätzen abgelöst. Die durchschnittenen Sehnenstümpfe werden mit Fäden angeschlungen und mit den aus dem Hförigen Schnitt resultirenden Hautlappen in divergirenden Richtungen zurückgeklappt. Die Vorderarmknochen werden zunächst schräge abgesägt, so dass vom radius mehr entfällt als von der ulna. Hierauf Ablösung der Handwurzel in toto ohne Eröffnung der Flexorenscheide. Das Gelenk zwischen multangulum maius et minus wird eröffnet, ersterer als wesentlicher Bestandtheil des Daumengelenkes wird erhalten. Hierauf weitere Abschälung des Handwurzelskelettes bis über die Basen der vier Mittell^andknochen, welche über den Basen abgesägt werden. Der enorme Defect wird derart versorgt, dass man die Sägeflächen der Mittelhandknochen mit den Sägeflächen der Vorder- armknochen durch Metallsuturen vereinigt, dann werden die über- — 827 — einandergeschobenen Sehnenenden mit 2 Centimeter Verkürzung vernäht und darüber die Haut vereinigt. Bei Caries fungosa hat die Methode wohl den Vortheil, dass man die Resection nur im gesunden ausführt. Da der Daumen erhalten bleibt, sollen die Resultate ganz befriedigende sein. h) Partielle Eesection des Handgelenkes. Soll der carpus allein das Operationsgebiet darstellen, so eignet sich am besten der v. Langen- heck'sehe Dorsoradialschnitt, nur v/ird er kürzer ausgeführt, indem das Gebiet des radius ausser Spiel bleibt. Handelt es sich um die Entfernung der Gelenksenden von radius und ulna allein, so ist der Ollier'sche Bilateralschnitt vorzuziehen. Man indicirt in der Länge von 5 Centimeter Haut und Beinhaut am freien Rande der ulna, skelettirt das untere Ulnarende und stemmt es mit Meissel und Hammer bis zur nöthigen Höhe ab, worauf man die Ablösung des Knochenstückes vom ligamentum interosseum und von der Capsel- insertion mittelst Elevatorium und Resectionsmesser besorgt. Nun folgt der Radialschnitt: 0/lier führt denselben in gleicher Länge mit dem Ulnarschnitt volarwärts von den Strecksehnen des Daumens, Hüter zwischen den Sehnen des langen und des kurzen Daumen- streckers. Der Schnitt durchtrennt zunächst bloss die Haut und dringt erst später volarwärts oder zwischen den Daumenstreckern ein, um die Beinhaut in der Längsrichtung bis zum processus styloi- deus radii zu spalten. Nach erfolgter subperiostaler oder subcorticaler Skelettirung des radius wird abgesägt, mittelst Stichsäge, oder Bogen- säge, wenn man das Sägeblatt allein einführt und es dann erst am Bogen befestigt. Zum Schutze der Weichtbeile wird zwischen Volar- weichtheilen und Knochen eine Spatel oder ein Schutzstreifen durch- geführt und die Strecksehnen mittelst Elevatorium nach aufwärts verdrängt. Die resecirte Hand soll, nach König und Bidder, in einem Drittel Dorsalflexion auf eine Schiene gelagert und die Finger aus dem Verbände gelassen werden, um günstigere functionelle Resultate zu erzielen. Während der ersten 21 Stunden ist es empfehlenswerth, die Extremität in Elevationsstellung zu erhalten, um Nachblutungen zu steuern. Auch nach erfolgter Heilung ist ein kleiner Apparat noth- wendig, welcher die Hand in dorsalflectirter Stellung stützt. Lauen- stein empfiehlt nebstdem die knöchernen Resectionsenden einander möglichst zu nähern und den Längsschnitt in den Dorsalweichtheilen quer zu vereinigen. II. Exarticulation im Handgelenke. Die Endpunkte des quergestellten Handgelenkes bilden die beiden processus styloidei: an ihnen, und zwar an ihren unteren Enden, hält sich der Operateur, um das Gelenk zu eröffnen und die Hand abzulösen. Zur Deckung der Stumpffläche eignen sich am besten gemischte Lappen, id est Haut und Sehnen, weniger empfehlenswerth ist die Manschettenbildung durch Cirkel- schnitt. Den Grund geben die anatomischen Verhältnisse der Sehnen zu ihren Scheiden. Bei der Manschettenbildunu' werden die Sehnen - 828 — in der Gelenkslinie abgeschnitten und dafür durch geeij^nete Stellung der Hand entsi^rechend angespannt. Jeder Sehnenanspannung behufs Durchschneidung tV)lgt eine active Rotraction des bezüglichen Muskels und ein Zurückweichen des Sehnenstumpfes in seine Scheide. Am Handgelenke sind aber die Sehnenscheiden bekanntlich durch Ver- stärkungsbänder verdickt: ligamentum carpi commune dorsale und volare. Diese von der aponeurosis antibrachii abgegebenen Ver- stärkungsbändor halten die Sehnenscheiden offen und klaffend, so dass nach erfolgter Durchschneidung der Sehnen im Niveau des Handgelenkes und Retraction der Stümpfe, die Sehnenscheiden als offene Hohlrohre erscheinen, welche ganz geeignet wären, Wund- secrete aufzunehmen und fortzuleiten. Selbst wenn man die klaffenden Sehnenscheiden längsspaltet, ist nicht allen Postulaten genügt; erhält man dagegen die Sehnen in dem gemischten Lappen, so ist diesem Nach- theile vollends Rechnung getragen. Die Hautsehnenlappen können je nach Thunlichkoit geschnitten werden: aus dem dorsum manus, aus der vola, aus beiden zugleich, endlich im Nothfalle auch aus der Radialfläche, aus der Ulnarfläche, ja aus beiden. Die Lappen werden in entsprechender Grösse und Form zunächst bloss in der Haut vor- geschnitten, hierauf durch Einstich und Ausschnitt alle subcutanen Weichtheile mit der Haut abgethan bis zur Basis der Lappen, welche der queren Verbindungslinie beider processus styloidei entsprechen muss, sodann umgeschlagen, die Hand in Mittelstellung zwischen Pro- und Supination gestellt und am unteren Ende des processus styloideus radii das ligamentum laterale radiale durch- und die Kapsel eingeschnitten. Um die Abtrennung zu erleichtern, legt der Operateur seinen Daumen auf den Griffelfortsatz, so dass der Nagel dessen Ende deckt, lässt vom Gehilfen die Hand in Ulnarflexion stellen und das Band spannen. Bei gesteigerter Ulnarflexion wird das Messer im Sinne des Gelenkscavum geführt und Alles durchschnitten, was über- haupt die Verbindung der Hand mit dem Vorderarm abgibt. Um das radio-ulnar-Gelenk intact zu lassen, wird der Zwischenknorpel am Gelenksende der ulna zurückgelassen und mit der Durchschneidung des ligamentum laterale ulnare die Auslösung beendet. Wäre nur ein Lappen gewählt worden, so müsste an der Gegenseite die Haut durch einen convexen Bogenschnitt durchtrennt werden, bevor man an die Exarticulation schreitet. Im Stumpfe sind bloss die arteria radialis und ulnaris isolirt zu unterbinden. VII. Capitel. Hand. I. Amputationen und Exarticulationen. Da von der Absetzung der Hand in sämmtlichen Mittelhand- knochen schon früher die Sprache gewesen, können wir uns jetzt auf die Darstellung der Entfernung eines einzelnen Fingers in der Mittel- hand beschränken. Man bevorzugt in der Regel die Absetzung in — 8-29 — der Continuität und nimmt die Abtragung in der Contiguität, also die Exarticulation eines Fingers und des zugehörigen raetacarpus im betreffenden earpo-metacarpal-Gelenke nicht gerne vor: einerseits weil die Gestaltung jener Gelenke etwas eigenthümlich und ver- schieden ist, die reine präcise Durchschneidung der Hilfsbänder also ganz eingehende anatomische Kenntnisse erfordert, hauptsächlich aber aus dem Grunde, weil alle carpo-metacarpal-Gelenke der vier Nach- barfinger untereinander communiciren und dies bei nicht ganz asep- tischem Verlaufe unangenehme Folgen haben könnte. Eine Ausnahme von dieser Regel macht der Daumen, dessen Carpalgelenk selbst- ständig ist; soll dieser entfernt werden, so exarticulirt man, weil dabei das Sägen entfällt; an allen übrigen Fingern hingegen trachtet man die Basis des betreffenden metacarpus zu erhalten, sägt also letzteren ab. Die Exarticulation des Daumens im Gelenke zwischen os multangulum mauis und metacarpus primus, und die Amputatio digiti minimi oberhalb des Gelenkes zwischen metacarpus quinti und dem os hamatum werden durch Ovalairschnitte ausgeführt; am Daumen verläuft der Längsschnitt in der Mitte der Radialfläche des metacarpus primus, am kleinen Finger in der Mitte des Ulnar- randes der Mittelhand, während das schräggestellte Ovalair die erste Phalanx entourirt und die Weichtheile stets oberhalb der betreffen- den Uebergangsfalte zum Xachbarfinger durchschneidet. Die Sehnen des wegfallenden Fingers werden möglichst peripher quer abgesetzt; zur Schonung der Messerklinge jeweilig am besten so, dass man durch entsprechende Fingerstellung zunächst die betreffende Sehne erschlafft, sie sodann auf die flach untergeschobene Messerklinge auf- ladet, die Klinge mit der Schneide gegen die Sehne stellt, letztere durch entgegengesetzte Fingerstellung spannt und nun die Schneide wirken lässt. Alle übrigen Weichtheile werden knapp am Knochen abgelöst und hierauf der Daumen exarticulirt, indem man radial- wärts in das durch Volarflexion leicht zu ermittelnde Gelenk eindringt und die weitere Auslösung durch Zug und durch entsprechende Achsendrehungen am Daumen erleichtert. Der kleine Finger wird nach Abziehung und Schützung der Weichtheile etwas schräge ab- gesägt, so dass der stumpfe Winkel nach aussen kehrt. Zu unter- binden sind bei der Exarticulatio, eventuell Amputatio pollicis, die beiden Zweige der arteria dorsalis prima, bei der Amputatio meta- carpi quinti die beiden artoriae digitales volares. Die Vereinigung der Wundränder erfolgt in der Längsrichtung. Seltener werden diese beiden Operationen durch Lappenschnitte ausgeführt, wobei für den Daumen ein radialer, für den kleinen Finger ein ulnarer Lappen auszuschneiden ist. Die freien Lappen- ränder müssen stets die Höhe der Uebergangsfalte, oder besser gesagt ihres Abgrenzungsschnittes etwas überragen, um zur Deckung suffi- cient zu sein. Die Seiten des Lappens stellen Linearschnitte dar, welche die Breite des Lappens bezeichnen; die Abweichung zur Ab- rundung des freien Lappenrandes beginnt erst in der Höhe der betreffenden articulatio metacarpo-phalangea; in gleicher Höhe Avird der innere Begrenzungsschnitt an der Anheftungsstelle der Interdigitalfalte durch einen ähnlichen convexen Bogenschnitt aus- geführt. — 830 — Die Abir»siiiig des Lappens erfolgt nach bekannten Regeln, von innen nach aussen. Etwas verschieden in der Technik ist die Amputation des zweiten, dritten oder vierten metacarpus. Hiefür sind zunächst zwei Längs- schnitte nothwendig, welche, der eine am dorsum, der zweite an der vola, in der medialen Längsebene des betreffenden metacarpus ziehen. Beide Längsschnitte sollen bis zur Höhe des capitulum metacarpi reichen; von diesem Punkte ab werden beide durch zwei convexe Bogenschnitte verbunden, welche lateralwärts vom Aveöfallenden Finger ziehen und das Niveau der bilateralen Uebergangsfalten etwas überragen. Nehmen Avir beispielsweise die Amputatio metacarpi digiti medii als Paradigma an. Ein Assistent erfasst mit beiden Händen Mittelhand und Nachbarfinger, hält die Extremität in Pronation, zieht jene vom Mittelfinger ab und spannt gleichzeitig die Haut am dorsum manus ; der Operateur stellt sich dem Mittelfinger gegenüber, erfasst ihn mit seiner linken Hand, beugt ihn volar wärts, beginnt am dorsum genau der Mediane des metacarpus entsprechend den Längsschnitt, führt denselben bis zur Höhe des capitulum, weicht dann gegen jenen Zwischenfingerraum ab, welcher seiner operirenden Hand zunächst kehrt, führt den Bogen schnitt in seiner Rundung um die eine Lateral- fläche des Fingers und lenkt den Schnitt, zur vola gelangt, allmählig in die Mediane des Mittelfingers zurück. Während des Contour- schnittes erhebt man den bisher flectirten Mittelfinger horizontal und überstreckt ihn dann etwas, während der Assistent gleichzeitig die Hand im Carpalgelenke dorsal flectirt, so dass nun die palma manus dem Operateur zuwendet. Zur Höhe der Volarfläche des capitulum metacarpi angelangt, hat man wieder genau die Mediane an der vola erreicht und schneidet nun in der Längsrichtung weiter, bis man die Stelle erreicht, welche dem Beginne des Dorsalschnittes entspricht, wo der Mittelhandknochen abgesetzt werden soll. Es erübrigt nur noch der zweite, noch fehlende Contourschnitt, der genau die gleiche Höhe und Rundung des ersten einhalten soll. Würde man die Schnitte in eine Ebene stellen können, so möchten sie mehr minder zwei ent- gegengestellten Y gleichen, welche mit ihren divergirenden Schenkeln ineinander übergehen. Am dorsum manus trennt der Längsschnitt nur die Haut und die Sehnenscheide, an der vola muss das Messer kräftiger geführt werden, um in einem Schnitte gleich die Sehnenscheide mit- zuspalten. Der Gehilfe bringt nach beendigtem Schnitte die Hand wieder in die ursprüngliche horizontale Pronationsstellung zurück: man streckt den Mittelfinger, um die Extensorensehne zu erschlaffen, ladet sie auf die Klinge, beugt den Finger und durchschneidet die Sehne im oberen Winkel des dorsalen Längsschnittes. Bei verticaler Pronationsstellung der Hand, beugt man sodann den Mittelfinger stark, ladet beide Flexorensehnen, oder eine nach der anderen auf ein Pott'sches Knopfmesser und schneidet sie bei gleichzeitiger Streckung auch wieder im oberen Winkel des volaren Längsschnittes. Es erübrigt nur noch, die intereossealen Weichtheile vom metacarpus abzulösen, was am besten von unten nach oben, also von der Inter- digitalfalte gegen den carpus geschieht. Bei verticaler Stellung der Hand dringt man zuerst an der einen, dann an der zweiten Seite ein und lässt das Messer jeweilig knapp am Knochen wirken, um die - 831 — Weichtheile möglichst zu erhalten. Endlich trennt man das Periost durch und sägt mittelst einer Bogensäge ab, deren schmales Blatt man rücklings in den einen Zwischenknochenraum schiebt, während der Bogen die Xachbarfinger umfasst. Es ist recht empfehlenswerth den Mittelhandknochen etwas schräge abzusägen, in dem Sinne, dass der stumpfe "Winkel dorsal-, der spitze volarwärts kehrt. Nach Unter- bindung der beiden arteriae werden die Wundränder am dorsum manus über dem nunmehrigen vacuum interdigitale durch die Naht geschlossen; die volare Wundspalte kann nur zum Theile vereinigt werden, da die Drainirung ein theilweises Klaffen erfordert. In ähn- licher Weise könnten auch zwei benachbarte Mittelhandknochen am- putirt werden: die Längsschnitte müssten dabei in der Mitte des ge- meinschaftlichen spatium interosseum, die bilateralen Verbindungs- schnitte an der radialen Seite des einen und der ulnaren des an- deren Finger in analoger Weise ausgeführt werden. Die Sehnen- trennung wäre dann doppelt, ebenso das Absägen. Die Exarticulation in den metacarpo-phalangeal-Gelenken erfordert kurze Ovalairschnitte oder Lappen. Die Spitze des Ovalairs kehrt beim Daumen der Radialseite zu, ebenso beim Zeigefinger; bei Mittel- und Ringfinger dem dorsum, beim kleinen Finger der Ulnarfläche der Hand zu. Exarticulationen in den Interphalangeal-Gelenken werden in der Regel mit Lappenschnitten ausgeführt; ein Lappen oder zwei, vom dorsum, der vola oder lateral genommen, wo eben genügend Weich- theile erhaltbar sind. Das erste Interphalangealgelenk liegt im Niveau der horizontalen Verbindungslinie der Beugefurche, das zweite einige Millimeter tiefer als die Prominenz des Beugewinkels. Deshalb wird bei der Exarticulation die abzutragende Phalanx stets rechtwinkelig zur bleibenden gestellt und zunächst die Capsel an der Dorsalflüche, dann die Seitenbänder durchschnitten. Bei Benützung von Volarlappen pflegt man diese zunächst nur in der Haut vorzuschneiden. Das Ausschneiden erfolgt bequemer nach beendeter Exarticula- tion, indem man die Messerklinge flach an die Volarfläche der vor- gedrückten Phalanx anlegt und im Sinne des Lappencontourschnittes führt. Der Operateur stellt sich dem Finger gegenüber, der ihm durch den, die Hand in horizontaler Pronationsstellung fixirenden Assi- stenten entgegengehalten wird. II. Resectionen. Zur Auslösung eines Mittelhandknochens wird ein einfacher Längsschnitt benützt: für den metacarpus pollicis an der Radialfläche, für den metacarpus quinti an der Ulnarfläche, für die Mittelhandknochen der übrigen Finger am dorsum manus. Die erste Incision soll nur die Haut allein treffen, falls unterhalb der Schnitt- linie Sehnen liegen, sonst kann das Messer kräftig geführt werden und mit der Haut in einem Tempo auch die Beinhaut spalten. Die Skelettirung des Knochens erfolgt durch Abhebein der Beinhaut mit- telst Elevatorium; im Falle jedoch die Auslösung in den Gelenken erfolgen müsste, wäre die Beinhaut sammt der Capselinsertion mit dem Messer abzutrennen, so dass nach beendigter Exstirpation das — 832 — ganze Beinhautrohr erhalten bleibt. Resectionen der Fingerphalangen erfolgen nach gleiclieni Tj'pus, nur dass man die Schnitte lateral von der Strecksehne führt und demnach in einem Zuge auch die Bein- haut spaltet. Ist die Resection eines Phalangenendes wegen Verwun- dung nothwendig, so benützt man womöglich die bestehende Wunde; handelt es sich um eine offene Luxation, wobei das eine Gelenksende nackt vorragt, so sägt man es einfach ab oder benützt zum Abtragen eine Knochenschere. III. Operationen bei Syndactilie. Der Begriff der Syndactilie wurzelt in der Verbindung zweier oder mehrerer Finger durch Interdigital- membranen: diese zu trennen und die gegenseitige Vernarbung zu Fig. 239. hindern, ist die Aufgabe der technischen Verfahren; deren Zweck ist die dauernde Freimachung der Finger. Eine einfache Trennung der Membran genügt nicht, denn vom Trennungswinkel aus würde der Vernarbungsprocess mit unwiderstehlicher Macht die getrennten Fin- ger wieder aneinander binden. Das punctum saliens ist also der Trennungswinkel, das centrale Ende des Trennungsschnittes; bleibt jener nicht wund, dann steht auch die Narbenfesselung nicht zu be- fürchten und die lateralen Wundflächen Übernarben nicht gegenseitig, sondern jede für sich, wenn nur durch Diastase der Finger der Flächencontact verhindert wird. Die Ueberhäutung des Wundwinkels ist auf verschiedene Weise angestrebt worden : Rudtorfer zog an jener Stelle, wo de norma die Uebergangsfalte liegen sollte, einen Bleidraht durch und beliess ihn so lange im Stichcanale, bis dessen Wandungen überhäutet waren; dann erst nahm er die Spaltung der Interdigital- membran vor, vom Stichcanale gegen den freien Rand. Zeller und Andere schnitten aus der Interdigitalmembran, beziehungsweise aus — 833 - dem gemeinschaftlichen Rückenüberzuge der aneinander gebundenen Finger, einen entsprechend langen dreieckigen oder zungenförmigen Lappen, welche seiner Basis dem metacarpus, seine Spitze den Fin- gern zukehrte. Der Lappen wurde, die Haut in ihrer ganzen Dicke fassend, zurückpräparirt und auf das dorsum manus umgeschlagen, worauf die Lostrennung der Finger erfolgte und der Lappen im Winkel der Fingerspalte hinein verpflanzt wurde. Bei kurzer Inter- digitalmembran können auch zwei Läppchen genommen werden, ein dorsales und ein volares, welche dann mit ihren Spitzen oder freien Rändern über dem Trennungswinkel gegenseitig vernäht werden. Andere Methoden berücksichtigen weniger den Trennungswinkel als vielmehr die Trennungsflächen, denn wenn diese, oder auch nur eine von ihnen überhäutet werden kann, so bleibt die Narbenfesselung ausgeschlossen. Dieffenhach spaltete die Interdigitalmembran, machte dann an der Rückfläche jedes der befreiten Nachbarfinger einen longitudinellen Entspannungsschnitt, unterminirte die Hautbrücke und gewann auf solche Weise je einen Brückenlappen, mit denen er durch Verschiebung die Trennungsflächen deckte. Didaij hat ein Ver- fahren empfohlen, welches in Fig. 2 U) seine Illustration findet und der näheren Beschreibung wohl entrathen kann; es ist wohl das beste unter allen. Wäre, was wohl selten der Fall, die Interdigital- membran breit, quasi eine Fortsetzung, eine Verlängerung der Interdigitalfalte, dann hätte es mit der Operation wohl keine Schwierigkeit, weil nach der Spaltung auch gleich die Vereinigung der entsprechenden Wundränder durch die Naht erfolgen könnte; gewöhnlich ist aber die Membram allz usehr kurz, oder sie mangelt gänzlich, id est die Finger sind in einer gemeinsamen Hautdecke eingeschlossen, so dass nach der Spaltung eine Ueberhäutung der Wundränder ohne vorgängige Lappenbildung gar nicht denkbar ist. IV. Einrichtungsverfahren bei Verrenkung des Daumens im metacarpo- phalangeal- Gelenke. Obwohl der Daumen sowohl auf das dorsum als auch auf die Volarfläche des capitulum metacarpi sich verlagern kann, so ist dennoch die Dorsalluxation so überwiegend häufig, dass sie wohl als Regel, die Volarluxation nur als seltene Aus- nahme betrachtet werden kann. Die Dorsalluxation des Daumens kommt nach Faraheuf in drei Formen vor: als incomplete, als complete und als complexe. Der Unterschied dieser Formen wird durch das jeweilige Verhalten der ossa sesamoidea abgegeben. Bekanntlich sind letztere mit der Gelenkscapsel innig verwebt und dienen mehreren, die Bewegungen des Daumens vermittelnden Sehnen zur Insertion, Am OS sesamoideum externum inseriren sich : der abductor pollicis brevis und die Aussensehne des flexor brevis; am os sesamoideum internum: die Innensehue des flexor brevis und der Zuzieher des Daumens. Zwischen beiden Sehnen des flexor brevis läuft die Sehne des flexor pollicis longus. Bei der Luxation reisst zunächst die Capsel an der Volarfläche des capitulum metacarpi der Quere nach und das Köpfchen des metacarpus rutscht aus dem Querschlitze hervor, zwischen den V. JIosetig-M 0 o rUof : Handbuch d. Chirurg. Technik. 4. Aufl. 53 — 834 — Sehnen des flexor brevis hindurch; die Sehne des flexor lono;us ver- lagert sieh in der Rei^el gegen die Innenseite, bleibt also nahe dem OS sesamoidenm internum. So lange die Sesamknochen auf der Gelenks- fläche des Metacarpusköpfchens weilen, kann die Verrenkung nicht complet erfolgen; es resultirt die Form der incompleten Luxation, bei welcher die Einrenkung durch einfachen Zug gelingt. Werden die Sesamknochen mit ihren Sehnen durch die Gewalt des Trauma über den Kopf des metacarpus verschoben, so dass sie über die Lateral- flächen zum dorsum metacarpi gleiten, dann resultirt die complete Luxation. Bei dieser Verlagerung des ossicula kann aber gleichzeitig eine Achsendrehung des einen oder beider Sesambeine erfolgen, so dass ihre Capself lache nach aussen kehrt; dieses Verhalten entspricht dem Begriffe der complexen Luxation. Bei der comfjleten Verrenkung reitet die Gelenksfläche der ersten Phalanx auf den Hals des capitulum metacarpi, die Achsen beider Knochen kreuzen sich rechtwinkelig; die letzte Daumenphalanx hingegen ist gebeugt, in Folge der An- spannung der Sehne der flexor longus. Bei der complexen sind beide Phalangen gestreckt und stehen mit ihren Achsen parallel zu jener des metacarpus. Die Dorsalflexion der phalanx prima zum metacar- pus bildet also das Hauptsymptom der completen Verrenkung. Lls- i'ranc beobachtete als Repositionshinderniss auch eine Abgleitung der Sehne des flexor pollicis longus von der Volarfläche der Daumen- knochen nach aussen, demnach ulnarwärts. In solchen Fällen bleibt die Endphalanx gestreckt, weil die abgeglittene Sehne in gerader Richtung verlaufend bleibt, ihre Länge also beibehält, und erscheint das Metacarpalköpfchen besonders prominent weil nur von der Haut allein bedeckt. Die Einrenkung erfolgt bei frischer Verletzung zumeist ohne grosse Schwierigkeit. Man lagert die Hand auf eine Tischkante in einer Mittelstellung zwischen Pro- und Supination: der luxirte Daumen sieht nach oben, der antithenar ruht auf der Tischplatte. Nun legt der Operateur, den Kranken hinter seinem Rücken, beide Daumen- spitzen auf die senkrecht verlagerte Dorsalfläche der ersten Daumen- phalanx nahe ihrer Basis, umfasst mit den Spitzen beider Zeigefinger das capitulum metacarpi und umklammert mit den übrigen Fingern die Hand des Patienten. Jetzt drückt er mit den Daumenspitzen die Basis der Daumenphalanx nach vorne und lässt sie, über das capitulum metacarpi reitend, vorgieiten, wodurch auch die ossa sesamoidea vor- rücken, bis sie um die Lateralflächen des capitulum den Retourweg zur Articulationsfläche finden, worauf das Einschnappen der Gelenks- enden von selbst erfolgt und der Daumen seine Normalstellung wieder einnimmt. Complexe Luxationen sind oftmals recht schwierig denn das Einrichten gelingt nicht, insolange die Richtigstellung des oder der Sesambeine nicht vollends vor sich geht und sie ihre Capselfläche wieder dem capitulum zukehren. Am besten geht man so vor, dass man die mangelnde Dorsalflexion der luxirten Phalanx durch Erheben des Daumens vermittelt, also die complexe Verrenkung in die patho- gnomonische Lage einer completen bringt, worauf man wie früher vor- geht, also das Vorschieben der nun reitenden Phalanx versucht. Gelingt es nicht auf diese Weise die Verdrehung der Sesambeine richtig zu stellen, so fügt man dem Schieben kleine Rotations- — 835 - bewegungen in ulnarem und radialem Sinne bei, welche selbst- verständlich ein Gehilfe ausführen muss, falls er nicht das Schieben besorgt. Man hat hiefür eigene Zangen angegeben, womit man die Daumenphalanx packen kann, um mehr Zug- und Rotationskraft zu gewinnen (Fig. 240). Lässt sich die Dorsalflexion der ersten Daumen- phalanx nicht erzwingen, so muss in der pathognomonischen Stellung des Daumens stark gezogen werden, bis dessen Gelenksbasis das Niveau des capitulum metacarpi erreicht hat, worauf man erst dorsal- flectirt und mit der Beigabe von lateralen Rotationsbewegungen die Einrenkung versucht. Alle Hindernisse der Einrenkung rühren also von der Umdrehung und Interposition der Sesambeine her, seltener von einem gleichzeitig abgesprengten Stückchen Gelenksfläche der Phalanxbasis, manchmal wie erwähnt wohl auch von der seitlich ab- geglitten Sehne des musculus flexor pollicis longus. Auch subcutane Fig. 240. Durchschneidungen der vorspringenden und bei der versuchten Re- duction sich am meisten anspannenden Sehnen und Bänder sind zu- lässig; ob sie zum Erfolge führen, ist nicht immer sicher; besser ist die Blosslegung der Gelenksenden, welche die Reposition verlagerter Sehnen ermöglicht und damit die Einrenkung. Veraltete Verrenkungen indiciren die Blosslegung des Gelenkes, eventuell die Resection des capitulum metacarpi. Die Einrichtung von Volarluxationen, wobei das capitulum dorsal-, das Gelenksende der Daumenphalanx volarwärts sich verlagert, wird durch directen Zug mit nachfolgender Beugung vermittelt. Sie gelingt leicht, wenn die Strecksehne in der Mediane verblieben ; oft verschiebt sie sich lateralwärts und rotirt durch ihre Spannung den Daumen im Sinne der Verlagerung entweder radial- oder ulnarwärts. In solchem Falle gibt sie dann ein wesentliches Hinderniss ab, das am stärksten Avird, wenn die Strecksehne bis zur Beugefläche des 53* — 8'M) — capitulum abrutscht und sich den Gelenksenden förmlich interponirt. Es muss dann getrachtet werden, durch Rotationsbewegungen in entgegengesetztem Sinne die Normalstellung der Strecksehne zu erzwingen, bevor man mit dem Ziehen beginnt. Misslingt die Richtig- stellung, so bleibt nichts übrig, als einzuschneiden und die bloss- gelegte Sehne mit spitzen Haken zurechtzustellen. Nach gelungener Einrichtung legt man einen Fixirverband an, der vierzehn Tage bis drei Wochen am Platze belassen wird, um Recidiven vorzubeugen. Kleine wohlgepolsterte Tapetenholzspäne werden diesbehufs mit nassen Organtinbinden an die Radialseite befestigt und eine Spica manus beigegeben. Jüngst wurde von Bessel Hagen eine vollständige subcutane Luxation der ersten Daumen- phalanx an die radiale Seite des metacarpus pollicis beobachtet: der erste bisher in der Literatur bekannt gewordene Fall. Die Reduction war leicht: es genügte ein einfacher kräftiger Zug am Daumen in Abductionsrichtung und ein directer Druck auf die abgewichene Phalanxbasis nach der Ulnarseite hin. Reine seitliche Daumenluxa- tion nach der ulnaren Seite dürfte wohl kaum vorkommen. IL ABTHEILUNG. Operationen an den unteren Jlxtr emitäten. I. Capitel. H ü f t e: e 1 e n k. Einrichtung traumatischer Hüftgelenksverrenkungen. Der Ober- schenkelkopf kann sich nach fünf verschiedenen Richtungen ver- lagern: nach einwärts gegen die Beckenhöhle bei gleichzeitiger Zertrümmerung des Pfannengrundes, nach aufwärts vom oberen Pfannenrande, nach abwärts vom acetabulum. endlich nach vorne oder nach hinten zu. Letztere Formen kommen als typische Verrenkungen am häufigsten vor. Bei allen Luxationen, mit Ausnahme der inneren, ist ein Capselriss ebenso unerlässlich, als ein Abreissen des liga- mentum teres, dagegen bleibt das enorm widerstandsfähige liga- mentum ileo-femorale vel Bertini in der Regel erhalten und dessen Bestand bedingt die typischen Verlagerungen des Gelenkskopfes. Schon das partielle Einreissen dieses wichtigen Bandes bedingt Varianten, bestehend in weiterer Dislocation des Kopfes von der Pfanne; ganz atypische Formen könnten nur die Folgen seines gänz- lichen Abrisses sein. Die Verrenkungen nach hinten charakterisiren sich durch eine prononcirte Adduction und Einwärtsrollung des Beines, jene nach vorne durch Abduction und Auswärtsrollung. Luxationen nach hinten kommen in zwei Formen vor: als iliaca und als iscliiadica, je nachdem die Capsel mehr lateralwärts reisst oder mehr nach aussen unten, je nachdem der Schenkel bei Ein- wirkung des Trauma schwächer oder stärker gebeugt Avar. Bei der iliaca verlagert sich der Schonkelkopf auf das Darmbeim, bei der ischiadica auf die hintere Fläche des Körpers vom Sitzbein; beide- male (die Verlagerung auf das Sitzbein ist die häufigere) lagert der Kopf unterhalb des musculus glutaeus maximus, zwischen dem obturator internus und dem quadratus, seltener schiebt er sich unter die Sehne des obturator. Neben der Einwärtsrollung und Adduction — 838 — machen sich noch die Symptome der Beugung und der Verkürzung des Beines geltend. Das Haupthinderniss der Reposition bildet die Spannung des ligamentum ileo-femorale; dessen Erschlaffung wird daher jedem Einrenkungsversuche nothwendigerweise vorangeschickt werden müssen. Seiner Richtung nach: spina ossis ilei anterior inferior — linea intertrochanterica anterior, wird die Banderschlaf- fung nur durch eine verstärkte Ilüftbeugung zu erzielen sein, weil dadurch die Insertionspunkte genähert werden. Demzufolge wird die Zugrichtung (bei horizontaler Lage des Kranken) eine schräge, ja verticale sein müssen und dieser Umstand macht eine tiefe Lagerung des Kranken auf einer, am Fussboden gestellten Matratze wünschens- werth; lagert man den Kranken, was insbesondere wegen der Ein- leitung der Narcose vielleicht bequemer ist, auf einen Tisch, so muss der den Zug vermittelnde Gehilfe auf denselben steigen. Auch eine dritte Möglichkeit ist gegeben : Patient wird auf ein niedriges Bett gelagert und mit dem Becken zum unteren Bettrande vorgezogen; der Chirurg stellt sich mit dem Rücken gegen den Bettrand, ladet die im Knie gebeugte Extremität auf seine rechte Schulter, bückt sich dabei etwas, umfasst die Knöchelgegend mit beiden Händen, presst die Kniekehle auf seine Schulter und erhebt langsam den Ober- körper bis zur vollendeten Streckung. Benützt man Zugstränge, so werden diese über graduirte Compressen am Oberschenkel geradeso befestigt, wie dies für die Schulterluxationen am Oberarme üblich ist. Der Gegenzug wird durch entsprechende Fixirung des Beckens vermittelt, wofür dessen Lagerung auf eine, wenn auch nicht harte, so doch unnachgiebige Unterlage nothwendig wird, da die Fixirung hauptsächlich darin besteht, dass man das Becken durch die Hände kräftiger Gehilfen gegen die Unterlage drücken lässt, weil der Zug in schräg verticaler Richtung wirken soll. Die Extension wird zunächst in der pathognomonischen Adductionsstellung begonnen, dann das Bein allmälig in Parallelstellung zum anderen gebracht, nach auswärts rotirt, endlich nach gelungener Reduction gestreckt. Busch und Kocher verlangen im Beginne der Einrichtung die Zugabe einer stärkeren Einwärtsrotation, angeblich um die Capsel zu erschlaffen und den Capselriss zum Klaffen zu bringen. Luxationen nach vorne kommen auch in zwei Formen vor: der Gelenkskopf verlagert sich entweder auf den horizontalen Ast des Schambeines, oder auf das foramen obturatum. Bei erstgenannter Ver- renkung stellt sich der Kopf, so lange das ligamentum Bertini vollends intact geblieben, zwischen dem vorderen unteren Darmbein- stachel und den Schenkelgefässen; nur wenn das Band eingerissen ist, kann der Kopf selbst unter die Schenkelgefässe gerathen. Bei der Luxatio obturatoria stellt sich der Gelenkskopf unter die adductores lind den obturator externus, während die hintere Fläche des tro- «hanter sich an die leere Pfanne legt; seltener rutscht er auf den ramus pubis descendens (Luxatio perinealis nach Malgaignti). Patho- gnomonisch für beide genannten Verrenkungsarten ist die Stellung des Beines in Abduction und AuswärtsroUung, welche nur dann fehlen könnte, wenn das ligamentum ileo-femorale ganz durchrissen wäre. Bei beiden Formen findet sich massige Beugung vor; bei der Luxatio — 839 — obturatoria ist das Bein etwas verlängert, bei der ileo-pubica um ein Weniges verkürzt. Die Reduction muss auch bei entspanntem Bertiiii' sehen Bande vorgenommen werden, die Zugwirkung also am gebeugten Ober- schenkel eingreifen. Bei Luxatio ileo-pubica zieht man in schräger Richtung, bei der obturatoria in ganz verticaler, da es sich vornehm- lich darum handelt, den Kopf in ein höheres Niveau zu bringen. Während des constant wirkenden Zuges wird das Bein nach einwärts gedreht und gleichzeitig etwas zugezogen, zuletzt dann gestreckt. Busch empfiehlt, der Extension eine Abduction vorauszuschicken, also die pathognornische Stellung des Beines zu steigern, eine Ansicht, deren Befolgung vornehmlich dann von Wichtigkeit ist, wenn etwa der Gelenkskopf unter den grossen Schenkelgefässen lagert und diese bei einer Extension in weniger abducirter Beinstellung durch über- mässige Anspannung leiden könnten. Bei der Luxatio supracotyloidea rutscht der Kopf auf die Vorder- oder Aussenseite der spina ilei inferior, seltener lagert er sich zwischen beiden Darmbeinstacheln. Die Extremität ist dabei verkürzt, abducirt und hochgradig nach aussen gerollt. Das Bein kann massig gebeugt oder auch vollends gestreckt sein. Bei der Einrichtung muss in der Verlängerung der pathognomonischen Stellung gezogen werden, jede stärkere Beugung ist zu meiden. Dem Zuge nach abwärts fügt man Adduction bei und schliesslich Rotation nach einwärts. Bei der Luxatio infracotyloidea lagert der Kopf in gleicher Höhe mit dem Sitzknorren und ist bei unverletztem ligamentum Bertini mindestens rechtwinkelige Beugung des Oberschenkels vorhanden; es kann der Beugungswinkel aber auch 90 Grad übersteigen. Reductionshindernisse können abgegeben werden: durch intra- ponirte abgebrochene Knochenstückchen des Pfannenrandes oder des trochanter, durch Zwischenlagerung von Muskelbündeln oder Capsel- stücken, endlich auch durch die Form und Enge des Capselschlitzes. Misslingen die typischen Repositionsverfahren, so muss man trachten durch verschiedene Manipulationen die Beseitigung des Hindernisses zu erwirken: durch Rollungen, directen Druck auf den Gelenskopf während gleichzeitiger Einwirkung des Zuges etc. v. Volkmann hat in einem Falle den Gelenkskopf sogar blossgelegt und resecirt. Nach gelungener Reduction traumatischer Verrenkungen sind eigene Fixa- tionsverbände wohl kaum nothwendig; die horizontale Bettlage genügt. Zur Sicherung des Hüftgelenkes würde sich ein, in Form einer Spica coxae angelegter starrer Beckengürtel am besten eignen. Statt der sonst üblichen Beckenstützen können auch zwei runde Eisenstangen, welche oben in 20 Centimeter Entfernung durch ein Bändchen mit- einander verbunden sind und Manneslänge besitzen, verwendet werden (v. Dittel) (Fig. 241). Der Verband wird über den Stangen angelegt, letztere hierauf nach Durchschneidung des Bändchens einzeln her- ausgezogen. Mobilisirung der Beine bei Contracturen im Hüftgelenke, Contractur- stellungen der Beine resultiren aus entzündlichen Processen, welche im Hüftgelenke abgespielt haben. Die Fixirung kann sein eine bänderige (Pseudoanchylose) oder eine knöcherne (wahre Anchylose) : beide Formen betreffen entweder das Hüftgelenk als solches, oder beziehen — 840 — sich auf die Verbindungen, welche ein spontan luxirter Obersclienkel- kopf, beziehungsweise dessen Reste mit der Aussenwand des Beckens an jener Stelle eingegangen ist, wohin er verlagert wurde. Die Con- tracturstellung kann eine variable sein, sie wirkt um so störender, je stärker gebeugt und je mehr gerollt das betreffende Bein ist. Namentlich die Fixirung in rechtwinkeliger Beugung und stärkster Adduction fordert am dringendsten Abhilfe; aber auch starke Ab- duction macht das Gehen um so schwieriger, je mehr sich gleichzeitig der Beugungswinkel einem rechten nähert. Contracturen im Hüft- gelenke kommen unilateral oder bilateral vor; wenn Abhilfe gebracht werden soll, versteht es sich, dass der Entzündungsprocess bereits abgewickelt sei und nur dessen Folgezustände bestehen. Sie beruht darin, dass man das fixirte Bein auf unblutigem oder blutigem operativen Wege mobilisirt, um es zunächst in jene Stellung zu bringen, welche dem Kranken die relativ grösste Befähigung zum Fig. 241. Gebrauche der Extremität verschafft. Die Mobilisirung kann eine temporäre oder eine dauernde sein: temporär, wenn der gelungenen Richtigstellung des Beines wieder eine anchylotische Verbindung nachfolgt; dauernd, wenn eine Nearthrose, eine Beweglichkeit des Beines in der Hüfte zurückbleibt. Eine temporäre Mobilisirung kann erzwungen werden: durch gewaltsames Ablösen, beziehungs- weise Abbrechen — Brisement force — durch lineare subcutane Osteotomie, und durch percutane Keilresection. Die dauernde Beweglich- machung kann nur das Resultat einer Excision des Kopfes oder seiner Reste und einer gleichzeitigen Wiederherstellung der obliterirten Pfanne sein. Das Brisement force bezweckt das mechanische Abreissen der Fixationsstränge, oder das Abbrechen des Knochens unterhalb dieser. Ob ein oder das andere Resultat hervorgeht, hängt wohl von der Widerstandsfähigkeit der Gebilde ab : das schwächere gibt stets nach. Da indess ein Abbrechen des Knochens auch an einer Stelle erfolgen — 841 — kann, welche weit von der Fixirungsstätte entfernt ist, die Mobili- sirung aber nur dann einen Werth hat, wenn sie in oder zunächst dem Contracturwinkel erfolgt, so dürfte daraus hervorgehen, dass das Brise- ment nur dann versucht werden soll, wenn noch eine geringe Be- weglichkeit zwischen Bein und Becken nachweisbar ist und man dabei nicht übermässig kräftig vorgehen muss. Das Wichtigste zum Gelingen eines Brisement force ist eine richtige Fixirung des Beckens, wofür in der Regel die Hände kräftiger Gehilfen verwendet werden; es sind aber auch eigene Beckenhalter ersonnen worden, von Biihring, V. Laiigenheck, Tcrrillon etc. (Fig. 212). Während das Becken wohl- fixirt ist^ werden am Oberschenkel (mit den Händen oder mit Hilfe von Zugsträngen) durch Beugen, Strecken und Rotiren jene passiven Bewegungen ausgeführt, welche jeweilig am zweckdienlichsten er- scheinen. Spannen sich dabei äusserlich sichtbare Sehnen oder Narben- stränge stark an und vermuthet man, dass sie wesentliche Mobilisirungs- Fig. 242. hindernisse abgeben, so unterliegt es gar keinem Anstände, jene subcutan durchzuschneiden (Sehne des tensor fascia latae, sartorius, adductoren). Heineke zieht die percutane Durchschneidung vor; v. Winücnrter hat für jene Fälle, wo die Ursache der Contractur vornehmlich in einer Schrumpfung der Oberschenkelaponeurose gelegen ist, die Durchschneidung der Fascie in Form eines V empfohlen. Nach gelunuener Streckung gestaltet sich die Wunde zu einem Y, da der aus Haut und Fascie constituirte Lappen verzogen wird. Dieses Ver- fahren, „Fascioplastik" genannt, ist jenem von Blasius für Narben- contracturen angegebenen ganz analog. Um das durch das Brisement Erzielte auch zu erhalten, wird ein inamovibler Fixationsverband nothwendig, zu dessen Anlegung eine feste Beckenstütze unerlässlich ist, da Zug und Druck fortwirken müssen, während man den Verband anlegt. Statt der einfachen Fixation kann auch ein continuirlich wirkender Zugverband an- — 842 — gewendet werden, ja letzterem gebührt oft insofern der Vorzug, als er das Erzielte nicht nur zu erhalten, sondern, bei hinreichender Zugwirkung, selbst zu steigern vermag. Die lineare Osteotomie wird in jenen Fällen Anwendung finden wo eine knöcherne oder knorpelige Verschmelzung, oder eine ihr an Festigkeit nahekommende Bandverbindung besteht, v. Langenbeck und Adams durchsägen, BiUroth durchmeisselt den Schenkelhals subcutan, Bmitun'd schwächt den Knochen durch Perforation und bricht ihn dann an der geschwächten Stelle ein. Die Keilresection kann entweder am Schenkelhalse oder unter dem grossen Rollhügel ausgeführt werden, lihea Barton führte die erstere aus, v. Volhnarin verdanken wir die Resectio subtrochanterica. Beide Verfahren erheischen eine Bloss- legung des Knochens und die Benützung entsprechend breiter Meissel, da es sich um das Ausstemmen eines keilförmigen Knochenstückes handelt. Die Basis des Keiles kehrt stets jener Seite zu, gegen welche der Knochen eingebrochen werden soll. Die Excision des ganzen Gelenkskopfes mit Wiederherstellung der obliterirten Pfanne ist ein viel eingreifenderes Verfahren, aber auch das einzige, welches dauernde Beweglichkeit sichert, v. Volkmann hat es zuerst ausgedacht und ausgeführt. Man beginnt mit einem Längs- schnitte an der hinteren äusseren Seite des anchylotischen Gelenkes, legt den trochanter bloss, hebelt das Periost ab und stemmt den Oberschenkel 2 Centimeter unterhalb der Trochanterspitze quer durch, das Fehlende wird eingebrochen. Den Schenkelhals und den Schenkelkopf trägt man nachträglich mittelst Hohlmeissel und Hammer stückweise ab und trachtet eine neue, grosse, möglichst tiefe Pfanne zu bilden. Um das Becken nicht zu durchlöchern, muss recht vor- sichtig abgetragen, immer nur kleine Knochenstückchen abgemeisselt werden, bis die Pfannenhöhlung genügend tief erscheint. Dann wird die Schnittfläche am femur gut abgerundet und nebstdem aus der PeriiDherie noch so viel Knochensubstanz abgetragen, bis der Quer- schnitt auf den Umfang einer Schaftmitte reducirt erscheint. Nach der Operation Avird das Femurende in die neue Pfanne gelagert und das Bein in gestreckter Abductionsstellung durch Gewichtsextension fixirt. Bei doppelseitiger Hüftgelenksanchylose empfiehlt v. Volkmann nur unilateral zu excidiren, auf der anderen Seite dagegen bloss einen Keil zu reseciren, um den Beinen mehr Tragfähigkeit zu geben, in- sofern als bei geeigneter Beinstellung eine anchylotische Verbindung viel sicherere Gewähr der Tragfähigheit abgibt, als ein neues Gelenk, dieses aber wieder das Sitzen möglich macht, welches bei doppel- seitiger Anchylose in gestreckter Stellung nicht denkbar wäre. III. Resection des Hüftgelenkes. Sie besteht in der Abtragung des Gelenkskopfes; die Pfanne wird nach Thunlichkeit geschont, es sei denn, dass isolirte Erkrankungsherde die Anwendung des scharfen Löffels, oder retroacetabuläre Abscesse eine Erweiterung der vor- handenen Knochenlücke erfordern würden. Wenn auch die Erhaltung aller am trochanter sich festsetzenden Muskeln nicht jene Bedeutung — 843 — hat, wie etwa die Sehnenerhaltungen am Ellbogen- oder Handgelenke, so ist dennoch jenen Methoden der Resectio coxae der Vorzug ein- zuräumen, welche dies anstreben. Die Insertionsstellen können mit der Beinhaut erhalten werden, oder mit der Beinhaut und einer Corti- callamelle. Der Sammelpunkt aller Muskeln ist der trochanter maior; der minor, an dem der musculus ileo-psoas sich festsetzt, bleibt ausser Spiel, weil die Resectionsebene in der Regel oberhalb des kleinen Rollhügels bleibt. Am grossen Rollhügel und in dessen Umgebung setzen sich fest: die Gesässmuskeln, ferner: quadratus femoris, pj'riformis und obturatores mit gemellis. Es gibt drei Seiten, von denen aus man zum Hüftgelenke gelangen kann: von vorne, von rückwärts und von aussen. Zur subperiostaien Resection dringt man an der Aussenseite ein, direct auf den trochanter maior (Methode nach V. Langenheck). Patient liegt auf der gesunden Körperseite mit halb- flectirter Hüfte. Längsschnitt zollweit unter der Trochanterspitze beginnend, nach aufwärts geführt in der Richtung zum Darmbein- kamme. Der Schnitt halbirt den grossen Rollhügel, spaltet auf diesem Haut und Beinhaut, oberhalb des trochanter die Muskeldecke des glutaeus magnus. Abziehen der mächtigen Wundränder, deren Dicke an Erwachsenen eine Schnittlänge bis auf 15 Centimeter erfordert; mit Elevatorium und Resectionsmesser wird bilateral vom Längs- schnitte die Beinhaut sorgsam abgehebelt oder, nach Vogt, die corti- oalis abgestemmt ; ^ dann wird der Längsschnitt entlang dem Schenkel- halse fortgeführt und Capsel nebst Beinhaut in Einem getrennt, «rstere bis zum limbus der Pfanne, von welchem man die Capsel im Bogen los macht. Abziehen der Capselränder, Abhebein der Beinhaut vom Collum femoris bis zur cartilago, wo sie aufhört und abgeschnitten werden muss. Nach vollendeter Skelettirung wird das Bein stark gebeugt, nach innen gedrängt und gleichzeitig gerollt, wodurch der Kopf aus der Pfanne rutscht, aber noch stets am ligamentum rotun- dum hängt. Bei dieser forcirten Adduction und InnenroUung wird der Kopf nach rückwärts herausgewälzt, so dass hinter ihm ein klaffen- der Spalt in Form eines Halbmondes sich öffnet. Man führt in letzteren eine geschlossene Hohlschere ein und schneidet das ligamentum durch; die Krümmung der Schere entspricht jener des Schenkelkopfes und gelingt es damit, tiefer in die Gelenkshr)hle zu dringen, als mit einem geraden Messer. Nach durchtrenntem Bande wälzt man den Kopf auf das Sitzbein heraus und kann ihn dann beliebig absägen. Zumeist trägt man den Kopf unterhalb des grossen Rollhügels ab, ohne jedoch den minor mitzunehmen. Die Abtragung innerhalb des grossen Roll- hügels, also am äusseren Ende des Halses, hätte den Nachtheil, dass das dicke Schaftende nicht in dem acetabulum Platz fände, sondern aussen gelagert bliebe und dann durch die Muskelaction leicht nach oben verzogen würde, zum grossen Nachtheile der Beinlänge sowohl 1 Tiling verlegt den Sclinitt etwas weiter nach vorne, so dass er den vorderen Rand des trochanters longirt, und nieisselt den ganzen troclianter an seiner Basis temporär ab. Mit der Gesammtmusculatur, die an ihm sich inserirt, wird er sodann nach rückwärts verlagert. Nach Ablösung der vorderen Capselinsertion wird das Bein stark nach aussen rotirt und sodann der kleine Rollhügel gleichfalls basal temporär abgestemmt. Beide Rollhügel werden nach beendeter Resection zurechtgestellt und mittelst Elfenbeinstiften am Mutterboden festgenagelt. — 844 — als auch der späteren Gebrauchsfähigkeit. Resecirt man aber unter- halb des trochanter, so bekommt man ähnliche Verhältnisse Avie bei der V. \\)Ucma lui' sehen Anchylosenresectioii. Die Resection ohne Erhaltung der Beinhaut kann auch von der Vorder- oder Rückseite ausgeführt werden, wofür eine Unzahl von Schnittmethoden angegeben sind. Geht man von der Rückseite ein, so ist wohl der Bogenschnitt nach Texior der brauchbarste: er beginnt oberhalb des trochanter, etwa Mitte Abstand zwischen dessen Spitze und dem vorderen oberen Darmbeinstachel, umkreist den Rollhügel und reicht bis zum Hinterrande seiner Basis. Man spaltet die Mus- culatur bis auf den Knochen, eröffnet die Gelenkscapsel in ihrem äusseren und hinteren Abschnitte, umschneidet sodann den limbus, subluxirt durch kräftiges Beugen, Rotiren und Adduciren. durch- schneidet mit der Schere das ligamentum rotundum, vervollständigt das Herausdrehen des Kopfes und sägt ihn ab. Lücke und Hüter empfehlen von der Vorderseite einzudringen: ersterer durch einen geradlinigen, letzterer durch einen Schrägschnitt. Hüter's Schrägschnitt beginnt Mitte zwischen spina ossis ilei anterior superior und tro- chanter, longirt den Aussenrand des musculus sartorius und endet unterhalb des kleinen Rollhügels. Man durchschneidet den musculus vastus externus und dringt bis auf den Knochen ein; im unteren Wundwinkel trifft man die arteria circumflexa, Nach Eröffnung der Gelenkscapsel und Durchschneidung der zona orbicularis isolirt man den Schenkelhals und legt eine Gigli Säge herum, oder sägt den Gelenkskopf mittelst Stichsäge in situ ab. Um dann letzteren leicht aus der Pfanne zu lösen, bohrt man einen Tirefond in die spongiöse Sägefläche des Halses ein und gewinnt an jenem eine äusserst zweck- dienliche Handhabe. Der trochanter müsste, falls er mit entfernt werden sollte, nachträglich abgesägt oder abgestemmt werden. Der Z/i7c/i;e'sche Schnitt beginnt fingerbreit nach einwärts vom vorderen oberen Darmbeinstachel und zieht gerade nach abwärts; er hat vor dem Schrägschnitte nichts voraus, ja es dürfte die nachträgliche Excision des Rollhügels wesentlich schwerer werden. Kocher bevorzugt einen Winkelschnitt beginnend an der Aussenfläche des trochanter major, von da zur vorderen Trochanterspitze aufsteigend und sodann winkelig abbiegend in der Richtung der Glutealfaserung. Für jene Fälle von Caries coxae, in denen das Leiden mehr die Pfanne befallen hat, während der Kopf minder oder gar nicht erkrankt ist, schlägt A. Bidder einen Längsschnitt hinter dem trochanter vor, welcher die Gegend der incisura ischiadica major blosslegt. Dieser „methodus ischiadica" werden folgende Vortheile vindicirt: erstens kann man mit ihrer Hilfe auf kürzestem Wege zur Beckenfläche des aceta- bulum und von hier aus in die Gelenkshöhle gelangen, zweitens wird es möglich, auf diesem Wege in bester Weise die Wundsecrete nach unten abzuleiten, drittens braucht man sich nicht davor zu fürchten, in geeigneten Fällen das erhaltene caput femoris wieder zu reponiren, da ja für die Möglichkeit des Abflusses der Secrete gesorgt ist, viertens werden die Muskeln giutaeus medius et minimus nicht ver- letzt, endlich kann man mit diesem hinteren Längsschnitt das Hüft- gelenk in mindestens ebenso guter und übersichtlicher Weise frei- legen, wie mit den bisher üblichen Schnitten. Die Technik der Methode — 845 — ist folgende: halbe Bauchlage, massig stumpfwinkelige Beugung im Hüftgelenke, fast rechtwinkelige im Kniegelenke der kranken Seite. Schnitt geradelinig in der Verlängerung des hinteren Randes vom trochanter major, etwas unterhalb der crista pelvis beginnend und bis ein wenig unterhalb der Basis des trochanter reichend. Trennung des giutaeus magnus, Durchschneidung der Sehne des pyriformis. Stumpf eindringend gelangt man nun bald neben dem hinteren Rande des giutaeus minimus auf den Sehenkelhals, den Pfannenrand und wird die ganze Gegend zwischen unterem Rande der incisura und dem trochanter abtastbar. Nun löst man mit stumpfer Gewalt die anein- ander liegenden Ränder des giutaeus niedius und p^^riformis, zieht beide voneinander ab, unterbindet arteria und vena glutaea superior, schont den sie begleitenden Nerven und hat damit die ganze Gegend zwischen trochanter und incisura freigelegt. Hierauf wird die Tro- chanterapophyse an ihrer Basis in horizontaler Richtung von hinten her abgemeisselt und temporär nach vorne zu verlagert, nach vor- heriger Durchschneidung der in der fossa trochanterica sich an- setzenden Weichtheile. Durchschneidet man nun das Capselband^ löst es von der Pfanne und dem Halse ab, durchtrennt man das labium cartila- gineum, so lässt sich nach forcirter Adduction des femur das liga- mentum teres leicht trennen und der Kopf durch Einwärtsrollung des Beines aus der Pfanne luxiren. Nun hat man Raum zur Pfanne, eventuell kann man durch Abtragung des Pfannenrandes noch mehr Zugängiichkeit schaffen. Nach Ausräumung der Pfanne von cariösem Knochen wendet man sich zur incisura ischiadica major, entlang deren halbmondförmigem Rande das Periost durchschnitten und die Beinhaut von der Innenfläche des Knochens so weit abgelöst wird, bis man an die perforirte Beckenfläche der Pfanne gelangt. Im Noth- falle können auch vom knöchernen Rande der incisura beliebig breite Segmente abgemeisselt werden. Nach sorgsamer Entfernung alles Krankhaften wird der Femurkopf als Ganzes, falls er gesund war, oder nach Abtragung der kranken Partien reponirt, sodann der temporär verlagerte trochanter mit den intact belassenen Sehnen- insertionen der glutaei wieder am Schafte des femur mittelst eines Elfenbeinstiftes oder einer Silbersutur befestigt, von der incisura ischiadica aus drainirt und die ganze übrige Wunde vernäht. Es unterliegt keinem Zweifel, dass auf diese Weise der kürzeste Weg von der Pfanne nach aussen hergestellt und für die Wundsecrete der günstigste Abfluss geschaffen wird. Auch ist es möglich, von hier aus behufs etwa nothwendiger kleiner Nachoperationen bequem zur Beckenseite der Pfanne zu gelangen. Den nervus ischiadicus be- kommt man weder während noch nach der Operation zu Gesicht. Natürlich ist diese Methode auch sehr gut anwendbar für jene Chirurgen, welche principiell in jedem Falle den Kopf des femur oder gar Kopf und Hals zugleich reseciren, wobei natürlich die Er- haltung der Trochanterapophyse sammt Sehnen unnöthig wäre. Im Vertrauen auf die in der incisura major liegende Drainage braucht man nicht mehr so ängstlich darüber zu wachen, dass der Stumpf des femur während der Nachbehandlung nicht die Gelenkshöhle zu- decke und verschliesse. — 84G — Nach der Resection dos Hüftgelenkes wird selten ein Gips- verband angelegt; man zieht es vor, eine continuirliche Gewichts- extension wirken zu lassen, welche gleichzeitig auch die Fixirung des Beines besorgt. Letzteres wird in Abductionsstellung gebracht, um den Knochenschaft der Gelenkspfanne gegenüber zu halten. Man pflegt die TVw^'sche Heftpflasteransa schon vor der Resection an- zulegen und das Bein in Gummizeug einzuhüllen, um jede Besudelung des Verbandes während des Operirens zu verhüten. Das Gewicht darf nicht übermässig sein, da es sich nicht um eine Distraction handelt, als vielmehr nur um eine Fixirung in extendirter Stellung und Hemmung der Muskelaction im resecirten Beine. IV. Exarticulation im Hüftgelenke. Es mag wohl wenig Operationen geben, bei denen jeder Blutverlust derart sorgfältig vermieden werden muss, wie bei der Auslösung einer ganzen unteren Extremität aus ihren Verbindungen mit dem Stamme: gesellt sich zum unvermeid- lichen Shock noch stärkerer Blutverlust, so werden die Chancen der Lebenserhaltung bedenklich reducirt. Wenn Blutsparung möglich, wird man sich ihrer wohl stets bedienen; wäre es nicht gerathen sie anzuAvenden, dann möge wenigstens Vorsorge getroffen werden, dass der Blutverlust während der Operation so gering als möglich ausfalle. Hiefür sind folgende Massnahmen dienlich: aj Die vorgängige Unter- bindung der grossen Stämme (arteria et vena femoralis) vor der Exarticulation, und die rasche Sicherung der kleineren Aeste aus der obturatoria und glutaea, sobald sie durchschnitten werden, h) Die circuläre Constriction des Oberschenkels an der Hüftgrenze, c) Die centrale Compression der aorta oder der iliaca communis. Operirt man wegen hoch hinaufreichenden bösartigen Neubildungen, so empfiehlt es sich geradezu, die arteria und vena iliaca communis zu unterbinden, einmal weil man dadurch, bei gleichzeitiger Blutsparung im peri- pheren gesunden Extremitätsabschnitte, dem Blutverluste am sicher- sten vorbeugt und dann, weil man durch die Blosslegung des retro- peritonealen Raumes in die Lage kommt, sonst nicht nachweisbare eventuelle Lymphdrüsenentartungen zu entdecken und durch genaue Exstirpation derselben möglicherweise Recidiven zu verhindern. Wir wollen im Folgenden die Methoden der Hüftauslösung von diesen drei Standpunkten aus technisch beschreiben. a) Die Unterbindung der arteria und vena femoralis muss knapp unterhalb des Frntpmt' sehen Bandes erfolgen, bevor die arteria pro- funda abzweigt. Sie erfordert eine Längsincision etwas nach einwärts von der Mitte des Bandes, um regelrecht, typisch ausgeführt werden zu können. Es dürfte dann wohl zweckmässig sein, den zur Ligatur benützten Schnitt gleich in den Exarticulationsschnitt einzubeziehen und ersteren als den Auslauf eines Ovalair zu betrachten, dessen Ab- rundung über die Rückfläche des Oberschenkels zieht, etwa zwei Querfinger breit unterhalb des Sitzknorrens (Methode mit vorderem Ovalairschnitt). Man verlängert hierzu den Ligaturschnitt nach abwärts und lässt ihn in zwei divergirende Schenkel auslaufen, welche, stark convex contourirt, am oben besagten Punkte der Rückfläche inein- — 847 - Fig. 243. ander laufen. Hierauf trennt man die unterbundenen Stammgefässe unterhalb der Ligaturen quer durch und durchschneidet die Muskel- massen in schräger Richtung vom Hautrande zum Knochen durch, zunächst an der Aussen-, hierauf an der Innenhälfte des Ovalair. Beide werden lappenartig umgelegt und hiermit das Hüftgelenk von vorne her blossgestellt. Die Exarticulation Avird mit einem starken Scalpelle ausgeführt: man öffnet entlang dem limbus cartilagineus die vordere Capselwand im Bogen, zieht hierauf durch Zug am Ober- schenkel den Kopf aus der Pfanne so weit hervor, als das runde Band es gestattet, durchschneidet letzteres, trennt dann die hintere Capselwand, umkreist den trochanter und schneidet endlich in raschen Zügen aus, alle blutenden kleineren Gefässe sofort mit Sperren sichernd. ^ h) Die circuläre Constriction des Ober- schenkels bezweckt das Andrücken der Ge- fässe an eine feste Knochenunterlage; da nun diese vom Oberschenkel abgegeben wird, so resultirt die Unmöglichkeit während der Exarticulation gleichzeitig eine Circulär- compression ausüben zu können. Der ein- zige Ausweg besteht darin, zunächst den Oberschenkel ganz hoch zu amputiren, und erst nach vollends beendeter Blutstillung nachträglich den Schenkelknochenrest aus den Weichtheilen und aus dem Gelenke zu lösen, was ohne jeden weiteren Blutverlust gelingt, r. Pifha und v. VoJkmann sind für diese Methode einge- standen; sie ist wohl die sicherste und heutzutage daher auch die gangbarste. Nach Anlegung der Constrictionsbinde führt man den Weichtheilschnitt circulär etwa spann- breit unterhalb der Spitze des Rollhügels und amputirt regelrecht. Nach vollendeter Blutstillung löst man die Binde, spaltet die Weichtheile des Stumpfes durch einen äusseren Längsschnitt bis zum Knochenreste, löst diesen mit dem Elevatorium aus seiner Periostscheide heraus, skelettirt den tro- chanter, erfasst den Knochen mit einer Resectionszange und ex- articulirt. c) Bei der Anwendung centraler Compression lassen sich alle möglichen Methoden der Weichtheilerhaltung ausführen, so der äussere Ovalairschnitt (Bogen an der Innenseite des Schenkels, Spitze oberhalb des trochanter, Mitte zwischen diesem und der spina ilei) und die verschiedenen Lappenschnitte. Wir wollen als die zweck- mässigste Lappenmethode die Deckung der Exarticulationsfläche mit ' In einigen Fällen von enormen Neubildungen, welche bis zum Po upart,' sehen Bande reichten, wurde von Trendelenburg und Böse der Exarticulation die Unterbindung der arteria iliaca communis und jene der vena iliaca externa vorausgeschickt. — 848 — einem vorderen inneren Lappen beschreiben. Die Basis des Lappens zieht schräge durch zwei ganz bestimmte Punkte: spina ilei anterior superior und Sitzknorren. Der Begrenzungsschnitt des Lappens stellt ein grosses Hufeisen vor, dessen Endpunkte den bezeichneten Skelet- stellen entsprechen. Man schneidet den Lappen zunächst in der Haut vor, ergreift hierauf ein langes spitzes Amputationsmesser sticht es durch die Lappenbasis unterhalb den Stammgefässen, also knapp am Knochen vorbei und schneidet den Lappen von innen her schräge aus mit Berücksichtigung des Hautcontours. Trendelenhtmj sticht unterhalb und in der Richtung der Lappenbasis einen Metall- stab durch und comprimirt den Lappen auf jenen mittelst elastischer Ligatur. Während des Ausschneidens kann ein Gehilfe zwischen seinen unterhalb des Lappens eingeschobenen Zeigefingern und den auf die Hautfläche postirten Daumen den Lappen und in diesem die Schenkel- gefässe comprimiren, um allen Eventualitäten bei Zeiten vorzubeugen. Ist der Lappen ausgeschnitten, so wird er nach aufwärts umgeschla- gen und sofort die Gefässe unterbunden. Hierauf umkreist man die Weichtheile an der Rück- und Aussenfläche des Oberschenkels daumen- breit unterhalb der Backenfalte, zwischen den Endpunkten der Lappen- basis durch einen nach unten convexen Bogenschnitt, exarticulirt und schneidet an der Grenze der retrahirten Haut die Musculatur in schräger Richtung durch. Der Lappen fällt durch eigene Schwere herab und deckt vorzüglich. Nach beendeter Exarticulation bleibt das klaffende tiefe Aceta- bulum leer übrig und es währt wohl längere Zeit, bis es sich durch Granulationsmasse ausfüllt. Um den Wundverlauf abzukürzen, em- pfiehlt Franke den Schenkelkopf zu erhalten und denselben in der Pfanne zu belassen, da er durch die Gefässe des runden Bandes er- nährt bleibt. Anstatt zu exarticuliren, amputirt er am Schenkelhalse knapp unterhalb des Kopfes und durchtrennt den Knochen mit breiten Meissein oder mit Hilfe der GiglPschen Säge. Wie nach den verschiedenen Exarticulationsmethoden die zur Deckung erübrigten Weichtheile zu vernähen sind, dürfte sich wohl von selbst ergeben; wie die nach vernarbtem Stumpfe noth wendige Prothese angepasst werden müsse, ist in Fig. 243 ersichtlich gemacht. IL Capitel. Oberschenkel. I. Extensionsverbände. Mit Bezugnahme auf das im allgemeinen Theile bereits Angeführte wollen wir im Folgenden noch einiges, die Zug- verbände an der unteren Extremität speciell Betreffende hinzufügen. Continuirliche, durch Verbände geübte Extension findet theils bei Gelenksentzündungen, theils bei solchen Knochenbrüchen Anwendung, welche starke Tendenz zur Längsverschiebung zeigen und bei denen Contentivverbände nicht genügen. Zugverbände an der unteren Ex- tremität können sowohl bei horizontaler als auch bei senkrechter — 849 — Körperstellung wirksam angebracht werden, ersterenfalls bei ganz gestrecktem Beine, oder bei Hüft- und Kniebeuge. Die Zugkräfte sind: Gewichte bei möglichst verringertem Reibungscoefficienten, ela- stische Zugwirkung, die Schwere der Gliedmasse; nur beim Eisen- bahnapparate gesellt sich zur Schwere noch der Coefficient der Fall- geschwindigkeit auf schiefer Ebene. Zu den Extensionsverbänden, welche eine horizontale Körperlage und vollends gestreckte Extremitäten erheischen, zählen die Eisen- bahnapparate, die Schleifbretter mit Gewichtsextensionund die zer- legbare Holzschiene von Esmarch. Sie besteht aus fünf Stücken, welche an dem einen Ende mit Blechhülsen zum Zusammenstecken versehen sind. Am untersten Stücke wird beim Gebrauche der Schiene ein rechtwinkelig vorspringender eisener Haken eingesetzt, als Ansatzpunkt der Zugkraft (Gummiring). Am oberen Stücke be- finden sich zwei Einschnitte, an welchen sowohl ein Beckengurt als auch elastischer Dammgürtel befestigt werden müssen, behufs Contra- extension. Am Beine wird ein Cros%'scher Zug angemacht, dessen Ansa, nach Einschaltung eines oder zweier Gummiringe, in den Haken eingreift. Zwischen Schiene und äusserer Beinfläche wird eine leichte Fütterung eingeschoben, eventuell eine hintere Lagerungs- schiene beigegeben und beide mit Tüchern an die Extremität gebunden. Die Theilbarkeit der langen Aussenschiene verfolgt nur den Zweck leichterer Transportabilität in Kriegszeiten. Ganze Holzschienen ähn- licher Art mit Fussbrett statt Haken hatten schon Ltston, Boyer u. A. angegeben. Bei Oberschenkelfracturen muss bei Anwendung des v. VolJcniann- schen Schleifbrettes gleichzeitig für eine Contention der Bruchstücke gesorgt werden, wofür entweder eine Gipscapsel oder Schienen die- nen, womit man den gebrochenen Oberschenkel umgibt. So leicht auch die Contention bei subcutanen Fracturen gelingt, so schwierig gestaltet sie sich bei offenen oder richtiger eiternden Fracturen; da muss der Chirurg oft seine ganze Erfindungsgabe aufbieten, um der Aufgabe zu genügen und mit den einfachsten Behelfen auszukommen. Sitzt die Fractur hoch oben und wird das obere Bruchstück durch die Wirkung des ileopsoas emporgehalten, so muss ein planum in- clinatum duplex als Lager dienen. Die entsprechend dem peripheren Bruchstücke wirken sollende, am ganzen femur angemachte Heft- pflasteransa, respective deren Zugschnur, muss dann in der ver- längerten Oberschenkelachse in steil aufsteigender Richtung laufen. Zumeist ist dabei gleichzeitig eine Abductionsstellung der Gliedmasse nothwendig, weil das obere Bruchstück gleichzeitig der Action der glutaei folgt und nach aussen gerollt wird. Der verticalen Suspension einer Extremität bei gleichzeitiger Beugung im Hüft- und Kniegelenke (vgl. Dauerextension durch Be- lastung) bedient man sich häufig bei Fracturen des Oberschenkels kleiner Kinder, bei denen Urindurchnässungen an der Tagesordnung sind. Mitjfisisowicz, der erste Fürsprecher dieser von ihm Equilibra- tionsmethode genannten Suspensionsart, wandte sie bei allen Ober- schenkelbrüchen überhaupt an. Eine gleichzeitige Contention ist auch hier in der Regel nothwendig. Hennequin hat eine Methode er- sonnen, die Zugwirkung bei horizontaler Rückenlage, gestrecktem V. Mose lig-M o o rliut: IlaudbucU d. clüriir;,'. Teclmik. 4. Auü. 54 850 — Fig. 244. Oberschenkel und gleichzeitiger Beugung im Kniegelenke anzuwenden, welche jedoch insofern complicirt erscheint, als man dabei einer eigenen Matratze bedarf. Diese sowohl, als auch das Bettgestelle müssen einen Durchlass besitzen, in welchem der gebeugte Unter- schenkel Raum findet. Als Schloifbrett dient eine mit Bügeln versehene Drahtrinne (gouttiere), welche, Avohlgepolstert, den Oberschenkel auf- nimmt. Den Zug vermittelt ein entsprechendes Gewicht, dessen Schnur an ein breites cravattenförmiges Tuch befestigt wird, welches die Wadenf lache des gebeugten Unterschenkels umgreift, oder richtiger gesagt das gebeugte Knie in Form einer Achtertour derart umfasst, dass der Klang der Cravatte sich der Vor- derfläche des Oberschenkels anschmiegt, während die Kreuzung in der Kniekehle zu liegen kommt und beide Enden, seitlich die Wade umgreifend, nach vorne geführt und hier geknotet wer- den. Vor dem Anlegen der Cravatten- schlinge soll der periphere Extremitäts- theil mit Watte und Rollbinden fest umwickelt werden, um Circulations- störungen vorzubeugen, gleichwie auch die Kniekehle dick zu wattiren ist, um den localen Druck zu massigen. Der Vortheil dieser Beinstellung soll darin beruhen, dass der Kranke leichter und bequemer im Bette aufzusitzen vermag; gewiss eine grosse Wohlthat, welche namentlich bejahrteren Individuen zu- gute kommt, an denen Hypostasen in den Lungen zu befürchten sind. Davis und Taylor haben zuerst Apparate angegeben, um bei aufrechter Körperhaltung einen Zug auf die untere Extremität ausüben zu können. Das betreffende Bein wird insofern aus- geschaltet, als der Apparat das Gewicht des Stammes direct vom Becken auf den Fussboden überträgt, unter Ver- mittlung einer starken Eisenschiene, welche am Becken sicher befestigt, die Beineslänge überragt und unten in einen Bügel endet, gegen den die Extremität angezogen wird; die Contraextension wird vom Beckengurte abgegeben. Taylor's Apparat (Fig. 244) erfreut sich grosser Beliebtheit, insbesondere zur Distraction des Hüftgelenkes bei Coxitis. Der Zug kann entweder an eine Croshy^sche Ansa angreifen, oder mittelst Zugriemen geübt werden, welche an der Fussbekleidung angebracht sind. Englisch hat den Tayhr^schen Apparat in etwas modificirter Gestalt auch für Schenkel- hals- und Oberschenkelbrüche angewendet und dadurch den Ver- letzten ein baldiges Verlassen des Bettes ermöglicht. Der Apparat besteht aus einem Beckengürtel mit zwei Schenkelriemen, aus einem — 851 — Mittelstück in Gestalt zweier seitlicher Stahlbänder, welche eine Blechscliiene zwischen sich fassen, und einem die Extremität nach unten überragenden Fussstück mit Sohle. Aehnlich wirkt auch die Universalschiene von Thomas^ welclie brauclibar sein soll: als ein- fachstes künstliches Bein nach Unterschenkelamputationen, als Ex- tensionsapparat bei Oberschenkelfracturen, endlich zur Distraction bei Entzündungen des Hüft-, Knie- oder Sprunggelenkes, um die Patienten ausser Bett zu halten. Der Apparat besteht aus einem gutgepolsterten Sitzringe, an dem zwei seitliche, bis über den Fuss hinab reichende und dort durch ein Querstück verbundene Metallschienen befestigt sind. Die Schienen lassen sich auf einfachste Art durch Verschieben beliebig verlängern oder verkürzen und durch Stellschrauben in der jeweilig nothwendigen Länge fixiren. Der Heftpflastersteigbügel des Croshf &c\\e\\ Zuges wird mit einem Gummischlauche am Querstück der Schiene festgemacht, so dass ein continuirlich wirkender elastischer Zug in Action tritt. Selbstverständlich muss beim Tragen aller dieser Apparate die Fussbekleidung der gesunden Seite um so viel erhöht werden, als eben am kranken Beine der Abstand zwischen Fusssohle und Bügel beträt-t. IL Gefässunterbindungen am Oberschenkel. Die arteria femoralis kann oberhalb oder unterhalb dem Ab- gange der profunda unterbunden werden, je nach dem Quäle der eben v*»rliegenden Indication. Die profunda femoris geht etwa daumenbreit unter dem PouparV ^chew Bande von der Rückwand der femoralis ab, woraus die Nothwendigkeit erhellt, letztere, wenn die profunda ausser Circulation gesetzt werden soll, etwa schon l bis 2 Centimeter unterhalb des gedachten Bandes biossiegen zu müssen, da knapp an diesem noch die arteriae pudendae externae abzweigen. Unterhalb der profunda kann die femoralis in beliebiger Höhe blossgelegt werden, bis zum unteren Dritttheile des Oberschenkels hinab, id est bis zur Durchtrittsstätte der Arterie durch den Adductorenspalt. Unterbindung der femoralis oberhalb der profunda. Bekanntlich treten arteria et vena femoralis durch die lacuna vasorum hervor. Die Arterie liegt nach aussen von der Vene, zwischen dieser und dem ligamentum ileo-pectineum. Da nun dieses Band der Mitte des Ponpart- schen Bandes entspricht, so wird etwas einwärts davon die Arterie zu finden sein. Man bezeichnet sich mit Daumen und Zeigefinger linker Hand die Insertionspuncte des PouparV sehen Bandes: spina ossis ilei anterior superior und tuberculum pubis, misst die Mitte des Abstandes beider Functe ab und führt einige Linien nach einwärts davon einen senkrechten Schnitt; oder man beginnt den Schnitt gerade in der Mittellinie und schneidet dann etwas weniges schräge nach einwärts. Haut, Zellgewebe und Drüsen bedecken die Arterie, deren Scheide durch die Doublirung der fascia femoris lata gebildet, oder richtiger verstärkt wird. Bei einer regelrechten Unterbindung darf die vena femoralis ebenso wenig zu Gesichte kommen als die praefasciale vena saphena magna, welche durch eine Lücke der fascia cribrosa 54* — 852 — foveae ovalis zur vena femoralis zieht. Sieht man die saphena im Operationsfelde, so ist dies ein Zeichen unrichtiger Schnittfülirung und gleichzeitig eine Aufforderung, sich mehr nach aussen halten zu sollen. Bei der Unterbindung unterhalb der profunda gibt der Rand des musculus sartorius den Wegweiser zur Arterie ab, und zwar der Jnnenrand des Muskels; nur im Falle man die Arterie am Ende des mittleren Dritttheiles, also knapp an und vor ihrer Durchtrittsstätte durch die Addiictorenspalte biossiegen wollte, dürfte man sich zweck- mässiger an den Aussenrand des Muskels halten. Das Abziehen des jeweilig blossgelegten Muskelrandcs erfolgt stets in entgegengesetzter Richtung zum Schnitt. Längs des inneren Sartoriusrandes steigt prae- fascial die vena saphena magna empor; man muss ihrer also schon bei der Führung des Hautschnittes gewärtig sein. Die fascia femoris lata hüllt den musculus sartorius scheidenartig ein; man wird also zunächst die obere Muskeldecke spalten müssen, dann, nach Ab- drängung des Muskelfleisches die untere, bevor die Gefässscheide und der auf ihr ziehende nervus saphenus magnus zu Tage treten. Die vena femoralis verlässt etwas unterhalb der Abzweigung der arteria profunda die Innenfläche der Schenkelarterie, um sich an deren Rück- fläche zu lagern. Man dringt stets ganz parallel und knapp am Rande des sartorius ein; der Schnitt fällt also etwa schräg aus, ent- sprechend der Richtung des Schneidermuskels. Sehr wichtig ist es, genau den richtigen Muskelrand zu treffen und ihn nicht mit jenen anderer Muskelbäuche zu verwechseln. Man bewahrt sich vor allen diesbezüglichen verhängnissvollen Irrungen am besten dadurch, dass man die Fingerspitzen an die spina ilei anlegt und von hier aus den Muskelrand verfolgt. Die Arterie, deren vordere Scheidewand durch den nervus saphenus magnus kenntlich gemacht wird, zieht mit der hinter ihr lagernden Vene in das Muskelinterstitium zwischen vastus femoris internus und adductor magnus. Am Beginne des unteren Dritt- theiles vom femur zieht der nervus saphenus magnus am vastus fort, verlässt also die Gefässscheide, während die arteria und vena femoralis durch die Muskelspalte des adductor magnus an die Rück- fläche des Oberschenkels treten und allhier als popliteae entlang der Kniekehle ihren weiteren Weg nehmen. Die arteria poplitea zieht ganz im Grunde der Kniekehle als Grenznachbar der hinteren Kniegelenkscapselwand, vor ihr liegt die Vene, noch höher der nervus popliteus. Die rautenförmige Kniekehlen- grube wird durch vier Muskeln umrahmt. Die divergirenden Endsehnen der semimembranosus und semitendinosus nach innen, und die Sehne des biceps femoris nach aussen, bilden gewissermassen die obere Hälfte der Raute, sie umgeben einen zeltdachartigen Raum, zu welchem die zwei Bäuche des gastrocnemius gewissermassen den Boden bilden. Man schneidet ein wenig nach einwärts von der Mittellinie die Knie- kehle ein, stets nur oberhalb einer die Knorren quer verbindenden Linie, trennt Haut und Fascie durch, lässt Haken einsetzen, beugt etwas den Unterschenkel, zieht den zuerst sichtbaren nervus popliteus nach aussen und kommt weiter in die Tiefe dringend auf die vena Poplitea. Auch diese wird mit Vorsicht nach aussen abgedrängt, worauf in der Tiefe die Arterie zum Vorschein kommt. — 853 — III. Nervendehnungen am Oberschenkel. 1. Die Blosslegung des nervus cruralis. Der Cruralnerve tritt durch die lacuna muscularis hervor und liegt auf dem musculus ileo-psoas, ist also von der l'ascia lata bedeckt und von der Schenkelschlagader durch das ligamentum ileo pectineum geschieden. Um ihn blosszulegen, schneidet man etwas ausserhalb der Mitte des PcmparV sehen Bandes in der Richtung der Oberschenkelachse ein, spaltet Haut und fascia lata und trifft sofort auf den Nerven. Man muss zum Zwecke der Dehnung den Nerven knapp unterhalb des Fouparf sehen Bandes biossiegen, da er bald büschelförmig auseinander fährt. 2. Blosslegung des nervus ischiadicus. Man kann diesen grössten Nerven des menschlichen Körpers an zwei Stellen seines Verlaufes freilegen : knapp unterhalb der Gesässfalte, oder im Verlaufe der Rückfläche des Oberschenkels. Einige Operateure, namentlich Longen- huch, geben der tieferen Stelle den Vorzug, weil die sichere Hand- habung der Antisepsis, beziehungsweise die Anlegung eines Occlusiv- verbandes weiter unten unbedingt leichter gelingt, als in der Aus- höhlung unterhalb der Gefässfalte. Patient liegt am Bauche aus- gestreckt. Man fixirt mit Daumen und Zeigefinger den hinteren Rand des grossen Rollhügels und den Sitzknorren, halbirt die quere Ver- bindungslinie, schneidet knapp unterhalb der Gesässfalte senkrecht ein und trennt Haut und Fascie, bis das subfasciale Fett sichtbar wird. Nun lässt man passiv den Unterschenkel beugen, dringt mit dem Zeigefinger in die Wunde, bahnt sich im Fettpolster den Weg in die Tiefe, begegnet alsbald dem ischiadicus, hakt ihn am Zeige- finger aus der Wunde heraus, trennt mit einer Hohlsonde die Nerven- scheide der Länge nach, schont dabei die kleine Begleitarterie und dehnt den vollends isolirten Nervenstamm. Will man peripherer ein- gehen, so hält man sich genau in der Mittellinie der Rückfläche des femur und bahnt sich zwischen dem musculus biceps femoris und dem semitendinosus und semimembranosus nach gleicher Technik den Wes: zum Nerven. III. Capitel. Kniegelenk. I. Verfahren bei Kniescheibenbrüchen. Man unterscheidet Längs-, Quer- und Splitterbrüche der Kniescheibe, subcutane und percutane; letzteren kommt die Bedeutung einer Kniegelenkseröffnung zu. Sub- cutane Längsbrüche erfordern nur eine zeitliche Immobilisirung der Extremität, da keine Tendenz einer Verschiebung der Bruchstücke vorwaltet. Anders gestalten sich die Verhältnisse, wenn die Knie- scheibe quer oder schräge bricht. Die Kniescheibe ist bekanntlich der Sehne des quadriceps eingeschaltet, sie hat die Bedeutung eines Sesambeines; bei querer Durchtrennung bleibt das obere Bruchstück — 854 — der Muskelaction unterworfen, in Folge welcher eine Diastasir ung der Briicliflächen unter allen Verhältnissen eintreten muss. Die Stärke der Diastasirung wird wohl nicht in allen Fällen die gleiche sein und ist vorzugsweise davon abhängig, ob jene fibrckse Aponeurose, welche die Vordorfläche der Kniescheibe deckt und mit dem Periost verwachsen ist, niitdurchrissen wird oder in ihrer Continuität mehr minder erhalten bleibt. Bleibt sie ganz erhalten, dann wird die Abweichung des oberen Bruchstückes vom unteren eine minimale sein; reisst sie mitten durch, so wird je nach der Action des quadriceps die Ver- lagerung selbst ganz bedeutende Grade erreichen können. Die Aufgabe der Kunst liegt vornehmlich darin, die Action des quadriceps zu paralysiren und die passiv genäherten und in genaue Coaptation gebrachten Bruchstücke dauernd coaptirt zu erhalten, denn nur dann steht eine Heilung mit Knochennarbe, oder wenigstens mit möglichst kurzer Bandmasse zu erwarten. Eine Erschlaffung des quadriceps wird zunächst durch eine Beugung der Gliedmasse im Hüftgelenke bei gestreckt bleibendem Knie zu Stande gebracht, in zweiter Linie durch Bindendruck, wofür eine Rollbinde dient, welche man in centrifugaler Richtung anlegt, id est von der Hüftbeuge herab dem Kniegelenke zu. Zur Lagerung der Gliedmasse in eben gedachter Stellung dienen einfache Schief- ebenen — Planum inclinatum simplex — hölzerne Gestelle, deren schiefer Theil die Form und Länge einer gekehlten Beinschiene besitzt, während der flache Theil ein einfaches Brett ist; beide Theile stossen oben unter einem spitzen Winkel zusammen, divergiren all- mälig nach unten und sind gegenseitig durch verticale Querleisten verbunden. Mangelt ein Planum inclinatum simplex, so lagert man die, an ihrer Rückseite geschiente Extremität auf entsprechend über- einander gethürmte Polster. Wie jede Fractur, ist auch der Kniescheibenbruch mit Blutaustritt combinirt; es gibt nun Fälle, in denen viel Blut aus den gerissenen Gefässen sich ergiesst. Das Blut sammelt zieh zunächst in der Bruch- spalte an, dringt aber von hier aus weiter in die Kniegelenkscapsel und in die bursa subtendinosa, so dass ein gewaltiges Haematoma genu die Fractur compliciren kann, welches die Coaptation der Bruch- stücke wesentlich zu erschweren, ja selbst ganz zu vereiteln vermag. V. Volkmann empfiehlt in solchen Fällen das angesammelte Blut durch aseptische Function des Gelenkes zu entfernen; /Schede wiW nicht nur punctiren, sondern auch das Gelenk mit dreiprocentiger Carbolsäure- lösung auswaschen, um alles Blut gründlich zu entleeren. Da indes das intraarticuläre Blutextravasat nach Patellarfracturen manchmal rasch gerinnt und sich als Coagulum durch Function nicht entleeren lässt, dürfte es wohl gerathener erscheinen, sich ihrer überhaupt zu enthalten. Riedel hat aufmerksam gemacht, dass in einzelnen Fällen das Blutextravasat im Gelenke den oberen Recessus der bursa sub- cruralis zu sprengen vermöge, worauf dann eine Ergiessung des Blutes unterhalb des quadriceps, zunächst häufiger entlang dem vastus internus, parostal erfolgte. Bei solchem Vorkommen fehlt die Ausdehnung der Gelenkscapsel oder sie verschwindet plötzlich. Die Coaptation der Bruchstücke wird mit den Fingern beider Hände besorgt; wie soll sie nun dauernd erhalten werden? Man — 85o — kennt drei Verfahren: mittelst Verbänden, mittelst Apparaten und Instrumenten, und endlich durch die Knochennaht. Die Zahl der empfohlenen Verbände ist eine sehr grosse: man kennt Verbände, welche durch einfachen Bindendruck wirken und mit zwei Rollbinden angemacht werden, welche gleichzeitig die Sicherung der Gliedmasse auf der Ruheschiene besorgen; Verbände, welche mit Heftpflaster angelegt werden, endlich solche, welche einen constanten Zug auf das obere Bruchstück ausüben. Die Bindencontention ist wohl die unsicherste unter allen: man benöthigt hiefür zwei Rollbinden, die eine wird vom Fusse nach aufwärts geführt, die zweite von der Hüft- beuge nach abwärts; am Knie werden beide in Kreuztouren um die coaptirt erhaltenen Bruchstücke geführt und gleichzeitig die Lage- rungsschiene umwunden. Heftpflasterstreifen werden in Cirkeltouren und in schräger Kreuzung angelegt und damit die Bruchstücke entweder direct, oder an die Schiene fixirt; endlich kann den Kleb- streifen Gummizeug intercalirt und dadurch ein continuirlich wirken- der Zug ausgeübt werden. Andere wieder wollen die Bruchstücke in Ringe einklemmen und sie dadurch aneinander fixiren: man schneidet in einer modellirten, starkwandigen Kautschukschiene ein ovales Loch von der Form und Grösse der betroffenen Kniescheibe und legt die Schiene an die Vorderfläche des Beines so an, dass die gebrochene patella gerade in dem Lochausschnitte Platz findet; in gleicher Absicht können auch entsprechend gefensterte Gipsverbände angelegt werden etc. Wolfermann bedient sich einer gepolsterten Stahlfeder, welche, von hinten her das Knie umfassend, in zwei halbmondförmige Bügel endigt, die sich sehr genau den Seitenrändern der patella anschmiegen und durch zwei Querriemen aneinander gepresst werden. Alle eben genannten und ihnen ähnliche Verbände haben den Nachtheil, dass sie entweder nicht genügend fixiren, oder dass sie auf die Umgebung der Bruchenden einen zu starken Druck ausüben. Da nun die obere Umrandung der Kniescheibe, also die Insertionsstelle des quadriceps, den wichtigsten Angriffspunkt aller Verbände bildet, so wird auch sie am stärksten gedrückt. Dieser Druck ist aber insofern nicht gleichgiltig, als das obere Bruchstück von der Quadricepssehne seine ernährenden Gefässe erhält, diese also der Compression mit unterliegen. Wenn nun auch die Behinderung der Blutzufuhr keine derart ausgesprochene wird, dass den schlecht versorgten Partien Inanitiou droht, so mag sie dennoch die Heilung des Bruches erschweren. Diese Befürchtung führte Malgaigne auf den Gedanken^ durch hakenförmige Instrumente eine directe Coaptation der Bruch- flächen zu vermitteln. Er ersann eine Doppelklammer (appareil ä griffes) : zwei spitze Doppelhaken, welche sich durch eine Schraube beliebig nähern lassen. Jeder Doppelhaken wird durch die Haut in je eines der Bruchstücke geschlagen, so dass die Hakenspitzen in die - Knochensubstanz eindringen, worauf beide Hälften gegenseitig verbunden und durch Schraubenwirkung so Aveit genähert werden, bis die Bruchflächen sich vollends berühren. Der Apparat hat zwei Nachtheile: einmal die Verwundung der Weichtheile und des Knochens, deren Gefahr gegenwärtig freilich durch Antisepsis verringert werden könnte, ferner den Uebelstand, dass in Folge des oberflächlichen Eingreifens der Hakenspitzen mehr die Bruchränder als die Bruch- — 856 — flächen in Contact geratlien, die Bruchstücke sich etwas aufstellen und winkelig aneinander legen. Trelat hat dadurch abhelfen wollen, dass er den Bruchstücken modellirte Kautschukschienen anzupassen und die Haken in diese eingreifen zu lassen empfahl. Endlich hat OlUer eine Hakenzange mit abnehmbaren Armen angegeben (Fig. 'i-iö), welche mit ihren Spitzen nur die Umrandung der Bruchstücke packt^ also nicht den Knochen verletzt, sondern nur die Haut und die oberste Faserung der Sehne, beziehungsweise des ligamentum patellae. Seit der Einführung der Antisepsis ist auch die Knochensutur zur Geltung gekommen; sie ist und bleibt das sicherste aller Keten- tionsmittel. Lister war der Erste, welcher den Muth besass, die Weich- theile durch einen Querschnitt zu spalten, die subcutane Fractur in eine percutane umzugestalten, den Bruchherd blosszulegen, das ergossene Blut vollends zu entleeren und nun durch zwei tief- greifende, die Knorpelfläche ^^^' '^^''^- schonende, aber knapp an ihr vorbeiziehende Knochen- nähte mit Silberdraht beide Bruchstücke zu vereinigen. Lejars führt den Silberdraht circular im Sinne der Aussen- contour um die Kniescheibe, ligamentum patellae und Tri- cepssehne durchquerend, also in Form eines Rahmens. Nach beendeter Knochensutur wer- den die Capseleinrisse vernäht, eventuell auch die aponeu- rotische Patellardecke und endlich nach kurzer seitlicher Drainirung die Hautwunde vereinigt, unter gleichzeitiger Fixirung der Gliedmasse auf einer geraden Schiene. Dem Beispiele Listers sind die meisten Chirurgen gefolgt. Man erzielt knöcherne Vereinigung und ver- mag selbst veraltete, durch lange Bandmassen verbundene oder selbst in starker Diastase unvereinigt gebliebene Kniescheibenbrüche nach- träglich durch Anfrischung und Naht einer knöchernen Vereinigung zuzuführen, obzwar unter viel grösseren Schwierigkeiten entsprechend der Verkürzung des quadriceps. Diese erfordert nach Mac Ewen eine mehrfache Reihe Vförmiger Einschnitte in die Sehne, welche eine Verlängerung des contracten Muskels gestatten und dabei Yförmig ausgezogen werden, v. Bergmann mobilisirt das untere Bruchstück durch subcutane Abmeisselung der tuberositas tibiae, als Anheftungs- stätte des ligamentum patellare. Durch einen kurzen, queren Schnitt wird der untere Rand des Schienbeinstachels blossgelegt und die tuberositas nach VogV^cher Art derart mit dem Meissel schräge von unten dem Gelenke zu abgestemmt, dass alle Deckweichtheile erhalten bleiben. Die nun folgende definitive Verlagerung der tuberositas nach aufwärts soll die Coaptation der Bruchstücke anstandslos ermöglichen — 857 — und bei glatter Wiindheilims: auch für die künftig-e Gebrauchsfähig- keit des Beines keinerlei Xachtheile im Gefolge haben. Die Knochen- sutur wird am besten mit frisch ausgeglühtem Silberdraht ausgeführt, aber auch mit Catgut und Seide ist schon genäht worden. Um die Eröffnung des Kniegelenkes zu umgehen, hat r. Yolk- mnnn folgende Nahtmethode vorgeschlagen, welche nicht den Knochen selbst, als vielmehr die Sehne des oberen und das Band des unteren Bruchstückes in Mitleidenschaft zieht. Er machte am oberen und am unteren Pole der coaptirt gehaltenen Bruchstücke je einen kleinen Längsschnitt, gerade hinreichend, um nach dem Abziehen der Wund- ränder einen Silberdraht quer durch die Sehne und das Ligament ziehen zu können. Er gewinnt dadurch eine obere und eine untere Drahtschlinge, welche Sehnengewebe allein durchdringt; deren Enden werden auf der äusseren Haut oberhalb der patella in entsprechender Anspannung über Krüllgaze zusammen gebunden. Da der Draht auswendig liegt, kann man die Sutur nach Bedarf beliebig fester machen. Kocher gab eine Peripatellarnaht an. Er legt zunächst zwei kleine Längsschnitte an; den einen entsprechend dem oberen, den zweiten entsprechend dem unteren Kniescheibenrande, Durch diese Einschnitte zieht er, bei ad maximum genäherten Bruchstücken, mittelst einer langen, seicht gekrümmten Nadel einen silbernen Faden unterhalb der Gelenksfläche der Bruchenden und dreht dann die aufwärts geschlagenen Drahtenden über einen Gazebauschen, um die Haut zu schonen. Bei diesem Verfahren werden die Bruchstücke von einer Drahtschlinge umgeben und fixirt; König gibt dem Catgut in gleicher Weise angewandt den Vorzug, nur dass die Aussenhälfte der Schlinge subcutan durchgezogen und der Knoten in die Wunde versenkt wird. Letzter Zeit hat Ceci ein neues Operationsverfahren ersonnen, welches in der Anlegung einer subcutanen Drahtsutur durch die Patellar- bruchstücke besteht. Er benützt hiefür einen eigenen cylindrischen Stahlbohrer von 2 Millimeter Dicke und 7-8 Centimeter Länge, welcher hinter der Schneide ein Oehr trägt und an einem handlichen Griff befestigt ist. Ceci beschreibt sein Verfahren wie folgt: das Bein wird in Hyperextension fixirt, die Fragmente in Apposition ge- bracht und erhalten, wobei die Haut in schmale Querfalten sich legt. Der Operateur führt den Stichbohrer zunächst vertical durch die Haut, beispielsweise zur inneren unteren Ecke der Kniescheibe: am Knochen angelangt, wird der Stichbohrer sodann horizontal gestellt und nun entsprechend der einen schrägen Diagonale, entlang der mittleren Frontalebene beide Bruchstücke durchbohrt. Am anderen Endpunkte der Diagonale angelangt, wird die Haut an passender Stelle perforirt, ein Silberdraht in das Oehr befestigt und beim Rück- führen des Instrumentes in den Bohrcanal nachgezogen. Hiermit ist ein, beide Fragmente in schräg diagonaler Richtung durchsetzender Draht eingezogen. Nun wird das periphere Drahtende mittelst be- liebiger Nadel subcutan zur äusseren unteren Ecke der Kniescheibe geführt, hier ausgestochen und vorläufig liegen gelassen. Mit dem Bohrer dringt man sodann an der inneren oberen Ecke der Knie- scheibe ein, durchbohrt diese von innen oben nach unten aussen in der Richtung einer zweiten schrägen Diagonale mit der Vorsicht, — 85S - den Stichbohrer durch die schon vorfindliche Hautlücke heraus- zuführen, Avorauf das dort vorragende Drahtende in das Oehr des Bohrers befestigt und diesem nachgezogen wird. Es erübrigt nur noch, das eine Drahtende vom inneren oberen Kniescheibenrande zum äusseren oberen subcutan zu führen, um hier das andere Drahtende zu finden, beide aufrollen und die Enden subcutan versenken zu können. Der Draht durchläuft dann beide Fragmente in doppelter gekreuzter, schräg diagonaler Richtung in Form eines Achters und fixirt sie ganz sicher. Das Gelenk bleibt uneröffnet, die Naht sub- cutan, da die vier Ferforationsöffnungen der Haut bei Nachlass des coaptirenden Fingerdruckes sich von den Ecken der Kniescheibe beträchtlich entfernen. Nach beendeter Naht wird sogleich ein anti- septischer Verband angemacht und die Extremität in Gyps gelegt. Ceci findet sein Verfahren sowohl bei frischen Fracturen als auch bei veralteten indicirt, da der Reiz, den der Draht ausübt, genügen soll, um Callusbildung hervorzurufen, wodurch jede Anfrischung der Bruchflächen unnöthig wird. Axford will die Nahtmethode folgender- massen modificiren. Zeigt sich ein Bluterguss im Gelenke, so wird er durch Function entleert. Lassen sich die Bruchenden nicht durch Händegewelt coaptiren, so wird das untere Fragment durch Abmeisse- lung der tuberositas tibiae mobilisirt, die palella selbst wird ohne Hautschnitt durch die Haut hindurch zusammengenäht. Ein Assistent drückt die Bruchstücke gegeneinander und nun wird ein langer dünner Bohrer von oben noch abwärts in der Längsrichtung durch die Haut und den Knochen durchgeführt, parallel mit diesem ein zweiter Bohrcanal von unten nach oben angelegt und durch jeden ein besonderer Draht gezogen. Jeder Draht wird durch gegenseitige Ver- einigung seiner Enden über der durch Gazebauschen geschützten Haut zu je einer Schlinge geschlossen. Darüber antiseptischer Verband und Ruheschiene. Die Folgen einer Querfractur der Kniescheibe sind für den Ver- letzten sehr unangenehme und langwierige und bestehen, selbst wenn knöcherne Vereinigung erzwungen wurde, in einer Steifheit des Knie- gelenkes mit gleichzeitiger Atrophirung des quadriceps femoris, welche sich um so markanter fühlbar machen, je länger die Extremität in absoluter Ruhe erhalten werden musste. Da nun bei knöcherner Ver- einigung diese Zeitperiode kürzer sein wird, so dürfte auf die Er- zielung jener das Hauptgewicht in der Behandlung fallen. Bei bände- riger Verbindung ist eine vielmonatliche, selbst jahrelange Streck- stellung der Extremität erforderlich, wofür eigene, nur limitirte Gelenks- excursionen zulassende Stützapparate getragen werden müssen. Es war zunächst Metzger welcher damit begann, sein Augenmerk weniger dem Stande der Bruchstücke zuzuwenden, als vielmehr der Verhinderung der Gelenksteife und der Quadricepsatrophie. Bedenkt man, dass nicht die ganze Sehne an der patella sich inserirt. sondern dass, wie Lorinser wieder betonte, die lateralen Fasern selbstständig zum Unterschenkel hinab- steigen und sich dortselbst ansetzen, so wird man mit dem Momente einer Fragmentdiastase noch nicht die Nothwendigkeit einer Muskel- ausschaltung identificiren, sondern zugeben, dass, wenn der Muskel nicht atrophisch wird und das Gelenk seine freie Beweglichkeit be- hält, trotz bleibender Diastase der Bruchenden eine active Streck- — 859 — fähigkoit und Brauchbarkeit des betreffenden Beines bestehen bleiben könne. Metzger legt demnach keine Fixirverbände in früher gedachtem Sinne an, sondern beginnt bei Zeiten mit der Massage des Gelenkes und des quadriceps nebst baldigen passiven Bewegungen, welche all- mälig zu activen gesteigert werden. Durch die Massage entfällt auch jede Nothwendigkeit einer Function bei stärkerem Hämatom, indem das angehäufte Blut in die Lj'mphbahnen gedrängt und weggeschafft wird. Bindendruck ohne jedwede Schieneneinlage ist bei solcher Be- handlung allein zulässig. Würde man durch Anwendung der per- cutanen oder subcutanen Knochensutur knöcherne Vereinigung der Bruchstücke erzwungen haben, so möge man es nie unterlassen, so- bald wie nur immer möglich mit Massage und Gelenkgymnastik zu beginnen, um dem Verletzten nicht nur eine schön geheilte, sondern auch vollends brauchbare Extremität zu erhalten. IL Verfahren bei Beugungscontracturen im Kniegelenke. Beugungs- <;ontracturen sind die Endergebnisse entzündlicher Frocesse im Kniegelenke und bedingt: theils durch Schrumpfungen der hinteren Capselwand, theils durch Synechien der Knorpel, theils endlich durch Verschmelzungen der Gelenksenden (Anchylosen). Nur von ersterer, eine gewisse passive Beweglichkeit darbietenden Form, soll vorläufig die Rede sein. Zur Darlegung und Beurtheilung der therapeutischen Verfahren dürfte es zweckentsprechend sein, zwei Formen zu unter- scheiden: die eine besteht in einfacher Streckungshemmung, wogegen die Form des Gelenkes und die Stellung beider Gelenksenden zu einander, dem jeweiligen Beugungsgrade entsprechend, normal ge- blieben ist; bei der zweiten Form sind nebst der Beugung noch wesentliche Stellungsveränderungen der tibia zu der Femurepiphyse vorhanden, bestehend theils in einer Verlagerung der tibia nach rück- und aufwärts von den Condylen (Subluxation), theils in einer Rotation der tibia nach aussen, theils endlich in einer lateralen Winkelstellung im Sinne von Adduction oder Abduction. Als wichtige Complication sind schliesslich noch Narben in der Kniekehle anzusehen, welche namentlich dann, wenn sie gleichzeitig mit Atrophie des Unter- schenkels sich combiniren, auf eine Fixirung und Stricturirung der Poplitealgefässe hindeuten. Die therapeutischen Verfahren bezwecken zunächst eine Geraderichtung des Beines; sie erfordern hiefür, dass die Acuität des entzündlichen Processes vollends geschwunden und jede eventuell bestandene Vereiterung versiegt sei. Nur ganz leichte Beugecontracturen der erstbeschriebenen Form gestatten manchmal den Versuch einer Wiederherstellung activer Beweglichkeit, bei allen anderen ist mit der Geradestellung des Beines auch alles gethan, was überhaupt möglich. Um ein in Beugestellung contractes Knie gerade zu stellen, gibt es unblutige und blutige Verfahren: zu ersteren zählen die schnelle und die allmälige Streckung. Schnelle Streckung — Brisement force — eignet sich für alle Fälle der ersten Form, mit Ausnahme der Anchylose, und für einige ausgesuchten Fälle der zweiten, bei denen die Tibiaverlagerung wenig ausgesprochen erscheint; Narben in der Kniebeuge und Unter- — 8G0 — schcnkelatrüphie cüiitruindiciren sie geradezu. Die schnelle Streckung bei normal gestellten Gelenken ist sehr einfach. Patient wird nar- cotisirt und horizontal am Rücken liegend nahe dem Tischrande ge- rückt. Man legt den gebeugten linken Vorderarm stramm in die Knie- kehle, erfasst mit der rechten Hand den Unterschenkel an der Fessel und beugt zunächst allmälig admaximum, wobei ein mehr minder starkes, von Ein- oder Abreissen der Hemmungsbänder und sonstiger Band- massen bedingtes Krachen sich hörbar macht. Hierauf lässt man von einem Gehilfen die Knöchelgegend erfassen und mit ganzer Kraft exten- diren, während man selbst den Vorderarm in der Kniebeuge belässt, mit der frei gewordenen rechten Hand das Knie umfasst und es hinunter- drückt bis zur vollendeten Streckung. Gelingt das Strecken schwer, so führt man nochmals eine Beugung in früherer Weise aus, weil durch das überstarke Beugen bei gleichzeitig in der Kniekehle als Hypomochlion wirkendem Vorderarm, die Hemmungsbänder am wirk- samsten gedehnt und zerrissen werden. Die Wirksamkeit des Vorder- armes gewinnt noch mehr Bedeutung, wenn eine Subluxation der tibia vorliegt, weil dann dem Vorderarm die Aufgabe zufällt, durch directen Druck von rückwärts nach vorne die tibia an ihren normalen Platz zu rücken, oder mindestens zu verhüten, dass sie während der Streckung noch weiter, entlang der hinteren Femurfläche nach auf- wärts rutsche und in Folge dessen die Gelenksenden statt unterein- ander nicht hintereinander gerathen. Der Druck des Vorderarmes stützt aber auch die tibia und verhindert, dass sie bei forcirter Streckung und widerstandsleistenden Bändern nicht etwa nahe dem Kopfe einbreche oder, bei Kindern, einknicke. Um den gedachten üblen Ereignissen beim brisement force angeblich noch sicherer zu steuern, empfiehlt Kovacs eine genügend starke gekehlte Schiene an die vordere Fläche des Unterschenkels mittelst Binden so zu be- festigen, dass das obere Ende derselben das Knie überragt, und dann unter dem Schutze dieser Schiene die Streckung vorzunehmen. Der Zweck der Schiene ist ein doppelter: einmal dient sie dem Unter- schenkel zur Stütze und gestattet eine stärkere Kraftentfaltung, ohne ein Abbrechen oder Einknicken der tibia besorgen zu lassen, weiters hebelt sich das obere, das gebeugte Knie überragende Schienenende an den Femurcondylen und zieht, in dem Masse als die Streckung sich mehr und mehr vollzieht, die tibia nach vorne; verhindert also Luxationen nach rückwärts. Die Wirkung der Schiene soll eine ganz sichere und das Verfahren sich selbst in Fällen noch bewähren, wo bei missrathenen Streckversuchen bereits Subluxationen der tibia sich eingestellt haben. Bei gleichzeitig vorhandenen Achsendrehungen oder lateralen Winkelstellungen des Unterschenkels wird man trachten, während des Streckens durch geeignete Redressirungsversuche einen möglichst vollständigen Erfolg zu gewinnen: verspreche aber nie zu viel, son- dern sei mit der Prognose recht vorsichtig. Nach gelungenem Brise- ment wird die Extremität in der neugewonnenen Streckstellung be- festigt, wofür ein starrer oder ein Schienenverband dient; letzterer ist besonders dann zu empfehlen, wenn es in Absicht steht, den Ver- band nur einige Tage am Platze zu belassen, was stets der Fall sein wird, wenn man nicht nur eine Geradestellung des Beines, sondern - 861 — auch eine Wiederherstellung activer Beweglichkeit für möglich er- achtet und hiefür Massage, Gymnastik, Bäder und Umschläge in An- wendung ziehen will. Letzterenfalls möge noch nachtsüber durch län- gere Zeit eine Schiene an die Rückfläche des Beines angelegt werden, damit während des Schlafes keine uncontrolirte Beugestellung ein- gegangen werde ; erst wenn eine active Beweglichkeit sich einzustellen beginnt und die Schmerzhaftigkeit vollends aufhört, kann davon ab- gelassen werden. Fälle, bei denen nur eine Geraderichtung als allein denkbarer Erfolg des Brisement gelten kann, erheischen die Anlegung eines starren Verbandes, da dieser, gut gepolstert, correcter hält und vom Kranken besser vertragen wird als ein einfacher Schienen- verband. Zur langsamen Streckung sollten nur jene Fälle bestimmt werden, bei denen Narben in der Kniekehle und Atrophie des Unterschenkels es in Frage stellen, ob und bis zu welchem Grade überhaupt die Streckung gedeihen könne, ohne eine Gefässzerreissung mit nach- folgender peripherer Gangrain besorgen zu lassen. Zur langsamen Streckung benöthigt man orthopädische Maschinen. Sie bestehen im Wesentlichen aus zwei, beweglich zu einander verbundenen, wohl- gepolsterten, mit Gurten und Riemen versehenen Hohlschienen, be- stimmt zur Aufnahme und Fixirung des betreffenden Ober- und Unterschenkels. Die Streckung erfolgt durch allmälige Steigerung des Schienenwinkels, welcher im Beginne dem jcAveiligen Contractur- winkel genau entsprechen muss. Die Kraft kann bestehen: in Ge- wichten, in elastischen Zügen und in Schraubenwirkung. Erstere sind ob dar Constanz ihrer Wirkung letzterer vorzuziehen, und werden auch die entsprechend eingerichteten Apparate erfahrungsgemäss viel besser vertragen. Ist das zur langsamen Streckung bestimmte Knie subluxirt, so muss eine Vorbehandlung eingeleitet werden zu dem Zwecke, um die tibia möglichst vorzurücken. Hiefür dient folgender Zugverband: Patient liegt horizontal im Bette, das Bein entsprechend der Contractur so aufgestellt, dass die Ferse der Matratze aufliegt. Nun befestigt man die Fessel an einem quer um das Bett geführten Gurt, legt an die Wadenfläche des contracten Unterschenkels eine breite Cravatte an, die übers Knie mit zwei Bändern gesichert wird, um das Abrutschen zu hindern, knotet die Cravattenenden zu- sammen, befestigt daran ein Zugseil und lässt es, über eine in der Zugrichtung angebrachte Rolle laufend, ein entsprechendes Gewicht tragen. Erst wenn durch eine derartige mehrwöchentliche Vorbehand- lung die Subluxation verringert wurde, kann der Streckapparat seine Thätigkeit beginnen. Eine Variante der langsamen bildet die Belastungsstreckung. Man denke sich eine im Knie contracte Extremität auf einen, dem Bette übergestellten Galgen so aufgehängt, dass nur Ferse and unteres Drittel des Unterschenkels von den Tragbändern umfasst werden, während der übrige Theil des Beines bis zur Hüfte frei und schwebend er- halten bleibt; man denke sich die Tragbänder derart angebracht, dass sie jede Rotation des Beines verhindern und gleichzeitig so ge- stellt, dass sie in schräger Richtung laufend einen Zug nach vorne üben, so wird man über die Theorie der Technik im Klaren sein. Diese Methode ist selbstverständlich nur für jene ganz einfachen — 8G2 Fig. 246. Formen von Contractiiren geeignet, welche keinerlei Complicationen führen und bei denen die Hemmungsbänder keine besondere Wider- standsfähigkeit besitzen. Eine directe Belastung des Knies kann nebst- bei durch Sandsäcke hergestellt und dadurch der Erfolg beschleunigt werden. Bei Anchylosen in Beugestellung und bei jenen Formen der Con- tractur, welche sich weder zur schnellen noch zur langsamen Streckung eignen, muss entweder auf die Streckung des Beines ver- zichtet und dessen Tragfähigkeit durch geeignete Stützapfjarate (Fig. 21);) hergestellt werden, oder es muss die Geraderichtung auf ope- rativem Wege ermöglicht werden, durch Keilresection aus dem Ge- lenke. Wäre die Contractur rechtwinkelig, der Unterschenkel ganz atrophisch, viel Narben in der Kniekehle, Subluxationsstellung der tibia, würden alle Versuche den Beugungswinkel zu vergrössern an dieser oder jener Ursache scheitern, so könnte eventuell wohl auch die Frage einer Amputation des atrophischen Unterschenkels oberhalb der Mitte in Betracht kommen, um dem Patienten die Möglichkeit zu verschaffen mittelst einer Kniestelze gehen zu können, ohne mit seinem weit nach hinten ragenden Unterschenkel überall anzustossen. HL Verfahren bei genu valgum. Das Wesen des genu valgum beruht darin, dass die Epi- physen der das Knie constituirenden Kno- chen (femur oder tibia) an die betreffenden Diaphysenenden schief angesetzt sind. So lange die Epiphysenknorpel noch vorhanden, id est insolange die Wachsthumsperiode nicht überschritten ist, kann dem Bäckerbein auf doppelte Art abgeholfen werden : langsam oder rasch. Langsam auf orthopädischem Wege, indem man durch allmälige Redressi- rung eine ungleiche Belastung der beiden Femurcond3"len zu Stande bringt, wodurch der weiter nach abwärts ragende condylus internus eine durch Druck bedingte Wachsthums- hemmung erfährt, wogegen der externus entlastet und dessen Wachsthum befördert wird. Da nun das Längenwachsthum im E^Di- physenknorpel vor sich geht, so wird durch den einseitigen Druck und die anderseitige Entlastung ein Ausgleich in der Ansatzrichtung der Epiphyse stattfinden können; die schräge Richtung der Epiphy- senlinie wird zu einer horizontalen gemacht und damit ist das Bäckerbein auch gründlich behoben. Dies das theoretische Ideale, welchem die Praxis freilich nicht immer nachkommt. Die langsame Redressirung erfolgt durch orthopädische Apparate, welche das Gehen, wenn auch nur mit steifem Knie, ermöglichen. Der Apparate gibt es eine grosse Menge: sie wirken theils durch — 863 — Schraubenwirkung, theils durch elastischen Zug. Der Schraubenapparat war früherer Zeit sehr in Gebrauch: er bestand aus zwei äusseren, dem Knickungswinkel entsprechend gestellten festen Stahlschienen, deren Winkelstellung durch eine Schraube geregelt werden konnte ; breite Ledergurten fixirten Ober- und Unterschenkel an die Schienen, eine LederkapjDe das Knie. Tuppert empfiehlt einen durch Federkraft constant wirkenden Apparat (Fig. 24:7). Die federnde Stahlschiene ist an zwei Halbrinnen aus Messingblech genietet, welche sich der Trochanter- und der äusseren Knöchelgegend gut anschmiegen. Das gestreckte Knie wird durch eine breite Lederkappe an die Schiene Fig. 247. Fig. 248. befestigt und letztere dadurch etwas gestreckt. Ihrer Tendenz in die Bogenkrümmung zurückzukehren entspricht ein constanter Zug, welcher das Knie nach aussen zu rücken, also zu redressiren strebt. Tuppert will mit diesem Apparate angeblich in Jahresfrist ausnehmend gute Resultate erzielt haben. Mikulicz hat den elastischen Zug mit dem Gipsverbande combinirt und geht folgendermassen vor : die Innen- fläche des gestreckten Beines wird besonders dick gepolstert, hierauf ein regelrechter Gipsverband angelegt, von den Knöcheln bis zur Hüfte. Wenn der Gips so weit trocken geworden, dass er sich schneiden lässt, wird der Verband in der horizontalen Kniegelenks- ebene circulär durchgeschnitten und beide Abtheilungen durch zwei — 8Ü-i — kleine Charniere verbunden, welche man an den Gipshülsen mittelst Gipsbinden befestigt: eines entsprechend der Mitte der Vorderfläche des Kniegelenkes, das zweite in der Mitte der Kniekehle. Diese Stahlcharniere gestatten nur laterale Bewegungen, also entsprechend der Redressionsrichtung. Nun wird aus beiden Gipshülsen, entsprechend der Innenfläche des Kniegelenkes, je ein halbmondförmiges Stück ausgeschnitten und darüber je ein Haken befestigt, zwischen welchen man stark ausgezogene Gumniirohre spannt und derart einen con- stanten Zug vermittelt (Fig. 24h). Bardelehen, verwendet in jenen Fällen, wenn der Kranke längere Zeit das Bett hüten kann, einen Gipsverband, welcher aus zwei Gipsringen sich zusammensetzt: ein Ring kommt am Unterschenkel, der zweite am Oberschenkel möglichst Fig. 249. weit vom Knie, beide werden nun an der Aussenseite des Beines mittelst einer festen Holzlatte verbunden, so dass Ringe und Latte ein Ganzes bilden. Letztere überbrückt den Knickungswinkel des genu valgum und gibt einen festen Pfeiler ab, gegen den man mit elastischen Binden das Knie ziehen kann, welches sich dabei nothwendigerweise gerade richtet. Die Polsterung der Ringe an ihren Aussenhälften muss eine ganz vorzügliche sein, wenn der Apparat überhaupt vertragen werden soll, ohne Decubitus zu erregen. Eine rasche Eedressirung wird durch gewaltsame Ablösung der schiefgestellten Epiphyse vermittelt; De'fore'hat diese Methode zuerst angewendet und empfohlen. Anwendbar ist sie nur bei ganz jungen Individuen; bei Kindern genügt wohl die Händekraft eines Menschen, um ein Bäckerbein zu redressiren. Man packt mit einer Hand den - 865 — Oberschenkel nahe dem Knie, mit der anderen den Unterschenkel hoch oben und bricht das Knie mit einem Ruck zurecht. Halberwachsene bieten mehr Widerstand : es müssen dafür mehrere Personen ihre Kräfte vereinigen und dann die, mit ihrer Aussenf lache auf eine fest 2 Unterlage gestützte Extremität durch eine übermässige Belastung der winkelig vorspringenden Kniegegend einbrechen. Dieses rohe, gewaltsame Verfahren ist geradezu verdammenswerth; man weiss nie und kann nie bemessen, auf wessen Kosten die Redressirung, falls sie überhaupt gelingt, zu Stande kommt. Es können ebensowohl die lateralen Aussenbänder reissen, als die Epiphyse brechen oder gar ein Condylus abgedrückt werden. Mit Händegewalt redressire man nur an kleinen Kindern, bei denen die Epiphj^senlinie weniger Wider- stand bietet als die Bänder, für Halberwachsene bediene man sich eher des Redressionsapparates von Collin (Fig. 249), w^eil bei diesem die Bänder geschont werden und die ganze Kraft auf den untersten Abschnitt der Knorren concentrirt wird, so dass der Epiph3^senknorpel, falls er noch vorhanden ist, nachgeben muss. An ausgewachsenen Individuen ist die Grenze zwischen Dia- und Epiphyse verstrichen, der verbindende Knorpel ist verschwunden, die knöcherne Vereinigung beider Knochenabschnitte vollendet; es kann also weder von einem orthopädischen Heilverfahren, noch von einer Ablösung der Epiphyse mehr die Rede sein. Genu valgum am Erwachsenen lässt sich nur heben durch Osteoclase oder durch Osteotomie. Erstere ist nur dann zulässig, wenn der Knochenbruch an ganz bestimmter Stelle ausgeführt werden kann, sonst nicht. Nur mit F. Rohins Osteoclast (siehe Fig. 77 und 78) kann man mit vollster Beruhigung die Geraderichtung erzwingen, da die Stelle des Bruches mit mathematischer Genauigkeit zu bestimmen ist; entbehrt man des Apparates, so kann nur auf operativem Wege abgeholfen werden. Die Methoden, auf blutig-operative Weise das Bäckerbein zu heben, sind sehr mannigfach und nur unter der Voraussetzung strengster Antisepsis zulässig. Man kann die zahlreichen Methoden und deren Varianten in zwei Gruppen scheiden, je nachdem intraarticulär oder extraarticulär vorgegangen wird. Die Gruppe der intraarticulären blutigen Eingriffe zählt die Methoden von Bauer, Annandale, Ogstoii und Chiene, Verfahren, welche mit Recht verlassen wurden zu Gunsten der extraarticulären, welche das Leben des Patienten sowohl, als auch die Integrität des Beines weniger bedrohen. Die extraarticulsren Methoden können entweder an der Diaphyse des Oberschenkels odei* an jener der tibia Anwendung finden, je nachdem der Oberschenkel oder die tibia mehr zur Bildung des Bäckerbeines beitragen; sie be- stehen theils in Osteotomien, theils in Keilresectionen. Das heutzutage am meisten übliche, als bestes anerkannte opera- tive Verfahren gegen genu valgum, ist die lineare siipracondyläre Osteo- tomie nach 3Iac Eicen. Sie hat den Vortheil, bei den meisten Bäcker- beinen anwendbar zu sein, das Gelenk und die Bänder unberührt zu lassen und den Eingriff gerade zunächst der Verkrümmung zu ver- legen; der operative Eingriff ist ferner sehr einfach und hat sich bestens bewährt. Die Mac Eicen'sche Operation wird folgendermassen ausgeführt, stets an der Innenseite des femur : die lineare Durchtrennung der Weich- theile erfolgt an einem ganz bestimmten Puncte, welcher durch die V. Mosctig -Mo o rhof: üandbuch d. chirurg. Technik. 4. Aufl. 55 — 86G — Kreuzung zweier Linien gegeben wird; die eine Linie wird einen Finger breit oberlialb der oberen Randebene des äusseren Condyhis circubir gezogen, die zweite einen halben Zoll vor und parallel mit der Sehne desmusculus adductor magnus. Wählt man den Kreuzungsi)unct beider Linien als imteres Ende einer etwa 5 Centimeter langen, axial zum Knochen geführten Incision, so vermeidet man alle Gefässe, mit Aus- nahme etwa einiger oberflächlicher Venen, deren Blutung in kurzer Zeit auf massigen Druck sistirt. Patient wird narcotisirt, das Bein in halb ge- streckter Stellung mit der äusseren Fläche auf ein Sandkissen gelagert, ein Gehilfe fixirt den oberen Theil der tibia, ein anderer die Mitte des Oberschenkels. Eine vorgängige Anämisirung der Extremität ist weder nothwendig noch zweckmässig. An dem Puncte, wo die oben bezeich- neten Linien sich kreuzen, wird ein scharfgespitztes Scalpell senkrecht bis zum Knochen eingestochen und nun die Stichwunde zu einem Längsschnitte verlängert (4 bis 5 Centimeter). Am Scalpelle wird ein, dem Alter des Individuums entsprechend breiter, keilförmig geschärfter Flachsmeissel, auch Osteotom genannt (Meissel mit achtkantigem, oben geknöpftem Griff aus einem Stahlstücke in drei verschiedenen Grössen) eingeschoben und hierauf erst das Messer ausgezogen, ja nicht früher. Durch die Längswunde kann das Osteotom auch nur so eingeführt werden, dass die Schneidefläche parallel zur Knochenachse steht; das Instrument muss demnach erst in der Wunde, richtiger am Knochen durch Drehung quergestellt werden, so dass die Schneide den Knochen rechtwinkelig kreuzt. Bei diesem Drehen des Meisseis darf derselbe dem Knochen nicht zu stark angedrückt werden, um nicht das Periost abzuschaben. Nach der Drehung schiebt man die Meisselschneide bis an den hinteren inneren Rand des Knochens und stellt das Instrument gleichzeitig derart, dass es in der Richtung von hinten nach vorne und gleichzeitig nach aussen wirken könne. Die genaue Einhaltung dieser Richtung ist sehr wichtig, um jede Verletzung der arteria femoralis zu umgehen. Man hämmert also zunächst die Innenfläche des Knochens durch bis zur obersten Rand- schichte und richtet dann die Schneide gegen die äussere hintere Kante des femur. Beim Gebrauche des Osteotom soll die linke Hand, mit der es gehalten wird, nach jedem Hammerschlage einen leichten Zug am Instrumente in der Richtung seiner Längsachse ausüben, um jeder beginnenden Einklemmung zuvorzukommen. Nach beendeter Durchtrennung der inneren Hälfte des Knochens kann man ein dünneres Instrument einführen und das erstgebrauchte ausziehen, ja später ein drittes, noch schmäleres an die Stelle des zweiten bringen. Die Einführung darf nie aus freier Hand, sondern stets nur an der Leitung des in der Wunde schon befindlichen Osteotom erfolgen, damit ja nicht der Weg verfehlt werde. Die Benützung mehrerer Osteotome in absteigender Dicke und Grösse soll die Durchschneidung des Knochens erleichtern und jede Splitterung hintanhalten, sowie auch der Einklemmung vorbeugen. Bei Kindern mit weichen Knochen gelingt zumeist die Osteotomie mit einem einzigen Meissel, bei Erwachsenen wohl auch. Der Knochen soll bis auf die Cortical- schichte der Aussenfläche durchschnitten und das jeweilige Osteotom nicht früher aus der Wunde gezogen werden. Glaubt der Operateur, dass der Knochen genügend durchtrennt sei, so entfernt er das — 867 - Osteotom, legt etwas gekrüllte antiseptische Gaze auf die Weiclitheil- wunde, drückt sie mit der einen, gleichzeitig als Hypomochlion dienenden Hand fest darauf, ergreift mit der anderen den Unter- schenkel nahe den Knöcheln, benützt ihn als Hebel und bricht mit einem Ruck die übrig gebliebene Corticahvand der geschwächten Femursteile vollends durch. Nach Anlegung eines antiseptischen Ver- bandes Avird das gerade gestellte Bein mittelst eines Gipsverbandes oder mittelst einer langen, von der Achselhöhle bis unterhalb der Sohle reichenden Aussenschiene mit Fussgestell und einer zweiten kürzeren hinteren Lagerungsschiene gesichert. Würde das Einbrechen nicht gelingen, so müsste das Osteotom, diesmal wohl ohne Leitung, neuerdings eingeführt und das Fehlende in der Knochentrennung vervollständigt werden. Um das eventuelle, immerhin peinliche und oft schwierige Wiedereinführen des Osteotom zu vermeiden, dringen Reeves und Mac Cormac, in der gleichen Linie operirend, von der Aussen seite des femur ein und haben dabei den Vortheil, die Geraderichtung der Extremität vornehmen zu können, während das Instrument in der Wunde verbleibt, so dass gleich fort- gestemmt werden kann, wenn das Einbrechen des Corticalisrestes nicht gelänge. Dollinger operirt von innen her, bricht aber den Knochen nicht nach einwärts, wie Mac Ewen. sondern nach aussen, wobei auch das Osteotom in der Wunde verbleiben kann. Hahn end- lich pflegt bilateral, id est innen sowohl als auch aussen zu osteoto- miren, um das Einbrechen des Knochens zu erleichtern. Während 3Iac Eicen bei nur massig gebeugter Extremität die quere Durch- meisselung vornimmt, will sie Foore bei rechtwinkeliger Beugung im Knie ausführen, angeblich weil bei dieser Stellung die Trennungslinie leichter auffindbar, die Extremität besser fixirbar ist und endlich weil nach dem Strecken die Hautwunde sich verzieht und der Paral- lelismus dieser zur Knochenwunde aufgehoben wird. Bei besonders hochgradigem Bäckerbeine kann die Verkürzung der Bicepssehne die Geraderichtung des Beines verhindern, selbst wenn der Knochen vollends durchstemmt und eingebrochen ist; es wird dann die sub- cutane Tenotomie der Sehne erforderlich. Das topographische Ver- hältniss der Bicepssehne zum nervus popliteus externus macht es dann nothwendig, die stark vorspringende Sehne unmittelbar über dem Köpfchen der fibula von aussen nach innen zu durchtrennen und dabei die Tenotomklinge nur vorne und aussen wirken zu lassen, da der Nerv an der hinteren und inneren Seite der Sehne vorbeizieht. Weniger empfehlenswerth ist das Ausstemmen eines keilförmigen Knochenstückes aus der Femurdiaphyse, wofür die Incision etwas länger gemacht und die Beinhaut vorerst abgehoben vrerden muss, da es nothwendig wird, die Weichtheile gut abzuziehen, um zum entblössten Knotehen genügende Zugänglichkeit zu bekommen. In jenen Fällen, in denen nicht so sehr der femur, als vielmehr die tibia die Bäckerbeinstellung verschuldet, ist dementsprechend die Knochentrennung nicht am Ober-, sondern am Unterschenkel vor- zunehmen. In der Regel genügt es die tibia allein zu osteotomiren, da das Wadenbein der Geraderichtung keinen wesentlichen Wider- stand zu leisten pflegt; es gibt der redressirenden Gewalt nach, entweder durch entsprechende Luxation des Köpfchens oder durch 55* — 868 — Infraction. Schede war in einem Falle genfUhii^t, auch das Wadenbein mit dem Meissel durchzustemmen, was am besten 2 bis 3 Centimeter unterhalb des capitulum fibulae geschehen kann. Die Trennung der tibia wird stets am Kopfe derselben vorgenommen, unterhalb des Ansatzes des ligamentum patellae proprium. BlJJroth führte daselbst die subcutane lineare Osteotomie aus. Mayer und Andere die percutane Excision eines keilförmigen Stückes mit innerer Basis. Letztgedachte Methode ist gegenwärtig wohl ausnahmslos gebräuchlich, da sie eine viel correctere Geraderichtung zulässt. Mayer durchschnitt die Haut und das Periost in Form eines bogenförmigen Lappens, den er nach aufwärts klappte, und resecirte den Keil aus der skelettirten tibia mit der Säge, Andere ziehen die Excision mit breitem flachen Meissel und Hammergewalt vor. König empfiehlt, die Weichtheile 2 Centimeter unterhalb der spina tibiae durch einen quergestellten T-Schnitt, dessen 3 bis 4 Centimeter betragender Längsschenkel auf den medialen Rand der tibia fällt, durchzutrennen und die beiden drei- eckigen Haut-Periostlappen flügelthürartig auseinander zu klappen, hierauf mittelst Elevatorium die Beinhaut von der Innen- und Aussen- fläche der tibia abzulösen und den Keil auszustemmen. Der Knochen- keil kann als Ganzes ausgeschnitten werden oder successive, id est, indem man anfänglich einen kleinen Keil ausstemmt und den Defect allmälig und nach Bedarf vergrössert. Nach erfolgter Geraderichtung des Beines werden die Lappenränder vernäht, die Wunde entsprechend drainirt und ein antiseptischer Verband angelegt. Zur Fixirung des Beines nimmt man am ^zweckmässigsten Schienen, weil sie eine be- liebige Controle der Wunde und einen Verbandwechsel am leichtesten zulassen; starre Verbände müsste man fenstern. IV. Künstliche Eröffnung des Kniegelenkes. Verschiedene Indicationen bewegen den Chirurgen, sich zu dem grössten aller Körpergelenke Zugang zu verschaffen: so beispielsweise die Extraction von aussen eingedrungener Fremdkörper, oder Gelenkmäuse, weiters die Entleerung septischer Exsudate, endlich die Exstirpation der tuberculös entarteten Synovialcapsel in ihrer Gesammtheit etc. Wir wollen im Folgenden nur von jenen Gelenkseröffnungen sprechen, welche vorgenommen werden bei Gonitis septica und bei Gonitis tuberculosa; erstere wollen wir nach v. Volkmann als Arthrotomie, letztere als Arthrec- tomie bezeichnen. Die Arthrotomia genus besteht in der bilateralen Längsspaltung des Gelenkes, welche am besten geeignet ist, den Gelenkssecreten freien Abfluss zu verschaffen und genügende Zugänglichkeit bietet, um energische Antisepsis des Gelenkscavum zu ermöglichen. Ent- sprechend der Anatomie des Kniegelenkes handelt es sich dabei nicht nur um die Eröffnung des eigentlichen Gelenkes, sondern auch um jene des damit communicirenden cavum bursae mucosae unterhalb der Sehne des quadriceps femoris. Die Stelle, wo an beiden Seiten die Spaltung der Weichtheile erfolgen soll, ist eine genau gegebene, nämlich vor den Seitenbändern des Kniegelenkes: weil nun diese den Längsmitten der lateralen Gelenksflächen entsprechen, so fallen die — .^69 — Eröffniingsschnitte etwas dorsalwärts davon. Entsprechend der Lage des Schleimbeutels werden ferner die Schnitte zumeist den femur treffen und die Gelenksspalte kaum überragen, also das Gebiet des Unterschenkels nicht betreten. Wenn man von Längsincisionen spricht, ist dies nicht in geometrischem Sinne zu nehmen; betrachtet man ein durch Exsudate ausgedehntes Kniegelenk, so wird man finden, dass die prall gefüllte bursa subtendinosa convexe seitliche Begrenzungen zeigt entsprechend ihrer anatomischen Gestalt. Da nun die Schnitte die tiefsten Stellen des Schleimbeutels öffnen sollen, so wird es am erspriesslichsten sein, wenn man sie entlang den lateralen Be- grenzungen des Schleimbeutels führt, wodurch sie schwach bogen- förmig werden und ihre Concavitäten nach vorne kehren. Die Schnitte kreuzen den Verlauf der arteriae articulares superiores; darausfolgt, dass man die Spaltung nur schichtenweise vornehmen darf und die getrennten Arterien sicher unterbinden muss, bevor man das Gelenks- cavum eröffnet. Die Operationstechnik ist einfach genug: man lagert die Extremität auf ein Polster und rotirt sie nach aussen, weil zumeist mit der Innenincision begonnen wird. Der Schnitt verläuft ganz parallel der Seitenbegrenzung des ausgedehnten Schleimbeutels, beginnt seitlich von der Sehne des quadriceps und endigt im Niveau der Gelenksspalte, also an der unteren Grenze des condylus internus. Man durchschneidet schichtenweise Haut und vastus internus, unter- bindet die blutende articularis genu superior interna und dringt nach gänzlich gestillter Blutung in die Tiefe ein, bis das angesammelte Exsudat an jener Stelle, wo die sjmovialis geöffnet wurde, heraus- stürzt. Sofort dringt der Zeigefinger in die Capsellücke ein und dient dann einem geknöpften Bistouri als Leiter, um die Spaltung zu ver- vollständigen. Sodann schiebt man den Zeigefinger quer ins Gelenk und unterhalb der Quadricepssehne zur Aussenseite, wo man sich die äussere laterale Begrenzung des nun entleerten und daher nicht mehr von aussen kenntlichen Schleimbeutels markirt und nun, nach vor- gängiger Einwärtsrollung der Extremität, den Schnitt an der Aussen- fläche ebenso beginnt und weiter führt, wie dies an der Innenseite geschah. Man trennt also Haut, vastus externus und nach Sicherung der articularis externa die Capsel. worauf deren Spaltung mit dem Knopfmesser beendigt wird. Die Zugängiichkeit zum Kniegelenke, welche die bilateralen schwach bogenförmigen Schnitte bieten, wenn man dieselben jederseits bis nahe dem entsprechenden Quadri- cepsrande verlängert, ist eine so bedeutende, dass man festsitzende Projectile, abgebrochene Knochenstücke etc., ganz bequem entfernen kann. Zur Arthrectomia genus hat v. Volkmann eine andere Eröffnungs- methode empfohlen, welche noch viel grössere Zugänglichkeit bietet. Sie besteht in einem die patella halbirenden, halbbogenförmigen Querschnitte, Durchsägung der Kniescheibe quer durch die Mitte und Aufklappung der beiden Hälften mittelst scharfer Doppelhaken. Dieser Schnitt hat wohl den Vortheil, die arteriae articulares zu schonen und die grösstmögliche Zugänglichkeit zu bieten. In Fällen von sehr schwerer und hoch hinaufreichender fungöser Entartung der bursa subtendinosa erachtet es v. Volkmanu sogar von Vortheil, statt des Querschnittes einen spitzbogenförmigen Lappen mit oberer — 870 — Abrundung- zu bilden, der bis über das Ende des Schleimbeiitels hinaufreicht und dessen Basis ein wenig unterhalb der Gelenksspalte liegt. hrr)2 Hepatoraphie 5(12 Hepatostoniie iuO Hernia femoralis t>ö7 Hernia inouinalis 65(5 Hernia ischiadica ... 661 Hernia properitonealis 659 Hernia umbilicalis 655 Hernien, Anomalien 643 Hernien, Radicaloperation 662 Hernien, Taxis 6:^4 Herniotomie 638 Hodenexstirpation 758 Hodenresection 759 Hüftgelenkseontractur 839 Hüftgelenksexarticulation . ... 846 Hüftgelenksresection 842 Hüftgelenksverrenkung 837 Hj'dramyläther 19 Hydroceleoperationen 755 Ignipunctur 148 Ileustherapie 601 Impfen 162 Infiltrationsanästhesie 22 Infusion 222 Injection, parenchymatöse 164 Injection, subcutane 163 Jejunostomie 592 Jodoform 33 Kehlkopfexstirpation 493 Keilresection 260 Kettenligatur 74 Klammernaht 114 Klumpfuss 890 Kniegelenksamputationen 878 Kniegelenkscontractur 859 Kniegelenksresection Ö71 Kniesclieibenbruch 853 Knochenbrüche 263 Knochennaht 115 Knochennecrose 125 Knochenpiomben 125 Knochenresection 257 Knochentransplantation 271 Knochentrennung 96 Knopfnaht 107 Kropfoperationen 458 Kürschnernaht . 109 Labium' leporinum 384 Lagorungsapparate 278 Lamnectomie 765 Laparotomie 554 Laryngoectomie 493 Laryngofission 491 Laryngotomie 470 Leberabscess 561 Lebernaht 562 Leberresection 562 I Seite Ligatur, elastische 89 Lippenectropium 382 Lippenplastik 378 Litholapaxie 715 Lithotripsie 710 Localanästhesie 18 Luftröhreneröffnung 470 Luxatio claviculae 792 Luxatio cubiti 808 Luxatio femoris 837 Luxatio humeri 795 Luxatio mandibulae 362 Luxationen 273 Luxatio poUicis 833 Magenauswaschung .572 Magendarmnaht 573 Mageneröffnung 576 Magenresection 584 Malleolaramputationen 891 Mammaexstirpation 52t> Massenligatur 73 Massiren 153 Mastdarmexstirpation 623 Mastdarmfissuren 614 Mastdarnifisteln 620 Mastdarmprolaps - . 608 Mastdarmresection 625 Mastdarmstrioturen 616 Mastdarm Untersuchung 610 Mastdarmverschluss 630 Matratzennaht 110 Meissein 102 Meissein, dreibändiges 360 Meloplastik 383 Milzexstirpation 570 Milzresection 572 Muskeldehnung 196 Muskeldurchschneidung 198 Myotomie 198 Nähen 105 Nageloperationen 182 Naht, versenkte 45 Xarcose 1 Nasenhöhle, Tamponnade 401 Nasenpolypenentfernung 407 Nasenrachenpolypen 339 Nasenscheidewandverkrümmungen . 406 Nephrectomie 743 Nephropexis 749 Nephrotomie 742 Nervenausschneidung 245 Nervendehnung 242 Nervendurchschneidung ..... 246 Nervenevulsion 247 Nei'vennaht 248 Nervenplastik 249 Nervi intercostales 550 Nervi plexus brachialis 525 Nervi plexus cervicalis 525 Nervus aecessorius Willisii 524 Nervus cruralis 853 — 90G Seite I Nm-vus facialis, Dehnung 457 Nervus isciüadicus ^ij^ 1 Nervus nicdianus ^08 Nervus radialis 808 i Nervus trigeininus 4-14 Nervus ulnaris 808 Neurectoniie -45 j Neuroraphio 248 Neurotoniie 246 , Neurotonie 24-. Nierenexstirpation '743 Obcrkioferhöhloncröffnung 344 Oberkioferresection, osteoplastische . 353 Oberkieferresection, partielle .... 3r)2 Oberkioferresection, totale 34(5 Oberschenkelbruchverbände .... 849 Oesophago tomia öl2 Oesophagusstricturen ...•••• ^^^ Operationstische 60 Osteoclasie 2.-)3 Osteotomie 249 Panaritium 190 Earotisexstirpation ........ 393 Penisamputation 7ö4 Pericardiotomie 547 Pharyngotomie 436 Phiniosenoperation ........ 750 Phlebotomie 215 Phlegmone, Behandlung 55 Plattennaht 113 Pleurotomie 539 Pneumopexis 547 Pneumotomie 547 Präpariren, schichtweises 87 Pi'ostataectomie 702 Prostatatomie 705 Prostatatumoren 700 Pseudoarthrose 268 Punctio abdominis 551 Punction 115 Punctio pericardii 538 Punctio pleurae 533 Punctio vesicac 697 Pyloroplastik 577 Pylorusresection 583 Quellkörper 152 Ranulaoperation 429 Rectostomie 616 Resectio calcanei 889 Resectio carpi 825 Resectio claviculae 792 Resectio costarum 548 Resectio coxae 842 Resectio cranii 327 Resectio cubiti 812 Resectio genus 871 Resectio humeri 799 Resectio maxillae inferioris .... 358 Resectio maxillae superioris .... 346 Seite Resectio motacarpi 831 Resectio orbitae osteoplastica .... 399 Resectio scapulae 792 Resectio subtrochanterica 842 Resectio tarsi osteoplastica 887 . Resectio tibio-calcanea 889 Resectio urethrae 696 Rhinoplastik, partielle 374 Rhinoplastik, totale 366 Rippenresection 548 Sägen 98 Scarificiren 220 Schädeldefect, Autoplastik M\ Schädeldefect, Heteroplastik .... 838 Schädelresection 327 Schiefhals 203 Schienenverbände 305 Schleimbeutelerkrankung 193 Schlüsselbeinbruchverbände .... 788 Schlüsselbeinresection 792 Schlüsselbein Verrenkung 792 Schröpfen 220 Schulterblattexstirpation 793 Schultergelenkexarticulation .... 802 Schultergelenksresection 799 Schultergelenksverrenkung 795 Schulteroberarmauslösung 805 Schwämme, Zubereitung 29 Sebnendurchschneidung 199 Sehnennaht 206 Sehnenplastik 211 Sehnenscheiden . 213 Seide, Zubereitung 27 Sequesterentfernung 123 Simonisiren 611 Sondiren 149 Sondiren des Oesophagus 498 Speicheldrüsenentfernung 393 Speichelfisteloperation 395 Speiseröhrendivertikel .")15 Speiseröhrenresection 516 Speiseröhrenschnitt 512 Sphincterdivulsion 614 Sphincterotomie 615 Spina bifida-Operation 763 Splenectomie 570 Splenopexis 571 Sprunggelenksresection 882 Sternocleidotomie 202 Stiftnaht 111 Stirnhöhleneröffnung 342 Stomatoplastik 377 Strumectomie 458 Stützverbände 304 Styptica 81 . Sublimat .30 Suspensionsverbände 298 Syndactilie 832 Temperaturregekmg 324 Tendoraphie 206 Tenotomie : 199 907 Seite Thermocaustik 92 Thoracocenthese 533 Thoracütomie 539 Tonsillectomie 434 Tonsillotomie 431 Trachealfisteln 490 Traeheotomie • . . . . 472 Trepanation 327 Trigeminus, Ramus I 444 Trigeminus, Ranius II 445 Trigeminus, Ramus III 449 Tripolithverband 316 Tubage 484 Ueberbein 213 Unterkieferexarticulation 3')5 Unterkieferfractur 363 Unterkieferresection 358 Unterkieferresection, osteoplastische • 361 Unterkieferverrenkung 362 Unterschenkelexarticulation .... 877 Uranoplastik 413 Ureterotomie 741 Urethrotomie, äussere 694 Urethrotomie, innere 691 Uvolaamputation 435 Varicoceleoperationen 757 Venaeseetio 215 Seite Venenectasien 237 Venenresection 229 Venentumoren 240 Verbandstoffe 35 Verrenkungen 273 Vorderarmbruchverbände 821 Vorhautabtragung 753 Wangenplastik 383 Warzenfortsatzeröffnung 343 Wasserglasverband 317 Wirbelsäulepunction 763 Wirbelsäuleresection 764 Wirhelsäuleverbände 767 Wundbehandlung 23 Wunddrainage 40 Wundnaht lo4 Wundvereinigungsverbände .... 284 Wurmfortsatzabtragung 609 Zahnextraction 130 Zahnimplantation 136 Zahnsteinentfernung 157 Zahnwurzelextraction 137 Zapfennaht 112 Zerreissen 88 Zugverbände 318 Zungenamputation 422 Zungenbandlösung 421 4 --ftfev ■ '-^ ^->^- 1^- - ^.- ■ :^ '^:r. ' ^■/'j-^^-n ,/ ">. ^ÜLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES (hsLstx) RD 32 IVI85 1899 C.1 2002132842 ^ ■■;; 'S v-r ^%. y/ . " ?^', /i ^ r^~^ -■^' V •■ ^•-^^. ^,^^-1- " j:^^ •- i ./-'■■:,«. ;•/ ■. . -»^ A-L .^/^ #-^>- ',f^*4 '#■■ ' >;., '4 • ^: ■ \.